Neumond
Neumond
Schnell jagten Wolken über den Himmel, verhüllten den Mond und saugten sein Licht begierig in sich
auf. Donner grollte in weiter Ferne wie die Trommeln eines gigantischen Heeres, und Blitze erleuchteten
den pechschwarzen Himmel für den Bruchteil eines Augenblickes.
Während jenen Momenten wirkten die Bäume und Sträucher wie groteske Gestalten, ihre langen Arme
schlugen durch den Sturm wehrlos hin und her, der Regen peitschte über die Ebene.
Kleine Bäche wurden zu reißenden Fluten, in welchen es weder für Mensch noch Tier ein Halt gab. Leise
rauschte es auf, fuhr über Geröll und Schlamm, löste das vertrocknete Blut und nahm es mit sich fort.
Niemand vermochte zu sagen, wie viele Menschen wohl in diesen Wäldern den Tod gefunden hatten.
Und doch reinigten die Wassermassen auch hier die Wel.
Befreiten es von der Schande des Krieges und der Last von zu vielen Seelen das Blut in sich aufgesaugt
zu haben.
Es war nicht der erste Krieg den dieses Land erduldete. An den ersten konnten sich nur noch die Alten
und Weisen der Stämme Barolons erinnern.
Damals, als das Volk der Ogronier, die Wölfe aus dem Eismeer hoch aus dem Norden in ihr Land
eingefallen waren und es binnen weniger Monate vermocht hatten ein gesamtes Land niederzuringen
und es mit harter, unbarmherziger Hand zu regieren.
Jahre der Gefangenschaft folgten, und die Kinder, welche in jenen dunklen Jahren das Licht der Welt
erblickten, waren die Kinder des Kriegsgottes Gyrox.
Diese Kinder schien es bestimmt zu sein in einer Zeit aufzuwachsen, in welcher Freiheit ein Traum aus
längst vergangenen Tagen war, Ehre und Liebe unter einer Last aus Trümmern auf ewig begraben
lagen.
Jene Kinder sollten es sein, die ihr Land in den zweiten großen Krieg führten und die Wölfe zurück in
ihre eisige Heimat trieben in welcher sie früher oder später der Tod erwartete. Und dennoch litt das
Land weiterhin stumme Qualen, die Götter hatten es nicht nur mit dem Blut der Menschen gestraft,
auch versiegten die heiligen Quellen.
Die Tiere zogen sich tief in die Wälder zurück und nahmen die immer vorhandenen Geräusche aus Wald
und Wiese mit sich fort. Die Welt starb mit jedem Tag mehr und dennoch war der letzte Funke von
Hoffnung immer noch nicht verglüht...
Melodisch trommelten Regentropfen auf das Dach aus Stroh und Lehm hinab, sie sangen ihr eigenes
stummes Lied und spendeten den Menschen im inneren einwenig Zeit der Ruhe. Ruhig lag das kleine
Dorf geschützt hinter dem gewaltigen scharfen Kanten des Berges.
Nur in den Fenster dieses Hauses brannte noch Licht, wie ein Wegweiser glühte es hinaus in die kalte
und stürmische Nacht. Eine drückende Stille umschloss die drei Gestalten im inneren des Hauses, leise
knackte das Feuer im Kamin und einige Funken stoben aus der kreisrunden Öffnung, verglühten jedoch
augenblicklich in der kalten Luft.
Keuchend wandte sich eine junge Frau am Boden, fest krallten sich ihre Fingernägel in die weiche Decke
unter ihr. Krämpfe schüttelten ihren Leib, Schweißperlen rannen von ihrer Stirn hinab und verbanden
sich an ihrer Wange mit Tränen des Schmerzes. Eine ältere Frau richtete sie ein wenig auf. „Ruhig“,
flüsterte sie leise und wischte mit einem durchnässten Tuch über die erhitzte Stirn. „Gleich ist alles
vorüber, es kann nicht mehr lange dauern, meine Liebe.“
„Ruhig?“ zischte es ärgerlich zurück. Grüne Augen fixierten das alte Gesicht und unverhohlener Hass
lag in diesem Blick. „Nur wegen euch ist es doch erst zu all dem gekommen. Niemals, niemals hätte ich
freiwillig...“ ein jeher Schrei erstickte die letzten Worte im Keim, unter heftigen Schmerzen bäumte sich
der Körper auf.
Eilig stellte die dritte Frau die Schale mit heißem Wasser zu den Füßen der jungen Frau ab und betastete
prüfend den gewölbten Leib. Sanft wanderten die grauen Augen über das sich ihr bietendes Schauspiel,
und ein Lächeln der Zuversicht zierte die Lippen. „Das Kind hat sich gedreht“, erklärte sie ruhig und
strich der keuchenden Frau sacht einige Haarsträhnen aus der Stirn. „Ich vermute es wird nicht länger
auf sich warten lassen. Seid ihr bereit?“
„Ich, nein. Nein, ich muss warten, ich weiß, sie wird kommen. Ich...“
„Sei doch keine Närrin“, erwiderte die andere nun sichtlich verärgert. „Das Kind wird nicht warten, nur
weil du dir etwas in den Kopf gesetzt hast.“
„Schweig, Leta. Du hast kein Recht auf diese Art und Weise mit mir zu sprechen. Du hast wohl
vergessen wer ich bin“, keuchend suchte die grünen Augenpaare die der Heilerin. „Ira“, wisperte es nun
bittend und ohne jeglichen Zorn.
„Es muss doch eine Möglichkeit geben, irgendeine.“
Kurz schien die Heilerin zu überlegen, schüttelte schließlich verneinend ihr rotes Haar.
„Nein, verzeiht mir, aber Leta hat Recht. Auch wenn es euch nicht gefallen sollte, es gibt keine
Möglichkeit. Keine, die ich verantworten könnte. Euer Kind oder Ihr selbst könntet Schaden nehmen. Ich
bin Bredal geweiht, und es ist meine Aufgabe Leben zu schützen, nicht es nach den Wünschen der
Menschen zu formen.“
Resignierend lies sich die junge Frau zurück auf die weiche Decke gleiten, hektische Gedanken fluteten
durch ihren Geist, trieben ihn weit fort. An einen anderen Ort, weit weg von der Enge und der
Beklemmung des Raumes.
Kleine durchsichtige Perlen bannten sich ihren Weg durch die fest zusammen gepressten Augenlider
hindurch, kühlten die erhitzten Wangen und fielen lautlos zu Boden. Ein grässlicher Schmerz
durchschnitt die kurze Ruhe ihres Geistes und ihr schien, als würde ihr Körper in zwei Hälften gerissen.
Rüde hievte die ältere Frau sie ein Stück hinauf, entkräftet lies sie es über sich ergehen, auch dass kalte
Hände fest ihre Schultern umschlossen und kurz, aber umso schmerzhafter zudrückten.
Leise Worte berührten ihr Gehör, vermochten es jedoch nicht durch diese Wand aus Taubheit zu
durchdringen, und jenen Ort zu berühren in welchem das Leben von Anbeginn der Zeit entsprang.
„Jetzt zier dich nicht so“, zischte erneut diese beißende Stimme.
„Ich habe es dir gesagt, niemand wird mehr kommen. Was hast du anderes erwartet? Hast du wirklich
geglaubt, dass solch ein Mensch seinen Stolz vergisst? Nein, du bist allein und wenn du dich nicht
zusammen reißt, dann werde ich...“
Ein lautes Krachen folgte auf die letzten Worte, kalter Wind drang von der geöffneten Tür. Schwer
hallten Schritte in der Stille auf und blieben erst dicht vor der zusammen gesunkenen Gestalt stehen.
Sanfte Hände berührten die geröteten Wangen und zitternd öffneten sich die grünen Augen, blickten in
das über Jahre so vertraute Gesicht.
Ein Lächeln der Erleichterung verscheuchte den Kummer und die Angst. „Du, du bist gekommen“,
wisperte die junge Frau und barg ihr Gesicht in der Handfläche ihres Gegenübers. „Natürlich bin ich
gekommen“, erwiderte die angesprochene und kniete sich hinab.
„Ich habe es dir doch geschworen, erinnerst du dich nicht?“ Ein missbilligendes Schnaufen ließ die
geschundenen Gesichtszüge der Besucherin noch weiter verhärten. Für einen kurzen Moment bedachte
sie die alte Frau mit einem verächtlichen Blick und in diesen merkwürdigen Augen aus Bernsteinerner
Farbe blitzte es gefährlich auf. Erschrocken wich Leta einige Schritte zurück, gab ihren Platz an jene
Person frei, welche schon die ganze Zeit dort zuweilen hatte.
Argwöhnisch beobachtete Ira diese Szenerie, noch nie in ihrer langen Laufbahn als Heilerin war die
Geburt eines Kindes durch äußeren, wie innere Umstände, so maßgeblich beeinflusst worden.
Stumm sah sie zu, wie die Fremde sanft den Körper der anderen stützte, deren Kopf an ihre Brust
bettete und leise Worte murmelte.
Für den Bruchteil eines Augenblickes erspürte Ira eine merkwürdige Energie, sanft breitete sie sich über
die Gebärende aus, hüllte den krampfenden Leib ein und spendete ihm eine nie gekannte Ruhe.
Vorsichtig wagte Ira einen verstohlenen Blick auf die Fremde, bemerkte trotz der liebevollen Gesten
eine Art der Anspannung, welche wohl nicht von der Situation herrührten, sondern weit tiefer gehen
mochte, als es sich die Heilerin ausmalen konnte.
Erst der schrille Schrei der werdenden Mutter holte Ira zurück aus ihren eigenen Gedanken. Tief atmete
sie durch, stemmte ihre Knie fest in den Boden.
„Es ist soweit,“ erklärte sie ruhig und sachlich, kannte sie diesen Vorgang doch wie die Konturen ihrer
eignen Hand und nun las sie in den Gesichtern der Anwesenden Sorge. Keuchend wandte sich der
bebende Körper unter ihren Händen, laute der Erschöpfung und des Schmerzes hallten von den Wänden
des Raumes wider. Fest umklammerte die junge Frau die Hände der ersehnten Gefährtin. „Ich kann, ich
kann nicht mehr“, stöhnte sie leise und suchte in den Augen der anderen Zuflucht. Sacht strich diese ihr
über die Wange küsste die schweißnasse Stirn. „Doch, du kannst es ist bald vorbei. Du bist stark, ich
bin bei dir. Ich bin bei dir...“
„Es ist in der Tat bald vorbei“, bekräftigte Ira und lächelte aufmunternd zu beiden hinüber. „Ihr müsst
nur noch einmal eure ganze Kraft zusammen nehmen.“ Kurz hielt sie inne, spürte, wie das neue Leben
sich seinen Weg in die Welt bannte.
„Jetzt“, rief sie laut und dem schmerzenden Gebrüll aus der erwachsenen Kehle gesellte sich ein
weiterer kräftiger Laut. Lächelnd blickte Ira auf ihre Hände hinab, sanft hielt sie das neugeborne Kind
zwischen ihren Händen. Vorsichtig hob sie es einwenig an, damit die Mutter es sehen konnte. „Ein
Junge“, verkündete sie leise lachend. „Ihr habt einen wunderschönen Sohn.“
Zärtlich wischte Ira mit einem nassen Tuch dem Kind über das Gesicht, befreite es von dem Blut seiner
Mutter, band die Nabelschnur ab, und hüllte es in eine weiche Decke.
„Ein Junge“, wisperte die junge Frau und nahm der Heilerin ihr Kind aus den Armen. Erneut traten ihr
Tränen in die Augen, doch dieses Mal waren es keine Tränen des Schmerzes sondern Tränen der
Freude. Lächelnd blickte sie in die Augen ihres Sohnes.
„Hallo“, flüsterte sie leise und strich über die winzige Stirn. „Hallo mein Junge.“ Kurz blickte sie hinauf
in das andere Gesicht. „Ist er nicht wunderschön?“
„Ja,“ bestätigte die Angesprochene und küsste noch einmal flüchtig die erhitzte Stirn. „Er ist
wunderschön.“
„Ein Junge“, erklang die nun wohlwollende Stimme Letas aus der hintersten Ecke des Raumes. „Ein Sohn
für den Stamm. Dein Vater wäre so stolz auch dich, Ayesha. Wie froh wäre er an diesem Tag nur
gewesen.“
Sorgenvoll furchte Ira die Stirn, als sie die Gefühlsregung in den Augen der Fremden wahrnahm.
Schmerz las sie in diesem Blick, Schmerz und Wut.
„Ich würde euch vorschlagen“, wandte diese sich Leta zu und funkelte sie von neuem angriffslustig an.
„Das ihr die frohe Botschaft sofort verbreitet, dann hätte Ayesha wenigstens für einen Moment ruhe vor
eurem Geschwätz.“
„Glaubt ihr wirklich, ich lasse mich auf diese Art von euch maßregeln?“ gab Leta nun ebenso
aufgebracht zurück. „Ich muss mir von jemandem wie euch keine Befehle erteilen lassen.“ Leise begann
der kleine Junge zu wimmern, beschützend barg Ayesha das Gesicht ihres Sohnes an ihrer Brust. „Ich
glaube“, begann sie leise doch ihre Stimme gewann etwas von ihrer Festigkeit zurück. „Es wäre besser
wenn du jetzt gingest, Leta.“
Als habe man sie geschlagen stand die alte Frau mitten im Raum, unter den Blicken der drei anderen
Frauen wuchs ihre Verstimmtheit mit jedem Moment mehr. Mit schnellen Schritten eilte sie an ihnen
vorbei und schlug die Tür laut hinter sich zu. Befreit atmete Ayesha, Tochter des Arlons und Oberhaupt
dieses Dorfes, durch.
Durch das verschwinden Letas fiel eine gigantische Last von ihren Schultern wie Schnee bei den ersten
Sonnenstrahlen ab. Lächelnd blickte sie zurück auf ihren neugebornen Sohn, seine jungen Augen
blickten seinerseits erstaunt zu ihr hinauf.
„Wisst ihr schon einen Namen für ihn?“ fragte die Heilerin und nahm ihr den Jungen wieder ab.
Erschöpft lies sich Ayesha zurück auf die Kissen sinken, eine nie gekannte Müdigkeit erfüllte ihrer
Glieder, schweigend blickte sie zu der Gestalt hinüber, welche immer noch neben ihr kniete und ihr
sacht über die Wange strich.
„Caleánus“, flüsterte sie leise und lächelte. „So soll sein Geburtsname lauten, der Name, unter welchen
ihn die Welt kennen wird ist Cale. Cale, Sohn der Ayesha...“
Frisch wehte der Wind von Norden her, vertrieb die dunklen Wolken und gab den Blick auf den jungen
Mond frei. Schwer atmend trat Ira aus der Tür des Hauses, sie hatte alles getan, was nötig gewesen war.
Mutter und Kind schliefen den erholsamen Schlaf der Erschöpfung, das Haus hatte sie mit Bannzauber
gegen Geister belegt, damit sich keine böse Seele dem Kind nähren konnte. Ira genoss für einen
Moment die Stille der Nacht, und schlang ihren schweren Umhang fest um sich. Nachdenklich verlor
sich ihr Blick in den Sternen.
Dies war ihre letzte Aufgabe in dieser merkwürdigen Nacht, sie wollte mehr über das Schicksal des
Neugebornen wissen, und diese Antworten konnte sie nur in den unendlichen weiten des nächtlichen
Firmamentes finden.
Nur wenige Sterne erhellten die Nacht, Neumond vertrieb für gewöhnlich die einzigen Lichter am
Himmel, damit nur sein Licht am hellsten erstrahlen konnte.
Forschend starrte Ira hinauf, je ballten sich ihre Finger zu Fäusten, während ihre Augen die
Konstellationen der Sterne und des Mondes lasen. Ein leises Keuchen entrann ihrer Kehle, sie spürte,
wie ihr Wesen die Botschaft der Sterne entrollte.
Mit ungewöhnlicher Klarheit lagen nun die von den Göttern geschriebenen Anlagen vor ihren Augen.
„Nein“, dachte sie und schüttelte kurz ihren Kopf, ein leises Dröhnen hinter ihren Augen ließ ihre Hände
erzittern. Schnell drehte sie sich dem erleuchteten Fenster zu, erinnerte sich an die tiefgrünen Augen
des Jungen und schlug die Hände vor ihr Gesicht.
„Gefällt euch nicht was ihr seht?“ Erschrocken drehte sich Ira völlig der Tür zu. Das abgekämpfte und
müde Gesicht der Fremden sah sie fragend an. Leise schloss diese die Tür und trat zu ihr.
„Beide schlafen noch immer, euer Trunk hat wahrlich Wunder getan.“ Leise lachte sie und wischte sich
kurz mit dem Handrücken über die Augen. Still starrte Ira die Gestalt an, welche fast mit der Schwärze
der Nacht verschmolz.
„Wer seid ihr?“ traute sich nun die Heilerin jene Frage zustellen, welche ihr schon während der ganzen
Zeit auf der Zunge brannte.
„Ist das für euch von solcher Wichtigkeit?“ Ein Seufzen folgte und die Frau rieb sich nervös über ihre
Wangen, erst jetzt bemerkte Ira die tiefe Narbe auf der rechten Wange der Frau und wandte den Blick
abrupt ab. „Glaubt mir, es ist besser, wenn ihr nicht wisst wer ich bin“, erklang es ruhig und doch
bestimmt auf die zuvor gestellte Frage.
„Vielleicht würde es euch zu viele Probleme bereiten, deshalb, vergesse ich eure Frage einfach. Nun
sagt, was sprechen die Sterne?“
„Die Sterne stehen in ungewöhnlicher Konstellation“, seufzte Ira nun ihrerseits und richtete ihren Blick
hinauf zu den glitzernden Lichtern.
„Ich kann nicht alles lesen, was sie wohl zu sagen haben. Diejenigen, welche unter dem Neumond
geboren werden sind Suchende, getrieben werden sie ihr ganzes Leben nach der Jagd auf eine einzelne
Antwort. Er wird stark und mutig werden, sein Geist wird mit der Last der Jahre gewiss zu Weisheit
heran reifen. Und doch sehe ich auch schreckliche Dinge...“
„Welche?“ die Stimme der Frau wurde plötzlich kalt wie der Nordwind und ihr Blick wanderte ebenfalls
hinauf zu den Sternen.
„Er wird sein ganzes Leben lang einsam sein, diejenigen, welche er liebt wird er von sich stoßen. Er wird
seine Freunde hassen und seine Feinde lieben, immer zu wird er getrieben werden von einem Hass, für
welchen er den Grund nicht kennt und doch wird er versuchen auf diesen Zorn eine Antwort zu finden.
Er wird die falschen Menschen für Verbrechen bezichtigen, für welche diese Menschen keine Schuld
tragen.
Er wird lieben, und doch wird womöglich eben diese Liebe den Tod bringen...“
Ein leises Keuchen drang zu Ira hinüber, leicht neigte sie ihr Gesicht der Fremden zu.
„Ihr werdet ihn wieder sehen, soviel kann ich sagen, doch ich kann nicht erkennen unter welchen
Umständen dieses Wiedersehen enden wird. Er wird sich an einem ganz bestimmten Punkt entscheiden
müssen welchen Weg er beschreiten wird, und dieser Weg ist untrennbar mit etwas großem verbunden.
Er wird großes vollbringen, doch ob diese Taten Leben oder den Tod bringen kann niemand sagen.“
„Seid Ihr euch mit dieser Prophezeiung sicher?“
Bei dieser Frage und der Sorge in ihr begann Ira zu erschaudern. „Wer weiß was die Götter für ihn
bereithalten. Ich kann nur lesen, was sie mir zu sehen geben. Die letzten Worte wird der Junge selbst
hinzufügen müssen.“
„Ich danke euch“, erklang die feine Stimme und das ehemals müde Gesicht zierte nun Sorge. „Danke für
alles, ich hoffe, ihr werdet euch erst morgen auf eure Reise begeben. Es ist spät und ich möchte nicht,
dass ihr euch in Gefahr begebt.“
Ein leises Lachen stahl sich über Iras Lippen und sie schüttelte verneinend den Kopf. „Sorgt euch nicht,
ich werde in den Morgenstunden aufbrechen, außerdem kann ich gut für mich selbst sorgen.“
„Daran habe ich auch nicht gezweifelt.“
„Das hoffe ich“, freundschaftlich hielt Ira ihrem Gegenüber die Hand hin, aus irgendeinem Grund fühlte
sie, ein merkwürdiges Gefühl der Dankbarkeit für diese Frau. „Ich begebe mich nun zur Ruhe, es war
ein langer Tag. Es war mir eine ehre. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.“
„Wenn die Götter es wollen, bin ich mir sicher.“
Entgegnete die andere und schüttelte kurz die ihr angebotene Hand, nachdenklich sahen die
leuchtenden Augen der Heilerin nach. „Welche seltsame Prophezeiung“, dachte sie und riskierte noch
einen kurzen Blick hinauf in den Himmel.
Seufzend öffnete sie die Tür und trat in die tröstliche Stille des Hauses ein. Ein seltsames Gefühl befiel
ihre Glieder, es war beinahe so, als wäre man nach einer langen Reise wieder nachhause zurückgekehrt.
Auf leisen Sohlen schlich sie in den Raum, in welchem Mutter und Kind friedlich schliefen. Lange ruhte
ihr Blick auf diesem Bild, fest brannte es sich in ihrem Gedächtnis fest, niemals wieder würde sie es
vergessen, dessen war sie sich sicher.
„Du siehst so glücklich aus“, flüsterte sie der schlafenden leise zu, und strich versonnen über das
schwarze Haar. „Ich war so lange fort“, schuldbewusst sengte sie ihr Haupt und ihre Augen begegneten
denen des Neugeborenen. Sanft löste sie das Kind aus den Armen Ayeshas und blickte schweigend in
die grünen Augen des Kindes. Zärtlich küsste sie den mit Flaum bedeckten Schopf.
„ Er wird großes vollbringen, doch ob diese Taten Leben oder den Tod bringen kann niemand sagen...“
Immer wieder und wieder hallten die Worte der Heilerin in ihrem Kopf, beinahe warnend prägten sie
sich in ihrem Herzen ein.
Leise sang sie dem Jungen ein Lied, welches sie noch aus ihrer Kindheit kannte, doch auch diese
liebliche Melodie brachte die Stimme in ihrem Kopf nicht zum Schweigen: „ Er wird lieben, und doch
wird womöglich eben diese Liebe den Tod bringen...“
Tief atmete sie den Duft des Neugebornen in ihre Lungen ein, und fragte sich leise selbst: „Was wird
wohl aus dir werden? Wer wirst du sein, wenn ich dich wieder sehe?“
Bredal: Gott der Familie, Beschützer der Kinder und der Ehe, barolonischer Gott.
*Gyrox: Gott des Krieges. Krieger und Kriegerinnen beten diesen Gott vor Beginn einer Schlacht an.
Gyrox ist einer der unberechenbarsten Götter des Landes Barolon. Man sagt, er weide sich an den
Schreien der Sterbenden Menschen und sitze auf einem Thron aus Menschengebein
Nachwort:
Ich bin wieder da*gg*. Mit einer neuen Geschichte, in welcher vieles noch im verborgenen liegt. Tja, ich
hoffe, dem einen oder anderen hat dieser Prolog gefallen. Wie schon gesagt, man muss die erste
Geschichte "Die Trauerweide" nicht unbedingt gelesen haben, ich hoffe, ich habe alles soweit gut und
verständlich rüber gebracht.
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mir die Arbeit an dieser Geschichte gefehlt hat, aber auch nicht wie
schwer er war, diesen Prolog zu tippen. Es war eine größere Arbeit, als ich zu beginn hin dachte und ich
habe glaube ich 20 Mal neu angefangen, Konzepte verworfen etc. Deshalb hoffe ich, dass alles soweit
verständlich und halbwegs in Ordnung ist.
In diesem Sinne freue ich mich auf die nächsten Kapitel. An dieser Stelle, danke an diejenige, welche es
bis hier her gelesen haben!
Danke, bis bald
seen
©2006 by Lena Petri