Zum Inhalt der Seite

Verbotenes Kind

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Zu lange war die erschrockene Nachbarin schon mit dem kalten Wickel in dem kleinen stickigen Zimmer verschwunden, zu lange kein Geräusch durch die dünne Wände gedrungen. Vielleicht lag es an dem herrischen Wind, der dumpf an dem kleinen Häuschen zerrte als versuchte er, das Geschehen zu unterbrechen.

Als versuchte er, ihnen einzubläuen, dass es falsch war, und mit gehobenem Zeigefinger die Fensterläden zum Quietschen brachte und Blätter durch die wilde Luft fegte.

Nur zu deutlich wurde ihm nun gewahr, dass sie es nicht hätten behalten sollen, dass er nicht auf seine Frau hätte hören sollen, auch wenn sie tagelang in dem grauen Zimmer geweint hätte.

Er seufzte, sah den Schwall von Konsequenzen schon über sich, schlug die Hände über den Kopf zusammen und schüttelte ungläubig den Kopf. Er war so dumm gewesen. Es war schon zu spät.

Ein kleiner Schrei schlängelte sich durch das Getöse des Sturmes, schlich sich in das Ohr des Mannes, löste Erschrecken, Freude, Angst und ein gequältes Lächeln aus. Es klang zäh, als wollte es kämpfen, den Wind nicht bezwingen, der ihnen drohend gegenüberstand, aber ihm doch eine Finte schlagen, zeigen, dass es durchaus leben konnte.

Im Schreien klang sein ganzer Lebenswille, durch den Wind, durch die Tür, durch da Quietschen der Läden und durch die Angst des Vaters.

Unsicher stand er auf,er schwitzte, er zitterte, er fürchtete und er stolperte auf die Tür zu, öffnete sie langsam, unsicher.

Seine Frau lag mit erschöpft geschlossenen Augen schmerzerfüllt auf dem grauen Bett, dennoch schien sie stolz, mit einem fast unerkennbaren Lächeln hielt sie das Kind, dicht an sich gedrückt.

Das entzog ihm ein kurzes, gedrungenes Lächeln.

Die Nachbarin aber seufzte, schüttelte den Kopf und murmelte Worte, die dem Vater selbst vorhin durch den Kopf gegeistert waren.

Wahre Worte. Dennoch, falsche Worte.

Denn wie konnte falsch sein, was so natürlich war, was doch so gut war, wie konnte es verboten werden?

„Es ist verboten, das wisst ihr.“, zischte die Nachbarin. Sie verschränkte die Arme, aber in ihren Augen gebettet lag Mitleid für das Kind. Das zweite Kind. Das Verbotene.

„Ji Yang...“, murmelte seine Frau, die Worte kamen nur zäh über ihre ausgetrockneten Lippen, und er brauchte eine Weile, um sie zu verstehen.

Leicht lächelnd schritt er auf sie zu und legte seine Hand auf ihre kalte Stirn.

„Ji Yang....sie soll Fengbao heißen...“,murmelte die Mutter mit liebendem Blick auf das Kind.

„Jìnzhǐ!“,fauchte die Nachbarin, mit wütendem Blick zum Vater. Auch wenn sie Mitleid haben sollte, dem Gesetz schenkte sie ihren Glauben.

Ein Schatten verdunkelte die Augen der Mutter, doch keine Träne löste sich. Die benachbarte alte Frau sprach mit gepresster Stimme ein Stoßgebet zu Buddha, dann verschwand sie.
 


 

„Fengbao, Fengbao!“

Sie lächelte. „Ja Mutter. Ich komme doch schon. Eil doch nicht so!“

„Was machst du denn?“, seufzte die Mutter und winkte mit der leeren weißen Plastiktüte. Sie hielt Jin an der Hand, der 8-Jährige nuckelte an seinem Daumen und umklammerte die Finger seiner Mutter. Seine kleine Schwester stand im schiefen Türrahmen, strich ihr rosa-geblümtes Kleid glatt und streckte der Mutter und ihrem Bruder die Zunge raus.

„Ich will nicht mit zu dem Einkaufsladen. Das Kind von da ist nicht nett, und als ich es deswegen letztes Mal gehauen habe, hat es geweint und seine Mutter geholt. Und die hat mich weggejagt!“

Ihre Mutter schlug entsetzt die Hand vor den Mund, aber ein winziges Lachen entwich ihr.

„Fengbao... Du sollst doch nicht die anderen Kinder schlagen! Du weißt, dann spricht man über dich. Über uns. Vaters Vorgesetzter ist noch strenger geworden.“

Fengbao verzog das Gesicht zu einem Schmollen. „Was kann ich denn dafür,dass Vater sich nicht wehren kann? Ich könnte seinen Vorgesetzten mal verhauen!“

Mit drohend gehobener Hand kam näher, aber Jin blieb stehen und zog an ihrer Hand.

„Ja mein Schatz...“, wisperte Ju und tätschelte ihren Sohn. Auch er musste leiden, das wusste sie. Es war in gewisser Weise nur gut, dass Fengbao sich zu wehren wusste.

„Kommst du also nicht mit?“; seufzte sie und schirmte mit ihrer Hand die Sonne ab.

Das Mädchen schüttelte kichernd den Kopf. Unbändig, stürmisch war dieses Kind. Stürmisch musste es sein, um sich durch das Leben zu schlagen. Lächelnd drehte Ju sich um und ging den Weg am stillen Fluss entlang.

Fengbao hüpfte summend ins Haus und folgte einem Grashüpfer, der in die kleine dreckige Küche gesprungen war.

Es war ein heißer Tag, die Straßen flimmerten und das grüne Gras war trocken. Die Reisbauern legten ihre Arbeit nieder, und ein weißer Wagen kam die Dorfstraße hinauf.

Er hielt vor der ersten Siedlung am Fluss, hinaus stieg eine Frau. Sie trug Stöckelschuhe, eine enge Uniform an dem ein Ausweis der Regierung befestigt war, die Bauern betrachteten sie argwöhnisch. Solche Leute waren nicht oft im Dorf. Aber sie war ihnen nicht unbekannt, nein.

Aus einem der Hütten kam eine vergreiste Frau, mit gebeugtem Rücken von der Arbeit, mit zerfurchtem Gesicht von Sorgen und mit einem abgestumpften Blick von den vielen Toden, die sie bereits mit angesehen hatte.

Die Regierungsfrau hielt ihr förmlich die Hand hin, doch Formalitäten interessierten nicht.

Die Greisin schlug ihre Hand weg, sich auf ihren knorpeligen Stock stützend zischte sie ihr Worte ins Ohr, deutete den Pfad entlang.

Es war das zwölfte Haus, was sie aufzusuchen hatte.

Eine Familie mit zwei Kindern bewohnte das Haus, der Mann war Beamter, aber verlor an Ansehen und Einfluss. Beliebt war die Familie nicht. Sie scherte sich nicht um das Gesetz.

Die Frau nickte, schon stöckelte sie den Weg entlang, während sie eine große Handtasche umklammerte und mit strengem Blick das Haus fixierte.

Man hatte ihr erzählt, dass die Mutter und der Vater nicht daheim waren.

An dem Haus angekommen, stieg sie durch die offene Tür, schaute aber zugleich, ob die Tür verriegelbar war.

Ein verbotenes Kind sollte hier hausen und das Dorf war ihn ihrem Verwaltungsbezirk.

Es war schon Schande genug für sie, das Kind nicht bemerkt zu haben, Schande genug, dass sie die Auflagen nicht einhalten konnte. Und die schändliche Familie hatte zu zahlen, zu geben.
 

Das Geschäft war voll, viele Dorfbewohner wollten für die bevorstehende Hitzewelle des Sommers vorbereitet sein, auch wenn viele verarmt waren. Es dauerte lange, bis sie bezahlen konnten, Jin war müde und quängelte.

Auf dem Rückweg trug Ju das schlafende Kind auf dem Rücken. Er war nicht schwer, die wenige Kost hatten ihn leicht bleiben lassen, was die Mutter beunruhigte. Aber es blieb nicht mal genug für zwei Personen, das Essen musste vielfach geteilt werden und auch die Tiere brauchten Nahrung. Es war nun mal kein einfaches Leben.

So dachte sie auf dem Rückweg darüber nach, wie schon so oft, suchte nach einer Lösung, wie so oft.

Die Flammen bemerkte sie, als sie den Anfang der Dorfstraße betrat, bemerkte den Rauch und die gelben, erbarmungslosen Flammenzungen, die das gebrechliche Häuschen umzuckten.

Ihr Haus. Ihre Habe.

Jin fiel von ihrem Rücken, sie rannte.

Und sie sah es, von Weitem. Und sie realisierte es erst von Nahem. Vor ihrem brennenden Haus brach sie zusammen, vor einer verschlossenen Tür lag sie schluchzend, alles war verriegelt, niemand konnte hinein, um vielleicht die Flammen zu löschen. Niemand konnte hinaus, um sich vor dem Tod zu bewahren.

Und ihr verbotenes Kind, ihr unsichtbares, nicht erlaubtes Kind durfte nicht hinaus. Konnte nicht hinaus, so wie es schon immer gewesen war.

Schluchzend lag die Mutter in der vertrockneten Erde, mit tränenüberströmtem Gesicht starrte sie auf das Gefängnis.

Das Leben, was gesetzlich verboten war, war auf Anweisung des Staates, ausgelöscht worden. Nicht offiziell.Offizill würde es ein Unfall sein, keine Zeugen, kein Täter.

Nichts würde bleiben, genauso, wie es immer hätte sein sollen.
 

Ein Kind, keins mehr

Nur ein Leben bringt Ehr.
 

Das stand in stechenden Zeichen an der Tür.

Das war das Gesetz.
 


 

~~~fenbao bedeutet Sturm, jinzhi bedeutet "es ist verboten"~~~



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2007-07-15T13:52:17+00:00 15.07.2007 15:52
kewl Oo
voll...kewl Oo
interessant und wahr OO! Voll fies * beamtin in den arsch tret*
armer fengbao!Gemein! aber wahr



Zurück