Katzenliebe
Ein Blick hatte gereicht um alles zu zerstören. Um all meine Hoffnungen zu zerbrechen. Um mein Herz am Boden zu zerschmettern. Nun sitze ich hier im Regen und weiß nicht was ich tun soll… Dabei war es vorher so schön. Wieso musste ich es ihm nur sagen? Wieso musste ich meine Zweifel unterdrücken und alles ruinieren? Hätte ich doch nur auf meinen Verstand gehört. Egal was war, egal wie er sich verhalten hatte, er konnte unmöglich meine Gefühle erwidern. Und jetzt ist alles aus, auch unsere Freundschaft. Sein abwertender Blick, mit dem er mich so angeekelt anstarrte… Ich sitze auf einem Hügel und betrachte das Spiegelbild des Mondes in dem vor mir liegenden Fluss. Was wäre wenn…?
Dabei hatte alles so schön angefangen…
Er saß an einen Baum gelehnt auf dem mit Gras überzogenen Hügel, der inzwischen zu seinem Lieblingsplatz geworden war, und beobachtete die Sonnenstrahlen. Wie sie ins Wasser eintauchten und einen goldenen Schimmer auf dessen Oberfläche hinterließen. Entspannt machte er seine Augen zu, ließ seinen Kopf auf dem rauen Baumstamm angelehnt ruhen und hörte dem beruhigenden Rauschen des Flusses zu, als dieses durch ein Rascheln gestört wurde. Jemand näherte sich ihm. Sein Körper spannte sich automatisch an und er öffnete langsam seine Augen um mit einem desinteressierten Blick entgegen der Sonne zu blicken, in Gedanken den Störenfried schon verfluchend. Er musste unwillkürlich ein Paar Mal blinzeln bis er die Person über sich erkannte, die Anspannung verschwand auch augenblicklich fast vollständig. Die Person beugte sich zu ihm vor und ein schwarzer Zopf kitzelte die Hand des Sitzenden.
„Hallo Kai“, flüsterte der „Störenfried“.
„Rei…“, mehr als den Namen konnte er nicht entgegnen, denn etwas tropfte ihm auf die Wange, ihn dazu bringend sogleich mit der Hand drüber zu fahren. Wasser. Nach kurzem Mustern stellte der Blaugrauhaariger fest, dass sein Gegenüber vollkommen nass war.
„Warst du schwimmen?“, fragte Kai kalt, wie immer.
Angesprochener ließ sich erst gemütlich neben dem Teamleader auf das junge Gras fallen, bevor er freudig antwortete:
„Ja. Das Wasser im Fluss ist einfach herrlich!“
Verwundert hob der Blaugrauhaariger eine Augenbraue. ‚Ist es nicht gefährlich dort zu schwimmen?’, dachte er mit einem leicht mulmigem Gefühl im Bauch, doch nach außen hin ließ er sich nichts anmerken. Inzwischen war es für Andere nahezu unmöglich Gefühlsregungen in Kai wahrzunehmen, zumindest die Positiven nicht. Durch seine perfekte Maske wirkte er immer gleichgültig, kalt und durchaus wie ein Mistkerl. Lediglich wenn er eine miese Laune hatte, oder ihn etwas ungemein aufregte konnte man es anhand des noch härteren Trainings als sonst bemerken, aber sogar das war nicht immer der Fall. Gefühle zu zeigen war eben eine Schwäche für ihn, so wurde es ihm eingebläut.
„Es ist doch verboten im Fluss zu schwimmen. Und ich brauche keinen Blader mit Anzeige und Gerichtsverhandlung im Team. Das wäre pure Ablenkung“, murrte er den Chinesen an.
Dieser grinste nur sichtlich amüsiert. Heute war der Captain ja richtig gesprächig, wenn man mal vom Thema absah.
„Keine Angst ich lass mich nicht erwischen!“
Es wurde wieder still, man konnte das hauchzarte Rascheln der Grashalme im leichten Wind vernehmen. Kai lehnte seinen Kopf wieder nach hinten und schloss seine rubinfarbenen Augen. Genüsslich spürte er die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht, da der Schatten des Baumes inzwischen nach rechts von ihm geworfen wurde.
Der schwarzhaarige Junge links von dem Teamleader schien sich auch in der Mittagssonne zu wärmen, in seinem Falle aber vor allem sich zu trocknen, und seinen Gedanken nachzugehen.
Es war angenehm für ihn hier oben. Ein Wunsch war geboren – er wollte öfters hier her kommen und sich neben… Kai sonnen. Doch ob der andere was dagegen hätte? Vielleicht nicht? Immerhin hatte der Teamleader ihn noch nicht verjagt, wie er es immer bei Tyson tat, mit Hilfe von Androhungen eines Spezialtrainings. Bei dem aufgeweckten Kerl war es auch verständlich, dass er störte, wenn man seine Ruhe haben möchte. Gerade hatte der Eiskalte aber sogar mit ihm gesprochen. Es waren nur ein Paar Sätze, aber sie brachten den Schwarzhaarigen nun bei der Erinnerung zum schmunzeln. Er war sich sicher, dass Kai höchstens die Hälfte immer so kalt meinte, wie er es rüberbrachte…
Kai war schon leicht eingedöst als ein lautstarkes „Hatschii!“ ihn aus dem Halbschlaf riss. Streng dreinschauend drehte er sich zu seinem Teamkameraden und teilte ihm mit einem leicht amüsierten Unterton in der Stimme mit, dass er sich lieber nicht erkälten sollte, da dies keine Entschuldigung für Trainingschwänzen sei und er ihn somit nicht schonen würde.
„Ich pass schon auf“, erwiderte seufzend der Schwarzhaarige.
Mit einem Ruck stand der Teamleader auf und streckte sich.
„Und wenn wir schon beim Thema sind, es wird langsam Zeit fürs Training. Lass uns gehen.“
„Ja…“
Leicht enttäuscht stand Rei auch auf und schaute dem Teamleader, der schon den Weg zur Trainingshalle eingeschlagen hatte, hinterher. Ihm gefiel es hier oben in der Sonne… und auch neben Kai. Er musste zugeben, dass die Atmosphäre irgendwie beruhigend wirkte. Aber sobald das Wort „Training“ auftauchte war es mit dem Graublauhaarigen alles andere als entspannend, oder spaßig. Sofern er das Wort „Spaß“ überhaupt kannte und verstand. Und nun hatte er nicht einmal auf ihn gewartet… Aber eins musste man dem Leader lassen, er besaß einen Sinn für schöne Plätze…und Überraschungen. Denn in seine Gedanken vertieft hatte Rei gar nicht bemerkt, wie das Objekt eben dieser stehen geblieben war und sich zu ihm umdrehte.
„Wie lange soll ich denn noch warten?! Hör auf Löcher in die Luft zu starren und beeil dich gefälligst! Sonst gibt es drei Strafrunden um die Halle!“
Erstaunt blickte Angesprochener zu Kai und ein erfreutes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
„Komme!“
Ab da verbrachte Rei viel Zeit auf dem Hügel, neben Kai auf dem weichen Gras liegend. Der Russe lies das ohne jegliche Widerworte zu. Kein einziges Mal hatte er nur gebrummt, eigentlich reagierte er dem Anschein nach gar nicht auf die Anwesenheit von dem Tiger. Doch immer wieder kreisten seine Gedanken um den Chinesen, immer öfters ertappte er sich bei der gedachten Frage: Was wäre, wenn er auch einfach so in den Fluss schwimmen gehen würde? Würde er das überhaupt können? Eine Handlung ohne jeglichen Sinn, nur dem Vergnügen wegen und auch noch eine teilweise gefährliche dazu. Nein, er war eindeutig kein Angsthase. Es gab sehr wenig Dinge, vor denen er sich jemals gefürchtet hatte. Und inzwischen war es wohl nur noch die eine Angst, die es bis heute schaffte sich in einer Ecke seines Herzens festzukrallen, die nicht loslassen wollte. Die Furcht davor, sich irgendwann wieder in der Dunkelheit zu finden, vollkommen allein. Von allen verlassen, in tiefer Einsamkeit… Es war was anderes, was ihn von dem Fluss abhielt. Vergnügen, Spaß. Diese zwei Wörter waren es.
Inzwischen gab es auch für ihn Dinge, die ihm Spaß machten. Das Beybladen, aber dafür hatte er in seinem Leben vieles gegeben, dafür hatte er viel gearbeitet, dass hat er eigentlich sein ganzes Leben lang gemacht. Da war es doch verständlich, dass es ihm jetzt Spaß machen würde, oder? Aber so etwas, wie im Fluss schwimmen, das war etwas ganz anderes. Konnte man sich wirklich von etwas so sinnlosem vergnügen? Er konnte es nicht verstehen und irgendwas hielt ihn davon ab es einfach zu versuchen. War es der Stolz? Die Angst? Der Verstand? Er wusste es nicht, aber er wusste, er würde es nicht tun. Jetzt nicht.
Wieder schien unbekümmert die Sonne. Wieder kam der Schwarzhaarige auf den Hügel und lies sich wortlosen neben Kai hinfallen. Wieder schaute dieser wortlos einige Momente dem Chinesen zu und schloss dann entspannt seine Augen. Wieder beobachtete Rei schweigend den blauen Himmel. Alles war wie schon seit fast zwei Wochen, ohne Veränderungen, ohne Worte. Und alles wäre so geblieben, wenn nicht ein Rascheln die beiden aus ihren Gedanken gerissen hätte. Die goldenen und rubinfarbenen Augenpaare schauten auf den nahe liegenden Busch, die einen interessiert, die anderen eiskalt, wie immer. Das Rascheln wurde stärker und eine kleine graue Pfote streckte aus dem Grünen, dicht gefolgt von einem Katzengesicht.
„Miau!“, war der einzige Kommentar des neuen Störenfriedes.
Vorsichtig schlang sich das Kätzchen ganz aus dem Gebüsch und tappte langsam zu Kai. Dieser hob gewohnt seine Hand und streichelte es sanft über das flauschige Fell.
„Na, dich habe ich hier schon lange nicht mehr gesehen. Du bist gewachsen.“, sprach der sonst immer Eiskalte in einer nahezu warmen Stimmlage, während er das Kleine in die Arme nahm und es auf seinen Schoß absetzte.
Rei, die ganze Szene skeptisch beobachtend, lachte bei dem Anblick herzlich auf.
„Was?“, Kai schien die Anwesenheit des Bladers erfolgreich verdrängt zu haben, als sein alter „Freund“ aufgetaucht war, und nun warf er diesem vernichtende Blicke zu.
„Der Anblick… Kai redet und schmust mit Katzen…Zu süß!“, war die raus gepresste Antwort des Chinesen. Langsam beruhigte sich dieser wieder und kam nach langem Bodenrollen mit festgehaltenem Bauch und lautem Lachen zum Stillliegen. Nur noch ein breites Grinsen verriet ihn.
Im Gegensatz zu dem Russen. In diesem Überschlug sich alles, seit das Wort „süß“ gefallen war.
„Süß?! SÜß?!“
Er war wütend. Klar, wer wäre es an seine Stelle nicht? Wenn der Kerl mit dem eiskältestem Image überhaupt auf ein Mal als süß eingestuft wird. Aber andererseits war da auch etwas anderes, was er mit seinen lauten Schreien und wütender Miene zu verdrängen versuchte…
„Keine Angst, dieses Geheimnis ist bei mir sicher!“