Knock out
Knock out
Das Frühstück am nächsten Tag verlief ungefähr so, wie auch schon beim ersten
Mal. Es schien tatsächlich Gang und Gebe zu sein, dass Roland mit am Tisch saß
und das Dienstmädchen genauso nützlich wie überflüssige Tischdeko war.
Anscheinend war es auch normal, dass Akito unangekündigt hereinschneite und
von Kaibas Teller klaute, obwohl er doch einen eigenen hatte.
Weiterhin trug Kaiba zu Hause scheinbar nie die Sachen, die er sonst in der
Schule trug. Heute hatte er normale Jeans und ein schwarzes Hemd an.
Und wie ich es erwartet hatte, stellte sich heraus, dass Kaiba kein großer
Esser war.
Was er zum Frühstück aß, um satt zu werden, stopfte bei mir keineswegs das
riesige Loch in meinem Magen. Wenn das so weiterging, würde ich schon am Ende
der Woche mein Normalgewicht wiederhaben.
Aber es sollte noch schlimmer werden, denn Kaiba schien sich einiges
ausgedacht zu haben, um mich auf Trab zu halten.
Nach der hundertsten Tasse Kaffee, sah er mich schief grinsend an und meinte
„Heute werden wir mal meinen normalen Plan durchziehen. Macht dir das was
aus?“
Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich gewusst hätte, was da auf mich zukam, wäre
ich schreiend weg gerannt. Aber so dachte ich nur naiv, dass es ja ganz
interessant sein könnte, Kaibas Tagesablauf zu sehen.
„Gut“, meinte er plötzlich und stand auf, „Dann werden wir als erstes mal die
Hunde spazieren führen. Willst du mit, Mokuba?“
„Nein danke“
„Du weißt aber schon noch, dass Popcorn dein Hund ist, oder?“
„Ja doch“, erwiderte der Kleinere, „Aber ich hab gerade viel zu tun“
Kaiba zuckte mit den Schultern „Wie du meinst. Komm Wheeler!“
Gehorsam stand ich auf.
„Hey Seto, kommst du heute Abend noch vorbei?“, fragte Akito.
Kaiba nickte nur. Dann bedeutete er mir, ihm in den Garten zu folgen.
„Nous nous promenons“, rief er knapp.
Sofort kamen die Hunde angerannt. Raiko sprang schwanzwedelnd auf Kaiba zu,
der ihn lächelnd empfing. Derweil wurde ich von dem anderen Hund genauer
beschnuppert. Doch er verlor schnell das Interesse.
„Was hast du ihnen gesagt?“, fragte ich. Mein Französisch war leider so
schlecht, dass die Lehrer oft dachten, ich hätte noch nie etwas davon gehört.
„Ich hab ihnen gesagt, wir gehen Spazieren“, Kaiba gab den Beiden ein
Handzeichen und schon liefen sie vor uns her. Sie waren an keiner Leine und so
waren sie bald außerhalb unserer Sichtweite.
„Kannst du sie hier denn einfach so frei rumlaufen lassen?“, meinte ich
besorgt. Nicht, dass die Zwei noch ausbüchsten.
„Ich kann alles tun, was ich will, Wheeler“
„Und was machst du, wenn du sie nicht wieder findest?“
Er pfiff kurz aber laut. Innerhalb weniger Sekunden waren die Hunde wieder
direkt vor uns.
„Beantwortet das deine Frage?“
„Ja, denke schon...“
„Dann lass uns mal ein bisschen Tempo machen“
„Was meinst du?“
Er antwortete nicht, sondern rannte seinen Hunden hinterher.
Perplex sah ich ihm hinterher. Was war denn jetzt wieder los?
Schnell eilte ich ihm nach, bevor ich noch ganz den Sichtkontakt verlor. Aber
ich musste ganz schön hetzen, um mit ihm mithalten zu können.
„Was... soll das?“, fragte ich atemlos, als ich halbwegs neben ihm angekommen
war.
„Ein bisschen Joggen am Morgen ist gut für dich. Dadurch wirst du richtig
wach“, er war noch nicht einmal außer Atem.
„Hat dir... der Kaffee... dafür... nicht gereicht?“
„Wenns dir nicht passt, kannst du jederzeit aus dem Projekt aussteigen.“
Ich sah ihn empört an „Hör endlich... auf, mich... aus dem Projekt...
drängen... zu wollen!“
„Wie du meinst“
Mein Blick haftete auf Kaibas Gesicht. Es schien ihm wirklich egal zu sein, ob
ich weitermachte oder nicht. Mir fiel auf, dass er nicht mal rot im Gesicht
war. Ihn schien das Laufen gar nicht anzustrengen...
„Anstatt mich zu bewundern solltest du lieber aufpassen, wo du hinläufst“,
meinte er trocken.
„Wieso?“
Dann hielt er plötzlich an.
Aber bevor ich verstand, wieso, war ich schon im Wasser gelandet. Ich war
mitten in den See gelaufen.
„Deswegen“, hörte ich Kaiba rufen.
Toll! Jetzt war ich patschnass.
Mit vollgesogenen Kleidern watete ich wieder aus dem See heraus. Kaiba schien
das ungemein witzig zu finden. Er lachte zwar nicht, aber seine Augen waren
schon fast so hell, dass sie mich blendeten.
„Hättest du mich nicht warnen können?“, murrte ich.
„Doch“
„Warum hast du es dann nicht getan, du Idiot!?“
Er setzte ein unschuldiges Lächeln auf „Du wärst ja trotzdem reingefallen.
Wenn ich dich gewarnt hätte, hättest du erst einmal überlegen müssen, wovor
ich dich warne, ob das mein Ernst ist und wie du reagieren musst. Und bis du
soweit gewesen wärst...“
Dieses Lächeln... zauberhaft.
Ich musste feststellen, dass Kaiba unglaublich... süß aussah, wenn er
lächelte.
„Aber wenns dich tröstet, ich hätte dich auch gerettet, wenn du in Gefahr
gewesen wärst“, fügte er hinzu.
Er hätte mich gerettet?
»Vielleicht hätte ich doch absaufen sollen, dann hätte er mich wiederbeleben
können.«
AAAAAAARGH! Was dachte ich da eigentlich? Das war doch völlig bescheuert!
Ich wollte doch gar nicht von Kaiba Mund zu Mund beatmet werden!
»Wieso eigentlich nicht? Er hat tolle sinnliche Lippen.«
Verflucht nein!!! Ich wollte nichts von ihm! Konnte jemand das mal meinem
Verstand ausrichten?
„Was ist mit dir?“, Kaibas Stimme drang in mein inneres Zwiegespräch ein.
„N-nichts, gar nichts. Und es geht auch gar nicht um dich“, meinte ich
schnell.
Er sah mich wortlos an, doch seine Augen sprachen Bände.
»Diese wundervollen Augen...«
Halt die Klappe, Verstand!
In ihnen lag Unmut. Vielleicht wusste er nicht, woran er bei mir war...
„Lass uns zurück gehen“, meinte er knapp, „Du kannst ein paar Sachen von mir
haben“
»Mein Held«
Klappe, blöder Verstand!
War das normal, dass mein Gehirn sich bei Kaibas Anblick hin und wieder
ausschaltete?
Niedergeschlagen folgte ich ihm, während die Hunde nun an seiner Seite liefen.
In der Villa führte er mich direkt in sein Zimmer und suchte ein paar Sachen
heraus.
„Meine Sachen dürften dir alle etwas zu lang sein“, murmelte er dabei, „Aber
vor drei Jahren hatte ich, glaube ich, die gleiche Größe wie du jetzt“
„Ich habe alte Fotos von dir gesehen. Vor drei Jahren warst du definitiv
kleiner.“
Er sah mich schief an „Dann eben vor zwei. Wo hattest du die Fotos denn her?“
„Von Herrn Muto. Er hat mir alte Zeitungsartikel gezeigt.“
„Hat er das?“, Kaiba kramte wieder im Schrank.
„Ja, er hat auch erzählt, dass er es eigentlich dir verdankt, dass er seinen
Laden öffnen konnte“
„Er erzählt viel, wenn der Tag lang ist...“
„Ich weiß von ihm auch, dass du seit einem Jahr die Firma nur noch zu 13
Prozent leitest“
„Und wenn schon“, er warf ein paar Sachen aufs Bett und deutete darauf, „Zieh
das mal an“
„Warum hast du uns das nie erzählt?“, fragte ich, während ich die Hose an
meine nasse ranhielt „Wieso hätte ich es euch erzählen sollen? Es geht euch
gar nichts an!“, er warf einen prüfenden Blick auf mich, „Die Größe ist okay,
aber sie dürfte zu eng sein“
„Hast du keine Sachen, die etwas weiter sind?“
Er hielt mir eine andere Hose hin.
„Die ist zu lang und zu eng“, maulte ich.
Stirnrunzeld sah er mich an „Das kann ich nicht ändern“
„Hast du nichts weiteres?“
„Nein...“
„Wenn du mehr essen würdest, wärst du nicht so dünn. Dann würden mir deine
Hosen passen“, murrte ich entnervt, „Gosaburo war doch so ein kräftiger Kerl.
Hat er dir nicht gezeigt, wie man sich vernünftig ernährt?“
Schlagartig wurden seine Augen fast schwarz. Furcht einflößend starrte er mich
an, wobei er leise zischte „Vielleicht bist du ja auch einfach zu fett, du
blöder Köter!“
„Das glaube ich nicht. Du musst einfach mal ein bisschen zunehmen“, ich hatte
keine Ahnung, wieso ich das sagte.
„Pass auf, was du sagst!“, seine Stimme war kaum mehr, als ein bedrohliches
Flüstern.
„Wieso? Ist doch wahr!“
Ehe ich mich versah, lag ich auf dem Boden. Meine eine Gesichtshälfte
schmerzte. Wer hätte gedacht, dass Kaiba so heftig zuschlagen konnte?
Er stand über mir, die Hand immer noch zur Faust geballt. Dann stapfte er an
mir vorbei.
„Was ist nun mit meinen Sachen?“, rief ich eilig hinterher. Schon komisch, was
einem in so einem Moment wichtig erscheint...
„Frag doch Akito!“, schnaubte er.
Dann verschwand er und ich lag allein in seinem Zimmer.
Ich hatte keine Ahnung, wie lang ich da lag. Um mich herum drehte sich alles.
Aber irgendwann erschien über mir ein Gesicht. Es war Akito.
„Hast du Seto etwa geärgert? Der sah irgendwie sauer aus.“, meinte er.
„Ich hab gar nichts gemacht“
Akito half mir wieder auf die Beine „Sieht so aus, als wärst du seiner Faust
begegnet.“, ein leicht schadenfrohes Grinsen zierte sein Gesicht.
„Er hat völlig grundlos zugeschlagen“
„Seto schlägt - wenn überhaupt – nie grundlos zu. Komm mit“
Immer noch benommen folgte ich ihm in ein anderes Zimmer der Villa. Akito
kramte ein paar Sachen aus einer kleinen Kommode und warf sie mir zu.
„Wieso hast du hier in der Villa Sachen?“, wollte ich wissen.
„Ich übernachte hier manchmal. - Das sollte dir passen. Probiers an“
„Kannst du dich umdrehen?“, fragte ich kleinlaut. Mir war es irgendwie
peinlich, mich vor ihm umzuziehen.
Augenrollend drehte er sich weg.
Die Sachen passten tatsächlich, auch wenn sie etwas eng waren. Vielleicht lag
das ja doch an meinem momentan voluminösen Umfang...
„Sag mal, Kleiner...“, er sah mich forschend an, „Was hast du zu Seto gesagt,
dass er dermaßen sauer geworden ist?“
Ich wiederholte haargenau das Gespräch, das ich mit Kaiba geführt hatte. Als
ich geendet hatte, sog Akito die Luft ein.
„Dann verstehe ich es“, meinte er.
„Was?“
„Dass er dir eine runtergehauen hat.“
„Freut mich!“, knurrte ich, „Ich verstehe es leider immer noch nicht“
„Hör zu, Kleiner, ich gebe dir einen Rat: Mit Seto klarzukommen ist nicht
schwer. Du darfst nur niemals die Tabus ansprechen“
„Tabus?“
Er nickte eifrig „Tabus. Du darfst in seiner Nähe niemals, hörst du, NIEMALS
über sein Gewicht oder Gosaburo Kaiba reden. Bei diesen Themen rastet er
ziemlich schnell aus“
„Wieso?“
„Ist halt so. Jeder hat doch Dinge, über die er nicht sprechen will“
„Das mit Gosaburo verstehe ich ja noch, aber was hat er denn nur mit seinem
Gewicht?“
Akito seufzte „Es ist einfach so: vor ein paar Jahren ist etwas passiert, das
Seto damals extrem fertig gemacht hat, verstehst du? Dazu kam dann auch noch
Gosaburo, der ihn noch mehr fertig gemacht hat. Also kam es, wie es kommen
musste“
„Wie ist es denn gekommen?“, wollte ich wissen.
„Na wie wohl? Er ist ziemlich übel weggebrochen. Er stand kurz davor, seelisch
völlig zusammen zu brechen. Körperlich hatte er dabei schrecklich viel Gewicht
verloren. Und da er sowieso nie besonders dick war, kannst du dir ja
vorstellen, wie fatal sich das auswirkte. Er brach immer wieder vor lauter
Entkräftung zusammen. Für die Medien war das ein gefundenes Fressen. Sie
attackierten ihn immer wieder deswegen, was ihm noch stärker zusetzte. Aber er
kam einfach nicht aus diesem Teufelskreis raus.“
„Und weiter?“, drängte ich, als Akito nicht weiter sprach.
„Das ist irrelevant. Wichtig für dich ist nur, dass jedes Mal, wenn du von
seinem Gewicht oder Gosaburo anfängst, Seto sich in genau dieser Situation von
damals wiederfindet. Also lass ihn damit einfach in Ruhe, okay?“
„A- aber wie ist er damals aus dem Teufelskreis rausgekommen? Und was ist
passiert, dass er so aus der Bahn geworfen wurde?“, fragte ich verzweifelt.
Ich brannte darauf, alles zu erfahren.
„Sorry, Kleiner, das geht dich nichts an. Wenn du das wissen willst, musst du
schon warten, bis Seto es dir selbst erzählt.“, sagte er bestimmt.
Ich nickte betrübt. Einerseits konnte ich Kai- ... Seto jetzt wirklich besser
verstehen, und ich war Akito auch dankbar, dass er mir das erzählt hatte.
Schließlich erklärte das einiges. Aber andererseits warf es auch schon wieder
so viele neue Fragen auf.
Ich bezweifelte, dass Seto mir die einfach so beantworten würde.
Also blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten.
So das wars fürs erste
Ich denke, dieses Kapitel erklärt schon mal ein bisschen Setos Reaktionen
aber wenn ihr es wirklich genau wissen wollt, müsst ihr euch noch etwas
gedulden.
Ich hoffe euch gefällt die ff bis jetzt...
Kommis sind immer erwünscht ;)