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Ai No Kiseki

Wunder der Liebe
von

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Michiru verhält sich merkwürdig

Anfang Mai konnte Haruka dann endlich wieder zur Schule gehen, und sie hatte auch keinen Hausarrest mehr. Der Arzt hatte ihr ein paar Medikamente verschrieben, mit deren Hilfe sie ihre Bauchschmerzen in den Griff bekommen hatte. Und nun fühlte sie sich wieder total fit und fing sogar wieder mit Joggen an. Aber ganz so recht freuen konnte sie sich nicht. Michiru hatte sich nicht wieder gemeldet seit der beinahe passierten Sache mit dem Kuß, und so war Haruka ein wenig ratlos, was sie nun tun sollte. Sie hätte gern mit ihr gesprochen, aber wenn sie sich an den verwirrten Ausdruck auf Michirus Gesicht erinnerte, so wußte sie nicht, ob dies eine gute Idee war. In den nächsten Tagen versuchte sie zufällig ein Gespräch herbeizuführen. Wenn sie nicht gerade auf dem Rennplatz trainierte oder in Kameda´s Garage half, trieb sie sich draußen im Garten herum, sehr zur Verwunderung ihrer Tante. Aber sie sah Michiru nicht. Einmal konnte sie Seiyas Stimme hören, und daraufhin war sie den ganzen Abend über so mißgelaunt, daß es selbst Mrs. Tenô auffiel. Auch in der Schule begegnete sie der Freundin nicht. Das war allerdings nicht sehr verwunderlich, denn die Mugen Gakuen Schule hatte riesige Ausmaße, und Michiru und Haruka hatten keine Kurse zusammen belegt. Auch gab es außer der Cafeteria noch andere Speisemöglichkeiten, und so konnte Michiru praktisch überall sein, auch außerhalb des Schulgeländes. Und dennoch wurde Haruka das Gefühl nicht los, daß Michiru ihr aus dem Weg ging.

Eines Tages, als Haruka mit äußerst mieser Laune aus dem Chemiesaal kam und grimmig an ihre schlechte Note im Kurztest dachte, traf sie Michiru auf dem Flur, als diese gerade zusammen mit Nerissa aus dem Zeichensaal kam, ihre Zeichenmappe unter dem Arm.

Haruka blieb stehen. Michiru sah unheimlich süß aus. Sie hatte sich ein türkisfarbenes Band in die Haare gebunden, und die Sommerschuluniform der Mugen Gakuen Schule stand ihr ausgezeichnet. Nerissa, das Haar zum Pferdeschwanz aufgesteckt, rümpfte die Nase, als sie Haruka erblickte, sagte jedoch ausnahmsweise mal nichts.

„Hallo“, brachte Haruka gerade noch so über die Lippen. Es kam längst nicht so locker und lässig rüber wie geplant. Sie konnte Michiru die ganze Zeit über nur anstarren.

Michiru errötete leicht und senkte ein wenig den Kopf. „Hallo“, murmelte sie, und es klang sehr zurückhaltend und fast abweisend. „Geht’s dir wieder besser?“

„Ja, danke“, antwortete Haruka.

„Ich hoffe, du hast vor, dich an Kou Seiya zu rächen, oder?“ warf Nerissa ein, und ihre Augen funkelten. Sie wußte also Bescheid. Und wie Haruka sehen konnte, war sie verdammt eifersüchtig auf den „Wolf im Schafspelz“.

Michiru sah sie vorwurfsvoll an. „Aber Neri-Chan!“ Dann wandte sie sich an Haruka. „Sie meint es nicht so, Haruka.“

Haruka. Sie hatte sie Haruka genannt, nicht Ruka. Und sie hatte sie nicht angesehen, als sie mit ihr gesprochen hatte. Nerissa jedoch hatte sie angelächelt und liebevoll „Neri-Chan“ genannt. Haruka gab das einen Stich. Aber sie wußte nicht, warum. Nur, daß es ihr weh tat, wenn sie Michiru und Nerissa zusammen sah.

Michiru zuckte verlegen die Schultern, als wisse sie nicht, was sie als nächstes tun sollte. „Na dann... man sieht sich.“

„Bye“, sagte Haruka ohne sie anzusehen.

„Ja, bye“, sagte Michiru schnell und drehte sich um.

„Ciao“, verabschiedete sich auch Nerissa. Es klang ziemlich verwundert.

Haruka sah den beiden nach, wie sie den Gang entlang zum Schulkiosk schlenderten. Als sie sah, wie Michiru Nerissas Hand nahm und den Kopf an ihre Schulter legte, wurde sie das Gefühl nicht los, daß Michiru das mit Absicht tat, um ihr zu zeigen, daß sie zu Nerissa gehörte. Es tat weh, die beiden so zu sehen. Haruka wandte sich um und machte sich auf den Weg zum Sportunterricht. Die Bewegung würde ihr guttun. Sie mußte sich irgendwie abreagieren. Sie mußte dieses verdammte Gefühl endlich loswerden. Es machte sie verrückt.
 

Am nächsten Tag war ein Samstag. Haruka stand bereits um sechs Uhr auf, schlüpfte in ihren Trainingsanzug und machte sich auf den Weg zum Joggen über die Felder. Sie tat es nicht nur um ihrer Kondition Willen, wie ihre Tante glaubte, sondern auch, um nicht ständig an Michiru denken zu müssen. Aber sie kam von dem Gedanken einfach nicht los. Und so lief sie schneller und schneller, bis sie am Ende total verschwitzt Zuhause ankam. Sie war nicht wie sonst über die Felder zurückgelaufen, sondern durch die Straßen, und so kam es, daß sie nun fix und fertig im Hof ihrer Tante stand. Der Schweiß lief ihr die Stirn hinunter, und sie wollte nur schnell ins Haus und eine eiskalte Cola trinken.

„Na, Schätzchen, du bist aber früh unterwegs!“

Diese Stimme! Mit einem Ruck fuhr Haruka herum, während sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen verengten. Sie ballte die Fäuste, als sie im Garten der Familie Meio Seiya entdeckte. Er trug ein verschwitztes ärmelloses Turnhemd und kurze Shorts und ein Schweißband am Kopf und machte Gymnastikübungen.

„Ich bin nicht dein Schätzchen!“ fuhr sie ihn wütend an, und ihre Augen glommen gefährlich auf.

Seiya hielt mitten in einer Turnübung inne, fuhr sich mit den Händen durch sein langes, schwarzes Haar, das er zu einem lässigen Zopf nach hinten gebunden hatte, und grinste. „Ej, klar. Du wärst mir ein bißchen zu stark, wenn ich ehrlich bin.“

„Spar dir deine dämlichen Kommentare!“ fauchte Haruka und kehrte ihm demonstrativ den Rücken zu.

Aber Seiya ließ sich nicht so leicht abschütteln. Er ging zur Gartenmauer und sprang auf die Straße. Dann lief er zu Haruka hinüber und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Hey, Schätzch... ähem, Ruka, warte mal einen Moment.“

„Was ist?“ knurrte Haruka gereizt. Am liebsten hätte sie ihn stehenlassen, aber da war etwas in seinen Augen, das sie innehalten ließ. Etwas ehrliches und gutherziges, das sie dazu veranlaßte, stehenzubleiben.

„Bist du immer so mies drauf?“ wunderte sich Seiya, während er sich lässig gegen Harukas Cabriolet lehnte, das auf dem Parkplatz in der Auffahrt stand. „Ich wollt nur... also, ich hab das nicht gewollt. Ich wollte mich entschuldigen.“

Haruka schnappte verblüfft nach Luft. „Du wolltest... was?“ Sie hatte alles erwartet, aber nicht das. Kou Seiya wollte sich entschuldigen!

„Taiki hat mir erzählt, daß du ziemliche Schmerzen hattest und Medikamente nehmen mußtest. Das war nicht meine Absicht. Wirklich nicht. Aber du hast so verdammt gut gekämpft, daß mir gar keine andere Wahl geblieben ist, als mich zu wehren. Sonst hättest du mich niedergeschlagen. Außerdem, wenn ich am Schlägern bin, setzt mein Gehirn immer irgendwie aus. Behaupten zumindest Yaten und Taiki.“

Überrascht von diesem freimütigen Geständnis blieb Haruka einen Moment lang sprachlos stehen. Dann gab sie sich einen Ruck. „Tja, ich hab ja angefangen“, gestand sie schließlich ein. „Ich... ich fand´s nicht okay, was du mit Michiru gemacht hast.“

Seiya wurde tatsächlich rot. „Na ja, weißt du, sie... ich mag sie unheimlich gern, und sie sieht klasse aus, und ich... bin schon verknallt in sie, seit ich sie das erste Mal gesehen habe. Jedes Mal, wenn ich hier bin, denke ich, dieses Mal kriegst du sie rum. Aber irgendwie scheint sie nie was zu merken. Verdammt, warum erzähl ich dir das eigentlich alles? Es ist nur, sie kann einem so leicht den Kopf verdrehen!“

„Wie wahr“, murmelte Haruka selbstvergessen vor sich hin. Wenn Seiya wüßte, wie recht er mit seiner Bemerkung im Bezug auf Michiru hatte! Sie hatte eine wahrhaft magische Anziehungskraft, der sie sich selbst wahrscheinlich gar nicht bewußt war.

Seiya streckte ihr die Hand hin. „Friede? Oder nein, besser Waffenstillstand. Dich kann man so schön auf die Palme bringen, Schätzchen.“

Haruka stand sofort wieder kurz vor einer Explosion, aber Seiya lachte nur, als er das bemerkte und zwinkerte ihr zu. Da mußte auch sie lachen. „Einverstanden“, stimmte sie zu.

Jemand in ihrer Nähe räusperte sich vernehmlich. Die beiden fuhren herum. Es waren Meio Setsuna und Kaiou Taiki.

Taiki trug noch seinen Schlafanzug, und sein langes dunkelbraunes Haar war total verstrubbelt. Setsuna hatte sich einen ordentlichen Knoten am Hinterkopf aufgesteckt und war mit einem orangenen Hauskleid bekleidet, über dem sie eine grüne Schürze trug. Während Taiki barfuß war, trug sie Strümpfe und Hausschuhe und hatte sogar schon Make up aufgelegt.

„Setsuna, sag nicht, es gibt schon Frühstück“, stöhnte Seiya. „Ich bin noch nicht fertig mit meinem Morgentraining!“

„Das sieht dir ähnlich“, erwiderte sie kopfschüttelnd. „Was stehst du auch herum und hältst andere vom Laufen ab! Komm jetzt rein, du kannst nachher weitermachen. Yaten ist auch schon auf und klimpert auf seinem Keyboard herum.“ Sie hielt inne und sah Haruka an. „Und dir geht’s wieder besser?“

„Kerngesund“, antwortete Haruka.

„Wenn du willst, kannst du mit uns frühstücken“, schlug Taiki vor. „Ich werd mich nur noch umziehen gehen. Michie-Chan und eine Freundin von ihr werden auch kommen. Goku Nerissa heißt sie. Du kennst sie vielleicht von der Schule her. Zum Ärger meiner Stiefmutter sind die beiden in letzter Zeit wirklich unzertrennlich.“

Es tat Haruka weh, das zu hören. Und sie hatte nicht die geringste Lust, an dem Frühstück teilzunehmen und zu sehen, wie Michiru und Nerissa die ganze Zeit über verliebt miteinander turtelten. Aber wie um sich selbst zu quälen sagte sie zu. Und wieder sah Meio Setsuna sie mit einem seltsam wissenden Blick an.

Was schaut sie mich so an? fragte sie sich erschrocken, während sie Seiya ins Haus der Meios folgte. Was soll dieser merkwürdige Blick nur bedeuten?

„Worüber grübelst du nach, Schätzchen?“ fragte Seiya. „Laß dir lieber das Frühstück schmecken. Setsuna ist eine ausgezeichnete Köchin. Ich glaube, nach deinem Laufen hast du ziemlichen Hunger. So siehst du jedenfalls aus.“

„Ja“, gab Haruka zu, und sie war viel zu sehr mit ihren Gedanken an Michiru und Nerissa beschäftigt, um sich über das „Schätzchen“ aufzuregen – sehr zu Seiyas Mißfallen.

Bald schon saßen Haruka, die Three Lights und Setsuna im Eßzimmer der Meios am Frühstückstisch und warteten auf Michiru und Nerissa. Die beiden kamen dann auch fünf Minuten später. Nerissa trug einen dunkelblauen Minirock und ein enges Top und sah so gut aus, daß Yaten, Taiki und Seiya erst mal hin und weg waren. Aber Haruka hatte nur Augen für Michiru. Sie trug ein einfaches pinkes Sommerkleid mit weißen Knöpfen und einem weißen Kragen und hatte eine pinke Schleife im Haar und sah total süß aus. Das schien nun auch Seiya zu bemerken, jedenfalls sprang er sofort auf und rückte ihr einen Stuhl zurecht.

Haruka und Michiru wechselten während des Frühstücks kein Wort miteinander. Michiru schien sich in Harukas Gegenwart nicht wohlzufühlen. Sie sah kaum auf, stocherte in ihrem Essen herum und sprach fast kein Wort.

„Stimmt was nicht, Michie-Chan?“ erkundigte sich Taiki einmal.

Verwirrt sah Michiru auf. Sie war offensichtlich mit ihren Gedanken weit weggewesen. „Wie... äh, was ist?“ stammelte sie, vermied es aber, in Harukas Richtung zu blicken.

„Was ist los? Geht’s dir nicht gut?“ erkundigte sich Taiki besorgt.

Nerissa legte Michiru die Hand auf die Schulter. „Michie-Chan, hast du Bauchschmerzen? Möchtest du dich hinlegen?“

„Nein, nein, alles in Ordnung“, murmelte sie. „Ich bin nur müde.“

Taiki und Nerissa gaben sich mit dieser vagen Erklärung zufrieden. Aber Haruka nicht. Sie wußte, daß da mehr dahintersteckte.

Yaten und Seiya fingen an, von einem Konzert zu erzählen, das sie gegeben hatten, und Taiki wußte eine lustige Geschichte zu berichten, wie ein Fan versucht hatte, sich in sein Hotelzimmer zu schmuggeln. Während Michiru noch immer in ihren Cornflakes herumstocherte und in ihrer Kaffeetasse rührte, lauschte Nerissa gebannt den Erzählungen.

„Nein, sowas!“ rief sie immer wieder. „Wer hätte das gedacht!“

Plötzlich fühlte sich Haruka am Arm ergriffen. Als sie hoch sah, merkte sie erst, daß Setsuna neben ihr stand. „Kann ich dich kurz sprechen?“ fragte sie. Es klang ernst, aber freundlich und verständnisvoll. Haruka hatte das Gefühl, daß Setsuna sie verstehen würde. Sie folgte ihr in deren Zimmer, und Setsuna machte die Tür hinter sich zu.

Setsunas Zimmer war nur klein. Auf ihrem ordentlich gemachten Bett lagen Modekataloge, und auf dem Schreibtisch stand ein moderner Computer mit Drucker, Scanner und Modem. Auf dem Nachttisch lag ein kleines Handy, und an den Wänden hingen Fotos und ein großes Poster von Three Lights. Ein Foto von Setsuna und Taiki stach Haruka sofort ins Auge. Die beiden lehnten sich aneinander, und Taiki hatte liebevoll seinen Arm um Setsuna Schultern gelehnt. Sie trug einen knappen Bikini, während er eine Badehose anhatte. Sie lächelten einander verliebt an, und beider Augen leuchteten. Im Hintergrund schimmerte das Meer, und man konnte eine Palme erkennen. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel. Als Haruka dieses Bild betrachtete, wurde ihr klar, daß sie sich auch so eine Beziehung wünschte. Als ihr bei diesem Gedanken Michirus Bild in den Sinn kam, erschrak sie über sich selbst.

Setsuna räumte ein paar Blätter von ihrem Schreibtischstuhl und schichtete sie sorgsam aufeinander. Dann seufzte sie und meinte: „Wenn du sie wenigstens nicht die ganze Zeit so anstarren würdest! Das macht sie ja ganz nervös!“

„Wie?“

„Du weißt, was ich meine. Du hast Michie die ganze Zeit über angestarrt. Also, wenn das nicht auffällig ist...“

Haruka preßte die Lippen fest zusammen. „Was soll das heißen?“ zischte sie mißtrauisch.

Abwehrend hob Setsuna die Hände. „Ruhig, ruhig. Du solltest aufhören, andere Leute anzugreifen, wenn sie dir helfen wollen. Damit schadest du dir am Ende nur selbst. Ich hab einiges mitbekommen, wie du dir sicher schon gedacht hast, und...“

„Was hast du mitbekommen?“ knurrte Haruka um keine Spur freundlicher.

„Tenô Haruka, hör auf, mich für dumm zu verkaufen! Du bist verliebt, das sieht ein Blinder! Du bist bis über beide Ohren in Michie verliebt!“

„Ach, du spinnst doch!“ fauchte Haruka gereizt. „Warum erzählst du so einen Unsinn? Michiru ist meine beste Freundin. Ich bin nicht in sie verliebt!“

Setsuna lachte nur und schüttelte den Kopf. „Ruka, warum gibst du es nicht einfach zu?“ fragte sie. „Ich meine, es ist wirklich nicht schlimm oder peinlich oder was weiß ich.“

„Willst du mich verschaukeln?“ fuhr Haruka sie an. „Und wehe, du erzählst den Mist jemandem!“

Setsuna lächelte. „Werd ich schon nicht“, sagte sie. „Auch Taiki nicht. Und soweit ich weiß, bin ich die Einzige, die etwas davon weiß. Taiki und Yaten haben nichts mitbekommen, Seiya ist viel zu sehr damit beschäftigt, Michie anzuschmachten und Nerissa ist zu sehr damit beschäftigt, auf Seiya eifersüchtig zu sein. Also besteht kein Grund zur Beunruhigung.“

„Woher weißt du das alles?“ staunte Haruka fassungslos.

Setsuna lächelte wieder. „Menschenkenntnis, meine Liebe“, erwiderte sie. „Ich weiß, daß Seiya in Michie verliebt ist. Und was Nerissa betrifft... nun, ich kenne Michiru seit sie klein ist, und ich weiß mehr über sie, als sie denkt. Auch, daß sie lesbisch ist.“

„Aber... ich verstehe nicht...“

„Natürlich nicht. Du kennst die Fakten nicht. Und Fakt ist, daß ich Michirus Entwicklung praktisch seit ich vernünftig denken kann mitverfolgt habe. Ich bin sieben Jahre älter als sie, und wir hatten immer ein sehr enges, vertrautes Verhältnis miteinander. Nicht, daß sie mir ihre Geheimnis anvertraut hätte. Sie war immer mehr der Typ, der allein mit allem fertig werden will. Sie hatte schon immer eine bewundernswerte Selbstkontrolle. Aber für mich war sie wie eine kleine Schwester, und mir gegenüber hat sie sich auch immer etwas mehr gehenlassen als bei anderen. Ich weiß längst nicht alles über sie, dazu war ich zu lange und zu oft fort, aber ich weiß genug, und ich besitze Menschenkenntnis. Das genügt. Ich habe immer instinktiv gespürt, wenn es ihr schlecht ging, wenn sie Probleme hatte oder wenn sie total happy war. Und ich habe versucht, ihr in allen Lebenslagen zur Seite zu stehen. Immer... nein, immer geht das natürlich nicht. Manche Erfahrungen muß der Mensch alleine machen. Ich habe getan, was ich konnte. Und jetzt ist sie erwachsen geworden.“

Nachdenklich sah Haruka Setsuna an. Warum erzählte sie ihr das alles?

„Ich glaube, daß du sie wirklich sehr liebst“, fuhr Setsuna ernst fort. „Und ich habe euch neulich auf der Party beobachtet und gesehen, daß sie dir mehr vertraut als allen anderen.“

„Wir teilen... Geheimnisse miteinander“, mußte Haruka zugeben. „Aber ich liebe sie nicht!“ setzte sie ruppig dazu.

Setsuna lächelte. „Das dachte ich mir. Du willst es dir selbst nicht eingestehen. Aber Ruka, warum denn? Wovor hast du Angst? Weißt du, ich möchte, daß du dich um sie kümmerst und ihre Freundin bleibst. Selbst auf die Gefahr hin, daß sie deine Gefühle nicht erwidert. Der Umgang mit dir tut ihr nur gut, glaub es mir.“

„Wolltest du mir das sagen?“ fragte Haruka kühl. „Wenn das so ist, dann kann ich ja jetzt gehen. Ich habe nicht die Absicht, mir weiter deinen Quatsch anzuhören!“

Setsuna sank auf ihr Bett. „Meine Güte, bist du immer so stur?“ schimpfte sie. „Das ist ja nicht auszuhalten mit deinem Dickkopf!“

„Ich habe nicht... ach, halt doch einfach die Klappe!“ Haruka hatte eigentlich gar nicht die Absicht gehabt, Setsuna so anzufahren. Aber deren Ausführungen verwirrten sie, und was sie da hörte, machte ihr auch Angst.

„Haruka, bitte, ich... ich hab es nur gut gemeint“, sagte Setsuna etwas verunsichert. „So wie du sie vorhin die ganze Zeit über angesehen hast... als wolltest du sie im nächsten Augenblick in die Arme nehmen und küssen.“

„Sei nicht albern“, entgegnete Haruka schroff. „Aus welchem Grund sollte ich sowas tun? Ich glaube, mit dir ist die Phantasie durchgegangen, Setsuna.“

„Bist du dir da so sicher?“ fragte Setsuna nur.

Nein, dachte Haruka wie automatisch. Bin ich nicht. Als sie aber merkte, was sie da gedacht hatte, kniff sie die Augen zusammen und behauptete: „Natürlich. Ich hatte niemals die Absicht, sie zu küssen oder zu umarmen. Kapier das doch endlich!“

„Ich habe verstanden“, erwiderte Setsuna ruhig. Aber ihr Blick verriet Haruka, daß sie noch immer diesen Unsinn glaubte. Das machte sie wütend.

„Setsuna – du hast herausgefunden, daß Michiru lesbisch ist, okay“, sagte sie scharf. „Das geht mich nichts an. Aber wenn du jetzt versuchst, mir Gefühle für sie anzudichten, geht das zu weit! Küß sie doch selber, wenn du unbedingt willst, daß sie geküßt wird!“

„Jetzt wirst du geschmacklos!“ rief Setsuna heftig aus.

„In Zukunft hast du dich aus meinen Angelegenheiten raus zu halten“, fuhr Haruka unbeirrt vor. „Michiru ist meine beste Freundin, und genau das wird sie auch bleiben. Dieser ganze andere Quatsch ist einzig und allein auf deinem Mist gewachsen!“

„Aber...“

„Nichts aber! Meio Setsuna, das geht dich nichts an! Hast du verstanden?“

Setsuna sah gekränkt aus. „Bitte, wenn du dir alles selbst kaputtmachen willst!“ erwiderte sie merklich kühl. „Ich wollte dir nur helfen, aber du scheinst ja zu glauben, du kannst alles alleine schaffen! Na bitte, nur zu! Niemand hindert dich daran! Das ist dein Leben und dein Glück! Damit kannst du machen, was du willst. Ich habe es nicht nötig, dir zu helfen. Ich wollte nur nett sein, weil ich den Eindruck hatte, daß du nicht recht weiterkommst. Aber wer nicht will, der hat schon.“

Haruka sah sie grimmig an. Ihr tat es einerseits ja leid, daß sie Setsuna so angeschrien hatte, aber andererseits erlaubte es ihr ihr Stolz nicht, auf sie zuzugehen und einzulenken. Und so sah sie sie nur an und erklärte eisig: „Allerdings. Und jetzt laß mich in Ruhe mit deinem Gesülze!“

Und damit drehte sie sich um und verließ den Raum, die Tür mit einem lauten Krach hinter sich zuschlagend.



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