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Hauptsache Glücklich

von

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Food and Nails

Ich, Feeda Johnson, bin eine ganz normale 16-Jährige, brillentragende Realschulabgängerin, ich komme aus einer ziemlich normalen Familie, die in einer normalen 08/15 Kleinstadt wohnt. Ich habe ein paar total normaler Freunde und ein absolut unkompliziertes Leben.

Zumindest dachte ich das damals, vor ein paar Jahren. Jetzt ist alles völlig anders, genauso wie auch ich mich geändert habe. Es war nicht immer ganz einfach und manchmal dachte ich, es sei schier unmöglich, meiner Situation noch etwas Gutes abzutun. Andererseits habe ich auch vieles an Wissen erlangt, über mich und meine sonderbare Welt, was ich auf keinen Fall mehr hergeben wollen würde. Doch vielleicht sollte ich an dem Tag beginnen, an dem alles seinen Anfang hatte ...
 

Ich weiß noch ganz genau, wie mir die Sonne im Nacken brannte, als ich Ende Juli mit meinem Fahrrad in Richtung Einkaufshalle unterwegs war. Es war schwül und ich wusste, dass es morgen sicher gewittern würde, denn ich hatte schon immer einen guten Sinn für das Wetter. Ich hatte auch schon immer gute Ohren, nur mit meinen Augen hatte ich so meine Probleme. Denn seit ich sieben war, musste ich eine Brille tragen und wurde seither immer kurzsichtiger. Das ärgerte mich schon, denn mit Brille zählte man sofort zu den Loosern. Tja, das war die Realschule, hart und ungerecht. Ich hatte nie viele Freunde und darauf legte ich auch nie sonderlich viel

Wert. Denn ich zog es vor, meine Sachen allein zu regeln. Vielleicht war auch diese Einstellung daran Schuld, dass ich von Anfang an zu den Außenseitern gezählt habe, doch das sollte mir von jetzt an egal sein, denn in zwei Tagen würde ich endlich meinen Abschluss machen und mit meiner Lehre zur Anwaltsassistentin anfangen. Das war vielleicht nicht mein Traumberuf, dennoch wollte ich auf keinen Fall drei weitere Jahre Schule machen, nur um mein Abitur zu bekommen.

Auf jeden Fall kam ich bald in der Kaufhalle an, in der sich die Menschen auch schon tummelten, als gäb’s keine anderen Tage, um einzukaufen. Ich musste nicht viel besorgen, nur ein bisschen Käse, Milch, Eier ... und Spargel aus der dose. Den mochte ich zwar nicht sonderlich, aber ich tat meiner Mum den Gefallen, denn sie liebte Spargel! Als ich am Regal ankam, nuschelte ich leise vor mich hin ...

“Hm ... Die müsste doch hier irgendwo sein ... Bohnen, Rotkraut ... Nein, vielleicht ... Ah, hier!” ich nahm die Dose und ging ein paar Schritte. Dann kam ich am Regal für Tierfutter vorbei.

“Mh, lecker mit Fisch...” was hatte ich da eben gedacht? Jetzt wurde ich auch schon ein bisschen blöde von der Hitze! Leckeres Katzenfutter, so ein quatsch, ist doch eklig! Ich ging schnell an dem Regal vorbei und versuchte, auf dem Nachhauseweg möglichst im Schatten zu fahren ...

Als ich zu Hause ankam, stellte ich den Einkaufsbeutel auf den Tisch und wollte eben in mein Zimmer gehen, da kam meine Mum auf mich zu.

“Danke, Feeda”, sagte sie, nahm den Beutel und verschwand wieder in Richtung Küche. Sie war etwas kleiner und auch runder als ich. Doch obwohl sie so gemütlich aussah, war sie absolut penibel und geradezu ordnungssüchtig ...

Als ich die Klinke meiner Zimmertür herunterdrücken wollte, bekam ich einen Schrecken - meine Fingernägel waren auf einmal etwa zwei Zentimeter lang! Unmöglich, dass die so schnell wachsen können, denn eigentlich knabbere ich an meinen Nägeln – eines meiner größten Laster ... Aber ich dachte mir vorerst nichts dabei und holte mir stattdessen eine Nagelschere und eine Feile. Es war allerdings extrem schwer, die Nägel zu schneiden, sie waren fast so hart wie die Schere selbst und Feilen war ja gar nicht möglich.

So verbrachte ich lange Zeit mit meinen Nägeln, hörte nebenbei etwas Musik und ging schließlich gegen um elf ins Bett. Schlafen konnte ich jedoch nicht, denn ich hatte doch schon etwas Bammel vor der Zeugnissausgabe, auch wenn ich gute Noten hatte. Doch ich wollte schließlich nicht an Katzenfutter denken, wenn ich oben auf der Bühne stehen würde ...

Seeing and hearing

Am tag der Zeugnisse war ich ziemlich nervös und verbrachte Stunden damit, mein Outfit zu checken und zu optimieren. Außerdem spielte ich mit dem Gedanken, meine Brille zu Hause zu lassen und stattdessen Kontaktlinsen einzusetzen. Doch ich entschied mich doch für meine Brille, ich wollte nicht das Risiko eingehen, die Linsen wohlmöglich noch zu verlieren.

Die Feier fand am Abend in der Aula der schule statt. Fast alle Lehrer, Schüler und auch Eltern waren versammelt und trugen ihre schönsten Kleider und Anzüge zur Schau. Ich persönlich hatte mich für ein einfach geschnittenes türkises Kleid entschieden, dass wunderbar zu meinem Haar passte.

Ein letztes Mal sah ich mich im Spiegel und dachte noch daran, wie die anderen wohl schauen würden, weil ich so toll aussah (was ich natürlich nicht selbst beurteilen sollte, aber ich kam nicht umhin, es doch zu tun :o). dann ging ich zusammen mit meiner Mum zur Feier. Warum mein Vater nicht mitkam? Nun ja, ich kenne meinen Vater leider nicht. Mum sagt, er habe sie kurz nach meiner Geburt verlassen und seitdem habe sie nichts mehr von ihm gehört. Sie hat mal gehört, er sei bei einem Gebäudebrand ums Leben gekommen. Ich habe auch keine Geschwister, lediglich zwei Cousinen, mit denen ich aber recht wenig zu tun hatte, und das habe ich auch jetzt nicht ...

Die Schule war nicht weit von dem Haus entfernt, in dem ich lebte, also liefen wir ein wenig durch den angenehm warmen Nachmittagswind. Meine Mum hatte sich in ihr giftgrünes Kleid gezwängt und obwohl es doch schon ein wenig zu eng war, stand ihr die Farbe prächtig.

In der Aula angekommen, fiel mein Blick auch schon auf die vielen bunten Mädchen, die allesamt versuchten, die Schönste zu sein und die Jungen, die ihrerseits versuchten, am coolsten ihre Cola mit Schuss zu trinken. Dann erkannte ich meine drei besten und auch einzigen Freundinnen, die mir schon von einem großen runden Tisch zuwinkten. June, meine liebste Freundin von allen, trug einen schwarzen Blazer und einen braunen Rock, die Haare hatte sie elegant zu einem Knoten hochgesteckt. Sie war es auch, die meiner Sa einen Stuhl anbot. Cara, die zweite von ihnen, war komplett in dunkelrot gekleidet - eine Farbe, die sich wunderbar mit ihrem roten haar biss. Die dritte im Bunde hieß Danielle und sie sah von uns allen am prunkvollsten aus: sie trug ein blaues Samtkleid und in ihre Haare waren Perlen und blaue Haarteile eingeflochten. Sicher würde sie allen anderen die Schau stehlen. Insgeheim war ich schon immer etwas neidisch auf meine Freundinnen, denn jede von ihnen wirklich eine Schönheit und ich fühlte mich immer recht unwohl in ihrer nähe. Aber alle drei hatten auch ihre ungemütlichen Seiten und ich denke, ich bin nicht anders als sie. Das machte vielleicht auch unsere Freundschaft aus. Wir sind keine Konkurrentinnen, denn wir alle haben tolle Seiten, aber auch Fehler. Cara zum Beispiel ist ... na ja, eben kein Mensch für feste Bindungen, dafür hat sie aber immer ein aufmunterndes Wort parat. Danielle weiß nie genau, was sie will, aber in ihrer Nähe fühle ich mich geborgen. Und June ist manchmal sehr arrogant, aber sie ist auch intelligent und zielstrebig. Ich weiß, ich kann mich voll und ganz auf sie verlassen und sie würde mich niemals enttäuschen. Tja ... Und wenn ich jetzt an mich denke, wird es schon kompliziert ... Ich selbst konnte mich noch nie leicht charakterisieren. Man hört ja immer so Sprüche wie du kannst gut zuhören oder du bist hilfsbereit, aber um herauszufinden, wer ich wirklich bin, nützen mir diese Dinge nicht viel. und das kann ich mit Sicherheit sagen - auf der Suche nach Wahrheit über mein Selbst war ich schon immer.

Aber zurück zu der Abschlussfeier! (unglaublich, wie man manchmal von der eigenen Geschichte abdriften kann ...) wir vier Mädels redeten noch ein paar Minuten miteinander, dann klopfte irgendein Idiot an das Mikrofon, das oben auf der Bühne stand und die ganze Halle hielt sich die Ohren zu wegen dem furchtbaren Ton, den es von sich gab. Dann trat der Direktor auf die Bühne und ein höflicher Applaus schlich sich durch die Halle. Niemand konnte den Direktor so Recht leiden, er war etwas seltsam. Natürlich würde nächstes Jahr, wenn ich aus der Schule raus sein würde, einen neuen, jüngeren Direktor geben ... Der noch-Direx hielt seine äußerst ermüdende Ansprache, die einige von uns dazu brachte, sich mit dem Ellbogen auf dem Tisch abzustützen. Ich kenne bis Heute keinen zweiten, der es fertig bringt, so unverständlich in seinen nicht vorhandenen Bart zu nuscheln wie der Direktor. Ich dachte gerade daran, wie es wohl aussehen würde, hier zu gähnen, als er urplötzlich seine Rede beendete und die ersten Schüler aufgerufen wurden, um oben auf der Bühne ihr Zeugnis entgegenzunehmen. Von da an wurde ich wieder nervös und mein Blut pulsierte schon beinahe unangenehm in der Nähe meines Halses.

Nachdem vielleicht zwanzig Mann bereits ihr Zeugnis bekommen hatten, wurde ich zusammen mit McKeane, Corey und Lewis, Miranda nach oben gebeten. Mit zittrigen Knien und einem Frosch im Hals nahm ich mein Zeugnis entgegen und lief danach wieder zu meinem Tisch zurück, wohl darauf bedacht, mit diesen verflixten Absatzschuhen nicht abzuknicken. Nachdem ich den Weg erfolgreich hinter mich gebracht hatte, wurde mir wieder sehr schnell sehr leicht ums Herz und von jetzt an ging auch die Veranstaltung recht schnell vorbei. Wie erwartet zog Danielle alle Blicke auf sich und benebelte den Verstand der jungen, wie sie es immer tat und auch noch Heute tut. Nur den einen, den sie schon immer haben wollte, den bekam sie nie ...

Später am Abend, etwa gegen elf Uhr ging meine Mum schon nach Hause, doch wir Jugendlichen saßen noch eine Weile am Brunnen, der auf dem Schulhof stand. So spät am Abend war er bereits abgeschaltet, jedoch hatte er immer noch eine geradezu magische Wirkung auf mich ... Ich ließ meinen Blick über die spiegelglatte Oberfläche schweifen, und über den silbernen Vollmond, der sich darin widerspiegelte ... Da merkte ich erst, dass ich gar keine Brille aufhatte ... Ich hatte aber auch keine Kontaktlinsen! Was war mit meinen Augen los? In diesem Augenblick fiel mir noch etwas Seltsames auf: meine Augen hatten eine ungewöhnliche Farbe angenommen, sie wirkten fast orange. Vielleicht fiel das Licht nur ungünstig, also betrachtete ich meine Augen genauer in Danielles praktischem Taschenspiegel, den ich ihr aus der winzigen blauen Handtasche stibitzte. Und tatsächlich – meine Augen waren orange! Was hatte das nur zu bedeuten?

Als es fast um Zwölf war, beschloss ich, nach Hause zu gehen. Schließlich würde ich die anderen schon bald wieder sehen, wir würden ja in ein paar Tagen so wie so ins Freibad gehen. Also verabschiedete ich mich von Danielle, June und Cara. Wie hätte ich damals wissen können, dass dies einer der letzten Augenblicke sein würde, in denen ich meine Mädels sehen würde? Vielleicht hätte ich mich dann ganz anders verabschiedet ...

Ich ging nicht den üblichen weg nach Hause. Einerseits wollte ich noch ein wenig allein an der frischen Luft bleiben, andererseits liefen mir viel zu viele Verrückte durch die beleuchteten Straßen, die ihren Abschluss feierten. Ich nahm stattdessen einen abgeschiedeneren weg, der durch Gassen und einen Park führte. Auf einer großen Wiese hielt ich einen Moment inne, um den Mond anzusehen und die frische Nachtluft einzuatmen. Manchmal brauche ich solche Momente, die ich ganz für mich allein hatte. Auch jetzt gehe ich noch oft an verlassene Orte, schließe einfach nur die Augen und lausche der Natur. Aber am liebsten sehe ich den Mond an, er hat etwas ... Magisches. Ein Licht in der Dunkelheit; ein Wegweiser in der Undurchdringlichkeit der Nacht ...

Plötzlich hörten meine Ohren das Knirschen von schweren Schuhen auf dem Kiesweg, der die Wiese umschloss. Sie kamen schnell näher und mir wurde schon etwas unheimlich. Ich setzte meinen Weg rasch fort und binnen Sekunden wurde mir kalt und unbehaglich, denn die Schritte wurden schneller. Auch ich lief schneller und wagte es mir nicht, mich umzusehen. Ich war mir sicher, dass diese Schritte zu Männerschuhen gehörten, sie waren schwer und laut und sie kamen mir verdammt schnell nah. Als der Unbekannte nur noch ein paar Meter von mir entfernt zu sein schien, fing ich an zu rennen. Ich dachte schon, ich hätte meinen Verfolger abgehängt, doch da hörte ich seine Schritte auch schon wieder, er rannte, so wie ich. Mein Puls wurde schneller und der süßlich-bittere Geschmack von Adrenalin stieg mir den Hals hinauf und in meinen Mund. Ich merkte nicht einmal, dass meine Beine und meine Hände eiskalt und steif waren vom rauen Gegenwind, den das Rennen verursachte. Ich lief immer schneller und schneller und bog Gassen ein, die immer kleiner und kleiner zu werden schienen. Meine Lunge schmerzte und atmen konnte ich auch nicht mehr. Ich drehte mich gerade hektisch um und erblickte die dunkle Silhouette meines Verfolgers, als ich mit voller Wucht gegen eine Wand krachte und zu Boden fiel. Zu allem übel schmerzte jetzt auch noch mein Kopf. Dann bemerkte ich erst voller Entsetzten, dass ich direkt in eine Sackgasse gelaufen war! Ich war verloren! Ich hatte keine Chance zu entkommen, so viel war klar. Dann hatte ich noch die letzte Hoffnung, dass sich alles nur als ein Irrtum herausstellen und ich meinen Verfolger kennen würde, doch dann sah ich, wie dieser Kerl, mit einem Messer spielend, auf mich zukam. Ich hatte furchtbare Angst, in meinen Gedanken formten sich immer wieder Sätze wie ich werde sterben, und wie aus Reflex hielt ich mir die Hand schützend übers Gesicht. Ich hatte meine Gedanken schon gar nicht mehr unter Kontrolle, sie überschlugen sich ja fast. Ich dachte gleichzeitig an all die Dinge, die mir im Leben unangenehm waren; die Dinge, die wunderschön waren; die, ich wohl nie vergessen werde … und die wenigen Sekunden, die ich vor dem Mann geflohen war, der mich jetzt in eine Sackgasse gedrängt hatte …

Der Kerl war ganz nah bei mir und ich konnte seinen üblen Atem riechen und auch sehen, dass er wohl auf der Straße lebte. Er sah ein wenig russisch aus, es gab viele solcher Leute in der Stadt. Er bleckte seine Zähne und streckte seine gierigen Hände nach mir aus. ich schrie, er solle mich in Ruhe lassen und ich versuchte, ihn abzuwehren, das machte ihn nur noch wütender und er holte mit dem Messer aus und traf meinen Arm, den ich mir noch schützend übers Gesicht gehalten hatte. Als er das Blut sah, grinste er bösartig und holte zum zweiten, vielleicht viel gefährlicheren Hieb aus. Er hob das Messer weit nach oben und das ferne Licht der Lampen spiegelte sich darin. Doch plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck ...

Da geschah etwas mit mir, mein ganzer Körper kribbelte und mir wurde ganz warm. Ich betrachtete meine Hand, deren Nägel um das Dreifache wuchsen und beinahe krallenartig wurden und ich sah, wie sich orange-braunes Fell auf der Rückseite meiner Hand und auf dem gesamten Arm bildete. Dann wurde mein Blick schärfer, mein Gehör besser und ich wurde kleiner, kleiner ... Dann lehnte ich nicht mehr an der Wand, nein ich stand auf allen Vieren! Was war geschehen? Was war mit mir los?

Der Kerl fragte sich wahrscheinlich das Selbe, denn er blickte verdutzt auf mich und wurde plötzlich wieder wütend. Er stach mit dem Messer auf mich ein, ich huschte jedoch an ihm vorbei - was auch immer ich jetzt war ... Er fluchte und hetzte hinter mir her, doch ich war schneller und nach einer Weile konnte ich ihm im Dunkel der Nacht nicht mehr ausmachen.

Ich lief nach Hause, auch wenn ich nicht gerade gut mit meinen Beinen zurechtkam, außerdem schien ich einen Schwanz zu haben, über den ich ständig stolperte. Mein Herz raste noch immer wie wild. Ob der Kerl nun außer Reichweite war oder nicht, ich hatte immer noch unheimliche Angst, ich dachte an jeder Ecke daran, dass er hervorspringen und mich erwischen würde. Ich war kaum dazu fähig, alles so schnell zu realisieren, was soeben geschehen war. Aber: was war eigentlich genau geschehen?

The Owl from far, far away

Ich lief durch viele Gassen und Straßen, in denen ich noch nie gewesen bin und hoffte, bald etwas Bekanntes zu finden, an dem ich mich orientieren konnte. Tatsächlich lief ich bald eine Straße hinauf, die an eine Geschäft ganz in der Nähe meines zu Hauses entlanglief. Es ist nicht so, dass ich keinen Orientierungssinn habe, ich war nur viel zu verwirrt, um klar denken und den richtigen Weg finden zu können. All die Wege sahen gleich aus, kein Mensch war zu sehen, nur ab und zu hörte ich Rufe und Jubel, die wahrscheinlich von ex-Realschülern stammten.

Dann kam ich an einer Telefonzelle vorbei, von der aus Danielle und ich immer irgendjemanden angerufen und geärgert haben, und war mir sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Ich versuchte, mich in der Glastür anzusehen, doch dort spiegelte sich nur eine süße rotbraune Katze, die mich etwas ungläubig ansah. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: das war ich! Ich bin eine Katze! Man sollte ja meinen, ich habe in dieser Nacht schon genug erlebt, doch das machte die Sache nicht weniger unglaublich - und ich denke, unglaublich ist eine sehr nette Umschreibung für das, was ich in diesem Augenblick empfand ...

Nach einiger Zeit kam ich endlich an meiner Haustür an. Als ich die alte Tür erblickte, fühlte ich mich gleich viel sicherer. Ich wollte gerade den Schlüssel aus meiner Tasche holen, als ich bemerkte, dass ich ja gar keine Taschen mehr hatte! Was jetzt? Hier draußen übernachten? Auf keinen Fall! ich suchte einen anderen Weg ins haus - fand auch einen. Das Fenster im Schlafzimmer meiner Mum war wie immer angekippt und der Spalt war groß genug, um mich durchzuquetschen. Mit einem gut gezielten Sprung schaffte ich es aufs Fensterbrett, schnitt mich jedoch an meiner rechten Vorderpfote an den Büschen unterhalb des Fensters. Der Schmerz durchzog meinen ganzen kleinen Körper, doch der Schnitt blutete kaum. Nachdem die Schmerzen halbwegs abgeklungen war, schlüpfte ich durch den Spalt ins Haus. Sogleich hatte ich es irgendwie im Gefühl, dass mir hier nichts mehr passieren könne und meine Angst verflog schnell. Doch jetzt bereitete mir ein anderer Gedanken Grund zur sorge: wie lange würde ich noch eine Katze sein? Mir wurde ganz mulmig, als ich daran dachte, ewig ein Tier zu bleiben ... Doch dann, als ich mein Zimmer betrat, wurde ich urplötzlich müde, legte mich lang gestreckt auf mein Bett und ließ die Katze Katze sein. Ich träumte seltsame Dinge, von wilden Tieren, die mit mir sprechen würden und von meiner Mum, die sagte, sie sei so stolz auf mich ...
 

Als ich aufwachte, schien bereits die Mittagssonne in mein Zimmer und von meiner Mum war kein Ton zu hören. Nachdem ich mich noch einige Male hin- und hergerollt hatte, stand ich auf und ging ins Bad, um mich zu waschen. Doch vorher sah ich mich im Spiegel an: ich hatte Augenringe und meine haare waren ganz zerzaust. Ich sollte wirklich nicht noch mal so viel Alkohol trinken, ich hab total blödes Zeug geträumt. Meine Mädels lagen sicher auch alle brach in ihren Betten und bewegten sich diese Sommerferien wohl nicht mehr ... Mir fiel auf, das ich die Sachen trug, mit denen ich gestern noch auf der Veranstaltung war, ich musste wohl so ins Bett gefallen sein. Ich schnupperte kurz an den Sachen und stellte fest, dass sie nach Allem rochen, nur nicht nach dem Parfum meiner Mum, dass ich Gestern noch getragen hatte. Auch ich selbst roch nicht viel besser, und da ich so wie so nichts weiter vorhatte, ließ ich mir warmes Wasser ein und ging baden.

Das Wasser tat mir gut, denn ich war total verspannt und noch etwas neben der Spur. Ich legte gerade die Arme ins Wasser, als mich ein rasender Schmerz durchfuhr. Ich zog meinen rechten Arm blitzschnell wieder aus dem Wasser und entdeckte einen Schnitt, der sich über den gesamten Unterarm erstreckte. Er blutete nicht, doch er tat höllisch weh. Wie konnte ich mir nur so eine Verletzung zugezogen haben?

Dann, plötzlich, war die Erinnerung wieder da, alles auf einmal kehrte wieder in mein Gedächtnis zurück. Der russische Penner, meine Verwandlung, der Rosenbusch! Ich hatte nichts davon geträumt! Alles war wirklich passiert! Erst jetzt realisierte ich wirklich, was gestern geschehen war, es ist, als ob mein Geist noch immer ein paar Stunden hinterherhinkte. Ich werd verrückt, dachte ich. wenn ich das jemandem erzähle, werd ich doch eingeliefert ...

Ich erschrak tierisch, als der Ball durch das Wohnzimmerfenster krachte. Ich hörte viel Glas splittern und auf den Boden fallen und ich hörte, wie der Ball durch die Gegend hüpfte. “Diese verdammten Kinder ...!”, fluchte ich laut. immer noch fluchend stieg ich aus dem Wasser, band mir eines der roten Handtücher um den Leib und ging ins Wohnzimmer - nur, dass dort kein Ball lag.

Auf dem Sofa saß eine waschechte, weißbraune Eule! Vor Schreck ließ ich fast das Handtuch fallen. Was suchte eine Eule hier, mitten am Tag? Wieso saß sie so Seelenruhig auf der lehne der Couch, wo sie doch soeben eine massive Glasscheibe zerbrochen hatte?! Ich wusste gar nicht, welche Frage ich mir zu erst stellen sollte.

Ohne nachzudenken ging ich ein paar Schritte auf die Eule zu. Es war eine hübsche Eule, mit weißen Federn, von denen hin und wieder eine leicht bräunlich verfärbt war. Aber wie hübsch sie auch war, in meiner Wohnung hatte eine Eule einfach nichts zu suchen! Als ich nah genug an sie herangegangen war, streckte in die Hand nach ihr aus - natürlich die Rechte, die am Abend zuvor so wie so schon genug malträtiert worden war. Die Eule blieb ruhig auf der Couchlehne sitzen. Es war fast unheimlich, wie dieses Tier so gar keine Reaktionen zeigen konnte. Dann, als ich nur noch etwa eine Handbreite von ihr entfernt war, schlug sie plötzlich mit den Flügeln. Kurz danach dachte ich, meine Augen wollen mir einen Streich spielen, denn der Eule wuchs ein Schnurrbart! Aber nicht nur das, sie bekam Arme, Beine, ein Gesicht! Es war unglaublich das mit anzusehen. Wenige Sekunden später stand ein ausgewachsener Mann von etwa vierzig Jahren vor mir. Er rückte sein braunes Jackett zurecht und lächelte, als er mich erblickte.

“Ich schätze mal, sie sind kein Vertreter, oder?”, sagte ich und versuchte, locker zu wirken.

“Entschuldige bitte mein unangebrachtes Auftreten, Feeda. Ich hoffe, ich habe dich nicht allzu sehr erschreckt ...” er sprach etwas gestochen, fast wie ein Politiker oder ein Adeliger. Ich winkte nur ab und setzte mich ebenfalls auf die Couch, als mir wieder bewusst wurde, dass ich ja nur in ein Handtuch gekleidet war ... Wie peinlich, da steht ein gutaussehender Mann in meinem Wohnzimmer und ich habe nichts weiter als ein Handtuch an! Ich glaube, wenn meine Mum das gesehen hätte, sie hätte sonst was gedacht und wäre in ein lebenslanges Koma gefallen!

“Heute schockt mich sicher nichts mehr, da bin ich mir sicher, Mr ...

“Goodwing”, antwortete der Mann.

“Also, warum sind sie hier? Und warum ... Waren sie vor ein paar Minuten noch eine Eule?”

“Also, Feeda, ich glaube, ich muss jetzt etwas weiter ausholen. Sitzt du bequem?” ich nickte, auch wenn das nicht ganz die Wahrheit war. Das Handtuch war doch ein wenig zu kurz und ich zog es noch ein wenig zurrecht. Mr Goodwing holte tief Luft.

“Vor ungefähr fünfhundert Jahren gab es eine Frau namens Guwidine Simmons. Sie war einst sehr gutmütig und stand Jedem in ihrem Dorf mit Rat und Tat zur Seite. Aber sie war ein wenig seltsam, was auch der Grund war, warum sie von den Leuten aus ihrem Dorf bezichtigt wurde, eine Hexe zu sein. daher sollte sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden.

Man sammelte viel Holz und stapelte es auf dem Marktplatz auf, auf dem schon so viele angebliche Hexen ihren Tod gefunden haben. Sie wurde an einen Holzpfahl gebunden, der in der Mitte des Scheiterhaufens herausragte. Sie schrie um ihr Leben und sie rief nach denen, von denen sie eigentlich glaubte, sie würden ihr helfen. Doch selbst diese wandten sich von ihr ab. Als der Haufen angebrannt wurde, wusste sie, ihr Leben würde bald vorbei sein. Die Flammen schossen an ihrem Körper hoch und immer noch schrie Guwidine aus Leibeskräften. Doch plötzlich geschah etwas Seltsames mit ihr. Die Seile, mit denen sie gefesselt war, weiteten sich und alles wurde größer. Die Flammen waren nicht mehr so heiß und auch der Schmerz ließ nach. Guwidine fühlte, dass sie dem Tod entkommen würde, denn plötzlich fand sie sich unter dem Haufen von Stroh und Holz wieder und konnte durch einige Schlupflöcher dieser lodernden Hölle entfliehen.”

“was ist mit ihr passiert?”, fragte ich gespannt.

“sie hat sich verwandelt - in eine Maus! Sie konnte es selbst nicht fassen und sie wusste nicht, was geschehen war, doch sie war Gott dankbar dafür, dass er sie verschont hat. Sie verließ ihr Dorf und floh weit überland, mal als Mensch, mal als Maus. Die Menschen in ihrem Dorf wussten ja nicht, dass sie nicht verbrannt war, sie hatten aufgrund der Flammen nichts gesehen.

Ein paar Jahre später kam sie in ein Dorf, in dem sie sich sicher fühlte, denn hier glaubte niemand an Hexen. Bald fand sie einen Ehemann und bekam viele Kinder. Eines Tages, als das jüngste von ihnen bereits fünfzehn Jahre alt war, wurden diese Kinder entführt und lange hat man nichts von ihnen gehört. Der Entführer verlangte ein hohes Lösegeld, das guwidine jedoch nicht bezahlen konnte. Sie weinte bitterlich und wusste nicht mehr weiter. Sie verließ erneut ihr Dorf und irrte ausgehungert durch den Wald ganz in der Nähe. Auf einer Lichtung brach sie zusammen. Nun war ihr leben endgültig vorbei, und das akzeptierte sie so. sie wollte ihren Kindern in den Himmel folgen. Aber in den letzten Zügen tat sie noch einmal ihre Augen auf und dachte, sie sähe ein paar Tiere, die sich ihr näherten. Dann starb sie.”

Mr. goodwing holte noch einmal Luft und legte eine kurze Sprechpause ein. Ich platzte fast vor fragen, doch eine brannte mir besonders auf den Lippen. “waren die Kinder noch am leben?”, fragte ich und Mr Goodwing lächelte, als hätte er diese Frage schon erwartet.

“ja, sie waren tatsächlich noch am Leben. Der Entführer von Guwidines fünf Kindern hatte vor, die Kinder zu töten. In dem Moment, als die Kinder dem Tod ins Auge sahen, wurden sie zu Tieren, und das nicht nur im bildlichen Sinne. Sie verwandelten sich jeweils in einen Bären, einen Hirsch, eine Krähe, ein Kaninchen und in einen Fuchs. So entkamen sie ihrer Gefangenschaft, irrten durch den Wald, in dem sie festgehalten wurden und kamen schließlich auf die Lichtung, auf der ihre Mutter im Sterben lag. Leider war es schon zu spät, um sie zu retten. Zu Ehren der Mutter gründeten die Kinder auf genau dieser Lichtung eine Siedlung, die heute noch “Guwidines Village” genannt wird. Jedes der Kinder heiratete und bekam selbst Kinder. Doch all ihre Nachfahren hatten eines gemeinsam: wann immer sie in tödlicher Gefahr schwebten, wurden sie zu Tiermenschen, und konnten so ihrem Schicksal entkommen.”

“Also ... Bin ich eine ihrer Nachfahren?”, fragte ich zögernd.

“Richtig. Genau wie ich auch. Und wie all die anderen.”

“All die anderen?”

“Es gibt noch viele von deiner Sorte, feeda.”

“Aber was ist das für eine Sorte? Was genau ist denn jetzt mit mir passiert?”

“So jemanden wie dich nennt man bei uns einen Meta. deine Genstruktur war von Geburt an verändert. In dem Moment, als du dich verwandelt hast, haben sich deine Gene gemischt vollkommen neu angeordnet.”

“Und ... Was passiert jetzt mit mir?”, fragte ich.

“Nun ja ... Du musst mit mir kommen.”

“Wohin?”

“In das Dorf, das ich leite. Es wird von allen nur “Desert's Ocean” genannt. Außer “Guwidines Village” gibt es noch ein drittes, das “St. Cruz” genannt wird. Nur die Präsidentin weiß von der Existenz der drei Dörfer. Sie spendet uns regelmäßig viel Geld, damit wir die Dörfer finanzieren können.“

“Und warum sollte ich mit ihnen gehen?”

“Weil deine Verwandlung zur Katze noch unregelmäßig verläuft. Du könnest dich zum Beispiel mitten auf einem platz voller Menschen verwandeln. Was würdest du denken, wenn sich plötzlich jemand neben dir in ein Tier verwandelt? Außerdem hätte auch die Wissenschaft ein beträchtliches Interesse an uns Tiermenschen.”

“Also ... Ist es wohl das Beste ... Wenn ich mitgehe, oder?”

“Das stimmt schon, aber du solltest dir noch ein wenig Zeit geben. Rede mit deiner Mutter, damit sie versteht, was passiert ist. Vielleicht wird sie es nicht glauben, aber spätestens, wenn du ihr das zeigst ...” er schmunzelte und zeigte auf die Stelle des Sofas, auf der ich saß. Ich schaute hinunter und blickte auf einen buschigen rotbraunen Katzenschwanz. Erst realisierte ich gar nicht, woher der gekommen war, doch dann bekam ich einen riesigen Schrecken: das war mein Schwanz!

“Was ist das denn?!”, rief ich und sprang vom Sofa auf.

“Das ist ein Überbleibsel von dem, was du als Tier bist. Bei manchen von uns passiert so was.”

Mr Goodwing stand auf und glättete sein Jackett. Dann drückte er mir noch einen Zettel in die Hand.

“Das ist eine Wegbeschreibung”, sagte er. “du musst diesen Weg genauestens einhalten, dann wirst du das Dorf finden.”

Er schaute sich kurz um und entdeckte ein kleines gerahmtes Bild auf dem Fernsehschränkchen, das meine Mutter und mich im Garten zeigte. Er nahm es in die Hand und meinte nur: „Deine Mutter?“ ich nickte. Er redete weiter: „Sehr hübsche Frau. Sie wird dich verstehen.“ Er stellte das Bild behutsam zurück an seinen Platz. Danach breitete mr Goodwing seine Arme aus und verwandelte sich wieder in die Eule, die er vorher schon gewesen war. Er schwebte aus dem Zimmer und verschwand schon nach kurzer seit am Horizont.

Jetzt hatte ich also meine Erklärung für all das, was in den letzten zwei Tagen geschehen war. Aber wollte ich hier wirklich weg? War das alles hier – die Schule, meine Freunde, meine Familie - alles was ich wollte? Nein, das konnte nicht alles sein, da war einfach noch mehr da draußen, das fühlte ich.

Nachdem ich mich angezogen hatte (keine Hose, sondern einen Rock, denn der Schwanz machte schon etwas Schwierigkeiten ...), kehrte ich einige Scherben zusammen und setzte mich dann auf den Balkon. Die Stadt war schön und ich fühlte mich ganz wohl hier. Aber ich wollte schon lange weg, einfach raus aus dem Leben, das ich führte, denn es wurde doch schon ein wenig einseitig. Es reizte mich sehr, in ein Dorf zu gehen, in dem Menschen leben, die einfach anders sind. Vielleicht war ja das der Ort, an dem ich mich endlich vollkommen wohl fühlen würde.

C 103

Meine Mum kam erst spät abends nach Hause. Sie stellte die Einkaufstüten ab und ging in die Stube. Von meinem Zimmer aus konnte ich beobachten, was sie tat. Erst stand sie ganz still da und dann machte sie etwas, das mich an das schnüffeln eines Hundes erinnerte. Dann lief sie in Richtung Balkon und ich sah sie nicht mehr.

„Schatz? Feeda, war heute jemand hier?“, rief sie. Ich ging zu ihr und erzählte ihr alles, was geschehen war. Ihre Reaktion hatte ich nicht wirklich erwartet. Ich dachte, sie sei geschockt oder zumindest verwirrt, doch sie blieb ganz ruhig und gelassen. Fast ein wenig zu gelassen ... Dann erinnerte ich mich daran, dass die Gene eines Metas, wie ich ja jetzt einer bin, vererbt werden. War sie vielleicht auch ...? Nein, das konnte nicht sein, immerhin lebte sie nicht in so einem Dorf. Aber möglicherweise war ja mein Vater ein Meta. Schade, dass er mir nichts mehr darüber erzählen konnte ...

Auf jeden fall sagte meine Mum, ich sei alt genug und sie ließe mich schweren herzen gehen. Es sei ja nicht so, dass ich aus der Welt sei. Ich könne sie ja jederzeit anrufen und sicher könne sie mich auch mal besuchen kommen. Ich packte als kurz nach diesem Gespräch meine Sachen. Ich hatte nie viel zeug, an dem ich hing und so fiel es mir nicht sonderlich schwer, mich von allem zu trennen. Nach ein paar stunden hatte ich das wichtigste zusammen, vor allem Klamotten und ein paar Sachen, von denen ich mich einfach nicht trennen konnte. Dann stellte ich meine Tasche und meinen Rucksack in den Flur und ging in mein Zimmer, um ein letztes Mal in meinem Bett zu schlafen.
 

Gegen zehn Uhr am nächsten Morgen fuhren wir auch schon los. Ich hielt die Wegbeschreibung in der Hand, die wir exakt befolgten. Doch nachdem wir bereits ein paar mal im Kreis gefahren waren, wurde es mir etwas zu bunt und ich wollte beinahe aufgeben, als plötzlich, an einer Kreuzung, die wir schon zweimal befahren hatten, ein kleines rotes Schild am Wegrand stand, mit der simplen Aufschrift “Da lang”. also fuhren wir in die Richtung, in die das Schild zeigte, tief in einen Wald hinein. Ich mochte keine Wälder, sie waren so düster und mir wurde immer ganz mulmig, doch nach kurzer Zeit waren wir auch schon wieder aus dem Wald herausgefahren. Vor uns erstreckte sich jetzt eine ewige Wüste, die kein Ende zu haben schien. Große und kleine Felsen waren in der Landschaft verteilt, ein paar geierähnliche Vögel drehten ihre Runden um einen alten, verdorrten Baum und seltsame Tiere, die mich an Dingos erinnerten, liefen in Rudeln durch das karge Land. Sie waren mir völlig fremd und wirkten ein wenig, als wären sie von einem Kind gezeichnet, das noch nie ein richtiges Tier gesehen hat. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus, als ich sie sah. Sie liefen, als würden sie eine unglaublich schwere Last ziehen und waren doch fast so schnell wie unser Auto… unheimlich.

Bald konnte ich einen kleinen Punkt am Horizont ausmachen, der nicht in diese öde Wüste passte. Ich drehte mich noch mal zum Wald um, doch dieser war verschwunden, hinter uns war ebenfalls nur Wüste! Aber wenn jemand mal eben aus Menschen Tiere machen kann, dann kann er auch einfach mal eben einen ganzen Wald verschwinden lassen, und ich gab mich damit zufrieden, dass das eine besondere Art von Magie war. Das glaube ich bis Heute, auch wenn ich mir nicht erklären kann, wie diese Magie funktionierte ...

Der Punkt am Horizont entwickelte sich langsam zu einem kleinen Haufen roter Dächer, bald erkannte ich auch gelbe Fassaden, saftig-grüne Wiesen und noch ein paar andere Kleinigkeiten. Vereinzelt sah ich auch schon ein paar Menschen, aber diese jedoch nur schemenhaft. Um das ganze Dorf herum war ein großer Zaun errichtet, ein schwarzer Eisenzaun. In der Mitte war ein großes Tor eingefasst, auf welches wir geradewegs zufuhren. Nach einer Weile machten wir genau vor diesem Tor auch halt und ich hievte meine Sachen aus dem Auto. Dann verabschiedete ich mich von meiner Mum ohne groß Worte zu verlieren, denn Abschiede sind nicht gerade meine Stärke ... Es fiel mir auch wesentlich leichter, nicht emotional zu werden, wenn der Abschied schnell ging. Sie nahm mich in den Arm und ich versprach, sie sofort morgen Früh anzurufen, um zu berichten, wie es mir ergangen war. Dann fuhr sie fort, in Richtung des Waldes, der plötzlich wieder an seiner alten Stelle stand ...und ich stand nun hier, allein. Mein Herz schlug etwas schneller, denn ich hatte ja keine Ahnung, welche neue Welt mich hinter diesen schweren Toren erwarten würde. Doch mutig setzte ich einen Schritt vor den anderen und betrat “Desert's Ocean”.

Nachdem ich das Tor hinter mir gelassen hatte und mich umschaute, war ich doch schon ein wenig erstaunt; vor mir lang eine Allee von gelben Häusern mit roten Dächern, jedes mit einer Teerasse auf der altmodische weiße Metallstühle und -Tische standen. Der Weg auf dem ich lief war aus hellem Kies und die Wiese lud geradezu zum Hineinlegen ein. Ganz am Ende der Häuserallee stand ein etwas größeres Gebäude. Mein Instinkt sagte mir, dass ich dort zuerst hingehen sollte.

Als ich den Weg entlanglief konnte ich auch schon zu beiden Seiten einige Menschen ausmachen - alle nicht älter als zwanzig - die entweder ausgiebig gähnten, Frühstück aßen, oder sonst einer Beschäftigung nachgingen. Auf der Straße sah ich jedoch keinen, dieses Dorf war da wohl eher gemütlich ... Genau das richtige für mich!

Rechts von mir entdeckte ich ein Mädchen mit herausstehenden Augen, Bademantel und Badeschlappen und einer Zahnbürste im Mund. Verträumt sah sie zu mir, anscheinend bemerkte sie nicht, dass sich vor ihr überhaupt etwas bewegte, als sich plötzlich ihre Augen bewegten, wie die eines Chamäleons! Die Pupillen rollten nach vorn und sie erschrak leicht, als sie mich dann doch sah. Ich ging schnell weiter, denn der Anblick dieser Augen ging doch stark auf dem Magen ... Auf eine Teerasse zu meiner linken sah ich ein blondes Mädchen, dass, im Gegensatz zu den anderen, erstaunlich wach zu sein schien. Sie winkte mir fröhlich zu und ich grüßte zurück, dann drehte sie sich um und ging durch eine große, gläserne Schiebetür wieder in das Haus zurück.

Nach einer kurzen Weile war ich auch schon an dem großen Haus angekommen. Die Türen sprangen automatisch auf, als ich mich ihnen näherte und als ich auch nur einen Schritt ins das Haus hinein getan hatte, kam mir Mr. Goodwing auch schon freudestrahlend entgegen.

“Feeda, Liebes! Ich wusste, du würdest zu uns kommen! Ich hoffe, du hattest eine angenehme Reise! Komm, stell dein Gepäck einfach hier her, jemand wird es dir nachher in dein Haus bringen, sobald du eines zugeteilt bekommen hast.” er sprach so schnell und so viel, dass ich gar nicht reagieren konnte, als er mich auch schon hinter sich herzog und durch den Raum lief... Nein, es war wohl mehr eine Halle, denn alles hier war so riesig, wie es von außen gar nicht gewirkt hatte. Ein großer Tisch mit etwa hundert weißen Stühlen stand genau in der Mitte, davor ein Podest und dahinter eine menge Türen und Gänge. Wir liefen durch einige dieser Gänge, bis wir vor einer hölzernen Tür standen. Dann drückte er mir einige Papiere in die Hand.

“Die füllst du jetzt aus und gibst sie dann der Dame in diesem Zimmer, ja? Das sind nur einige Formalitäten, du verstehst ...” nachdem er mir noch einen Kugelschreiber in die Hand gedrückt hatte, ließ er mich allein vor der Tür stehen. Da weder jemand zu sehen noch zu hören war, setze ich mich einfach auf den beigefarbenen Linoleumboden und füllte die Blätter fein säuberlich nacheinander aus. Der Stift, den Mr. Goodwing mir gegeben hatte, war witzig: in einem kleinen Fensterchen in der Mitte des Kulis stand Desert’s Ocean for Champion. Drückte man auf den Knopf hinten wechselte die Schrift zu 349. Meta – Nationaler Kampfsportausscheid – gab es hier etwa auch Wettkämpfe unter Metas?

Auf den Formularen musste ich Dinge angeben wie meinen Namen, Alter und so weiter, außerdem standen auch die üblichen fragen darauf wie Wo wurden sie geboren? und Haben sie Geschwister?, aber auch solche fragen wie Was essen sie gern? oder Welche ist ihre Lieblingsfarbe?, die mich etwas irritierten. Warum sollte die das interessieren?

Ich machte mir jedoch nicht weiter Gedanken darüber, wenn man sich eine Weile mit diesem Dorf beschäftigte, lernte man so wie so, dass man sich nicht über alles den Kopf zerbrechen sollte ...

Ich betrat das kleine Zimmer, in dem lediglich eine große Zimmerpflanze und ein Schreibtisch, an dem eine in hellblau gekleidete junge Frau saß. Sie erinnerte mich an eine Stewardess, an ihrem Namensschild konnte ich lesen, dass ich es hier mit Diane Wiest zu tun hatte.

“Hallo Feeda”, begrüßte sie mich freundlich, ich nickte nur. “Ich habe dich schon erwartet. Hast du die Formulare ausgefüllt?” Ich reichte ihr die vielen Blätter und sie sah sich eines nach dem anderen an. Dann gab sie etwas in den schicken hellblauen Applecomputer ein, der neben ihr stand und druckte etwas aus. Dieses Blatt gab sie mir dann in die Hand. Darauf war scheinbar der Grundriss des Dorfes abgebildet. Eine dicke rote Linie führte vom großen Haus zu einem kleinen Haus ganz in der Nähe. Ebenfalls mit roter Farbe geschrieben stand darüber C 103.

Ich verabschiedete mich von Diane Wiest und lief einige Gänge entlang, von denen ich hoffte, sie würden nach draußen führen. Letztendlich kam ich auch wieder in der großen Halle an, allerdings am völlig anderen Ende ...

Als ich wieder aus dem großen Gebäude hinaus auf den Weg trat, strahlte mir die grelle Sonne entgegen und ich hielt mir die Hand vor Augen. Dann sah ich, dass jetzt einige Menschen auf dem breiten Kiesweg unterwegs waren. Keiner von ihnen schien großartig unter Stress zu stehen, ich hatte eher das Gefühl, gemütlicher könne es wohl nirgendwo anders auf der Welt sein. Alles hier lud ungemein zum Faulenzen ein: die warme Sonne, das grüne Gras ... vor allem die Gemütlichkeit, die jede Pore der Luft zu füllen schien.

Ich setzte meinen weg fort. Schon nach ein paar Schritten wies ein Schild nach rechts, auf dem nur ein großes C stand. Dann sah ich auch schon Haus C 103. Es war gelb, wie die all die anderen Häuser, und es hatte auch ein rotes Dach. Es gab sogar eine Terrasse, die in Richtung des Kiesweges lag. Ich ging um das Haus herum, als ich plötzlich vor der Tür mein Gepäck stehen sah. Ich hievte mir meine Tasche und meinen Rucksack auf den Rücken und öffnete die Tür.
 

Das Erste, was ich sah, war eine weiße Treppe auf der linken Seite, eine Ankleide auf der rechten und einen Durchgang. Schon stellte ich meine Sachen ab und ging den Gang entlang, hinter dem sich das Wohnzimmer befand. Eine rote Couch mit einem kleinen weißen Couchtisch war das Erste, was mir ins Auge sprang. Sie stand etwas rechts von mir, links stand nur ein Esstisch mit zwei Stühlen. Auch die Küche entdeckte ich, sie war in einer Ecke hinter dem Sofa. Die Schränke waren alle weiß und alles war bereits voll mit Töpfen, Pfannen, Tassen, Tellern, Besteck ... Alles, was halt so nützlich ist. Das Bad war auch im unteren Geschoss, in der Nähe des Esstisches. Als ich unten alles gesehen hatte, machte ich mich auf ins obere Stockwerk. Dort sah ich nur zwei Türen, die aber in denselben Raum führten - das Schlafzimmer. Dort gab es lediglich einen großen Eckschrank und ein Bett - aber was für eines! Es sah aus wie ein großes knallrotes Katzenkörbchen mit Unmengen von Decken und Kissen darin. Es sah so gemütlich aus, dass ich einfach nicht anders konnte als mich hineinfallen zu lassen. Dieses Bett - nein, dieses ganze Haus war einfach atemberaubend toll! Nie im Leben hätte ich daran gedacht, dass mir jemals so etwas Tolles ganz allein gehörte ...

The Bird-Girl and the very interesting Boys

Es klingelte an der Tür. Kurz spielte ich noch mit dem Gedanken, einfach liegen zu bleiben, als ich mich dann schließlich doch zu Tür bewegte. Ich öffnete die Tür und vor mir stand das blonde Mädchen, welches mir vorhin von ihrer Terrasse aus zugewunken hatte. Als ich sie jetzt so aus der Nähe sah, fiel mir auf, dass sie wirklich sehr hübsch war: sie hatte helle blaue Augen und lange blonde Haare. Ihr Gesicht wirkte unglaublich fröhlich, so als hätte sie noch nie in ihrem Leben traurig sein müssen. Außerdem glaubte ich, eine Spur Koreaner oder Japaner in ihren Gesichtszügen zu erkennen.

“Hi, ich bin Salia”, sagte sie mit heller Stimme, “Ich dachte mir, da wir ja quasi Nachbarn sind (sie deutete auf das Haus, das auf der anderen Seite des Weges stand) kann ich dich ja mal kennen lernen! Wie heißt du?”

“Feeda”, antwortete ich.

“Wir können ja eine Runde durchs Dorf drehen, dann kann ich dir alles hier zeigen, wenn du willst.”, sagte sie. Das passte mir gut, denn ich wäre Heute so wie so noch ein Weilchen durch die Gegend gelaufen, und eine Begleitung, die sich hier bereits auskannte, konnte sicher nichts Schlechtes sein. Ich schloss die Tür und wir liefen den Weg entlang.

“Wir gehen am besten zuerst zum See”, sagte Salia, „Der ist eigentlich der inoffizielle Treffpunkt des ganzen Dorfes. Man will ja nicht jeden Tag im Haus verbringen, und da hier so wie so immer die Sonne scheint, liegen die meisten täglich oben am See und bräunen sich.”

“Wieso scheint hier jeden Tag die Sonne? Ist denn nie Winter?”, fragte ich.

“Also … Gerüchten zufolge soll es vor ein paar Jahren schon einmal geregnet haben, aber das ist, wenn es stimmen sollte, nur eine Ausnahme. Es klingt vielleicht blöd, aber wenn du mich fragst, ist hier so eine Art … Magie am Werk. Keiner hier will regnerische oder stürmische oder kalte nasse Tage haben. Das Wetter ist immer perfekt und ich denke, das liegt daran, dass es sich die Metas so wünschen. “

“Das ist deine Erklärung, ja?”

“Ich, weiß, es klingt blödsinnig, aber wenn du ne Weile hier bist, wirst du das Selbe denken. Metas haben viel mit solchen Sachen zu tun. Es ist doch schon Beweiß genug, dass wir uns in Tiere verwandeln! Oder dass der Weg hierher für nicht-Eingeweihte nicht zu finden ist, oder dass du deine Tür nicht abschließen brauchst und trotzdem beruhigt schlafen kannst, weil niemand durch diese Tür gehen kann, der dir Leid zufügen will! All diese Kleinigkeiten haben schon etwas mit Magie zu tun, oder nicht?”

Als sie mir all das aufzählte, glaubte ich wirklich, dass das alles schon ein wenig magisch war. Es ist ein sehr seltsames Gefühl, wenn du plötzlich die unglaublichen Dinge als normal hinnimmst, die du sonst nur in Märchenbüchern liest. Es ist, als wäre Alles wie immer und doch ist plötzlich eine Sache mehr in deinem Leben, mit der du einfach klarkommen musst. Es ist vielleicht ein blöder Vergleich, doch auch behinderte müssen von dem einen Tag auf den anderen mit etwas Leben, worüber sie früher vielleicht gelacht hätten …

Salia und ich liefen noch ein kurzes Stück weiter und dann sah ich endlich den Ort, an dem ich noch einige Dinge - gute wie schlechte - erleben würde: den See. Sein Wasser war hell und unverschmutzt, und einige Metas tummelten sich darin. Der See lud geradezu dazu ein, ein kühles Bad zu nehmen. Vielleicht würde ich ja in den nächsten tagen eine Runde schwimmen gehen …

Wir setzten uns etwas weiter weg vom Wasser unter eine große schattenspendende Trauerweide, deren Blätter so grün waren, als hätte der Baum ein bisschen radioaktive Strahlung abbekommen ...

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, bis es auch schon langsam Zeit wurde, wieder zurück zu unseren Häusern zu gehen. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war, so gut verstand ich mich mit Salia. Ich wusste schon damals, in dem Moment, in dem sie vor meiner Tür stand, dass wir gute Freunde werden würden.

Vor meiner Tür verabschiedeten wir uns bereits zum dritten Mal (ihr fiel immer wieder etwas Neues ein, was sie noch loswerden musste), als Salia plötzlich ganz komisch wurde und “Versteck’ mich!” rief. Ich verstand gar nicht, als sie versuchte, sich hinter mir zu verstecken, was eigentlich unmöglich war, da sie so etwas einen kopf größer war als ich ...

Ich drehte mich um und sah auch gleich, weswegen sie sich so benahm - drei sehr interessante Jungs kamen auf uns zu. Ich spürte, wie ich sofort puterrot anlief und zerrte Salia vor mich, die ständig “Mist, Mist, Mist” flüsterte.

“So, du bist also die neue, ja? Wie heißt du?”, fragte einer von ihnen. Er war blond und so wie ich das sah der Größte der drei Jungs.

“Ähm, Feeda“, nuschelte ich. „Warum weiß hier eigentlich Jeder, dass ich neu bin?”

“Das weiß jeder, weil am großen Haus ein Zettel über die Neuankömmlinge hängt ...”, sagte Salia etwas kleinlaut, ganz so als ob niemand mitbekommen sollte, dass sie anwesend war. Was war denn nur mit ihr los?

Es herrschte kurz Stille, dann rang ich mich dazu durch, doch etwas zu sagen: “Was wollt ihr von mir?”

“Ich wollte nur mal meine neue Nachbarin kennen lernen.”, sagte der Blonde wieder.

“Nachbar?”, fragte ich.

“Jep, ich wohne gleich im Haus nebenan.” er zeigte auf das Haus, das direkt neben meinem stand.

“Und ... Wie heißt ihr drei?”, fragte ich.

“Find’s raus.”, sagte diesmal ein anderer. Er trug ein grünes Haarband und hatte sehr helle Haare, es sah fast weiß aus. Spontan gesehen gefiel er mir von den drei Jungs am besten, er hatte so eine Art an sich, die mich in ihren Bann zog. Der dritte junge übrigens hatte braunes Haar und schien der Älteste zu sein. Er war die ganze Zeit über still geblieben und schien auf etwas zu warten, denn er sah ständig in Richtung Dorfeingang.

“Wieso das denn?”, fragte ich.

“Das ist so’n blödes Spiel”, meinte Salia, “Das ziehen die immer ab, wenn jemand neu hier ist. Du musst nur wissen, welche Tiere sie sind und sie verraten dir ihre Namen.”

“Richtig, Salia! Du kannst dich also doch noch an etwas erinnern.”, meinte der Blonde.

“Na und? Du sollst mich trotzdem in Frieden lassen ...” Salia verschränkte die Arme und drehte den Jungs den Rücken zu.

“Also, ich soll eure Tiere erraten, ja?”, fragte ich und versuchte Salia nicht zu beachten, die dem blonden Jungen leise sehr bösartige Namen gab.

“Richtig. Was du bist, sieht man ja ...” sagte der Blonde und deutete auf meinen Schwanz, der munter und unkontrolliert hin- und herpendelte. Ich hatte ihn noch nicht unter Kontrolle, aber ich hatte schon ein paar Male das Gefühl, ich könnte seine Bewegungen steuern, so wie auch meinen Arm oder so steuerte. Jetzt gerade versuchte ich, ihn einfach nur festzuhalten, damit er nicht andauernd hervorlugte. Ich schaute mit rotem Kopf auf den Boden und die Jungs gingen weiter den Weg entlang. Ich sah ihnen hinterher und bemerkte, wie der Blonde Salia zuzwinkerte und wie diese sich wieder von ihm wegdrehte und ebenfalls rot wurde.

“Wir sehen uns, Feeda!”, rief der Blonde noch zu mir, dann verschwanden die drei hinter der nächsten Hauswand.

“Was war das denn?”, fragte ich Salia.

“Was?”, fragte sie erschrocken.

“Na er hat dir zugezwinkert! Du kannst mir doch nicht erzählen, dass man das hier unter Freunden so macht ...”

Salia knuffte mich an der Schulter und hatte gleich wieder bessere Laune.

„Das … bleibt erstmal mein Geheimnis …“

Salia grinste und wollte gerade gehen, als ich doch noch eine Frage hatte.

“Was bist du eigentlich für ein Tier, Salia?”

“Ein Adler. Weißt du, früher hab ich bei diesem Spielchen mitgemacht, aber jetzt ist es mir zu blöd.”

“Heißt das, du hilfst mir?”

“Nein, ich denke nicht. Ich will kein Spielverderber sein. Du wirst sicher deinen Spaß haben!”

Sie verabschiedete sich noch einmal und ging dann nach Hause. Nachdem ich noch eine kurze Weile so dastand und den wunderbar kühlen Wind über mein Gesicht streichen ließ, ging ich schließlich auch ins Haus.
 

Wenige Minuten später saß ich auf meinem Sofa und dachte an Salia. Mit ihr hatte ich meine erste Freundin gefunden, und darüber war ich mehr als glücklich. Denn ohne einen Freund wäre mein Start hier wahrscheinlich wesentlich schwieriger gewesen. Es ist ja so, dass es dir noch so schlecht gehen kann, mit einem Freund an deiner Seite ist alles nur noch halb so schlimm, denn ihm kannst du alles erzählen und er teilt dein Leiden und du teilst auch seines, wenn er Probleme hat.

Und dann waren da noch die Jungs ... Vielleicht hatte ich ja wirklich Glück und einer von ihnen war an mir interessiert. Aber das sollte für Heute nicht mehr mein Problem sein, denn ich war hundemüde geworden von all den vielen Dingen, die ich Heute erlebt und erfahren habe ...

The Love and the Tournament

Erst als ich am nächsten Morgen (kurz nach um Zwölf) wieder aufwachte, merkte ich, dass ich auf dem Sofa geschlafen hatte. Mein Rücken tat weh und ich hatte mir in der Nacht scheinbar mehrmals den Hals ausgerenkt ... Gerade versuchte ich, mir selbst den Rücken zu massieren, als ich dachte, ein Geräusch an der Tür gehört zu haben. Spielten mir meine überempfindlichen Ohren einen Streich?

Ich lief zur Tür und öffnete sie. Da war niemand, jedoch stand ein mysteriöses braunes Körbchen auf der Fußmatte. Daran hing ein Zettel:
 

Guten Morgen, Feeda!

Ich hoffe, du hast deine erste Nacht hier im Dorf gut überstanden.

Das hier ist eines der Körbchen, die du jeden Tag bekommen wirst. Hier drin wirst du alles finden, was dein Herz begehrt, sei es Essen oder neue Badehandtücher. Wenn es leer ist, stell es gegen 18 Uhr bitte wieder vor deine Tür, das Personal kümmert sich dann darum. Wenn du neue Wünsche hast, lass es uns wissen.
 

Mit Freundliche Grüßen, Eliah Goodwing
 

Ich nahm das Körbchen mit in die Küche und packte es aus. Darin lagen all die Dinge, die ich wohl auch selbst bei einem Einkauf unbedingt mitgenommen hätte: ein halbes Brot, bereits in Scheiben geschnitten, Honig, Erdbeer- und Kirschmarmelade, wurst und käse, drei 5-Minuten-Terrinen und ein paar Sachen zum Mittagessen.

„Die denken auch wirklich an alles …“, nuschelte ich vor mich hin, während ich mir ein Brot mit Honig machte.

Ich setzte mich auf mein Sofa, was gemütlicher war als es aussah. Als ich mich ein wenig umsah, fiel mir auf, dass ich durch das kleine Fenster neben dem Esstisch direkt in das Haus des blonden Jungen von gestern sehen konnte. Ich ging zum Fenster und sah, wie er auf und ab ging, dann kurz verschwand und auch mit etwas zu Essen wiederkam. Dann entdeckte er mich. Erst schien er überrascht, fast als wäre ihm die Situation ein wenig unangenehm, doch dann nickte er mir freundlich zu und ich erwiderte seinen Gruß. Dann sah er plötzlich auf seinen Arm und wurde ein wenig nervös. Er sah noch einmal kurz zu mir und verschwand dann vom Fenster. Ich wurde neugierig und wollte wissen, was da los war. Ich schlich mich zu seiner Terrassentür (auf der Straße war niemand zu sehen, der mich mit bösen Blicken strafen konnte) und lugte durch einen Spalt zwischen Gardine und Wand hinein. Der blonde Junge stand mitten im Raum und betrachtete seinen Arm, aus dem erst kleine, dann auch große, braune Federn wuchsen. Er sah sich um und ging zur Terrassentür. Erst dachte ich, er hatte mich entdeckt, doch er öffnete nur die Tür, dann ging er wieder einige Schritte zurück. Allmählich wurde er immer kleiner, bekam Federn auf dem Rücken und dem Bauch. Das alles geschah in einem unglaublichen Tempo, die gesamte Verwandlung dauerte nicht mehr als zehn Sekunden.

Der Vogel saß mitten im Raum und blickte sich noch ein letztes Mal um, bevor er seine Flügel ausbreitete und aus der Terrassentür schwebte. Jetzt erkannte ich auch, dass es sich um einen Falken handelte. Ich sah ihm noch eine Weile nach, bis er im Wolkenlosen Blau des Himmels verschwand.

Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter und zuckte zusammen. „Erwischt“, dachte ich schon und drehte mich um, doch es war nur Salia, die mich angrinste.

„Beobachtest du gern andere Menschen?“, fragte sie amüsiert.

„Mann, du hast mich tierisch erschreckt!“, sagte ich und atmete tief durch. „ich hab ihn doch gar nicht beobachtet, ich …“

„Schon klar …“, sagte Salia weiterhin mit diesem überlegenen Grinsen im Gesicht.

Wir gingen zu meiner Terrasse und setzten uns auf die schicken weißen Metallstühle. Salia schwieg eine Weile, dann sagte sie: „Weißt du, er und ich, wir … waren ja mal zusammen.“

„was, echt?“, fragte ich.

„Jep, fast ein halbes Jahr. Hat sich irgendwie so ergeben …“

„irgendwie hätte ich mir das schon fast denken können …“, sagte ich und Salia sah mich überrascht an.

„Was? Wieso das denn?“, fragte sie.

„Naja … erstmal, weil du gestern so geheimnisvoll getan hast, als ich dich nach ihm gefragt hab. Und außerdem war da so etwas … es ist nur ein Gefühl gewesen, aber man hat gespürt, dass ihr nicht nur gute bekannte seid …“

„Ist das so offensichtlich, ja?“ Salia seufzte. „Vor ein paar Wochen hab ich Schluss gemacht, weil er mich genervt hat … Aber ich weiß nicht einmal, ob das überhaupt die richtige Entscheidung war …“

„Heißt das, du willst ihn wieder?“, fragte ich.

„Ich habe das Gefühl, er denkt, ich würde ihn eh wieder zurücknehmen.“

„Und? Wirst du das tun?“

„Nein! Naja … zumindest noch nicht so früh! Ich will ihn noch eine Weile zappeln lassen, er soll nicht denken, er hätte mich in der Hand. Außerdem weiß ich nicht einmal genau, ob er wirklich wieder zu mir kommt, oder ob er nur noch mit mir spielt …“

„Eigentlich sieht er für mich nicht aus, als würde er so was machen.“

Es herrschte eine kurze Stille, dann sagte Salia: „Du … könntest ihn ja mal fragen …“

„Was? Ob er noch will?“

Salia nickte.

„Wieso sollte er mit mir darüber reden? Er kennt mich doch kaum!“

„Das ist nicht weiter schlimm, er redet über alles mit jedem. Er nimmt’s damit nicht so genau …“

„Ich könnte es versuchen …“ Ich lächelte Salia an, die jetzt schon ein wenig entspannter aussah. Plötzlich sah ich, wie der Junge mit den weißen Haaren näher kam.

„Hey Salia!“ Er grüßte sie. „Freundest dich mit unserem Neuankömmling an?“ Er grüßte auch mich.

„Sie muss ja auch die netten Leute hier kennen lernen, oder?“ Salia lächelte überlegen. Sie behandelte ihn wesentlich freundlicher als den blonden Jungen. Auch er lächelte, dann wand er sich mir zu. „Weißt du zufällig, ob dein Nachbar zu Hause ist?“

„Nein, der ist wohl … ausgeflogen.“, sagte ich und Salia konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der Junge schien ein wenig verwirrt, verabschiedete sich dann und ging weiter, anscheinend in Richtung See. Ich sah ihm noch eine Weile hinterher, vielleicht ein wenig zu lang, denn Salia stieß mich mit dem Ellenbogen an und meinte nur: „Der gefällt dir wohl?“

„Was?“, sagte ich und zuckte zusammen.

„Sieht doch ein Blinder, dass du ihn interessant findest!“

„Also … er hat schon irgendwie was an sich …“

„Der ist schon okay, kannst mir glauben. Wir sind schon lange befreundet.“

„Da bin ich ja beruhigt“, sagte ich ironisch. „Du alte Kuppeltante …“

Salia wollte mir gerade eins überziehen, als sie in den Himmel schaute und hastig aufstand. Ich sah in die Richtung, in die sie auch sah und entdeckte den Falken, der wieder zurück in sein Haus flog.

„Ich geh dann wohl besser“, sagte Salia. „ich hab Heute ehrlich gesagt keine Lust, mir seine blöden Sprüche anzuhören …“

Kurz nachdem Salia um die Ecke verschwunden war, kam der Blonde Junge auch schon mit etwas zu Trinken auf seine Terrasse. Ich ging zu ihm.

„Hey, du schon wieder!“, sagte er überrascht. „Was gibt’s neues?“

„Du bist ein Falke …“, sagte ich nur.

„Ah, du hast mich gesehen! Ich wusste, es würde nicht lange dauern, immerhin wohne ich direkt neben dir …“

Es herrschte kurz Stille.

„Also, dann stell ich mich mal vor: Ich heiße Gwen Alvarez, bin 17 Jahre jung und ein Falke – was du ja schon weißt.“

„Gwen“, nuschelte ich, „Ist das nicht ein Fr –„

„Nein, das ist nicht nur ein Frauenname!“ Er schmollte ein wenig, aber irgendwie sah das niedlich aus.

„Wie alt bist du?“, fragte er mich.

„16. Aber im November werde ich auch 17.“

„Das passt ja perfekt! Zum Durchschnittsalter des Dorfes natürlich!“

„Ich tue einfach mal so, als würde ich dir das glauben, okay?“ Er grinste. Gwen sah wirklich wahnsinnig niedlich aus …

„Und? Wie gefällt’s dir hier im Dorf?“, fragte er.

„Es ist wirklich toll! Es gibt hier für mich so viele Dinge, die ich noch nicht kenne!“

„Glaub mir, ich bin jetzt seit drei Jahren hier, und es gibt immer neue interessante Sachen zu entdecken.“ Als er das sagte, musterte er mich von oben bis unten, was mir fast ein wenig unangenehm war. Es herrschte kurz eine unangenehme Stille, die aber glücklicherweise durch laute Rufe unterbrochen wurde. Der Junge mit den weißen Haaren rief nach Gwen, dieser jedoch wandte sich erst nach kurzer Zeit von mir ab.

„Was ist?“, rief er zurück.

„Ich hab dich schon ne ganze Weile gesucht.“, sagte der mit den weißen Haaren. „Kommst du mit zum See? Wir wollen uns den Kampf ansehen.“

„Ach ja, das hab ich ja fast vergessen!“, sagte Gwen und fasste sich an den Kopf. Er ging ins Haus um sein Glas weg zu schaffen und schloss auch gleich die Terrassentür.

„Wenn du willst, kannst du auch mitkommen“, sagte der Weißhaarige.

„Was ist das für ein Kampf?“

„Für den Wettkampf, der einmal im Jahr stattfindet. Es geht darum herauszufinden, welche vier Metas aus unserem Dorf gegen die Teams aus den anderen beiden Dörfern antreten dürfen. Das heute ist so was wie ein Viertelfinale.“

„Ich könnte mich schon dazu hinreißen lassen …“

„was heißt hier ’könnte’?“, sagte Gwen, als er gerade um die Hausecke kam. „Natürlich kommst du mit! Das darfst du dir nicht entgehen lassen!“

„Dann hab ich wohl keine andere Wahl“, sagte ich und seufzte gekünstelt.
 

Als wir am See ankamen, war die Wiese schon brechend voll. Ich rechnete damit, mich wohl mit einem Platz sehr weit hinten zufrieden geben zu müssen, doch Gwen packte mich an der Hand und zog mich durch die Menge.

„Wir haben uns ein paar Plätze reservieren lassen, ganz vorn!“, rief er mir zu. „Ein Freund von uns, Salem heißt er, war so nett und hat sie extra mit seinem Leben verteidigt.“

„Hoffen wir, dass er in dem Getümmel überlebt hat!“, rief ich zurück.

Tatsächlich sah Salem zwar ziemlich erschöpft, jedoch noch lebensfähig aus, als wir die drei Quadratmeter Wiese direkt am See erreichten, die er bewacht hatte. Nachdem wir uns gesetzt hatten (ich saß zwischen Salem und dem Weißhaarigen), klopfte er sich den Staub vom schwarzen Jackett ab. Dann entdeckte er mich.

„Wer ist diese bezaubernde junge Dame, die ihr da bei euch habt?“, fragte er charmant und gab mir zur Begrüßung einen Handkuss.

„Das ist Feeda, sie ist neu im Dorf.“, sagte Gwen. Er schaute gespannt auf eine große Uhr, die in der Nähe stand. „Was? Noch ne Viertelstunde? Und dafür hast du so’n Stress gemacht, Alter?“ Er sah zu dem Jungen mit den weißen Haaren.

„Wenn du mich nicht hättest, würdest du wahrscheinlich sogar das Finale verpennen! Also sei mir lieber dankbar.“ Er schaute siegessicher in Richtung Wasser, während Gwen „wenn du mich nicht hättest …“ leise vor sich hinnuschelte.

„Wie auch immer“, sagte Salem, der wie ich kurz abgelenkt war. „Ich bin Salem Sudopus und komme eigentlich aus Griechenland. Ich bin reich, gutaussehend, intelligent, charmant, Gentleman –„

„Frauenheld …“, warf Gwen ein.

„Lügner …“, sagte der mit den weißen Haaren. Ich konnte mir ein Grinsen nicht unterdrücken.

„Neid ist keine Schande, meine Freunde“, sagte Salem. Er hatte wirklich Charme, jedoch kam er damit nicht bei mir an.

„Was bist du für ein Tier?“, fragte ich Salem.

„sieh mir in die Augen.“, sagte er und nach kurzem Zögern tat ich das auch. Er hatte ziemlich helle grüne Augen, die fast ein wenig türkis schienen. Aber irgendetwas war seltsam an ihnen … sie sahen aus wie die Augen einer Katze!

„Bist du vielleicht so was wie eine Katze?“, fragte ich.

„Ich bin die schönste Katze im ganzen Dorf!“, sagte er überlegen. „Ein so graziles Wesen sieht man kein zweites Mal!“

„Pass auf, was du sagst“, sagte der mit den weißen Haaren. „Schau mal genau hin, wer dir gegenüber sitzt!“

Er musterte mich eine Weile und sah schließlich meinen rotbraunen Katzenschwanz, den ich eigentlich verzweifelt zu verstecken versuchte.

„Ich nehme selbstverständlich alles zurück!“, sagte Salem und verneigte sich vor mir. „Ich bin froh, einen Artgenossen gefunden zu haben.“

„ich auch“, sagte ich. „Auch wenn ich trotzdem die einzige mit einem nervigen Katzenschwanz bin …“

Salem lehnte sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr: „Verrat’s nicht weiter, aber ich hab meinen nur gut versteckt …“ Er zwinkerte mir zu und lehnte sich wieder zurück.

Ein lautes trötenartiges Signal ertönte und schlagartig herrschte eine Totenstille. Eine Stimme, wahrscheinlich die von Eliah Goodwing schallte laut über die Wiese hinweg.

„Das letzte Viertelfinale des 349. Meta-nationalen Kampfsportausscheids beginnt in weniger als einer Minute. Ich bitte die Kontrahenten auf die Wasseroberfläche. Ich wünsche ihnen beiden viel Erfolg.“

Das Wasser vibrierte. Von der Mitte aus bewegte sich eine einzelne kleine Welle über die gesamte Wasseroberfläche, danach stand der See still. Ein großer schlaksiger Junge auf der einen Seite des Sees erhob sich, ebenso wie ein bäriges Mädchen auf der anderen Seite. Langsam liefen sie auf das Wasser zu – und liefen auch darauf weiter! Was alle anderen für scheinbar völlig normal hielten, verwunderte mich schon ein wenig. Aber ich tat die auf-dem-Wasser-laufen-Sache erneut als unerklärliche Magie ab und beobachtete weiter die Situation. Die beiden verbeugten sich leicht voreinander und warteten einige Sekunden.

„Sie konzentrieren sich darauf, sich zu verwandeln“, flüsterte der weißhaarige mir von der Seite zu. „Dann kämpfen sie so lange, bis einer von beiden aufgibt. Der Sieger kommt ins Halbfinale und tritt gegen den Sieger von letzter Woche an.“

„Ich will ja nicht den Moralapostel spielen, aber ist das nicht gefährlich?“, fragte ich.

„Das stimmt schon, aber alle die an diesem Turnier teilnehmen, wissen, dass sie sich verletzen können. Wer Angst hat, gibt von sich aus auf, bevor es dazu kommt … Es geht los!“

Zeitgleich verwandelten sich die beiden Gegner. Aus dem bärigen Mädchen wurde ein Bison, aus dem schlaksigen Jungen ein schwarzer Panther.

„Ich tippe auf das Bison“, sagte Gwen.

„Ich halte dagegen“, sagte Salem und sah mit funkelnden Augen zum Kampfplatz.

Ein zweites Mal ertönte das trötenartige Hupen. Sofort stürzte sich der Panther auf das schwerfällige Bison und biss es in das behaarte Bein. Das Bison jaulte auf und die Menge tobte. Das Bison trat wild um sich und traf den Panther am Hals. Der Panther wurde einige Meter nach hinten geschleudert und blieb scheinbar bewusstlos liegen.

„Manchmal dauert ein Kampf nicht länger als ein paar Minuten“, sagte Gwen. „Wir hatten aber auch schon solche, die mehrere Stunden dauerten“

„Der hier ist wohl zu Ende …“, sagte Salem bitter.

Doch der Panther stand wieder auf und die Menge jubelte und feuerte ihn an. Er setzte zu einer erneuten Attacke an. Er sprang direkt auf den Rücken des Bisons und biss sich in dessen Nacken fest. Das Bison versuchte den Panther herunterzuschütteln, doch es hatte keine Chance, denn dieser krallte sich tief in das Fell des Bisons. Doch nach schier endlosen Sekunden des fiebrigen Wartens auf eine erneute Wendung stieß das Bison den Panther hinunter. Der Panther lag nun ungeschützt auf dem Rücken und konnte sich, durcheinander wie er war, weder bewegen noch schützen. Das Bison kam näher, stellte sich auf seine Hinterbeine -

Ein furchtbares Knacken erhellte das ganze Dorf. Niemand musste sehen, was mit dem Panther geschehen war, um zu wissen, was passiert war. Blitzartig schloss ich die Augen und klammerte mich an die Schulter des Jungen mit den weißen Haaren. Er sah zwar wie gebannt auf die Szene, die sich vor ihm abspielte, als ob es ihn nicht kümmerte, dass gerade die Wirbelsäule des Panthers – also die des Schlaksigen Jungen – zertrümmert worden war, doch als er seine Hand auf meine Schulter legte, merkte ich, wie er zitterte.

Eine Weile herrschte Stille. Ab und an hörte man jemanden in der Menge etwas sagen, doch die Stimmung von eben war wie verflogen.

„Gewinner des letzten Viertelfinales ist das Bison.“, sagte die Lautsprecherstimme dumpf.

„Was?“, rief ich aufgebracht. „Wieso hat es gewonnen? Es hat den Panther getötet! Es sollte disqualifiziert werden!“

„So sind die Spielregeln.“, sagte Salem tonlos. „Die Teilnehmer wissen, auf was sie sich einlassen.“

„Das ist vielleicht dumm und primitiv, aber so ist das nun mal. Dieses Turnier gibt es seit mehr als dreihundert Jahren, wir können es nicht einfach abblasen.“ Der weißhaarige redete so, als ob er das jedoch am liebsten tun würde. Erst jetzt merkte ich, dass ich noch immer an seiner Schulter klammerte. Hastig ließ ich ihn los. Ich bekam augenblicklich Bauchkribbeln und traute mich nicht mehr, ihn noch einmal anzusehen.

„Es ist ja auch nicht jeder Kampf so.“, sagte Gwen. „Die Meisten gehen völlig unblutig aus.“ Es schien fast so, als wolle er jemandem Mut machen.

„Wir sollten gehen.“, sagte Salem und stand auf. Wir anderen taten es ihm gleich.

„Lasst uns vorher noch mal an die Tabellenwand schauen“, sagte Gwen. „ich will wissen, welchen Kampf wir als nächstes sehen.“

Wir liefen durch die vielen Menschen, von denen die meisten ebenfalls die Idee hatten, nach Hause zu gehen. Einige sahen ziemlich blass aus, andere eher gelassen, so als ob sie der Vorfall nicht im Geringsten kümmern würde. Am Ende der Wiese angekommen liefen wir den Weg entlang bis zum großen Haus in der Mitte des Dorfes. Dort hang eine große dunkle Holztafel, die mir bei meinem ersten Besuch im großen Haus nicht aufgefallen war. Viele Dinge standen darauf, die zwar die anderen verstanden (die Jungs diskutierten wild darüber, wer den nächsten Kampf gewinnen würde), ich jedoch nicht. Doch eine Sache entdeckte ich, die mein Interesse weckte: Der Gegner des Bisons war schon eingetragen.

„Ein Schneewolf …“, nuschelte ich und die Jungs drehten sich zu mir um. „Der hat doch nicht viel mehr Chancen als der Panther, oder?“

Der Junge mit den weißen Haaren sah betrübt zu Boden, die anderen beiden taten so, als wären sie nicht anwesend. Jetzt verstand ich, was los war. Warum der weißhaarige so still war, und warum er so konzentriert jede Aktion des Bison beobachtet hatte.

„Was?“, fragte ich perplex. „Ist das etwa … Bist du der Schneewolf?“

Arthemis

Diese Nacht schlief ich so gut wie gar nicht. Der Gedanke daran, dass der Junge mit den weißen Haaren, den ich so unheimlich interessant fand, sich ernsthaft verletzen könnte, jagte mir kalte Schauer über den Rücken. Auch wenn ich ihn längst nicht so gut kannte, wie ich es vielleicht gerne hätte, ging mir sein unsicheres Schicksal nicht aus dem Kopf. So sehr ich mich auch in meinem Bett hin- und herwälzte, ich fand einfach keine Ruhe. Mir gingen die ganze Zeit die furchtbarsten Szenen durch den Kopf, und sie wiederholten sich immer und immer und immer wieder …

„Macht euch keine Gedanken“, sagte er, und ich weiß noch ganz genau, so unpassend es auch war, dass ich ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre, Denn der Mut, der in seinen Augen funkelte, war zum Dahinschmelzen! Er wirkte fast wie ein furchtloser Kämpfer, der sich heldenhaft in einen nahezu hoffnungslosen Kampf stürzt und seine Truppen noch immer davon überzeugen will, dass dieser noch nicht vorbei ist … Ich sah ihn eine kurze Zeit verträumt an und zuckte zusammen, als ich bemerkte, was ich eigentlich tat. Doch niemand hatte Etwas bemerkt.

„Du kannst immer noch aussteigen“, sagte Salem betrübt, aber doch ein wenig hoffnungsvoll.

„Das kannst du bei dem aber vergessen!“, sagte Gwen und der Junge mit den weißen Haaren sah schmunzelnd auf den Boden. „Der ist viel zu stolz, um einfach so aufzugeben!“

„Du würdest das Selbe tun, oder?“, fragte der Junge mit den weißen Haaren und gab Gwen einen Schubser mit dem Ellenbogen. Dieser tat so, als würde er überlegen und sagte dann: „Du hast Recht. Ich würde es ganz genauso machen. Aber leider haben Falken, nein, eigentlich sämtliche Vögel bei diesem Turnier null Chance.“ Er seufzte.

„Du vergisst Ellis, die Monsterkrähe.“, sagte der Junge mit den weißen Haaren. „Die macht einen Gegner nach dem anderen Platt.“

„Du sagst es: ein Monster“, verteidigte sich Gwen. „Die ist doch ein Kerl, so viel Krafttraining wie die macht. Habt ihr gesehen, wie fett die ist? Die Krähe ist so groß wie ne Seekuh!“

„Du bist bloß feige.“, rief Salem dazwischen. Die Jungs rangelten eine Weile und ich hatte fast das Gefühl, sie hätten schon längst wieder vergessen was noch vor kurzer Zeit geschehen war. „Habt ihr denn keine Angst?“, hätte ich am liebsten geschrieen, doch das ist eine Frage, bei denen es Jungs evolutionstheoretisch unmöglich ist, eine tiefsinnige Antwort zu geben, die dazu auch noch der Wahrheit entspricht. Also ließ ich es bleiben und belächelte die drei einfach nur weiter, wie sie sich freundschaftliche Kopfnüsse gaben.
 

Doch heute, einen Tag später, war meine Unsicherheit noch größer als gestern. Erst jetzt hatte ich wirklich realisiert, was da gestern geschehen war. Ich konnte nicht anders – ich musste noch mal zu den Jungen mit den weißen Haaren gehen und ihn darauf ansprechen, auch wenn ich ihm dadurch sämtliche emotionale Reserven entlocken musste.

Nachdem ich mir im Bad eine ausgiebige Katzenwäsche gegönnt und die Knautschfalten aus meinem Gesicht entfernt hatte (die im Übrigen entstanden waren, weil ich heute früh von fünf bis sieben doch noch ein wenig Schlaf bekommen und prompt auf dem einzigen Kissen mit Muster geschlafen hatte, das ich besaß) ging ich auf die sonnenüberflutete Straße, als mir plötzlich einfiel, dass ich doch gar nicht wusste, wo der Typ wohnte! Und Gwen wollte ich auch nicht fragen, der würde mir mit Sicherheit nur unangenehme Fragen stellen …

Als ich gerade mit dem Gedanken spielte, noch einmal zum See zu gehen, in der Hoffnung jemandem zu begegnen, den ich kannte, sah ich etwas planlos in die Gegend – und ihr glaubt nicht, wer mit da entgegenkam: der schlaksige Panther-Junge! Er schien noch etwas neben sich zu stehen, sah aber durchaus lebendiger aus, als das gestern noch der Fall war.

Völlig perplex und ohne nachzudenken sprach ich ihn an: „W-was suchst du hier? Du bist doch tot! Also, ich meine-„

„Das haben viele gedacht, oder?“, fragte er mich lässig.

„J-ja, um genau zu sein alle.“

„Oh. Das wollte ich nicht.“ Er schaute in die Gegend und tat ein wenig so, als ob es ihm tatsächlich Leid tat, einfach so zu Sterben und von den Toten wieder aufzuerstehen.

„In Wahrheit“, sprach er weiter, „hatte ich mir nur meine Wirbelsäule gebrochen und den Kopf angeschlagen, daher war ich ein wenig unfähig, mich zu bewegen. Aber die haben mich wieder hinbekommen.“

„Was? Hinbekommen? Da müsste man schon zaubern können!“ Noch während ich das sagte, wusste ich bereits, dass das wieder diese eigenartige Magie war, die ich mir bis Heute nicht erklären kann. Es ist einfach so, dass Menschen sich in Tiere verwandeln, dass Wege, die eigentlich ins Nichts führen, plötzlich in einer schier unendlichen Wüste enden und dass in tausend Teile zersplitterte Wirbelsäulen mal ganz fix wieder zusammengesetzt werden, wie ein Puzzle!

„Frag mich bloß nicht!“, wehrte er freundlich, aber bestimmt ab. „Ich war die ganze Zeit bewusstlos. Das einzige, was ich noch mitbekommen habe ist, dass ich auf einer Art OP-Tisch aufgewacht bin … und dass ich plötzlich seltsam gelenkig war …“

In gewisser Weise beruhigte es mich, dass er wieder fit war. Ich machte mir auch nicht mehr allzu viele Sorgen über den Jungen mit den weißen Haaren, dennoch wollte ich ihn besuchen – unter Anderem, um ihn nun endlich nach seinem Namen zu fragen…

Der schlaksige Junge wollte gerade gehen, als ich ihn doch noch zurückhielt.

„Hey!“, rief ich etwas zu laut, da er noch immer vor mir stand. „Entschuldige … kennst du einen Jungen mit weißen Haaren? Er ist ein Schneewolf und –„

„Du brauchst ihn mir nicht zu beschreiben, den kennt hier jeder.“

„Was?“

„Jep. Allgemein bekannt als sehr guter Kämpfer, schweigsamer Schönling, Frauenschwarm, … anscheinend hat er schon einen neuen Fan …“

„Wie meinst du …? Oh! Nein, ich bin doch nicht – das verstehst du völlig falsch!“

„Schon klar“, sagte er und zwinkerte mir zu. „Ich werd’s ihm nicht verraten.“

„Aber –„ Ich wollte protestieren, doch ich hatte das Gefühl, es wäre so wie so zwecklos.

„Er wohnt gleich dort drüben“, sagte der Junge und zeigte auf ein Haus ganz in der Nähe. Dann ging er weiter den Weg entlang, als ich ihn noch ein letztes Mal zurückrief.

„Warte! Wie heißt du eigentlich? Vielleicht laufen wir uns noch mal über den Weg, da will ich dich wenigstens mit deinem Namen grüßen!“

Auch wenn mich die helle Sonne blendete, sah ich, wie der Junge mir zulächelte. „Ich heiße Chris.“, rief er mir zu.

„Feeda“, erwiderte ich.

„Mach’s gut Feeda. Wir sehen uns sicher noch mal, in diesem Dorf ist es quasi unmöglich, sich nicht über den Weg zu laufen!“

Er verabschiedete sich mit einem kurzen Kopfnicken, dann verschwand er um die Hausecke. Ich ging die paar Schritte zu dem Haus des Schneewolfes und merkte, wie mein Herz mit jedem Schritt höher Schlug, auch wenn es dazu eigentlich keinen Grund hatte. Als ich direkt vor seiner Tür stand, holte ich noch einmal tief Luft und klopfte.

„Bin gleich da!“, rief eine gedämpfte Stimme von drinnen. Es war ein lautes Poltern zu hören, dann näherten sich Schritte der Tür und jemand öffnete sie, jedoch nur einen Spalt weit.

„Ach, du bist es nur“, sagte der Junge mit den weißen Haaren scheinbar erleichtert. Er bat mich mit einer Handbewegung hinein. Ich setzte mich auf sein Sofa und er setzte sich mit seinem Frühstück neben mich.

„Wen hast du denn erwartet?“, fragte ich.

„Mh?“, murmelte er mit vollem Mund.

„Weil du an der Tür so komisch warst.“

„Ach so. Da gibt’s so ne Verrückte, die ist ’n Fan von mir. Nervt mich schon seit Wochen und ich bekomm sie einfach nicht los. Hunger?“ Er bat mir einen Toast an.

„Danke“, sagte ich und nahm mir einen.

„Also“, sagte er, „Was willst du so früh hier? Es gibt Leute, die schlafen um die Uhrzeit noch …“

„Aber du anscheinend nicht, oder?“

Er schmunzelte. „Da hast du Recht. Aber trotzdem: was ist los? Ist es wegen dem Turnier?“

Ich nickte. „Ich … hab einfach Angst, dass etwas passiert …“

„Du hast Angst? Wegen mir?“ er sah mich interessiert an. „Also … Das Turnier ist gefährlich, das weiß ich. Aber deswegen mache ich mich nicht verrückt. Ich meine, es ist mir auch nicht egal, was da passieren kann. Ich gebe es zwar nicht gerne zu, aber … ich hab auch Angst.“

Ich war ganz überrascht von seiner ehrlichen Art. Er sah ein wenig beklommen auf den Boden, doch dann sagte er lächelnd „Wehe du erzählst Gwen was davon“, und schien wieder gut gelaunt zu sein.

„Wo wir gerade bei Gwen sind“, sagte ich. „Er hat mir seinen Namen schon verraten, du aber nicht …“

„Ganz vergessen“, sagte er. „Ich heiße Arthemis.“
 

Ich konnte mit Arthemis so gut reden wie mit sonst kaum jemandem. Das heißt, eigentlich habe ich mehr erzählt und er hat zugehört, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich ihn langweilte. Vielleicht war es auch der Wunsch danach, mit ihm gut auszukommen der mich so denken ließ. Man glaubt vieles, wenn man verknallt ist …

Auf jeden Fall ging ich gegen um vier Uhr nachmittags wieder nach Hause – zumindest hatte ich das vor. Denn die frische Luft veranlasste mich dazu, noch ein wenig durch das Dorf zu laufen. Es waren nicht viele Leute auf der Straße, wahrscheinlich hingen alle in ihren Häusern herum oder badeten im See, denn die Luft war schon fast unangenehm schwül. Letztendlich landete ich an einem Springbrunnen, der in der Mitte des Dorfes stand. Ich setzte mich auf die Steinkante des Brunnens und ließ meine Fingerspitzen ins Wasser hängen. Ich träumte ein wenig vor mich hin und betrachtete die kleinen Wellen, die sich im Wasser bildeten. Doch irgendwie sah das Wasser nicht ganz wie richtiges Wasser aus, mehr wie eine Art Gelee …

„Das ist ein Transportbrunnen“, sagte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich blitzschnell um und erblickte den Jungen, der mich zusammen mit Arthemis und Gwen begrüßt hatte. Jedoch war er bei unserem ersten Treffen recht schweigsam gewesen. Er war etwas älter, vielleicht 18, hatte dunkelbraune Harre und trug – wie ich früher – eine Brille.

„Zu festgelegten Zeiten bildet sich eine Art Tor aus Wasser, das in die anderen beiden Städte hier in der Wüste führt. Ein paar Freaks hier nennen es Watergate, wo auch immer die das herhaben …“ Er rückte seine Brille zurecht. „Verzeihung. Ich hab mich nicht vorgestellt. Ich heiße Nig.“ Er gab mir die Hand.

„Sollte ich nicht raten, wie du heißt?“, fragte ich ihn, während er sich neben mich setzte.

„Ach, du kennst doch die beiden anderen schon. Da kann ich ruhig mal aus der Reihe tanzen. Außerdem … find ich es ein wenig kindisch …“ Er lächelte mich an.

Ich unterhielt mich mit Nig, bis es dunkel wurde. Er schien der Vernünftigste der Jungs zu sein, außerdem wusste er wahnsinnig viel. Als es dann schon fast ein wenig zu kühl wurde, beschlossen wir, nach Hause zu gehen. Praktischerweise wohnte Nig nur ein paar Häuser weiter weg, schräg gegenüber von Arthemis. Ich verabschiedete mich von ihm, huschte kurz ins Bad und kuschelte mich dann in mein Bett. Doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich endlich schlafen konnte, denn tausende Gedanken huschten in meinem Kopf hin und her – von Wölfen, Adlern und dem Watergate, das in fremde Städte führte …



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Giga
2008-04-01T20:25:55+00:00 01.04.2008 22:25
woow bin die erste die ein Kommi zu deiner Fanfic schreibt. ^^
Sie ist echt klasse.
Kanste mir bitte eine ENS schicken wenns weitergeht.
Giga


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