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Am Rande der Nacht

von

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Messerwerfen

{Kommentar}

Ich hab lang überlegt, ob ich das hier so on stelle. Mir ist das Kapitel eigentlich zu lang, mal abgesehen von der Tatsache, dass es zur Haupthandlung (lol?) nicht das Geringste beiträgt. Aber ich hab mich mal wieder in die klassischen Nick-Kori-Dialoge verliebt, (die sich leider immer selbstständig machen), also tue ich mal so, als bräuchte ich das Gequatsche zur Charakterentwicklung *pfeif*. Lacht wenigstens ein Bisschen, okay? Die nächsten Kapitel werden etwas ernster und ich verspreche, ich werde innerhalb der nächsten beiden auch mindestens drei tote Fische wiederbeleben. ^^° Nachher bin ich sonst noch die Einzige, die die Geschichte versteht.

{/Kommentar}
 

„Tiefkühlpizza oder Nudeln aus dem Becher?“ Missmutig beobachtete ich Nick dabei, wie er die beiden Alternativen vor meiner Nase schwenkte. „Keinen Hunger“, brummte ich. Meine Laune war im weiteren Verlauf von Arbeit und Abendschule wieder ziemlich abgesunken, geretteter Arbeitsplatz hin oder her. Zudem war ich hundemüde von diesem durchwachsenen Tag und der vorangegangenen Nacht. „Kommt der Typ bald mal?“, fragte ich, statt mich zu entscheiden.

„Der kommt und geht wie’s ihm passt. Was nimmst du nun?“ So weltliche Dinge wie eine Tiefkühlpizza oder Cup Noodles sahen in meinen Augen heute fast schon seltsam aus. Selbst das sonst so angenehm monotone Herumhacken auf der Computertastatur am Nachmittag hatte nicht die Zerstreuung gebracht, die ich gesucht hatte. Immer wieder waren meine Gedanken zu den Ereignissen des Vormittags zurückgekehrt.

Die Leiche, die Kreideweißen im Aufzug und schließlich auch noch der Spinner in Tanakas Büro. Dazu schlechte Träume sowie Erinnerungen, die plötzlich wieder an die Oberfläche trieben. Warum war es ausgerechnet dieser taubstumme Junge, der in letzter Zeit jene Gedankenfetzen dominierte? Wer war er? Woher kannte ich ihn? Ich hätte meine linke Hand für ein bisschen Zeit zum Nachdenken gegeben. Vielleicht wäre sein Name mir dann irgendwann eingefallen.

Nick schaute mich immer noch fragend an. „ ...ri?“ Eine dünne Hand wedelte in meinem Gesichtsfeld herum. „Hallo, Erde an Kori! Ich schmeiß die Pizza rein, okay? Die muss sowieso weg.“

„Tu was du nicht lassen kannst“, murmelte ich desinteressiert.

„Mann hast du ne Laune. So schlimm ist das doch nun auch alles nicht. Gut, du hattest heute morgen Dreck im Bett, ich hab eins deiner Gläser runtergeschmissen, das Auge des Orion spielt verrückt, wenn du es anfasst und wir haben jetzt gemeinsam Unterricht, aber deswegen braucht man doch nun wirklich nicht so ein Gesicht zu machen!“

„Du verstehst es wirklich, jemanden aufzubauen“, entgegnete ich finster. Diese vergleichsweise kleinen Unannehmlichkeiten hatte ich bis eben vollkommen vergessen.

„Hey, ich versuch’s wenigstens. Kannst du’s besser?“

„Nein“, musste ich zugeben und hatte plötzlich Nicks Handfläche auf der Stirn. „Bist du krank? Das war die Gelegenheit, mit mir zu streiten! Mich fertig zu machen, mich mit logischen Argumentationen niederzuwalzen und in tagelange Depressionen zu stürzen, wie du das sonst immer tust, und du sitzt einfach da und stimmst mir zu?! Kori, was ist los?! Lass dich doch nicht so hängen. Das ist nun echt übertrieben für so ein Bisschen Unterricht.“

„Addiere zu den von dir genannten Dingen vier Vampire, einer von mir ermordet, einen Überfall im Aufzug, inklusive unfreiwilliger Blutspende, einen knapp verfehlten Rausschmiss aus der Firma und eine Ohrfeige von einem arroganten Sesselfurzer, der meinem Chef vorspielt, er hätte eine Schraube locker. Wenn du all diese Summanten zusammennimmst, ist meine schlechte Laune dann in deinen blauen, naiven Äuglein gerechtfertigt, Gary-Schatz?“

Nick ließ sich sehr viel Zeit, um diese lange Aufzählung zu verdauen. Einige angenehm stille Sekunden verstrichen, in denen er die wichtigsten Informationen aus meiner Aussage herausfilterte. „Moooment mal“, ging er dann zum Gegenangriff über. „Was soll das heißen, ich bin naiv?“

Ich ließ meinen Kopf spontan auf die Platte des Tisches fallen, an dem ich saß. Dieses Wesen konnte doch nicht wirklich existieren. Es musste doch so etwas wie Evolution auf diesem Planeten geben! Seufzend bettete ich mein Haupt nachträglich auf meine Unterarme und versuchte, Nick nicht wahrzunehmen. „Ersetze „naiv“ einfach durch „dämlich“, okay?“, nuschelte ich hilflos, bevor das Unvermeidliche geschah.

„Nein, du hast „naiv“ gesagt. Wir diskutieren das jetzt aus“, verlangte er. „Eher gibt’s keine Pizza.“

„Wenn du eben diese nicht bald aus ihrer Folie nimmst, während sie da im Ofen vor sich hin schmort, wird es auch so keine geben“, bemerkte ich trocken.

„Waaah!“, kreischte Nick, riss den Ofen auf und angelte die Pizza heraus. „Warum sagst du mir das erst jetzt?!“

„Bevor es nach geschmolzenem Plastik roch, ist es mir nicht aufgefallen. Außerdem bin ich davon ausgegangen, dass du als Pizzabote in der Lage sein solltest, eine Pizza aufzutauen, ohne dir eine Rauchvergiftung einzuhandeln.“

„Komm mir nicht mit deiner Pseudo-Logik! Das hier hat mit meinem Job überhaupt nichts zu tun!“

„Da hast du recht, es hat mit deiner Schusseligkeit zu tun. Irgendwer muss dich als Baby auf den Kopf fallen gelassen haben. Anders kann ich mir das langsam nicht mehr erklären. Und jetzt hör endlich mal auf, hier rumzuzicken, das ist ja nicht zum Aushalten. Kein Wunder, dass du nie eine rumgekriegt hast, die ich für dich angegraben habe.“

„ICH zicke? Was soll das wieder heißen? Ist das wieder eine deiner Anspielungen auf mein weibliches Aussehen?“

Er realisierte, was er gesagt hatte. „Mein deiner Meinung nach weibliches Aussehen wohlgemerkt“, beeilte er sich, richtig zu stellen, „Ich sehe nämlich kein Stück - “

„Nick“, unterbrach ich ihn, „in was für einer Welt lebst du? Gibt’s in deinem Paralleluniversum keine Spiegel oder hast du n Sehfehler? Hey, das würde auch deine Tollpatschigkeit erklären. Du brauchst ne Brille!“

„Meine Augen sind völlig in Ordnung!“, empörte er sich, „Aber wie wär’s denn, wenn du deine Wahrnehmung mal überprüfen la...?“

„Komme ich ungelegen?“, erkundigte sich jemand aus dem Türrahmen der Küche heraus.

„JA!“, brüllten Nick und ich aus einem Munde. Es dauerte einen Moment, bis zu uns durchdrang, wer da gerade zu uns gestoßen war. „Eli...“, fing sich Nick als Erster.

„Solltest du deine Energie nicht lieber für den Ausbau deines magischen Wissens nutzen?“

Wofür auch immer er seine Energie zu nutzen gedachte, ich nutzte die mir verbliebene, um mir den alten Mann im Türrahmen genauer anzusehen. „Eli“ war etwa 50, hatte eine leicht gebeugte Körperhaltung, einen Stoffbeutel in der Hand und eine Oliver-Twist-Mütze auf dem Kopf, die ein wenig schief saß. „Willst du mich nicht vorstellen, Nick?“, appellierte er an dessen Manieren.

„Äh klar, das ist Eliphas. Eli, das ist Kori.“

„Sehr schön. Möchte der junge Herr mir nun erklären, warum ihr hier in der Küche schwatzt, statt euch in der Halle einzufinden, wo ich seit einer Viertelstunde auf euch warte?“

„Öh... also“, begann Nick.

„Warum sollten wir da warten? Nick, hast du nicht gesagt, der Alte kommt und geht sowieso, wann es ihm passt?“, wandte ich ein.

„Ja, schon... Ja! Du hast recht! Warum sollten wir da warten?!“

„Ronga sagte mir schon, du seiest einer von diesen vorlauten Hobbydozenten“, seufzte Eliphas im Tonfall eines alten Mannes, der Mitleid mit der unverbesserlichen Jugend hatte, „Können wir dann jetzt hinübergehen?“

Wundert mich gar nicht, dass Ronga und er sich kennen, dachte ich amüsiert, Geschwollen reden können sie beide prima.

Wir folgten ihm durch den Flur eine kurze Treppe hinab, um zum hinteren Teil des Gebäudes zu gelangen, der aufgrund der leichten Neigung des Grundstücks etwas tiefer lag. Nick öffnete eine große Schiebetür und offenbarte uns „die Halle“, einen riesengroßen Wintergarten mit hoher Decke, dessen Wände bis auf jene mit der Tür, durch die wir kamen komplett verglast waren. Über uns war ein klarer Nachthimmel zu sehen. Der Mond warf sein gespenstisches Licht auf die hellen, marmornen Fliesen zu unseren Füßen. Möbel gab es bis auf einen kleinen Korbsessel in einer Ecke keine. Dennoch hatte ich das Gefühl, der Raum wäre vollgestopft mit lauter Dingen, die Schatten warfen. Hatte Nick vielleicht deshalb lieber in der Küche gewartet?

Eh ich darüber nachdenken konnte, betätigte Eliphas den Lichtschalter und zwei an der Türwand angebrachte Leuchten machten dem Spuk ein Ende. „Das Magiesystem ist im Großen und Ganzen in drei Stufen unterteilt“, belehrte er uns, während er den Raum durchquerte und seinen Beutel neben den Korbsessel stellte. Er selbst nahm darauf Platz, sodass das Geflecht unter dem weißen Sitzkissen leise knirschte. „Die meisten schaffen es zu Lebzeiten bis zur Zweiten, aber einigen wenigen ist es auch vergönnt, die dritte Stufe zu erklimmen, auf der sie die Magie allein Kraft ihrer Gedanken befehligen. Man beginnt jedoch damit, die Sprache als Instrument zur Nutzung der Kräfte zu bedienen und verlegt sich dann in der zweiten Stufe auf bezeichnende Bewegungen.“

Ich unterdrückte ein Gähnen. Mein gelangweilter Gesichtsausdruck wurde von Nick mit einem leichten Augenrollen in Richtung des Alten beantwortet. „Soweit zur Theorie“, fuhr Eliphas unbeeindruckt fort, „Damit will ich euch nicht zu lange aufhalten. Nick sollte diese Dinge ja sowieso schon wissen und was dich angeht, mein junger, aufmüpfiger Freund, so fällt dir das Lernen aus Büchern sicherlich leicht. Das ist fast immer so bei sozial deformierten jungen Männern.“

Die bissige Antwort lag mir bereits auf der Zunge, doch ich war klug genug, sie herunterzuschlucken. Es war schwer, jemandem etwas auszureden, von dem beide Gesprächspartner genau wussten, dass es im Kern stimmte. Ich war nicht gerade ein Menschenfreund, das war ein offenes Geheimnis.

„Macht ihr Zwei also ein paar Liegestütze und ich kümmere mich derweil um den Aufbau. Dann kommen wir sofort zum praktischen Teil unserer heutigen Stunde. Nick, du brauchst ein wenig Verfeinerung bei der Teleportation und Kori braucht...“ Er machte eine lange Pause, für die ich ihm gern den Hals umgedreht hätte „... einen Anfängerkurs.“

„Liegestütze?“, fragte Nick beleidigt. „Probierst du da eine neue Unterrichtsmethode?“

„Nein“, antwortete Eli gelassen. „Aber da du jetzt einen Gegner zum üben hast, könntest gerade du ein wenig Sport gebrauchen.“

„Soll auch sehr appetitanregend wirken“, stichelte ich und piekste Nick zwischen die Rippen. „Und wenn nicht, setzt du immerhin Muskelmasse an.“

„Zehn für Nick, fünfzehn für dich. Das erscheint mir angesichts deiner pubertären Überheblichkeit nur gerecht“, fand der Alte, „Ihr habt Zeit, bis ich meine Zigaretten gefunden habe.“

Gehorsam ließen wir uns auf dem glatten Boden nieder, wo Nick zehn Bauchklatscher und ich fünfzehn ziemlich krumm geratene Liegestütze machte. Eliphas kramte unterdessen in seinem Beutel herum und schnaubte dabei verärgert. Ich gönnte es ihm von ganzem Herzen, dass er sein Rauchwerk nicht fand. Als wir wieder aufstanden, hatte er gerade mal einen einzigen Glimmstängel aus der Tasche seines Altherrensakkos zu Tage fördern können und auch der befand sich in einem traurigen Zustand. Er steckte sich die Zigarette trotzdem in den Mundwinkel. Zufrieden musterte er uns, wie wir da vor ihm standen, beide ein wenig schwerer atmend und schon sehr viel ruhiger als zuvor. „Ihr schlagt euch recht gut bisher, meine jungen Recken“, grinste er schadenfroh. „Ach, Kori, haste mal Feuer? Ich brauch echt ne Fluppe, sonst lauf ich hier gleich Amok.“

„Hey, Eli, wolltest du nicht aufhören?“, fragte Nick mahnend, während ich versuchte, möglichst gleichgültig dreinzuschauen, obwohl die erhabene Fassade meines neuen Lehrers plötzlich einen gigantischen Riss bekommen hatte.

„Ach halt die Klappe. Das ist... eine Anstandszigarette. Zum gebührenden Abschied sozusagen“, entgegnete Eliphas leichthin. Im selben Moment fühlte Nick sich von einem großen Apfel am Kopf getroffen. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, zu fragen, wo der herkam. Nicks verdatterter Gesichtsausdruck war sowieso viel zu komisch, als dass ich einen klaren Gedanken hätte fassen können. „Aua“, empörte sich mein Mitstreiter, während ich schallend lachte.

„Ich habe dir gesagt, ich würde deine Reflexe prüfen, Nicolas“, erinnerte Eli gelassen. „Sei froh, dass es nur ein Apfel war und kein“ – etwas sauste auf mich zu, ich fing es und schnitt mir dabei kräftig in die Handfläche – „Messer. Keine Angst, das sollte bei dir schnell abheilen. Fünf Minuten und du siehst nicht mal mehr n Kratzer.“ Er lächelte vielsagend von seinem Sessel zu uns herüber. „Gute Reaktion. Das wird anscheinend doch noch n lustiger Abend. Vorausgesetzt, du zündest mir endlich mal meine Kippe an.“

Ich trat an ihn heran, konzentrierte mich und spuckte mir eine kleine Flamme in die Hand. Nun, zumindest wollte ich das, doch das Flämmchen geriet mir zu einem Feuerball von einem Viertelmeter Durchmesser. Eliphas schnaubte verächtlich. „Willst du mir das ganze Gesicht verbrennen, Junge?“

„Das ist eine rhetorische Frage, oder?“, entgegnete ich mürrisch. Eliphas brachte das Feuer mit einem kurzen Blick auf eine handhabbare Größe und hielt seine Zigarette daran. „Nimm dir deine Munition aus dem Beutel“, befahl er ungerührt, „Wenn ihr weiter so rumtrödelt, seid ihr wieder total steif, bis es endlich losgeht.“

Neugierig durchstöberte ich den Jutebeutel, doch das einzige, was ich darin fand, waren weitere Exemplare des Steakmessers, das mir der Alte zuvor entgegengeschleudert hatte. „Äh, Essbesteck?“, fragte ich vorsichtig.

Eliphas seufzte wieder. „Nicolas, du hast mir ja gesagt, dass er strohdoof ist, aber dass er so auf der – wie heißt das noch – Leitung sitzt...?“

„Steht“, korrigierte ich lahm.

Er räusperte sich ertappt, verzog kurz unkontrolliert das Gesicht, fand dann aber doch eine gute Entgegnung: „In deinem Fall eindeutig „sitzt“. Natürlich Essbesteck. Was hast du erwartet? Vayische Sensen, Mythoidenpigmente, ja womöglich Muligandolche? Weißt du wie empfindlich teure Waffen sind? Für einen Anfänger wie dich sind Steakmesser bei weitem ausbalanciert genug. Jetzt schnapp dir endlich ein paar von den Dingern, bevor dem armen Nicolas seine Latschen einschlafen und dann geh da rüber. Nick, du an die andere Wand.“

Wir taten wie geheißen, bezogen jeweils an den Kopfenden des Raumes Stellung, Nick mit seinem Apfel, ich mit den lächerlichen Messern. „Nick, gib mal den Apfel rüber. Wir sind hier schließlich nicht bei Wilhelm Tell und ich hab Hunger.“

„Ich aber auch“, beschwerte sich Nick, „Meine Pizza ist schließlich nichts geworden.“

„Interessiert mich nicht. Her mit dem Apfel. Zeig ein Bisschen Respekt vor dem Alter.“

„Nein!“, beharrte Nick.

„Guuut“, maulte Eliphas, „Ich habe kein Problem damit, wenn dir dein lieber Freund da drüben gleich den Schädel durchbohrt. Dann eben ohne Vorübungen. Kori? Ihr habt euch doch so schön gestritten, als ich kam. Jetzt ist die Zeit gekommen, dies fortzusetzen. Tob dich aus, schmeiß ihm ein paar Messer an den Kopf. Und nur nicht zimperlich sein.“

Ich schaute zwischen den Messern und Nick hin und her. War das ein Test? Ich wusste doch genau, wie tollpatschig er war und die Beule an seinem Kopf bestätigte, dass es auch mit seinen Reflexen nicht weit her war. „Ich soll wirklich...?“, erkundigte ich mich unschlüssig.

„Nun mach schon“, erwiderte Eliphas genervt, während Nick ein Gesicht machte, als vermute er hinter dessen Worten einen sehr schlechten Scherz. „Kann ich nicht doch lieber den Apfel...?“, bat er. „Kori! Jetzt WIRF endlich!“, fuhr der Alte ihm dazwischen.

Wenn er denn unbedingt wollte... Ich machte eine müde Ausholbewegung und warf eines der Messer grob in Nicks Richtung. Der sprang erschrocken beiseite. „Ey, Kori, spinnst du?!“, erboste er sich. „Du kannst doch nicht ernsthaft...! Die sind scharf, Mensch!“

„Genau, spinnst du?!“, schloss sich Eli ihm an. „Du willst ihn doch verletzen und nicht mit ihm kuscheln! Das ist ja nicht zum Aushalten! SO macht man das!“ Er griff in den Beutel zu seinen Füßen, nahm drei der Messer heraus, schleuderte sie direkt nacheinander zielsicher auf die Stelle, wo Nick stand. Sie verfehlten ihn nur um Haaresbreite und auch das wäre nicht so gewesen, hätte der arme Tölpel nicht rechtzeitig einen Ausfallschritt zur Seite gemacht. „Jetzt du. Und ich weiß, dass du es besser kannst. Glaub nicht, ich wüsste nichts von deinen bizarren Talenten.“

Er meinte es wirklich ernst. Aber ich konnte doch Nick nicht einfach mit Messern bewerfen! „Natürlich kannst du“, schaltete sich Eliphas ein. Die Tatsache, dass er wusste, was ich dachte, hätte mich verblüfft, hätte Ronga das Kunststück des Gedankenlesens nicht auch schon an mir vollführt. Auch meine Erinnerungen schien er durchstöbert zu haben, den er fuhr fort: „Er hat dich immerhin heute morgen geweckt, als du deine Ruhe wolltest.“ Aber das war doch kein Grund, jemanden abzustechen. „Und er hat deine Post durchwühlt.“ Meine Hand zuckte kurz. Nick wich vorsichtshalber etwas zurück. „Sicher hat er das, aber ich krieg eh nie private Briefe. Halb so wild“, sagte ich ausweichend.

„Und er hat perverse Fantasien, in denen Jazz die Hauptrolle spielt.“

Ich warf so viele Messer auf einmal, wie ich irgendwie in die Hand bekommen konnte. Die Klingen schossen auf Nick zu wie geölte Blitze, ließen ihn kreischend durch den Raum rennen und die waghalsigsten Sprünge vollführen. Leider traf ich nicht ein einziges Mal. „Koriii“, schrie er. „Bist du vollkommen irre?! Das ist doch gar nicht wahr! Ich würde Jazz niemals auch nur schief angucken!“

Er log. Wann würde er endlich begreifen, dass man ihm das sofort ansah? Der Beutel schlitterte über den Boden. Stoppte, begleitet von einem leisen Klirren, an meinem Schienbein. Ohne zu zögern langte ich hinein und warf die nächste Salve. Der sollte es noch mal wagen, meiner Exfreundin nachzuglotzen! Ein weiteres Messer sirrte durch den Raum, beschrieb einen leichten Bogen, während es sich unentwegt um sich selbst drehte. Ich wusste, es würde treffen und das wusste auch Nick.

Doch seine Füße waren plötzlich wie mit dem Erdboden verschmolzen. Er kam nicht vor und nicht zurück. „Eli!“, schrie er und riss im selben Moment die Hände vor’s Gesicht. Nur noch wenige Umdrehungen trennten ihn und die Klinge voneinander. Seine Visage mochte er schützen können, doch darin würde das Messer nicht landen. Ich hatte wesentlich tiefer gezielt, aber offensichtlich hatte Nick nicht den leisesten Schimmer von Wurfparabeln. Geradewegs sauste das Besteck auf ihn zu. Mich interessierte es kaum. Aus irgendeinem Grund war ich rasend, völlig außer mir und zugleich völlig konzentriert auf das, was ich tat. Meine Hand griff noch im Abschwung der Wurfbewegung wieder in den Beutel, bereit, ein weiteres dieser Geschosse durch den Raum fliegen zu lassen.

Als ich mich jedoch wieder aufrichtete, erstarrte ich mitten in der Bewegung. Ebenso wie das Messer es getan hatte, das jetzt unbewegt vor Nicks Körpermitte in der Luft hing. Dieser schaute an sich herunter, ein böses Lächeln auf den Lippen. Langsam, sehr langsam, krempelte er die Ärmel seines Schlabberpullovers nach oben, die ihm kurz darauf wieder über seine dürren Ärmchen rutschten. „Das wolltest du nicht wirklich...“, unterstellte er mir drohend, trat allerdings sicherheitshalber doch einen Schritt zur Seite, falls es sich das Steakmesser doch noch mal anders überlegte und seiner Männlichkeit ernsthaften Schaden zufügte. Seine Füße hatte Eliphas wohl wieder freigegeben. Am Rande nahm ich wahr, wie der alte Mann genüsslich paffte und die Beine übereinander legte. „Na also“, grinste er auf seinem Korbstuhl, „Verfeuer noch schnell den Rest und dann sind wir auch schon fertig.“

„Kann... nicht...“, knirschte ich mühsam, verzweifelt bemüht, mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Ich war nicht fähig, auch nur den Arm zu heben. Selbst das Sprechen war mit einem Mal zu einer echten Herausforderung geworden. Unser Lehrer lachte, was in einem bellenden Raucherhusten endete. „Nick“, scherzte er mit kratziger Stimme. „Du solltest eigentlich nur die Messer erstarren lassen und nicht ihn.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Nochnoi
2007-10-18T18:01:57+00:00 18.10.2007 20:01
Ich muss gestehen, ich liebe dieses Kapitel!! ^______^
Ist mir schnuppe, dass es nichts zur Haupthandlung beiträgt, von mir aus kannst du gerne hunderte solcher Kapitel schreiben XDD Einfach herrlich!
Allen voran natürlich Eliphas, der mir gleich supersympathisch war! Ich steh auf so verrückte Knacker, die keinerlei Erbarmen mit der Jugend zeigen und gern mal den einen oder anderen quälen XDD
Und die Kori-Nick-Dialoge sind immer wieder klasse ^^ Ich liebe die beiden einfach!


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