Eine Petzte namens Joey
Eine Petze namens Joey
Pünktlich am Montag um halb acht stand ich bei Kaibas vor der Tür. Die Schule
begann erst um neun, aber wir mussten ja noch frühstücken.
Normalerweise war ich nie so früh wach, aber Kaiba motivierte mich dazu.
Vermutlich würde er nicht erfreut sein, mich zu sehen. Immerhin hatte er klar
gemacht, was er von diesem Projekt hielt.
Ungeduldig klingelte ich. Wieder war es der Butler, der mir öffnete.
„Sie sind es“, stellte er nüchtern fest, „Master Seto hat angeordnet, dass ich
Sie nicht reinlassen soll“
„Was? Das ist wohl ein schlechter Scherz!“, fluchte ich, „Holen Sie ihn her,
dann kann er es mir selbst ins Gesicht sagen!“
„Bedaure, er ist gerade unpässlich“
Dr. Kana tauchte hinter mir auf „Lassen Sie uns schon rein, Frevol. Sie kennen
den Jungen doch schon. Wo liegt das Problem?“
„Master Seto hat mir aufgetragen weder Ihnen, Doktor, noch dem Jungen Eintritt
zu gewähren“, Frevol schien seine Überlegenheit zu genießen.
„Das ist doch albern!“, der Arzt verdrehte die Augen, „Sie kennen doch Setos
Launen. Er sagt halt manchmal Dinge, die er nicht so meint. Wollen Sie, dass
er Sie rausschmeißt, nur weil Sie die Gäste, die er sehnsüchtig erwartet,
nicht reingelassen haben?“
Doch der Butler grinste nur fies „Netter Versuch, Doktor. Aber ich weiß
zufällig, dass er momentan gar keinen Besuch erwarten kann“
„Was nun?“, fragte ich hilflos.
„Bei drei“, flüsterte mir Dr. Kana ins Ohr.
Ich verstand.
„DREI!“, rief er laut. Sofort stürmten wir auf Frevol zu und rammten ihn zur
Seite. Als wir drinnen waren, lachte der Arzt triumphierend auf „Was wollen
Sie jetzt Ihrem Master sagen? Dass Sie nicht in der Lage waren einen Jungen
und einen Arzt aufzuhalten oder, dass Sie von der Dringlichkeit unseres
Besuches Überzeugt waren? Was klingt wohl besser?“
Frevol seufzte resignierend, während er die Tür schloss „Schön! Sie haben
gewonnen“
„Sehr schön“, nickte Kana, „Ich schlage vor, wir suchen jetzt Seto und stellen
ihn zur Rede“
„Genau!“, nickte ich entschlossen, „Dem werde ich ordentlich die Meinung
geigen! - Wo sollen wir ihn denn suchen?“
„Vermutlich in seinem Zimmer.“
Also liefen wir durch die langen Gänge der Villa. Zum Glück schien Dr. Kana zu
wissen, wo es lang ging, denn ich hätte mich sofort verlaufen. Vor einer Tür
blieb er endlich stehen. Doch bevor er klopfen konnte, hielt ich ihn noch
einmal zurück. „Kann ich Sie etwas fragen?“
„Natürlich“, er sah mich erwartungsvoll an, „Wieso nennen ihn hier alle beim
Vornamen? Das versteh ich nicht.“
„Ganz einfach. Wenn er jemanden mag oder zumindest nicht unsymphatisch findet,
bietet er einem recht schnell an, ihn beim Vornamen anzusprechen und zu duzen.
Er hat es mal so erklärt, dass sein Vorname seine Identität und sein Nachname
das ist, was er verkörpert, also ein Firmenchef“
„Meinen Sie, er hasst mich so sehr? Er hat mir nie angeboten, ihn so zu
nennen“, meinte ich missmutig.
„Vielleicht, weil ihr zwei fast gar nichts miteinander zu tun habt. Klar, ihr
seid in derselben Schule, aber das macht euch noch lange nicht zu Freunden“
„Wir haben sehr viel gemeinsam durchgemacht!“
„Schon möglich, aber hast du dabei jemals ein normales Gespräch mit ihm
geführt oder habt ihr bloß zwangsweise zusammen gearbeitet? Das ist ein
beachtlicher Unterschied“
Ich seufzte „Auch wieder wahr“
„Denk nicht darüber nach, Junge“
Ich nickte betrübt.
Vorsichtig klopfte Dr. Kana. Auch nach einer ganzen Weile kam keine Reaktion.
Also öffnete er leise die Tür und wir traten ein.
Der Raum war hauptsächlich in blau und weiß gehalten. Die Wände waren weiß und
auf dem Boden lag ein dunkelblauer Teppich. Auf einem Schreibtisch aus
Kirschholz lag sein Laptop neben weiteren technischen Geräten und einem Stapel
Papier. Die gesamte Wand gegenüber der Tür war eine Fensterfront, die Ausblick
auf einen wunderschönen Garten gab. Und dann war da noch dieses unglaublich
große und gemütlich aussehende Bett mit dunkelblauer Bettwäsche.
Und da war Kaiba.
„Er schläft ja noch“, Dr. Kana schütttelte tadelnd den Kopf, „Typisch!“
Ich ging etwas näher heran, um einen besseren Blick auf ihn erhaschen zu
können. Aber er war fast völlig unter der Decke begraben.
Plötzlich schrillte es in meinen Ohren. Bevor ich überhaupt verstand, was los
war, schnellte unter der Decke eine Hand hervor und fegte den Wecker vom
Nachttisch. Klirrend fiel er zu Boden und das Klingeln verebbte. Die Hand
derweil hatte sich bereits wieder unter die warme Decke verzogen.
Ich blinzelte verwirrt „Was sollte das denn?“
Kana knirschte mit den Zähnen „Wohl zu faul zum Aufstehen, was?“
Er beugte sich am Kopfende weit runter. Dann grinste er fies, bevor er laut
„AUFWACHEN“ rief.
Sofort schreckte Kaiba hoch, wobei er kurz erschrocken aufschrie. Total
verpeilt sah er uns an.
Irgendwie hatte das schon was Schönes an sich, Kaiba so verschlafen zu sehen.
Wenn er noch nicht seinen kalten Blick drauf hatte, waren seine Augen noch
leuchtender.
Als er uns sah, verfinsterten sie sich jedoch. „Was zum - “, er brachte den
Satz nicht zu Ende, denn plötzlich stöhnte er gequält auf und ließ sich wieder
zurück in die Kissen sinken. „Wieso ist das so hell?“, jammerte er, wobei er
sich mit der Hand die Augen verdeckte.
Kana grinste fies „Wohl gestern zu tief ins Glas geschaut. Wie viel wars
denn?“
„Ich weiß nicht mal, wie ich nach Hause gekommen bin. Reicht das als Antwort?“
Der Arzt lachte spöttisch „Nie wieder Alkohol?“
„Nie nie wieder! - Bis heute abend“
Kaiba schien wirklich verkatert zu sein, denn er massierte sich die Schläfen
als hätte er Kopfschmerzen.
„Und? Was gibt's zum Frühstück?“, fragte ich taktvoll, wie ich war.
Kaiba blinzelte mich schief an „Was macht der denn hier?“, knurrte er.
„Frühstücken“
„Und ich werde das beaufsichtigen“, ergänzte Dr. Kana.
Kaiba schnaubte verächtlich, wobei er sich wieder die Decke über den Kopf zog.
„Sie wissen ja, wo die Küche ist!“
„Wir warten ja auch nur darauf, dass du aufstehst und uns Gesellschaft
leistest“
„Sadist!“
Ungeduldig zog Kana die Decke weg „Steh endlich auf! Du musst sowieso bald zur
Schule“
„Erst in 90 Minuten!“, Kaiba massierte sich immer noch die Schläfen und hielt
die Augen geschlossen.
Ich hätte Kaiba für den Pyjamatypen gehalten, aber er trug eine normale
Sporthose und ein schwarzes T- shirt dazu. Es stand ihm ziemlich gut, aber es
schien einem Milliardär nicht unbedingt würdig.
„Was glotzt du so, Köter?“
Mist! Er hatte meine Blicke bemerkt. „N-nichts“
„Ihr könnt euren Streit beim Frühstück fortsetzen“
Plötzlich ging die Tür auf und ein Mann im Schwarzen Anzug und mit
Sonnenbrille kam herein. Das war doch dieser Typ, der ständig an Kaibas Fersen
klebte... Roland, glaube ich.
„Du hast geschrien?“, meinte er tonlos.
Kaiba deutete auf Kana und mich „Rausschmeißen!“
„Sofort“, nickte Roland.
Ehe ich mich versah, hatte der Kerl uns gepackt und mit einem Fußtritt vor die
Tür der Villa befördert.
So was Mieses!
„Was sollte denn der Scheiß jetzt!“, fluchte ich, „Spinnt Kaiba denn? Das lass
ich mir nicht bieten! Dem werd ichs zeigen!“
Ich wollte wieder in die Villa stürmen, doch Kana hielt mich zurück. „Er hat
es sicherlich nicht böse gemeint“
„Nicht böse gemeint? Der hat uns vor die Tür gesetzt!“
„Nimms ihm nicht übel. Seto ist nun mal ziemlich mies drauf, wenn er
Kopfschmerzen hat. Da kann er schon mal überreagieren“
Dann musste Kaiba ja immer Kopfschmerzen haben, denn er reagierte doch ständig
über und war fies. So eine billige Ausrede!
Und ja: ich nahms ihm übel! Aber ich wusste auch schon, wie ich mich
revangieren würde.
Am selben Tag noch hatten wir wieder Bio mit Herrn Noro. Gleich vor der Stunde
ging ich zu ihm und erzählte, was heute morgen passiert war.
Er nickte ernst „So was hab ich schon erwartet. Ich werde mich gleich darum
kümmern“
Zufrieden setzte ich mich an meinen Platz und wartete darauf, dass der
Unterricht begann. Kaiba konnte was erleben!
Als es endlich klingelte und Herr Noro die Klasse begrüßt hatte, fing er auch
gleich an. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass es bei einigen zu Problemen bei
unserem derzeitigen Projekt gekommen ist. Daher möchte ich noch einmal
deutlich machen, wie wichtig dieses Projekt für jeden einzelnen von Ihnen ist.
Schließlich wird sich der Versuch auf Ihre Noten auswirken. Und wenn Sie, Mr.
Kaiba, das nicht ernst nehmen, werde ich Ihr Projekt persönlich beaufsichtigen
und das dürfte Ihnen nicht gefallen! Ich möchte, dass so etwas wie heute
Morgen nicht wieder vorkommt. Ansonsten können Sie Ihre Note vergessen. Haben
Sie das verstanden, Mr. Kaiba?“
Kaibas Augen funkelten schwarz wie die Nacht „Natürlich, Herr Noro“
„Gut.“, der Lehrer warf mir noch einen kurzen Blick zu „Ansonsten wird mir Mr.
Wheeler darüber Bericht erstatten. Also weiter im Stoff“, er wandte sich der
Tafel zu und schrieb irgendetwas an.
Kaiba beugte sich leicht zu mir und flüsterte mir bedrohlich ins Ohr: „Ich
hätte dich für alles gehalten, Wheeler, aber nicht für eine miese Petze! Wenn
du so was noch mal abziehst, dann verabschiede dich schon mal von deinen
Zähnen!“
Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Seine Stimme war so kalt und
schneidend, dass ich befürchtete zu Eis zu erstarren.
„Du hast Kaiba verpetzt?“, fragte Yugi leise, „Man, das hätte ich an deiner
Stelle lieber gelassen“
„Er hat doch angefangen!“, zischte ich.
„Trotzdem. Ich glaube nicht, dass er das so auf sich beruhen lässt“
Wenn Yugi nur wüsste, wie sehr er damit Recht hatte...