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La voie juste

Der richtige/gerechte Weg
von

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La voie juste

General Folken Farnel stand am Fenster der fliegenden Festung. Ein beständiger Luftzug spielte mit den längeren seiner grauen Haarsträhnen und brachte seine goldenen Ohrringe zum Schwingen. Folken betrachtete sein Spiegelbild. Dunkle Augen, in denen eine seltsame Kälte lag. Die grauen Haare, die ihm im Nacken bis auf die Schultern fielen und vorne nur in die Stirn. Die eintätowierte violette Träne unter dem rechten Auge. Der schwarze, hochgeschlossene, bodenlange Mantel.

Du bist kalt geworden, sagte Folken stumm zu seinem Spiegelbild. Kalt. Seit damals...

Bevor er sich jedoch in Erinnerungen verlieren konnte, piepste die Kommunikationsanlage hinter ihm. Mit einem Ruck drehte sich der General um und trat vor das Gerät. Beinahe sanft legte er den Schalter um und lauschte der Stimme, die aus dem Lautsprecher kam.

"Folken, komm mit Dilandau in den Audienzraum. Ich habe neue Befehle für euch.", drang die kalte Stimme von Kaiser Dornkirk zu ihm durch.

"Natürlich, mein Kaiser.", erwiderte Folken gehorsam und schaltete das Gerät ab. Langsam ging er zur Tür. Dort angekommen, blieb er noch einmal kurz stehen und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Es war ein karger Raum. Nein, nicht nur karg, sondern regelrecht leer. Es befanden sich zwar Einrichtungsgegenstände hier drinnen, mit dem Bett, dem Schreibtisch, einem Stuhl und der Kommunikationsanlage sogar eigentlich zu viele für diesen kleinen Raum, doch es gab nichts, das auf die Persönlichkeit seines Bewohners hinwies. Nichts, das überhaupt auf einen Bewohner hinwies. Mit einem leichten Schauder wandte sich Folken ab und begab sich auf die Suche nach Dilandau. Natürlich hätte er den Kommandanten auch über Funk rufen können, doch im Moment verspürte er das Bedürfnis, durch die fliegende Festung zu laufen.
 

Wer ihm auch immer auf dem Flur begegnete, stand sofort stramm und salutierte. Folken schenkte diesen Soldaten jedoch noch nicht einmal einen kurzen Blick. Wer waren sie schon? Einfach nur irgendwelche Männer. Nicht mehr. Sie waren nur kleine Zahnräder in einem ganz großen Getriebe... Genau wie er auch. Kleinigkeiten, Unbedeutendheiten auf dem Weg zu der ewigen Glückseligkeit, zu dem friedlichen Gaia, das Dornkirk schaffen wollte.
 

Schließlich fand Folken Dilandau in dem Trainingsraum. Wo hätte er auch sonst sein können? Dilandau mochte der beste Kommandant der zaibacher Armee sein, doch gleichzeitig war er auch wahnsinnig auf seine Perfektion bedacht. Und er war von einem unglaublichen Kampfeswillen und Vergnügen am Kampf erfüllt. Folken spürte wieder eine gewisse Abscheu gegen diesen Mann mit den weißen Haaren und den rotleuchtenden Augen aufsteigen.

Für einen kurzen Moment blieb der General in der Tür stehen und sah Dilandau beim Kampf gegen einen seiner Untergebenen zu. Sein Schwert wirbelte schnell durch die Luft. Die Attacken kamen gezielt und gedankenschnell, doch gleichzeitig erkannte Folken auch, dass Dilandau seine Deckung viel zu sehr fallen ließ. In der Auseinandersetzung mit einem wirklich guten Schwertkämpfer würde er in ernste Schwierigkeiten kommen. Seine eigenen Leute würden natürlich niemals wagen, Dilandau im Kampf zu besiegen, also konnte er sich hier alles erlauben, doch auf dem Schlachtfeld war das etwas anderes...

"Du lässt deine Deckung fallen, Dilandau.", sagte Folken ruhig. Der Kommandant wirbelte herum und funkelte ihn zornig an.

"Was mischt du dich ein? Du kämpfst doch nicht, oder? Kannst du das überhaupt?" Das Schwert drohend erhoben trat er auf Folken zu. Der General blickte ihm gelassen in die Augen.

"Bei deinen Schoßhündchen kannst du dir das vielleicht erlauben, aber nicht gegen jemand anderes...", erwiderte er kalt

"So? Dann kämpf du doch mit mir! Komm her und ich werde dir zeigen, was verlieren heißt...", forderte Dilandau ihn heraus.

Mit einem unergründlichen Lächeln wies Folken diese Herausforderung zurück. "Kaiser Dornkirk will uns sprechen. Komm jetzt. Deinen Kindereien kannst du auch noch später nachgehen..."

"Pah!" Mit einem wütenden Knurren rammte Dilandau sein Schwert in die Scheide und folgte dem General in den Audienzraum. Sobald sie ihn betraten, sprang der große Bildschirm an und das Gesicht von Kaiser Dornkirk erschien.

"Majestät." Folken verneigte sich anmutig. Dilandau dagegen starrte das Bild unbeeindruckt an.

"Dilandau, bist du noch nicht einmal bereit deinen Meister zu ehren?", fragte Dornkirk herrisch. Noch einem Moment lang starrte er den Kaiser stur an, dann senkte auch Dilandau kurz sein Haupt.

"Es geht doch...", brummte der Kaiser ungehalten. Dann wechselte er abrupt das Thema.

"Ihr werdet Farnelia unterwerfen. Es ist das erste Land von vielen. Sie alle müssen in meine Hand. Sie alle. Nur dann wird meine Vision der Zukunft wahr werden..."

Einen Moment lang schwieg der Imperator, dann sprach er weiter.

"Und ihr werdet mir den Drachen Escaflowne bringen. Sein Schatten liegt über der Zukunft von Zaibach und lässt das Bild unscharf werden. Ich muss wissen, woher er diese Macht nimmt. Bringt mir Escaflowne."

Das Bild verblasste wieder. Folken starrte die leere Leinwand noch einen Moment lang an. Nach Farnelia. Ich muss also nach Farnelia. Zurück nach Hause...

Dilandau riss ihn unsanft aus seinen Gedanken.

"Dann schnappen wir sie uns mal. Kann ja gar nicht so schwer sein...", lachte er und verließ den Audienzraum. Folken blieb allein zurück und starrte noch immer vor sich hin.

Ist es Zufall, dass ich wieder nach Hause zurückkehren werde? Oder ist es... Schicksal?

Was es auch war - es war doch letztlich egal. Gefühle waren unbedeutend. Davon sollte und würde er sich nicht beeindrucken oder beeinflussen lassen.
 

Einige Tage später erreichten sie die Grenze von Farnelia.

"Dilandau, du weißt, was du zu tun hast. Bleibt auf alle Fälle unerkannt. Es darf niemand wissen, dass Zaibach hinter diesem Überfall steht. Niemand. Hast du verstanden?" Folkens Stimme war eindringlich.

"Natürlich.", gab Dilandau kühl zurück. "Wir haben unsere Tarnumhänge. Was soll uns schon passieren? Wir werden das Kind schon schaukeln." Er lachte und trat auf seinen Guymelef zu. Dann hielt er jedoch einen Moment inne und blickte Folken nachdenklich an.

"Ist es dir egal, dass wir dein Heimatland angreifen?", fragte er plötzlich.

Innerlich zuckte Folken unter dieser Frage zusammen, denn er hatte es noch nicht gewagt, sie sich selbst zu stellen, doch nach außen hin blieb er vollkommen ruhig. "Es gibt Wichtigeres, Dilandau. Dornkirks Plan ist das Wichtige. Das Schaffen eines einheitlichen, friedlichen Gaias. Alles andere hat keine Bedeutung..."

"Dann ist es ja gut...", knurrte Dilandau und kletterte in seinen Guymelef. Sobald er in dem Cockpit saß, öffnete sich die Luke der fliegenden Festung und ein Heer von Guymelefs sprang hinaus.

"Und Dilandau - wir wollen Escaflowne in einem Stück. Denk daran!"

Folken trat an die Kante und sah der Schwadron zu, wie sie in dem Wald landete. Kaum berührten die Kampfmaschinen den Boden, da tarnten sie sich auch schon und waren nicht mehr zu sehen.

"Schließt das Tor.", befahl Folken und begab sich auf die Brücke. Von dort aus würde er den Angriff auf seine ehemalige Heimat verfolgen können.
 

Stirnrunzelnd sah General Folken auf den Monitor, der ihm zeigte, dass Dilandau und ihre Männern nun die Stadt erreicht hatten. Sie drangen ohne große Probleme ein. Langsam aber sicher marschierten sie auf den Palast zu. Folken erkannte plötzlich, dass gerade eine große Feier im Gang war. Er zoomte das Bild der Hauptkamera näher an das Geschehen heran.

"Van...", flüsterte er leise. "Van..."

Gefühle wallten in ihm auf. Wie lange hatte er seinen Bruder schon nicht mehr gesehen. So lange... Stumm musterte Folken das Bild. Noch immer hatte Van dieses struppige schwarze Haar und diese leuchtenden braunen Augen. Er war älter geworden und erwachsener, aber Folken glaubte nicht, dass Van schon bereit war, ein König zu sein.

Der Junge konnte nicht ahnen, dass in diesem Moment unsichtbare Kampfmaschinen durch die Stadt stampften, Trümmer hinterließen und diejenigen töteten, die ihnen in die Quere kamen. Er wusste noch nicht, dass das Ende seines Reiches gerade begonnen hatte.

"Du wirst kein Land mehr haben, von dem du König sein kannst, kleiner Bruder..."

In diesem Moment aktivierte der erste Guymelef seine Flüssigmetallwaffen und die Hölle brach los. In den folgenden Minuten hatte der General alle Mühe mitzubekommen, was sich abspielte. Er sah immer wieder farnelische Guymelefs im Kampf fallen, doch: Wo war sein Bruder? Schließlich erspähte er ihn aus der Kamera eines gestürzten Guymelefs. Van rannte gerade mit einem seltsam gekleideten Mädchen auf den Tempel zu.

Escaflowne! schoss es Folken plötzlich durch den Kopf. Wie hatte er nur ihr eigentliches Ziel aus den Augen verlieren können? Das war schließlich sonst nicht seine Art.

"Dilandau! Im Tempel!", fauchte er in das Kommunikationsgerät. Er durfte seinen Bruder nicht entkommen lassen. Niemand durfte aus Farnelia entkommen...

Ein kalte Schauer lief Folken über den Rücken, als er durch Dilandaus Kamera verfolgte, wie er mit seinem Guymelef in den Tempel trat und Escaflowne auf einmal vor ihm stand. Noch immer getarnt, war die rote Alseideskampfmaschine für Van unsichtbar.

"Das ist also der berühmte Guymelef von Isparno!", höhnte Dilandau. "Dann sieh zu, wie er besiegt wird!"

Er griff an. Doch seltsamerweise konnte Van den heranrasenden Flüssigmetallstreben ausweichen. Er sprang gerade rechtzeitig bei Seite und wehrte sie mit einem heftigen Schlag ab. Fasziniert verfolgte Folken das Geschehen. Offenbar spürte sein Bruder die Anwesenheit der Feindes... Mit einem leichten Knopfdruck wechselte Folken die Perspektive und sah, dass noch ein weiterer Guymelef unbemerkt den Tempel betreten hatte. Er stand genau hinter Van und griff nun an. Van hatte gegen ihn keine Chance.

"Es tut mir Leid, Bruder.", murmelte Folken leise, doch dann ließ ihn das Geschehen auf den Bildschirm mitten im Satz inne halten.

Vargas, der berühmteste Schwertkämpfer Gaias und Folkens ehemaliger Lehrmeister, sprang plötzlich hervor und mit einem einzigen Schwertstrich besiegte er den angreifenden Guymelef. Nun war Dilandau auf sich gestellt. Beinahe beiläufig tötete dieser nun seinerseits Vargas. Als die grauen Streben den Körper des Samurai durchschlugen, zuckte Folken zusammen. Mit Vargas schien auch ein Teil von ihm zu sterben.

Doch Escaflowne konnte nicht entkommen. Sieben Guymelefs, unter ihnen auch der von Dilandau, hatten ihn eingekreist und sich sichtbar gemacht, um ihre Drohung zu unterstreichen. Folken konnte sich ausmalen, dass es gerade dem Kommandanten der Dragonslayer in den Fingern juckte, diesen Guymelef zu zerstören, aber er kannte seine Befehle.

Plötzlich schoss eine grelle Lichtsäule vom Himmel und schloss sich um den Guymelef von Isparno. Ihr Strahlen machte es unmöglich noch irgendetwas zu sehen. Nach einer Ewigkeit von vielleicht zehn Sekunden löste sie sich auf und trieb in den Himmel zurück. Escaflowne war verschwunden.

Folken runzelte die Stirn. Das war unerwartet. Aber was auch immer geschehen war, sie würden es herausfinden - und sie würden Escaflowne in ihre Hände bekommen.
 

Nachdenklich lehnte sich Folken in seinem Stuhl zurück und blickte auf die Bilder seiner brennenden Heimat.

Heimat, dachte er angewidert. Heimat. Was bist du für eine Heimat, die du mich verstoßen hast? Verstoßen, weil ich einen Drachen nicht besiegen konnte... Unbewusst berührte er mit der rechten Hand seinen stählernen Arm. Für dich bin ich längst gestorben, Farnelia. Und jetzt stirbst du endgültig für mich...

Aber warum bedauerte er dann, was er hatte tun müssen? Warum bedauerte, dass diese Menschen hatten sterben müssen? War er doch noch nicht so abgestumpft, wie er immer geglaubt hatte? Vielleicht. Sehr wahrscheinlicher war, dass er sich das nur einbildete.

Und doch hatte er das Gefühl, dass bei diesem Anblick etwas in ihm zerbrach. Etwas, von dem er nicht gewusst hatte, dass er es noch besaß.

Werden diese Flammen den Frieden bringen?
 

Einige Stunden später kam Dilandau von seinem erfolgreichen Einsatz zurück. Die Guymelefs der Zaibacher landeten im Hangar und wurden dort bereits von ihrem General erwartet.

"Du hast ihn entkommen lassen.", wandte sich Folgen an Dilandau.

"Das war kein Entkommen - er ist einfach verschwunden", knurrte er und wischte sich unwirsch einige helle Haarsträhnen aus der Stirn, die sich von seinem goldenen Stirnband nicht mehr bändigen ließen.

"General!" Ein Soldat kam keuchend in den Hangar gerannt. Folken wandte sich abrupt um. Er hätte es vorgezogen diesen Punkt des Scheiterns ihrer Mission weiter mit Dilandau zu erörtern, aber dass er unterbrochen wurde, war ungewöhnlich genug, sodass er dem noch keuchenden Soldaten seine Aufmerksamkeit schenkte.

"Ja?"

"Imperator Dornkirk wünscht Euch zu sprechen.", stieß der junge Mann zwischen zwei schnellen Atemzügen hervor. "Und Euch auch, Kommandant Dilandau."

"Wir sind unterwegs.", erwiderte Folken nur und nickte Dilandau kurz zu. Dann drehte er sich um und verließ langsam den Hangar. Sein schwarzer Umhang schleifte über dem Boden und man konnte die Bewegung seiner Beine nur erahnen. Dilandau sah Folken kurz nach. Der General hinterließ bei ihm immer ein seltsames Gefühl. Einerseits respektierte er ihn als seinen Vorgesetzten, aber andererseits wollte er nichts weiter, als ihn herausfordern und reizen...
 

Erneut standen sie im Audienzraum und blickte auf den flackerten Bildschirm. Wieder zeigte sich das Gesicht von Imperator Dornkirk. Graue lange Haare umspielten ein hageres Gesicht mit kalten Augen. Eine eigentümliche Metallkonstruktion umschloss ihn.

"Escaflowne konnte fliehen.", stellte der Imperator ruhig fest.

"Ja.", bestätigte Dilandau. "Aber er wird von einem Kind gesteuert! Er kann uns nicht..."

Dornkirk unterbrach ihn mit einem wütenden Aufschrei.

"Und ob er uns gefährlich werden kann! Er kann uns vernichten! Ich will Escaflowne haben! Bringt ihn mir! Dieser Guymelef trägt ein Geheimnis in sich... Und ich muss wissen, was das ist!"

Dilandau biss sich auf die Lippen. Noch eine Rüge. Und diese hier war deutlicher ausgefallen als die Folkens. Er hasste so etwas.

"Ihr werdet den Guymelef an der Grenze zu Asturia findet. Und diesmal: VERSAGT NICHT!"

"Jawohl, Imperator.", sagte Folken fest. Das Bild verblasste wieder.

Dilandau sah Folken an. "Er ist doch nur ein einzelner Guymelef... Was..." Weiter kam er nicht, denn diesmal wurde er von Folken unterbrochen.

"Du hast den Imperator gehört. Wir werden Escaflowne verfolgen."

Und Van, fügte er in Gedanken hinzu. Wie ironisch: Früher bist du in meinen Fußspuren gewandelt, nun tue ich es in deinen. Nur mit einem Unterschied: Ich bin der Jäger, du bist die Beute und niemand, dem ich nacheifern will...

Der Kommandant schnaubte unwillig. Was für ein Getue um einen einzigen Guymelef... Aber andererseits: Er würde seine Revanche bekommen. Und diesmal würde Escaflowne deutlicher verlieren. Dieses Geplänkel in dem Tempel war nur der Auftakt gewesen. Vorfreude glomm in seinen roten Augen auf.

"Wie du willst, Folken. Ich hoffe nur, wir finden ihn schnell. Mir brennt das Schwert in den Händen....", meinte Dilandau und verließ das Audienzzimmer.

Folken blieb noch einen Moment nachdenklich zurück.

Escaflowne ist also eine Gefahr für uns... Oder bist es eher du, Van?
 

Einige Stunden später befand sich die fliegende Festung bereits auf dem halben Weg nach Palas. Getarnt näherten sie sich einem Außenposten Asturias. Nachdenklich blickte Folken auf die kleine Anhäufung von Häusern unter sich.

"Dilandau, sieh dir mal an, ob sie da unten etwas wissen.", befahl Folken. "Und fang keinen Kampf an!"

Mit einem unwirschen Schnauben wandte sich Dilandau zum Gehen. Wenige Minuten später erreichten Folken die Bilder der Kamera seines Guymelefs. In dem Vorposten sah alles friedlich aus. Und doch... Folken meinte die Nähe seines Bruders deutlich spüren zu können. Dilandau verließ schließlich das Blickfeld der Kamera und nun blieb Folken nur noch die Stimmübertragung des Funkgerätes. Er ließ sich in einem breiten Sessel nieder, schloss die Augen und hörte zu.

Nach einem leichten Vorgeplänkel um Vorräte und die ungewöhnliche Anwesenheit der fliegenden Festung, kamen sie zur Sache.

"Allen Schezar, habt Ihr einen ungewöhnlichen Guymelef in dieser Gegend gesehen?", fragte Dilandau direkt.

Er sollte langsam mal etwas Taktik lernen, fiel Folken dazu ein. Er ist zu direkt und ungestüm.

"Aber nein.", erwiderte Allen. "Warum fragt Ihr? Hat ein einzelner Guymelef so viel Bedeutung, dass er die Anwesenheit einer gesamten fliegenden Festung erfordert?"

"Wir suchen ihn.", konterte Dilandau. "Er ist... mitten aus einem Kampf geflohen. Ihr habt doch sicher davon gehört - im Westen, von Farnelia. Es ist wirklich bedauerlich... Der feige König scheint sich direkt aus den Kampfhandlungen verdrückt zu haben..."

Ich muss mich korrigieren, dachte Folken mit einem leichten Lächeln, wenn Van da ist, wird er kaum den Mund halten können. Kleiner Hitzkopf...

Jemand reagierte, aber Folken konnte die Stimme nicht zuordnen. Es war ein junger Mann. Sehr jung der Stimme nach zu urteilen. Dann hörte der General einige Schritte. Plötzlich sprach Dilandau jemand anderes an.

"Was sind das denn für Kleider? Die habe ich ja noch nie zuvor gesehen. Woher kommst du?"

"Sie ist meine Gefährtin und kommt von weit her...", erwiderte Allen.

Da Dilandau nun offenbar anfing sich mit irgendwelchen anderen Dingen zu amüsieren, rief Folken ihn zurück.

"Dilandau, es reicht. Komm wieder an Bord.", befahl er. Er konnte Dilandaus Unwillen deutlich spüren, obwohl dieser nichts dazu sagte, sondern sich nur knapp von den asturischen Soldaten verabschiedete. Wenige Minuten später war er wieder an Bord der Festung und meldete sich bei Folken zurück.

"Da unten ist er nicht.", brummte Dilandau und blieb an der großen Panoramascheibe stehen, von der aus, er auf den Vorposten hinunterblicken konnte.

"Oh doch, das ist er.", stellte Folken richtig. "Ich spüre seine Anwesenheit. Van ist dort unten. Und mit ihm auch Escaflowne... Wir warten ab. Irgendwann muss er sich zeigen.."

"Abwarten!", stöhnte der Kommandant der Drachenschwadron auf. "Warum können wir nicht gleich angreifen?"

"Das ist Taktik." Folken warf ihm einen kalten Blick zu. "Halte dich einfach an meine Befehle, Dilandau."

"Wir Ihr wünscht, General." Bei dieser Erwiderung klang seine Stimme spöttisch. Folken blickt ihm in die roten Augen und erkannte deutlich die Ungeduld in ihnen. Er wollte wieder in den Kampf ziehen. Er wollte wieder Häuser abbrennen. Er wollte...

Du bist krank, Dilandau, dachte Folken mit einem leichten Kopfschütteln. Du tötest zum Vergnügen und vergisst unser Ziel. Ein einheitliches Gaia. Voller Frieden unter der Herrschaft von Kaiser Dornkirk... Nur schade, dass dafür Krieg notwendig ist. Aber sonst wird sich niemand fügen...
 

Getarnt schwebte die fliegende Festung über dem Außenposten. Schließlich geschah genau das, worauf Folken gewartet hatte: Escaflowne zeigte sich. Und nicht nur das. Sein kleiner Bruder war offenbar hitzköpfig genug, sich auf einen Zweikampf mit Allen Schezar und seinem Guymelef Scheherazade einzulassen.

"Idiot...", murmelte Folken leise. Bevor er jedoch irgendwelche Befehle geben konnte, informierte ihn ein hartnäckiges Piepsen, dass Kaiser Dornkirk ihn und Dilandau zu sprechen wünschte.

Brüsk wandte er sich von der Panoramascheibe und winkte Dilandau, ihm zu folgen.
 

Folken fragte sich insgeheim, was dieses weitere Gespräch sollte. Der Kaiser hatte schließlich schon beim letzten Mal deutlich gemacht, dass sie nicht scheitern durften und dass er Escaflowne haben wollte. Was sollte das jetzt noch?

Irgendwo in einer Ecke seines Verstandes klopfte ein Gedanke an, der sagte, dass Dornkirk wohl nicht ganz richtig im Kopf war, aber Folken unterdrückte diese Vorstellung sofort wieder. Nein, das konnte nicht sein. Und das durfte nicht sein. Eher wollte der Kaiser mit dieser Nachdrücklichkeit auf die Wichtigkeit ihres Erfolges hinweisen.

"Eine Verzerrung hat sich über unsere ideale Zukunft gelegt." Mit diesen Worten eröffnete Dornkirk die Audienz. "Der Schatten des Drachen liegt über der Zukunft. Es ist nicht absehbar, wie sich diese Verzerrung auswirken wird, wenn wir ihn nicht in die Hände bekommen. Wir müssen den Drachen Escaflowne haben. So bald wie möglich."

Folken nickte stumm. Die Bedrohung, die von Escaflowne ausging war jetzt auch für ihn greifbar geworden. Jetzt verstand er. Er warf über die Schulter einen kurzen Blick zu Dilandau. Dieser sah jedoch derart unbeteiligt und genervt aus, dass er wohl kaum eine Vorstellung von der Bedeutung der Worte hatte, die der Imperator gerade ausgesprochen hatte. Interessierte sich Dilandau überhaupt für ihre Sache oder gefiel es ihm einfach auf der Seite des Stärksten zu stehen und zu kämpfen?

"Sorgt dafür, dass wir ihn bekommen." Dornkirks Worte zwangen Folkens Aufmerksamkeit wieder nach vorn. Dann wurde der Bildschirm wieder schwarz.

"Na los, dann lass uns diesen Guymelef fangen... So schwer ist das doch nun auch nicht. Mit den Slayern ist das schnell gemacht.", legte Dilandau los.

Folken warf ihm einen undeutbaren Blick zu.

"Asturia ist ein Verbündeter. Wir können sie nicht einfach so angreifen."

"Du hast den Imperator doch gehört. Er will Escaflowne so bald wie möglich haben. Und wenn wir auf die liebe Politik warten, wird das ewig dauern... Wir benutzen unsere Tarnumhänge. Dann findet nie jemand heraus, wer angegriffen hat."

Dilandau wandte sich damit bereits zum Gehen. In der Tür hielt er noch einmal inne. "Außerdem: Du hast dein Heimatland zu Asche verbrannt - Was kümmert dich da ein kleiner asturischer Außenposten?"

Folken sah Dilandau mit ausdrucksloser Miene nach. Dahingehend hatte der Kommandant nicht Unrecht. Es spielte keine Rolle, ob Asturia angegriffen wurde oder nicht. Vielleicht dachte er in mancher Hinsicht noch zu engstirnig und noch nicht genug auf die wirklich wichtige Sache fixiert. Aber andererseits: Es gab doch noch immer gewisse Regeln zu befolgen, nicht wahr?
 

Die Drachenschwadron brach getarnt auf, wie es verabredet war. Zu Folkens Überraschung waren die Asturier jedoch gewarnt worden. Wenigstens musste das der Fall gewesen sein. Sie waren alarmiert und alle kampfbereit. Nicht, dass das etwas an dem Überraschungseffekt des Angriffs geändert hätte. Das nicht. Aber wer mochte sie gewarnt haben? Hatten sie irgendwie mitbekommen können, dass sie bedroht wurden? Aber wie?
 

Mit steinerner Miene verfolgte Folken den Kampf. Dilandau schien seinen Spaß zu haben. Bereits nach wenigen Minuten züngelten Flammen über die Gebäude und tauchten die Szenerie in ein blutrotes Licht.

Aber Escaflowne war nirgends zu sehen. Wo war er schon wieder? Durch diesen verdammten Rauch sah man nichts. Gar nichts. Nur Schemen und Schatten...

Dilandau und die anderen Zaibacher tobten weiter durch den Qualm, aber finden würden sie dort niemanden mehr.

Folken starrte noch einen Moment auf die Szene, die sich ihm darbot, dann wandte er den Blick ab.

"Es reicht, Dilandau.", wies er schließlich seinen Kommandanten über Funk zurecht. "Wann hast du endlich genug von diesem überflüssigen und sinnlosen Töten?"

"Nur so kann man sicher sein, dass aller Widerstand gebrochen ist. Wir können Escaflowne schnappen - Er wird gleich ausgeräuchert sein.", erklang Dilandaus Antwort. In seiner Stimme schwang ein unüberhörbares, leicht wahnsinniges Lachen mit.

"Glaubst du wirklich, dass sich jemand wie Allen Schezar von Asturia mit einem Feuer überlisten lässt?" Folken schüttelte leicht den Kopf. Zurechtweisung und auch ein gewisser Hohn lagen in seiner Stimme und gerade diese seltsame Mischung war es, die Dilandau aufhorchen ließ.

"Was meinst du?"

Folken trat an die Panoramascheibe heran und betrachtete den Wasserfall in der Nähe des Stützpunktes. Oh ja, das war ein perfekter Fluchtweg...

"Man erzählt von Vögeln, die ihre Nester hinter Wasserfällen bauen, weil sie dort vor ihren Feinden sicher sind...", sagte er langsam.

Hinter Dilandaus Stirn arbeitete es. Was hatten denn jetzt Vögel mit dieser Sache zu tun? Vögel... Vögel. Wasserfall!

"Sie sind hinter dem Stützpunkt am Wasserfall!", brüllte er seinen Slayern über Funk zu und stürmte los.
 

Mit vor der Brust verschränkten Arme beobachtete Folken das Geschehen auf dem großen Bildschirm. Eine kleine Kamera war auf Alseides Schulter angebracht und gab dem Zuschauer aus der Festung das Gefühl, mitten im Kampf zu stehen.

Folkens Miene war undurchdringlich, aber insgeheim zollte er seinem Bruder einen gewissen Respekt dafür, dass es ihm gelang, Dilandaus Angriffen derart lange stand zu halten. Auf dem Flügel des kleinen Luftschiffs stehend, lieferten sich die beiden Guymelefs einen heftigen Kampf. Immer wieder verriet das verwackelte Bild, dass entweder der Boden - sprich das Luftschiff - bebte oder Dilandau hektische Bewegungen machen musste.

Schließlich - bedrängt durch mittlerweile zwei Guymelefs, da Dilandau Verstärkung von einem Mitglied seiner Drachenschwadron erhalten hatte - musste Van die Flucht antreten.

"So... Du willst also deine Freunde retten, was?", murmelte Folken leise.

Escaflowne stieß sich derweil von dem Luftschiff ab und sprang. Einen Sekundebruchteil später schwebte ein mechanischer Drache an Stelle des Guymelefs in der Luft und auf seinem Rücken stand Folkens 15-jähriger Bruder mit den Lenkseilen in der Hand.

Ein leises Raunen ging durch den Kommandosaal. Eine solche Entwicklung war nicht vorhersehbar gewesen. Verblüffung hatte sich breit gemacht. Nur Folken lächelte leicht und kaum sichtbar.

Das ist also der Drache... Jetzt macht die Bezeichnung einen Sinn. Danke für die Vorführung von Escaflownes Fähigkeiten, Van.
 

Van hatte keine Chance. Nicht nur, dass Dilandau und sein Kumpan ihn verfolgten, nein, der Rest der Drachenschwadron heftete sich ebenfalls an seine Fersen.

Mit Zufriedenheit konnte Folken beobachten, wie Dilandau und die anderen Escaflowne immer mehr einkreisten und schließlich zur Strecke brachten. Doch Van würde sich nicht kampflos ergeben. Oh nein, das sicher nicht.

Es war Dilandau, der sich Van erneut zum Kampf stellte. Mit Funken sprühenden Klingen prallten die beiden erbitterten Gegner aufeinander. Staub wirbelte auf und verwehrte den Blick auf die kämpfenden Giganten.

Folken knurrte unwillig. Keine der Kameras konnte ihm die Bilder zeigen, die er sehen wollte. Alle lieferten nur unscharfe Schemen.

Plötzlich wurde das Bild klar. Escaflowne war besiegt. Der berühmte Guymelef war auf die Knie gefallen. Dilandau wollte gerade zum letzten Schlag ausholen.

"HALT! Ich will ihn lebend!", brüllte Folken in die Kommunikationsanlage.

In seinem Cockpit zuckte der Zaibacher Kommandant zusammen und fügte sich dann zähneknirschend.
 

Knapp zehn Minuten später hatte man den berühmten Guymelef von Isparno an Bord gebracht. Die fliegende Festung flog weiter - zu dem sichersten Versteck, das es für einen riesigen, fliegenden Felsen geben konnte: zu einem Ort, wo er sich zwischen anderen fliegenden Steinbrocken verbergen konnte.
 

Folken trat in den Laderaum und begutachtete ihren Fang. Einen Augenblick später stieß Dilandau zu ihm.

"Ich habe Truppen ausgesandt. Sie suchen nach dem Luftschiff und werden es zerstören, sobald sie es finden.", verkündete er.

Der General reagierte nicht, sondern betrachtete weiter Escaflowne. Die Stille wurde dem weißhaarigen Kommandanten schnell unangenehm und so durchbrach er sie wieder.

"Mal ehrlich - der ist wirklich ziemlich unbeeindruckend.", höhnte Dilandau und blickte an der Kampfmaschine empor.

"Daran merkt man, dass du keine Ahnung hast.", erwiderte Folken kalt und versank in dem Anblick des Guymelefs. Des Guymelefs, der seiner hätte sein können. Ein Gedanke, der sich bohrend in seinen Kopf fraß und den er nicht wieder abschütteln konnte, so sehr er es auch versuchte. Wäre alles anders geworden, wenn er den Kampf gegen den Drachen gewonnen hätte?

"Und was ist an diesem Dingen jetzt so besonders?" Dilandau riss Folken aus seinen Gedanken. Der Kommandant ließ seine Hand über die Panzerung des Guymelefs gleiten. Na gut, Escaflowne war wirklich sehr gut verarbeitet, aber sonst? Was sollte diesen Guymelef von allen anderen unterscheiden?

Folken wandte sich langsam zu Dilandau um.

"Wenn das Ding so eine Gefahr für die Zukunft ist, dann verarbeiten wir es jetzt zu Schrott und fertig!", redete Dilandau weiter, den Blick immer noch auf den Guymelef geheftet.

"Nein. Erst finden wir heraus, warum er eine Bedrohung für die Zukunft ist. Sei nicht immer so vorschnell.", wies Folken ihn zurecht.
 

"Herr, wir bekommen das Cockpit nicht auf. Es geht nicht.", meldete ein Soldat und verneigte sich knapp vor dem General.

Folken bedachte ihn mit einem kurzen, herablassenden Seitenblick. "Dieser Guymelef ist auch nicht dafür gedacht, dass jeder sein Cockpit öffnen kann."

Er trat einen weiteren Schritt auf die Maschine zu. Beinahe beiläufig stach er sich mit der nadelartigen Spitze eines seiner Metallfinger in den linken Zeigefinger. Er berührte den Energiestein Escaflownes kurz mit der blutigen Stelle. Für einen Augenblick durchflutete ihn die Energie des Guymelefs. Hatte das seine Bestimmung sein sollen? Hatte das sein Schicksal sein sollen? Escaflowne?

Folken schluckte und spürte, wie seine Knie einen Moment lang weich wurden.

Escaflowne...

Das Cockpit öffnete sich mit einem leisen Zischen und Van fiel bewusstlos heraus. Mit einer simplen Handbewegung wies Folken die anwesenden Soldaten an, den Jungen in einen Nebenraum zu bringen.

"Hey... Den Kerl kenne ich doch! Der hing doch bei Schezar und seiner Band rum! Dieses Kind ist der König von Farnelia?", polterte Dilandau los.

Folken schenkte ihm einen mitleidigen Blick. "Du solltest dir angewöhnen, etwas mehr über deinen Gegner herauszufinden, Dilandau. Dieser ,Kerl' ist Van Farnel. Mein Bruder."

Während Dilandau sprachlos sowohl angesichts dieser Erkenntnis als auch angesichts von Folkens harschen Worten zurückblieb, schritt der General in den kleinen, düsteren Raum, in dem seine Untergebenen Van abgelegt hatten.
 

Bäuchlings lag der Junge auf einer schmalen Pritsche. Sein schwarzes Haar hing wirr auf das dünne Kissen.

Folken betrachtete seinen Bruder nachdenklich. Lange hatten sie sich nicht mehr gesehen. Sehr lange. Seit er damals mit fünfzehn Jahren an dem Drachen gescheitert war und es vorgezogen hatte, als tot zu gelten, anstatt mit einer Niederlage nach Farnelia zurückzukehren.

"Sollte ich dein Leben leben, Bruder?", flüsterte der zaibacher General leise. Eine Antwort konnte ihm darauf niemand geben.

Er wandte sich langsam von dem Anblick seines Bruders ab und starrte die graue Wand an. Zuviel ging ihm durch den Kopf. Zuviel, über das er jetzt nicht nachdenken wollte und das keine Rolle mehr spielen sollte. Schon lange nicht mehr.

Ohne dass er es wollte, fing er leise an, eine Melodie zu pfeifen.
 

Aus dem Augenwinkel bekam er mit, wie sich Van langsam aufsetzte. Schnell war der Junge auf den Beinen. Erstaunlich schnell dafür, dass er gerade eine nicht besonders angenehme Niederlage gegen Dilandau hatte hinnehmen müssen.

"Woher kennst du die Hymne von Farnelia?", fauchte der König von Farnelia los.

Für einen kurzen Moment schrak Folken zusammen. War es wirklich ausgerechnet diese Melodie, die er pfiff? Ausgerechnet? Wie kam er dazu?

Doch man sah ihm nicht an, was er dachte. Langsam drehte er sich um und kam auf seinen Bruder zu. Van erkannte ihn nicht. Das ging ihm in diesem Moment auf. Misstrauen und Wut lagen in seinen Augen, aber kein einziger Funke des Erkennens.

Das Schwert, das man Van abgenommen hatte, lag neben dem Jungen auf dem Tisch. Mit einem schnellen Handgriff hatte Van es sich geschnappt und hielt die Klinge drohend auf Folken gerichtet.

"Bring mich zu Escaflowne!", knurrte er.

"Meinst du, dass sich davon ein Zaibacher beeindrucken lässt?" Folken zog eine Augenbraue hoch. "Du wirst hier nicht mehr rauskommen..."

"Dann... dann..." Van presste sich die Klinge an den Hals.

Kurz zogen sich Folkens Augenbrauen zusammen. Mit einer gedankenschnellen Handbewegung hatte er sein Schwert gezogen und den Jungen entwaffnet - und das deutlicher schneller, als Van es überhaupt hatte wahrnehmen können.

"Wirf dein Leben niemals weg!", donnerte der grauhaarige Mann warnend.

Van starrte ihn aus großen Augen an. Es war offensichtlich, dass er eine solche Reaktion nicht erwartet hatte.

"Sieh mich an..." Folkens Stimme war fast unhörbar.

Wie beiläufig streifte er seinen Mantel und sein Hemd ab. Einen Augenblick später breitete er seine Flügel aus. Dies war offenbar der einzige Weg, wie er Van begreiflich machen konnte, wer er war. Worten würde dieser zornige junge Mann niemals Glauben schenken.

Für ihn selbst war das Ausbreiten seiner Flügel wie eine Erinnerung. Wie lange war es schon her, dass er sie das letzte Mal gespürt hatte. Wie lange schon... So etwas wie Traurigkeit kam in ihm hoch. Brutal wies er sich gedanklich selbst zurecht und verurteilte dieses Gefühl als pure Nostalgie. Eine Nostalgie, die hier keinen Platz hatte. Nicht in diesem Raum, nicht in seinem Leben. Dass sie unleugnebar doch da war, überging er.

"Es ist lange her, Van. Zehn Jahre, nicht wahr?"

"Bruder..." Die Worte kamen Van sichtlich schwer über die Lippen. Er war erstaunt und überrascht. Er drehte sich mit einem Ruck um. Offenbar konnte er es nicht ertragen, seinen tot geglaubten Bruder anzusehen. Folken streifte sich Hemd und Mantel wieder über, während Van anfing zu sprechen.

"Ich habe geglaubt, dass du gestorben bist. Gestorben im Kampf gegen den Drachen. Nie habe ich glauben wollen, dass du dich vor dem Ritual der Nachfolge, vor diesem Kampf gedrückt hast. Dass du fortgelaufen bist. Warum bist du hier? Warum auf Zaibachs Seite? Warum hast du Farnelia zu Asche verbrannt? WARUM? Antworte mir!" Seine Stimme wurde Wort für Wort lauter, wütender. Folken konnte beinahe die Energie spüren, über die dieser Junge verfügte. Irgendwann während er sprach, war der Junge herumgewirbelt und blickte seinen älteren Bruder aus funkelnden Augen an.

Folken lächelte leicht. Van war noch immer der gleiche Hitzkopf, der er vor zehn Jahren als Kind auch gewesen war. Würde er sich jemals ändern? Und: Begriff er denn nicht, dass seine Emotionen vollkommen gleichgültig waren? Gefühle - was spielten sie schon für eine Rolle? Wut, Hass, Liebe, all das war nebensächlich. Es kam nur auf das große Ziel an...

"Warum lachst du? Bin ich so lustig? Ist das alles hier so lustig?", fuhr Van hitzig fort und packte Folken an der Schulter.

Der grauhaarige Mann hielt ihn fest und beugte sich vor. "Komm auf meine Seite. Diene Imperator Dornkirk und komm auf die Seite Zaibachs..."

Van sah ihn stumm an. Es kam kein Wort über seine Lippen, doch der Ausdruck in seinen Augen war Antwort genug.

Der Junge würde also darüber nachdenken müssen. Gut, aber da man ihm hier schwerlich Aufmerksamkeit schenken konnte, würde erst einmal darüber schlafen. Aus einem der Finger seiner metallenen Hand schoss eine Nadel hervor und senkte sich tief in Vans Nacken. Einen Sekundenbruchteil später brach der Junge in Folkens Armen ohnmächtig zusammen.
 

Die Zeit verging. Folken stand auf der Brücke, beobachtete die vorbeifliegenden Felsen und hing seinen Gedanken nach. Die Patrouillen hatten den Crusado noch nicht gefunden und wo Dilandau steckte, wusste niemand. Wahrscheinlich amüsierte er sich wieder mit irgendwelchen Kampfeinheiten.

Plötzlich gab es einen Ruck. Die gesamte Festung wurde durchgeschüttelt und Folken aus seinen Gedanken gerissen. Woran hatte er eigentlich gedacht? Er konnte es nicht festmachen. Vermutlich wieder etwas aus dieser unsäglichen Nostalgie, die er sich eigentlich verwehren wollte.

"Was war das?" Seine Stimme klang kalt über die Brücke, auf der gerade das reinste Chaos ausbrach.

"Eine Explosion im Hangar." Einer der tausend gleichaussehenden Soldaten gab ihm Antwort.

Eine weitere Erschütterung folgte und zwang Folken sogar dazu, kurz Halt zu suchen. Einen Augenblick später kam die finale Antwort darauf, was geschah.

"Eindringlinge im Hangar! Es sind die Abaharaki!"

"Schickt Soldaten hin!", befahl Folken.

Sie würden Van befreien wollen. Stirnrunzelnd beobachtete er auf einem der Bildschirme das Chaos im Hangar. Rötlicher Nebel erschwerte die Sicht, doch das, was er erkennen konnte, reichte ihm. Die sieben Abaharaki und Schezar, die mit seinen Soldaten kämpften, ließen sich nicht unterkriegen und schlugen sich wirklich bemerkenswert gut. Von Dilandau war weit und breit nichts zu sehen und ohne ihren Kommandanten war die Drachenschwadron herzlich nutzlos.

Folken wandte sich ab und verließ mit rauschendem Mantel die Brücke. Es gab keine Zweifel daran, dass Van befreit werden würde. Und wenn dem so weit war, wusste er, wo er ihn definitiv finden würde. Bei Escaflowne. Vorher musste er allerdings noch etwas holen. Etwas, das Van sicherlich wiederhaben wollte.
 

Van rannte durch den rötlichen Nebel. Wie Folken geahnt hatte, war er befreit worden. Gerade als er Escaflowne erreicht hatte, dröhnte eine Stimme durch den Rauch.

"Van!"

Der schwarzhaarige Junge wirbelte herum und starrte zu ihm herauf. Folken stand auf einem der vielen metallenen Stege im Hangar und blickte zu ihm hinunter.

"Bruder!"

Van würde also gehen. Natürlich, Folken hatte auch nicht erwartet, dass er ernsthaft über das Angebot nachgedacht hatte. Es war Van - er würde auf ewig ein Hitzkopf bleiben und nicht abwägen, was er tat. Aber gut. Er würde diesen Weg billigen. Wenigstens jetzt.

Kurz streifte der Blick aus Folkens unergründlichen dunklen Augen das Mädchen, welches in Vans unmittelbarer Nähe stand. Sie sah ungewöhnlich aus, mit ihrem kurzen Haar, dem knappen Rock und den seltsamen Schuhen. Dennoch, wie auch immer sie hierher gekommen war, sie war unwichtig. Er konzentrierte sich wieder auf Van.

Folken nickte seinem Bruder kurz zu. In diesem Nicken lag all das, was er nicht ausdrücken konnte, nicht ausdrücken wollte. Vor allem war es eine gewisse Anerkennung darüber, dass Van von der Seite, die er gewählt hatte, nicht abwich. Dass er sich nicht beeindrucken ließ und loyal war - seinem Land gegenüber.

Kurz verspürte Folken ein kurzes Stechen in seinem Inneren, als er sich bewusst wurde, dass er dagegen seine Heimat niedergebrannt hatte. Er schob den Gedanken beiseite - in letzter Zeit schien er nur noch Gedanken abzuwehren, die er nicht haben wollte - und warf Van das zu, was er wohl neben Escaflowne am meisten vermissen würde, sein Schwert. Dann wandte er sich um und ging.
 

Wieder auf der Brücke angekommen, beobachtete Folken, wie der Crusado sich langsam von der fliegenden Festung entfernte. Hinter ihm brüllten die Soldaten durcheinander. Der Antrieb war beschädigt worden und sie konnte dem kleinen Luftschiff nicht folgen. Doch Folken machte sich keine Gedanken darüber. Sie würden Escaflowne wieder finden und er würde Van wieder begegnen. Er würde weiter auf Vans Spuren wandeln - und Van auf seinen.

Van, eines Tages wirst du an meiner Seite stehen. Und dann wirst du sehen, dass der Weg, den ich gewählt habe, der richtige ist - und du wirst ihn auch gehen...



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