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Die stummen Wirrungen des Gei

oder die tragische Suche nach inneren Begierden
von

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Aus Bösem wird Gutes

– „Oh god, a little part of me died inside…“

– “That was the weak part, now you are stronger.” (Anonymous, Internet)
 

Ich war dabei, den Kampf zu verlieren.
 

Ich hatte mich zu weit in eine Situation verrannt, aus der es keinen nahe liegenden Ausweg zu geben schien, also suchten sich meine unbewussten Denkprozesse ihren eigenen Weg.

Einen Weg, den ich unter normalen Umständen zu keiner Zeit freiwillig gehen würde.

Doch es war eine außergewöhnliche Situation und was sich einst als hypothetisches Gedankenexperiment in meine Überlegungen eingeschlichen hatte, hatte langsam und beständig immer plausiblere Züge angenommen. Aus einem im Scherze gedachten Unding, das sich nicht auf meine gelebte Realität übertragen ließ, wurde eine mir fremde, aber nichtsdestotrotz existente Handlungsweise, wurde eine Option, wurde ein Plan.

Ich will nicht behaupten, ich würde mich für den Gedanken schämen. Es war nur folgerichtig, dass ich in meinen unermüdlichen Überlegungen auch auf diese Lösung gekommen war.

Jedoch entsetzte mich, auf welch subtile Weise dieser Gedanke gekeimt hatte, wie sich seine Ranken an allen moralischen Instanzen vorbei geschlichen hatten, er aufgeblüht war und mir schließlich ein Übermaß an saftigen Früchten anbot: „Nimm uns, du brauchst bloß deine Hand auszustrecken! Alle deine Probleme werden gelöst sein, sobald du tief in unser süßes Fleisch gebissen hast.“

Mit schier unanfechtbarer Autorität rechtfertigte die einfache und konsequente Logik meinen Sündenfall.

Ich begann mein moralisches Versagen zu akzeptieren und öffnete damit nur weitere Lücken, in die die sirupartige Verwerflichkeit sickern konnte, um meine Vernunft zu verstopfen und meinen Menschlichkeit zu vergiften.
 

Als ich mich das erste mal bei dem Gedanken ertappte, meine Seele an den Teufel zu verkaufen, schreckte ich vor Entsetzen zusammen und widerte mich vor mir selbst.

Beim nächsten mal verdrängte ich den Gedanken nur noch.

Danach ließ ich ihn zu.

Und überdachte ihn.

Und überarbeitete ihn.
 

Ist es nicht der größte Ausdruck seiner Liebe, für sie Gesetze zu brechen?

Sich und alles was seine Menschlichkeit ausmacht, für sie zu opfern?

Für einen Moment der innigen Verbundenheit, einen Moment verschmolzener Entitäten, die Ewigkeit zu büßen?
 


 

Verstohlen hastete ich knapp über dem Boden über die spärlich beleuchtete Straße und schlich mich im Schatten der Wohnhäuser zu meinem Ziel. Die von Ginko-Bäumen gesäumten Gehwege boten genug Deckung, um nicht von zufälligen Beobachtern entdeckt zu werden.

Nicht, dass es viele Beobachter geben hätte. Es war Dienstag kurz nach 2 Uhr nachts. Niemand würde um diese Uhrzeit den diffusen Schatten bemerken, der durch das Zwielicht anonymer Häuserschluchten huschte.
 

Als ich die Außentreppe zu seiner Wohnung erreichte, holte ich tief Luft und blieb eine Weile regungslos stehen, um mein wild schlagendes Herz zu beruhigen.

Es schien in einer Lautstärke zu hämmern, die noch meilenweit zu hören sein müsste.

Auf einen normalen Puls konnte ich mich nicht beruhigen, zu sehr versetzten mich die vor mir stehenden Momente in Aufregung.
 

Würde es gelingen?

„Ja“, redete ich mir mit gespielt überzeugter Stimme ein, in der Hoffnung, ich könnte mich selbst überzeugen: „Ja, es wird gelingen.“
 

Ich schlich weiter, von Schritt zu Schritt langsamer und vorsichtiger werdend.

Näherte mich der Tür, wollte an ihr vorbei, um einen absichernden Blick in das Fenster zu werfen und dann ging alles ungeheuer schnell. Ich erhielt einen brutalen Schlag ins Gesicht, wurde gegen das Geländer geschleudert, nahm ein helles Licht wahr, verlor mein Gleichgewicht, taumelte, fühlte wie warmes Blut meine Schläfe hinab lief, kippte über, suchte mit meinen Armen Halt, fand keinen, wusste nicht mehr, wo oben ist, spürte keinen Boden mehr, spürte Schmerz, hatte panische Angst, sah eine Gestalt aus meinem Blickfeld verschwinden, sah den Himmel, spürte Luft um mich herum strömen, spürte einen unerträglichen Schmerz in meinem Rücken explodieren, verlor mein Bewusstsein.
 

Als ich erwachte, spürte ich zwar immer noch einen tauben Schmerz im Rücken, über den ganzen Körper verteilte Schürfwunden und mein Kopf dröhnte, als ob er in einem Schraubstock eingespannt wäre, aber davon abgesehen schien ich unverletzt oder zumindest keine dauerhaften Verletzungen davon getragen zu haben.

Es war dunkel und der Himmel über mir war bewölkt und aus den Augenwinkeln heraus konnte ich das Geländern über mir sehen, von dem ich hinabgestürzt war.

Ich blieb regungslos liegen, um die Lähmung abzuschütteln, die mein Denken und meinen Körper durchzog und jede Bewegung als unermessliche Strapaze erscheinen ließ.

Meine Lider wurden schwer und schwerer, also schloss ich sie langsam, um ihnen Ruhe zu gönnen. Die Welt um mich herum verschwand in völliger Dunkelheit und friedlicher Ruhe.

Durch einen dicken Schleier konnte ich die fernen Geräusche einer nächtlichen Stadt hören: Gedämpfte Motorengeräusche, das sanfte Säuseln des Windes in Geäst der Bäume, entfernte Schritte und alle die anderen leisen Töne, die nur in tiefster Nacht hörbar sind.

In träger Entspannung eingelullt, breitete sich eine angenehme Wärme in mir aus. Ich war müde, entsetzlich müde. Ich fühlte, wie ich in einen Dämmerzustand abdriftete und sehnte mich nach dem Schlaf, den ich gleich finden würde... den erlösenden Schlaf, den ich gleich finden würde... den erlösenden Schlaf... gleich den Schlaf... finden... Schlaf... gleich... Schlaf... Erlösung...
 

Ein sanfter Druck bewegte sich über meinen Körper, fuhr ihn ab, tastete nach Unförmigkeiten.

Ich gab mich gänzlich diesem Gefühl hin, erhob es zu dem Richter über mein Lebensglück, erlitt Höllenqualen, als es absetzte und wähnte mich im siebten Himmel, als es an anderer Stelle wieder auftauchte.

Selbst meinem eigenen Körper bemerkte ich nur noch an Stellen, über die der lebensspendende Druck seine heilende Wärme strich.

Losgelöst von Zeit und Raum vergingen Äonen, in denen für mich nichts existierte außer dem erlösenden Gefühl, das Lebenssinn schuf und einziger Lebensinhalt war.
 

Doch auch Äonen vergehen und ich begann mich einem Embryo gleich von der alleinigen Fixierung auf die Nabelschnur zu lösen und die Welt außerhalb der Geborgenheit des Lebensbandes wahrzunehmen. Dumpfe Laute der Außenwelt drangen durch die schützenden Schichten, unverständliche Töne, die sich erst mit Sinn füllen würden, wenn meine Metamorphose vollendet sein wird. Lichtmuster färbten die Lider meiner geschlossenen Augen in diffusen Rottönen. Ich spürte kühlen Stein unter meinem Körper und den warmen Druck auf meinem Bauch. Den Druck, der meine Wiedergeburt befähigte. Das wirkende Kraft meines Erlösers. Den Erzeuger, den ich sehen wollte, um in seiner Liebe zu baden.

Ich öffnete die Augen und sah einen Engel, eine leuchtende Lichtgestalt, von einem strahlenden Heiligenschein umgeben, der mich blendete.

Ich blinzelte, das Licht wurde schwächer und nahm Konturen an, wurde zu einer menschlichen Gestalt, einem Mann, der neben mir kniete und meinen Körper nach Verletzungen abtastete, einem jungen Mann mit vertrauter Form. IHM.
 

Der Kreis hatte sich geschlossen.

Bei unserer ersten Begegnung - nein, bei unserer ersten Berührung! - war er der Hilflose. Jetzt, nach Wochen heimlicher Beobachtung, kam es zu unserer zweiten Berührung - für ihn auch sicherlich auch die zweite Begegnung. Diesmal war ich der Hilflose.

Zum ersten mal in meinem von Schicksalsschlägen geplagten Leben, in dem ich immer stark sein musste und mir keine Schwäche erlauben konnte, genoss ich es, nicht Herr der Lage sein zu müssen und mich einem anderen gänzlich öffnen und anvertrauen zu dürfen.
 

Er hatte mich noch nicht bemerkt und ich vermied es, ein Lebenszeichen von mir zu geben, in der Befürchtung, dass sich dadurch der Moment auflösen würde und sich alles als eine Illusion herausstellen könnte. So starrte ich ihn nur wie hypnotisiert an.

Bis ich merkte, dass auch er mich anstarrte und lächelte. Ein Lächeln zum dahinschmelzen. Ich schaute in zwei pechschwarze Augen, die mich liebevoll ansahen und verlor mich in ihrer Tiefe, schien hineingezogen zu werden. Die Augen wurden größer und größer, bis nichts mehr um sie herum existierte.

Sie wurden nicht wirklich größer, sondern kamen meinen eigenen näher. Genauso wie sich sein Mund dem meinen näherte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  midoriyuki
2008-06-25T00:05:47+00:00 25.06.2008 02:05
Verdammt das ist mal sowas von genial*_*
Da kann man sich super rein versetzen und die Gedankengänge die du beschreibst sind absolut nachvollziehbar...Obwohl du ja eigentlich einen Charakter skizzierst der "normalerweise" Angst oder zumindest Unbehagen hervorrufen sollte...Ein psychisch labiler Stummer, der sich zum Stalker entwickelt und sein Leben in Abhängigkeit zu seinem "Opfer" stellt...Find das wirklich extrem gut ausgearbeitet und freu mich schon aufs nächste Kapitel x3
Also schnell weiterschreiben ja^^


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