Winterstimmung
Hi ihr Lieben,
Vielen, vielen lieben Dank für all eure suuuper lieben Kommis, eure lieben Worte, eure Unterstützung, einfach für alles. Mir zittern richtig die Hände. Das hier ist nun das vorletzte Kapitel von FFL und das letzte ist auch schon fertig!!! Mir ist richtig komisch, das ist ein ganz, ganz seltsames Gefühl. Ich kann das Ganze noch gar nicht richtig realisieren.
Da in diesem Kapitel einiges Los ist, hab ich einen Teil dieses Kapitels an das nächste angehängt, auf diese Weise könnt ihr den ersten Schock vielleicht erst einmal verdauen... oder auch nicht.
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Leise, wie ein Einbrecher, betrat Matt die stille, dunkle Wohnung. Er schob sachte die Haustür wieder zu und konnte nur hoffen, dass das Quietschen der Scharniere nicht wirklich so laut war, wie es sich für ihn in dem Moment anhörte. Seine Schuhe zog er bereits im Eingang aus und schlich auf Zehenspitzen weiter zu der kleinen Garderobe, wo er sich abstellte und dann weiter zu Treppe schlich. Kaum, dass seine Finger das kalte Holz des Treppengeländers berührten, wurde es abrupt hell, in dem eben noch dunklen Flur. Matt hielt sich reflexartig eine Hand vor die Augen, da ihn das grelle Licht blendete. Dann wandte er sich unsicher um – und blickte geradewegs in das wütende Gesicht seines Vaters, der mit verschränkten Armen vor dem Eingang zur Küche stand.
„Es ist vier Uhr morgens – darf ich bitte erfahren, wo du dich die ganze Nacht herumgetrieben hast?“
Matt sah ihn erschrocken an. Teils wegen des wütenden Blickes, teils weil er ihn ertappt hatte und teils wegen der tiefen, dunklen Augenringe, die darauf schließen ließen, dass sein Vater in der Nacht kein Auge zugetan hatte.
„Ich…“
„Ja bitte?“
„Es… ich… es tut mir leid“, brachte Matt schließlich heraus.
Seine schlanken Finger glitten vom Geländer und er wandte sich nun völlig seinem Vater zu, obwohl er am liebsten vor ihm geflüchtet wäre.
„Was genau tut dir denn leid?!“, wollte Masaharu wissen und zog argwöhnisch eine Augenbraue hoch.
„… dass ich so lange weg war“, antwortet Matt scheu. „Und dass ich nicht Bescheid gesagt habe.“
Masaharu seufzte tief. „Ich würde dich ja fragen, wo du warst. Aber ich glaube, das wäre überflüssig. Ich kann es mir denken. Und auch was ihr gemacht habt…“
Matt wurde rot und fühlte sich unheimlich ertappt. Dabei war es gar nicht zu dem gekommen, was sein Vater vermutete. Trotzdem konnte er nicht verhindern, an Tai zu denken und das, was sie tatsächlich getan hatten. Die röte in seinem Gesicht wurde tiefer und intensiver. Eine Gänsehaut breitete sich unwillkürlich auf ihm aus.
Masaharu musterte ihn eindringlich. Matts Reaktion ließ für ihn keinen Zweifel mehr, dass sein Sohn tatsächlich mit Tai Sex gehabt hatte. Er schloss die Augen, fuhr sich überfordert mit der flachen Hand über die Stirn und durchs Haar.
Wieder ein Seufzen.
„… war es wenigstens schön?“, fragte er leise und seinen Sohn anzusehen.
Die Frage überraschte Matt. Und noch mehr überraschte ihn der sanfte, besorgte Ton, in dem sein Vater sie gestellt hatte. Er machte sich wirklich Gedanken um ihn.
„Wir haben nicht-“
„Lüg mich bitte nicht an, Matt“, bat er. „Ich wollte mich damit nicht in dein… Privatleben einmischen. Es dein Leben, dein Körper. Du musst mir deine Geheimnisse nicht verraten. Ich wollte lediglich wissen, ob… ob er wenigstens lieb zu dir war. Wenn er schon sowas machen muss.“
„Papa-“
„Geh jetzt schlafen“, sagte Masaharu streng. Dann wandte er sich von Matt ab und ging zurück in sein Schlafzimmer.
Matt stand wie paralysiert auf der Treppe und starrte gebannt auf die Stelle, an der sein Vater bis vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte.
Er machte sich Sorgen um ihn. Ehrlich, wahrscheinlich sogar begründete, Sorgen. Obwohl ihm die Sache nicht gefiel… Sofort meldete sich Matts schlechtes Gewissen. Er hätte sich seinem Vater vielleicht doch eher anvertrauen und in Ruhe mit ihm reden sollen, statt ihm gleich die schlimmsten Dinge zu unterstellen…
Das Wasser in der Kaffeemaschine begann zu blubbern und schließlich zu kochen. Es rann in den Filter und nach und nach breitete sich angenehmer Kaffeeduft in der Küche und in der gesamten Wohnung aus.
Matt holte gerade die Tasse seines Vaters aus der Spülmaschine, als dieser ziemlich verwundert den Raum betrat und seinen Sohn anstarrte, als sei er ein Geist oder eine optische Täuschung.
„Was treibt dich an einem Samstagmorgen denn schon so früh aus den Federn?“, fragte er erstaunt.
Matt wandte sich abrupt um und hätte vor Schreck fast die Tasse auf den Boden fallen lassen, die er nun, wie ein Ertrinkender einen Rettungsring, fest umklammerte.
„… du musst doch arbeiten und… ich… ich dachte ich mache dir Kaffee…“, stammelte Matt nervös. Er brachte es nicht fertig seinen Vater anzusehen und zog es vor stattdessen, die schmutzige Küchenplatte anzusehen.
„Das musst du doch nicht.“
„Ich weiß, ich wollte nur… es tut mir so wahnsinnig leid.“
Masaharu sah ihn erschrocken an, berührte sanft seine Schulter. „Dass du mir Kaffee machen wolltest? Matt, so meinte ich das doch nicht. Ich wollte damit nur sagen-“
„Nicht das“, unterbrach ihn Matt. „Ich meinte gestern das… und irgendwie… alles. Es tut mir so leid.“
Sein Vater schüttelte nur den Kopf. „Vergiss es einfach.“
Er löste behutsam Matts Finger von der Tasse, die sich immer noch verzweifelt an das Keramik klammerten und nahm ihm die Tasse ab. Matt stand reaktionslos da, während sein Vater sich mit einem sanften „Dankeschön“ etwas Kaffee einschenkte.
„Leg dich wieder schlafen. Es ist noch zu früh.“
„Nein. Ich… ich kann nicht.“
Masaharu seufzte. „Na schön. Dann schnapp dir eine Tasse Kaffee und leiste mir ein wenig Gesellschaft.“
Auf den Kaffee verzichtete Matt – er war aufgekratzt und wach genug, trotz der schlaflosen Nacht – tat seinem Vater aber den Gefallen sich zu ihm an den Tisch zu setzten.
Die beiden sprachen kein Wort miteinander. Masaharu trank stumm seinen Kaffee aus, Matt bewunderte in allen Einzelheiten die „interessante“ Maserung des Holztisches. Trotzdem hatte Matt, als sein Vater aufstand und sich verabschiedete, um zur Arbeit zu gehen, das Gefühl eine lange Diskussion mit ihm geführt zu haben.
Er blieb noch lange an dem Tisch sitzen, tief in Gedanken versunken und starrte die Oberfläche des Tisches an, die er genauso wenig wahrnahm, wie das Läuten, des Telefons. Erst nachdem sich der Anrufbeantworter anschaltete, bemerkte Matt, dass es geklingelt haben musste.
Die Stimme, die auf das Band sprach, war sehr leise. Trotzdem glaubte Matt sie als Frauenstimme zu erkennen. Sie kam ihm unheimlich bekannt vor…
„Also sehen wir uns dann?“, hakte Matt noch einmal nach.
„Ja, ich bin dann gleich bei dir“, sagte Tai in sein Handy, welches er zwischen Ohr und Schulter geklemmt hatte. Er fummelte ungeschickt ein paar Münzen aus seinem Geldbeutel und gab sie der jungen Frau hinter dem Tresen des kleinen Cafés. Dann nahm er seinen Kaffeebecher entgegen und wandte sich ab. „Sag mal, du klingst so komisch. Ist alles in Ordnung bei dir, Yama?“
„Jaja, alles okay“, entgegnete der blonde hastig. Er schien kurz zu überlegen, ihm zu sagen, was los ist. Tat es aber nicht. Nach einer kurzen Pause sagte er dann: „Yuri ist da.“
„Ach echt?“, sagte Tai. Ihm war klar, dass Matt ihm auswich. Trotzdem interessierte ihn das mit Yuri. Der Schwarzhaarige hatte sich nach seiner Flucht aus dem Café und der anschließenden SMS nicht mehr bei ihm gemeldet.
„Ja.“
„Wie geht es ihm? Was ist passiert?“
„Keine Ahnung“, entgegnete Matt und Tai konnte ihn seufzen hören. „Er ist bestimmt schon seit einer halben Stunde hier und hat noch keinen Ton gesagt. Irgendwie wirkt er… deprimiert.“
„Dann ist seine Aussprache mit Toshi wohl doch nicht so gut gelaufen…“, schlussfolgerte Tai. Er hatte ehrliches Mitleid mit seinem Freund.
„Ich weiß es nicht…“
„Sag ihm, dass…“, Tai brach abrupt. Er ließ fast das Telefon fallen, als er unter den Café-Gästen plötzlich ein, ihm nur zu gut bekanntes Gesicht entdeckte.
„Tai? Tai? Tai, was ist los?!“, drang Matts stimme aufgeregt aus dem Handy.
Tai sah erschrocken auf das Gerät und hielt es sich rasch wieder ans Ohr. „Ich- Wir reden, wenn ich da bin. Ich muss jetzt… bis später“, er schaltete das Handy rasch ab, ohne auf Matts Antwort zu warten und ließ es in seine Jackentasche gleiten.
Dann ging er geradewegs auf die Person zu, die er trotz des eigentlich unscheinbaren Äußeren, unter tausenden wiedererkannt hätte.
Seine Schritte wurden immer schneller und trotzdem kam er nicht schneller an sein Ziel. Mit jedem Schritt verstärkte sich dabei, das langsam aufkommende, schmerzende Gefühl in seinem Magen. Ein widerliches Ziehen und Stechen, als würde ihn jemand mit einem Messer attackieren.
„Was willst du hier?!“, fragte er unfreundlich und ohne ein Wort des Grußes zu verlieren.
Dean wandte sich erschrocken zu ihm um. Als er Tai erkannte, wich der erschrockene Ausdruck aus seinem Gesicht. Er lächelte kurz. Dann wich auch das. Er spürte zu deutlich Tais eisigen Blick auf sich liegen.
„Ich bin nicht wegen Yamato hier“, stellte er deshalb sofort klar.
„Ah…“, entgegnete Tai ehrlich überrascht und ein bisschen verdattert.
„Ich hab ein paar Jobs ergattern können. Weihnachtszeit eben, da wird immer mal jemand gesucht“, erklärte Dean und deutete mit dem Daumen hinter sich, auf den wuchtigen Gitarrenkoffer, den Tai erst jetzt bemerkte.
Er wurde ein bisschen rot um die Wangen. Und sofort tat es ihm leid, dass er gleich so über Dean hergefallen war. Er wusste selbst nicht mal, woher dieser plötzliche Anflug von Wut auf den Brünetten hergekommen war… es war doch alles geklärt und in Ordnung, Matt war mit ihm zusammen, nicht mit Dean. Und das würde der auch nicht mehr ändern können… oder?
„Es tut mir Leid“, entschuldigte sich Tai.
Dean winkte ab. „Vergiss es einfach.“
„Danke…“
Dean wollte sich schon wieder von Tai abwenden, hielt dann aber noch einmal inne. „Wie geht es ihm?“
„Gut“, sagte Tai automatisch und erkannte sofort die Lüge darin. Dean allerdings nicht. Er lächelte erleichtert.
„Das freut mich.“
„Eigentlich… stimmt das gar nicht“, gestand Tai.
Dean sah ihn fragend an. „Wie meinst du das?“
Tai seufzte schwer, fuhr sich überfordert durchs Haar. „Ich glaube, es geht ihm nicht so gut und… er vermisst dich.“
Der Brünette wirkte besorgt und Tai hatte das Gefühl, Dean wäre am liebsten aufgesprungen, um sofort nach Matt zu sehen. Doch er beherrschte sich, zwang sich selbst zur Ruhe. „Er hat jetzt dich. Er wird… darüber hinwegkommen. Du kümmerst dich doch gut um ihn, nicht wahr?“
Tai nickte.
„Gut. Es… geht ihm sicher bald besser“, sagte Dean. Es hatte mehr den Anschein, als würde er versuchen sich selbst damit zu beruhigen, als Tai. Es war mehr, als offensichtlich, dass er sich wahnsinnig um den Blonden sorgte. Als er dann endgültig gehen wollte, hielt Tai ihn zurück, indem er ihn fest am Arm packte.
Dean sah ihn fragend an.
„Ich kann kaum fassen, dass ich das jetzt sage“, begann Tai leise. „Aber… bitte, bitte melde dich bei ihm. Er braucht dich. Er glaubt immer noch, du würdest ihn hassen.“
Dean betrachtete ihn eine Weile stumm, dann entwand er sich ihm und ging einfach. Tai sah ihm fassungslos nach.
„Möchtest du jetzt was trinken?“
Kopfschütteln.
„Erzählst du mir, was passiert ist?“
Wieder Kopfschütteln.
Matt fühlte sich sichtlich überfordert. Es war nun inzwischen fast eine Stunde her, dass Yuri bei ihm war und keinen Laut von sich gab. Selbst, als er vor einer Stunde bei ihm aufgetaucht war, hatte er schweigend vor der Haustür gestanden und eher stumm um Einlass gebeten. Matt fragte sich immer noch, warum Yuri ausgerechnet zu ihm und nicht zu Tai gekommen war. Tai… der wollte auch schon seit einer halben Stunde da sein. Matt konnte nur hoffen, dass er bald kam. Er wusste nämlich wirklich nicht mehr, was er mit Yuri machen sollte. Der Schwarzhaarige saß tonlos auf dem Boden. Matts Vorschlag sich auf die Couch zu setzten, hatte er entweder nicht bemerkt oder er wollte sich schlicht nicht bequemer hinsetzten.
Unentschlossen ging Matt in die Küche und Sekunden später wieder zurück ins Wohnzimmer. Er wusste nicht, ob es gut war, Yuri in dem Zustand alleine zu lassen. Eigentlich wusste er überhaupt nichts. Vor allem nicht, wie er jetzt mit ihm umgehen sollte.
Es war ihm noch nie leicht gefallen, jemanden zu trösten oder über Gefühle zu sprechen. Außerdem wusste er nicht, ob er Yuri direkt auf Toshi ansprechen, über etwas vollkommen anderes reden oder einfach warten sollte, bis Yuri von selbst etwas sagte.
Als es dann klingelte, sprang Matt fast schon erleichtert auf und rannte mehr, als das er ging zur Tür. Kaum, dass er Tai die Tür geöffnet hatte, fiel er seinem Freund auch schon in die Arme. Tai staunte nicht schlecht und streichelte ihm sanft über den Rücken.
„Seit wann bist du denn so verschmust?“, lachte er. „Sag mir nicht, das hat mit letzter Nacht zu tun?“
Matt wurde um einige Nuancen röter um die Wangen herum und verbarg sein Gesicht rasch in Tais Halsbeuge. „Ich bin einfach froh, dass du da bist“, nuschelte er.
Tai lächelte glücklich. „Ich hoffe du begrüßt mich ab jetzt öfter so.“
Sie blieben eine ganze Weile so im Eingang stehen. Sie hatten nicht einmal die Haustür geschlossen. Erst, als Matt sich sicher war, nicht mehr einer Tomate zu gleichen, ließ er langsam von Tai ab und bedeutete ihn ihm ins Wohnzimmer zu folgen.
Dort fanden sie Yuri genauso, wie Matt ihn verlassen hatte.
„Was hat Toshi zu dir gesagt?“, fragte Tai geradeheraus.
Für diese Unsensible Frage, hätte Matt ihm am liebsten gegen das Bein getreten. Hätte er ihm in einer solchen Situation so eine Frage gestellt, wäre er vermutlich aufgesprungen, hätte ihn angeschrien und wäre anschließend weggerannt.
Yuri hob gerad einmal den Kopf und sah mehr durch Tai hindurch, als dass er ihn ansah. Ein wenig unsicher ging Tai schließlich auf ihn zu, kniete sich neben und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter.
„Was ist denn passiert?“
Yuri ließ sich seufzend gegen das Sofa sinken und starrte an die weiße Decke. „Er will mich nicht…“, nuschelte er leise.
„Das tut mir Leid“, sagte Matt sanft und setzte sich neben ihn auf den Boden.
„Du kannst ja nichts dafür“, entgegnete Yuri. „Weiß sowieso nicht, warum ich mir da überhaupt Hoffnungen gemacht habe.“
„Wie hat er denn auf dein Geständnis reagiert?“, fragte Matt vorsichtig.
„Eigentlich hab ich ihm gar nichts gestanden… er hatte schon vorher so einen Verdacht. Er hat die dämliche Servierte gefunden“, erklärte Yuri und Matt verstand nur Bahnhof.
„Die auf der du die ganze Zeit im Café gemalt hast?“, fragte Tai erstaunt.
„Ja… ich hatte sie unterwegs weggeworfen, er muss sie auf dem Nachhauseweg gefunden habe. Keine Ahnung.“
„Und wieso, wusste er wegen einer Serviette, was los war?“, wollte Matt wissen. Er verstand immer noch nicht, was es mit dem Ding auf sich hatte.
Yuri schloss die Augen und Matt glaubte einen Rotschimmer auf seinen Wangen erkennen zu können. „Ich hab mich wie ein verliebtes Schulmädchen benommen und kleine Herzen drauf gemalt in denen `Y + T´ stand und in der Innenseite ganz deutlich `Yuri + Toshi´. Frag mich bitte nicht, wieso ich so dummes Zeug mache. Ich weiß es selbst nicht und würde mich am liebsten dafür erschießen.“
„Was hat er dazu gesagt?“, traute Tai sich zu fragen.
Yuri seufzte. „Als er mich eingeholt hatte, hat er mich ein paar Mal gefragt, was los ist. Ich hab es ihm natürlich nicht gesagt und dann hat er mir plötzlich die Serviette unter die Nase gehalten… Ich bin fast gestorben, als ich das blöde Ding in seiner Hand sah.“
Aus einem Impuls heraus, berührte Matt seinen Arm. Er wusste nicht, was er sagen oder fragen sollte. Nur, dass der Schwarzhaarige ihm wahnsinnig leid tat.
Yuri lächelte, hauchte ein leises „Danke.“
„Ich hab die blöde Serviette angestarrt und er hat plötzlich angefangen mich mit tausend Fragen zu bombardieren. Dann war er plötzlich ganz still. Und dann hat er gefragt… ob ich… ob ich in ihn verliebt bin.“
„Was hast du geantwortet?“
„Am liebsten hätte ich es abgestritten. Aber bevor ich groß darüber nachdenken konnte, hatte ich es schon zugegeben… dabei wollte ich das gar nicht. Ist einfach so passiert. Dann hat er mich angesehen. So lange, dass es fast schon gruselig war. Und dann hat er mich plötzlich in den Arm genommen… irgendwie hab ich mir in dem Moment wirklich einbildet, dass es, wie in einem dieser kitschigen Liebesfilme endet und er mir gesteht, dass er auch schon seit Jahren in mich verliebt ist, sich aber nie getraut hat, es mir zu sagen.“
„Aber das hat er nicht?“, fragte Matt leise. Aufrichtiges Mitleid klang in seiner Stimme mit.
Tai wollte Yuri umarmen, doch der schob ihn sanft aber bestimmt weg. Wenigstens ein bisschen Stolz wollte er sich noch erhalten. „Nein… leider, leider nicht. Er hat gesagt, es würde ihm sehr leid tun, aber er empfinde nichts für mich…“
„Aber-“
„Er meinte wir könnten doch zu den anderen zurück gehen, oder einfach ne Weile spazieren gehen und ein bisschen Reden. Ich hab ihn – wahrscheinlich etwas zu laut und aufgebracht – gefragt, was es da bitteschön noch zu bereden gäbe. Dann bin schon zum zweiten Mal vor ihm weggerannt. Ich bin nach Hause und hab mich in meine Zimmer eingeschlossen… er ist mir ja tatsächlich gefolgt. Meine Mutter hat richtig getobt, als ich die Tür nicht aufmachen wollte, obwohl, doch Besuch für mich da sei… Irgendwann ist Toshi dann gegangen…“ Er wehrte sich diesmal nicht dagegen, als Tai erneut versuchte ihn zu umarmen.
„Du… findest einen besseren“, meinte Tai schließlich vorsichtig.
„Soll das ein Scherz sein? Er ist schon der Beste.“
Tai sah hilfesuchend zu Matt, doch der schüttelte nur den Kopf und formte stumm die Worte „Lass ihn erst mal in Ruhe…“
Matts Zunge glitt um das harte Etwas in seinem Mund, er befeuchtete es und saugte daran.
„Wie schmeckt es?“, fragte Tai nervös.
„Hn“, machte Matt, da er so nicht sprechen konnte.
„So schlimm?“
Matt schüttelte sachte den Kopf und gab so etwas, wie ein „Nein“ von sich.
Tai musterte ihn kritisch. „Wenn es nicht so schlimm ist, wieso schluckst du es dann nicht endlich runter?“
Matt zog es aus seinem Mund, um besser sprechen zu können. „Ich will den angenehmen Geschmack noch eine Weile… genießen.“
Tai zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Ihm zu liebe steckte Matt sich das backsteinharte Plätzchen wieder in den Mund und versuchte es mit seinem Speichel weich genug zu bekommen, um sich keinen Zahn daran auszubeißen.
Aus dem Augenwinkel heraus konnte er erkennen, wie Tais Mutter den Teller mit Tais Plätzchen auf dem Tisch, gegen einen anderen austauschte. Sie fing Matts Blick auf, zwinkerte ihm kurz zu und schlich dann wieder hinter den Küchentresen, um das Geschirr zu spülen, das von dem üppigen Mittagessen herrührte, das sie aufgetischt hatte. Noch nie in seinem Leben hatte Matt so viel auf einmal gegessen, wie ein an diesem Mittag. Doch Frau Yagami hatte niemanden vom Tisch aufstehen lassen, ehe nicht alles aufgegessen war.
„Ich hab mich ganz genau, an das Rezept gehalten“, beteuerte Tai und ließ sich dramatisch auf einen der Küchenstühle fallen. Während Matt weiter versuchte, das Plätzchen herunter zu würgen, kam Kari in die Küche und ließ sich gegenüber ihrem Bruder am Küchentisch nieder. Sie hatte einige Flyer dabei.
„Also unter ´genau ans Rezept halten´, verstehe ich aber etwas anderes, als 100 Gramm Salz in einen Teig zu schütten, in den eigentlich nur eine Prise rein sollte. Und weißt du Teelöffel sind die kleinen, nicht die großen, mit denen man Suppe isst“, erklärte Kari.
Tai warf sich frustriert mit dem Oberkörper auf die Tischplatte und fluchte leise vor sich hin. Kari ignorierte es und studierte stattdessen die Flyer, die sie sich mitgebracht hatte. Tais Blick fiel auf das Dutzend Papiere. Darunter auch ein Programmblatt für Live Musik im Einkaufszentrum und auf dem Marktplatz. Tai überflog es eilig und entdeckte erschrocken Deans Namen darauf.
Sofort begann sein Herz unnatürlich laut und stark gegen seine Brust zu hämmern. Er hatte Matt noch gar nicht erzählt, dass er Dean getroffen hatte! Und bisher hatte sich der Musiker auch noch nicht bei Matt gemeldet. Tai bereute es ohnehin schon längst, ihn überhaupt darum gebeten zu haben.
Seine Gedanken überschlugen sich. Matt durfte auf keinen Fall wissen, dass Dean hier war. Zumindest nicht, bevor er mit ihm darüber gesprochen hatte! Er streckte die Hand aus, um sich den Flyer zu schnappen, als Kari ihn bereits hatte und ihn fleißig studierte.
„Oh toll, Live Musik“, stellte sie fest und begann einen Interpreten nach dem anderen vorzulesen und zu allem Übel wurde Matt auch noch hellhörig.
Tai biss sich fest auf die Unterlippe. Ihm musste irgendwas einfallen, um Kari davon abzuhalten oder- Er sprang abrupt, umfasste Matts Arm und versuchte ihn mit sich zu ziehen.
„Tai, was-“
„Es ist so wunderschönes Wetter, lass uns nach draußen gehen“, meinte Tai eilig und versuchte Matt aus der Küche zu lotsen.
„Wunderschönes Wetter?! Es ist saukalt draußen!“, wiedersprach der Blonde.
„Ach komm, ein bisschen Kälte hat noch niemanden umgebracht.“
„Also eigentlich sind schon eine ganze Menge Menschen der Kälte zum Opfer gefallen und erfroren“, entgegnete Kari und legte, wie Tai erleichtert feststellte, den Zettel weg und legte die Flyer dann alle samt auf den Küchentresen.
„Macht nichts. Ich hab es mir sowieso anders überlegt, bleiben wir hier.“
Matt musterte ihn äußerst verwirrt und skeptisch. „Was ist denn mit dir los?“
„Nichts, es ist nur… Winter, Weihnachten, diese ganten Gewürzgerüche, die in der Luft liegen… da drehe ich eben ab und zu ein bisschen durch“, erklärte Tai sein Verhalten.
Er bemerkte Matts misstrauischen Blick. Sein Freund glaubte nicht. Und wenn er ehrlich war, hätte er sich selbst kein Wort davon geglaubt.
„Ich erkläre es dir nachher“, sagte er so leise, dass es nur Matt hören konnte.
„Ist irgendwas passiert?“, fragte Matt sofort alarmiert.
„So… so ähnlich. Ich kann es dir hier nicht sagen“, entgegnete Tai.
„Vielleicht ist ein bisschen frische Luft ja doch nicht so verkehrt.“
„Erst ist also wirklich in Odaiba?“
Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage. Dennoch nickte Tai bestätigend, während sie durch den Park liefen. Er hatte Matt die ganze Geschichte erzählt.
Der Blonde atmete hörbar aus.
Er schien nicht recht zu wissen, was er sagen oder wie er reagieren sollte. Und tatsächlich wühlte Matt diese Nachricht ganz schön auf. Dean so nahe bei sich zu wissen… im Grunde genommen konnte er ihm jeden Moment begegnen.
„Wirst du mit ihm reden?“
Matt verneinte. „Ich kann nicht.“
„Nicht, dass es mich nicht erleichtert würde… irgendwie zumindest, aber wieso kannst du nicht mit ihm reden?“
„Nach allem was passiert ist, geht das nicht. Ich wüsste ja nicht einmal, was ich zu ihm sagen soll. Oder… wie ich mich für das alles entschuldigen kann.“
„Ich glaube nicht, dass er böse auf dich ist, Yama. Er machte eher den Eindruck, als würde er sich sehr um die sorgen.“
„Er zeigt es nur nie. Er würde mir das wahrscheinlich auch nie ins Gesicht sagen, aber ich weiß, dass er mich wegen dem, was ich getan habe hasst. Und das ist auch sein Gutes Recht, aber…“
„Aber?“
Matt schüttelte den Kopf. „Vielleicht schaffe ich es ihm aus dem Weg zu gehen, solange er hier ist…“
„Du kannst deinen Problemen nicht ewig davon rennen. Du musst dich ihnen irgendwann stellen“, sagte Tai vorsichtig.
Es fiel ihm schwer Matt auch noch dazu zu ermutigen, sich mit Dean auszusprechen. Er wusste, dass das für beide sehr schwer, aber auch wichtig war. Matt würde nicht eher zur Ruhe kommen. Und trotzdem… am liebsten würde er Matt selbst irgendwo einsperren und von Dean fernhalten. Diese Gedanken waren unsinnig und eigentlich gab es auch keinen Grund mehr, auf Dean eifersüchtig zu sein und diese Angst zu haben, Matt zu verlieren… also warum war es so? Dean war doch eigentlich ganz nett. Hätten sie sich unter anderem Umständen kennengelernt, wären sie sicher gute Freunde.
„Ich weiß…“, entgegnete Matt schließlich nach einer Weile des Schweigens. „Ich möchte ja auch mit ihm reden, es ist nur so… schwer. Und ich weiß nicht, ob ich ihm je wieder in die Augen sehen
kann.“
„Das wird schon wieder“, meinte Tai aufmunternd. „Wir bekommen das alles schon in den Griff.“
„…erinnerst du dich noch an deinen Vorschlag in die Schweiz auszuwandern?“, fragte Matt plötzlich.
„Du willst wegen Dean in die Schweiz auswandern?“, wiederholte Tai leicht amüsiert. „Findest du das nicht ein klein wenig übertrieben?“
„Nicht wegen Dean“, widersprach Matt.
Er dachte an den Anruf. Er hatte eigentlich gehofft, es verdrängen zu können. Aber es gelang ihm nicht.
„Wegen wem dann?“, fragte Tai verwirrt.
„Wegen meiner Mutter.“
Der Braunhaarige sah ihn sprachlos an. „Wegen deiner Mutter?“
„Sie will über Neujahr herkommen, ich… ich will sie nicht sehen.“