Der neue Pharao
~~Atemu~~
Die ersten Sonnenstrahlen spiegeln sich im Wasser des Nils und tauchen den Fluss in ein zartes Rot. Die Tiere der Wüste erwachen langsam und erfüllen die Stille mit ihren unterschiedlichen Lauten. Wie von selbst richte ich meinen Blick gen Osten, wo sich in einiger Entfernung die Türme des Palastes in Theben erheben, in dem unser Herrscher lebt. Die aufgehende Sonne reflektiert sich auf den Dächern und hüllt den Palast in ihr Licht ein.
Gebannt beobachte ich wie jeden Morgen den friedlichen Sonnenaufgang über dem Nil und genieße dieses besondere Schauspiel vom Rücken meines Wallachs Ikarus aus.
Ich beobachte es noch einige Minuten bevor ich Ikarus in den Nil treibe und mich von seinem Rücken ins Wasser gleiten lasse, das mir bis zur Hüfte reicht.
Eisig! Morgens ist das Wasser an dieser Stelle immer so kalt. Na, wenigstens hält diese Kälte die Krokodile von mir fern.
Ich forme meine Hände zu einer Schale und beginne mich zu waschen.
Nach der morgendlichen Wäsche bleibe ich noch etwas im kalten Wasser und schwimme hin und her um mich warm zu halten, bevor ich dann doch fröstelnd ans Ufer gehe, wo ich mich in die aufgegangene Sonne lege und trocknen lasse.
Es ist erstaunlich wie viel Kraft die Sonne schon so kurze Zeit nach dem Aufgehen hat.
Entspannt schließe ich die Augen und höre einfach nur den Tieren zu.
Einige Zeit später öffne ich die Augen wieder und setze mich auf.
Die Sonne steht schon ziemlich hoch und zeigt etwa die vierte Stunde(1) an.
Ich muss eingeschlafen sein, aber...
Suchend schaue ich mich um, aber es ist niemand anderes zu sehen.
Wo bleibt Yugi eigentlich? Er kommt doch auch jeden Morgen hier her. Warum heute nicht? Er weiß doch ganz genau wo ich zu finden bin.
Da mein Lendenschurz mittlerweile wieder trocken ist, steige ich auf Ikarus und reite etwas beunruhigt nach Hause zurück.
Dort angekommen bringe ich Ikarus in den Stall und werde auch gleich mit einem fröhlichen Wiehern von Stray begrüßt.
Nachdem ich Ikarus versorgt habe, gehe ich zu Stray und streichle seinen Kopf, den er mir entgegenstreckt. Dabei fällt mein Blick in seine Box.
Er ist weder ausgemistet noch hat er frisches Futter und Wasser.
Yugi macht das doch sonst immer als aller erstes. Was ist heute bloß los?
Ich gebe Stray Futter und Wasser, dabei macht Ikarus in der Nachbarbox lautstark auf sich aufmerksam.
Eifersüchtiger Kerl!
Danach gehe ich ins Haus und mache Frühstück.
Nachdem das Frühstück fertig ist, öffne ich die Tür zu Yugis Zimmer und trete ein. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich in sein Zimmer komme. Ich bleibe kurz stehen und präge mir dieses einmalige Bild ein: Yugi liegt in seine Decke eingekuschelt da und die Sonnenstrahlen fallen in Streifen über sein Bett.
Es sieht so aus als würde Yugi noch schlafen. Einfach süß.
Ich komme näher ans Bett und höre jetzt seine tiefen und regelmäßigen Atemzüge.
Das gibt’s doch nicht, der schläft tatsächlich noch! Na warte.
Ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht und ich setze meinen Plan gleich in die Tat um.
Leise schleiche ich mich in mein Zimmer um mir mein Kopfkissen zu holen, mit dem ich dann wieder vor dem schlafenden Yugi stehe.
~~Yugi~~
Angekommen im Herzen des Palastes.
Es ist dunkel um mich herum, doch plötzlich wird es hell, gleißend hell, und ich kann eine Person sehen, die nur als Silhouette zu erkennen ist. Ich habe aber keine Zeit die Gestalt länger zu beobachten, denn ein großer goldener Vogel ist plötzlich vor mir aufgetaucht.
Bei Ra, das ist ... der goldene Drache des Ra, ein Göttermonster.
Ängstlich weiche ich zurück. Ich sehe wie das Vieh seinen Schnabel weit öffnet und sich eine Kugel aus hellem, glänzenden Licht in dem Schnabel bildet.
Ich schließe nur noch die Augen und spüre dann wie die Kugel (>>Atemus Kissen<<) mich ins Gesicht trifft und mir die Luft wegbleibt.
Es ist aus.
„Aaahhh!“
Schreiend wache ich auf und finde mich senkrecht in meinem Bett sitzend wieder.
Ra sei Dank, es war nur ein Traum.
Mein Atem geht immer noch schnell und ich spüre einen feuchten Schweißfilm auf meiner Haut.
Es dauert noch ein paar Minuten bis ich mich an meine Umgebung gewöhnt habe und richtig wach bin.
Dann höre ich ein leises mir wohl bekanntes Kichern neben meinem Bett und in meinen Händen halte ich ein Kissen.
Atemu! Wie ich solche Angriffe hasse.
Wütend drehe ich mich um und schleudere ihm das Kissen entgegen.
„Du bist so gemein! Mich so aus dem Schlaf zu reißen ist nicht fair.“
Eine Antwort bekomme ich nicht von Atemu. Er steht einfach nur da und lacht mich aus.
Wieso kann er es einfach nicht lassen mich zu ärgern?
Ich verschwinde aus dem Zimmer und gehe zum Brunnen um mich zu waschen.
Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, gehe ich wieder zurück in mein Zimmer, wo Atemu immer noch an dem gleichen Platz steht wie vorhin, als ich hinaus gegangen bin, aber sein Grinsen ist verschwunden.
Ohne ihn weiter zu beachten suche ich mir ein frisches Gewand aus meinem Schrank, das ich mir einfach überziehe, und beginne mein Bett zu machen.
Einfach ignorieren...so schwer ist das ja auch nicht.
„Yugi?“
Atemus Stimme klingt besorgt und fragend.
„Was?“, fahre ich ihn an und mache mit meiner Arbeit ungerührt weiter.
„Es tut mir leid.“
„Schon gut.“
Ich versuche meine Stimme so gleichgültig wie möglich klingen zu lassen und hefte meinen Blick auf die Decke.
Plötzlich spüre ich zwei Hände an meinen Hüften, die mir einen Schubs nach vorne geben, und ich lande bäuchlings auf meinem eben frisch gemachten Bett.
Was hat Atemu jetzt vor? Wie ist er so leise hinter mich gekommen?
Ein weiteres Gewicht auf meiner Bett lässt mich vermuten, dass sich auch Atemu auf dem Bett befindet.
Ich drehe mich zu ihm um und kann nur noch ein fieses Grinsen auf Atemus Gesicht erkennen, als er mich auch schon anfängt zu kitzeln.
Ich muss laut anfangen zu lachen und versuche mich aus Atemus Griff zu befreien, aber vergeblich. Er wandert mir jedes Mal mit seinen Händen nach und findet meine empfindlichsten Stellen spielend wieder.
Ich habe überhaupt keine Chance.
Langsam schwindet mein Sicht und ich habe auch Schwierigkeiten Luft zu bekommen.
Dann nehme ich durch mein Lachen Atemus Worte wahr:
„Gibst du auf, Yugi?“
Ich bin nur noch dazu fähig zu nicken und hebe ergeben meine Arme nach oben.
Endlich lässt er von mir ab und stüzt sich über mir ab.
„Bist du mir noch böse?“
„Nein. Du weißt doch, dass ich dir nicht lange böse sein kann.“
Wir schauen uns intensiv in die Augen und mir wird auf einmal die Situation bewusst, die sich gerade am Einstellen ist.
Mir wird heiß und ich breche sofort den Blickkontakt zwischen uns ab. Verlegen suche ich mir einen Punkt an der Wand und fixiere den.
Auch Atemu scheint die ungewöhnliche Athmosphäre wahrgenommen zu haben und geht von mir runter.
„Das Frühstück ist fertig. Wenn du soweit bist, komm in die Küche.“
Seine Haltung ist irgendwie steif und auch er schaut mich nicht an, als er aus dem Zimmer geht.
Ich stoße kurz die Luft aus und drehe mich dann zu meinem Spiegel um. Vor mir steht mein Spiegelbild mit einem roten Gesicht.
Na klasse. Warum muss ich in solchen Situationen immer rot anlaufen? Jetzt ahnt er sicher, dass ich mehr für ihn empfinde als Freundschaft.
~~Atemu~~
Verwirrt gehe ich hinunter in die Küche und setze mich auf einen der Stühle am Tisch.
Eine gefährliche Situation zwischen uns, aber warum ist Yugi auf einmal so rot angelaufen? Hegt er etwa auch mehr als Freundschaft für mich? Beruhen meine Gefühle für ihn sogar auf Gegenseitigkeit?
Schritte auf der Treppe holen mich in die Gegenwart zurück. Schnell nehme ich mir ein Brot und Früchte auf den Teller und beginne zu essen.
Schweigend setzt sich Yugi mir gegenüber und beginnt ebenfalls mit Essen.
Nach dem Essen machen wir gemeinsam den Abwasch und gehen dann unseren Pflichten nach.
~*~
Am frühen Abend sitzen wir zusammen in Yugis Zimmer und spielen Alquerque(2), als Pferdegetrappel auf dem Hof zu hören ist.
„Großvater!“
Yugi springt auf und stürmt aus dem Zimmer. Dabei wirft er das Spielbrett vom Bett und alles landet durcheinander auf dem Boden.
Na klasse, jetzt können wir nicht mehr weiter spielen.
Ich mache mich daran das Spiel aufzusammeln und wegzuräumen.
Danach gehe ich nach unten in die Küche, wo Yugi, sein Großvater und eine mir unbekannte Person schon sitzen.
Ich setze mich neben Yugi und schaue zu Shimon, der ein trauriges Gesicht macht. Yugi fragt sofort:
„Warum kommst du heute so spät, Großvater, und wer ist dein Begleiter?“
Es dauert noch eine Weile bis Shimon antwortet:
„Das ist Shadi, ebenfalls ein Berater des Pharaos. Pharao Akunumkanon ist tot. Wir fanden ihn heute Nachmittag in seinen Gemächern. Das zog noch einige Aufgaben für mich nach sich, Yugi, weshalb ich so spät heimkomme.“
Ungläubig schaue ich von einem zum anderen. Ihren Gesichtern nach zu urteilen gibt es noch eine schlechte Nachricht.
„Aber...“
Doch ich kann meine Frage nicht beenden, denn Yugi fällt mir ins Wort.
„Was passiert jetzt? Wer wird unser neuer Herrscher? Er hatte doch keine Kinder gehabt.“
Ein unangenehmes Schweigen macht sich im Raum breit.
Ich ahne, dass jetzt die andere Nachricht kommt.
Shimon steht auf und geht im Raum auf und ab. Dann dreht er sich zu uns um und erklärt:
„Doch, Yugi, er hat ein Kind zurückgelassen. Einen Sohn um genau zu sein.“
Er dreht sich zu mir um und schaut mir tief in die Augen.
Was soll das?
„Prinz Atemu, es ist an der Zeit Eure Pflicht zu erfüllen.“
(1)etwa zehn Uhr
(2)eine Art frühes Mühlespiel: Die Spielsteine sind kleine schwarze und weiße rund geschliffene Steine. Das Spielbrett ähnelt dem heutigen und die Regeln sind gleich.