Zum Inhalt der Seite

Sunrise

Wherever I am
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der größte Fehler

-------------------------------------------------------------------------------

Der größte Fehler
 

Kaori hatte erst in der Nacht Dienstschluss und fühlte sich eigentlich viel zu erschöpft, um noch zu Jian zu gehen, aber wer würde es sonst tun?

Sie nahm ein kleines Schälchen Reis aus der Küche mit, das letzte, das noch übrig war, und lief in den Stall. Jian lag an der selben Stelle wie letzte Nacht und sein gesamter Rücken war mit frischem Schorf überzogen. Die Wunden waren beim Wasserholen wieder aufgeplatzt.

Er sah sie erstaunt an, als sie sich vor ihn setzte.

»Mund auf!«, befahl sie und begann den Reis mit Stäbchen an ihn zu verfüttern.

Jian machte brav mit.

»Siehst du, so kann ich dir auch mal das Maul stopfen, gar keine schlechte Erfahrung…«, scherzte sie.

Aber könnte sie ihn ernsthaft davon ablenken, was letzte Nacht geschehen war?

Er lächelte müde, sein erstes richtiges Lächeln seit langer Zeit.

»So wie jetzt warst du schon lange nicht mehr…«, murmelte er. »Seit du Gongs… Mätresse bist kuschst du nur noch.«

»War ich je anders?«, fragte Kaori.

»Das weißt du nicht mehr?«, fragte er zurück. »Am Anfang warst du total ruhig, aber mit der Zeit wurdest du hier fröhlicher, lebenslustig, und jetzt… du gehst jeder Auseinandersetzung aus dem Weg, du tust nur was andere sagen: Wo ist dein freier Wille geblieben?«

Kaori schluckte.

»Du hast gut reden«, meinte sie schließlich und Tränen schwappten unter ihren Augenlidern hervor. »Du bist hier doch einigermaßen beliebt, du kannst dir erlauben solche Reden zu schwingen!«

Jian zog die Reisschale weg, damit ihre Tränen nicht sein Essen versalzten - Egoist.

»Ich bin also beliebt, hm? Wenn ich so beliebt bin, warum bist du dann die einzige die zu mir kommt?«, wollte Jian in hartem Tonfall von ihr wissen. Er setzte sich auf und stöhnte leise. »Kaori, Kaori hör auf zu weinen! Ich werde auch versuchen dich nicht mehr zu schlagen…«

Kaori zog abrupt die Hände von ihrem Gesicht.

»Das ist auch das Mindeste! Du, du tust immer so, als würdest du dich von ganz weit oben zu mir herablassen! Du schlägst mich doch nur, um deine Aggressionen abzubauen, damit du dich besser fühlst!«, rief sie.

»Ach ja?! Falsch! Ich schlage dich aus nur einem einzigen Grund! Damit du merkst, was du damals für einen Fehler gemacht hast!«, schrie er sie an.

Die Pferde in ihrer Nähe wurden nervös.

Damals?, fragte Kaori sich.

»Was für einen Fehler?«, erkundigte sie sich, doch er blickte stumm zu Boden, hob die Schüssel auf und aß den Reis fertig.

»Einen Fehler eben. Den größten Fehler in deinem Leben und du hast ihn gleich zweimal begangen…«, murmelte er schließlich. »…Kaori? Das gestern, dass du mich geküsst hast, was hatte das zu bedeuten?«

Warum wechselte er das Thema? Warum stellte er ihr eine Frage auf die sie antworten musste?

»Ich weiß es nicht… vielleicht wollte ich einfach, dass irgendjemand mich gern hat, ich wollte irgendwem etwas… bedeuten«, wich sie ihm aus.

Jian schwieg.

Sein Schweigen dauerte viel zu lange.

Schließlich stand Kaori auf, nahm die Schüssel und meinte: »Danke, Jian, ich hätte auch so gewusst, dass du dieser jemand nicht bist!«
 

Trotz allem rollte Kaori sich am nächsten Morgen brav von ihrem Futon, noch früher als am Tag zuvor und versorgte alle Pferde mit Wasser.

Sie brauchte Jian nicht zu wecken und war froh darüber, doch als sie den Stall gerade verlassen wollte, hörte sie hinter sich ein: »Kaori?«

Sie drehte sich langsam um.

»Wir müssen reden, heute Abend«, meinte Jian von seinem Strohhaufen aus.

»Wir haben genug geredet«, erwiderte Kaori.

»Bitte«, sagte er leise.

Sie nickte bloß und ging.

Fast ein Wunder, in nur neun Arbeitsjahren hier hatte sie es bereits erlebt, dass Jian je einmal “Danke” und “Bitte” gesagt hatte!
 

»Also, über was willst du reden?«, fragte Kaori, als sie den Stall betrat.

Jian hatte bisher erschöpft im Stroh gelegen, nun richtete er sich auf und sah ihr in die Augen.

»Willst du hier wirklich noch fast elf Jahre bleiben?«, fragte er.

»Geht jetzt diese Diskussion wieder los?«, erwiderte Kaori genervt. »Ehrlich gesagt, nein. Andererseits, wo sollte ich schon hin, ganz allein?«

Jian lächelte wieder.

»Warum fragst du mich das immer? Ich habe meine Entscheidung getroffen, ich werde hier bleiben, ich kann sie nicht mehr ändern!«, meinte die Mätresse mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme.

»Ja… neun Jahre verschwendet«, murmelte Jian in sich hinein.

»Was?«, wollte Kaori wissen.

»Denkst du ich war grundlos immer gemein zu dir?«, erwiderte er mit Wut in der Stimme. »Ich hab immer gedacht: Wenn du ordentlich fies zu ihr bist und sie schlägst, dann wird sie nach zehn Jahren verschwinden, wer würde so etwas länger ertragen wollen? Doch ich habe mich geirrt, deine weibliche Naivität hat überwogen… Aber weißt du was?! Ich hab keinen Bock mehr immer fies zu sein! Wenn du bleiben willst, dann bleib doch, wenn es dir bei Gong so gut gefällt!«

Kaori brauchte eine Weile um diese Information zu verarbeiten.

Jian hatte riskiert, dass sie ihn hasste, nur um längerfristig ihr Leben zu retten? Und sie hatte es trotzdem falsch gemacht.

Der größte Fehler deines Lebens… und du hast ihn gleich zweimal begangen!

Ja, jetzt verstand sie, plötzlich glaubte sie alles zu verstehen. Sie sah Jian als Achtjährigen vor sich, wie er sie panisch ansah und hatte verhindern wollen, dass sie diesen verdammten Vertrag schloss.

»Du wolltest immer nur mein Bestes?«, flüsterte sie. »Du Idiot, warum hast du mir das nicht sagen können?! Es hat mich so fertig gemacht, dass du mich hasst, dass du immer fies zu mir warst!«

»Genau das sollte es. Zehn Jahre Qual für ein schönes Leben…«, seufzte er.

»Aber zehn Jahre sind lang! Du, du hast kein bisschen Rücksicht auf meine Gefühle genommen!«, rief Kaori und war plötzlich erschrocken über seine Offenheit.

»Na und?! Deine Gefühle dürften ja wohl Gong gelten, sonst wärst du lange weg!«, erwiderte er laut.

Es klatschte.

Kaori blickte verwundert auf ihre Hand, dann zu Jians Gesicht, seine Wange war bereits rot und man konnte ihr beim Anschwellen zusehen.

»Wenn du das glaubst«, brachte sie schließlich hervor. »Dann bin nicht ich die Naive von uns beiden!«

Damit verschwand sie endgültig aus dem Stall.
 

Fast zwei Wochen lang kümmerte sie sich nicht um Jian, unterdrückte ihr Mitleid, wenn sie ihn die Eimer schleppen und in der Küche um Essen betteln sah.

Der Tag, an dem Jian wieder für Gong arbeiten “durfte” fiel auf den, an dem Kaori ihrem Herrn mit ihrem Körper zu Diensten sein musste.

Gegen Mittag lief sie zu Chunhua, die sie wie immer herrichtete: Erst einmal wurde Kaori gebadet und mit Duftöl eingerieben, dann wurde ihr Haar sorgfältig gekämmt und zu guter letzt wurde sie in ihren knappen Kimono gesteckt.

Chunhua sah sie mitleidig an.

»Seit der Sache mit Jian weiß ich, was für ein Mensch Gong ist, ich will dich nicht zu ihm schicken müssen Kaori, ich wollte es schon letzte Woche nicht!«, beteuerte sie. »Ich hätte dir gewünscht, dass Gong ebenso freundlich ist wie Bohai…«

Kaori zwang sie zu einem Lächeln und ging zu Gongs Gemächern.

Sie zitterte wie immer am ganzen Leib, obwohl Gong erst in einer halben Stunde vom Mittagessen mit seinen Brüdern kommen würde.

Kaori lief in die Schlafkammer Gongs, legte sich auf sein riesiges Bett und zog ihren Kimono zurecht. Gong war einmal sehr wütend gewesen, weil er zu schnell gekommen war und das natürlich Kaoris Schuld sein musste, damals hatte er ihren Kimono zerrissen und sie hatte praktisch nackt durch das Haus in ihre Kammer laufen müssen.

Inzwischen war sie jedes Mal froh, wenn er sie nur nackt vor die Tür jagte, da sah sie zumindest keiner, wenn sie sich beeilte den Kimono anzuziehen.

Es klopfte und die Tür öffnete sich.

Warum kommt er so früh?

Kaoris Augen weiteten sich, als nicht Gong, sondern Jian eintrat.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück