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Sunrise

Wherever I am
von

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Ein neues Leben

Willkommen zu Sunrise, einer meiner Lieblingsstorys, weil sie mal einen richtigen Plot hat und nicht nur schnulzig ist - andererseits, alle ohne Plot hab ich eh grade von mexx gelöscht, muhaha.

Trotz allem hat die Story zwei Kunstfehler, die mir aber erst aufgefallen sind als es schon zu spät war, also bitte verzeiht mir!

1. Ich weiß eigentlich, dass Kaori kein chinesischer Name ist, doch auf meiner Suche hab ich einfach keinen anderen passenden gefunden, außerdem wurde er mir auf einer Seite für chinesische Namen angezeigt - ich hab mich zwar gewundert, doch erst später bemerkt, dass die Internetseite unrecht hatte, sorry.

2. Ich weiß inzwischen auch, dass Kimonos ebenfalls japanisch und nicht chinesisch sind, verzeiht mir bitte ebenfalls.

So, nun goodbye für den Rest der Story.
 

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Ein neues Leben
 


 

Kaori fiel hin - viel zu lang war sie durch den Wald gerannt, hatte nie den Kopf gehoben, hatte still gebetet und gewartet.

Ich werde dir ein Zeichen senden, wenn ich im nächsten Leben angekommen bin…

Kaori begann wider ihrem Versprechen gegenüber der Großmutter zu weinen.

»Warum schickst du mir dann kein Zeichen? Warum dauert das so lange?!«, rief sie in den Wald hinein.

Doch nichts geschah, nur ein paar Vögel flatterten auf, fächerten ihre Schwingen gen Himmel und verschwanden über den Baumwipfeln.

Warum konnte Kaori kein Vogel sein? Dann könnte sie fliegen wohin sie wollte, zu ihren Eltern, zu ihrer Großmutter…

Doch einem Menschen, wie ihr, blieb das Fliegen verwehrt. Sie konnte den Vögeln nicht folgen

Kaoris Bauch knurrte, doch sie fühlte sich viel zu schwach zum Aufstehen, obwohl sie den Waldrand bereits erkennen konnte.

»Wieso hast du mich allein gelassen?«, fragte sie und weitere Tränen rannen über ihr Gesicht. »Und wieso hast du es mir gesagt?«

Kaori, ich werde bald diese Welt verlassen. Aber davor musst du wissen, dass ich nicht deine leibliche Großmutter bin…

Warum? Warum hatte sie dieses Geheimnis nicht mitnehmen können? Warum hatte sie ihre siebenjährigen Enkelin noch erzählen müssen, dass sie sich ihr nach dem Tod ihrer Eltern angenommen hatte, obwohl sie nur auf der Durchreise gewesen war?

Sicher, es war selbstlos gewesen, vor allem, da die Vorräte ohnehin nie ganz gereicht hatten, aber Kaori hatte es einfach nicht wissen wollen, sie hätte gut ohne dieses Wissen weiterleben können.

Du bist ganz allein, wisperte eine Stimme in ihr. Die Frau, die dich einst aufgenommen hat, ist tot. Es gibt niemanden auf der Welt, dem du etwas bedeutest.

Doch! Es gibt ganz bestimmt jemanden!, widersprach eine andere Stimme mit kindlichem Aufbegehren.

Kaori stand mit letzter Kraft auf.

»Ich werde ihn finden, diesen jemand! Ich werde mein Glück finden!«, rief sie und lief auf den Waldrand zu.

Kaum kam sie aus dem dichten Wald, sah sie ein nahezu riesenhaftes Anwesen vor sich.

Mit letzter Kraft schleppte Kaori sich dort hin, brach erneut zusammen und blieb liegen.
 

Die siebenjährige Chinesin erwachte von einem unsanften Tritt in den Bauch.

Vor ihr stand ein Junge in weißen Leinenhosen und einem blauen Arbeitskittel und sah sie finster an.

»Verschwinde vom Anwesen der Zhaos! Los, geh!«, rief er und stieß sie erneut mit dem Fuß an.

»Bitte«, flüsterte Kaori und versuchte sich hinzuknien. »Ich habe solchen Hunger, bitte gebt mir etwas zu essen, ich tue alles!«

Der Junge blinzelte, er mochte kaum älter sein als sie.

»Sag das nicht!«, hauchte er plötzlich und in seinen Augen stand Furcht.

»Warum dauert das solange, Jian?!«, hörte Kaori eine keifende Frauenstimme und eine Tür wurde auf der Terrasse, die man über eine hüfthohe Treppe erreichen konnte, aufgeschoben.

»Bitte! Ich tue alles für ein wenig Essen!«, murmelte Kaori kaum bei Sinnen.

Die hagere Frau über ihr stand mit zusammengekniffenen Lippen und mit verschränkten Armen da. Sie zog die Augenbrauen hoch.

»Alles, ja?«, vergewisserte sie sich.

Kaori nickte nur schwach.

»Wo kommst du her?«, fragte sie Kaori weiter. »Hast du Familie?«

»Nein…«, murmelte Kaori und ihr Blick schweifte einen Moment in die Ferne.

»Niemanden? Suchst du ein Zuhause?«, wollte sie wissen und ihre Stimme wurde honigsüß. »Wenn du dich verpflichtest für zehn Jahre hier zu arbeiten, bekommst du zu essen und einen Schlafplatz, was hältst du davon?«

»Alles, aber bitte… ich habe solchen Hunger…«, flüsterte Kaori.

»Jian, bring ihr zu essen und zu trinken! Dann besorg ihr Arbeitskleidung und einen Platz bei den anderen Mädchen! Ab sofort gehört sie zu euch!«, forderte die Frau den Jungen mit strenger Miene auf.
 

Neun Jahre später lag Kaori nackt in einem herrschaftlichen Bett. Ihr Herr zog sich gerade wieder an.

»Bind mir das Haar zusammen!«, forderte er.

Sie richtete sich in sekundenschnelle und dennoch geschmeidig wie eine Katze auf.

Das Mädchen suchte panisch nach dem Haarband, fand es schließlich auf einem Schränkchen, fasste vorsichtig die mehr als schulterlangen, glatten schwarzen Haare ihres Herrn zusammen und band sie zu einem Zopf.

Er drehte sich um.

»Ging das nicht schneller?! Dummes Ding! Für was bist du eigentlich zu gebrauchen?! In der Küche eine Niete, beim Putzen eine Niete und im Bett… pah! Los, geh!«, schrie er Kaori an.

Sie packte rasch ihren unechten Kimono, der nur bis zur Hälfte der Oberschenkel reichte und in dem sie ihren Herrn einmal pro Woche erwarten “durfte”, und verschwand rasch aus dem Schlafzimmer. Vor der Tür schlüpfte sie in das knappe Seidengewand und lief aus dem Wohnbereich der Zhaos, hinab in den Trakt der Untergebenen.

Ein paar der älteren Diener sahen sie lüstern an, doch Kaori war diese Blicke schon so gewöhnt, dass sie ihr kaum mehr etwas ausmachten.

Wie ein Schatten flüchtete sie in das Kämmerchen, das sie sich mit vier anderen Dienerinnen teilte, um sich dort umzuziehen. Schnell tauschte sie den knappen Kimono gegen das raue grüne Arbeitsgewand und lief in die Küche.

»Ah, da ist ja unser Flittchen!«, begrüßte Madame Wang sie. »Wo hast du schon wieder gesteckt?«

»Der junge Herr wollte mich sehen, Wang Nüshi!«, erwiderte Kaori und bemühte sich um eine aufrechte Haltung.

Madame Wang kam auf sie zu.

Seit ihrer ersten Begegnung, damals als Kaori sich hier als Arbeiterin verpflichtet hatte, war Madame Wang von Jahr zu Jahr noch klappriger geworden.

Sie nahm eine Strähne von dem schwarzem Haar der Jüngeren und sah missbilligend die rot gebleichten Spitzen an, die Kaori nach Haussitte als Mätresse eines der Hausherren auswiesen.

»Los, an die Arbeit! Hol fünfzehn Eimer Wasser, wärm sie auf und trag sie ins Bad des ehrwürdigen Herrn!«, befahl sie böse lächelnd.

Kaori nickte nur mit starrer Miene über diese Kraft raubende Aufgabe und eilte hinaus zum Brunnen im Hof.

Mit dem ersten schweren Eimer rannte sie zurück in die Küche, wärmte ihn über dem Feuer auf und trug ihn nach oben ins Bad des alten Herrn.

Die Küchenmädchen erzählten sich untereinander, dass Madame Wang einst die Mätresse des alten Herrn gewesen war und seitdem alle Huren von ihm und seinen drei Söhnen verabscheute. Vielleicht aus Neid?

Es war genau beim fünfzehnten Eimer, als Kaori in Gedanken versunken auf der Treppe stolperte und den Eimer verlor. Das heiße Wasser ergoss sich über ihre ungeschützten Füße und die ganze Treppe hinab.

Sie riss vor Schmerz und Verzweiflung die Augen auf - schon hörte sie wütende Schritte von oben. Jian kam die Treppe hinab. Er schien sie fast so sehr zu hassen wie Madame Wang, vielleicht war er deshalb einer ihrer Lieblinge. Die Küchenaufseherin hatte ihm zum Aufstieg vom Küchenknaben zum Leibwächter eines der jungen Herrn verholfen. Genau dem Herrn, der Kaori als seine Mätresse gewählt hatte.

Sie blickte Jian panisch an.

»Bitte… ich mach es weg!«, begann sie, doch schon verpasste er ihr eine Ohrfeige.

Kaori hielt sich die schmerzende Wange und sah ihn verletzt an, während Tränen des Schmerzes in ihr aufstiegen.

»Schau nicht so! Du solltest mir dankbar sein! Madame Wang hätte dich dafür verprügelt, das wäre weitaus schmerzhafter gewesen!«, fuhr er sie an.

Kaori zitterte unter dem eisigen Klang seiner Stimme.

»Ja, danke, Jian. Bitte erzähl ihr nichts!«, flüsterte sie.

Das “Danke” ging ihr schwer über die Lippen, jedoch wollte sie Jian nicht noch mehr verärgern. Ansonsten kam er noch auf die Idee sie zur Strafe zu verprügeln…

Er zuckte die Schultern und lief wieder nach unten.

Kaori blinzelte die Tränen weg, holte rasch einen Lappen, wischte die Treppe und besorgte einen neuen Eimer.
 

Seit neun Jahren wurde sie hier so behandelt. Am Anfang ging es noch, Madame Wang war nett zu ihr gewesen, auch Jian hin und wieder und sie hatte sich mit den anderen Küchenmädchen vertragen. Dann vor zwei Jahren, als Kaori gerade vierzehn geworden war, hatte Gong Zhao - der jüngste Sohn von Tao Zhao, dem Besitzer des Anwesens - eine Mätresse für sich aus den Reihen der Diener gesucht.

Die Mädchen waren alle erschienen und nachdem Gong nicht schlecht aussah, wäre keine von ihnen traurig gewesen, wäre sie ausgewählt worden… und dann hatte Gong sie, Kaori, ausgewählt. Ihre Haarspitzen waren gebleicht worden, damit man sie gleich erkannte. Beim ersten Mal hatte Kaori herausgefunden, was die wirkliche Aufgabe der Mätresse war - und dass Gongs Charakter dem eines Monsters glich.

Nachdem sie diese Erfahrung hinter sich gelassen hatte, war sie plötzlich anders behandelt worden. Seitdem war sie Madame Wangs ausgesuchtes Opfer und Jian schikanierte sie im Auftrag der Küchenaufseherin wo es nur ging. - Und die anderen Mädchen? Die meisten fassten ihren Neid auf Kaoris Position in hämische Worte - die allesamt von Madame Wang kopiert waren.

Im Moment gab es nur zwei weitere Mätressen, da der alte Herr sich zu schwach für diese Dinge fühlte, nachdem seine Frau gestorben war. Die des ältesten Sohnes - sein Name war Bohai - hatte keinerlei Verpflichtungen mehr im Haus und die des Zweiten - Chonglin - war Zimmermädchen, was bedeutete, dass sich in der Küche die Wut aller immerzu auf Kaori entlud.

Warum bist du hierher gekommen? Weil du jemanden gesucht hast, dem du etwas bedeutest? Dann bist du hier wohl an der falschen Adresse, dachte sie bei sich und lief zurück zu Madame Wang.

Eine nächtliche Begegnung

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Eine nächtliche Begegnung
 

»Warum hat das so lange gedauert?«, schnarrte die Küchenaufseherin.

»Bitte entschuldigt, Wang Nüshi! Habt Ihr weitere Aufgaben für mich?«, fragte Kaori leise.

»Nach neun Jahren solltest du wissen, dass die Arbeit hier endlos ist… Hilf Li und Chen beim Abwasch und Beeilung!«, meinte Madame Wang kalt.

Kaori beeilte sich wirklich und versuchte die bissigen Kommentare der Mädchen während dem Spülen auszublenden. Jian saß in der Nähe und aß Reis mit Gemüse zu Abend. Hin und wieder blickte er zu Kaori hinüber und dann zu Madame Wang.

Die Mätresse schaute flehend zurück. Würde er es etwa doch Madame Wang erzählen?

Erneut stiegen Tränen in Kaori auf. Bei allen anderen Leuten konnte sie sich den Hass noch irgendwie erklären, Jians hingegen erschien ihr vollkommen unbegründet und machte sie vielleicht deshalb so fertig.

Nach zwei Stunden waren sie mit dem gesamten Abwasch fertig und Kaori durfte endlich selbst etwas essen. Es war schon Nacht, so spät war kaum noch jemand in der Küche, bloß zwei Köche für eventuelle Wünsche der Herren und ein paar Mädchen.

Kaori blickte in die Reisschale, die auf dem kleinen Tisch der Küchenmädchen stand.

Sie hatte Glück, es waren noch knapp zwei Schälchen Reis drin, wenn auch kalt.

Kaori aß den Reis wie immer ohne alles, nur wenn sie allein den Abwasch machte konnte sie noch etwas Gemüse von den Tellern kratzen… doch Chen und Li waren erst gegangen, als nur noch die Gläser zum Spülen übrig gewesen waren. Sie hatten Kaoris Trick schon lange durchschaut.

Müde griff Kaori nach dem Wasserkrug und stellte fest, dass er leer war. Sie stand auf, spülte brav ihr Schälchen und die große Reisschale aus und lief dann nach draußen um den Krug am Brunnen zu füllen.

Kaori bemerkte sofort die Gestalt, die neben dem Brunnen lag.

»Oh Gott!«, rief sie und beinah wäre ihr der Krug heruntergefallen. Dann beeilte sie sich zum Brunnen zu kommen und sank neben der Gestalt auf die Knie.

Im Dunkeln erkannte sie erst im letzten Moment, dass es Jian war, der dort lag. Er war keineswegs gestürzt, sondern hatte sich nur bequem hingelegt, die Arme hinterm Kopf verschränkt und die Augen halb offen.

»Was willst du denn hier?«, fragte er und zog die Augenbrauen hoch.

»Äh… ähm… Ich dachte du wärst gestürzt…«, murmelte Kaori und senkte den Blick.

»Für wie bekloppt hältst du mich?«, erwiderte er kühl.

»Es, es tut mir Leid, Jian!«, entschuldigte Kaori sich schnell, sie wusste, dass Jian gerne zuschlug, wenn er genervt war.

Sie stand auf und zog den Wassereimer aus dem Brunnen um den Krug zu füllen.

Plötzlich stand Jian neben ihr.

»Wie ist Gong zu dir?«, fragte er leise und blickte zu Boden.

Kaori hielt im Umfüllen vom Eimer in den Krug inne und das Wasser lief über.

Warum fragte er sie etwas über ihren Herrn?

»Verdammt! Wie dumm bist du eigentlich?!«, fuhr er sie an.

Kaori zuckte zusammen.

Rasch ließ sie den Eimer zurück in die Schwärze des Brunnens gleiten und umfasste den Henkel des Krugs fest.

»Was immer ich dir sage, du wirst es gegen mich verwenden…«, hauchte sie und traute sich nicht ihn anzusehen.

»Ach ja? Hmm, würde ich an deiner Stelle vielleicht auch denken. Ich habe nur gefragt, weil ich wissen wollte ob er sich jedem gegenüber so benimmt, als wäre er ein Gott… Ob er jeden schlägt. Ob er jedem mit dem Tod droht oder mit Peitschenhieben… ob er verdammt noch mal jedem gegenüber so ein Arschloch ist?!«, meinte Jian wütend und zum allerersten Mal galt diese Wut nicht Kaori.

Sie musste lächeln und erntete dafür gleich einen bösen Blick von ihm.

»Warum fragst du ausgerechnet mich sowas?«, hauchte sie. »Ich bin doch der Abschaum der Dienerschaft, ich werde doch von jedem so behandelt…«

Es klatschte Laut, als seine flache Hand zum zweiten mal an diesem Tag ihre Wange traf.

Mit Tränen in den Augen und all ihren Mut zusammenraffend sah sie ihm in die dunklen Augen.

»Siehst du?«, fragte sie.

Anstatt sie ein weiteres mal zu schlagen hoben sich seine Mundwinkel etwas.

Kaori staunte stumm - war das nur eine wütende Zuckung oder wahrhaftig ein halbes Lächeln?! Sowas hatte sie in neun Jahren hier noch kein einziges mal bei ihm gesehen.

»Ja«, murmelte er. »Schon witzig, alle hassen dich und die meisten wissen nicht einmal warum…«

Kaori zuckte zusammen.

»Und was ist mit dir?!«, fuhr sie ihn an. »Weißt du warum?!«

Vielleicht würde sie endlich den Grund erfahren…

Jian sah sie verwundert an und seine Hand bewegte sich langsam auf ihr Gesicht zu, legte sich auf ihre Wange.

Er beugte sich zu ihren Lippen hinab.

»Aber ich hasse dich doch nicht…«, hauchte er und sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht.

Ihr Blick huschte verwirrt zwischen seinen Augen und Lippen hin und her. Er hasste sie nicht? Was sollte das bedeuten?!

Sein Blick wurde eiskalt.

»Ich verabscheue dich nur, kleine Nutte!«

Mit diesen Worten wich er zurück und lief zu seiner Schlafkammer.

Kaori sank zusammen und konnte kaum ihre Tränen zurückhalten.

Götter, lasst mich sterben, dachte sie. Lieber sterbe ich als Tag für Tag diese Hölle zu ertragen!
 

Am nächsten Morgen war sie aus ihrem Zimmer wie immer die erste, die in der Küche stand. Während Kaori Teewasser für die Herren behutsam aufwärmte, frühstückte Jian in der Nähe. Kaori hingegen konnte frühestens in drei Stunden mit etwas zu essen rechnen.

Jians abfällige Blicke wanderten oft genug zu ihr, dennoch schien es ihr hin und wieder als würde er sie eingehend taxieren und mit seinen Augen von oben bis unten abtasten.

Kaori schauderte, als er achtlos seine Suppenschüssel in den Spültrog warf und aus der Küche verschwand.

Ich verachte dich.

Sie blickte sich um und musste lächeln. Er hatte recht, ihr Leben war verachtenswert. Die ganze Zeit über opferte sie sich mit ihrem ganzen Körper ihren Herren, egal ob in der Küche oder im Bett. Jeden Tag aufs Neue arbeitete sie hart und härter und niemals erntete sie ein freundliches Wort.

»Was grinst du so dümmlich vor dich hin?«, fragte plötzlich eine schrille Mädchenstimme, die Chen gehörte, hinter ihr und wurde begleitet von einem Stoß in Kaoris Rippen.

Sie konnte sich gerade noch vor der Herdplatte fangen.

»Hört auf!«, drang Madame Wangs Stimme durch die Küche. »Wenn sie zu arg verletzt wird bekomme ICH Probleme mit dem jungen Herrn!«

Kaori richtete sich langsam auf und erkannte, dass Jian erneut durch die Küchentür getreten war und wartend hinter Madame Wang stand.

»Komm her, kleine Hure!«, befahl Madame Wang.

Kaori leistete dem Befehl sofort Folge und eilte zu der Küchenaufseherin.

»Geh zu Chunhua und lass dich von ihr fertig machen, der junge Herr Gong möchte dich zu einer Familienbesprechung sehen«, erklärte Madame Wang knapp.
 

Kaum eine Minute später war sie bei Chunhua, einem der zwei Menschen im ganzen Haus, den sie mochte. Sie war die Mätresse Bohais und hatte nur die Aufgabe immer schön auszusehen - eine Aufgabe, der sie mit ihrem seidigen kastanienbraunen Haar, den großen schwarzen Augen und der perfekten Figur sehr gut gerecht wurde.

»Kaori, da bist du ja! Lan-Huan habe ich schon hübsch gemacht, jetzt bist du dran!«, lächelte Chunhua.

Kaori wusste nicht, weshalb die schöne junge Frau andauernd so gut gelaunt war, Lan-Huan - die Mätresse Chonglins und Kaoris zweite Freundin - und sie hatten den Verdacht, dass Chunhua in Bohai verliebt war und diese Liebe von ihm erwidert wurde. Warum sonst hatte er sie von allen Verpflichtungen befreit, warum sonst war er als ältester Sohn noch immer unverheiratet, warum sonst blieb Chunhua, obwohl ihr Vertrag seit einem Jahr ausgelaufen war?

Die wenigen Stunden im Monat, in denen Chunhua, Lan-Huan und Kaori zusammen waren, waren die schönsten in Kaoris Leben. Zu dritt waren die Mätressen ausgelassen und diskutierten ernsthaft miteinander, diese Stunden kamen nach Kaoris Geschmack viel zu selten vor.

Chunhua platzierte sie auf einem Samtkissen und überlegte still, lief dann zu einem Schrank und holte einen hellblauen, unechten Seidenkimono heraus, der reichlich knapp ausfiel, eben genau wie Gong es mochte. Chunhua fasste Kaoris Haare im Nacken zu einem Knoten zusammen und befestigte sie mit einer Perlmuttspange. Sie holte ihre Schminksachen heraus und malte Kaoris Lider mit einem goldbraunen Ton an, trug Rouge auf ihre Wangen auf und Fett auf ihre Lippen.

Zu guter letzt, legte Chunhua Kaori das Halsband an…

Eine folgenschwere Entscheidung

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Eine folgenschwere Entscheidung
 

Chunhua trat lächelnd mit Kaori aus ihrem Zimmer, vor der Tür warteten Jian und Jinhai, der Bohais Leibwächter war. Die jungen Männer liefen vor den Mädchen her zu dem kleinen Salon, in dem die Familienbesprechung stattfinden sollte.

Worum es wohl diesmal ging?

Die Söhne des ehrwürdigen Herrn neigten dazu mit ihren persönlichen Dienern zu erscheinen, um ihren guten Geschmack zu beweisen. Nun ja, eigentlich wollten sie nur angeben - wer hat die schönste Mätresse, wer hat den stärksten Leibwächter?

War Jian eigentlich stark? Rein vom Körperbau her, war Jinhai ihm weit überlegen, er war viel massiger und hatte ein breiteres Kreuz, Jian konnte jedoch sicherlich eine Menge Muskeln unter seinem Arbeitsgewand verbergen…

Sie kamen an dem Salon an und traten ein, die Herren waren natürlich noch nicht da, meistens erschienen die persönlichen Diener fast eine Stunde vor ihnen.

Während einer vor der Tür Wache hielt, konnten sich die anderen derweil unterhalten.

Chunhua lief gleich zu Lan-Huan, doch als Kaori es ihr gleichtun wollte, hielt Jian sie am Ärmel ihres Kimonos fest.

»Komm kurz mit nach draußen, Kaori, es ist wichtig«, sagte er mit dumpfer Stimme.

Verwirrt und etwas verärgert, weil sie sich auf das Gespräch mit ihren einzigen Freundinnen gefreut hatte, folgte die jüngste Mätresse dem Leibwächter.

»Was, was ist denn?«, fragte sie dann ängstlich, als sie an die Begegnung von letzter Nacht dachte. Ihre Wange schmerzte noch immer…

Jian schwieg, sah ihr alle paar Sekunden nachdenklich in die grünen Augen.

»WAS?«, fragte Kaori nach einer Weile mutiger. »Wenn du mich nur von meinen Freundinnen fernhalten willst, dann…«

»Das ist es nicht!«, fuhr er sie an und sie sah seine Hand beben, als er sich zurückhielt sie nicht zu schlagen. Plötzlich drückte Jian sie gegen die Wand. »Jinhai… er hat von Bohai erfahren, dass Gong plant deinen Vertrag um zehn Jahre zu verlängern! Verstehst du?! Er will, dass du weitere zehn Jahre in dieser Hölle bleibst, nachdem die ersten zehn abgelaufen sind! Gong wird dir Honig in den Mund schmieren, aber du weißt, dass er ein Monster ist! Du musst gehen, Kaori!«

Kaoris Augen weiteten sich.

Was redete er da? Gong wollte, dass sie blieb?

»Warum erzählst du mir das? Du hast gesagt, dass du mich verabscheust! Und wohin sollte ich schon gehen? Was, wenn die Welt da draußen eine noch viel größere Hölle ist, ich kenne sie doch nicht?!«, erwiderte die Mätresse hart.

»Wie kann man nur so naiv sein?! Ja, es stimmt, ich verabscheue dich und deinen ekelhaften Job, aber im Moment will ich dir helfen! Denn ich habe eine Chance wie diese nie bekommen!«, antwortete er und krallte die Fingernägel in ihre Unterarme ohne es zu bemerken.

Kaori verzog vor Schmerz das Gesicht.

Sie wusste aus einem Gespräch der älteren Küchenmädchen, das sie belauscht hatte, dass Jian als Kleinkind von der Straße ins Herrenhaus geholt worden war und hier auf Lebenszeit zum Dienst verpflichtet war.

»Na und? Immerhin wollte dich jemand haben! Du bist hier willkommen!«, murmelte Kaori.

»Ja, ein willkommener Arbeiter! Du bist so dumm! Du -«, er wurde unterbrochen, als sich Kaoris Hand auf seinen Mund legte und sie hektisch in Richtung der vier Männer nickte, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes in Bewegung setzten und durch den Kreuzgang im ersten Stock auf den kleinen Salon zukamen.

Im Nu waren der Leibwächter und die Mätresse bei den anderen Dienern und nahmen die Demutshaltung ein, wartend, dass ihre Herren eintraten.

Als dies kurz darauf geschah senkten sie im lang erübten Einklang die Häupter zur Begrüßung und Unterwerfung. Kaum hatten sich die Herren zu ihren jeweiligen Dienern gesetzt, huschte ein Küchenmädchen herein und brachte Tee.

»Nun meine Söhne, hat einer von euch mir etwas zu sagen?«, fragte der ehrwürdige Herr.

Während Chonglin den Kopf schüttelte, nickten Bohai und Gong.

Dem Älteren wurde vom Vater das Wort erteilt.

»Vater, Ihr wisst, dass Chunhua seit sieben Jahren meine Mätresse ist und ich mich immer für ihre Rechte eingesetzt habe. Nun, das lag nicht nur an ihrer Aufgabe, die sie immer sehr zu meiner Zufriedenheit erfüllt hat, sondern ehrlich gesagt auch an meiner Liebe zu ihr. Vater, auch auf die Gefahr hin, dass Ihr mich verjagen werdet: Ich möchte Chunhua heiraten und mit ihr glücklich werden!«, erklärte Bohai und streckte lächelnd seine Hand nach Chunhuas aus, die diese strahlend ergriff.

Der ehrwürdige Herr lachte nur.

»Bohai, du warst schon immer ein Gefühlsmensch… Nach dem Tod deiner Mutter habe ich bemerkt, dass ich sie immer geliebt und dennoch immer betrogen habe. Diese Sünde kann mir kein Gott vergeben, also nimm deine Dienerin und werde glücklich. Ich werde dich nicht verjagen, aber du weißt sicher selbst, dass ich nicht dulden kann, dass du als Mann einer Dienerin mein Erbe wirst. Wenn du auf dein Erbe verzichtest, wird Chonglin nachrücken und alles, was ich dir bieten kann ist das lebenslange Wohnrecht in meinen Haus«, antwortete sein Vater.

»Danke Vater, ich hatte nichts anderes von Euch erwartet und natürlich verzichte ich auf mein Erbe, ich kann Eure Bedingung gut verstehen«, bestätigte Bohai.

Chonglin lächelte etwas, sicher hatte Bohai ihn längst eingeweiht.

Kaori freute sich sehr für Chunhua, sie hatte nie ein schlechtes Wort über den Ältesten verloren und wenn sie sich tatsächlich liebten, dann stand ihr ein langes Leben in Wohlstand bevor, schließlich war das Erbe riesig und die Beziehung zwischen Chonglin und Bohai blendend.

»Nun Gong, was hast du mir zu sagen?«, fragte der Vater dann.

Kaori wusste seit der ersten Besprechung, die sie miterlebt hatte, dass der ehrwürdige Herr zwar immer gütig, jedoch nie euphorisch war. Kein Wunder, dass er nach der Nachricht einer bevorstehenden Hochzeit gleich zum nächsten Tagesordnungspunkt voranschritt.

»Es geht ebenfalls um meine Mätresse, auch wenn ich der Liebe zu ihr fern bin und sie nicht gerade talentiert ist, würde ich sie gerne behalten. Jedoch läuft ihr Vertrag in ein paar Monaten aus und es steht ihr frei zu gehen…«, brachte Gong sein Anliegen vor.

»Nun, Gong, in unserer Familie hält man sich an seine Verträge. Deine Mätresse wird bleiben, wenn sie aus freiem Willen ihren Vertrag verlängert«, meinte der Vater sanft lächelnd.

Gong drehte sich mit eindringlichem Blick zu Kaori um.

»Ich habe gehört, dass du in der Küche arbeitest und das seit neun Jahren. Wenn du bleibst werde ich dich zum Zimmermädchen befördern und nachdem Chunhua zu Bohai ziehen wird, werden Chonglins Mätresse und du ihre Gemächer bekommen. Also, bleibst du für weitere zehn Jahre?«, fragte Gong knapp.

Kaoris Mund klappte auf.

Keine endlose Küchenarbeit mehr? Nur noch Zimmer reinigen? Und Chunhuas große Gemächer nur für Lan-Huan und sie? Was waren schon zehn Jahre?!

»Ja… ja, ich bleibe gern!«, antwortete sie und spürte im selben Moment, in dem Gongs Kopf sich wieder zu seinem Vater wandte, Jians mörderischen Blick an sich haften.

Wenig später ging die Familienbesprechung zu Ende, Bohai und Chunhua blieben noch, um mit dem ehrwürdigen Herrn die Details der Hochzeit, die im kleinen Kreis stattfinden sollte, zu besprechen.

»Diener, sag in der Küche Bescheid, dass ich ein Bad wünsche und lass mich dann allein, ich werde dich rufen lassen, sollte ich dich brauchen. Und du, unnütze Hure, du kannst verschwinden!«, meinte Gong vor der Tür zum Salon hart.

Kaori leistete dem Befehl sofort Folge und verschwand in Chunhuas Gemächern, um dort auf sie zu warten, sich mit ihr über die Hochzeitspläne zu freuen und sich abschminken zu lassen.

Lan-Huan erschien nicht, wahrscheinlich musste sie Chonglin noch Gesellschaft leisten.

Als Kaori sich ein paar Minuten in Chunhuas Bett ausgeruht hatte, klopfte es und Jian trat ein.

Kaori riss erschrocken die Augen auf und fuhr hoch, doch er kam schnell auf sie zu, packte sie an den Schultern und warf sie zurück ins Bett. Er baute sich vor ihr auf.

Die junge Mätresse zitterte vor Angst.

»Wozu hab ich dich eigentlich gewarnt?! Damit du nicht eine Sekunde zögerst und ihm zusagst?!«, brüllte er sie an.

Verängstigt krabbelte Kaori rückwärts, um sich aus seiner Reichweite zu erntfernen.

Eine schlechte Idee: Jian folgte ihr in das große Bett und saß auf ihr, bevor die Mätresse sich wehren konnte.

»Du hast keine Ahnung! Du hast absolut keine Ahnung was du getan hast!«, rief er außer sich vor Wut und verpasste ihr eine Ohrfeige, die es in sich hatte.

Kaoris Kopf wurde zur Seite geschleudert.

»Es war mein freier Wille«, flüsterte die Sechzehnjährige zutiefst verängstigt.

»Ach ja?«, fragte Jian gefährlich ruhig. Sein Zeigefinger wanderte zu Kaoris Hals und Schob sich unter ihr Lederhalsband. »Die Jagdhunde tragen auch so was… Ja, ihr seid euch wirklich ähnlich! Ihnen wurde auch antrainiert nach Befehlen zu handeln und nicht mehr nachzudenken!«

»Es wird mir viel besser gehen als Zimmermädchen!«, versuchte Kaori sich zu verteidigen.

»Das glaubst du wirklich?!«, schrie er und seine Stimme überschlug sich. »Gong ist zwanzig, bald wird er heiraten und seine Frau wird dir das Leben zur Hölle machen! Die Zimmermädchen werden dich nicht anders behandeln als die in der Küche, abgesehen davon, wo denkst du wirst du abends essen?! In zehn, elf Jahren wirst du ein Wrack sein, dann werden sie dich nirgendwo mehr wollen, weder hier noch woanders!«

Kaori schluchzte auf, Tränen stiegen in ihr auf, Tränen, die sie kaum mehr zurückhalten konnte.

»Endlich verstanden?«, fragte Jian kalt, rollte sich von ihr und verließ Chunhuas Gemächer.

Was ist passiert?

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Was ist passiert?
 

Kaori erwachte mitten in der Nacht, kaum dass sie sich in einen unruhigen Schlaf geweint hatte. Es klatschte draußen im Hof mehrmals laut. Nach etwa fünf Klatschern folgten ihnen Schmerzensschreie.

Die Mätresse sprang auf und lief zur Tür zum Hof, wo sich schon mehrere Küchenmädchen versammelt hatten, vom Balkon im ersten Stock gafften Zimmermädchen herab und ganz vorne stand Madame Wang mit entgleisten Zügen.

»Jian!«, stieß Kaori aus.

Im Hof standen seit jeher zwei Pfosten, aber Kaori hatte selten erlebt, dass jemand mit Stricken an den Handgelenken zwischen ihnen stand und ausgepeitscht wurde.

Wie Jian gerade.

Liwei - Chonglins Leibwächter - und Jinhai standen mit ausdruckslosen Gesichtern da und hielten die Pfosten fest, während Gong mit Mordlust in den Augen die Peitsche gegen Jian schwang.

»Was ist passiert, Wang Nüshi?!«, fragten einige Mädchen, doch Madame Wang antwortete nicht, sondern biss stur die Zähne aufeinander. Es war natürlich für sie, sich nicht einzugestehen, dass ihr Schützling einen Fehler begangen hatte.

Aber WAS hatte Jian getan?

Gong hörte erst auf, als er feststellte, dass Jian ohnmächtig geworden war.

»Weckt ihn auf!«, brüllte er die Leibwächter an. »Das reicht nicht!«

Bohai trat zu ihm.

»Er hat nichts gestohlen und niemanden ermordet, Gong. Es reicht«, sagte der älteste Sohn beschwichtigend und nahm Gong die Peitsche weg.

Noch immer wütend stürmte der dritte Sohn der Zhaos vom Hof.

»Bringt ihn in den Stall, er bekommt zwei Wochen Strafdienst an der Pferdetränke«, kommandierte Bohai und blickte traurig auf Jians reglosen Körper.

Den meisten Mädchen wurde es langweilig oder kalt und sie liefen zurück in die Zimmer, nur ein paar blieben - Kaori erkannte Lan-Huan und Chunhua auf dem Balkon im ersten Stock.

Madame Wang drehte sich langsam um, als Liwei und Jinhai Jian vorsichtig wegschleppten. Ihr Blick schweifte suchend über die verbliebenen Mädchen und blieb an Kaori hängen.

»Du! Du putzt das weg! Los!«, befahl sie und schickte die restlichen Mädchen zurück ins Bett.

Kaori eilte in die Küche, holte zwei Eimer und Lappen, füllte die Wasserbehälter am Brunnen und begann die Pfähle und die Peitsche von Jians Blut zu reinigen.

Als sie fertig war, brachte sie den einen Eimer zurück in die Küche und lief mit dem zweiten zum Stall.

Mann könnte denken, dass der Dienst an der Pferdetränke eine Art Schonfrist für die Ausgepeitschten war - doch es war das Gegenteil. Es gab im Stall zwanzig Pferde und dementsprechend viele Tränken, die dreimal täglich mit je zwei Eimern Wasser gefüllt werden mussten. Genau, hundertzwanzig Eimer Wasser täglich. Das ging selbst bei einem Menschen, dessen Rücken nicht von Peitschenhieben geschunden war ins Kreuz.

Egal wie er Kaori behandelte, Jian hatte das nicht verdient.

Sie fand ihn im Stall ziemlich schnell, Jinhai und Liwei hatten ihn auf dem Bauch in einen Haufen Stroh gebettet, den Rücken noch immer blutig zerfetzt, das Arbeitsgewand neben sich auf dem Boden.

»Oh Gott!«, entfuhr es Kaori und sie ließ sich neben ihm auf den Boden fallen.

Sie hätte sich nur zu gern weggedreht und ihren Brechreiz besser unterdrückt, aber das konnte sie ihm nicht antun.

Er öffnete die glasig-leeren Augen und stöhnte leise.

»Wenn du dich für heut Nachmittag rächen willst, der Zeitpunkt ist nicht der beste…«, murmelte Jian mit schwacher Stimme.

»Idiot, ich will dir helfen«, seufzte Kaori.

Eigentlich war es gar nicht schlecht, dass er sich kaum bewegen konnte - wenn er zu langsam war um sie zu schlagen, könnte er ihr fast schon sympathisch werden.

Sie tauchte den ersten Lappen in den Eimer, wrang ihn aus und tupfte über Jians Rücken.

»Aua, verdammt! Das tut weh!«, empörte er sich und klang fast wie der alte Jian.

Kaoris Lappen sog sich mit Blut voll, sie warf ihn in den Eimer und nahm den nächsten.

»Was hast du getan?«, fragte sie.

»Versucht ein Leben zu retten…«, seufzte er.

»Dein Leben?«

Er schwieg.

Nachdem der zweite Lappen rot gefärbt war, begann Kaori sich zu fragen, ob er nicht zu viel Blut verlor. Doch als sie anfing mit dem dritten Lappen seinen Rücken zu waschen, hörte die Blutung allmählich auf und nachdem sie den fünften Lappen zurück in den Eimer geworfen hatte, sah man nur noch die roten Striemen.

Jian räusperte sich.

»Danke«, sagte er leise.

»Ist das der Schock?«, fragte Kaori fies.

»Nein, mein Ernst… Dass ich dich immer schlage, das ist… Gewohnheit, ich werde auch oft geschlagen! Oder ausgepeitscht!«, versuchte er sich zu verteidigen.

Kaori beugte sich zu ihm hinab.

»Es tut trotzdem weh.«

Und nicht nur oberflächlich, dachte sie. Dein Hass verletzt mich auch innerlich!

Doch das brauchte er nicht zu wissen, schließlich wusste Kaori selbst nicht was das zu bedeuten hatte. Was kümmerten sie die Gründe, weswegen Jian sie hasste? Er war doch nur einer von vielen…

Es wurde still. Jian sah sie aus dunklen Mandelaugen von unten an.

»Ich weiß, warum Gong dich gewählt hat«, flüsterte er schließlich. »Es lag an deinen Augen.«

»An, an meinen Augen?«, fragte Kaori verwirrt.

Warum klang er plötzlich so sanft.

»Ja, sie sind grün, das ist außergewöhnlich. Das ist der einzige Grund. - Merkst du es? Merkst du wie oberflächlich die Gesellschaft ist? Wie oberflächlich… ich bin?«

Sein Blick und diese Worte trafen Kaori so tief in ihrem Herz, dass es wehtat.

Einem Impuls folgend beugte sie sich tiefer zu ihm hinab und küsste ihn.

Ich werde ihn finden, diesen Menschen!

Ihre Zunge stieß fordernd an seine Lippen, doch er verwehrte ihr den Einlass.

Rasch zog Kaori sich zurück.

»Neun Jahre hasst du mich und an dem Tag, an dem alle anfangen mich zu hassen, beginnst du mich zu lieben? Das ist paradox«, meinte er hart.

»Ich hab dich nie gehasst! So bin ich nicht, ich nicht! Und ich liebe dich auch nicht… Findest du nicht, dass du etwas zu sehr von dir überzeugt bist? Wir sehen uns morgen!«, fuhr Kaori ihn an und stand auf.

Sie packte den Eimer und lief mit schnellen Schritten nach draußen.
 

In ihrem Bett lag sie erneut wach.

Warum hatte sie Jian geküsst?

Warum hatte er es nicht zulassen können?

Was war da eben eigentlich passiert?

Kaori strich über ihre Lippen, die leise pochten.

Jian, was hast du mit mir gemacht?, fragte sie sich.
 

Kaori stand früh am nächsten Tag auf.

Sie lief in den Stall, Jian schlief noch.

Warum machte sie das hier eigentlich?

Sie nahm zwei Eimer und schaffte es zehnmal zum Brunnen zu laufen, bis es Zeit für ihren Dienst wurde, die Hälfte der Pferde war versorgt.

Rasch ging sie zu Jian und weckte ihn unsanft mit einem Spritzer Wasser ins Gesicht.

»Was machst du hier?«, fragte er müde.

»Die Hälfte der Pferde ist versorgt, kümmer dich um den Rest!«, befahl sie und half ihm sich aufzurichten. Dann verschwand sie endgültig in der Küche.

Der größte Fehler

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Der größte Fehler
 

Kaori hatte erst in der Nacht Dienstschluss und fühlte sich eigentlich viel zu erschöpft, um noch zu Jian zu gehen, aber wer würde es sonst tun?

Sie nahm ein kleines Schälchen Reis aus der Küche mit, das letzte, das noch übrig war, und lief in den Stall. Jian lag an der selben Stelle wie letzte Nacht und sein gesamter Rücken war mit frischem Schorf überzogen. Die Wunden waren beim Wasserholen wieder aufgeplatzt.

Er sah sie erstaunt an, als sie sich vor ihn setzte.

»Mund auf!«, befahl sie und begann den Reis mit Stäbchen an ihn zu verfüttern.

Jian machte brav mit.

»Siehst du, so kann ich dir auch mal das Maul stopfen, gar keine schlechte Erfahrung…«, scherzte sie.

Aber könnte sie ihn ernsthaft davon ablenken, was letzte Nacht geschehen war?

Er lächelte müde, sein erstes richtiges Lächeln seit langer Zeit.

»So wie jetzt warst du schon lange nicht mehr…«, murmelte er. »Seit du Gongs… Mätresse bist kuschst du nur noch.«

»War ich je anders?«, fragte Kaori.

»Das weißt du nicht mehr?«, fragte er zurück. »Am Anfang warst du total ruhig, aber mit der Zeit wurdest du hier fröhlicher, lebenslustig, und jetzt… du gehst jeder Auseinandersetzung aus dem Weg, du tust nur was andere sagen: Wo ist dein freier Wille geblieben?«

Kaori schluckte.

»Du hast gut reden«, meinte sie schließlich und Tränen schwappten unter ihren Augenlidern hervor. »Du bist hier doch einigermaßen beliebt, du kannst dir erlauben solche Reden zu schwingen!«

Jian zog die Reisschale weg, damit ihre Tränen nicht sein Essen versalzten - Egoist.

»Ich bin also beliebt, hm? Wenn ich so beliebt bin, warum bist du dann die einzige die zu mir kommt?«, wollte Jian in hartem Tonfall von ihr wissen. Er setzte sich auf und stöhnte leise. »Kaori, Kaori hör auf zu weinen! Ich werde auch versuchen dich nicht mehr zu schlagen…«

Kaori zog abrupt die Hände von ihrem Gesicht.

»Das ist auch das Mindeste! Du, du tust immer so, als würdest du dich von ganz weit oben zu mir herablassen! Du schlägst mich doch nur, um deine Aggressionen abzubauen, damit du dich besser fühlst!«, rief sie.

»Ach ja?! Falsch! Ich schlage dich aus nur einem einzigen Grund! Damit du merkst, was du damals für einen Fehler gemacht hast!«, schrie er sie an.

Die Pferde in ihrer Nähe wurden nervös.

Damals?, fragte Kaori sich.

»Was für einen Fehler?«, erkundigte sie sich, doch er blickte stumm zu Boden, hob die Schüssel auf und aß den Reis fertig.

»Einen Fehler eben. Den größten Fehler in deinem Leben und du hast ihn gleich zweimal begangen…«, murmelte er schließlich. »…Kaori? Das gestern, dass du mich geküsst hast, was hatte das zu bedeuten?«

Warum wechselte er das Thema? Warum stellte er ihr eine Frage auf die sie antworten musste?

»Ich weiß es nicht… vielleicht wollte ich einfach, dass irgendjemand mich gern hat, ich wollte irgendwem etwas… bedeuten«, wich sie ihm aus.

Jian schwieg.

Sein Schweigen dauerte viel zu lange.

Schließlich stand Kaori auf, nahm die Schüssel und meinte: »Danke, Jian, ich hätte auch so gewusst, dass du dieser jemand nicht bist!«
 

Trotz allem rollte Kaori sich am nächsten Morgen brav von ihrem Futon, noch früher als am Tag zuvor und versorgte alle Pferde mit Wasser.

Sie brauchte Jian nicht zu wecken und war froh darüber, doch als sie den Stall gerade verlassen wollte, hörte sie hinter sich ein: »Kaori?«

Sie drehte sich langsam um.

»Wir müssen reden, heute Abend«, meinte Jian von seinem Strohhaufen aus.

»Wir haben genug geredet«, erwiderte Kaori.

»Bitte«, sagte er leise.

Sie nickte bloß und ging.

Fast ein Wunder, in nur neun Arbeitsjahren hier hatte sie es bereits erlebt, dass Jian je einmal “Danke” und “Bitte” gesagt hatte!
 

»Also, über was willst du reden?«, fragte Kaori, als sie den Stall betrat.

Jian hatte bisher erschöpft im Stroh gelegen, nun richtete er sich auf und sah ihr in die Augen.

»Willst du hier wirklich noch fast elf Jahre bleiben?«, fragte er.

»Geht jetzt diese Diskussion wieder los?«, erwiderte Kaori genervt. »Ehrlich gesagt, nein. Andererseits, wo sollte ich schon hin, ganz allein?«

Jian lächelte wieder.

»Warum fragst du mich das immer? Ich habe meine Entscheidung getroffen, ich werde hier bleiben, ich kann sie nicht mehr ändern!«, meinte die Mätresse mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme.

»Ja… neun Jahre verschwendet«, murmelte Jian in sich hinein.

»Was?«, wollte Kaori wissen.

»Denkst du ich war grundlos immer gemein zu dir?«, erwiderte er mit Wut in der Stimme. »Ich hab immer gedacht: Wenn du ordentlich fies zu ihr bist und sie schlägst, dann wird sie nach zehn Jahren verschwinden, wer würde so etwas länger ertragen wollen? Doch ich habe mich geirrt, deine weibliche Naivität hat überwogen… Aber weißt du was?! Ich hab keinen Bock mehr immer fies zu sein! Wenn du bleiben willst, dann bleib doch, wenn es dir bei Gong so gut gefällt!«

Kaori brauchte eine Weile um diese Information zu verarbeiten.

Jian hatte riskiert, dass sie ihn hasste, nur um längerfristig ihr Leben zu retten? Und sie hatte es trotzdem falsch gemacht.

Der größte Fehler deines Lebens… und du hast ihn gleich zweimal begangen!

Ja, jetzt verstand sie, plötzlich glaubte sie alles zu verstehen. Sie sah Jian als Achtjährigen vor sich, wie er sie panisch ansah und hatte verhindern wollen, dass sie diesen verdammten Vertrag schloss.

»Du wolltest immer nur mein Bestes?«, flüsterte sie. »Du Idiot, warum hast du mir das nicht sagen können?! Es hat mich so fertig gemacht, dass du mich hasst, dass du immer fies zu mir warst!«

»Genau das sollte es. Zehn Jahre Qual für ein schönes Leben…«, seufzte er.

»Aber zehn Jahre sind lang! Du, du hast kein bisschen Rücksicht auf meine Gefühle genommen!«, rief Kaori und war plötzlich erschrocken über seine Offenheit.

»Na und?! Deine Gefühle dürften ja wohl Gong gelten, sonst wärst du lange weg!«, erwiderte er laut.

Es klatschte.

Kaori blickte verwundert auf ihre Hand, dann zu Jians Gesicht, seine Wange war bereits rot und man konnte ihr beim Anschwellen zusehen.

»Wenn du das glaubst«, brachte sie schließlich hervor. »Dann bin nicht ich die Naive von uns beiden!«

Damit verschwand sie endgültig aus dem Stall.
 

Fast zwei Wochen lang kümmerte sie sich nicht um Jian, unterdrückte ihr Mitleid, wenn sie ihn die Eimer schleppen und in der Küche um Essen betteln sah.

Der Tag, an dem Jian wieder für Gong arbeiten “durfte” fiel auf den, an dem Kaori ihrem Herrn mit ihrem Körper zu Diensten sein musste.

Gegen Mittag lief sie zu Chunhua, die sie wie immer herrichtete: Erst einmal wurde Kaori gebadet und mit Duftöl eingerieben, dann wurde ihr Haar sorgfältig gekämmt und zu guter letzt wurde sie in ihren knappen Kimono gesteckt.

Chunhua sah sie mitleidig an.

»Seit der Sache mit Jian weiß ich, was für ein Mensch Gong ist, ich will dich nicht zu ihm schicken müssen Kaori, ich wollte es schon letzte Woche nicht!«, beteuerte sie. »Ich hätte dir gewünscht, dass Gong ebenso freundlich ist wie Bohai…«

Kaori zwang sie zu einem Lächeln und ging zu Gongs Gemächern.

Sie zitterte wie immer am ganzen Leib, obwohl Gong erst in einer halben Stunde vom Mittagessen mit seinen Brüdern kommen würde.

Kaori lief in die Schlafkammer Gongs, legte sich auf sein riesiges Bett und zog ihren Kimono zurecht. Gong war einmal sehr wütend gewesen, weil er zu schnell gekommen war und das natürlich Kaoris Schuld sein musste, damals hatte er ihren Kimono zerrissen und sie hatte praktisch nackt durch das Haus in ihre Kammer laufen müssen.

Inzwischen war sie jedes Mal froh, wenn er sie nur nackt vor die Tür jagte, da sah sie zumindest keiner, wenn sie sich beeilte den Kimono anzuziehen.

Es klopfte und die Tür öffnete sich.

Warum kommt er so früh?

Kaoris Augen weiteten sich, als nicht Gong, sondern Jian eintrat.



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