Rosenstolz 1
Rosenstolz
Oder: Warum ich dich Liebe…
Du stehst vor mir.
Der Regen tropft von deinen Kleidern auf den hellen Parkettboden meines Flures.
Ich wohne in einer kleinen Drei-Zimmerwohnung zusammen mit meinem älteren Bruder Charley, der war jedoch im Moment bei der Fahrschule, dort macht er eine Ausbildung zum Fahrschullehrer. Aber das ist Nebensache.
Ich sehe wie die Regentropfen über dein wunderschönes Gesicht laufen und in deinem komplett durchnässten Hemdkragen verschwinden…
Ich frage mich warum du hier bist, wo wir uns doch erst vor einer halben Stunde in der Schule gesehen haben, als wir nach Hause gehen wollten.
Auch frage ich mich warum deine Augen einen so traurigen Glanz in sich tragen. Bin ich der Grund?
Wieso wärst du sonst hier?
Aber das Ergibt für mich keinen Sinn.
Du hasst mich doch?!
Denn sonst würden wir uns doch nicht immer Streiten, wenn wir uns begegnen? Jeder in der Schule weiß doch das wir ‘Feinde’ sind!
Aber dass ist nur die halbe Wahrheit. Denn ich hasse dich nicht, im Gegenteil, ich Liebe dich! Von ganzen Herzen…
Und ich weiß dass du diese Liebe nie erwidern wirst. Ich erwähnte ja gerade, dass du mich hasst…
Doch plötzlich sehe ich die Tropfen auf deinen Wangen und mir wird gerade klar, dass das keine Regentropfen sein können...
Ich reagiere fast Reflexartig, nachdem mir dies klar wurde und ziehe dich sanft an deinem Ärmel in die Wohnung und schließe die Tür.
Du hast anscheinend nicht damit gerechnet, hast wohl gedacht ich schlage dir die Tür vor der Nase zu, was?
Dieser Gedanke lässt mich leicht Schmunzeln, aber nur in Gedanken denn ich bin besorgt, weil du weinst. Etwas was du nie getan hast, zumindest nicht in meiner Gegenwart oder der von anderen Personen, soweit ich weiß…
Wir sagen kein Wort, du schaust betreten auf den Boden, betrachtest deine Schuhe und siehst wie sich eine kleine Pfütze unter ihnen bildet..
Ich beobachte dich und denke nach, wieso du hier bist, dann entschließe ich mich dazu, dich erst mal zu fragen ob du nicht die nasse Jacke ausziehen willst.
Als du meine Stimme vernimmst schaust du auf. Wirst Rot als die eben gefallenen Worte zu dir durchdringen und öffnest hastig deine Jacke die ich dir auch sogleich abnehme. Ich nehme deine Hand und ziehe dich vorsichtig in das Wohnzimmer.
Lasse dort deine Hand los und sehe kurz zu dir und nehme wahr wie du mit hoch rotem Kopf wieder deine Schuhe anstarrst.
Diesmal erscheint wirklich ein kleines, sanftes lächeln auf meinen Lippen, dann drehe ich mich um und lege deine Jacke auf die Wohnzimmerheizung. Dann verlasse ich kurz den Raum, gehe in das Zimmer meines Bruders und hole ein Hemd und eine schwarze Jogginghose aus seinem Schrank. Ich schätze mal dass sie dir passen müssten…
Als ich das Wohnzimmer wieder betrete stehst du immer noch an derselben Stelle wie vorher und starrst auf den blassen, grau-lila farbigen Teppich, denn ich mal ganz unter uns, noch nie wirklich leiden konnte.
Ich stelle mich vor dich und halte dir die Sachen hin und lächle sanft, so wie ich es immer tue um meine Freunde aufzumuntern. Du schaust mich darauf nur verdutzt an.
Ich weiß, dass du nur selten so angelächelt wirst und soll ich dir sagen warum ich das weiß? Weil du so Stolz wie eine Rose bist. Lässt dir nur selten helfen, verletzt andere mit deinen Dornen, ohne es zu wollen…
Aber soll ich dir ein Geheimnis verraten?
Ich liebe Rosen, genauso wie dich.
Ich sage dir, dass du dir noch was einfängst, wenn du weiterhin in den nassen Sachen rum läufst und zeige dir den weg zum Badezimmer. Sage dir auch, dass du ruhig duschen kannst, wenn du willst…
Doch du verneinst, vermeidest es mir in die Augen zu sehen, bist auch wieder röter im Gesicht.
Ich lächle dir noch mal zu, drehe mich um und gehe in die Küche. Ich höre noch wie du die Tür des Badezimmers schließt.
Wir, also mein Bruder und ich, haben nur ein kleines Badezimmer, klein wie jedes andere Zimmer auch…
Ich weiß dass du anderes gewohnt bist, als Sohn aus Reichen Verhältnissen. Dieser Klassenunterschied ist einer der vielen Gründe wieso wir uns Zofen.
Und ich bin es leid. Abgrundtief Leid!
Ich hab einfach keinen Bock mehr mit dir zu zanken. Ich liebe dich ja und das macht es nur noch schlimmer…
Ich stehe vor der Arbeitsplatte und mache mir einen Pfefferminztee. Die Arbeitsplatte ist nicht groß, zwei Schritte allerhöchstens. An der Dreimeter langen Wand die links von mir steht, ist ein kleines Fenster mit einer schmalen Fensterbank auf der in der Mitte eine rote, schmale und durchsichtige Vase mit einer ebenfalls roten Plastik Rose steht.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Küche, einen Schritt von der Abstellplatte entfernt steht ein kleiner Tisch, mit der kurzen Seite an die Wand gerückt und an den langen Seiten stehen jeweils zwei Stühle die aus dem selben hellen Holz wie der Tisch. Auf dem Tisch liegt eine kleine grüne Decke, die am Rand mit Rosenranken bestickt ist, auf dessen Mitte eine kleine, Rote Kerze mit Rosenduft steht.
Mein Tee war gerade fertig als du die Küche betreten tust. Mir bleibt sprichwörtlich die Spuke im Halse stecken, du siehst richtig süß aus. Die Klamotten meines Bruders sind dir wohl doch zu groß, die Hose hängt gerade noch an deiner Hüfte, das Hemd hängt an einer Seite so das man ein stück deiner Schulter sieht, dein Kopf drehst du zur Seite und starrst die Mikrowelle an.
Es ist dir eindeutig ziemlich peinlich.
Ich stelle meinen Tee auf die Arbeitsplatte und gehe zu dir.
Kurz vor dir bleibe ich stehen, du bist einige Zentimeter größer als ich, so das ich zu dir auf schauen muss.
Verwirrt blickst du mich an und ich lächle wieder, hebe meine Arme und rücke den Kragen des Hemdes etwas zurecht. Dann frage ich dich ob du dich setzten willst und etwas trinken möchtest.
Du setzt dich und fragst nach einem Kaffee denn ich dir auch gleich mache. Ich frage mich einen momentlang wieso ich so freundlich zu dir bin und warum du die ganze zeit rot wirst und noch keine Abfällige Bemerkung über mich oder meine Wohnung gemacht hast.
Als der Kaffee fertig ist stelle ich ihn vor dir hin und setzte mich dir gegenüber mit dem Rücken zum Fenster.
Wir schweigen wieder, solange bis ich die Stille durchbreche und dich frage warum du geweint hast.
Dein Kopf ruckt hoch, da du bis gerade noch in deinen Kaffee geschaut hast und blickst mich mit aufgerissenen Augen an.
Dann schaust du betreten zur Seite…
Und schweigst…
Minutenlang.
Dann schaust du wieder zu mir. Und dann beginnst du zu erzählen…
Erzählst mir das du nach dem Streit den wir heute in der Schule hatten Nachgedacht hast und dir etwas in dem Bezug auf mich klar geworden ist.
Du stockst…
Ich schaue dich abwartend und ruhig an.
Du atmest tief ein, schaust in deinen Kaffee und flüsterst etwas.
…
Erst denke ich, ich hätte mich verhört, aber dann wird mir klar dass ich es doch nicht getan habe.
Ich schaue dich mit aufgerissenen Augen an und bin in diesem Moment der Glücklichste Mensch der Welt.
Doch du missverstehst es.
Stehst auf.
Murmelst schnell dass es dir Leid tut, das du gewusst hast dass das eine blöde Idee gewesen wäre es mir zu erzählen.
Drehst dich um und gehst.
Ich reagiere einige Sekunden später, springe auf, weshalb mein Stuhl auf den Boden fällt, und renne dir hinterher.
Du willst gerade die Tür öffnen als ich deinen Arm zu fassen bekomme und dich umdrehe, so dass ich dir ins Gesicht sehen kann.
Die Tür die du gerade ein kleines stück geöffnet hast schlägt zu als ich dich leicht dagegen drücke und Küsse.
Nur kurz, aber sanft und bestimmend.
Da ich meine Augen nur leicht geschlossen habe kann ich sehen wie sich deine Augen kurz weiten aber dann langsam zufallen und du den Kuss genießt.
Ich löse mich von dir und sage:
“Ich liebe dich auch…”
