Down another day
Fröstelnd ziehe ich den Schal, den Malik mir gegeben hat, enger um meinen Hals.
Und all die Kleidung hilft irgendwie doch nicht gegen die Kälte...
Die leeren Straßen werden von der bereits tiefstehenden Sonne in ein warmes Orange getaucht - die Häuserfronten...dennoch immer noch fremd und unheimlich...
Ich schüttele den Kopf.
Dumme Gedanken.
Ein weiterer Windstoß wirbelt die Blätter auf dem Asphalt vor mir durcheinander.
Der Winter kommt erst...und ich friere jetzt schon.
Mein erster Winter in Japan...aus Ägypten bin ich nur diese ständige Hitze gewöhnt - und auch die nur durch einen anderen Körper.
Herbst..Alle reden davon, dass das Wetter 'schlecht' wird...
Was ich bis jetzt vom Herbst gesehen habe gefällt mir.
'Alles stirbt' hat Malik gesagt.
Ich lächele.
Warum soll Tod so schlimm sein?
Ich blicke auf die bunten Blätter unter meinen Füßen, den orange-roten Himmel.
Ist der Tod so schön?
Ich kenne eine Person, die es weiß.
Aber du würdest niemals darüber sprechen, und ich, ich würde es nicht wagen, dich danach zu fragen.
Es gibt so vieles, was ich dich gerne fragen würde, aber ich weiß, dass ich es niemals tun werde.
Ich will das Bild nicht zerstören, dass du von mir hast.
'Wenigstens willst du nicht ständig über irgendeinen emotionalen Scheiß reden' hast du gesagt.
Und dann bist du gegangen...so, wie du jedes Mal gehst.
Mich im Ungewissen lässt, ob ich dich überhaupt jemals wieder so nah bei mir haben werde.
Die verdammten herumfliegenden Blätter verheddern sich in meinen Haaren; ich mache mir nicht die Mühe, sie zu entfernen.
So passe ich besser zur Umgebung.
Ich muss grinsen, ehe meine Gedanken wieder abschweifen.
Die Straße scheint zu glühen, als ich langsam die beinahe ausgestorben wirkende Gegend laufe.
Kein Mensch is hier...nur ich gehe ziellos meine Runden.
Leise knirschen die Blätter hinter mir.
Nanu?
Interessiert drehe ich mich um.
Wer stört meine kleine, herbstliche Harmonie-Reise?
"Mariku?"
Oh.
"Was machst du hier?"
Du grinst dein übliches, freches Grinsen.
Ich bin froh, nicht nur diese Seite von dir zu kennen, diese offensichtlich allem überlegene, die siegessichere.
Ich kenne die Kehrseite.
Den Teil von dir, der nach Halt sucht, den Teil, der nicht wirklich weiß, was er mit sich selbst anfangen soll.
"Spazieren gehen, was dagegen?"
Instinktiv grinse ich zurück - mein bestes Arschloch-Mariku-Grinsen.
Hoffe ich.
Du trittst näher auf mich zu.
Siehst zu mir auf.
"Malik hat dich rausgeschmissen?"
"Wie kommst du darauf?"
"Ich bitte dich. Du gehst doch nicht freiwillig spazieren.
Du bist doch froh, wenn du zuhause bleiben und dich bedienen lassen kannst."
Ertappt.
"Er sagt, er will saubermachen und ich wäre dabei nur im Weg."
Ein leichtes Schmunzeln verzieht deine Lippen.
"Soso."
"Besuch von Ishizu. Morgen. Will sehen, ob wir auch 'alleine klarkommen' und so..."
Warum sonst sollte Malik sich um Ordnung bemühen?
Du grinst noch breiter.
Wippst auf den Fußballen vor und zurück.
"Was ist?"
Du willst irgendwas von mir.
Ich glaube dir nicht, dass du zufällig hier bist. Das bist du NIE.
Der Wind spielt mit deinem langen, weißen Haar.
"Ach nichts."
Du schüttelst den Kopf.
Siehst mich dann wieder an, ernst.
"Ryou ist nicht zuhause. Bleibt über Nacht bei Yugi oder so..."
Die Hände tiefer in deinen Manteltaschen vergrabend weichst du meinem Blick aus.
"Ah."
Ich mustere dich von oben bis unten.
Wo ist sie, deine Selbstsicherheit?
Noch einen Schritt näher.
Vorsichtig streiche ich dir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, berühre deine blasse Wange.
"Kommst du?"
Ich nicke.
Als könnte ich anders entscheiden...
Stumm laufe ich neben dir her.
Keine Eile, wir haben die ganze Nacht.
Während du nach dem Haustürschlüssel suchst und dann die Tür aufschliesst werfe ich noch einen letzten Blick in den inzwischen tiefroten Himmel.
Morgen früh werde ich gegangen sein, ehe du überhaupt erwachst...so wie jedes Mal.
Und ich werde noch immer all meine Fragen in mir tragen und nur erahnen können, was in DIR vorgeht.
Aber eine Frage habe ich mir beantworten können.
Der Herbst ist nicht 'schlecht...nicht 'böse'.
Er treibt die Menschen zueinander, weil sie vor der Kälte fliehen.
Und vielleicht...vielleicht tut der Tod in gewisser Weise genau dasselbe...
