Wishes
All those years wasted wishes drowning in a wishing well. (Blackmore’s Night – 25 years)
Als er sechs war, erklärte ihm seine Mutter das Prinzip des Wunschbrunnens. „Schau, Olivier.“, sagte sie, wie sie es öfter zu tun pflegte, wenn sie seine gesamte Aufmerksamkeit wollte. „Wenn du eine kleine Münze hineinwirfst und dir ganz fest etwas wünschst, dann geht dieser Wunsch in Erfüllung.“
Sie gab ihrem Sohn eine Münze und er glaubte, sie hatte dabei gelächelt. Aber er wusste, dass das Geldstück klein, fest und bronzefarben in seiner eigenen kleinen Hand gewesen war.
Er erinnerte sich nicht mehr an den Wunsch, auch nicht, ob er in Erfüllung gegangen war. Aber er erinnerte sich noch an ihr helles Lachen und die darauf folgenden Worte, nachdem er ihr strahlend den Wunsch gesagt hatte.
„Nein, nein, Olivier, du darfst es mir nicht sagen. Sonst klappt es nicht. Das ist wie bei Sternschnuppen. Hier, versuch es noch einmal.“ Sie drückte ihm eine weitere Münze in die Hand. Olivier glaubte, dass er sich noch einmal dasselbe gewünscht hatte, aber er wusste es nicht mehr.
Er erinnerte sich auch nicht an das Gesicht seiner Mutter. Er kannte es nur noch von Fotos. Aber er erinnerte sich noch an den Tag, an dem sein Vater ihm erklärt hatte, dass seine Mutter sterben würde und was der Tod war.
Er hatte an diesem Tag alle seine Münzen, die er finden konnte, in den großen Brunnen in der Nähe ihrer Sommerresidenz geworfen. Und er wusste, sein Wunsch war nicht in Erfüllung gegangen.
Aufgehört, Münzen in Brunnen zu werfen, hatte er nie.
„He, Olivier, hast du eine Münze für mich?“ Enricos Stimme war fröhlich und aufgedreht. „Ich hab nämlich keine mehr und ich brauch jetzt unbedingt ein paar.“
Olivier wandte seinen Blick von dem aufgewühlten Wasser des Brunnens ab, an dessen Rand er stand. Es war ein alter Brunnen im Barock-Stil, mit einer vielgesichtigen Statue in der Mitte, aus der sich Wasser in das Becken ergoss.
Etwas verwirrt blickte er seinen blonden Freund an, der breit grinsend neben ihm stand und ihn erwartungsvoll ansah. Olivier zog fragend eine feine Augenbraue nach oben. „Für was brauchst du jetzt Kleingeld?“
Mit dem Daumen deutete der Italiener auf den Brunnen und warf dann einen kurzen, bedeutungsvollen Blick über die Schulter. Olivier folgte diesem und entdeckte zwei junge Mädchen. Großbusig, langbeinig, hübsch, die eine blond, die andere mit einer dicken, roten Mähne. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und kicherten.
Immer das Gleiche mit Enrico.
Olivier seufzte und griff nach seinem Geldbeutel, das Stechen der Eifersucht ignorierend. Es brachte doch nichts. Für ihn würde Enrico niemals Münzen in einen Brunnen werfen. Er lehnte sich erneut an die steinerne Brüstung und starrte in das dreckige Wasser, während Enrico wieder zu seinen kichernden Gänsen zurückging.
Was der Italiener zu ihnen sagte, hörte er nicht mehr. Nur die Münzen, die er klimpernd von einer Hand in die andere gleiten ließ, und schließlich von drei verschiedenen Leuten ins Wasser geworfen wurden, wo sie langsam auf den Grund trudelten und sich zu anderen Geldstücken gesellten, blieben ihm im Gedächtnis.
Er selbst seufzte. Dann ließ er ebenfalls eine kleine Münze in den Brunnen fallen. Wohl wissend, dass es nichts bringen würde.
Es waren doch alles nur verschwendete Wünsche…