Zum Inhalt der Seite

Hör auf zu fragen!

Kurzgeschichte
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Hör auf zu fragen!

Hör auf zu fragen!
 

„Was würdest du tun, wenn du das Schicksal verändern könntest?“

„Frag nicht!“
 

Ich ging mit ihm die Straße entlang. Damals war ich so glücklich wie nie.

Wir liefen Hand in Hand durch die nächtliche Stadt. Ein Date. Kino, Essen gehen… Ich hatte mich schon die ganze Woche darauf gefreut.
 

„Was würdest du tun, wenn du die Zukunft verändern könntest?“

„Kenne ich die Zukunft?“
 

Die Stadt war laut. Es war halt eine Stadt.

Es war Wochenende und viele Leute waren unterwegs. Auch viele Pärchen. Noch vor kurzem hätte es mich gestört, doch heute nicht. Denn ich gehörte zu ihnen, ich gehörte zu diesen Pärchen. Nach so langer Zeit. Endlich hatte ich wieder jemanden gefunden, mit dem ich zusammen sein konnte. Der mir seine Wärme gab.
 

„Was würdest du tun, wenn du die Welt verändern könntest?“

„Die Welt interessiert mich nicht.“
 

Zwischendurch blieben wir immer wieder stehen. Dann beugte er sich zu mir hinunter und wir küssten uns. Ich weiß es noch genau. Seine warmen Lippen berührten meine und ein Schwall von Glück durchflutete meinen Körper.

Man redet doch von „Schmetterlingen im Bauch“, nicht? Genau diese spürte ich in dieser Nacht. Ich fühlte mich wohl!
 

„Was würdest du tun…“

„Was soll die Fragerei?“
 

Wir waren noch nicht lange zusammen. Na ja, ein Monat ist noch nicht lange, oder? Aber trotzdem freute ich mich. Trotzdem war ich mir sicher, endlich den richtigen gefunden zu haben. Ich fragte mich, warum ich es nicht vorher gewesen hatte. Mein bester Freund, schon so lange Zeit.

Ja, ich weiß, es ist kitschig, aber ich hatte mich in meinen besten Freund verliebt. Ich liebte ihn. Er mich. Wir gehörten einfach zusammen, da war ich mir ganz sicher. Ich fühlte mich, wie die Hauptdarstellerin in einem Liebesfilm. Damals…
 

„Glaubst du an das Schicksal?“

„Hä?“
 

Seine Hand war warm, umfasste meine, leitete seine Wärme in meinen Körper.

Der Atem der Menschen um uns herum bildete, genau wie der unsrige, Schwaden vor den Gesichtern. Es war Winter und um die null Grad herum. Schnee lag keiner.

Wir beide versanken im Gewühl der Menschen in der Stadt. Wir lebten. Ich hatte das Gefühl im Meer der Lichter, im Meer der Geräusche und Gerüche zu schwimmen. Dinge die mich sonst störten, erfreuten mich an jenem Abend.
 

„Was ist der Sinn des Lebens?“

„Zu lieben? Zu leiden? Was weiß ich? Überlass das doch den Philosophen!“
 

Wir erreichten das Kino etwa eine viertel Stunde vor Beginn der Vorstellung, aber mir wäre es egal gewesen, wenn wir zu spät gekommen wären. Darum ging es doch nicht. Es war ein Date…

Nachdem wir die Tickets gekauft hatten, kaufte er noch Popcorn und Cola. Dann warteten wir auf den Einlass.
 

„Glaubst du an das Schicksal?“

„Muss ich das?“
 

Es war ein Liebesfilm, denn wir uns ansahen – was wäre auch passender an einem Date anzuschauen? Während des Films lag seine Hand entweder in der meinen oder auf meinem Oberschenkel. Ab und zu beugte er sich zu mir herüber und küsste mich. Irgendwann überwand ich meine leichte Scheu und legte meinen Kopf gegen seine Schulter.

Er war wirklich warm. Alles an ihm war warm.
 

„Was ist der Sinn deines Lebens?“

„Gibt es einen?“
 

Irgendwann war der Film vorbei und wir verließen das Kino. Wir hatten keine Eile. Die U-Bahnen fuhren die ganze Nacht in das Viertel, wo wir wohnten. Im selben Haus, seit bereits vier Jahren.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil er mich eingeladen hatte. Egal ob er mein Freund war oder nicht. Wie ich studierte auch er und hatte nicht mehr Geld als ich. Trotzdem hatte er darauf bestanden alles zu zahlen und selbst abgelehnt, dass ich eine Kinokarte von meinem Geld kaufte.
 

„Was würdest du tun, wenn du das Schicksal verändern könntest?“

„Fängst du jetzt wieder von vorne an?“
 

So gingen wir nach dem Kino noch bei einem Italiener essen. Ein kleines Restaurant, aber es hatte wirklich Stil. Wir aßen Pizza, tranken Cola und jeweils ein Glas Rotwein.

Immer wieder trafen sich unsere Blicke. Immer wieder berührten sich unsere Hände, wie durch Zufall.

Ich lächelte. Er lächelte. Seine Augen blitzen schelmisch.
 

„Was würdest du tun, wenn du deine Zukunft bestimmen könntest?“

„Du nervst…“
 

Schließlich verließen wir auch das Restaurant. Dieses Mal hielten wir nicht mehr Händchen. Er hatte den Arm um mich gelegt. Ich schmiegte mich an ihn.

Wir gingen zur nächsten U-Bahnstation, warteten zwanzig Minuten auf unsere Bahn und fuhren schließlich nach Hause.
 

„Was würdest du tun, wenn du die Welt verändern könntest?“

„Nichts!“
 

Er küsste mich, als wir die Station verließen. Dann gingen wir wieder Hand in Hand zu dem Apartmenthaus indem wir lebten.

Ich kam noch mit in seine Wohnung. Wir saßen einfach aneinander gekuschelt auf dem Sofa – bei Kerzenschein – und hörten Musik. Da war so viel Wärme – seine Wärme.

Es musste einfach Schicksal sein, dass wir zusammengefunden hatten, dass wir uns liebten. Daran glaubte ich damals fest.
 

„Glaubst du an das Schicksal?“

„Nein, verdammt!“
 

Gierig sog ich seinen Geruch ein. Ich mochte seinen Geruch. Ich fühlte mich einfach nur geborgen auf diesem Sofa in seinen Armen. Doch ich traute mich nicht, bei ihm zu übernachten. So etwas hatte ich noch nie getan, nicht bei einem festen Freund. Dabei hatte ich so oft bei ihm geschlafen, als er noch mein „bester Freund“ gewesen war. Aber an jenem Abend trennte ich mich schweren Herzens von ihm – ich würde ihn ja am nächsten Morgen wieder sehen. Ich versprach mit ihm zu frühstücken am nächsten Morgen und ging in meine Wohnung ein Stockwerk höher.
 

„Was…“

„Sei endlich still!“
 

Als ich am nächsten Morgen erwachte und auf die Uhr sah, stellte ich fest, dass ich fast um eine halbe Stunde verspätet war. Ich zog meinen Bademantel über und ging im Bademantel zu ihm hinunter.

Ich klingelte, doch er öffnete nicht.
 

„Warum…“

„Hör auf mich zu fragen!“
 

Da hörte ich die Sirene von irgendeinem Rettungs- oder Polizeiwagen. Neugierig, wie wohl jeder Mensch ging ich zum Fenster auf der Ebene im Treppenhaus zwischen seiner und meiner Etage.

Draußen schien es einen Unfall gegeben zu haben. Ein Auto stand verkehrt da, ein Rettungswagen, ein Notarzt und ein Polizeiauto. Drumherum eine Menschentraube. Wie immer…
 

„Warum lässt du mich nicht ausreden?“

„Du nervst…“
 

Als ich erfuhr was passiert war, fuhr ich sofort ins Krankenhaus. Ich weinte, als ich neben dem Bett saß, in dem er ohnmächtig lag. Wie hilflos ich mich fühlte, kann ich gar nicht beschreiben, genau so wenig, wie ich die Schuld beschreiben konnte, die ich empfand.

Er war von dem Auto angefahren worden, als er vom Brötchenholen wiederkam. Er hatte eine Gehirnerschütterung und mehrere Knochenbrüche. Auch wenn die Ärzte sagten, es sei nichts Schlimmes: Allein der Anblick der Platzwunde auf seiner Stirn und seines leblosen, wenngleich friedlichen Gesichtes zerriss mein Herz fast.
 

„Wann hast du zum letzten Mal geweint?“

„Weiß ich nicht mehr… Was…“
 

Am Nachmittag starb er.
 

„Warum lebst du?“

„Warum lebst du?“
 

Irgendwelche Adern waren beim Unfall verletzt worden. Die Ärzte hatten davon wohl nichts gemerkt. Jedenfalls war er innerlich verblutet.

Nur weil ich verschlafen hatte…
 

„Warum antwortest du nicht auf meine Fragen?“

„Warum stellst du sie?“
 

Ich verkroch mich in meinem Zimmer. Ich weinte, tobte, schrie. Ich nahm ein Messer in die Hand und legte es wieder weg. Immer wieder.

Ich fühlte mich so schuldig. Wäre ich früher aufgestanden, hätte ich gehen können, hätte er nicht gehen gemusst. Er hatte die Brötchen für mich geholt. Wozu überhaupt verdammte Brötchen?

Warum war ich nicht bei ihm geblieben über Nacht?
 

„Hat das Leben einen Sinn?“

„Nein!“
 

Warum war er gegangen? Warum war ich nicht da gewesen? Warum hatte er nicht aufgepasst? Warum war der Autofahrer zu schnell gefahren? Warum konnte ich es nicht ändern? Warum passierte so was? Warum war er tot? Warum war er tot? Warum…

Ich hasste die Welt. Ich hasste mich. Ich fühlte mich allein.

Warum…
 

„Kann ein Mensch die Welt verändern?“

„Nein!“
 

Es kam der Tag seiner Beerdigung. Ich kannte kaum jemand aus seiner Familie, stand abseits, trauerte weit fort von ihnen.

Ich weigerte mich zu glauben, dass es Schicksal war, dass das passiert war. Nein, so etwas konnte kein Schicksal sein. Es konnte kein Schicksal geben.

Warum konnte ich es nicht ungeschehen machen?
 

„Was würdest du machen, wenn du das Schicksal ändern könntest?“

„Ich habe doch schon gesagt, dass ich daran nicht glaube!“
 

Danach blieb nur noch ich.

Die Welt drehte sich weiter. Die Menschen lebten weiter. Doch ich nicht mit ihnen.
 

„Wann hast du das letzte Mal geweint?“

„Starke Menschen weinen nicht!“
 

Ja, vielleicht wäre das mit uns nie was geworden, doch nun wo er fort war…

Er war fort.

Warum?

Ich würde nie erfahren, ob wir zusammen glücklich gewesen wären. Warum nicht?
 

„Bist du stark?“

„Ich komme allein klar.“
 

Der Frühling kam. Ich blieb allein. Bis heute… Ich vermisse ihn, doch ich habe nicht den Mut zu ihm zu gehen. Ich liebe ihn noch immer.

Ich kann nicht zurück.
 

„Was würdest du machen, wenn du die Vergangenheit ändern könntest?“

„Das kann ich nicht!“
 

Ich liebe ihn noch immer! Warum? Er ist tot…
 

„Was würdest du tun, wenn du etwas an deinem Leben ändern könntest?“

„Sterben.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (15)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Lady_Lockenlicht
2008-01-19T16:15:47+00:00 19.01.2008 17:15
Dieser One-Shot hat mich sehr angesprochen, vor allem durch seinen unkonventionellen Stil, der direkt an die Substanz geht. Mir gefiel der düstere Unterton, der sich durch die gesamte Geschichte zieht, wobei der Fokus meiner Meinung nach nicht auf der eigentlichen Handlung, sondern auf den Dialogen liegt, die eigentliche Bedeutung der Geschichte. Es hat sicher Spaß gemacht, sie zu verfassen. Ich hatte nämlich als Leser viel Vergnügen (ja, das klingt morbide in Verbindung mit dem Thema ;)
Sehr gelungen auch der Schlusssatz, auf den die ganze Zeit hingearbeitet wurde.

Nun noch ein paar Anmerkungen: Zunächst in Bezug auf „Schmetterlingen im Bauch“, das wirkt nicht ganz so passend mit den Anführungszeichen. Besser wäre es, in solchen Fällen kursiv zu schreiben oder diese Zeichen: ' ... ' zu benutzen. Das ist mir selbst auch erst kürzlich aufgefallen, aber glaube mir, das wirkt dann gleich professioneller ;)
"den richtigen": Richtigen; "fragte mich, warum ich es nicht vorher gewesen hatte": was will uns der Autor damit sagen? ;) Ich fürchte, Du hast etwas vergessen oder etwas anderes gedacht und das dann aufgeschrieben...;"Ich fühlte mich, wie die Hauptdarstellerin": Komma kann weg; "Ich hatte das Gefühl im Meer der Lichter": hier aber könnte nach "Gefühl" eines passen; "gekauft hatten, kaufte": doppeltes kaufen; "denn wir uns ansahen": den; "blitzen": blitzten; "Ich versprach mit ihm zu frühstücken am nächsten Morgen": Ich versprach, am nächsten Morgen... klingt meiner Meinung nach besser; "meinen Bademantel über und ging im Bademantel": Bademantel doppelt

Ein neuer Favorit in meiner Liste =)

Viele Grüße
Madame Blandfort
Von:  Ito-chan
2007-12-29T22:47:35+00:00 29.12.2007 23:47
[commentzirkel]
Hi!
Sops, nachdem ich brav drüber geschrieben hab, von wem der Kommi kommt, fang ich auch sachlich an dir nen Kommi zu schreiben, sobald ich mir die Tränen aus den Augen gewischt habe...
So... stilistisch kann ich nicht wirklich was bemängeln. Wobei mich das Frage Antwort Spiel etwas verwirrte. Wer fragt sie? Ihr Gewissen? Gott?
Ich finde die gewählte Perspektive unheimlich gut, außer eben dem kleinen Manko.
Ansonsten kann ich dir nur sagen, dass du eine Atmosphäre erzeugst, die den Schmerz und das Glück greifbar macht und das finde ich persönlich sehr schön. Vor allem ist es interessant, dass du aus etwas eigentlich alltäglichen etwas so interessantes machen kannst.
Also Hut ab, das hast du richtig schön gemacht ^^
Liebe Grüße
Ito-chan
Von:  fragile
2007-11-03T16:06:24+00:00 03.11.2007 17:06
wirklich wunderbar geschrieben. ich weiß ja nicht, ob du diese ff gemeint hast, aber selbst wenn es eine andere war, bin ich froh, dass ich sie gelesen hab.
du berührst allein mit deinen worten, deinem schreibstil, einfach alles in mir. ich habe mich am schluss richtig in die person hineinversetzen können. am ende war es doch schicksal. schicksal den geliebten menschen zu verlieren und nun kann sie zu den fragen antwort geben. das gefühl sterben zu wollen, weil man einen geliebten menschen verloren hat, dass kenne ich nur zu gut und es hat mich wirklich sehr berührt.
ich werd schauen, was für ff du noch hast^^

danke dass du mir geschrieben hast
Von: abgemeldet
2007-10-10T10:37:47+00:00 10.10.2007 12:37
Wow, wunderbarer OneShot, der sofort berührt. Zwar gibt es noch hier und da ein paar kleine holprige Passagen, aber die Idee und der Aufbau sind schon wirklich gut.
Die Idee mit den Fragen gefällt mir sehr gut und die Art wie du sie einsetzt. Man weiß zwar von Anfang an, dass es kein Happy End geben wird, aber das Ende schockt dann doch noch. Und das ist wirklich gut gelungen. Die Fragen geben dem ganzen die nötige Atmosphäre.
Von:  DINO2011
2007-10-10T00:14:35+00:00 10.10.2007 02:14
Es wundert mich irgendwie das ich der erste bin der zu diesem OS ein Komment schreibt, denn er ist, wie so ziemlich alles von dir, sehr gut. Wie immer sehe ich vielleicht mehr in dem was du nieder geschrieben hast als andere, darum fällt es mir irgendwie schwer etwas zu der Geschichte zu sagen, aber dennoch finde ich sie relativ gut, auch wenn die andauernden Absätze irgendwie nerven. Klar, sie gehören an die Stelle an der sie sind, aber trotzdem nerven sie ein wenig.

Nja, du wirst sicher von mir noch etwas zu dieser FF hören, also mach dich schon einmal gefasst darauf ^.~

Mfg DINO


Zurück