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Der Wolf im Schatten der Natur

Teil 1: Die Katastrophenzeit
von

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Flut

Als wir ankamen war es kurz nach 12 Uhr, wir meldeten uns gleich an der Rezeption an und stiegen zwei Stockwerke zu unserem Apartment, welches zwei Schlafzimmer, einen Balkon, Küche und Bad besaß.

Kaum hatte unser Gepäck vor den jeweiligen Betten Platz gefunden, beschlossen wir nach dem Mittagessen zum Strand zu gehen.

Im Hotelrestaurant gab es verschiedene Italienische Delikatessen, Salate und Suppen. Nach dem Essen packten wir die Strandsachen in eine Tasche, überquerten die einzige Straße, die uns vom Strand trennte und suchten einen Platz mit Schirm, damit wir -je nach Lust und Laune - sowohl im Schatten als auch in der Sonne liegen konnten.

Alex und ich waren zuerst im Meer. Es war warm und angenehm, der Wind blies sanft und die Wellen wogen sich gleichmäßig in einem weichen Rhythmus.

Erschöpft und grinsend kamen wir nach einer Stunde schwimmen, tauchen und Ballspielen aus dem Meer. Ich bemerkte Arcon, welcher im Sand unter dem Schirm neben meiner Mutter lag und die Gegend beobachtete.

„Hat er mich die ganze Zeit beobachtet?“, fragte ich mich.

„Ja... oder Nein... ein Wenig“, antwortete Arcon und lächelte mich an.

Ich starrte ihn fragend an und griff geistesabwesend nach dem Handtuch.

„Deine Gedanken sind zu offen, ich kann sie mit ein wenig Mühe hören“, erklärte Arcon lächelnd, stand auf und lief auf mich zu.

Ich setzte mich stumm auf eine freie Liege, wickelte mich mit dem Handtuch ein und schloss die Augen.

Ich versuchte gezielt eine Frage in meine Gedanken zu setzen, was ich sonst dachte war eher ein Reflex als wirklich gezielt und gewollt, „Also kannst du das hier auch hören?“

„Ja, aber das kann ich nur so lange wir noch nicht eins sind“

„Bitte?“, stieß ich leise aus und öffnete abrupt meine Augen, „Das macht doch keinen Sinn, wenn du meine Gedanken nicht lesen... oder hören kannst, wenn unsere Verbindung stärker ist“

Ich blickte mich kurz um, mein Vater las in der Sonne, meine Mutter und Alex spielten Backgammon.

Arcon lachte, „In einer perfekten Bindung muss alles auf Gegenseitigkeit beruhen. Für dich ist es wohl leichter das, was du mir sagen möchtest, akustisch zu äußern?“

„Ja“, stimmte ich flüsternd zu und streichelte den Wolf vorsichtig, bedacht, dass mich niemand dabei sah.

Das weiße Fell war nicht allzu lang und unglaublich weich und warm.

„Das ist ganz normal und auch gut so. Je stärker die Bindung zwischen Schutzgeist und Mensch ist, desto mehr verschließen sich die Gedanken des Menschen und desto schlechter kann der Schutzgeist die Gedanken hören...“

„Warte mal! Es ist doch wirklich völlig schwachsinnig so!“, flüsterte ich leise.

Arcon seufzte und fuhr fort, „…Tia, in einer perfekten Bindung muss alles ausgeglichen sein und auf Gegenseitigkeit beruhen, dass heißt im Klartext: entweder können beide Parteien die Gedanken hören, oder sie können es nicht. Und da es leichter ist es sich abzugewöhnen, als es sich anzugewöhnen, ist es auch leichter, dass der Schutzgeist die Gedanken nicht mehr hört, als wenn der Mensch es lernt.“

„Aber warum denn? Es wäre doch viel Praktischer“

„Theoretisch schon, aber praktisch nicht“, meinte Arcon und grinste leicht, „Ein Mensch kann so etwas nicht mal eben so schnell lernen. Und außerdem muss er zusätzlich lernen unwichtige Gedanken auszublenden und vor allem Gedanken, die ihn nichts angehen. Menschen sind von Natur aus neugierig ... zu neugierig. In dem Kopf eines Schutzgeistes gibt es genug Gedanken, die Menschen nichts angehen…“

Ich seufzte, doch ich sah ein, dass Arcon Recht hatte. Ich konnte natürlich nicht wissen, was für Gedanken es waren, aber mystisch und geheimnisvoll war die Sache mit den Schutzgeistern schon irgendwie. Wenn ich bedachte, dass die Schutzgeister zwar von der Existenz der Menschen wussten, jedoch die Menschen nicht von der Existenz der Schutzgeister, war es logischer so wie es nun war.

„Allerdings werde ich dich immer hören, wenn du mich rufst, wenn du mich gezielt rufst, auch, wenn unsere Bindung perfekt ist. Für diesen Zeitpunkt brauchen wir keine Worte, ich denke, jeder von uns wird wissen, wenn es soweit ist“, meinte Arcon, schmiegte seinen Kopf an meine Beine und legte sich dann in den Sand vor meinen Füßen.

Eine Weile lang starrte ich nur ziellos durch die Gegend, ohne Blick, ohne Gedanken. Dann schüttelte ich mich, trocknete mich kräftig ab und fragte, ob wir uns nicht ein Eis kaufen wollten. Meine Familie willigte ein und wir gingen gemeinsam zu einer Strandbar.

Als wir fertig mit gegessen hatten nahm ich ein Buch und begann zu lesen. Das Salzwasser brannte noch immer in meinen Augen und richtig konzentrieren konnte ich mich auf die Handlung meines Buches auch nicht. Seufzend legte ich das Buch bei Seite und das Handtuch auf die Liege.

„Ich geh’ noch mal zum Meer“, sagte ich dann.

„Okay“, stimmte meine Mutter zu, „wir rufen dich dann, wenn wir gehen“

Ich nickte und ging vor zum Strand. Dort betrachtete ich eine Weile das schimmernde Meer, beobachtete, wo die meisten Wellen begannen ins Meer zurückkehrten und fing dann an einen Wolf aus feuchtem Sand zu bauen. Plötzlich saß neben mir etwas. Erschrocken sprang ich einen Schritt zurück und atmete wenig später erleichtert auf, als ich merkte, dass es Arcon war.

„Man, hast du mich erschreckt.“, grummelte ich leise.

Der Wolf grinste nur und entschuldigte sich. Dann sah er mir interessiert zu, wie ich den etwas verkümmerten Wolf aus Sand schuf.

Nach einer Weile meinte Arcon: „Pass’ mal auf!“

Neugierig schaute ich meinen Schutzgeist an. Er stand auf, richtete seinen Schweif steil nach oben und richtete seinen Blick ebenfalls gen Himmel. Verwundert sah ich ihn an. Seine klaren, ruhigen himmelblauen Augen färbten sich zu stechenden, bedrohlichen Roten. Ich erschrak, konnte nichts sagen. Dann wendete er seinen Kopf rasch in alle Richtungen, indem er sich schwungvoll drehte, und alles, was er mit seinem blutroten Blick einfing, erstarrte: Das Meer, die Menschen, die Vögel, die Wolken, sogar der Sand, der von Füßen oder vom Wind aufgewirbelt war, blieb in der Luft stehen. Alles war ruhig, unheimlich ruhig, kein Meer und auch kein Gelächter, rein gar nichts war zu hören. Die von Lachen verzehrten Gesichter rührten sich nicht, die Kinder, die erschrocken vom nassen Wasser aufsprangen waren in ihren Bewegungen erstarrt, völlige Stille, unaufhörliche Ewigkeit schien die Luft, die niemand atmete, zu füllen.

„Wa… Was hast du gemacht?“, schrie ich Arcon an.

„Nichts“, sagte er ruhig, „Ich habe nur die Zeit stillgelegt, für eine Weile“

„Den Menschen passiert nichts, keine Angst“, fügte er noch rasch hinzu.

„Bist du verrückt? Du kannst doch nicht einfach herkommen und einfach mal die Zeit stilllegen!“, schrie ich ihn an.

„Jetzt reg dich mal nicht so auf! Es passiert nichts. Das ist eine Art Sicherheitsmaßnahme für die Menschen bei uns Schutzgeistern!“

Mir fiel wieder ein, dass er im Auto einfach verschwunden war, so keifte ich wütend zu ihm: „Und vorhin im Auto, da bist du einfach so verschwunden! Ich dachte du bist da, wenn ich dich brauche!“

„Jetzt hör mir mal zu!“, hob er seine Stimme zu einem strengen Ton, „Mein Vater hatte Recht! Ihr Menschen seid wirklich egoistisch, ich hatte nicht gedacht, wie Recht er damit hat. Du hast mich nicht gebraucht, du warst auch nicht in Gefahr. Ich hätte dir beinahe etwas gesagt, dass eigentlich kein Mensch wissen dürfte! Und dafür schreist du mich auch noch so an. Ich wollte dir etwas zeigen, habe gehofft, dass du nicht so ein Mensch bist wie mein Vater gesagt hat, aber…“, er blickte zu Boden, seine Stimme wurde ruhiger und seine hellblauen Augen kehrten zurück, „…aber du bist auch nicht anders“

Er klang schon traurig. Plötzlich tat es mir Leid, ein schlechtes Gewissen plagte mich, da ich ihn angeschrien hatte, wobei ich nichts über die Situation wusste.

„Ich hätte ihm einfach vertrauen sollen“, schloss ich meine bedrückten Gedanken ab.

„Arcon“, flüsterte ich nun, „es… es tut mir leid… das wusste ich nicht. Ich… ich habe nur Angst bekommen. Ich kenne so eine Zeitspanne oder wie das heißt nicht. Ich habe mich erschrocken. Es tut mir Leid, ehrlich“

Vorsichtig hob ich meine Hand und streichelte Arcon über den Rücken. Als ich wieder an seinem Kopf ansetzte begann ich sein Ohr zu kraulen. Er wollte eigentlich schmollen, das sah man ihm an, doch er konnte sein Grinsen nicht unterdrücken, womit er seinen Wohlgefallen ausdrückte.

„Willst du jetzt zeigen, was du machen wolltest?“, fragte ich und lächelte.

Er schaute auf, mit einem Rest seiner schmollenden Miene, und sah mir direkt ins Gesicht. Dann konnte er es nicht mehr aushalten: Seine Augen schimmerten erfreut und er begann wild mit seinem Schweif zu wedeln.

„Wenn du mir gestattest dir alles zu erklären?“

Nach meinem angespannten Kopfnicken erklärte er: „Diese Zeitspanne benutzen wir, um das tun zu können, was andere Menschen in Angst versetzten könnte, wenn sie es sehen. Aber auch zu ihrem Schutz. Die Zeitspanne ist extrem wichtig, bevor wir Schutzgeister eine Handlung machen. Es ist ein Gesetz und darf nicht gebrochen werden.“

Er schwieg, als würde er noch einen Teil an den Satz in Gedanken hinzufügen.

„Also, Tia, geh bitte einen Schritt zurück“

Jetzt war ich angespannt. Was wollte er nur machen? Ich tat, worum Arcon mich gebeten hatte. Er stellte sich in eine feste Position, als würde er vorhaben den Sandhaufen in Form eines recht misslungenen Wolfes anzugreifen, sein Fell sträubte sich während seine Augen wieder die blutrote Farbe annahmen, vor der ich mich so fürchtete. Ein tiefes, grollendes Knurren kam aus Arcons Kehle, drohend und dominant, ich zuckte zusammen.

Was dann passierte sehe ich heute noch klar vor meinen Augen, ich konnte es nicht glauben, doch es war real. Der Sandhaufen vibrierte, die Körner wirbelten in einem Strudel aufwärts und ordneten sich neu an. Wie von Geisterhand wurde aus meinem misslungen Sandwolf eine Skulptur aus Sand, so schön und echt wirkend, als wäre sie von einem Künstler aus Stein gemacht worden, die Skulptur eines Wolfes! Aufrecht und stolz saß sie da. Ich war beeindruckt, bekam nichts aus meinem trockenen Mund, außer ein paar erstaunten, mühselig hervorgebrachten, wirr aneinander gereihten Silben von Wörtern, die ich selbst nicht kannte.

„Ich löse jetzt die Zeitspanne“, flüsterte Arcon.

Ich nickte abwesend. Wenig später nahm ich das Meeresrauschen und das Gelächter wieder wahr. Ich hatte mich an die unangenehme Stille gewöhnt, doch ich war noch so beeindruckt, dass ich all das nicht wahrnahm, auch nicht, dass ein Italiener mich ansprach.

Leute blieben stehen und betrachteten „mein“ Wunderwerk. Ich nickte nur immer, schließlich konnte ich niemandem weiß machen, dass ein Wolf dieses Werk vollbrachte. Mein Blick schweifte umher, Arcon war nicht zu sehen. Daraufhin stand ich auf, ging langsam ins Meer und wusch mir den Sand von meinen Armen und Beinen.

Dann schlenderte ich durch den Sand zurück zu Arcons Wunderwerk, als auf einmal Alexandras Stimme rief: „Tia, kommst du? Wir wollen...“

Sie stockte, als sie den Sandwolf sah.

„Boa, Tia, das is’ ja cool“

Ich schaute etwas verlegen auf den Sandwolf.

„Das hat Arcon gemacht“, hauchte ich leise.

„Bitte?“

„Ich… ähh...ach vergiss es! Gehen wir nun?“, belächelte ich sie.

Ironisch gemeint blickte mich Alex misstrauisch an, lachte dann und wir liefen durch den Sand zu unseren Eltern zurück.

Ich schaute noch einmal zu dem Sandwolf zurück und murmelte: „Einfach genial, Arcon“

„Hm?“, fragte Alex.

„Nichts, nichts, ich sagte nur, es sei ein ganzes Stück Arbeit gewesen“, log ich lächelnd.

Alex berichtete meinen Eltern von der genialen Skulptur und ich spürte, wie ich bis über die Ohren rot wurde. Es war mir sehr unangenehm, das zu hören, wo doch mein Schutzgeist das alles geleistetet hatte. Als wir an dem Platz kamen, an dem Arcon sein Werk vollbracht hatte, war dort nur noch ein zusammen gefallener, nasser Haufen. Eine größere Welle hatte das Werk zerstört.

„Es ist nicht gut, wenn die Menschen zu viel sehen“, erläuterte Arcons Stimme neben mir, während Alex unseren Eltern klar machte, dass diese wunderbare Skulptur wirklich dort stand.

„Wie meinst du das?“, flüsterte ich Arcon verwirrt zu und zog mich einige Schritte von meinen Eltern zurück.

„Du siehst doch, was deine Schwester eben macht. Was tust du, wenn die Leute, die dich neben der Sandstatue gesehen haben, meinen, du kannst so etwas noch öfter machen. Das wird kompliziert dich da raus zu reden, Tia. Wie du sicher bereits gemerkt hast kannst du nicht einfach sagen, dass ich es war“

Ich nickte betrübt. Überrascht starrte ich auf das Meer. Es war ruhiger als zuvor, wo sollte die Welle hergekommen sein, die die Skulptur vernichtet hatte?

„Arcon?“, keuchte ich, „Wie konnte eine Welle entstehen, die groß genug war um die Skulptur wegzuschwemmen, wenn das Meer so ruhig ist?“

„Wir Schutzgeister sind im Einklang mit den Naturkräften. Wir haben gelernt mit ihnen zu harmonieren und sie ab und zu zu verändern, eine kleine Welle in eine etwas größere umzuwandeln ist kein Problem“, erklärte er.

„Umgekehrt ein umso größeres“, fügte er kaum hörbar hinzu.

Als Alex sich beruhigt hatte liefen wir zu den Duschen und wuschen uns den salzigen Belag des Meeres und der Luft von unseren Körpern. Mein Vater hatte sich einen Sonnenbrand geholt und wir alle entspannten uns in unserem kühlen Appartement des Hotels. Nach einigen ausgiebigen Rommé-Partien bekamen wir Hunger und bestellten an der in der nahe gelegenen Pizzeria 3 Pizzen.

Meine Mutter hatte die Idee, dass wir bereits langsam Richtung Pizzeria gehen, dabei könnten wir und anschauen, welche Restaurants es in der Nähe noch gab. Die Pizzeria war gemütlich eingerichtet und spielte ruhige Musik. Nach dem ausgiebigen Essen begaben wir uns wieder ins Hotel zurück und gingen zu Bett, wobei jeder noch seine spezielle abendliche Tätigkeit vollzog: Meine Mutter machte Kreuzworträtsel, mein Vater las einen seiner historischen Romane und Alex spielte mit ihrer kleinen Konsole ein Strategiespiel, was ich sonst auch tat, doch die vergangenen 20 Stunden brachten mich schwer zum Überlegen.

Arcon war schon fast wie ein Teil von mir, so fühlte es sich zumindest an. Als ich bedachte, dass er mir vor nicht ganz 20 Stunden das erste Mal begegnete überkam mich ein seltsames Gefühl. Ist diese Perfekte Bindung, von der Arcon sprach schon eingetroffen?

Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Schließlich kannte ich ihn noch nicht einmal einen Tag lang, und doch fühlte ich mich immer stärker mit ihm verbunden.

Ich grübelte ein wenig darüber, bis mir ein anderer Gedanke durch den Kopf schwirrte. Ich lag auf dem Rücken und hatte meine Arme hinter dem Kopf verschränkt, als ich über diesen Satz von Arcon nachdachte… „Umgekehrt ein umso größeres“

Was meinte er? Hatte es mit dieser Katastrophenzeit zu tun, die er erwähnt hatte? Ich runzelte die Stirn. Es war für mich unvorstellbar in große Gefahr zu geraten, das schlimmste, was mir bisher passiert war, war als ich in Rumänien kopfüber durch diese Glastür geflogen war. Das einzige was ich davon hatte waren zwei relativ kleine Narben am meinem rechten Oberarm und meinem linken Ellenbogen: Zwei gerade, etwa 4 cm lange Narben, die in den vergangenen 7 Jahren seit es passiert war wunderbar verheilt waren.

„Denke nicht zu viel über mich nach, Tia“, beruhigte mich Arcons wohlklingende Stimme.

Alex klappte den Gameboy zu und drehte sich unter ihrer Bettdecke.

Meine Augenlider schlossen sich kurz und ich spürte, wie Arcon vorsichtig auf das Bett sprang und sich neben mich legte.

„Schlaf jetzt, Tia“, meinte Arcon und ich blickte ihm noch einmal in seine himmelblauen Augen, die von seinem schneeweißen Fell umgeben waren, bevor ich mich zu ihm drehte, meine Hand auf ihn legte, ihn kraulte und dann einfach einschlief.

Als ich am nächsten morgen aufwachte hörte ich das Klirren einiger Teller, die jemand auf einen Tisch stellte. Ich streckte meine Arme aus, doch meine Beine waren blockiert. Ich setzte mich verwirrt auf und bemerkte, dass Arcon wohl die ganze Nacht bei mir geschlafen hatte, auch wenn er nun auf meinen Beinen und nicht neben mir lag. Ich lächelte, allein sein Anblick zwang mich zu einem Lächeln. Noch immer war es für mich schwer zu begreifen, dass das Geschehen real war. Ein Wolf, ein Wolf bei mir... das war ein Gedanke, denn ich vor Freude nicht glauben konnte. Ich streckte meine Hand aus und kraulte seinen Kopf. Er streckte seine Beine von sich und öffnete seine Augen.

„Guten Morgen, Arcon“

„Guten Morgen, Tia! Gut geschlafen?“

„Ja, du?“

„Das Bett ist bequem“, meinte er zufrieden.

Er blickte mich verschlafen an, lies sich noch eine Weile von mir streicheln, stand dann auf und streckte sich. Nun konnte ich auch aufstehen, schlenderte ins Bad, wusch mein Gesicht und kämmte mir die Haare zu einem Seitenscheitel und Band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen. Mein Pony war ein wenig zu kurz um ihn hinter mein Ohr zu legen, also versuchte ich meine ‚Löwenmähne’, wie meine Mutter meine Haare nannte, wenigstens Richtung Ohr zu kämmen.

Kaum war ich fertig, klingelte es an der Tür. Ich huschte in das Zimmer, in dem ich geschlafen hatte, und während ich mir meinen Pyjama auszog und mich einkleidete machte mein Vater bereits die Tür auf. Es waren Alex und meine Mutter.

Alex spähte in unser Zimmer und grinste mir entgegen: „Auch schon wach?“

Ich grinste zurück und nickte ihr zu.

Sie und meine Mutter waren bestimmt schon seit halb 8 wach und hatten bereits einen Spaziergang am Meer hinter sich. Ich schloss, dass mein Vater den Tisch vorhin gedeckt hatte.

Dann hörte ich meine Mutter: „Na, du Schlafmütze, komm essen“

„Ich komme“, rief ich, zog den Reißverschluss meiner Hose hoch und ging in die kleine Küche unseres Hotelzimmers.

Als mein Blick über die Wanduhr huschte bemerkte ich, dass es halb 10 war.

„Gar nicht mal so spät“, flüsterte ich zufrieden, da ich nicht die halben Ferien verschlafen wollte.

„Was meinst du?“, wollte Arcon etwas verwirrt wissen, während ich mich auf einen freien Stuhl zwischen meinem Vater und Alex setzte.

Die beiden waren mit meiner Mutter in einem Gespräch, dessen Inhalt mich nicht interessierte.

„Die Uhr! Ich bin relativ früh wach“, zischte ich möglichst leise zu Arcon, in der Hoffnung, dass meine Familie es nicht mitbekam.

Doch meine machte Mutter meine Hoffnungen zunichte und fragte: „Was meintest du?“

„Wie lange seit ihr schon wach?“, startete ich sofort eine Gegenfrage und lies es so klingen, als wäre es das gewesen, was ich gesagt hatte.

„Seit etwa halb acht, Schlafmütze“, antwortete Alex lächelnd, „Wir waren übrigens noch beim Bäcker“

„Toll“, meinte ich spaßhaft und nahm mir eine Semmel.

„Es ist angenehm warm draußen“, fing meine Mutter an, nachdem sie Butter auf ihre Semmel geschmiert hatte, „Wenn ihr wollt können wir gleich nach dem Essen unsere Sachen packen und zum Strand gehen“

„Und das Meer ist so schön ruhig und der Himmel ist total klar, keine einzige Wolke“, gab meine Schwester dazu.

„Oh, ja, gerne!“, stimmte ich zu und verschluckte mich an einem Semmelkrümel.

Mein Vater klopfte mir heftig auf den Rücken und ich hustete.

„Danke, passt schon, danke“, krächzte ich dankbar.

In Augenblicken, in denen ich unbeobachtete war, klaute ich ein Stück Wurst und lies meine Finger unauffällig zu Arcon gleiten. Erst sah er etwas verwirrt zwischen mir und der Wurst hin und her, nach einem kurzen Kopfnicken meinerseits, nahm er diese vorsichtig zwischen die Zähne und aß sie genüsslich auf, ehe er sich höflich bedankte.

Nachdem alle aufgegessen hatten zogen wir uns unsere Badeanzüge an, darüber unsere normale Kleidung und packten unsere Sachen. Als wir auf dem weichen, warmen Sand kamen blieb Arcon stehen und blickte verstohlen aufs Meer.

Auch ich blieb stehen und fragte leise: „Was ist?“

Arcon ging weiter und sagte geheimnisvoll: „Gib acht, Tia. Ich traue diesem Meer nicht“

Erst schaute ich ihn nur verwirrt an, ging dann auch weiter, kicherte und flüsterte dann: „Was soll schon passieren? Das Meer ist so ruhig und der Himmel so klar oder meinst du etwa da sind Haie?“

„Das ist kein Scherz, ich warne dich“, knurrte Arcon ernst und warf mir einen strengen, durchdringenden Blick zu, der mich zusammenzucken lies.

Ich musterte ihn verängstigt, bis ich plötzlich die Stimme von meinem Vater hörte: „Hey, Schlafmütze! Hier sind wir!“

Ich blickte mich um und sah einige Meter weiter hinten Meine Familie. Ich lachte verlegen und rannte zurück. Ich entledigte mich geistesabwesend meiner Kleidung, bis auf den Bikini und als ich mir der realen Situation wieder bewusst wurde meinte ich: „Ich geh dann schon mal ins Wasser, okay?“

„Warte doch, ich bin doch auch gleich fertig!“, sagte Alex, während ich mich noch einmal umsah, aber ich fand Arcon nicht. Seine Worte beunruhigten mich, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, was hier an einem so schönen Tag passieren könnte.

„Du kannst ja nachkommen, ich lauf ja nicht weg.“, erwiderte ich Alex und starrte auf das ruhige Meer, vor dem Arcon mich gewarnt hatte.

„Er wird wohl wieder irgendwo hin gegangen sein“, dachte ich und rannte sogleich auf das Meer los.

Mein Magen zog sich zusammen, ich wusste nicht was los war. Es waren nur noch zehn Meter als ich bemerkte, dass die Seemöwen schnell wegflogen, als würde sie vor ihrem größten Feind fliehen. Verwundert beobachtete ich, wie sich etwas Seltsames auf dem Meer tummelte. Mein Lauf verlangsamte sich, als einige Menschen schreiend ans Ufer hechteten und in fremden Sprachen rufend an mir vorbeirannten. Mit einem Mal erhob sich aus dem Meer eine Welle, die sich in rasender Geschwindigkeit auftürmte und den ganzen Strand in Schatten setzte. Panik brach aus. Die Leute schrien, liefen weg. Die wenigen, die noch im Wasser waren, versuchten der Welle zu entkommen, wurden jedoch kreischend mit ihr gerissen. Mein Herz pochte wild, als ich schockiert zum Stehen kam. Ich blieb reglos stehen, konnte keinen Finger rühren, jegliche Geräusche um mich herum wurden dumpf, nur das überwältigende, grausame Rauschen der Welle drang tief in mein Ohr und gestatte es mir nicht mich zu regen. Ich blickte auf die riesige Welle und mir wurde klar, dass ich in Lebensgefahr schwebte: ein riesiger Tsunami kam auf mich zu.

Unter den vielen dumpfen Schreien hörte ich jemanden meinen Namen rufen, schwer erkennbar, kaum hörbar, ich wollte der Stimme folgen, hoffte, sie könne mich in Sicherheit bringen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Ich wollte nach Hilfe schreien, mich verstecken, wollte weg, fliehen, rufen, irgendetwas. Mir wurde kalt und heiß zugleich.

Tausende Gedanken, Bilder und verschwommene Gestalten wuchterten in meinem Kopf, ein reines Gewirr aus Erinnerungen. Mit starrem Blick auf die unglaubliche Welle konnte ich keinem Gedanken folgen. Bis auf ein Detail, dass meine Aufmerksamkeit auf sich zog, ein weißer Wolf, der mich mit erhabenem, stolzen Blick erwartungsvoll anstarrte. Sein Anblick erfüllte mich Hoffnung wie ein kleiner Funke, der zu einer großen Flamme wurde. Arcons Worte wurden mir klar: die Katastrophenzeit hatte begonnen.

„Arcon...“, dachte ich, schaffte es einen kleinen Schritt rückwärts zu gehen und rief nach meinem Schutzgeist.

Das gefährliche Rauschen des Tsunami schüchterte mich ein, sie drohte jeden Moment über dem gesamten Strand einzubrechen. Mein Blick war starr auf den Tsunami gerichtet, ich vernahm keine Stimmen, keine Schreie, keine Rufe nach meinem Namen.

„Arcon, du hast versprochen für mich da zu sein, wenn ich dich brauche“, flüsterte ich voller Angst, mein Herz pochte und hämmerte wild gegen meinen Brustkorb.

„Ich bin da, Tia, alles wird gut!“, hörte ich Arcons Stimme neben mir.

Sie klang mutig und ehrfürchtig. Hastig suchte ich neben mir das glänzende weiße Fell meines Schutzgeistes, doch alles, was ich entdeckte waren zwei blutrote Augen im Sand neben mir. Ein aus Sand geformter Kopf erstreckte sich aus dem Boden stieg höher hinauf und wurde von dem Rumpf und den Beinen eines Wolfes verfolgt.

„Hab keine Angst, Tia!“, sagte der immer mehr vollständige Wolf, während der Sand von ihm bröckelte.

„Arcon“, keuchte ich und starrte den Sandwolf entsetzt an.

Noch bevor der letzte Teil seiner Hinterbeine außerhalb des Strandbodens war sprang er in die Höhe. Der Sand, der den Wolf umgab, wurde durch Wasser verdrängt. Ich hatte keine Nerven mehr um darüber nachzudenken, dass die Zeit in Zeitlupe zu laufen schien, ich hatte keine Gedanken mehr. Der Sand seines Körpers regnete von ihm herab und als er elegant neben mir gelandet war, war er durch schimmerndes Wasser geformt. Kaum eine Sekunde auf dem Boden stieß er nach vorne und sprang der Welle entgegen, fassungslos verfolgten meine Augen Arcon und bewunderten seinen Mut.

Arcon prallte gegen das Wasser des Tsunami, kämpfte sich beißend durch die Macht des Meeres und drang in die gefährliche Flutwelle ein. Sie war wie gelähmt. Bewegte sich keinen Zentimeter. Eine Unsichtbare Macht hielt sie fest. Ein imponierendes Wolfsgeheul breitete sich aus, mein Blut gefror in meinen Adern, aus Angst oder aus Schock.

Mein Innenleben verkrampfte sich, ich konnte mich noch immer nicht bewegen, hatte nur Gedanken an Arcon, hoffte, dass er wusste, was er tat. Meine eigene Sicherheit schien mir nicht mehr wichtig. Hätte ich den Mut gehabt, wäre ich geradewegs auf die gigantische Naturkatastrophe zugelaufen, mit dem Wunsch, meinem Schutzgeist helfen zu können. Doch wo war Arcon? Er war einfach in der Welle verschwunden.

Angestrengt wartete ich auf ein Zeichen von Arcon, wollte nichts übersehen.

„Tia, komm!!“

Die Stimme war leise, doch ich konnte sie meiner Mutter zu ordnen. Überrascht drehte ich mich um, sah meinen Vater auf mich zu rennen. Darum kümmerte ich mich nicht weiter und richtete meine Augen auf die Welle, die noch immer starr und senkrecht im Meer stand. Ein Jaulen ertönte.

„Arcon“, hauchte ich, mein Herz verdoppelte seine Schlaggeschwindigkeit.

Auf einmal überkam mich der Gedanke an meinen Vater und ich blickte mich um. Er stand starr im Lauf und rührte sich nicht. Völlig verängstig starrte ich umher. Niemand bewegte sich nicht.

Die Bilder vom Vortag schossen durch meinen Kopf, zeitgleich Arcons Worte, „...die Zeit stillgelegt... eine Art Sicherheitsmaßnahme bei uns Schutzgeistern!“

Eine Zeitspanne. Das war es.

Eine Mischung aus wütendem Knurren und verzweifeltem Jaulen breitete sich aus. Ich konnte eine Art Brodeln auf der senkrechten Welle beobachten. Daraus schoss ein Wasserstrahl direkt auf mich zu. Mein Atem stockte, meine Füße wurden lahm, meine Hände schwer. Blitzschnell stieß etwas neben dem Strahl aus der Welle, überholte diesen und stoppte zwischen ihm und mir. Der Sand flog durch die Luft. Das etwas war Arcon, noch immer in seiner Wassergestalt. Er richtete sich kurz auf zwei Beinen auf und nutze seine Haltung, um mit seiner Pfote auf den Strahl einzuschlagen. Der Strahl fiel zu Boden und hinterließ eine nasse Spur im Sand. Nachdem mein Schutzgeist wieder auf seinen 4 Pfoten stand, blickte er sich zu mir um und sah mit seinen blutroten Augen in meine tiefbraunen.

„Alles in Ordnung?“, fragte er ernst.

„Ja“, flüsterte ich mit zitternder Stimme.

Arcon richtete sein Gesicht von mir auf die Welle und meinte: „Kein Angst, ich beschütze dich, ich bin gleich fertig.“

Daraufhin rannte er auf die Welle zu, hinterließ seine Pfotenabdrücke auf dem Sand und sprang wieder direkt gegen die Welle, haftete an ihr, und sprinte sie senkrecht hinauf. An verschiedenen Stellen brodelte der Tsunami und stieß Wasserstahlen auf Arcon, denen er geschickt auswich. Oben angekommen sprang er hoch hinauf. Zeitgleich schoss ein weiterer Wasserstrahl auf mich zu. Ein wütender Aufschrei Arcons machte mich darauf aufmerksam. Dank meiner Reaktion wich ich dem Strahl aus. Etwas – mir unerklärliches - war anders als zuvor. Der Strahl schoss an mir vorbei machte kehrt und sauste abermals auf mich zu. Stutzend wich ich ihm noch ein Mal aus.

„Schlag ihn, Tia!“, schrie Arcon.

Ohne nachzudenken folgte ich Arcons Befehl und schlug mit meiner Faust gegen den Wasserstrahl, welcher mich umkreiste. Schlagartig fiel der Strahl wie der vorherige zu Boden und hinterließ eine nasse Spur.

Arcon stieß steil nach unten und prallte oben auf den Tsunami. Er beulte die Welle von innen aus, wie eine kleine Welle, die den Tsunami hinunterlief, wie ein Schwert in einer Schlacht, das den Gegner in zwei Teile schlug. Das Rauschen der gewaltigen Flutwelle dröhnte in meinen Ohren, die ich rasch zuhielt und meine Augen zusammen kniff. Als der Krach nachließ öffnete ich die Augen und bemerkte sogleich, dass die Größe der Flutwelle enorm abgenommen hatte. Der Tsunami schien sich zurückzuziehen, er floss zurück ins Meer. Ich nahm meine Hände von meinen Ohren und eine Mischung aus Freude und Erleichterung erwärmte meinen Körper.

Doch... wo war Arcon? Er war nicht zu sehen.

Vorsichtig ging ich ein paar Schritte vorwärts, auf die Welle zu, die immer kleiner wurde. Am Fuß des Tsunami war ein dunkler Fleck.

Ich beschleunigte meine Schritte, ich wusste, dass es nur Arcon sein konnte. Auf einmal schoss aus dem dunklen Fleck ein dritter Wasserstrahl direkt auf mich zu. Ich bremste abrupt und stand, gelähmt vor Schreck, starr auf dem warmen Sand.

„TIA!“, schrie Arcons Stimme und er sauste von dem Fuß der Welle in seiner Wasserform auf mich zu. Alles ging rasend schnell, ein heftiger Schlag in meine Hüfte und Arcons schmerzhaftes Aufjaulen.

Ich lag auf dem Boden, durch den Aufprall mit leichten Schürfwunden an den Armen versehen. Der Wolf hatte mich weggestoßen. Der Wasserstrahl umfasste ihn wie eine stramme Hand, lies ihn nicht mehr los. Arcon schrie, jaulte, strampelte und wehrte sich mit allem, was er besaß. Meine Augen wurden feucht.

„Lass ihn!“, schrie ich flehend, mein sandiges Gesicht hebend.

Arcons Wasserform verschwand langsam und sein weißes Fell kam triefend nass zum Vorschein.

Keuchend stand ich auf und hielt meine Hand an die schmerzende Hüfte, welche bereits von einem leicht bläulichen Fleck markiert wurde.

„Verschwinde, Tia“, keuchte Arcon.

„Aber...“, entgegnete ich.

Arcons Jaulen umhüllte mich und drang tief in meine Knochen ein.

„Lass ihn los!“, schrie ich flehend und schlug auf den Wasserstrahl ein, verzweifelt hoffte ich auf eine Wirkung, die nie eintraf.

„Tia, fass klare Gedanken, streng dich an!“, zwang ich mich zu denken.

Mein Blick verfolgte den Wasserstrahl. Er hatte seinen Ursprung in der Welle.

„Tia, hau ab“, keuchte Arcon abermals.

Ich beachtete ihn nicht. Mein Atem war unregelmäßig, ich hatte Angst, zwang mich, etwas zu unternehmen. Ich schritt an Arcon vorbei, der sich verzweifelt versuchte aus dem Griff des Wassers zu befreien.

„Wenn man eine Stange in die Luft hält und an einem Ende einen Gegenstand befestigt und die Stange dann durchtrennt, fällt der Gegenstand zu Boden“, folgte ich meinen Gedanken, „Eine letzte Chance... Ich muss das Wasser durchbrechen“

Mein Körper verspannte sich: „Was, wenn meine Idee nicht funktioniert? ... Hör auf so was zu denken! Negativ bringt auch nicht weiter!“

Ich schüttelte mich, ballte meine Hand zu einer Faust und holte mit dem Arm aus. Mit aller Kraft zielte ich auf den Wasserstrahl und – verfehlte ihn. Stutzend sah ich auf den Strahl, welcher nun wenige Zentimeter unter meinem Arm gemächlich in der Luft floss. Das hatte ich mir nicht eingebildet! Der Strahl wich meinem Schlag aus. Staunend nahm ich meinen Arm zurück.

„Okay, wenn‘s so nicht geht...“, überlegte ich, trat einige Schritte zurück und sah mich um.

„Arcon halt durch!“, rief ich, spürte die Panik in meiner Stimme, „Ich such was!“

Durch das Krächzen und Stöhnen Arcons, ausgelöst von seinen verzweifelten Befreiungsversuchen, hetzte mein Blick ebenso unkonzentriert wie auch unkontrolliert über den starren Strand, bis er an einem kaputten Sonnenschirm oder das, was von ihm übrig war, haftete. Meine Füße bewegten sich von ganz allein im höchsten zumutbaren Tempo auf die verbogene Eisenstange mit ein paar wenigen Stofffetzen zu, sprangen über die in der Zeitspanne erstarrten, am Boden liegenden Menschen und kamen abrupt vor dem ehemaligen Sonnenschirm zum Stand. Sand wirbelte auf.

„Trotz Zeitspanne?“, überlegte ich einem winzigen Augenblick, ehe ich die Eisenstange packte, schwungvoll aus dem Sand zog und meine Strecke zurück sprintete.

Ich anvisierte mein Ziel genau, rannte so schnell mich meine Beine tragen konnten über den warmen Sand, der unter meinen Füßen bei jedem Schritt sanft nachgab, und holte zum Schlag aus.

Die Eisenstange bretterte auf den Wasserstrahl nieder, und durchdrang ihn mit aller Kraft. Mein Herz raste. Sekundenlang schien nichts zu geschehen, während die Stange im unteren Teil der Wasserstange steckte. Nun floss das Wasser langsam in einem unglaublich zähflüssigen, fast schon schleimartigen Zustand von der Eisenstange und sickerte in den Sandboden darunter. Meine Augen folgten dem nun fallenden Wasser triumphierend. Der Wolf landete hart und röchelnd mit einem plumpen Geräusch auf dem Boden.

„Uff...“, keuchte Arcon, der kraftlos am Boden lag und nur mit Mühe seinen Kopf hob.

„Tia“, schnaufte mein Schutzgeist.

„Arcon!“, rief ich und lief zu ihm, „alles okay?“

Mit zittrigen Beinen stand er auf, hechelte erschöpft.

„Alles prima“, behauptete Arcon.

„Sieht man“, antwortete ich sofort.

„Aus dem Weg, Tia, bitte“, keuchte Arcon.

Doch ich versperrte meinem Schutzgeist den Weg, indem ich mich zu ihm hinunter kniete und seinen Kopf sanft kraulte.

„Tia, aus dem Weg“, grinste Arcon, „Jetzt ist es ein Kinderspiel“

„Aber du...“

„Nichts aber, das ist meine Pflicht. Außerdem weiß ich nun, wie ich die Flutwelle zurückdränge“

Arcons Augen schlossen sich und sein Gesicht verzehrte sich angestrengt. Langsam kam seine Wassergestalt wieder zum Vorschein, deren Nässe sich um meine Finger schlang.

„Wie kann man nur so stur sein?“, fragte ich mich leise und sah Arcon flehend an.

Ohne noch einen Laut von sich zu geben, drehte er seinen Kopf geschickt aus meinen Händen, stürmte an mir vorbei, direkt auf die Flutwelle zu und versank abermals in ihren überwältigenden Wassermassen. Ich presste meine Hände auf die Augen, lies die beinahe hervorkommenden Tränen verschwinden und konnte nichts anderes machen als warten. Wie ich es hasste nichts machen zu können! Die Sekunden, in denen ich hoffend und flehend wartete verronnen langsam, es kam mir wie eine Ewigkeit vor, als sich endlich etwas tat. Der Tsunami brodelte, erst nur leicht an vereinzelten Stellen, Arcon sprang in seiner Wasserform aus der Flutwelle und an einem anderen Fleck wieder hinein. Er huschte durch das Wasser. Das Brodeln übertrug sich von den einzelnen Stellen auf die gesamte Welle, welche ein bedrohliches Grollen von sich gab und schließlich explosionsartig zersprang. Ein Teil des Wassers nieselte auf mich herab, der Rest fielt plump ins Meer hinab.

Keine Spur von Arcon.

Durch den Aufprall schlugen Wellen auf den Strand, etwas größer als ich es war. Sie schlugen vor mir auf den Sandstrand ein, ich hielt meine Arme vor mein Gesicht und suchte mit eingeschränkter Sicht nach Arcon. Zögernd lief ich los, plätscherte durch die immer kleiner werdenden Wellen und rief nach dem Wolf. Meine Blicke suchten den vor mir liegenden Strand ab. Wieder erblickte ich kurz einen dunklen Fleck, als sich eine Welle gerade wieder dem Meer zuwandte. Die Wellen schrumpften auf ihre normale Größe zurück, der dunkle Fleck blieb bestehen.

„Nein“, flüsterte ich leicht genervt, „wenn das jetzt wieder so ein Wasserstrahlding ist...“

Doch ehe ich meinen Gedanken zu Ende flüstern konnte bemerkte ich, dass der dunkle Fleck langsam Gestalt zeigte. Ich erkannte eine weiße Kreatur.

„Arcon“, keuchte ich erleichtert.

Langsam ging ich los und konnte noch nicht fassen, dass das real sein sollte, was eben passiert war.

Arcon trabte langsam und keuchend aus dem Wasser.

„Arcon!“, schrie ich glücklich und lief ihm entgegen.

Er sah mich zufrieden an und legte sich rasch auf den Sand. Das Meer war wieder ruhiger.

Als ich bei ihm war kniete ich neben ihm und kraulte sein nasses Ohr. Ich legte meinen Kopf sanft auf sein Nasses Fell. Arcons Atmung wurde ruhiger.

„Alles soweit in Ordnung?“, fragte ich ihn.

„Bin nur... erschöpft“, keuchte er.

„Scheiß Wasser“, moserte er genervt.

„Du warst super“, lobte ich ihn.

„Nein“, widersprach er, „das war schwach, ich hätte besser auf dich Acht geben müssen, diese Wasserdans hätten dich bei nahe erwischt“

Ich hob den Kopf wieder und zog eine Augenbrauche fragend hoch.

„Wasserdans... klar, kennst du nicht“, bemerkte er keuchend, „‚Dans’ sind sozusagen Dämonen, nur, dass sie aus den Elementen erschaffen werden und keinen Willen haben, sie werden von den Elementen selbst gelenkt. Die Katastrophenzeit hat mit dieser Flutwelle begonnen“

„Und was heißt das jetzt genau?“, hakte ich nach.

„Später, Tia“, hechelte Arcon erschöpft, „später... ich.. kann nicht mehr... ich löse jetzt die Zeitspanne... muss mich ausruhen“

Seine Augen schlossen sich erleichtert und sein Herz schlug in einem ruhigen Rhythmus. Einen Augenblick später hörte ich wieder die panischen Schreie und meinen Vater, der meinen Namen rief. Urplötzlich erloschen alle Geräusche zu einem erstaunten Schweigen. Die Leute blickten verwirrt umher, wussten nicht, was geschehen war. Nur wenige blieben am Strand. Einige senkten ihre Kameras mit denen sie die Naturkatastrophe filmen wollten. Die meisten packten ihre Sachen und wollten mit diesem merkwürdigen Geschehen nichts zu tun haben.

„Alles in Ordnung, Engel?“, fragte die verwirrte Stimme meines Vaters und legte seine Hände auf meine Schultern.

„Ja“, antwortete ich kurz.

„Tia!“, rief Alex.

Auch sie und meine Mutter kamen zu mir. Mein Vater half mir aufzustehen.

„Was war den das?“, wollte meine Mutter wissen,

Ich schwieg einige Sekunden bis ich antwortete, „Keine Ahnung. War aber echt heftig...“

„Ich meine, nicht dass ich es jetzt schade finde, dass die Flutwelle uns nicht überrollt hat, aber, das würde mich jetzt schon interessieren.“

„Mich auch“, meinte Alex.

„Wollen wir gehen?“, frage ich, um das Thema zu wechseln.

„Ja“, meinte meine Mutter.

Mein Vater legte seinen Arm um meine Taille und ich gab ein schmerzhaftes Zischen von mir.

„Was ist los?“, fragte mein Vater.

„Bin gestolpert und blöd gefallen“, log ich beschämt.

Daraufhin änderte mein Vater seine Haltung und fasste über meinen Rücken zu meiner Schulter.

Ich warf noch einen Blick zurück, wo ich Arcon friedlich schlafen sah. Für einen Moment überlegte ich, meiner Familie von dem Ereignis zu erzählen, oder noch einmal zu Arcon zu laufen, doch ein Gefühl sagte mir, dass er Ruhe brauchte und schlafen wollte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2008-07-24T12:21:47+00:00 24.07.2008 14:21
naja ich finds wunderschön wie du arcons welt erklärst ^^
das is total fantasievoll ^^ naja aber
„Oh, mein Gott!“, rief Seniorita Benette schrill, „Kannst du dir erklären, warum der Tsunami so plötzlich wieder zurück ins Meer geflossen ist?“ verstand ich net ^^

hoffentlich wirds noch viele weitere kapitel ^^


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