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Der Grüne Stein

- ein Märchen -
von

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Akt 3

Glücks- und Unglückstauben
 

Eine alte Dame winkte den kommenden Mädchen zu, „Lola, komm. Wir bekommen bald Gäste und die Zimmer sind noch nicht hergerichtet.“

Sie nickte, „Ja, machen wir. Und das ist Heela, sie ist eine neue Dienstmagd.“

„Ja, hab´ schon davon gehört.“, sie putzte sich die Hände an ihrer Schürze ab, ehe sie Heela eine entgegen streckte.

„Willkommen, Heela. Ich bin Klara. Ich bin für die Organisation der Mägde verantwortlich!“

„Hat mich gefreut…“

Doch ließ Lola sie nicht mehr aussprechen und zog sie weiter.

„Komm schon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“

Sie eilten die steinerne Treppe hinauf und gelangten schließlich an eine Tür.

„So, ich kümmere mich um das Nachbarzimmer von diesem und du nimmst das.“

Sie drückte den Knauf runter und schob Heela hinein.

„Nicht so ängstlich, gib dir einfach so viel Mühe, wie du nur kannst. Am ersten Tag bestrafen sie noch keinen.“

Bestrafungen? Na das klingt ja schon mal richtig aufbauend!

Dann verschwand Lolas Kopf aus dem Türrahmen und Heela stand unsicher in dem staubigen Gemach. Ihr erster Blick fiel auf das wunderschöne Bett, dessen reichen Verzierungen zum Träumen einluden. Doch dies war nicht ihre Aufgabe. Daraufhin nahm sie sich einen Putzlappen, den ihr Lola in das Kleid gesteckt hatte, und begann mit feinsten Reibbewegungen, den Schmutz aus den Ritzen des Holzrahmens zu entfernen. Es war eine mühselige Arbeit, die ihr trotz alledem Freude bereitete. Immer wieder kamen neue, interessantere und schönere Figuren zum Vorschein. Das muss aber ein ganz besonderer Künstler gewesen sein, dachte sie im Stillen und strich sanft über die reliefartigen Muster und Bilder. Es ist ein großes Kunstwerk, das aus vielen viel kleineren Kunstwerken besteht, und man lässt es einfach so verstauben… In diesem Moment kam eine Taube angeflogen und ließ sich an der Fensterluke nieder. Erschrocken fuhr Heela hoch, sie hatte sie nicht kommen hören, erst als sie die lauten Flügelschläge, an der Steinmauer, wahrnahm, bemerkte sie den weißen Vogel. Er hüpfte mit der typischen Kopfbewegung durch das Loch und blieb auf dem darunter stehenden Schränkchen hocken. Heela beobachtete die Taube interessiert und fragte sich, ob sie sich fangen lassen würde. Doch sie schien etwas geahnt zu haben und flatterte auf den Betthimmel, gurrte erbost und starrte auf Heela hinab. Was für ein komischer Vogel, dachte diese und zuckte mit den Achseln, Soll sie doch da oben bleiben, ich hole sie da ganz bestimmt nicht wieder runter und setze sie in die Freiheit. Daraufhin nahm sie sich wieder den Lappen und beendete ihre Polierarbeit. Auch nachdem sie das Bett aufgeschüttelt, neues Wasser geholt und die Kammer geputzt hatte, saß die Taube noch an Ort und Stelle, blickte gebannt auf das Mädchen hinab.

„Was willst du?“, maulte sie sie an, erwartete jedoch keine Antwort.

Plötzlich erklang eine zarte gespenstisch klingende Stimme, die einer Frau gehören musste: „Ich helfe dir, den richtigen Weg zu finden!“

Erschrocken starrte Heela zu der Taube empor, schüttelte allerdings sogleich den unmöglich erscheinenden Gedanken ab. Wie sollte denn ein Vogel sprechen können?, fragte sie sich. Sich selbst bei dieser unlogischen Schlussfolgerung ertappt, rang sie sich ein belustigtes Schmunzeln ab, Jetzt rede ich schon mit mir selber. Gleich, nachdem die unheimliche Stimmer verklungen war, entflog die Taube durch die Luke und verschwand spurlos. Heela verstand gar nichts mehr und trat aus der Kammer, eilte verwirrt zu Lola.

„He, Lola. Bist du noch nicht fertig?“, rief sie ihr entgegen, doch das junge Mädchen antwortete nicht, reagierte nicht einmal.

Sie saß nur stumm auf einem Hocker, die Arme auf die Beine gelegt, und träumte in den Tag.

„Lola?“, fragte Heela noch einmal, nun etwas lauter. Wieder, keine Reaktion.

„Nun, wach doch auf!“, brüllte das blonde Mädchen ihrer Freundin ins Ohr.

Da begann sie zu sprechen: „Sie war hier.“

„Wer war hier?“

„Die Taube…“, sie wandte langsam ihren gefrorenen Blick zu Heela, zuckte plötzlich auf sie zu und zischte: „…die Unheilstaube!“

Erschrocken wich Heela ein paar Schritte zurück und starrte die andere irritiert an.

„Lola, was ist mit dir?“, flüsterte sie besorgt.

Doch in diesem Moment kam die Taube wieder und ließ sich an der Fensterluke nieder, gurrte melodisch, was nun wahrlich nicht normal für eine Taube war, und flog wieder davon.

„Da!“, schrie Lola auf und zeigte auf den Platz, an dem die Taube gerade noch gesessen hatte. „Das war ihre Schwester…die Glückstaube!“

Heela musterte Lola verwirrt.

„Wovon redest du?“

Erst jetzt erhielt sie einen wahren Blick des Mädchens. Sie schüttelte ihren Kopf, wobei sich ihre rot-braunen Haare leicht zerzausten.

„Was“, wiederholte Heela, „ist mit dir los?“

Lola starrte sie an, „Du glaubst nicht an die Tauben, nicht wahr?“

Irritiert machte die Angesprochene einen Schritt rückwärts, wobei sie Lola nicht aus den Augen ließ.

„Du bist ja genauso wie Deoha. Wo, um Gottes Willen, bin ich hier bloß gelandet?“

Nun erhob sich Lola und trat auf Heela zu und blickte sie enttäuscht an.

„Es ist nicht schlimm, wenn du nicht an die Magie glaubst. Ich …wollte doch nur deine Freundin sein!“

„Was hat das damit zu tun?“

„Ich dachte, du glaubst daran, das ist alles. Ich halte es dir nicht vor, nicht daran zu glauben, aber es wäre schön gewesen, aber nun geht es nicht mehr!“

Damit verließ sie die Kammer und ließ Heela mit all ihren Fragen im Raum stehen.

„He“, rief diese und eilte ihr hinter her, „ich verstehe dein Problem nicht!“

Doch als Heela in den Gang trat, war Lola spurlos verschwunden. Wo ist sie nur hin?, fragte sie sich und schaute sich verwirrt um. Magie? Niemals! Schulter zuckend lief sie zurück in ihre Kammer, zog die Decke gerade und ging davon.

Es war Mittagszeit, die Gäste würden bald eintreffen. Heela fand erst nach unzähligen Versuchen den Bereich, in dem die Dienstmägde essen sollten, wieder. Lola war schon da, blickte nicht auf, auch nicht als sich Heela neben sie setzte.

„Na, was gibt’s denn Schönes?“

Lola schwieg, verschlang ihr Brot eilig und stand auf. Sie nahm ihr Geschirr und wusch es ab, stellte es anschließend beiseite. Heela verstand das junge Mädchen gar nicht mehr. Vorhin ist sie doch noch so ausgelassen gewesen, doch nun? Rasch verließ Lola die Kammer, wusste Gott warum.

Heela beeilte sich mit ihrem Essen, um den anderen zu folgen, um sich nicht in der Burg zu verirren.

Die Edeldamen wurden in der Vorhalle erwartet, wo sich alle Bediensteten aufgereiht hatten und auf ihre Herrinnen warteten.

*

Die Uhr schlug zwei, als die ersten eintrafen.

Eine ältere Frau, die von einem jungen rundlichen Mädchen und einem Mann flankiert wurde, trat als Erste ein. Sie führte einen kleinen, dürren Hund an einer fast ebenso dürren Leine. Der Blick der Dame war starr geradeaus gerichtet, sie beachtete keinen der Diener, und suchte die Halle nach dem Burgherrn ab. Leonard Winiz trat vor und küsste ihre faltige Hand, die sie ihm auffordernd entgegenstreckte.

„Willkommen Lady Garna!“, begrüßte er sie deutlich.

Sie nickte bedächtig und wies ihren Hund an, sich zu setzen.

„Wir benötigen zwei Zimmer, wenn es Euch möglich ist!“

Ihre Stimme variierte von Wort zu Wort und hinterließ in den Ohren aller Anwesenden ein unangenehmes Gefühl.

„Natürlich ist das möglich. Es ist alles bereit!“, Leonard Winiz winkte einen kleinen gedrungenen Diener heran.

„Geràd, du wirst die Ladies und den Lord auf ihre Zimmer führen!“

„Sehr wohl, mein Herr.“, Geràd verneigte sich höflich und wies die Gruppe an, ihm zu folgen.

Lady Garna schritt wiederum als erste die Treppe hinauf, das junge Mädchen und der Mann kamen allerdings kurz auf Heela zu, „Wir hätten eine Bitte!“, flüsterten sie.

Leonard Winiz kümmerte sich derweilen um die folgenden Gäste.

„Stellt doch bitte einen Arzt bereit, der jederzeit zu uns kommen kann, ich bekomme nämlich bald ein Kind!“ Heela nickte und lächelte, „Das freut mich für Euch, ich werde mich sogleich darum kümmern!“

Die beiden lächelten zurück und eilten Lady Garna hinterher. Heela schaute sich Hilfe suchend um. Wo soll ich denn einen Arzt herbekommen? Ich hab doch keine Ahnung, wo ich hier irgendetwas finde. Wenn ich Glück habe, finde ich geradeso meine Kammer. Dann erblickte sie Lola, die gerade die Treppe heruntereilte und sich rasch neben die anderen Diener stellte. Leonard Winiz schien nichts von ihrem Fernbleiben gemerkt zu haben.

Nachdem auch die anderen Damen und Herren ihre Zimmer und Diener zugeteilt bekommen hatten, wurden die verbleibenden Bediensteten aufgefordert die Tafel zu decken. Prächtige Kuchen und wohlriechende Tees wurden in den Saal getragen und dekorativ auf dem langen Tisch platziert. Heela war für die Milch zuständig, die schnell aufgebraucht worden war, daraufhin eilte sie in die Küche und füllte frische ein.

Dort rempelte sie aus Versehen Lola, die sich prompt entschuldigte, „Es tut mir Leid, Heela, wirklich, dass ich so abweisend zu dir war. Ich weiß ja, dass man niemanden zu etwas zwingen kann, ohne Gewalt anzuwenden.“

Betrübt und schuldbewusst blickte sie zu Boden. Heela war auf diese Situation nicht vorbereitet und sagte schnell: „Ist alles wieder gut, ich muss jetzt aber wirklich in den Saal, sonst gibt’s richtig Ärger, wenn die nicht ihre Milch umgehend erhalten!“

Lola nickte. Heela schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, das von der anderen erwidert wurde.

Als Heela zurück in der Halle war, grinste die zurückgebliebene Lola hämisch und flüsterte: „Auftrag ausgeführt.“

*

„Deoha?“, rief Heela hektisch und klopfte vielfach an die alte verriegelte Tür. „Seid Ihr da?“

Keine Antwort.

„Ich brauche dringend Eure Hilfe! Ich kenn mich hier doch nicht sonderlich aus, aber soll einen Arzt finden.“ Immer noch Stille. Dann werde ich wohl jemand anders finden müssen, dachte Heela und eilte die Treppe wieder hinab. Auf dem Weg begegnete sie dem Ritter, der ihr am Morgen ihren Platz zugewiesen hatte.

„Na, na, na.“, sagte er barsch und blieb stehen, „Nicht so stürmisch!“

„Äh, ja. Entschuldigt, aber könntet Ihr mir vielleicht sagen, wo ich hier einen Arzt finde?“

Winiz nickte, soweit es sein Helm zuließ, und meinte: „Kein Problem, ich werde mich darum kümmern. Wofür benötigst du einen Arzt?“

„Die neuen Gäste, die junge Frau, die in Begleitung Lady …Garna war, bekommt bald ein Kind und wünscht einen angemessenen Arzt.“, erklärte Heela.

„Gut, ich werde ihn zu ihnen schicken.“

Damit verließ er sie und stieg die Treppe weiter hinauf. Heela eilte in entgegen gesetzter Richtung hinab, suchte nach Deoha.

Sie fand die alte Dame in den Gängen des Dienstbotenbereiches. Deoha saß auf einer Bank und sah nachdenklich mit leeren Augen in ihre Umgebung.

„Deoha? Ein Glück, dass ich Euch gefunden habe. Wieso habt Ihr unsere Kammer verschlossen?“

Die Frau schwieg und würdigte das Mädchen nur mit einem flüchtigen Blick.

„Antwortet bitte. Auch ich lebe dort und habe ein Recht darauf, wann immer es mir danach beliebt, die Kammer aufzusuchen!“

„Es musste sein.“, sagte Deoha leise.

„Gewiss!“, die Ironie in Heelas Antwort war nicht zu überhören.

„Warum denn?“, hakte sie weiter.

„Spione sind überall.“, flüsterte sie ihr entgegen, ohne auch nur einmal ihre Lippen voneinander zu trennen.

„Spione?“

„Ganz recht.“, bestätigte Deoha und erhob sich schwerfällig.

„Und was sollten Spione von unserer Kammer wollen?“, Heela war skeptisch. „Ich meine, da ist doch nichts, dass versteckt werden müsste….oder habe ich da etwas nicht mitbekommen?“

Die Frau schwieg und trat an das junge Mädchen heran, hob ihren Kopf und flüsterte ihr ins Ohr: „Oh, doch, da ist etwas!“

Heela setzte zu einer weiteren Frage an, konnte sie jedoch nicht mehr stellen, da sich Deoha eilig entfernte.

„Wartet!“, rief sie ihr hinter her.

Doch sie sah nicht zurück, sondern verschwand um die nächste Ecke. In diesem Moment wurde Heela von jemandem auf die Schulter geklopft. Erschrocken wirbelte sie herum und wich zurück.

„Entschuldige, habe ich dich erschreckt?“

Heela sah sich Lola gegenüber und meinte: „Ja, und wie.“

„Schlimm?“

„Nein, ist schon in Ordnung.“ Sie lächelte und sagte leise: „Hast du ´ne Ahnung, was mit Deoha ist? Sie ist so eigenartig.“

Lola spähte ihr über die Schulter, „Nein, wieso?“

„Sie hat Angst vor…“, doch Heela entschloss sich dies für sich zu behalten, schließlich kannte sie Deohas Feinde doch nicht.

„Vor?“, hakte Lola nach.

„Äh, nichts weiter. Ich glaube Diebe, oder so!?“

„Aha!“, Lola klang allerdings weniger überzeugt.

Sie kehrte der anderen den Rücken und eilte die Treppe hinauf. Alles ist hier eigenartig, dachte Heela und schaute sich um. Irgendetwas ist hier faul, an…allem. Sie zuckte mit den Achseln und lief zum Haupttor, sie wollte nur kurz frische Luft schnappen.

Das große Tor knarrte, während sie es mühselig aufschob, ihr half natürlich niemand. Genau in dem Augenblick, als sie auf den Platz rennen wollte, prallte sie grob mit jemandem zusammen und sackte zu Boden. Alles um Heela herum wurde schwarz.

*

Als sie wieder erwachte, lag sie auf weichem Heu und starrte an die Decke der Ställe. Vorsichtig hob sie sich und stützte sich mit den Armen ab. Sie sah ihre Umgebung nur verschwommen und eine Gestalt, die etwas weiter entfernt herumwerkelte. Dann drehte sich diese um und lief geradewegs auf Heela zu.

„Bist du wach?“, fragte ein junger Mann, dessen Stimme Heela nicht fremd war.

Doch sie konnte nur ein schwaches „Mh“ hervorbringen. Ihr Kopf tat höllisch weh, was war mit ihr passiert?

„Was ist denn passiert?“, fragte sie stöhnend.

„Du bist mir in die Seite gerannt, oder ich dir…schwer zu sagen, wenn man rückwärts läuft!“, er lächelte. Langsam begann sich Heelas Umfeld zu schärfen.

„Erkennst du mich noch?“, fragte der Mann und grinste.

Sie überlegte kurz, schnell waren ihre Erinnerungen wieder zurück, „Klar, Ihr seid doch Jim?“

„Gewiss, aber warum so förmlich, wir sind doch beide nur Bedienstete!“

„Mh, gut. Und wie bin ich hier her gekommen?“, hakte sie nach.

„Nun ja, das ist ganz einfach, hätte ich dich etwa da draußen liegen lassen sollen?“

„Nein, nein!“, wehrte sie beharrlich ab und setzte sich ganz auf. „Aber ich muss schnell wieder zurück in die Burg…die warten bestimmt schon!“

Jim wiegte abschätzend seinen Kopf. „Da bin ich mir nicht so sicher…“

„Das heißt?“

„…dass es nichts zu tun gibt!“

Heela lächelte, Jim reichte ihr seine kräftige Hand und zog sie auf die Beine. Sie klopfte ihr Kleid vom Stroh frei und gab ihm Abschied nehmend die Hand. Er lächelte sie eigenartig an, dies behagte ihr gar nicht. Nun wollte sie schleunigst zurück in die Burg. Jim drückte ihre kleine zarte Hand und meinte: „Bis irgendwann einmal!“

Heela rang sich ein Lächeln ab und nickte. Na hoffentlich nicht, dachte sie, er ist so eigenartig, das gefällt mir nicht, auch diese „Zufälle“, sind das überhaupt welche?

Rasch rannte sie zurück in die große Halle, schließlich in ihre Kammer, Deoha saß auf ihrem Bett und sah das junge Mädchen an.

„Wo wart Ihr?“, fragte sie halb abwesend.

Sie schien völlig auf das Putzen ihres Steines, der ihr nun wieder um den Hals lag, konzentriert zu sein.

„Ach, äh…nur mal kurz draußen – frische Luft schnappen!“, log Heela, obwohl es anfangs ihre Absicht gewesen war, und ließ sich auf ihr eigenes Bett fallen.

Trotz ihres Ohnmachtschlafes war sie todmüde – am helllichten Tage. Deoha starrte weiterhin stur Löcher in die Luft, nur manchmal streifte sie Heela, oder verharrte für einen Augenblick auf ihren Steinen. Nach einer Weile war Heela weggenickt, sie bemerkte nicht, was ihre Kammergenossin derweilen trieb…

Deoha entzündete eine Fackel, stellte sie anschließend in eine Halterung und nahm ihren Stein in die Hand. Langsam führte sie ihn der Flamme entgegen, hielt ihn kurz davor, sodass das Licht direkt durch den Stein fiel und einen goldenen Schimmer auf den Boden warf. Die alte Frau murmelte leise vor sich hin. Plötzlich blitzte ein gleißendes Licht vor ihr auf, da, wo die grüne Farbe des Steines sich mit der gelben der Fackel traf war es entstanden. Rasch blickte Deoha in den Schimmer, der sich am Boden verformte. Sie flüsterte in der Stille der Kammer: „Sie ist begabt, sehr begabt…ihr fehlt nicht viel und sie wird mächtig sein – sehr mächtig!“

Wieder sah sie auf und ließ ihren Blick hinüber zu Heela schweifen, „Ein Unheil wird sie ereilen, ein grausames Unheil, doch sie ist stark, sie wird es meistern…“

In diesem Moment klopfte es an den Fensterklappen. Deoha erhob sich schwerfällig und schob die Kette, an der ihre wertvollen Steine hingen, zurück unter ihr Hemd.

„Wer ist da?“, fragte sie krächzend hinaus, ehe sie die Klappen öffnete. Ein leises Gurren ertönte und das Fenster wurde geöffnet. Eine kleine weiße Taube flatterte herein und ließ sich auf dem ausgestreckten Arm Deohas nieder.

„Na meine Kleine“, sie strich ihr mit ihren zitternden dürren Händen über den kleinen Kopf und stupste ihr unter dem Schnabel, eine lockere Feder weg. „hast du mir wieder etwas mitgebracht?!“

Zustimmend gluckste der zarte Vogel und schnappte sich die Feder, die nun sachte zu Boden segeln wollte. Die alte Frau lief zu ihrem kleinen Tisch und nahm sich eine längliche Flasche, die sie anschließend der Taube entgegenhielt.

„Hier hinein!“, forderte sie sie auf.

Der Vogel ließ seine Feder sanft in das Gefäß gleiten und flog geradewegs zum Fenster wieder hinaus.

„So“, flüsterte die Alte wieder im Stillen und goss eine grüne wabernde Flüssigkeit in das Gefäß.

Schnell hatte sich die Feder damit verbunden und war nun völlig davon umgeben. Das entstandene Gemisch trieb Deoha einen scharfen Geruch in die Nase. Rasch pfropfte sie einen Korken darüber und stellte das Fläschchen in einen kleinen Schrank. Dort hatte sie eine große Ansammlung solcher Mixturen, sie schimmerten in allen erdenklichen Farben und auf jedem einzelnen Gefäß war ein Stück Papier befestigt, auf dem ein paar kurze Erklärungen geschrieben standen.

„Nun fehlt nicht mehr viel und…“

Doch wieder wurde sie unterbrochen. Es klopfte hart an der Tür.

„Ja, ja“, stöhnte die alte Frau und erhob sich schwerfällig, „ich komme ja schon!“

Sie schob mit all ihr zur Verfügung stehender Kraft, die Tür auf und sah sich einem jungen Mann gegenüber.

„Oh, was wollt Ihr?“, fragte sie barsch und hielt die Tür fest im Griff.

„Ich bin Jim und möchte gerne zu Heela!“

„Warum?“

„Ehm… warum nicht?“, entgegnete Jim.

„Wartet!“

Die Alte schlurfte zu Heela und beugte sich kurz über sie, kam dann zurück zur Tür und meinte: „Heela schläft und möchte gewiss nicht gestört werden!“

„Na gut!“, gab sich Jim geschlagen und senkte den Blick, „Dann…werde ich jetzt gehen! Sagt ihr bitte nicht, dass ich hier war!?“

Deoha nickte bestätigend und schloss die Tür. Der junge Mann eilte flink die Treppe wieder hinab und verschwand in einer kleinen Kammer.

Deoha begab sich zurück an ihre Arbeit und zog ein dickes Buch unter ihrem Bett hervor. Sie blies den feinen Staub herunter, der sich in sachten Nebelschwaden zu Boden legte. Danach ließ sie sich damit am Tisch nieder und blätterte suchend, bis sie die Seite gefunden hatte und durchlas. Währenddessen war Heela wieder erwacht und blickte die Alte fragend an. Sie spähte ihr über die Schulter und versuchte das Abgedruckte zu entziffern.

„Um welche Sprache handelt es sich hierbei?“

Deoha sah das junge Mädchen an.

„Tja, schwer zu sagen…man kann sie nur mit einem dieser Steine lesen!“, entgegnete sie geheimnisvoll und hob ihr Amulett an.

„Warum?“, hinterfragte Heela neugierig.

„Warum?! Findet es heraus!“

Heela betrachtete den größten der grünen Steine und musterte Deoha. Die alte Frau lächelte unheimlich, öffnete die Kette und legte dem Mädchen einen kleinen Stein in die ausgestreckte Hand. Unsicher blickte Heela auf das Buch, umfasste den Stein, der nun golden leuchtete, mit aller Kraft und sah, wie sich die Buchstaben auf dem Papier formten. Sie schienen regelrecht zu tanzen und sich neue Plätze zu suchen. Es war gespenstisch. Ein großes Bild, das sich gerade auf der linken Seite formte, zeigte einen Feuer spuckenden Drachen. Er wandte seinen Kopf und starrte Heela scharf mit seinen leuchtend gelben Augen an. Erschrocken fuhr Heela zurück, ließ den Stein auf das alte vergilbte Papier fallen. Sofort waren wieder die nichts sagenden Zeichen da und das Bild war ein mit schwarz verschwommenes Rot. Fassungslos starrte Heela, wie gebannt auf den Stein, der wieder matt und unscheinbar vor ihr lag.

„Ja, mein Kind!“, sagte Deoha, „So mächtig ist die Zauberei.“

Ängstlich sah Heela auf die Frau.

„Ihr dürft Euch nicht fürchten!“, fuhr sie fort, „Nur wer sie zu kontrollieren vermag, kann sie auch einsetzten!“

„Ich will das nicht!“, brüllte Heela sauer, sie war selbst über ihre Reaktion überrascht, „Hexen werden verbrannt!“

„Nur wenn sie dumm genug sind, sich erwischen zu lassen und sich nicht wehren! Oft wurden auch schon unschuldige Frauen verbrannt, bei denen es sich gar nicht um Hexen handelte!!“, erklärte Deoha sanft, „Ich bin mit den Mächten der Magie schon seit meiner frühesten Kindheit vertraut, meine ganze Familie hat mich deshalb verlassen…“

Heela sah sie an, „Die ganze Familie?“

Deoha nickte, „Ja, aber es ist mir inzwischen egal. Meine Familie ist nun: die Welt der Magie.“

Erschrocken wich Heela einige Schritte zurück. Sie konnte wahrlich ihren Ohren nicht trauen: was sie immer für Unfug, Lügnerei und Hirngespinste gehalten hatte, war nun real, versuchte sich ihrer zu bemächtigen, doch dies sollte es nicht schaffen. Sie war ein ehrbarer Bürger.

„Kommt, habt keine Angst.“, versuchte Deoha sie zu drängen.

„Nein, ich will nicht.“

„Ihr müsst, es bleibt Euch gar nichts anderes übrig. Ihr könntet Eurer Familie viel Gutes tun! Ihr müsstet nie mehr Hunger leiden…“

„Pah!“, alles Lügen.

Heela ließ sich nicht beirren. Entschlossen sich gegen dieses Pack zu wehren, stürmte sie zur Türe hinaus, eilte den langen Gang die Treppe hinab und hinein in die Ställe.

„Jim?“, rief sie, doch niemand war da.

Wie sehr wünschte sie sich nun, bei ihm zu sein, war er doch ein hilfsbereiter und netter junger Mann, der sich nur etwas eigenartig benahm. Aber er war auf alle Fälle besser, als von einer Hexe umgeben zu sein.

„Jim?“, rief sie wieder.

Stille. Aber dann wurde der Stall geöffnet und ein voll gerüsteter Ritter kam herein.

„Nein, ich werde nicht an dem Turnier teilnehmen!“, sagte er mit strengem Ton und stakste auf ein Pferd zu.

Heela spähte um den Heuballen herum und beobachtete das Geschehen, am anderen Ende des Stalls.

„Aber so hört doch, Ritter Winiz. Ihr müsst Euch eine Frau erwählen und wer wäre besser, als Lady Sing?!“

„Lady Sing? Ihr meint Lady Singsang!“, spottete Winiz und führte einen großen weißen Hengst aus dem Abteil.

„Redet nicht so verächtlich!“, warnte der andere Mann, den Heela nicht zu sehen vermochte.

Er hielt sich hinter den Toren verdeckt.

„Lady Sing ist eine feine, anständige Dame!“

„Das mag sein, doch seht…ich lasse mich nicht mit einer hochedlen Prinzessin vermählen, die noch dazu ständig singt und das nicht sonderlich gut!“

Die beiden Männer stritten noch eine Weile weiter, allerdings liefen sie über den Hof und Heela konnte ihre Worte nicht mehr verstehen.

„Diese edlen Leute können wirkliche Probleme haben!“, sagte sie kopfschüttelnd, „Wenn so etwas mein geringstes Problem wäre…“

Sie musste sich damit zufrieden geben, dass Jim auch nach einer weiteren langen Wartezeit nicht kam und auch nicht mehr kommen würde. Daraufhin lief sie zurück in die Burg und suchte Lola auf. Das jüngere Mädchen saß schweigend auf einer Bank, neben der Küche, und schien auf etwas zu warten.

„Lola?“, fragte Heela und ließ sich neben der anderen nieder.

„Was ist?“

„Gibt’s was zu tun?“, erkundigte sie sich.

„Nicht, dass ich wüsste!“, entgegnete Lola und erhob sich.

„Wo gehst du hin?“

„Muss noch was erledigen.“, erklärte sie und eilte die Treppe hinauf, „Warte nicht auf mich!“ Hatte ich auch gar nicht vor, seufzte Heela und sah sich um, es war wirklich nicht viel los. Das sonnige Wetter hatte die meisten Burgbewohner nach draußen gelockt. Die Frauen gingen spazieren und die Männer trafen sich, um auf die Jagd zu gehen, damit sie anschließend vor ihrem weiblichen Gefolge protzen konnten.

Heela blickte hinüber zu der großen Tür, die zur Haupthalle führte. Ein junger Mann stand dort in voller Uniform und wartete, dass etwas passieren würde. Um ihm und sich ein wenig Langeweile zu vertreiben, stand Heela auf und lief auf ihn zu. Er zeigte keine Regung in seinem steinernen Gesicht.

„Hallo!“, wurde er von ihr begrüßt und nickte stumm. „Wohl heute nicht allzu viel los, was?“

Der Bursche wandte sich ihr zu und meinte: „Ich muss warten, bis die Herrschaften wiederkommen, damit ich die Türen aufschieben kann!“

„Ist das nicht langweilig?“

Doch er ignorierte sie und stellte sich wieder kerzengerade auf. Heela zuckte mit den Schultern und lief zur Treppe. Einen letzten belustigten Blick, zu dem Türsteher, gönnte sie sich, dann schritt sie gemächlich nach oben.

Vor ihrer Kammer angekommen, hörte sie fremdartige Geräusche, die ohne jeden Zweifel aus ihrem Zimmer kamen. Goldenes Licht drang unter dem Türespalt hindurch und behagte Heela ganz und gar nicht. Schnell wollte sie wieder verschwinden, doch ihre Neugier trieb sie vorwärts. Schließlich stand sie vor der Tür und hatte gar nicht gemerkt, wie sie mehrfach geklopft hatte. Rasch zog sie ihre, zur Faust, geballten Hand wieder ein, doch schon wurde ihr geöffnet. Lola stand vor ihr und hob eine Braue.

„Was willst du hier?“, fragte sie scharf und musterte das blonde Mädchen.

„Ich wohne hier.“, sagte Heela stur und schob die andere bei Seite. „Und was wird hier gespielt?“

Deoha saß auf einem kleinen Hocker und rührte in einem großen Kessel.

„Woher wusstet Ihr das?“, fragte Lola plötzlich.

„Das wirst du auch bald beherrschen, glaube mir, Lola!“, flüsterte die alte Frau geheimnisvoll.

„Komm her, Heela.“

„Warum?“, hinterfragte diese skeptisch.

Doch Lola schob sie an den Kessel heran. Ohne Vorwarnung griff Deoha nach einem Messer und schnitt ihr kurz in die Hand.

„Autsch!“, rief Heela auf und rieb die blutende Stelle.

Lola nahm einen alten Löffel und schabte etwas von der roten Flüssigkeit ab, um sie anschließend in den Kessel zu zugeben.

„Was sollte das?“, fragte Heela empört.

„Das war halt nötig.“, erklärte Lola und drückte dem anderen Mädchen ein Tuch in die Hand. „Hier, stoppe die Blutung!“

Heela tat, wie man ihr hieß und presste den Fetzen auf die Wunde. Kurz darauf hörte es auf zu bluten. Deoha rührte weiterhin in dem Kessel und Lola beugte sich zu ihr hinab, füllte ein kleines Fläschchen mit der entstandenen Mischung. Danach hielt sie sie ins Licht, wodurch der gesamte Raum in ein hellblaues Leuchten getaucht wurde.

„Boh, ist das schön!“, staunte Heela und sah sich um.

Es schien, als habe sich die ganze Kammer, mit allem was in ihr platziert war, auf einmal in eine erstaunliche Eiswelt verwandelt. Selbst die Betten glitzerten, wie gefrorenes Wasser, das vorher geflossen zu sein schien.

„Wollen wir es testen?“, ereiferte sich Lola plötzlich und langte nach dem Fläschchen.

„Nein“, ermahnte Deoha scharf, „Noch nicht“, sie zog rasch die Flasche an sich. „wir werden es in kommender Zukunft für wichtigere Zwecke einsetzen müssen!“

Heela staunte nicht schlecht, als die alte Frau die Mixtur, samt der Flasche, in einen braunen Lederbeutel senkte und ihn anschließend unter ihrem Bett verstaute.

„Wieso diese Geheimniskrämerei?“, hakte sie nach.

Deoha warf ihr einen unverzeihlichen Blick zu, „Das müsstet Ihr doch genau wissen…Ihr seid normal aufgewachsen, ohne Einfluss von Hexerei und Zauberei!?“

Heela schwieg. Nun hatte sich Lola ebenfalls zu ihr umgedreht und musterte sie skeptisch.

„Seid Ihr sicher, Deoha, dass SIE uns unterstützen könnte…“

„Moment mal“, wurde sie von Heela unterbrochen, „wie meinst du das? Unterstützen, wen? Warum?“

„…sie ist so ungläubig!“, fuhr Lola mit zunehmend strengem Ton fort.

„Sie wird es lernen“, sagte Deoha zuversichtlich, während sie den großen Kessel, mitsamt der restlichen Flüssigkeit, ebenfalls unter ihr Bett schob. „sie hat keine andere Wahl, wie sie feststellen werden muss!“

Heela sah sie irritiert an, „Was meint Ihr?“

„Nun ja, Ihr werdet es schon noch herausfinden…“, damit erhob sich Deoha und führte die Mädchen zur Tür,

„…Ihr werdet benötigt!“

Daraufhin traten sie in den Gang.

„Wieso… gerade eben…“

Doch Lola unterbrach sie: „Komm mit!“

*

„Wohin gehen wir?“, fragte Heela schließlich, als sie die äußersten Mauern der Stadt erreicht hatten, „Ist uns dies überhaupt gestattet?“

Lola nickte rasch, „Aber natürlich, wir gehen doch Beeren sammeln!“

„Beeren sammeln, ohne Korb?“

„Äh, der kommt noch!“, wehrte sie ab und rannte weiter.

Nach einer Weile gelangten sie an einen breiten Hauptweg, der sich zusätzlich in drei weitere schmale Pfade teilte.



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