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Der Apfel Kurzgeschichte, Kurzprosa, Liebe, Prosa

Autor:  Lunatik
Es war der letzte Sommermonat, die Luft war heiß und schwül. Ich saß am Einzeltisch am Fenster und betrachtete den Apfelbaum davor. Die Worte des Dozenten rauschten an mir vorbei und waren nicht mehr als das Plätschern eines Baches. Die Hälfte der Anwesenden döste mit halb-geschlossenen Augen, überwältigt von den Temperaturen und der stickigen Luft im Raum. Der Apfelbaum im Hof war riesig und seine Äste erstreckten sich in alle Richtungen. Ein Ast verlief genau auf der Höhe des Fensters. Daran hing die erste Frucht des Sommers. Ein rötlich gelber Apfel. Es schien als müsste man die Hand ausstrecken und schon würde man ihn greifen können. Viele von uns wurden in Versuchung geführt, doch niemand schaffte es. Auch ich hatte meinen Arm in der Pause rausgestreckt, in der vergeblichen Hoffnung. Meine Arme waren nicht lang genug, es blieben einige Zentimeter bis zur Frucht. Ständig in meinem Blick und doch unerreichbar, bliebst du.
Die Sonne schien herein und wärmte meine Hand. Ich zog sie weg und legte meine Hände auf dem Schoß zusammen. Die Lichtstrahlen schafften es nicht bis zu meinem Herzen, dafür war das Fenster nicht breit genug. Stattdessen fühlte es sich an, als würde etwas in mir ziehen. Jemand schrie nach meiner Seele und ich schaute auf. Der Raum war still und schläfrig. Kein Eifer, keine Begeisterung. Es war nur Einbildung. Ich senkte meinen Blick nach unten und spürte meine Augen brennen. Ich erinnerte mich an das Lächeln. An den Klang meines eigenen Lachens bei einem Witz. An die hitzigen Diskussionen. Das Thermometer hatte viel mehr angezeigt als die Temperatur in der Vorhersage versprach. Doch das schien nun so weit entfernt. Viel mehr als nur einige Zentimeter. Ich blickte zum Apfel. Tag für Tag. Die Diskussionen verblassten, die Beteiligung im Zimmer sank. Es blieb nichts mehr übrig außer dem rinnenden Wasser.
Der Sommer ging vorüber und die Außentemperatur näherte sich der meines Herzens an. Die Vögel zogen davon. Der Apfel fiel vom Baum. Niemand sah danach, niemand interessierte sich mehr dafür. Jeder verließ den Raum. Manche sagten sich auf Wiedersehen, manche Lebe wohl. Der Apfel faulte auf dem Boden.
Hätte ich dich doch erreicht! Hätte ich mich doch mehr vorgelehnt, mich mehr getraut. Hätte ich dich doch berührt. Vielleicht hättest du mich dann anders angesehen? Vielleicht wären deine Worte dann nicht zu einem Rauschen geworden? Vielleicht...
Doch nun ist Winter und ich gehe. Hinter mir führt eine einsame Spur durch den Schnee.


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