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Angeldust

von

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Das erste Mal, an das ich mich erinner konnte, war ich dankbar für meine flinken Finger. Der blöde Idiot aus der Videothek hieß Shimizu Michiya, sofern der Ausweis aus seinem Portemonnaie nicht gefälscht war. Er hätte mir eben nicht so nah kommen sollen, während er sich meine Antipathie verdiente. Auf dem Passfoto sah der aber auch nicht gerade freundlich aus.

Ich steckte den Ausweis zurück und holte ein Foto hervor. Darauf war der Psycho mit Karyu zu sehen. Allerdings ohne die Rastas und mit einem leichten Lächeln im totenbleichen Gesicht, welches dadurch gleich viel lebendiger wirkte. Karyu sollte ihm mal sagen, dass nur Reggae-Typen Rastas haben sollten. Dadurch bekam der Idiot ein Mondgesicht. Ich zog noch einige Fotos hervor. Auf allen war Karyu abgebildet. Ich war so vertieft darin das Portemonnaie zu durchstöbern, dass ich die Fotos vor Schreck in die Luft schmiss als plötzlich das Telefon klingelte. Ein Glück, dass keiner anwesend war, der das hätte sehen können…

„Moshi-moshi?“

„Konban-wa, Aschenputtel!“

„Hizumi!“

„Okay, Hizumi. Wann stehst du normalerweise Sonntagmorgens auf?“ War der irre?

„Dir ist sicher bewusst, dass das sehr nach Stalker klang?“

„….jetzt wo du’s sagst. Das wollte ich nicht, gomen. Vielmehr wollte ich dich morgen zum Frühstück einladen. Wenn du Lust hast.“

„Gern.“ Hatte ich gerade wirklich, ohne darüber nachzudenken, einfach zugesagt? Und auch noch „gern“?!

„Bestens, wann darf ich dich abholen?“

„Gar nicht. Aber du darfst mir verraten wo und wann ich dich morgen finden kann.“

„Spielverderber. Wie wär’s mit 11 Uhr?“ 11Uhr? Das nennt der Frühstück?

„Bis dahin bin ich verhungert.“, antwortete ich also.

„Bitte sag nicht, dass du zu den Frühaufstehern gehörst!“

„Ich gehöre aber zu den Frühaufstehern.“, sagte ich zuckersüß und grinste dabei.

„Und 10? Früher würde ich in meiner Tasse Kaffee wieder einschlafen. Und bis du aufgehört hast zu lachen bin ich darin ertrunken. Ich würde mir wünschen entweder spektakulärer der sehr alt zu sterben.“ Ich konnte mir ein Lachen, bei der Vorstellung des von ihm in meinem Kopf kreierten Bildes, nicht verkneifen.

„Siehst du? Du lachst jetzt schon. Dann kann ich morgen keine Hilfe von dir erwarten, falls das passieren sollte. Was ist denn nun mit 10 Uhr?“

„Na gut, mit 10 kann ich leben. Und wo?“ Er nannte mir ein Café und ich beschloss, ihn auf das Mondgesicht anzusprechen und mehr darauf zu achten, ob er wirklich so toll wie auf den Bildern aussah.
 

So stand ich dann am Sonntag pünktlich um 10 Uhr vor dem Café. Es war kalt. Verdammt kalt. Und es sah verflucht nach Regen aus. Während ich gen Himmel sah und innerlich fluchte, weil ich zu blöd war, an einen Regenschirm zu denken, verdunkelte sich mein Sichtfeld auf einmal. Jemand hielt mir von hinten die Augen zu.

„Isst du deine Brötchen mit Besteck?“, fragte ich. Ich konnte mir gut den verdutzten Blick meines Hintermannes vorstellen.

„Nein, wieso?“, fragte Karyu seinerseits.

„Dann stehst du wohl auf den Geschmack von schwarzem Lidschatten an deinem Brötchen.“

Karyu nahm sofort seine Finger weg und ich drehte mich zu ihm um. Er besah sich das Ergebnis seiner Aktion.

„Tja, dann muss ich mir eben die Hände waschen.“, meinte er nur.

„Hast du mir den Lidschatten verschmiert?“, fragte ich ihn und sah zu ihm auf. Er kam dicht an mein Gesicht und betrachtete prüfend meine Augen. Dann küsste er mich blitzschnell auf die Stirn.

„Nein, alles okay. Und im übrigen esse ich lieber Croissants.“, sagte er grinsend. Ich blinzelte ein paar Mal verwirrt. Er griff sich meine Hand - wohlgemerkt nicht meinen Arm oder zumindest das Handgelenk, nein, meine Hand – und zog mich hinter sich in das Café. Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster, und als er seine Jacke abgelegt hatte, drehte er sich, mit der Begründung sich die Hände waschen zu müssen, um und wollte gerade gehen. Doch er blieb stehen, drehte sich wieder zu mir und sagte, ich solle wohl lieber mitkommen, weil er doch meine Hand gehalten habe. Das leuchtete ein und ich beschloss ihm zu folgen. Gerade als ich aufstand fiel mir wieder ein, was ich mir am Vorabend vorgenommen hatte. Ich sah mir also Karyu mal genauer an. Allerdings konnte ich momentan nur seine Rückseite sehen, da er vor mir ging. Nach einigen Sekunden ertappte ich mich aber merkwürdigerweise dabei trotzdem hingesehen zu haben. Wohin genau möchte ich lieber nicht weiter ausführen.

Als wir wieder an unserem Tisch saßen nahm ich ihn etwas mehr in Augenschein, als ich es bisher immer getan hatte. Er war ungeschminkt und nicht aufwendig gestylt, wie auf dem Foto das ich gesehen hatte. Dennoch sah er nicht weniger gut aus. Kurz darauf kam eine Kellnerin und nahm unsere Bestellung auf.

„Sag mal, kennst du einen Unterweltler mit Rastas?“, fragte ich ihn - obwohl ich das schon wusste - worauf er mich überrascht ansah.

„Zwei Fragen. Erstens: Wenn ich denke, dass ich weiß, wen du meinst, woher kennst du ihn dann? Und zweitens: Warum „Unterweltler“?“

„Weil der bösartig ist. Der hasst mich. Aus heiterem Himmel. Und ER kennt MICH und ich habe nicht die leiseste Ahnung woher.“

„Wie kommst du darauf, dass er dich hasst?“

„Ist mir gefolgt“, war zwar nur eine Vermutung, unterstrich aber die Dramatik und betonte die Bosheit des Freaks „ und hat mir gedroht. Hat was gelabert von wegen er sei zuerst dagewesen.“

„Wo gewesen?“

„Na da! Bei dir.“ Und da kam mir eine Idee.

„Ist das dein Freund?“

„Hai, du meinst bestimmt Zero.“

„Noch so ’n Künstlername?“ Er nickte.

„Der sieht nicht aus wie ein Model.“ Karyu schüttelte den Kopf. „Ist er auch nicht. Als ich anfing und mir den Künstlernamen zulegte, hat er sich aus Spaß auch einen ausgedacht.“

„Was für eine schöne Geschichte.“, sagte ich betont gekünstelt und sah ihn dabei übertrieben gerührt an. Und dann: „Warum behauptest du auf mich zu stehen, wenn du einen Freund hast?“ Ich hob eine Augenbraue.

Er sah mich eine Weile fragend an. Dann machte es sichtlich „Klick“ in seinem Kopf.

„Nein, nein, Zero ist EIN mein Freund.“ Ein mein? „Momentan pflege ich nur Beziehungen auf platonischer Basis.“ Er lächelte mich lieb an. Deutlicher wäre die unterschwellige Botschaft nur, wenn er sich „Ich bin Single, aber ich will, dass du das änderst“ auf die Stirn geschrieben hätte.

Die Kellnerin brachte uns das Gewünschte.

„Hach! Endlich!“ Karyu schnappte sich sofort seinen Becher und der Geruch von Kaffee wehte zu mir herüber. Während er sehnsüchtig einen Schluck von dem Gesöff nahm, schloss er die Augen genießerisch. Ich beobachtete ihn dabei. Als er die Tasse wieder absetzte, fragte ich: „Wie kannst du diese bittere Suppe nur trinken?“

Er sah mich fragend an. „Du magst keinen Kaffee?“ Ich schüttelte den Kopf. Und dann fing er aus irgendeinem unersichtlichen Grund an zu grinsen.

„Lass mich raten: Du stehst auf Kakao. Hab ich Recht?“

„Was dagegen?“

„Uuuuund du magst Gummibärchen.“

„Hai.“

„Smarties. M&Ms. Süßigkeiten allgemein. Du bist eine Naschkatze.“

„Deine Behauptung kein Stalker zu sein, gerät ins Schwanken, mein Lieber.“

Er grinste weiter. „Jetzt fehlt nur noch, dass du Zeichentrickfilme magst.“

„Weshalb?“

„Du bist süß.“ Ich war gruselig, nicht süß, verdammt! Das sagte ich ihm auch prompt.

„Klappe. Ich bin ganz sicher nicht süß.“

„Wie du meinst.“ Er zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Schluck von seinem Heißgetränk. Ich wollte mich gerade weiter-„verteidigen“, als ich ein Geräusch hörte. Ich sah aus dem Fenster. Na toll! Das hab ich gebraucht! Regen.

„Alles deine Schuld.“, sagte ich zu Karyu.

„Woran hab ich Schuld? Was hab ich denn gemacht? Es war bestimmt keine Absicht.“ Niedlich, dass er tatsächlich darauf ansprang. Ich nahm meinen Becher heiße Schokolade und nahm, seinen fragenden Blick ignorierend, einen Schluck, verbrannte mir die Zunge an der glühenden Lava und fluchte innerlich. Bloß nicht das Gesicht verziehen! Ich stellte den Becher wieder ab, entschied, dass ich ihn genug leiden gelassen habe – mal davon abgesehen, dass, ihn zappeln lassen, mir nicht sonderlich gut tat – und es aufzulösen.

„Wegen dir bin überhaupt hier und muss deswegen gleich durch den Regen nach Hause laufen.“

Sein fragender Blick wandelte sich zu einem zufriedenen Grinsen.

„Du bist nur wegen mir hier. Na das muss ich mir auf der Zunge zergehen lassen.“ Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden, aber ich wusste, dass ich nicht rot werden würde. Zu dieser Sorte Mensch gehörte ich zum Glück nicht. Deshalb sah ich ihn nur gelangweilt an.

„Ich bin mit dem Auto hier. Es wäre mir ein Vergnügen, Aschenputtel in seiner Kürbiskutsche zu chauffieren.“

Ich winkte ab. „Lass mal.“
 

Nachdem wir uns noch eine Weile unterhalten und gefrühstückt hatten, beschloss ich, dass es Zeit wurde zu gehen. Karyu bezahlte und mich plagte wieder mal mein schlechtes Gewissen. Wir zogen unsere Jacken, die bis dahin über unseren Stuhllehnen gehangen hatten, an. Und ohne länger darüber nachzudenken sagte ich: „Ich hab Fotos von dir in einer Zeitschrift gesehen.“ Noch während ich dies aussprach, stellte ich mir selbst die Frage, was ich damit bezwecken wollte, und wie er darauf reagieren würde. Denn ich stellte ihm ja keine Frage oder etwas Ähnliches. Er sah mich an, sagte aber nichts. Gerade als ich ansetzten wollte, etwas anderes zu sagen, weil ich nicht mehr mit einer Reaktion seinerseits rechnete, fragte er: „Gefällt’s dir?“

Ich nickte nur, denn ihm zu sagen, dass „gefallen“ nicht mal ansatzweise meine Begeisterung darüber ausdrückte, fand ich dann doch zu peinlich.

„Warum siehst du heute so normal aus?“, wollte ich wissen. „Als ich dich im Park gesehen habe warst du auch aufgebrezelt.“

„Da hab ich Pause gemacht. Findest du etwa, ich sehe schlecht aus, wenn ich natürlich bin?“ Er machte einen sehr niedlichen Schmollmund. Ich sagte nichts und sah auffällig ertappt aus dem Fenster. Als er theatralisch seufzte sah ich wieder zu ihm.

„Tja,“, begann er „dann musst du wohl mit mir ausgehen. Und ich meine ein richtiges Date. Mit hübsch-machen, schick essen gehen, vielleicht noch ein Spaziergang, dann nach Hause bringen und natürlich mit einem Abschiedskuss.“ Und er sah mich tatsächlich erwartungsvoll an. „Ööööööde. Ich mach dir einen besseren Vorschlag.“ Wie bitte?! Wenn das menschliche Gehirn so ein brillanter Supercomputer sein sollte, warum war dann immer das blöde Mundwerk schneller? Trotzdem musste ich jetzt weiterreden, sonst würde es komisch wirken (Warum interessierte es mich, wie er über mich denken könnte?). „Wie wäre es mit einem Date, bei dem man sich nicht alt fühlt?“

„Mit Schmetterlingen im Bauch fühlt man sich nicht alt.“

„Ich finde ja schon Froschschenkel und Schnecken ekelhaft, aber wenn du unter „schick essen gehen“ Schmetterlinge essen meinst, fürchte ich, dass das Date ein schnelles Ende findet.“ Innerlich donnerte ich meinen Kopf immer und immer wieder gegen die nächstbeste Wand. Der Witz – wenn man es denn noch so nennen durfte – war so flach, darüber konnte man nicht einmal betrunken lachen.

Aber er lachte.

Zwar nicht lang, aber ehrlich. Und ohne es zu merken, bekam er dafür noch einen Sympathiepunkt von mir. Einen großen. Schon seltsam, dass ein ehrliches Lachen so angenehm sein konnte.

„Wie stellst du dir denn ein ideales Date vor?“, fragte er dann an mich gewandt.

„Kommt drauf an. Nach einem Kinobesuch dürfen Fritten oder Pizza nicht fehlen. Wenn man aber auf dem Jahrmarkt ist, geht nichts ohne Zuckerwatte. Nach dem Schlittschuhlaufen wiederrum wäre ein heißes Getränk herrlich. Und natürlich werde ich, egal in welchem Szenario, eingeladen.“

„Selbstverständlich. Hmm. Auf dem Eis bin ich verloren und du scheinst mir der Typ zu sein, der am liebsten mit den halsbrecherischsten Achterbahnen fährt, bei denen mir schlecht wird. Bleibt also nur noch Kino. Welchen Film willst du denn sehen?“

„Keine Liebesschnulze. Ansonsten ist es egal. Obwohl, gegen einen schönen Horrorfilm wäre nichts einzuwenden.“

„Du machst es mir nicht gerade leicht. “Schöner“ Horrorfilm…“ Karyu schüttelte leicht den Kopf.

„Hast du auch was gegen Bowling?“, fragte ich. Er schien zu überlegen. Doch dann sagte er, Bowling ginge in Ordnung.

„Aber ich warne dich, ich bin gut.“, grinste ich ihn an.

„Umso besser.“, erwiderte er „Dann hast du gute Laune und ich hab vielleicht auch was davon.“ Karyu nahm meine Hand und führte sie bis fast an seine Lippen, hielt jedoch kurz davor inne und ließ sie wieder sinken. Auf meine ungestellte Frage hin antwortete er: „Ich habe dir heute schon einen stibitzt, ich will doch nicht, dass du mich für aufdringlich hältst. Also, wenn ich dich nicht doch mitnehmen soll, verabschiede ich mich jetzt von dir.“ Er sah mich noch einmal fragend an, aber ich schüttelte den Kopf. Er drückte meine Hand und ließ sie dann endgültig los, trat aus der Tür hinaus und hastete durch den Regen um die Ecke, wo offenbar sein Auto stand. Auch ich machte mich auf den Weg, und während ich durch den Regen lief und meinen Kragen aufstellte, wünschte ich mir, neben Karyu im Auto zu sitzen und gemütlich nach Hause kutschiert zu werden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Januce_Mizu
2008-04-28T15:46:19+00:00 28.04.2008 17:46
Ich liebe die beiden die sind sowas von Klasse.
Stalker *grins* Das bekommt er bestimmt immer wieder vorgeworfen.
Du schreibst wirklich toll und das hat mich mal kurz von meiner
Erkältung abgelengt.
Freu ich ehrlich auf das nächste Kapitel
Knuddel


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