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Il desiderio

von

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Il desiderio

Langsam hob sich der dunkel braune Deckel der kleinen, hölzernen Spieluhr, die wohl schon immer hier auf ihrem Platz im Regal gestanden hatte. Mit ihren ersten Tönen erhob sich auch die Figur eines Paares aus dem Inneren empor. Als würden sie zu den metallischen Klängen des Liedes tanzen begannen sie sich langsam zu drehen.

10 Minuten und 23 Sekunden. Das ist die exakte Länge von “Il desiderio”. Ich hatte das Lied wohl schon tausend Mal gehört. Und bis heute ist mir nicht klar warum Charis dieses Lied so sehr liebt. Mindestens einmal pro Tag hörte er es. Immer morgens nach dem Aufstehen und manchmal auch Abends, bevor wir uns schlafen legten. Es gab nicht viel dem er nicht schnell überdrüssig wurde. Er hat mir nie ihre genaue Bedeutung verraten wollen oder wo genau er sie her hat. Ob ich es wohl je erfahren werde?

Ich drehte mich vom Regal weg ging ich durch den Raum, lies auf meinem Weg zu, dass das weiße, kleine Handtuch von meinen Hüften rutschte und sank auf eins der Kissen auf der ausladenden Fensterbank, die geradezu dazu einlud sich entspannt hinzusetzen. Dies war einer meiner erklärten Lieblingsplätze. Von hier aus hatte meinen einen herrlichen Ausblick auf den riesigen Garten, der, abgeschirmt von den Blicken der außen Welt, wie ein stilles, unberührtes Paradies da lag. Besonders in der Nacht, wo er nur von einigen Steinlaternen beleuchtet wurde, hatte er etwas magisches an sich.

Trotz der späten Stunde war es noch sehr warm und die Luft war drückend und schwül, schien alles einzuhüllen, wie in Watte gepackt, als ob die Luft greifbar wäre, nur durchzogen von den melancholischen Klängen aus der Spieluhr.

In diesem Moment dachte ich einfach an nichts. Vieles war mir in letzter Zeit durch den Kopf gegangen, aber nun gab es nichts mehr, über das ich mir noch Gedanken machen konnte. Mein Kopf war vollkommen leer. Nur “Il desiderio” hallte durch ihn hindurch, drangen immer wieder in ihn ein und doch zogen ihr Klang an mir vorbei, als wären sie Wolken an einem stürmischen Nachthimmel.

Eine leichte Berührung an meinem Arm lies mich zusammenzucken. Ich habe nicht bemerkt wie Charis sich mir genähert hatte. Flink und leise, wie er sich immer bewegte, hatte er sich an mich heran geschlichen ohne dass er es wirklich beabsichtigt hatte.

Ich sah ihn an, lies meinen Blick kurz über seinen Körper wandern. Dann blickte ich ihm tief in die Augen, las seine stille Bitte in ihnen und breitete wie gewünscht meine Arme und Beine aus. Er lies sich schnell, nackt wie er war, zwischen sie gleiten, machte es sich bequem und bettete sein Kopf an meiner Schulter. Seine Haut und Haare waren feucht und sein Körper strahlte noch die Wärme des heißen Wassers aus.

Besitzergreifend schlang ich meine Arme um seinen schmalen Oberkörper. Die eine Hand lies ich an seiner Brust ruhen, die ihn fest an meine drückte, die andere folgte dem Verlauf seines Armes, bis ich seine Hand berührte. Wir verflochten unsere Hände gleichzeitig in einander, ließen sie auf Charis Oberschenkel ruhen. Schweigend sahen hinaus in den Garten und lauschten “Il desiderio”.

Einige Wassertropfen lösten sich von seinen Haaren und schlängelten sich meine Brust hinab, kühlten meine erhitzte Haut. Holten mich immer wieder in die Wirklichkeit zurück.

Seinen schlanken, kleinen Körper so nah bei mit zu haben war ein herrliches Gefühl. Ihn zu halten, sein Gewicht auf mir zu spüren, seinen Herzschlag unter meiner Hand, wie er langsam und regelmäßig schlug, das allein genügte mich glücklich zu machen.

Aber heute hatte das alles einen bitteren Beigeschmack. Ich schloss meine Augen und bemühte mich noch mal jedes Detail seines Körpers bis ins Kleinste wahrzunehmen - wie sich seine Haut unter meinen Fingern anfühlt, der Geruch seines Shampoos, das von seinem Haar ausging, die Art wie er seine Beine leicht anwinkelte, seine Finger mit meinen zu spielen begannen.

Die Melodie von “Il desiderio” hüllte uns ein und ich wünschte mir wie noch nie, dieses Lied würde ewig andauern. Es würde ewig spielen und uns beide hier in der Zeit einfrieren. Uns für immer hier zusammen verharren lassen. Es wäre nicht schlimm. Genau hier, genau so. Ich sehnte mich so sehr danach. Doch es schritt unbarmherzig voran - überhörte mein Flehen.

Ich bemerkte wie die letzte Zeile des Liedes begann. Spielte sanft Ton um Ton - unaufhaltsam. Ich erhöhte den Druck auf seine Hand und spürte wie er ihn sofort erwiderte. Schloss mein Arm etwas festern um Charis, versuchte irgendwie ihn an mich zu binden.

Das leise Rattern der Zahnräder, die die tanzenden Figuren mechanisch wieder in die Dunkelheit führte, wurde übertönte von den letzten Noten, die mit leichtem Nachhall die Umgebung auszufüllen schien. Der Deckel klappte wieder zu - versiegelte das Paar in dem dunkeln Inneren der Schatulle.

Augenblicklich lies der Druck seiner Hand nach und er entzog seinen Körper sachte meiner Umarmung. Er tapste leichtfüßig über den Boden und schlüpfte in seinen Morgenmantel während ich mich erhob und anfing meine Kleider vom Boden aufzulesen.

Immer noch herrschte schweigen zwischen uns. Wir hatten seit Stunden kein Wort mehr mit einander gewechselt. Keiner von uns war in der Stimmung zu reden und es gab auch nichts mehr zu sagen. Alles was etwas bedeutete war bereits gesagt. Jedes weitere Wort wäre unpassend gewesen.

Als ich fertig angezogen war stand er schon neben mir. Bewegte sich schnell und geschmeidig wie immer. Lies seine Schuler meinen Arm berühren, als wäre es Zufall. Es war eine so kleine, fast schon schüchterne Berührung - so was passte wirklich nicht zu Charis. Er war nie jemand gewesen der direkten Körperkontakt gescheut hatte - egal welcher Art sie waren.

Wir gingen gemeinsam den kurzen Weg zur Eingangstür. Dicht neben einander, aber ohne uns noch ein weiteres Mal zu berühren. Er dachte wohl, dass es jede weitere Berührung nur noch schlimmer machen würde, aber in mir schrie alles danach ihn zu spüren und sei es nur seine Hand, wie sie sich sanft in meine legt.

Auf die kleine Stufe, gegenüber der Tür, setzte ich mich und zog, ohne große Eile, meine Schuhe an. Versuchte jede nur mögliche Minute bis zu meinem endgültigen Abschied hinaus zuzögern.

Als ich aufstand und mich zu Charis umdrehte stand er keine 15 cm von mir entfernt, oben auf dem Treppenabsatz. Er war immer noch kleiner als ich, aber unsere Gesichter befanden sich nun fast auf einer Ebene. Ich richtete meinen Blick auf seine unglaublich schönen Augen, die blau, grau und grün auf einmal schimmerten – die einen an das Meer denken lies.

Sein Blick in diesem Moment fraß sich wohl auf ewig in mein Gedächtnis und alles ich mir schrie, dass ich nicht gehen wollte, dass es nicht richtig war zu gehen, alles andere gar nicht so schlimm sein konnte als ihn jetzt in diesem Augenblick hier so stehen zu sehen. Und von Sekunde zu Sekunde wurde es schwerer in diese Augen zu schauen, die so viel widerspiegeln können, wenn man in ihnen lesen vermag. Ich sah Trauer, Verzweiflung und vielleicht sogar einen Hauch von Wut - und zum ersten mal wünschte ich mir, es nicht zu können.

Ich hielt es nicht aus, zog ihn an mich vergrub mein Gedicht an seiner Halsbeuge. Charis rührte sich zunächst nicht, erwiderte dann jedoch meine Umarmung, legte seine Arme fest um mich. Er bewegte seinen Kopf ein bisschen und begann sich meinen Hals entlang zu küssen. Setzte Kuss um Kuss meine Halsschlagader entlang, folgte meinem Unterkiefer bis hin zum Kinn, von da hoch zum Mund - ganz langsam, ganz sanft.

Und dann spürte ich den wohl mit Abstand zärtlichste Kuss, den er mir je geschenkt hatte. Ganz ohne Leidenschaft, voll bitter süßer Zärtlichkeit. Seine Hände wanderten über meinen Rücken bis zum Nacken, hielten sich fest. Ich legte meine Arme um seine Hüfte -zog ihn so nahe an mich, wie es möglich war.

Wieder und wieder, ohne zu stoppen, berührten sich unsere Lippen, fuhren einander nach, schmeckten den anderen, hielten sich fest. Zum Schluss biss er wie immer leicht in meine Unterlippe und streifte dann mit der Zunge leicht über sie. Ohne noch einmal zu Zögern löste er sich von mir, drückte mich leichte von sich.

Ich lies es geschehen, wandte mich von ihm ab und öffnete die Tür ohne ihn noch einmal anzusehen. Setzte einen Schritt vor den anderen, überwand die Türschwelle und blieb draußen stehen.

Langsam und quälend schloss sich die Tür hinter mir und viel mit einem leisen Klacken ins Schloss. Alles war still, nichts regte sich mehr.

Von diesem Tag an hasste ich “Il desiderio”.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Aki_no_Kaze
2007-08-07T19:23:18+00:00 07.08.2007 21:23
Kari...das haste echt klasse hinbekommen...mir brannten schon die Augen vom ewig auf den Bildschirm gestarre und ich konte trotz der Schmerzen nicht ab von der Geschichte...amn kann sich da viel reininterpretieren und ich muss sagen ...das find ich toll^_^ Hast da echt ne super Kurzgeschichte hinbekommen\(^_^)/*knuddeldrück*
Daisuki forever...your Aki (~^_^)~weiter so


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