Rorys neuester Coup
„........“ = wörtliche Rede
>.......< = Gedanken
[.........] = persönliche Kommentare der Autorin
kursive Worte sind betont
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...
„Würde...“, beginnt er zögernd, „...würde es dir etwas ausmachen, bei mir im Haus zu wohnen? – In
meiner Etage wird eine Wohnung frei und meines Wissens ist es ein LME-Apartment...“ Unsicher sieht er
seine Freundin an.
Kyoko sieht ziemlich überrumpelt aus; sie braucht eine ganze Weile, bis sie antworten kann.
„Nein.“, sagt sie schließlich lächelnd. Es würde mir nichts ausmachen, Koon.“
„Gut.“, meint Ren ... und atmet hörbar auf. „Dann werde ich mit Takarada-san darüber sprechen. – Was
hältst du davon, jetzt in dieses kleine Teehaus auf dem Hügel dort drüben zu gehen?“
„Sehr viel. Ich hab langsam ein bisschen Hunger ... und ein Tee kann auch nicht schaden...“
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Rorys neuester Coup
„Vielen Dank, Mogami-sama.“ Der Taxifahrer versucht sich in seinem Sitz überschwänglich zu
verbeugen, während er Kyoko die Kreditkarte, die LME ihr extra für ihre Fahrspesen eingerichtet hat,
und die Quittung übergibt.
„Oh, ich habe zu danken.“, erwidert das Mädchen höflich ... und atmet noch einmal tief durch,
bevor es die Wagentür öffnet.
„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“, wendet Kyoko sich noch einmal an den Fahrer.
„Ich Ihnen auch, Mogami-sama, und vielen Dank noch mal für die Autogramme, meine Töchter werden
sich sehr darüber freuen.“
„Keine Ursache.“, meint Kyoko lächelnd, während sie bereits aus dem Wagen aussteigt. Noch einmal
nickt sie dem Taxifahrer kurz zu, dann wendet sie sich endgültig dem Haupteingang des LME-
Gebäudes zu.
Ein wenig mulmig ist ihr schon, doch nach dem gestrigen Gespräch mit Ren hat sie sich, entgegen ihrer
ursprünglichen Absicht, doch entschlossen, heute Morgen den Haupteingang zu benutzen.
Ren hatte ihr gesagt, dass es zwei Möglichkeiten gäbe, mit dem Trubel nach der letzten „Dark Moon“-
Folge umzugehen: Entweder sie benutzt, wie sie es ursprünglich vorgesehen hatte, einen der
Nebeneingänge, zu denen Sawara-san ihr vor zwei Wochen eine Chipkarte gegeben hatte, ... und geht
damit dem größten Trubel aus dem Weg... Wobei sie damit gleichzeitig riskiert, selbst in der LME-
Zentrale noch wochenlang bei jeder Gelegenheit auf das Ereignis angesprochen zu werden...
Oder sie beißt in den sauren Apfel, kämpft sich durch die Empfangshalle am Haupteingang und
anschließend durch das Gewimmel an den großen Fahrstühlen ... und bringt damit die
„Glückwunschtour“ – wie Ren es schmunzelnd nannte – gleich zum größten Teil hinter sich. – Mit dem
Nebeneffekt, dass man sie danach – zumindest innerhalb des LME-Gebäudes – vermutlich
vergleichsweise unbehelligt ihrer Arbeit nachgehen ließe.
Da Kyoko nicht die geringste Lust hat, selbst in der Agentur wochenlang mit immer denselben Fragen,
Glückwunschfloskeln und Bemerkungen bedrängt zu werden, hat sie sich dann doch für die zweite
Variante entschieden.
Sie hat den Eingang noch nicht erreicht, da geht es auch schon los mit dem Schulterklopfen, den
Glückwünschen, den Autogrammwünschen...
>Was für ein Glück, dass ich eine ganze Stunde früher los bin.<, seufzt sie innerlich, während sie ihr
freundlichstes Service-Lächeln aufsetzt. >Sie meinen es ja lieb ... und da ist ein Lächeln wohl das
Mindeste, was ich ihnen geben sollte...<
Eine gute halbe Stunde braucht sie, bis sie sich durchs Foyer gekämpft hat und schließlich in einen der
Fahrstühle steigen kann. Doch auch dort bleibt sie nicht unbehelligt.
Erst eine weitere Viertelstunde später kommt sie dann endlich im Büro vom Abteilungsleiter der Talent-
Section an und ist – obwohl man es ihr von außen kaum ansieht – völlig fertig.
„Guten Morgen, Mogami-san.“, flüstert Sawara, während er mir einer Hand die Hörmuschel des Telefons
zuhält. „Ich bin gleich soweit. Setz dich einen Augenblick ... und sieh dir schon mal den Plan an.“ Er
reicht ihr ein bedrucktes Blatt Papier.
„Das wär’s dann soweit.“, meint Sawara, nachdem sie alles Wichtige für die nächste Woche besprochen
haben. „Ach, bevor ich es vergesse: Takarada-san hat mich gebeten, dich zu ihm ins Büro zu schicken,
wenn wir hier fertig sind.“
Kyoko fragt sich verdutzt, ob sie vielleicht irgendetwas angestellt hat ... oder eine ihrer Pflichten
vernachlässigt ... oder ob er mit ihrer Arbeit unzufrieden ist... Doch eigentlich ist sie sich keiner Schuld
bewusst...
„Worum geht es?“, fragt sie schließlich verunsichert.
Sawara zuckt mit den Schultern und lächelt entschuldigend.
„Darf ich nicht verraten, sonst wird er sauer. Du kennst ihn ja, er will unbedingt selbst mit dir
sprechen.“
Das Mädchen erhebt sich seufzend vom Stuhl und macht sich auf den Weg in die oberste Etage.
Aufgeregt zupft Kyoko an ihrer Bluse unter dem hellgrauen Jackett herum, als sie in Rory Takaradas
Vorzimmer auf Einlass wartet.
Zum x-ten Mal wirbeln die immer gleichen Fragen in ihrem Kopf herum, ohne dass sie zu einem
Ergebnis kommt.
Nervös streicht sie den ebenfalls hellgrauen Rock glatt.
„Sie können jetzt hinein, Mogami-san.“, sagt die Sekretärin freundlich lächelnd und deutet auf die
ledergepolsterte Tür zum Büro des LME-Chefs.
Kyoko klopft beherzt an und tritt nach einem kurzen „Ja, bitte.“ in das geräumige Zimmer ein.
Eigentlich sollte sie sein Anblick nicht sonderlich überraschen, doch das Renaissance-Kostüm eines
venezianischen Dogen, das ihr Chef heute trägt, ist noch ein wenig prächtiger als die Kostüme, die er
sonst so anzieht.
„Guten Morgen, Kyoko-chan.“, begrüßt er sie lächelnd. „Nimm doch bitte Platz.“
„Guten Morgen, Takarada-san.“, erwidert das Mädchen aufgeregt, während sie sich tief verbeugt. Dann
setzt sie sich mit leicht zittrigen Knien auf einen der Besucherstühle vor dem wuchtigen Schreibtisch.
„Ich habe dich herkommen lassen, weil es einiges an Neuigkeiten gibt, die ich mit dir besprechen
möchte.“, beginnt er. „Aber zunächst einmal möchte ich dir gratulieren. Du hast großartige Arbeit
geleistet in den letzten Wochen ... und du hast meine Erwartungen dabei wieder mal weit übertroffen. –
Bei der Gelegenheit möchte ich mich auch gleich bei dir für die chaotischen Arbeitsbedingungen
entschuldigen. Eigentlich ist es nur deiner fleißigen und disziplinierten Mitarbeit zu verdanken, dass die
Terminpläne eingehalten werden konnten.
Es tut mir wirklich Leid, aber es war wichtig, den grandiosen Erfolg von ‚Dark Moon’ auszunutzen, um
sozusagen ein tragfähiges Fundament für deine Schauspielkarriere aufzubauen, ... auch wenn dir dafür
zunächst kein Betreuer zur Verfügung stand. Die persönliche Assistentin, die ich für dich im Auge habe,
hatte leider bis gestern anderweitige Verpflichtungen. – Ab morgen steht sie dir zur Verfügung; ich
denke, am besten treffen wir drei uns gegen Mittag hier in meinem Büro, dann stelle ich euch einander
vor und wir besprechen letzte Details.“
„Sie kennen sie schon länger, Takarada-san?“, fragt Kyoko schüchtern.
Rory nickt.
Das Mädchen holt tief Luft und nimmt ihren Mut zusammen.
„Darf ich fragen, was für ein Mensch sie ist?“
„Natürlich.“, gibt der Agenturchef zurück.
>Seltsam.<, denkt er für sich. >Dieselbe Frage wie von Rina-san...<
„Rina Kobayashi ist 24 Jahre alt, ziemlich groß, freundlich und aufgeschlossen. Sie macht es einem
ausgesprochen leicht, mit ihr auszukommen. Aber ihre wichtigste Eigenschaft ist ihr einzigartiges
Organisationstalent; eigentlich kommt sie erst so richtig auf Touren, wenn es wirklich stressig wird.
Drüber hinaus betreibt sie einige Kampfsportarten und sollte dir demnach auch allzu aufdringliche
Zeitgenossen vom Leib halten können, wenn das mal nötig sein sollte.“
Er mustert Kyoko eindringlich, die anscheinend noch reichlich skeptisch ist.
„Keine Sorge“, fährt er dann fort, „sie ist wirklich sehr nett, ich denke, ihr Beide werdet euch gut
miteinander vertragen.“
Kyoko sieht verlegen zu Boden, dann strafft sie sich leicht und hebt den Blick wieder, die Wangen leicht
rosa.
„Weiß sie...?“, fragt sie zögernd.
„Ja“, schmunzelt Rory, „sie weiß bereits von Ren-kun und dir ... und wird die Angelegenheit natürlich
äußerst diskret behandeln. Das war die wichtigste Vorbedingung für ihre Anstellung. – Die Einzelheiten
werde ich allerdings erst morgen Vormittag mit ihr erörtern.“
>Meine Güte, bin ich derart Furcht einflößend?<, überlegt Rory, während er die noch immer ziemlich
verschüchterte Kyoko betrachtet. >Oder denkt sie tatsächlich, ich hätte ernsthaft etwas an ihrer Arbeit
auszusetzen?<
„Entspann dich ein bisschen, Kyoko-chan, du bist schließlich nicht hier, um dir eine Standpauke
abzuholen, sondern damit wir über deine Zukunft sprechen können.“
Das Mädchen lächelt – noch immer leicht nervös – und sucht eine bequemere Haltung, die nicht ganz so
formell wirkt wie die bisherige.
„Nach dem Royal-Snow-Spot“, beginnt Rory erneut, ... während Kyokos Gedanken unwillkürlich ein
wenig in lang gehegte Träume abdriften, „wirst du ja diesen Kimono-Werbespot zusammen mit Maria-
chan machen.“
Das Mädchen kommt lächelnd in die Gegenwart zurück. „Ja, das wird bestimmt lustig.“
„Schon“, meint der LME-Chef ernst, „aber es sollte nicht nur Spaß sein. – Ich möchte, dass Maria-
chan lernt, dass auch ein Werbespot harte Arbeit ist, die man nicht einfach so nebenher macht. Bisher
habe ich den Eindruck, dass sie die ganze Schauspielerei mehr als ein abenteuerliches Spiel betrachtet.
- Ich möchte, dass du darauf achtest, dass sie wirklich ihr Bestes gibt und konzentriert mitarbeitet.“
„Ich denke, das wird kein Problem sein.“, antwortet Kyoko. „Das Konzept des Regisseurs kommt Maria-
chan sicher entgegen. Ich glaube nicht, dass es irgendwelche Schwierigkeiten geben wird.“
„Na ja“, gibt Rory zu, „dass ihr Beide als Schwestern auftretet, macht es ihr nun wirklich leicht; aber
könntest du bitte trotzdem dafür sorgen, dass sie auch mitbekommt, dass das Ganze bei allem Spaß
auch eine ernsthafte Angelegenheit ist, ... auch für die, die hinter der Kamera arbeiten. – Ich rede
mir da nämlich nur den Mund fusselig...“
„Ich werde mein Bestes tun.“, verspricht Kyoko entschlossen.
„Gut, das beruhigt mich; wenn jemand diesem wilden Kind etwas beibringen kann, dann du.
Kommen wir also zum wichtigsten Thema heute Morgen: Ich habe nach langem Suchen endlich ein
geeignetes Drehbuch für dein nächstes Filmprojekt gefunden ... und obendrein einen exzellenten
Regisseur, der ganz scharf darauf ist, mit dir zu arbeiten. – Es handelt sich um Ushio Kurosaki, mit dem
du und Kotonami-chan den Kyulala-Spot gedreht habt. – Er hat bislang nur Werbespots und Musikclips
gedreht und hier und da kleinere Kurzfilmprojekte; es ist also sein erster, abendfüllender Film.
Der Film soll zunächst in den Kinos laufen – evtl. sogar in Korea [Gemeint ist natürlich Süd-Korea. ^^]
und Hong Kong, es ist zumindest von Seiten eines koreanischen Filmverleihs schon Interesse bekundet
worden – später wird er hier in Japan auch im Fernsehen gesendet.“
Kyoko lehnt neugierig den Oberkörper nach vorn.
„Um was handelt es sich genau?“, will sie wissen.
„Der Titel steht noch nicht fest, aber es ist eine Agentenkomödie mit jeder Menge Spannung und
Romantik ... und dir und Ren-kun in den Hauptrollen.“
Das Herz der jungen Schauspielerin hüpft vor Aufregung fast schon aus ihrem Brustkorb heraus; dafür
kommt aus ihrem nun offen stehenden Mund nun nichts mehr...
„Es geht um zwei Agenten“, erläutert der Agenturchef, während er es fertig bringt, Kyokos Reaktion
vollständig zu ignorieren und ein breites Grinsen zu unterdrücken, „die – unabhängig voneinander – an
demselben Fall arbeiten und zunächst in Konkurrenz zueinander stehen, ... was natürlich auch
bedeutet, dass sie deswegen ständig kräftig aneinanderrasseln.
Takeshi Nanohara, den Ren-kun spielen wird, ist Offizier beim militärischen Geheimdienst der Marine,
intelligent, ein ausgezeichneter Agent und Analytiker, der den Dingen gern auf den Grund geht ... und
ein Mann mit Prinzipen, der sich gern an die Spielregeln hält.
Ran Nekozawa, die du spielen wirst, ist fast das genaue Gegenteil: Sie arbeitet für die PSIA [siehe
Nachwort! ^^], ist impulsiv, arbeitet vor allem intuitiv, ist dabei sehr intelligent und nutzt all ihre
Fähigkeiten für ihre Arbeit, mitunter auch dann, wenn es gegen geltende Gesetze verstößt; dazu gehört
z.B. auch, dass sie eine hervorragende Taschendiebin ist. Allerdings hat sie dabei ihre ganz eigene
Ethik und überlegt sich jedes Mal genau, wie weit sie bei diesen Regelverstößen gehen will und ob es
verhältnismäßig ist.
Ziemlich schnell stellt sich dann heraus, dass die beiden Agenten sich perfekt ergänzen und die
jeweiligen Vorgesetzten beschließen, sie in diesen Fall zusammenarbeiten zu lassen, was sie dann auch
sehr erfolgreich tun.
Und natürlich verlieben sich die zwei am Ende ineinander.
Das ist – in groben Zügen – die Handlung.“
„Klingt ganz interessant.“, meint Kyoko. „Aber auch nach einer Menge Arbeit.“
„Das ist richtig.“, bestätigt Rory ernst. „Und zwar schon im Vorfeld. Ren-kun hat bereits einige kleinere
Stunts gemacht, aber du hast bisher keine praktischen Erfahrungen außerhalb des Akademie-
Unterrichts, daher wirst du alles noch mal von der Pike auf trainieren müssen. Welche und wie viele
Stunts du dann letztlich bei den Dreharbeiten selber machen kannst und willst, hängt natürlich davon
ab, was du in der kurzen Zeit alles lernen kannst. – Es wäre auf jeden Fall günstig, wenn es möglichst
viele Stunts wären, denn das würde für die Zukunft dein Rollenspektrum erweitern. – Je vielseitiger du
bist, desto mehr Offerten wirst du bekommen ... und bei einem reichhaltigen Angebot hast du dann
auch die Wahl, welche Rollen du annehmen willst. –
Ich hatte dir ja schon gesagt, dass wir jetzt vor allem darauf achten müssen, dass du schauspielerisch
nicht in eine bestimmte Ecke gedrängt wirst. Du hast ja gesehen, dass nach der Ausstrahlung der ersten
Folgen von ‚Dark Moon’ vor allem Angebote für dich rein kamen, die ähnlich geartet waren wie die Rolle
der Mio. Die Besetzungsbüros der Filmproduktionen sind leider meistens nicht unbedingt kreativ. –
Normalerweise achten wir nicht so extrem darauf, welche Angebote für unsere Nachwuchsschauspieler
in Frage kommen, meist sind wir am Anfang froh über jeden Rollenvorschlag, aber in deinem Fall wäre
es eine Schande, auch nur das Risiko einzugehen, dass dein Talent in dieser Art von Rollen
verkümmert.“
„Hmm“, überlegt Kyoko laut, „und wie soll das mit dem ... äh ... Stunt-Unterricht funktionieren?“
„Es ist bereits ein Stunt-Koordinator aus Hong Kong engagiert, der euch beide und einige der
Nebendarsteller schon vor Drehbeginn trainieren wird.
Darüber hinaus wird es jedoch auch einige Ballszenen geben, für die ihr Tanzunterricht bekommen
werdet. – Ich weiß, dass Du die Grundlagen bereits beherrschst, weil ihr ja in der Akademie
europäischen Gesellschaftstanz lernt, ... aber ihr werdet zwei vollständige Choreographien für den Film
brauchen; und dafür ist das, was du an der Akademie gelernt hast, sicher eine gute Grundlage. Ich
denke, ihr werdet genügend Zeit haben, schließlich seid ihr beide gut in Form und habt eine schnelle
Auffassungsgabe.
Was mir ein wenig heikler erscheint, ist, dass du neben ein paar Kussszenen auch einige Szenen haben
wirst, in denen du sehr viel Sexappeal beweisen musst. Diese Szenen sind zwar in keiner Weise
unanständig, aber mir ist klar, dass es für ein junges Mädchen in deinem Alter ein wenig peinlich sein
kann, als so eine Art ‚männermordender Vamp’ aufzutreten.“
Kyoko sieht ihn mit großen, unschuldigen Augen an ... und wird zusehends rot im Gesicht.
„Ich ... ich“, stammelt sie, „ich weiß nicht, ob ich so was kann, ...ich habe es noch nie ausprobiert.“
Sie sieht ihren Chef ein wenig unglücklich an, sodass er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen kann.
„Aber du würdest es versuchen.“
Das Mädchen nickt.
„Das reicht mir doch schon für den Anfang. Es wird sich sicher auch noch jemand finden, der dir da ein
paar Tipps geben kann, die dir weiterhelfen werden.“
Rory schiebt ihr über den Schreibtisch ein Drehbuch zu.
„Sieh dir das Skript erstmal an. - Ich jedenfalls glaube, dass du kaum Schwierigkeiten haben wirst, diese
Rolle zu spielen. – Ich erwarte auch nicht, dass du den Vertrag unterschreibst, bevor du es gelesen
hast.“
Kyoko nimmt das Drehbuch und blättert darin.
„Wir schon schief gehen ...“, murmelt sie; dann sieht sie Takarada forschend an. „Ich gehe davon aus,
dass diese Szenen ohnehin nur einen kleinen Teil der Handlung ausmachen werden.“
Rory lacht. „Darauf kannst du Gift nehmen! Ich mache doch nicht schon im Ansatz das Image meiner
größten Entdeckung seit Langem kaputt!
Aber vielleicht hilft dir bei der Entscheidung auch ein wenig, dass Kanae Kotonami ebenfalls in einer
wichtigen Nebenrolle dabei sein wird.“
Kyoko sieht freudig überrascht auf und denkt einen Augenblick nach, dann klappt sie das Drehbuch zu.
„Gut, ich lese es so schnell wie möglich. Bis wann soll ich Ihnen Bescheid geben?“
„Eigentlich so bald wie möglich, aber zur Not reicht es Ende nächster Woche.
Oh, bevor ich es vergesse: Es gibt noch etwas Wichtiges. In dem Haus, in dem Ren-kun wohnt, wird
eine unserer Wohnungen frei, genau genommen im gleichen Stockwerk...“
Das Mädchen ist höchst verblüfft. „Oh, hat Ren-san schon mit Ihnen gesprochen?!“
„Ja, gestern Abend.“
Die Röte kriecht erneut in Kyokos Gesicht, die Sache ist ihr sichtlich peinlich.
„Wäre es dir recht, quasi in seiner Nachbarschaft zu wohnen? – Ich frage dich das ganz bewusst hier
unter vier Augen; mir ist durchaus klar, dass du eine sichere Wohnung brauchst, ... aber es lässt sich
bestimmt auch eine andere Lösung finden, wenn du Bedenken hast.“
Kyoko ist noch immer höchst verlegen, doch sie strafft entschlossen die Schultern und blickt ihr
Gegenüber fest an (wenn auch mit noch immer rosigen Wangen).
„Nein, Takarada-san, ich habe keinerlei Bedenken wegen Ren-san. – Und er hat leider Recht, wenn er
sagt, dass ich möglichst bald umziehen muss. Ich habe den Gedanken lange genug vor mir her
geschoben ... ich möchte nicht, dass die Leute, bei denen ich jetzt wohne, von aufdringlichen Fans
belästigt werden.“
„Gut“, meint Rory daraufhin ruhig, „dann hast du jetzt eine neue Bleibe. – Ich denke, dass du nächste,
spätestens übernächste Woche einziehen kannst. Ich lasse dir den Schlüsselchip dann zukommen. – Sag
einfach Bescheid, wenn du Hilfe oder einen Umzugswagen brauchst.“
„Schon gut“, murmelt Kyoko verlegen, „so viele Sachen hab ich ja gar nicht...“
„Mein Angebot steht trotzdem. Ruf einfach an, wenn irgendwelche Probleme auftauchen sollten. – Am
besten gebe ich auch meiner Sekretärin Bescheid, ... falls ich mal nicht da sein sollte, wenn du Hilfe
benötigst.“
Er erhebt sich und geht um den Schreibtisch herum auf das Mädchen zu.
„Dann sind wir für heute fertig. Falls einem von uns noch etwas Wichtiges einfallen sollte, können wir
das ja morgen besprechen.“
Nachdem Kyoko das Büro des Agenturchefs verlassen hat, schlendert Rory nachdenklich lächelnd zum
Fenster hinüber.
>Ich bin ziemlich sicher, dass sie das Angebot annehmen wird. – Hm, ...meine beiden Love-Me-
Praktikantinnen zusammen in ihrem ersten Kinofilm... Das wird bestimmt lustig...<
Eine Weile hängt er seinen Vorstellungen über den bevorstehenden Dreh nach und überlegt
angestrengt, wie oft er sich am Set blicken lassen kann, ohne allzu sehr zu stören. Dann geht ihm
plötzlich ein anderer Gedanke durch den Kopf.
>Ich glaube, ich war ein bisschen hart, ... die Bewährungsprobe, auf die ich Ren-kun und Kyoko-chan
die letzten Wochen gestellt habe, war richtiggehend brutal... Ich musste zwar wissen, wie sie auf eine
längere Trennung reagieren und wie sich das jeweils auf ihre Arbeit auswirkt, ... aber ich glaube, ich
habe es übertrieben. – Schließlich hat keiner der Beiden seine Arbeit auch nur im Mindesten
vernachlässigt, vielleicht ist sogar das genaue Gegenteil der Fall; zumindest Ren-kuns Leistungen sind
qualitativ deutlich besser geworden. Bei Kyoko-chan ist das sicher nicht anders, ... allerdings entwickelt
sie sich momentan ohnehin in einem so rasanten Tempo, dass man nur schwer beurteilen kann, woran
es jetzt genau liegt...
Ich finde, die Beiden haben auch charakterlich dazu gewonnen. Ren-kun ist in letzter Zeit auffallend
offener und zugänglicher. – Nur gut, dass die Meisten es darauf zurückführen, dass er sich in ‚Dark
Moon’ regelrecht frei gespielt hat...
Und von Kyoko-chan hört man, dass sie seltener in diese merkwürdigen Panik- und Hektik-Attacken
verfällt ... oder in völlig unverständliche Wutanfälle...
Außerdem muss ich zugeben, dass sie deutlich hübscher geworden ist ... und ich glaube nicht, dass das
nur mit dem veränderten Styling zusammenhängt.
...aber beide wirken ein bisschen ausgepowert. – Und ich fürchte, das liegt nicht nur an den vollen
Terminkalendern...
Ich hätte sie doch nicht so radikal voneinander fern halten sollen...
Kein Wunder, dass ihre Telefonrechnungen in astronomische Höhen geklettert sind...“
Plötzlich schlägt er sich in einem Moment der Erkenntnis mit der flachen Hand auf die Stirn.
„Natürlich!“, ruft er gedämpft. „Sie haben einen Weg gefunden, trotz der räumlichen Trennung und
außerordentlich viel Arbeit eine harmonische Beziehung zu führen. – Wieso ist mir das nicht
eingefallen? Als ob es früher keine Telefone gegeben hätte! Wenn ich meine Frau einfach häufiger
zwischendurch angerufen hätte, hätte sie sich sicher nicht so furchtbar vernachlässigt gefühlt...
Und mir hätte es sicher auch gut getan...“
Langsam schüttelt er den Kopf.
„Da müssen mir zwei solche Grünschnäbel vor die Nase halten, wie man eine Beziehung kreativ führen
kann...“, murmelt er zerknirscht und wendet den Blick nach oben.
„Ich bin ein Idiot! – Verzeih mir, Liebling.“
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Nachwort
Vielleicht haben sich die einen oder anderen von euch gefragt, wie es eigentlich üblicherweise unter
den Mitarbeitern von LME so zugeht. (Wenn nicht, wird die Frage bestimmt im nächsten Kapitel
auftauchen... ^^)
Normalerweise geht es dort eher entspannt zu, die meisten Mitarbeiter sind schließlich den Umgang mit
Prominenten gewohnt. Nur wenn es einen besonderen Erfolg von Künstlern der eigenen Agentur gab,
kann es schon mal zu tumultartigen Szenen kommen. ^^ Dann gibt es das, was Ren gern die
„Glückwunschtour“ nennt: Nahezu jeder Mitarbeiter gibt seinen Kommentar ab, bekundet seine
Bewunderung und seinen Respekt, man klopft dem erfolgreichen Kollegen die Schultern oder schüttelt
seine Hände; manche gehen sogar so weit, auf Autogrammjagd zu gehen. (Etwas, das normalerweise
unter den LME-Mitarbeitern eher verpönt ist!)
Ein absolutes Tabu ist es allerdings, jemanden, der in der LME-Kantine beim Essen sitzt, zu stören,
wenn es nicht etwas Dienstliches und obendrein sehr Dringendes ist.
Zur PSIA, dem japanischen Geheimdienst: Ja, es hat mich einige Zeit gekostet, es herauszufinden, aber
es gibt sie, die Public Security Investigation Agency, auch „Koancha“ genannt. Bitte merkt euch den
Namen, er wird später noch öfter vorkommen. Ich denke, nähere Infos dazu wird es noch geben, wenn
es mit den Dreharbeiten zur Agentenkomödie losgeht.
Und noch ein paar Worte zu der „Bewährungsprobe“, die Rory dem frischverliebten Paar auferlegt hat:
Der volle Terminplan, für den Rory Takarada gesorgt hat, hat u.a. auch dazu gedient, dass Kyoko
tunlichst nicht allein unterwegs war. Die einzige Möglichkeit, sie anzugreifen wäre während der
Taxifahrten gewesen, doch weil LME mit einem Taxiunternehmen, das sich u.a. auf das Chauffieren von
Künstlern und Prominenten spezialisiert hat, Exklusivverträge hat, war die Wahrscheinlichkeit relativ
gering (und es wäre auch sehr schnell aufgefallen).
Übrigens musste Kyokos Terminplan nach der ersten Woche noch mal aufgestockt werden, weil sie
zügiger und zuverlässiger gearbeitet hat, als unsere drei Verschwörer (Sawara, Matsushima und
Takarada) sich das gedacht hatten. ^^
Ren wusste übrigens von dieser Taktik, hat es allerdings nur zähneknirschend hingenommen; ihm wäre
es wesentlich lieber gewesen, wenn Takarada ihr stattdessen eine brauchbare Betreuerin zur Verfügung
gestellt hätte. Rory hingegen war der Ansicht, dass ein normaler Betreuer sie im Ernstfall sowieso nicht
schützen könne und fand, dass er das Risiko durch die engen Terminpläne minimieren könne, zumal es
so auch sofort aufgefallen wäre, wenn Kyoko etwas passiert wäre. – Man kann sich vorstellen, wie Ren
(insgeheim) getobt hat. (Das meiste davon hat übrigens der arme Yashiro abbekommen. ^^)