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Blind Dragon

Das Auge des Orion
von

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Kapitel 17

„Shhht, es ist vorbei... Ganz ruhig...“ Langsam kehrte mein Geist zurück in die reale Welt und registrierte, dass der Körper, in dem er lebte zitternd in Rongas Armen hing, auf dessen Brust herumhämmernd, begleitet von einem Schwall wüster Beschimpfungen, nur um wenig später die Hände in sein Hemd zu krallen und laut zu schluchzen. Ronga spendete mir schweigend Trost, bis er spürte, dass mein Schamgefühl dies nicht mehr zuließ. Er löste behutsam die Umarmung und überließ mich wieder mir selbst. Hastig wischte die Tränen aus meinem Gesicht.

„Willkommen zurück“, sagte er sanft. Hätte er dabei gelächelt, hätte ich nicht für sein Leben garantieren können. Immerhin hatte er das hier zu verantworten. Ich wollte ihn anschreien, doch dazu fehlte mir die Kraft. „Warum musste das sein?“ krächzte ich, vom Heulen heiser geworden. Wie lange hatte ich in diesem Raum gesessen und geweint? Was hatte ich sonst noch getan, während ich „weg“ gewesen war?

„Weil die einzige Hoffnung darauf, dass dies alles ein Ende findet in dir und der Tatsache liegt, dass du im Vollbesitz deiner Kräfte bist. Das geht nicht, wenn du mit deiner Seele nicht im Reinen bist“, beantwortete Ronga meine Frage tatsächlich.

„Bis vor kurzem war ich mit mir im Reinen“, schnappte ich. „Dann kam Lavandes Komplize dahergelaufen und meinte, mich noch mal durch meine kleine Privathölle schicken zu müssen. Die Firma dankt!“ Ich kämpfte die Tränen nieder, die erneut in mir aufstiegen. Einige entwischten mir dennoch.

„Wie sagt ihr jungen Leute doch so treffend? Verarschen kann ich mich allein. Du wirst weder dich noch deine Kräfte im Griff haben, bevor du nicht mit ihr abgeschlossen hat... Und sie mit dir“, entgegnete er, ohne dass sich sein Tonfall auch nur eine Nuance dabei gehoben hätte. „Gehen wir.“

Er stand auf und trat auf den Wächter zu. Irgendwie sah er, Ronga, sehr müde aus. Wenigstens schien diese Reise in meine Vergangenheit für ihn anstrengend gewesen zu sein. Geschah ihm recht, dass er so geschafft war. „Ihre Münze“, sagte er freundlich zu dem Mann und drückte ihm das teuflische Geldstück in die Hand, das er sich von ihm geliehen hatte. „Vielen Dank“, antwortete der andere und klang dabei, als wäre er sehr weit weg. „Ich habe zu danken. Wir möchten dann jetzt gehen. Würden Sie bitte die Tür öffnen?“ Rongas Stirn legte sich für einen Sekundenbruchteil in Falten. Zeitgleich wurde der Blick des Wächters noch leerer, als er es schon in dem Moment gewesen war, da er die Münze angenommen hatte. Ronga brachte mich also tatsächlich fort von hier. Wie viel Zeit war vergangen? Ob es Jazz und den anderen wohl gut ging? Nervös spielte ich mit den Fingern an meinem Ärmel herum, während der Wachmann die Tür aufschloss und uns hinausgeleitete.

Ungehindert schritten wir den Flur entlang. Ronga voran, ich brav hinterher. „Dan-ke“, maulte ich ihn an. „Das sagtest du bereits. Stör mich jetzt nicht“, gab er zurück. „Er ist schwer zu lenken. Ein furchtbarer Pragmatiker... Noch dazu mit einem Haufen psychischer Störungen. Außerdem ist dein Widerstand während unserer Unterredung derart gewachsen, dass ich zeitweise dachte, mir würde davon der Kopf zerspringen. Ich rechne mit zwei Wochen Migräne.“

„Migräne? Och, Hase, das tut mir so leid. Gerade jetzt, wo wir uns näher kommen...“

Gereizt drehte er sich zu mir um. „Muss ich dich erst wieder schlagen?“

Ich erinnerte mich an seine harte Rechte. Na sollte er doch. „Wenn’s dir Spaß macht“, antwortete ich sehr leise, was die Kälte in meinen Worten hervorragend zum Ausdruck brachte.

Ronga schnaubte wütend, wandte sich jedoch nicht an mich, sondern an den Wachmann, denn wir erreichten einen neuen Abschnitt des Gebäudes. Vor uns tauchte ein weiterer Wächter auf, der seinen Kollegen und vor allem uns sehr misstrauisch beäugte. Auf Rongas Geheiß hin erklärte „unser“ Wachmann, dass ich freigesprochen wäre. Inzwischen wären Beweisstücke aufgetaucht, die auf den wahren Täter hinwiesen, erklärte Ronga dann selbst. Drei Videobänder, die er bereits an der entsprechenden Stelle abgegeben hatte. „An Grausamkeit und Eindeutigkeit kaum zu übertreffen. Ich würde niemals freiwillig bei der Polizei arbeiten“, fügte er an.

Ich gab mir Mühe, meinen Unterkiefer nicht fallen zu lassen. Ein Karte wechselte den Besitzer als sich herausstellte, dass Ronga mein verteidigender Anwalt war und mich nun hinausbringen würde. Man betrachte das Objekt zunächst skeptisch, dann mit zunehmender Bewunderung. „Staatsexamen mit 23? Sie sind doch kaum älter. Und dann so gut im Geschäft...“ Er ließ sich lang und breit über einen Fall aus, den Ronga offenbar gewonnen hatte. Beeilt euch gefälligst! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit! dachte ich ungeduldig. „Ich bin beeindruckt, Darey-san“, fuhr der Schleimbeutel fort. Seltsamer Nachname Mein ach-so-großer Befreier wirkte beinahe beschämt über das Lob. Er verbeugte sich tief. „Nicht doch, nicht doch“, entgegnete er in höchstem Maße bescheiden. „Ich war nur gut im Schummeln... Und schon immer furchtbar wissbegierig. In meinem nächsten Leben trage ich wahrscheinlich schon bei meiner Geburt eine dicke Nickelbrille.“ Allgemeines Gelächter. Ich schloss mich nicht an, obwohl ich zugeben musste, dass ich den Scherz sehr gelungen fand.

Ohne weitere Widerworte ließ man uns gehen. Mein Lehrer dankte dem Wachmann für seine Unterstützung, befahl ihm zu vergessen, was er gesehen hatte als wir zu dritt in einem Raum gewesen waren und gab dann endlich dessen Gedanken wieder frei. Der Kerl konnte einem fast leid tun.

„Rick befindet sich im untersten Stockwerk“, erklärte er. „Und: Nein, ich habe keinen Spaß daran, dich oder irgendwen sonst zu schlagen.“

„Zumindest nicht physisch“, wandte ich ein.

„Psychisch noch weniger“, konterte er. „Ich hasse es... und wie ich schon sagte, tut es mir leid, gewaltsam in deinen Geist eingegriffen zu haben. Es wird nicht mehr vorkommen.“

Ein Teil von mir - der, der wusste, dass ich nicht vor meiner Vergangenheit davonrennen konnte - wollte ihm bereits verzeihen, doch ich war zu stolz, um Ronga das mitzuteilen. Stattdessen strafte ich ihn mit trotzigem Schweigen. Er wollte all dies beenden, hatte er gesagt. Doch er stand mit Lavande im Bunde, soviel hatte ich gesehen. Welche Rolle spielte er hier? Forschend blickte ich in sein müdes Gesicht. Ein flaues Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Warum laufe ich ihm eigentlich hinterher wie ein treudoofer Hund? Ich sollte abhauen, solange er mich lässt... Wenn er mich denn lässt... „Was passiert, wenn wir Rick abgeholt haben?“ war die Frage, die ich letztendlich laut stellte. „Wir sehen uns an, ob deine Feuertaufe gewirkt hat und er nun das tun kann, worum ich ihn gebeten habe“, antwortete er.

Mit einem Schlag waren alle Gedanken an Lavande und Ronga Geschichte. „Feuertaufe“, flüsterte ich, mehr zu mir selbst. Mir tat das Ganze immer noch furchtbar leid. Dennoch beruhigte es mich, dass er Rick zur Sprache brachte. Was auch immer er über mich denken mochte, Rick hatte er wirklich gern. Da war ich mir sehr sicher. Er hatte ihn unter großer Anstrengung geheilt. Ich erinnerte mich an seinen sorgenvollen Blick, als ich den Jungen zu ihm gebracht hatte. Der lange Wolf und ich konnten uns nicht leiden. Dennoch hatten wir einen gemeinsamen Freund, dessen Wohlergehen uns wichtig war. Für’s erste schob dieser Gedanke Wut, Furcht und Unverständnis ein wenig beiseite.

Mit einem Mal fiel mir auf, dass er mich beobachtete und meinen Gesichtsaudruck genau zu deuten wusste. „Du brauchst dich nicht dafür zu tadeln, dass dein Feuer ihn getroffen hat. Erstens erfreut er sich nun bester Gesundheit und zweitens hätte er früher oder später sowieso einen Drachen um die Feuertaufe bitten müssen. Ich hätte mir nur gewünscht, dass er dann schon stärker gewesen wäre. Etwas knapp war es wirklich. Ebenso wenig ist es deine Schuld, was Lavande getan hat. Du bist kein Mörder. Quäl dich nicht mit unnötigen Schuldgefühlen.“ Mitgefühl lag in seiner Stimme, die sonst so schwer erkennen ließ, was er dachte. Er versuchte tatsächlich, mich zu beruhigen. Schlimmer noch: Er war ziemlich gut darin.

Wir stiegen in einen Fahrstuhl, der uns nach unten bringen würde. Wer zum Teufel bist du? Ein Mitfühlender Freund oder ein hinterhältiger Feind?

Ich beschloss, das Thema von meiner Vergangenheit wegzulenken. „Wozu braucht er was für eine Feuertaufe?“ platzte ich heraus, sobald sich die Fahrstuhltüren geschlossen hatten und niemand mehr zuhören konnte.

„Um an das Erbe aller Zentauren heranzukommen. Eine Fähigkeit, die sie von den Drachen – jenen, die nichts Menschliches an sich hatten - erhielten, als diese spürten, dass ihre Zeit auf diesem Planeten zuende ging. Seine Weißmagie ist nur ein winziger Teil seiner Macht. Vordergründig ist der Junge ein Wächter... Früher hätte er wohl auch einen exzellenten Waffenschmied abgegeben.“

Zentauren? Dieses Wort brachte irgendeinen Gedanken ins Rollen, den ich nicht recht greifen konnte. Also fragte ich weiter, um dem vielleicht auf die Spur zu kommen. „Wächter von was?“

„Alten Legenden... Erinnerungen ganzer Völker. Zentauren besitzen die Fähigkeit, mit Hilfe einer fast vergessenen Sprache auf die Erinnerungen ihrer Vorfahren und aller Wesen, die ihnen ihre Geschichten erzählten zurückzugreifen. Ein einziges Bild genügt dazu. Bevor sie jedoch nicht das Feuer eines Drachen überlebt haben, können sie dieses Erbe nicht antreten, weil es versiegelt ist.“

Zentauren, Zentauren, Zentauren, Zentauren. Immer noch kreiste das Wort in meinem Kopf herum und zog meine Aufmerksamkeit auf sich wie eine gutgemachte Neonreklame. Mir fiel der Streit mit Rick wieder ein. Seine Eltern hatten ihn eingesperrt, weil sie Angst vor seinen Fähigkeiten hatten. „Und weil sie Menschen sind. Vollständige!“ hatte er gesagt. Ich versuchte mir Rick auf vier Pferdebeinen vorzustellen, doch es wollte mir nicht gelingen. Bis mein Traum mir wieder einfiel. Pferdebeine. Ich hab den Jungen mit dem Pferd verbrannt. Den Jungen mit dem kopflosen Pferd. Natürlich war es kopflos. Die beiden gehörten schließlich zusammen.

„Wer ist dieser Junge?“ fragte ich. Mir ging auf, wie wenig ich über meinen Mitbewohner wusste.

„Ein Waise. Seine Eltern leben nicht mehr und vor ihren Nachfolgern musste er fliehen“, sagte er mit der Milde eines geduldigen alten Mannes. „Er lebte eine Weile bei mir, aber wer will schon mit seinem Lehrer zusammenleben?“ Ein verschmitztes Lächeln stahl sich in sein Gesicht. „Was es mit seinen Kräften auf sich hat, kannst dir später selbst ansehen. Sie funktionierten ähnlich wie deine Fähigkeit, die Wahrheit zu sehen. Die Wahrheit hinter der augenscheinlichen Wirklichkeit.“

Warum verstehe ich immer weniger, je mehr Antworten ich bekomme? fragte ich mich. Zu meiner Überraschung fuhr Ronga von sich aus fort: „Deine Träume, so obskur sie gewesen sein mögen, zeigen dir die Wahrheit über die Lebewesen, denen du begegnest und die äußeren Einflüsse, die dich verändern. Leider sind diese Visionen bei Drachen furchtbar verschlüsselt. Nur diejenigen unter ihnen, die sich wirklich selbst kannten, wussten auch ihre Visionen zu deuten. Kannst du mir langsam wieder folgen?“

Ich nickte. Für mehr Fragen wäre sowieso keine Zeit gewesen, denn die Fahrstuhltür öffnete sich. Das erste, was ich dahinter sah, war Nicks Visage. Auch das noch.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Anoriel
2008-03-21T23:39:17+00:00 22.03.2008 00:39
*lach*hachja.. der liebe Nick XD
Jetzt ergibt das Symbol des Jungen mit dem Spielzeugpferd in Strandszene auch endlich einen Sinn! :D
Wow... echt toll wie die Charaktere mehr Tiefgang erhalten als sie es ohnehin schon besitzen *___*

aber für heute ist erstmal schluss ne >.O
morgen dann wieder *grins*

spannend bleibts auf jedenfall x33
Von:  Nochnoi
2007-09-17T11:13:26+00:00 17.09.2007 13:13
Armer Kori - jetzt auch noch Nicks Visage xDD
Das mit dem Zentauren ist höchst interessant. Als Ronga sie erwähnt hat, musste ich irgendwie sofort an das kopflose Pferd denken ... und voíla: Ich hatte sogar Recht!! ^_____^ Aber ich hätte das nicht unbedingt mit Rick in Verbindung gebracht. Ich bin wirklich gespannt, wie sich das noch entwickelt!
Und Ronga wird auch immer interessanter ^.^ Ich mag solche Charaktere, bei denen man sich nicht sicher sein kann, auf welcher Seite sie eigentlich stehen. Ist er nun wirklich Lavendes Verbündeter oder steckt da wesentlich mehr dahinter? Ich bin gespannt ^^


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