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Spuren im Sand

von

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„Manchmal sehe ich Dinge... Dinge, die nicht real sind... Die sich aber real anfühlen", sie wippte ihren Körper hin und her, die Arme fest um die angezogenen Knie geschlungen. „Warum sehe ich solche Dinge? Was passiert mit mir?" In ihren Augen spiegelte sich die blanke Verzweiflung, ein Entsetzen, das nicht in Worte zu fassen war. „Bitte... bitte helfen Sie mir!!", flehte sie, indem sie heftig am Hemdärmel ihres Gegenübers zerrte. Er lächelte, doch dieses Lächeln galt nicht ihr.

„Niemand kann dir helfen", sagte er schließlich schleppend, so als sei das etwas, das ihm eben erst klar geworden war. Und in schärferem Ton setzte er nach: „Verstehst du? Dir ist nicht zu helfen!" Er funkelte sie an, als ihre Blicke sich trafen, was sie erschreckt zurückfahren ließ.

Ihre Angst bewegte etwas in ihm, was seiner Stimme wieder einen weicheren Klang verlieh. „Niemand hilft dir, wenn du selbst dir nicht zu helfen weißt. Du denkst, du bist allein? Dann wird es wohl so sein. All die Menschen um dich herum, die sich um dich sorgen, dir zu helfen versuchen, die dein Bestes wollen... sie alle existieren in Wahrheit nur in deiner Vorstellung. Denn in der Realität gäbe es solche Menschen gar nicht, die dich derart wertschätzten, nicht wahr?"

Es war eine Falle. Mit jedem Wort drängte er sie weiter in die Enge. Die Menschen in ihrer Umgebung... war sie denn wirklich so undankbar, sich einzureden, sie seien nicht real? Apathisch saß sie da und dachte über seine Worte nach. Dabei merkte sie gar nicht, wie unhaltbare Tränen sich den Weg über ihre Wangen bahnten. Tränen, die sie hatte so lange unterdrücken müssen, die sie keinem Menschen zeigen wollte, aus Angst, verletzt zu werden.

Schweigend reichte er ihr ein Taschentuch, das sie ebenso stumm hinnahm. Er wendete seinen Blick ab von ihr, hinaus zu dem kleinen Fenster, das auf das Meer gerichtet war. Das Rauschen der Wellen drang bis zu ihnen hinauf. Er überlegte, ob er etwas sagen oder abwarten sollte, bis sie sich beruhigt hatte; sie, die alles zu wissen glaubte, und doch nichts verstand. Betrübt schüttelte er den Kopf. Nein, er konnte ihr sicher nicht helfen. Warum hatte sie ausgerechnet ihn darum gebeten? Ihn, dem nicht einmal etwas an ihrem Glück lag. Der sich nicht einmal um sein eigenes Glück scherte.

„Das muss aufhören", meinte sie schließlich und klang dabei sehr entschlossen. „Ich will nicht, dass das so weitergeht." Erneut schlich sich Verzweiflung in ihre Stimme, doch sie unterdrückte sie mit aller Macht. Sie spürte ganz deutlich, dass sie etwas verändern konnte, dass sie die Kraft haben würde, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

„Endlich hast du es begriffen", sagte er und sah sie dabei durchdringend an. Sie hob ihren Blick, um ihm in die Augen zu sehen. Ein erstes, zaghaftes Lächeln schlich sich in ihre Züge. „Und was ist mit Ihnen? Wann werden Sie es endlich begreifen?"

Er atmete hörbar aus. Da sagte sie etwas! Aber er fand keine Antwort auf ihre Frage, so sehr er es sich auch gewünscht hätte.

„Ich bin nicht wie du", erwiderte er schließlich nach langem Schweigen. „Ich habe niemanden, der mir wichtig ist. Und es gibt niemanden, dem ich etwas bedeute." Diese Erkenntnis war ihm schon vor langer Zeit gekommen, doch es war das erste Mal, dass er sie aussprach. Als er nun diese Worte aus seinem Mund hörte, fühlte er sich plötzlich, als würde sich eine große Leere in ihm ausbreiten.

Lange schaute sie ihn wortlos an, beobachtete seine Gesichtszüge, seine Gestik. „Sie haben Recht", sagte sie dann mit einem Mal, „Sie können mir nicht helfen." Mit einem Satz erhob sie sich und verließ den Raum. Er sah ihr nicht nach, als die Tür hinter ihr ins Schloß fiel, sondern richtete seinen Blick erneut aufs Meer hinaus.
 

Später fand er ihre Spuren im Sand, die vom Wasser beinahe hinfort geschwemmt waren. Das war, lange nachdem sie zu ihm zurückgekehrt war. Ein bitteres Lächeln zeichnete sich um seine Mundwinkel ab. Er hatte ihr nicht helfen können. Sie aber hatte ihn gerettet.

„Isa!"

Wer rief nach ihr? Ihre Augen suchten mit aller Aufmerksamkeit die Umgebung ab, und da sah sie ihn. „Sie sind das", sagte sie mit einiger Erleichterung. Sie wartete, bis er näher kam und machte keine Anstalten, von ihrem Platz im Grünen aufzustehen. Den geflochtenen Blumenkranz hatte sie in ihren Schoß gebettet, die Sonne brach sich in den smaragdgrünen Augen. Erwartungsvoll verharrte sie in Schweigen.

Er setzte sich zu ihr, ebenso schweigsam wie sie, als sein Blick auf den Kranz fiel. „Sehr hübsch", bemerkte er, was ihr ein kleines Lächeln entlockte. „Isa, wann bist du hier hergekommen?", wollte er endlich wissen.

„In den Morgenstunden, als Sie noch schliefen", antwortete sie schlicht und nahm ihre Arbeit an dem Kranz wieder auf. Es fehlten nur noch wenige Handgriffe, und sie würde ihn fertig gestellt haben. Doch was dann? Sie betrachtete die ineinander verschlungenen toten, lebendig wirkenden Blüten und fand, dass sie ihr ähnelten. Oder ihm. „Lassen Sie uns ans Meer gehen." Sie bettete den fertigen Kranz auf sein Haupt, was er wortlos geschehen ließ, reichte ihm die Hand und erhob sich gemeinsam mit ihm zum Gehen.

Er folgte ihr, wie schon so oft, an den Strand. Von hier aus hatte er einen hervorragenden Blick auf ihr gemeinsames Haus, dessen Fassade wie ein einsames Schloß über den Klippen thronte. Der Sand unter seinen Füßen fühlte sich weich und feucht an. Das Wasser spülte unentwegt Gischt an das Ufer und erfüllte die Luft um sie herum mit einem schwachen Salzgeruch. Schon allein das Geräusch der brandenden Wellen reichte aus, seine Gedanken zu entgiften. Es gab hier nichts, das ihn einschränkte.

Beständig war ihr Blick auf das Meer gerichtet. Sie liebte und hasste es zugleich, denn es führte ihr jedesmal vor Augen, wie eingeschränkt im Grunde ihr Dasein war. Doch es verhieß ihr auch eine unendliche Freiheit. Eines Tages würde sie all das hinter sich lassen und ein selbstbestimmtes Leben führen. Eines Tages...

„Die Sonne geht bald unter. Wollen wir uns von hier aus den Sonnenuntergang ansehen?"

Ruckartig drehte sie sich zu ihm um und schon beinahe mechanisch stellte sich ein Lächeln ein. „Gern." ... würde sie ihn verlassen und damit all seine Hoffnung zunichte machen. Durfte sie das? Konnte sie sich denn ein Leben ohne ihn überhaupt vorstellen?
 

„Isa?" Yaya riß die junge Frau aus ihren Gedanken. „Sag mal, träumst du? Wo warst du denn in Gedanken?"

Isa lachte verlegen auf. „Ach, nur ein alberner Tagtraum", schüttelte sie den Kopf, als versuche sie den letzten Rest dieses Hirngespinstes aus ihren Gedanken zu vertreiben.

„Du bist mir eine!" tadelte Yaya, die noch einen kräftigen Zug am Strohhalm ihres Milchshakes tat. „In letzter Zeit driftest du ziemlich oft in andere Welten, wie?" Diese und andere Feststellungen formulierte Isas Freundin oft und gern als Frage. Warum das so war, konnte sie selbst nicht erklären, vermutlich steckte feminine Höflichkeit dahinter. Denn auf diese legte Yaya sehr viel Wert.

Isa seufzte. Was tat sie nur hier? Es fühlte sich irgendwie nicht richtig an, hier zu sein. Egal, wo sie gerade war, stets verspürte sie den Wunsch, woanders zu sein. Auch Yaya konnte daran nichts ändern. Yaya... ihre liebe Freundin Yaya, die sich solche Mühe mit ihr gab, eine Engelsgeduld mit ihr hatte und ihr doch nicht das Gefühl geben konnte, gebraucht zu werden. Vielleicht war es das, was ihr fehlte... Jemand, von dem sie wusste, dass er sie brauchte.

„Wir sollten los, die anderen warten sicher schon auf uns, meinst du nicht?" Da war es wieder. Aber Yaya hatte recht, sie waren vor dem Kino mit Freunden verabredet und sollten daher nicht zu spät auftauchen.

„Gehen wir.", meinte Isa entschlossen und sprang mit einem Male auf. „Freunde lässt man nicht warten." Freunde... waren diese Menschen denn wirklich ihre Freunde? Sicher, sie verabredeten sich oft, unternahmen viel gemeinsam, eigentlich hatten sie immer eine Menge Spaß zusammen. Und dennoch konnte Isa das Gefühl nicht los werden, allein zu sein. Woher kam diese nie ganz enden wollende Einsamkeit?

Eines Tages würde sie vielleicht von ihm eine Antwort darauf bekommen.

Eines Tages stand er einfach vor ihr. Diese Begegnung veränderte ihr Leben. Sie sahen einander an, ganz so, als kannten sie sich aus einem früheren Leben. Die Leere begann, aus ihrer Welt zu weichen und gebar etwas völlig Neues. Etwas, von dem sie noch nicht genau wusste, was es ist.

Seine Welt begann sich nur langsam zu verändern, schleppend, so wie der Abend die Nacht erringt. Aber er wusste, dass es gut war, ihr begegnet zu sein. Aus eigener Kraft hätte er die Universen nie bewegen können. Sie hatten einander viel zu sagen, redeten Tag und Nacht, ohne sich nur ein Mindestmaß an Schlaf zu gönnen. Er sog jedes Wort von ihr auf wie die Luft zum Atmen. Ihren Namen erfuhr er erst viel später. Es war ganz klar: Sie wollte, ja, sie brauchte seine Hilfe.
 

„Glauben Sie, ich kann wirklich glücklich sein?", fragte sie einmal, als sie den Nachthimmel beobachteten. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass mir alles entgleitet, dass am Ende nichts bleibt... alles löst sich auf."

„Ja", stimmte er ihr mit ruhiger Stimme zu, „Alles verändert sich. Du kannst Dinge nicht behalten, die ihrer Natur nach vergänglich sind, weißt du?" In dem Moment fiel ihr zum ersten Mal auf, dass er wie Yaya redete.

„Warum erscheinen mir dann die Menschen um mich herum soviel glücklicher?", setzte sie mit einiger Verzweiflung nach. Nach wie vor waren ihre Augen ins Dunkel gerichtet. Er schwieg, denn er hielt es noch nicht für an der Zeit, ihr diese Frage zu beantworten. Konnte er das denn überhaupt? Es gab nichts, was er ihr hätte sagen können, was sie nicht selbst bereits erkannt hatte. Daher stellte er ihr eine Gegenfrage: „Was muss denn geschehen, damit du glücklich wirst?"

„Ich weiß es nicht. Ich..." Sie hielt inne, als suche sie nach den richtigen Worten, sprach dann aber nicht weiter.

„Wie willst du es da schaffen, glücklich zu werden, wo du nicht einmal das weißt?" Es klang nicht wie ein Vorwurf, vielmehr wie ein Versuch, ihren Gedanken eine neue Richtung zu geben. „Yaya ist glücklich. Und weißt du, wieso? Sie weiß, was sie will. Sie hat ein klares Ziel vor Augen. Sie versucht, ihrem Leben einen Sinn zu geben, anstsatt darauf zu warten, dass ein anderer das für sie tut. Verstehst du? Du solltest anfangen, dich für dein Leben zu interessieren. Niemand außer dir kann etwas daraus machen", zitierte er einen bekannten Aphorismus. Und sie verstand. Am Ende hatte er ihr doch geholfen. Sie lächelte und ging fort, ohne sich nochmals nach ihm umzudrehen. Er sah ihr nicht nach, sondern schaute weiter hinauf zu den Sternen. Wenn sie seine Worte nicht nur verstanden, sondern verinnerlicht hatte, würde sie ihn nicht mehr brauchen.
 

Was sie glücklich machte? Lange dachte Isa darüber nach, während sie ihrer Freundin Yaya das Popcorn aus der XXL-Tüte klaute. Vor ihnen flimmerte der Film über die Leinwand, ein Streifen voll Romantik und Abenteuer. Nur dass Isa kaum etwas davon mitbekam. Yaya sah sie an und kicherte albern. Tatsächlich machte sie augenblicklich einen glücklichen Eindruck. Aber wer konnte schon sagen, wie es in ihrem Inneren aussah? Isa etwa? Sie beschloss, ihre Aufmerksamkeit wieder dem Film zuzuwenden, vielleicht würde sie wenigstens das Ende noch mitbekommen.
 

Er saß auf der Wiese und rauchte. Isa würde schon bald zu ihm zurückkommen, wer weiß, was sie ihm dann zu erzählen hatte. In letzter Zeit kreisten seine Gedanken sehr häufig um die junge Frau. Noch konnte er nicht erklären, was es damit auf sich hatte, aber er war sicher, die Antwort bald zu finden. Ein Wort schwirrte ihm durch den Kopf, das er nicht auszusprechen wagte, zu viel Schmerz verband er mit allem, woran es ihn erinnerte. Inständig hoffte er sogar, dies eine Mal im Irrtum zu sein.

Der Wind bewegte sanft die Halme der Gräser, zerzauste sein Haar und flog dann mit einem leisen Pfeifen hinauf in die Wolken. Die Wärme der Sonne streichelte seine Haut, umfing seinen ganzen Körper. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie sich sein Körper in Sonnenlicht verwandelte. Was übrig blieb, war klares Licht, die letztendliche Natur seines Geistes. Rein und weit schwebte er über der Erde, erfüllt von allem, was lebt, trunken vor Glück.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  BlindDemon
2007-12-08T13:48:14+00:00 08.12.2007 14:48
°///°
Ich hab mir grad die komplette FF reingezogen und... und... UND es ist ja soooooooooowas von bezaubernd!!!!!
*heulen könnt*
+gerührt bin+
Da kann ich mich richtig gut reinversetzen^^
Von:  dasFragment
2007-12-08T13:39:30+00:00 08.12.2007 14:39
Das ist ja ein süßes Ende!
*irgendwie Pippi in die augen hab*
Von:  dasFragment
2007-12-08T13:34:34+00:00 08.12.2007 14:34
Der Szenenwechsel war grandios! So aprubt, wie der kam, dacht ich erst "wasn jetzt los??"
*hihi*

Ich mag deinen Erzählstil ^.^
Von:  dasFragment
2007-12-08T13:28:16+00:00 08.12.2007 14:28
Ui, sehr interessant.
Ich mag es, wenn man selbst zum nachdenken angeregt wird!!

love it


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