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At Nightfall

Bei Anbruch der Nacht- Kapitel 7 komplett
von

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Kapitel 6

Kapitel 6
 

Also hier ist das neue Kapitel für Euch. Ich hoffe es gefällt Euch. Also viel Spaß beim lesen!!!

Jetzt geht’s los….
 

Kapitel 6
 

In der Folgezeit nahm sich ein junger Mann mit klaren grünen Augen Seth an. Er wurde sein Lehrer, sein Mentor, sein Führer und schließlich sein Freund.

Seto erfuhr, dass Bakura viele Jahre bei den Räubern und Dieben gelebt hatte. Er war dem Ururgroßvater des Mannes vor langer Zeit bei einem Überfall in einem kleinen ägyptischen Dorf in die Hände gefallen. Niemand wusste genau, woher er ursprünglich stammte, aber als die Diebe und Räuber sein Dorf überfielen und plünderten, erkannten sie rasch, dass sie viel mehr erbeutet hatten, als ihnen lieb war.

Bevor ihr Gefangener sie alle umgebracht hatte, schlossen sie Frieden mit ihm. Zwei der anderen Vampire in seinen Diensten waren sehr alt, fast so als wie Bakura und älter als der junge Mann sagen konnte. Den dritten Mann, Marik, hatte er von einem Überfall vor nicht allzu langer Zeit mitgebracht. Er war gefährlich, niederträchtig wie kein anderer, verschlagen, gerissen, böse. Und er wusste viel, er kannte Legenden, Götter und Göttinnen sowie Magier und Hexen aus aller Herren Länder.

Die Räuber und Diebe segelten mit den Vampiren über Flüsse und Meere und beschafften ihren Herren Opfer. Im Gegenzug durften sie die Beute ihrer Raubzüge behalten.

Und auch ihre Familien wurden verschont.

Der junge Mann, der Seth das alles erzählte, hieß Faruk.

Er achtete sehr auf seine Worte, doch wenn Bakura nicht auf dem Schiff weilte, senkte er die Stimme und erzählte Seth mehr.

Jawohl, Seth war tot. Das erklärte ihm Faruk betrübt, fast bedauernd.

Aber nicht richtig tot.

Er gehörte jetzt zu den Untoten.

Um zu überleben, brauchte er Blut. Ja, es konnte auch Tierblut sein- er hatte Bakura das Blut von Schafen, Pferden und anderem Getier trinken sehen, wenn es einmal kein Menschenblut gab. In solchen Zeiten war er nicht sehr glücklich. Er betrachtete die anderen- die Lebenden unter ihnen- dann mit einem Blick, bei dem es ihnen eiskalt über den Rücken lief und sie um ihren Verstand fürchteten.

Er achtete stets darauf, von Artgenossen umgeben zu sein. Einer wich kaum von seiner Seite, im Moment war Marik sein Beschützer. Wie Bakura ihnen einmal erzählte, hatte es vor ihm einen anderen Anführer gegeben. Aber er war stärker geworden und hatte ihn vernichtet, nachdem er von ihm gelernt hatte. Der Biss eines Lamia oder eines Vampirs konnte zwar ein neues Wesen seiner Art erzeugen, aber es gab bei den Untoten ein Gesetz, dass keiner im Laufe eines Jahrhunderts mehr als zwei Artgenossen schaffen durfte.

Daneben gab es noch andere Gesetze.

Sie durften einander nicht töten. Sie durften sich bei ihren grausamen Taten nicht von einem starken Herrscher ertappen lassen oder so viel Zorn auf sich laden, dass stärkere Kräfte sie zerstören könnten. Sie hatten einen Schwachpunkt und konnten getötet werden. Mit ihrem Biss schufen sie andere ihrer Art, doch da ihr Appetit sehr groß war, musste ihre Zahl beschränkt bleiben. “Deshalb soll der Kopf abgetrennt werden. Sonst würden zu viele Opfer als Vampire aufwachen.” Faruk zuckte die Schultern. “So, wie Ihr aufgewacht seid.”

“Mir sind Geschichten zu Ohren gekommen, dass die Untoten nur nachts aktiv sind”, meinte Seth. “Aber Bakura bewegt sich Tag und Nacht…”

“Während Ihr erschöpft daniederliegt”, ergänzte Faruk. “Er ist stark, sehr stark; und alt. Er hat viel gelernt, ausprobiert und Anderen beigebracht. Mit der Zeit werdet auch Ihr stärker werden.”

Er zögerte. “Blut verleiht Euch Kraft. Auch Bakura ist nachts am stärksten und mächtigsten. Manchmal raubt ihm das Licht der Sonne die Kraft.”

“Aber es bringt ihn nicht um.”

“Sollte es ihn zu einem Haufen Asche verbrennen? Ich fürchte, nein.”

“Aber ich habe gehört…”

“Man erzählt sich viele Geschichten. Manche stimmen, manche nicht. Irgendwann müsst auch Ihr wieder etwas zu Euch nehmen, aber Ihr könnt Euch den Bauch auch wie andere Menschen mit Fleisch voll schlagen.” Faruk zuckte die Schultern. “Das ist nicht schwer. Und es wird Euch egal sein, ob Euer Lamm gebraten oder roh ist. Eure Lage hat also auch Vorteile: Ihr könnt eine Kuh einfach von der Weide holen und reinbeißen, ohne ein Feuer zu machen und sie zu braten. Ihr seid also unabhängig von der Witterung.”

Er bemühte sich um ein Lächeln. Seth erwiderte es nicht.

“Ihr könnt ewig leben”, fuhr er fort.

“Verachtet, gehasst, gefürchtet?”

“Viele große Führer werden verachtet, gehasst un gefürchtet und würden doch gern ewig leben”, gab Faruk zu bedenken. “Ihr habt große Macht. Macht wird immer gefürchtet und gehasst.”

In jener Nacht fand wieder ein Überfall statt. Seth blieb auf dem Schiff und lauschte den Schreien.

Er spürte, wie Bakura nach ihm rief.

Doch Faruk hatte ihm gesagt, er würde stärker werden. Das würde ihm nur mit seiner Willenskraft gelingen, dachte Seth.

Sein Wille musste stärker werden als Bakuras.

Er schaffte es, seinem Ruf zu widerstehen.

Er zwang ihn nicht. Bestimmt war er sicher, dass sein Hunger ihn mit der Zeit in den Wahnsinn treiben und er seinem Ruf dann schon folgen würde.

Am nächsten Tag setzte der Schmerz ein.

Hunger, Pein. Es war kein normaler Hunger, es war ein Bedürfnis, das seinen ganzen Körper in Aufruhr versetzte. Er war so hungrig, dass er spürte, wie ihn die Kräfte verließen.

Neben dem Schiff entdeckte er einen Delfin. Der nagende Hunger wurde so stark, dass er sich blind vor Schmerz krümmte. Selbst aus dieser Entfernung konnte er das warme Blut des Säugetiers spüren.

In dem Moment entdeckte er, wie mächtig er war. Er konzentrierte sich auf den Delfin, schloss die Augen und verfolgte die Bewegungen des Tiers im Wasser. Er spürte die Muskeln des Delfins, seine Bewegungen. Er befahl dem Tier, näher zu kommen, immer näher.

Der Delfin kam bis an den Rand des Bootes. Er hätte ihn einfach packen können.

Doch dann öffnete er seine Augen und sah, wie schön dieses Tier war und wie sehr es ihm vertraute. Seine Hand lag schon auf ihm, der Delfin schwamm direkt an der Oberfläche neben dem Schiff. Er hätte ihn ohne weiteres aus dem Wasser ziehen können.

Schwimm, dachte er, schwimm weg.

Und tatsächlich entfernte sich das Tier eilends. Zitternd sank Seth zu Boden. Er wollte keine Menschen, er wollte auch keine Säugetiere. Plötzlich durchzuckte ihn ein anderer Schmerz. Er blickte auf seine Hände.

Das Salzwasser hatte ihn verbrannt!

Salzwasser konnte töten.

Mit dem Wissen kroch er zu seinem Lager im Rumpf des Schiffes zurück.

Als er schlief, kam er zu ihm. Am Tag war die richtige Zeit, da hatte er keine Macht, keinen Willen, keine Kraft, und dennoch…

Die Gefühle, die er in ihm auslöste…

Seth hatte sich noch nie so männlich gefühlt, noch nie einen so heftigen Höhepunkt erlebt. Doch als es vorbei war, hasste und verachtete er sich abgrundtief.

Am nächsten Tag stand er am Bug des Schiffes, eingehüllt in einem Pelzumhang. Dennoch fror er erbärmlich im tosenden Wind.

Er dachte daran, sich in die Fluten zu stürzen und zu ertrinken. Stundenlang stand er da und grübelte.

Bis Faruk zu ihm trat.

“Tut es nicht!”

“Warum nicht? Ich bin ein toter Mann.”

“Zerstört Euch nicht selbst!”

“Warum nicht?”

Faruk suchte lange nach den richtigen Worten. Schließlich fand er sie.

“Weil Ihr bleiben solltet, um ihn zu vernichten.”

“Eines Tages könnte ich mich auch gegen Euch wenden, mein Freund”, erinnerte ihn Seth. “Ich könnte die Beherrschung verlieren und Euch in Stücke reißen.”

“Das stimmt”, erwiderte Faruk gleichmütig. “Aber das werdet Ihr nicht tun.”

Er hörte den Wind blasen und spürte seine Kraft. Es gab viele Dinge auf dieser Welt, die böse waren, aber nur wenige, die so böse waren wie Bakura.

Zu leben- wenn man es denn so nennen konnte-, um ihn zu vernichten: Das gab seinem Dasein einen Sinn. Und später in dieser Nacht war er richtig froh darüber.
 

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Er lernte, seinen Hunger an Ratten und Vögeln und anderen Kleintieren zu stillen. Er wusste, dass er Blut brauchte und dass ihm dieses Blut Kraft gab.

Außerdem lernte er, sich mithilfe seiner Gedankenkraft zu bewegen und so wie Bakura auf dem Wasser zu gehen.

Ja, er lernte tatsächlich, dieses erbärmliche untote Leben auf seine Weise zu führen.

Gut wie lange nicht mehr fühlte er sich nach dem Tag, an dem er das Wildschwein aufgestöbert hatte. Das arme Vieh, auch wenn es selbst eine Art Ungeheuer war, hätte wahrhaftig kein solches Ende verdient.

An diesem Tag war er allein von Bord gegangen und hatte das Wildschwein gewittert. Er spürte, wie er sich in einen Jäger, einen Wolf verwandelte. Dann setzte er dem Wildschwein nach, griff es an, stürzte sich darauf.

Er saugte es bis zum letzten Blutstropfen aus, dann verschlang er es. Anfangs riss er es in Stücke, die er sich gierig in den Mund stopfte, dann fing er an, langsamer zu essen und es zu genießen. (Hat halt doch noch Manieren!!!) Als er mit dem Fleisch fertig war, kaute er sogar noch auf den Knochen und der Haut herum.

Doch eigentlich wollte er Menschenblut, das war ihm klar. Er versprach sich diesem Drang nachzugeben, wenn ein geeignetes menschliches Wesen zur rechten Zeit vor ihm auftauchte. Er war der Hohepriester der Ägypter gewesen, der oft hatte kämpfen müssen. Er hatte schon mehrmals getötet.

Und er würde wieder töten.

Aber wenn die Götter schon eine solch abscheuliche Kreatur wie ihn ertragen konnte, dann würden sie ihm vielleicht auch Macht und Stärke verleihen. In der Natur herrschte ein Gleichgewicht; vielleicht war er ein Teil davon. Wenn er sich um die richtige Kraft bemühte, konnte er es vielleicht auch vermeiden, Unschuldige zu töten.

Sie segelten weiter auf den Meeren und brachten Tod und Verderben, wo immer sie ablegten- in Babylonien, Griechenland, Italien, Spanien, dem heutigen Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen, sowie andere arabische Staaten.

Bakura war nicht mehr so belustigt wie früher, als ihm klar wurde, dass er jemanden geschaffen hatte, der entschlossen war, ihm Widerstand zu leisten.

Eines Nachts machte er Seth heftige Vorwürfe.

“Warum tust du das? Du weißt doch, was du bist. Du kannst nicht zurück. Ich biete dir an, mit mir zu herrschen, mein wahrer Gefährte zu werden. Ich besitze in dieser Welt alle Macht, ich bin schlau und schön, (schön eingebildet…) und ich biete die alles, was du dir nur wünschen kannst. Du bist ein Narr, wenn du mich weiterhin abweist.”

Doch nun war es an Seth, spöttisch zu grinsen. “Du bist der Narr, du törichter Kerl. Du glaubst, dass du dir nehmen kannst, was du willst, und dass ein Mann, der früher ein Mensch war, dir gehört. Du hast nicht die geringste Ahnung, was Schönheit bedeutet. Für mich bist du hässlich und dumm. Dir fehlt jede Vorstellung von Liebe und Mitgefühl, ja sogar von Vernunft. Du meinst, dass du über uns herrschst? Nun, nicht mehr lange. Selbst in unserer Welt, der Welt der Jäger, muss Gleichgewicht herrschen. Du tötest nur um des Tötens willen, um deine grausamen Gelüste zu befriedigen. Wenn du weiter so mordest, wirst du Verdammnis über unsere Art und dich selbst bringen!”

Damit wandte er sich ab und freute sich über die Wut, die in Bakuras Augen aufblitzte.

Aber nach wie vor beherrschte er das Schiff und die Besatzung. So segelten und plünderten sie weiter.

Eines Spätnachmittags, als die Sonne im Begriff stand unterzugehen und die Kraft der Nacht wuchs, kamen sie zu einem Dorf. Er wusste, dass wieder ein großes Schlachten bevorstand. Reumütig dachte er daran, was er früher gewesen war, und an die Menschen, die bald sterben mussten.

Die Zeit wird kommen, in der ich herrsche. Und ich werde wissen, was ich bin- ein Ungeheuer, ein Jäger. Aber es wird Regeln geben für die Jagd, und die werden befolgt werden, und es wird Vernunft herrschen inmitten all des Wahnsinns.

Schreie drangen an sein Ohr.

Er roch Blut. Der Hunger plagte ihn.

Doch er widerstand der Versuchung. Er blieb an Bord und gesellte sich nicht zu den Anderen.

Dann hörte er ihn rufen. Bakura rief nach ihm, mit höhnischer Stimme und einem drohenden Unterton.

Er trat an die Reling des Schiffes, befallen von einer schrecklichen Ahnung.

Er sah, dass sie in seine Heimat zurückgekehrt waren. Die Krieger kämpften, und…

Bakura umging das Gemetzel. Er kam bei den Frauen, Kindern, Alten und Schwachen, Priestern und deren Beschützer an, die an der Flucht gehindert wurden.

Er packte Horus.

“Bakura!”

Wütend schrie Seth seinen Namen und wollte sich zur Küste aufmachen. Doch die Schlacht war schon vorüber, die Ungeheuer hatten gesiegt. Bevor er an Land gehen konnte, war Bakura zurückgekehrt. Seine Leute zerrten Seths Geliebten an Bord. Bakura stieß den zitternden, nassen Horus zu ihm hin.

“Horus!” Sein Name kam ihm wie eine Liebkosung von den Lippen.

Er lächelte. Ein Lächeln, in dem das Versprechen lag, dass die Liebe ewig währte.

Seine Augen ruhten auf ihm. Seine wunderschönen tiefbraunen Augen, Augen ganz leicht ins goldene gehend- Götteraugen, voller Vertrauen und Gelassenheit. O bei Ra, er vertraute ihm, seinem Wort, seinen Gedanken.

“Heute Abend stirbt er, Hohepriester!”, sagte Bakura. Er stand direkt hinter Horus und hob dessen dichte Haarmähne.

Dann grinste er boshaft, seine Lippen öffneten sich, Speichel floss ihm aus den Mundwinkeln.

Seth stürzte sich auf ihn, rasch wie der Wind, erfüllt mit der Wut eines Gewittersturms, und erwischte ihn, bevor sich seine Zähne in Horus Hals graben konnten.

Sie begannen zu kämpfen.

Seth packte ihn an den Haaren und um die Taille, zerrte ihn weg von der Beute, nach der es ihn so gelüstet hatte, strauchelte, blieb stehen. Bakura wand sich zu ihm um und hieb mit einer derartigen Wucht auf ihn ein, dass ihm der Kopf dröhnte. Er wurde unsanft zu Boden gestoßen, rappelte sich hoch, fasste ihn wieder um die Taille. Bakura trat ihm ans Kinn, wirbelte herum und prügelte ihn so heftig, dass er hörte, wie ihm die Knochen brachen.

Erfüllt von verzweifelter Wut schlug Seth Bakura mit der Faust in den Bauch, und während dieser sich krümmte, versetzte Seth ihm einen Kinnhaken.

Wieder hörte er Knochen brechen, doch diesmal waren es Bakuras.

Schmerzerfüllt kreischte dieser auf. Die gesamte Schiffsmannschaft stand stocksteif da und beobachte den Kampf. Bakura starrte ihn kurz an, dann drehte er sich um und stürzte sich geradewegs auf Horus.

Seth war ihm auf den Fersen. Bakura blieb keine Zeit, die Zähne in sein Opfer zu graben, doch er gab sich nicht geschlagen. Bakura prallte mit einer derartigen Wucht auf Horus, dass dieser über die Reling ins Meer stürzte.

Seth packte Bakura und schleuderte ihn mit solcher Kraft zu Boden, dass er nicht mehr aufstand.

Aber das spielte keine Rolle mehr. Horus war ins Meer gestürzt.

Seth trat an die Reling und wollte seinem Geliebten nach springen, der in den Wogen verschwunden war, doch starke Arme packten ihn an den Schultern. Es war Faruk, die grünen Augen ernst auf ihn gerichtet.

“Nein! Ihr würdet umkommen.”

“Das ist mir egal.”

“Aber er wird ebenfalls umkommen. Wir werden ihn suchen. Wir werden…”

Plötzlich befiel ihn ein rasender Schmerz. Überrascht versuchte er, sich umzudrehen.

Bakuras treuester Gefährte, Marik.

Er hatte ihm einen Schwerthieb in den Nacken versetzt. Die Klinge steckte noch immer im Fleisch.

Seth wurde schwarz vor Augen, und er kippte vornüber.
 

Als er wieder zu sich kam, blickte er direkt in Faruks frohes Antlitz.

“Ihr habt also überlebt. Ihr seid wahrhaftig stark. Sie hätten Euch fast den Kopf abgetrennt. Das wäre Euer Ende gewesen, wie Ihr ja wohl wisst.”

Seth setzte sich auf und rieb sich den Nacken. Er sah sich um. Der Geruch des Meeres stieg ihm in die Nase. An den Wänden der kleinen Hütte, in der er lag, hingen Netze. Er hörte eine Möwe kreischen.

Offenbar befanden sie sich in einer Fischerkate. Fragend blickte er Faruk an. “Wo sind wir?”

“Auf einer Insel in Küstennähe.”

“Welcher Insel?”

“Der Toteninsel.”

“Toteninsel?”

“Hier stürmt es häufig, und nur wenige wagen sich her. Es heißt, dass dies der Ort der Missgeburten sei. Zwerge, Halunken und Bucklige hausen hier, auch Aussätzige, doch daneben noch Zauberer, Hexen, Geister und Ähnliches. Hier fragt keiner nach der Macht des Anderen.”

“Und Bakura?”

“Wir haben Euch hierher geschafft, bevor er wieder bei Kräften war. Er glaubte, Ihr würdet bald sterben, wenn Ihr nicht ohnehin schon tot wärt. Niemand dachte, dass Ihr mit einer solchen Schwertwunde überleben würdet. Bakura tobte. Ihr habt ihn schwer verletzt. Er musste in seinem Leichentuch schlafen, umgeben von großen Mengen heimischer Erde.”

“Und was ist mit Horus?” Er packte Faruk an den Schultern.

Faruk atmete tief durch. “Ihr wisst doch, dass er ins Meer stürzte.”

“Jawohl. Aber Ihr hattet geschworen, nach ihm zu suchen.”

“Richtig, und das habe ich auch. Ich bin immer wieder nach ihm getaucht, der Wucht der Wellen und des Sturms, der kurz darauf aufzog, trotzend… Aber ich fand ihn nicht mehr, Priester.”

Er wusste, dass Faruk sich nach Kräften bemüht hatte, doch dieses Wissen linderte nicht den Schmerz, der ihn nun ergriff. Die Dunkelheit, die sich auf Seth senkte, war schlimmer als alles Pein, die er bisher erlebt hatte. Horus. Alles war erträglich gewesen, solange er gedacht hatte, dass er immerhin sein Leben gerettet hatte.

“Verzweifelt noch nicht ganz”, sagte Faruk.

“Und warum nicht?”

“Einige Männer schwören, sie hätten ihn hier am Strand auf- und ablaufen sehen. Er kommt am Tag und verschwindet bei Nacht.”

“Was?” Wieder packte er Faruk und zuckte unter dem Schmerz zusammen, den ihm diese heftige Bewegung verursachte. “Also lebt er vielleicht noch?”

“Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es ja sein…”

“Sein was?”

Faruk betrachtete ihn mitleidig. “Sein Geist.”

“Nein! Wenn man ihn gesehen hat, dann lebt er auch noch. Ich glaube nicht an Geister.”

“Warum nicht? Die Geister leiten uns. Unsere Ahnen sind von uns gegangen, doch sie schicken uns Botschaften durch Schriften und Knochen. Wir folgen dem, was unsere Orakel sagen. In der Wüste, in den Wälder, im Wind und im Wasser gibt es viele Kräfte, die man weder berühren noch sehen kann. Die Einheimischen sagen, dass er als…”

“Als was?”, fiel Seth ihm ungeduldig ins Wort.

Faruk zögerte, dann zuckte er die Schultern. “Diese Insel gehört zum Reich der Hethiter, mein Freund. Und die Hethiter glauben, dass du hier bist, obwohl du tot bist. Sie glauben auch an die Macht des Wassers, des Meeres. Es gibt unzählige Legenden. Jawohl, du bist tot, aber du hast damals den Delphin verschont. Vielleicht haben die Herrscher der Meere Horus aufgenommen und auch ihm ein neues Leben geschenkt.”

“Was willst du damit sagen? Rede, Mann!”

“Hier glaubt man an Ellils und Aranzahs Kinder(1). Solche Wesen nehmen Tags über menschliche Gestallt an, und nachts werden sie zu Geschöpfen des Meeres oder des Himmels. Das Meer und der Himmel sind ihre Rettung, oder vielleicht der Ort ihrer Geburt. Sie können zwar an Land gehen und Kontakt mit den Menschen aufnehmen, aber sie müssen wieder ins Wasser oder in die Luft zurück.”

“Nein. Er hat bestimmt überlebt. Vielleicht ist er verletzt auf dieser Insel gestrandet und leidet, weil er nicht weiß, wer er ist.”

Faruk ließ ihn in dem Glauben. “Wer weiß? Womöglich hast du recht, womöglich habe ich recht. Womöglich wird selbst ein Priester wie du diese Welt eines Tages verlassen und zu den Göttern einkehren. Es gibt mehr Dinge auf dieser Welt, als ein Mann sich je vorstellen kann.”

“Ich glaube nicht…”

“Du glaubst nicht an Geister, Gespenster- oder Blutsauger? An Vampire?”, fragte Faruk in aller Unschuld. “An Lamien?”

“Ich werde Horus suchen. Bis in alle Ewigkeit.”

“Das kannst du später tun. Noch lange, nachdem ich in das Paradies eingekehrt bin, wo immer es sich befinden mag. Doch vorläufig wirst du nichts tun. Du wärst beinahe gestorben. Jetzt musst du erst wieder zu Kräften kommen.”

Er hatte sterben wollen, zugrunde gehen wollen als das böse Wesen, das aus ihm geworden war.

Doch jetzt wollte er leben.

Um Horus zu finden, falls er noch am Leben war.

Und um Bakura zu vernichten.

Aber Marik hatte ihn schwer verwundet. Bei Tag war er schwach wie ein Kind, und es gab Zeiten, zu denen er sich sogar um Mitternacht, wenn die Nacht am schwärzesten war, nicht rühren konnte. Doch schließlich gesundete er wieder, Stück für Stück.

Er ritt sogar mit Faruk über die Insel und machte sich zum Herren der Missgeburten, die hier Hausten.

Er lief die Küste entlang, mitten in der Nacht, wenn seine Kraft auf ihren Höhepunkt war.

Er trank gewaltige Mengen an Schafblut.

Er hungerte nach mehr, dürstete nach mehr. Tief im Verborgenen wusste er, dass er mehr brauchte, verletzt, wie er war.

Es gab einen Bauern auf dieser Insel, der seine Frau gemein verprügelte.

Manchmal hörte Seth sie streiten, wenn er nachts mit Faruk auf der Suche nach warmblütigen Säugetieren an ihrer Hütte vorbei ritt. Sie war eine fleißige junge Frau, die sich unermüdlich mit der Feldarbeit, der Wäsche und dem Kochen abplagte und ihren Ehemann bediente. Dieser war ein Dieb aus Hattusa, der den Fängen des Henkers entkommen war und seich mit seiner jungen Frau im Schlepptau auf die Insel geflüchtet hatte.

Eines Nachts hörte Seth sie wieder einmal schreien.

Er warf einen Blick auf Faruk, dann stieg er aus dem Sattel und pirschte zum Fenster der Hütte. Der Mann war betrunken, sie hatte seinen Wein auf dem Tisch verschüttet. Er drosch mit einem Ledergurt auf sie ein.

An Seth nagte der Hunger.

Er drang in die Hütte ein und entriss dem Bauern den Gurt. In seiner Wut biss er ihm in den Hals. Die Frau sah reglos zu, während er dem Mann das Blut aus den Adern sag.

Schließlich stolperte er zurück und starrte angewidert auf seine blutbesudelten Hände und sein lebloses Opfer.

Dann fiel ihm ein, dass er den Kopf des Mannes abtrennen musste. Dieser verfluchte Schweinehund gehörte ganz eindeutig zu den Leuten, die nie mehr aus der Ewigkeit zurückkehren sollten.

Die junge Frau hatte ihn die ganze Zeit nur reglos angestarrt. Als er sich ihr zuwandte, schreckte sie nicht vor ihm zurück, sondern sagte nur leise: “Danke.”

“Du weißt, was ich bin.”

“Die meisten Menschen hier wissen, was Ihr seid”, erwiderte sie.

“Hast du keine Angst?”

“Doch, vor vielen Dingen habe ich Angst.”

“Aber vor mir nicht?”

“Solle ich denn?”

“Nein.”

Am nächsten Tag fühlte er sich stark genug, um den Strand entlangzulaufen, als die Sonne noch am Himmel stand.

Und da sah er auch seinen Geliebten.

Horus!

Ein Geist? Er rief nach ihm: “Horus!”

Ein Geist…

Ein Kind Ellils und Aranzahs, wie die Hethiter sagten?

Er glaubte nicht an solche Dinge. Aber woher kam er?

Hatte er ihn mit der Kraft seines Willens herbeigerufen? Würde er verschwinden, wenn er ihm nachrannte, ihn berührte, um sein weiches Haar, das sanfte entlang streifen seines Atem an seinen Wangen zu spüren.

Seth rannte.

Horus blieb stehen.

Er war es wirklich. Er stand leibhaftig vor ihm. Seth berührte ihn. Seine Götteraugen tauchten in die seinen. “Geliebter, Horus…”

Seth begann zu zittern und brach vor Horus Füßen zusammen. Er streichelte seinen Kopf.

“Liebster…”

“Er blickte zu ihm hoch. Horus lächelte.

“Bei Ra, Horus…”

Seth stand auf und hob ihn hoch. Ohne den Blick von ihm zu lassen, trug er ihn zu der Fischerhütte, die er zu seinem Heim gemacht hatte.

“Wie kommt es, dass du hier bist?”, flüsterte er. Sanft legte er ihn aufs Bett. Er liebte ihn so sehr. Und dennoch…

Er spürte die Wärme seines Körpers, hörte sein Blut. Er würde ihm nie weh tun, er konnte ihm nie weh tun. Oder doch? Würde die Qual ihn befallen, ihn überwältigen? Würde er seine Zähne in Horus Hals graben, ihn lieben, indem er ihm das Blut, das Herz und die Seele raubte?

“Ich muss dir sagen, dass…”

“Nein!” Horus presste einen Finger an seinen Mund.

“Du musst wissen…”

“Nein.”

“Aber ich…”

“Ich weiß, was du bist. Und ich weiß, dass du mir nicht wehtun wirst.”

Er bot Seth die Lippen, und er küsste ihn innig. Er spürte seinen Körper und seine Wärme, seine Formen, seine Hüfte, die sich ihm entgegen drängte. Er spürte seine (eigene) Erregung, sie überkam ihn wie ein Blitz, und er spürte die Lust und die Zärtlichkeit. Es war so köstlich, neben dem Verlangen auch Liebe zu empfinden und ein Sehnen, das nicht die Reste dessen zerstören wollte, was von seiner Seele übrig geblieben war.

Wie von Sinnen riss er sich und ihm die Kleider vom Leib.

Bakura kannte nur die Gewalt und die Lust des Fleisches.

Doch es gab ein Sehnen, das viel tiefer ging.

Ein Sehnen, das ihm zu verstehen gab, dass er vielleicht noch eine Seele hatte.

Er presste die Lippen auf seinen Hals, wanderte tiefer, über seine Brust, hinab zu seinem Bauch, zwischen seinen Schenkel. Horus wand sich, schlang die Beine um ihn. Er kostete die Süße seines Fleisches, seines Seins. Seths Körper pulsierte, stöhnte, er genoss in vollen Zügen das, was er hatte, spürte den Hunger, der an ihm nagte, spürte, dass er sich eine letzte Steigerung verwehrte, und dennoch…

Beinahe, beinahe hätte er seine Zähne in die Ader gesenkt, die so verlockend an seinem Hals pochte. Er bekämpfte dieses Verlangen mit all seiner Kraft. Horus schien nichts davon zu merken. Wild und lüstern waren ihre Hüften aneinander geschweißt, Horus zarte Finger vergruben sich in seinem Hinterteil, seine geflüsterten Worte, sein süßes, heißes Erbeben…

Der Höhepunkt erfasste Seth in einem Sog. Er biss die Zähne zusammen, wälzte sich zur Seite, nahm Horus in die Arme, hielt ihn ganz fest…

“Ich dachte, ich hätte dich verloren. Ich dachte, du wärst ertrunken. Das Meer war so aufgewühlt. Die Wellen waren so hoch an diesem Tag, der Wind so heftig. Wie kommt es, dass du da bist?”, flüsterte er.

“Ist das wichtig? Liebe mich! Liebe mich so, wie ich dich liebe!”

Seth hielt ihn umschlungen. Die Sonne stieg höher, er wurde müde. Horus richtete sich auf, lehnte sich an das harte Brett am Kopfende des Bettes und bettete seinen Kopf auf seinem Schoss. Sanft streichelte er Seths Wangen.

“Horus!” Seth wollte reden, wollte wach bleiben.

“Schlaf, ruh dich aus, werde gesund!”, sagte Horus.

Dessen Berührung wirkte wie ein Zauber auf Seth.

In der abgedunkelten Hütte schlief er ein.

Als er erwachte war Horus fort.
 

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(1) Ellil = Gott der Lüfte (bei den Hethiter)

Aranzah oder auch Tigris = Flussgott (bei den Hethiter)
 


 

So das war’ s mal wieder. Ich hoffe es hat euch gefallen und ihr hinterlasst mir viele Kommis. Natürlich bedanke ich mich auch für die letzten die ich bekam, aber ich bitte darum das es ein wenig mehr werden. Ja? *ganz lieb guck und Schokis verteil*
 

So in dem Sinne wünsch ich euch einen schönen dritten Advent und verabschiede mich!

Bis zum nächsten Mal.
 

Eure Ice- Queen
 

PS: Beim nächsten Mal wird das Kapitel etwas länger.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Judari
2008-09-24T20:00:39+00:00 24.09.2008 22:00
Schööööööööööööööön^^!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Von:  Schreiberling
2007-12-18T16:36:00+00:00 18.12.2007 17:36
Hallo.
Schönes und vor allem aufschlussreiches Kapi.

Seth tut mir so leid, aber er kann noch froh sein, dass Faruk bei ihm ist und ihm immer Mut zuspricht.
Bakura scheint nicht sehr beliebt zu sein und er hat sich auch das falsche Opfer ausgesucht. Denn aus den forigen Kapis lässt sich doch schließen, dass Seth ihn besiegt.

Ist Horus nun ein Geist oder nicht?
Das hab ich mich die ganze Zeit gefragt und weil er nicht richtig geantwortet hat, dachte ich ok er muss wohl einer sein. Aber sicher bin ich nicht.

Ich freu mich schon auf die Fortsetzung vor allem auch in der echten Welt.
VLG


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