Der Schlüssel zur Endgültigkeit
Kagi 05 – Der Schlüssel zur Endgültigkeit
Autorin: Nessera Noire
Fandom: the Gazette
Pairing: ReitaxUruha
Disclaimer: Gazette gehören nicht mir (zum Glück, denn das wär stressig) und Geld will hierfür eh keiner bezahlen. Aber die Idee, immerhin die ist meins.
Kommentar: Das vorletzte Kapitel! Es neigt sich allmählich dem Ende zu…und es wird alles so düster…o__o;;;
Aber ein bisschen halte ich euch noch hin, nehmt es mir nicht übel. ^_~
Ich glaube, dieses Kapitel ist etwas wirr…das liegt daran, dass ich versucht habe, besonders Uruhas Zustand verständlich zu machen…er fühlt sich wohl genauso durcheinander, wie dieses Kapitel ist.
~*~
Leise Schritte näherten sich der zusammengekauerten Gestalt, die auf einer Parkbank saß und auf einen kleinen Teich hinausstarrte. Mehr als die Silhouette ließ sich in der Dunkelheit von weitem kaum ausmachen, doch als Aoi näher kam, sah er, dass die Gestalt in eine Decke gewickelt war und eine Flasche in der Hand hielt.
„Hab ich dich endlich gefunden, Uruha!“ sagte er und leuchtete dem Angesprochenen mit der Taschenlampe ins Gesicht, der erschrocken zusammenzuckte.
„Woher wusstest du, wo ich bin?“ nuschelte Uruha. Aoi seufzte.
„Ich kenne dich lang genug, um zu wissen, dass es nur zwei Orte gibt, an denen man dich finden kann, wenn du plötzlich verschwindest: Der eine ist der Friedhof und der andere ist genau diese Bank in diesem Park. Und bevor du fragst, woher ich weiß, dass du nicht mehr bei Reita bist: Ich wollte dich besuchen und er war ziemlich unfreundlich zu mir. Daher wusste ich, dass etwas passiert sein muss. Ich hab mir echt Sorgen gemacht, ich hab in den letzten Tagen immer wieder hier vorbeigeschaut, um zu gucken, ob du da bist.“
„Hmm“, machte der andere nur und trank einen Schluck aus der Flasche. Aoi sah, dass es Wodka war. Er setzte sich zu seinem Freund auf die Bank und leuchtete mit der Lampe auf den Boden vor ihren Füßen.
„Und jetzt?“ fragte er dann. Uruha zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht. Was soll ich denn schon machen?“
„Sonst warst du doch immer voller Tatendrang. So apathisch rumzusitzen und dich zu betrinken passt jedenfalls nicht zu dir“, stellte der Dunkelhaarige mit einem verächtlichen Blick auf den billigen Wodka fest. „Du könntest zum Beispiel zurückgehen und versuchen, Reita das Ganze zu erklären. Er hat sich inzwischen sicher ein bisschen beruhigt.“
Uruha lachte bitter und knallte die Flasche hart neben sich auf die Bank. „Und was soll ich ihm sagen?“ fragte er mit lauter Stimme. „Er hat ja gar nicht so Unrecht! Und auch wieder doch. Ich hab ihn angelogen und auch wieder nicht. Wenn es denn so einfach wäre!“
„Weißt du überhaupt selber, was du willst?“ sagte Aoi ruhig, woraufhin der andere den Kopf senkte.
„Nein. Nein, ich weiß es wirklich nicht. Ich habe zwei Personen gesucht und sie in einer gefunden. Ich wusste die ganze Zeit nie richtig, was ich wirklich empfinde, ob ich ihn mögen oder hassen soll. Das macht es ja so kompliziert. Aber eigentlich ist es jetzt ja eh alles egal. Er hasst mich und er hat mich rausgeworfen. Damit hab ich das letzte verloren, was ich noch hatte.“
Die Dunkelheit ließ es nicht zu, genaueres von Uruhas Gesicht zu erkennen, aber anhand seiner Stimme glaubte Aoi zu wissen, dass er nah daran war, in Tränen auszubrechen. Kein Wunder, wenn man seine Situation bedachte und die Tatsache, dass der Blonde immer ein wenig weinerlich wurde, wenn er in schlechter Stimmung Alkohol trank.
„Sag nicht, dass du das letzte verloren hast“, verlangte Aoi. „Du hast doch immer noch uns, Kai, Ruki und mich.“
„Schon, aber…“ Uruha zögerte damit, mit der Sprache rauszurücken. „Das…ist nicht dasselbe“, druckste er herum. Aoi seufzte tief.
„Schon klar. Wir sind zwar deine Freunde, aber was du willst, ist nicht Freundschaft, sondern Liebe und die können wir dir nicht geben. Das ist es doch, was du sagen wolltest, oder?“
Der andere nickte. Er zog die Decke enger um sich.
„Aoi?“
„Ja?“
„Könntest du…Würdest du mich bitte alleine lassen?“ bat Uruha. „Ich möchte in Ruhe nachdenken.“
Aoi seufzte schon wieder. „Na gut“, sagte er dann. „Aber versprich mir, dass du nicht hier draußen schläfst, sondern zu mir oder zu Kai oder Ruki gehst. Du erfrierst uns sonst noch.“
Langsam stand er auf.
„Bitte mach keine Dummheiten, Uruha“, sagte er noch, bevor er genau so leise zurückging, wie er gekommen war. Er machte sich Sorgen darum, ob sich für seinen Freund noch alles zum Guten wenden würde.
Dieser saß jetzt wieder in völliger Finsternis und starrte ins Leere. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er tun sollte. Er fühlte sich so entsetzlich allein. Warum konnte er denn nie Glück haben, nur ein einziges Mal? Es gab kein Ziel mehr, was er nun noch vor Augen hatte, keinen Menschen, den er mehr treffen und keinen Ort, den er noch aufsuchen wollte. Er hatte alles versucht und er war an allem gescheitert. Aber wenn er es richtig überlegte, so war es nicht unbedingt sein eigenes Versagen. Es gab einen Menschen, der an seiner ganzen Misere Schuld war.
Und plötzlich formte sich eine Idee in seinem Kopf. Nichts Konkretes und nicht besonders logisch vielleicht, dafür war sein Verstand vom Alkohol inzwischen zu benebelt, aber immerhin ein kleines Ziel für den Moment. Er trank noch einen großen Schluck, schraubte dann die Flasche zu und verstaute sie zusammen mit seiner Decke im Rucksack.
Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, dachte er altklug, als er leicht schwankend den Weg hinunter ging.
Die Leere war noch entsetzlicher, als Reita sie sich zuvor ausgemalt hatte. Er hatte gedacht, es würde einfach alles wieder so werden wie zu der Zeit, bevor Uruha bei ihm war, immer der gleiche Alltagstrott, aufstehen, zur Arbeit fahren, den Tag zwischen Akten verbringen, wieder nach Hause fahren, essen, schlafen. Aber es war nicht so. Es war alles noch viel schlimmer als früher. Er konnte nicht vergessen, wie angenehm es gewesen war, zu wissen, dass man erwartet wurde, wie sehr er die freudige Begrüßung jeden Abend ersehnt hatte. Es war ein schönes Gefühl gewesen, als seine Wohnung ihn nicht mit Stille und Dunkelheit empfing, sondern mit Licht und der Wärme, die von Uruha ausging.
Er wollte sich nicht wünschen, dass es wieder so wäre, aber er konnte es nicht verhindern. Er wollte Uruha von ganzer Kraft hassen, aber er schaffte es nicht recht. Seine Gefühle waren so widersprüchlich geworden. Ja, er hasste Uruha dafür, dass er ihn belogen hatte und dafür, dass es ihm jetzt viel schlechter ging, weil er ihn hatte spüren lassen, wie angenehm das Leben zu zweit sein konnte. Aber genau dafür liebte er ihn auch, für all die schönen Momente, die er ihm gegeben hatte, die Vertrautheit und die Motivation, die er vorher von keinem Menschen gekannt hatte.
Aber was wollte er jetzt? Wollte er ihn zurück oder sollte er bloß wegbleiben? Er konnte sich nicht entscheiden.
Er hatte mit Aoi gesprochen, der Uruha noch einmal gesehen hatte, in einem Park. Er sagte, es wäre ihm nicht gut gegangen, er habe getrunken und ziemlich deprimiert gewirkt. Aber auch Aoi hatte ihm nichts über die vielen Rätsel erzählt, die Uruha umgaben, ihm nicht mal einen Hinweis gegeben. Reita spürte, dass Aoi mehr wusste als er, es ihm aber verschwieg.
„Ich will mich da nicht einmischen“, hatte er gesagt. „Das müsst ihr alleine lösen.“ Und dabei hatte er ihn so mitleidig angesehen.
Es war zum verzeifeln. Keiner verriet ihm etwas, alle ließen ihn im Unklaren und allein mit seinen Zweifeln, ob er die richtige Entscheidung getroffen, die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Und er erstickte bald an den Zweifeln! Immer wieder wachte er nachts auf und sah Uruhas Gesicht vor sich, wie er ihm sagte: „Du irrst dich.“ Wie in einem Groschenroman träumte er immer wieder davon, es war zum Aus-der-Haut-fahren.
Er brauchte unbedingt etwas, womit er die Träume, die Gedanken, die Zweifel abstellen konnte, aber er fand nichts.
Unbeholfen schwankte Uruha die kleine Treppe vor der Haustür hinauf. Jetzt hatte er doch glatt schon wieder einen Schlüssel geklaut! Und es war immer noch so einfach gewesen, keiner hatte ihn bemerkt. Er hatte nur den Drang unterdrücken müssen, der bestohlenen Person eins überzuziehen oder noch besser, ihn vor die Bahn zu schubsen. Er kicherte bei dem Gedanken, während er den silbernen Schlüssel aus der Tasche zog und ein paar Mal damit gegen das Schloss stieß, bevor es ihm endlich gelang, ihn hineinzustecken und umzudrehen. Ach, war das lange her, dass er zuletzt hier gewesen war! Und es war nicht mal jemand zu Hause, sie würden alle erst am Abend wiederkommen. Bis dahin konnte er in aller Seelenruhe in diesem Luxus schwelgen, vielleicht ein heißes Bad nehmen, in der verschwenderisch großen Badewanne mit dem Whirlpool, Fernsehen über den riesigen Flachbildschirm und dabei ein Glas von dem teuren Whiskey trinken. Ihm würde schon etwas einfallen, Möglichkeiten, es sich gut gehen zu lassen, gab es hier genug, selbst für sein vom Alkohol vernebeltes Hirn.
Oh, aber natürlich würde er sich nicht nur vergnügen! Nein, Uruha wollte zerstören. Er würde den Luxus hier zerreißen und vernichten, ein Chaos würde er zurücklassen, dass den Zustand seiner eigenen zerstörten Seele widerspiegelte. Dies war sein letztes verzweifeltes Signal an die Welt, die so schlecht mit ihm umgegangen war. Was danach sein würde, war ihm egal, darüber hatte er nicht einmal nachgedacht. Was auch immer er tun würde, wenn er dieses Haus wieder verlassen hätte, egal, ob er verschwinden könnte, verhaftet würde oder an einer Alkoholvergiftung starb, es war nicht mehr wichtig, solange nur die verlogenen Besitzer dieses kleinen Paradieses all die Dinge verloren, die ihnen nicht zustanden. Er wollte Rache, ein für alle Mal, und er würde sie bekommen. Es war falsch gewesen, sich an Reita stellvertretend für dessen Vater rächen zu wollen. Reita konnte nichts dafür, Reita war nett zu ihm gewesen, bedingungslos, genauso wie Aoi und die anderen, nur noch ein bisschen mehr. Mit Reita hätte er glücklich werden können, wenn nicht diese alte Geschichte alles verdorben hätte. Diese Geschichte würde ihn nie wieder loslassen, sie hielt ihn fest im Würgegriff und flüsterte ihm böse Sachen ins Ohr, wie eine zischende große Schlange, die sich um seinen Hals gelegt hatte.
Unter anderem flüsterte sie ihm jetzt gerade, dass die Bewohner dieses Hauses an allem Schuld wären. Dieser Luxus gehörte nicht ihnen, sondern ihm und niemand anderem! Er würde ihn nie bekommen, dass wusste er, aber genauso wenig würde er ihn jemand anderem gönnen. Zumindest nicht DIESEN verfluchten Menschen.
Langsam schaltete sich sein Verstand komplett aus. Er war müde, er war hungrig, er war erschöpft und er war betrunken, aber das hielt ihn nicht auf. Es waren seine letzten Kraftreserven, die er gerade aufbrauchte, zu lange hatte er nicht gegessen und geschlafen. Aber was machte das schon, so lange es nur noch hierfür reichte. Danach war eh alles vorbei.
Er trank noch mehr, irrsinnig teuren Rotwein aus Frankreich, schottischen Whiskey, er rauchte eine kubanische Zigarre, obwohl sie eklig schmeckte, während er mit einer dicken, wohltuend duftenden Schaumschicht bedeckt in der Badewanne lag. In einen molligen Bademantel gehüllt tobte er danach in einem plötzlichen Wutanfall wie ein Wirbelsturm durchs Haus, er fegte in sämtlichen Zimmern Flaschen und Gläser von den Regalen, Flakons mit Parfüm, Weinflaschen, Likörgläser mit Goldrand, dann das teure Geschirr, die Porzellanfiguren in den Vitrinen und auf den Beistelltischchen. Er riss Schränke und Schubladen auf, zerrte alles heraus, was darin war und verteilte es auf dem Boden, er zerschnitt Kleider, zerbrach Cds, riss Bilder von den Wänden, zerfetzte Bücher und zerschmetterte elektrische Geräte, Radios, Fernseher, Mikrowellen, er schaltete die Gefriertruhe aus und vernichtete in höchster Boshaftigkeit alles, was ihm in den Weg kam. Das Grundstück war groß, das Licht hatte er nicht angeschaltet, das Haus war gut isoliert und ausnahmsweise schien er sogar ein bisschen Glück zu haben, denn keiner störte ihn bei seiner wahnsinnigen Tat. Was morgen wohl in den Zeitungen stehen würde?
Uruha kicherte erst leise, als er sich endlich, nach mehreren Stunden, schwer atmend auf den Boden eines Zimmers in der obersten Etage sinken ließ. Er war völlig geschafft, aber hatte es sich nicht gelohnt? Ihm war nur noch nicht klar, was er jetzt tun sollte, jetzt, wo er nichts mehr vorhatte und sich fühlte, als hätte er keinen Funken Energie mehr im Körper. Mit letzter Kraft schleppte er sich auf den Balkon, schon wieder eine Flasche in der Hand, diesmal war es ein süßlicher Likör, wie er bemerkte. Er trank hastig, um nicht nachdenken zu müssen. Er wollte nie wieder nachdenken.
Was, wenn er sich jetzt einfach hier vom Balkon stürzte? Das Haus war hoch, wenn er von hier sprang, könnte es reichen. Dann wäre alles vorbei, aber ach, zu gerne hätte er doch die entsetzten Gesichter der Bewohner gesehen, wenn sie ihn in verkrümmter Haltung und mit weit aufgerissenen Augen auf ihrer Terrasse liegen sehen würden, tot. Und wenn sie dann erst der Presse erklären müssten, wer er war und wenn jemand das Motiv für seine Tat herausfinden würde! Ein herrlicher Gedanke.
Unwillkürlich begann Uruha laut zu lachen. Wie ein Wahnsinniger lehnte er am Balkongeländer und lachte sich die Seele aus dem Leib. Er war so betrunken, dass er noch lauter lachte, als er von unten einen spitzen Schrei hörte, nicht darüber nachdenkend, von wem er stammte. Seine Rachefantasien schlugen Purzelbäume, seine Verzweiflung über sein verpfuschtes Leben breitete sich immer weiter aus, der Akohol wirkte immer stärker,weil er nichts gegessen hatte, sodass alles zu einer großen Masse verschmolz, die für nichts anderes mehr Platz ließ als Wahnsinn.
Er stand immer noch dort und lachte Tränen, oder vielleicht weinte er auch einfach gleichzeitig, als der Besitzer des Hauses auf den Balkon gestürzt kam. Es war ein wunderbarer Anblick, wie sich seine Augen weiteten, als er erkannte, wen er vor sich hatte. Uruha spürte den Hass in sich aufwallen, er wollte diesen Mann schlagen. Mühsam, schob er sich vom Geländer weg, wankte auf unsicheren Beinen, aber mit breitem Grinsen auf ihn zu und hob den Arm, um zuzuschlagen, doch der andere erkannte seine Absicht und stieß ihn grob zurück. Uruha taumelte, er stolperte rückwärts und drehte sich dabei. Er kam zum Stehen, weil das Balkongeländer im Weg war, seine Hände klammerten sich daran fest, als er das Gleichgewicht verlor und sich mit dem Oberkörper darüber beugen musste. Ein paar Sekunden hielt er sich so, dann sah der Hausherr mit Erschrecken, wie der blonde junge Mann über das Geländer stürzte und aus seinem Blickfeld verschwand. Er stürzte nach vorn, doch es war zu spät. Mit leerem Blick sah Uruha zu ihm hinauf, bevor er zu begreifen schien, was geschah und die Augen schloss, während er immer tiefer fiel, bis ihn vollkommene Schwärze umfing.