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Anime Evolution: Erweitert

Zweite Staffel
von

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Episode sechs

1.

Noch ein Tag. Noch ein läppischer Tag, und die AURORA würde mit ihren Begleitschiffen aufbrechen, um die Jupiterbahn zu erreichen. Der Flug würde zwei knappe Wochen dauern. Von dort würden wir nach Alpha Centauri springen, einem Doppelsternsystem, das etwas über vier Lichtjahre von der Erde entfernt war. Die Anelph hatten es ebenfalls als Station genutzt, um die Erde zu erreichen und uns versichert, dass es sicher war.

Abgesehen von sieben Planeten, drei davon Gasriesen, die anderen drei Eisblöcke oder Gluthöllen, gab es dort nichts von Interesse, nicht für die Naguad.

Doch dies würde nur die erste Etappe sein. Nach und nach würden wir uns die Systeme vorarbeiten, bis wir die Heimat der Anelph erreichten. Vorsichtig. Langsam. Schritt für Schritt. Es würde Zeit brauchen. Es würde Langeweile bedeuten. Aber jeder Tag in Langeweile bedeutete einen Tag, an dem wir ohne die Schrecken des Krieges auskamen. Ich würde für jeden einzelnen dankbar sein, selbst wenn ich lautstark nörgeln sollte.
 

"Akira. Was machst du denn für ein Gesicht?" Megumi ergriff meinen rechten Arm und hielt mich fest. Gemeinsam blieben wir stehen. "Bedrückt dich etwas? Ich meine mehr als sonst?"

"Ach, lass ihn doch", murmelte Yoshi und unterdrückte ein Grinsen. "Er ist einfach noch sauer."

"Bin ich nicht!", blaffte ich ärgerlich.

"Und warum stampfst du dann hier rum wie ein schlecht gelaunter Elefant?" Megumi versetzte mir mit dem Ellenbogen einen Hieb in die Seite. "Dies ist ein Fest. Genieße es doch."

Kurz ließ ich meinen Blick über die Szenerie schweifen. Unser Viertel stellte sich vor und hatte deswegen ein Straßenfest organisiert. Da sehr viele Japaner in der Gegend hier wohnten hatten sich die Anwohner für ein traditionelles Straßenfest entschieden mit Kirmesbuden, japanischen Köstlichkeiten, Feuerwerk und traditionellen Künsten.

Ich hatte sogar schon ein paar verrückte Europäer gesehen, die in Samurai-Rüstungen herum liefen. Der Gedanke brachte mich zum grinsen.

"Siehst du. So gefällst du mir schon besser. Kannst du so bleiben? Sagen wir, den Rest des Abends?"

Ich sah Megumi an und schüttelte ernst den Kopf. "Nein, kann ich nicht. Und ja, ich bin doch sauer."

"Wusste ich es doch", brummte Yoshi belustigt. Er blieb an einem Stand stehen um sich eine Portion Natto zu kaufen.

"Du hast gut lachen! Du musst es ja nicht machen!", rief ich ihm hinterher.

Doch mein bester Freund grinste nur und machte eine ziemlich vulgäre Geste, die er den Amerikanern abgeschaut haben musste.
 

"Akira-chan!" Auf meiner Schulter landete ein Fuchs in einem Yukata.

"Kitsune?"

"Akira-chan. Ich habe es schon gehört. Will Eikichi-tono dich umbringen, oder was? Warum musst du denn nur wieder die Schulbank drücken?"

Ärgerlich starrte ich zu Boden. "Die Unterlagen meines Fernstudiums sind abhanden gekommen", brummte ich. "Ich habe keinen einzigen Beweis mehr für meinen Oberstufenabschluss. Und Vater ist nun mal der festen Meinung, dass nur jemand mit der Qualifikation für eine Universität eine Division befehligen sollte."

"Aber du hast doch deinen Abschluss gemacht!", klagte Kitsune und versuchte verzweifelt, auf meiner Schulter Halt zu finden, um nicht wieder herab zu rutschen. Ich griff ihr in den Kragen ihres niedlichen kleinen Yukatas und setzte sie richtig auf meine Schulter.

"Du hast doch deinen Abschluss gemacht?"

Ich spürte wie ich rot wurde. "Natürlich habe ich ihn gemacht", brummte ich ernst. "Ich war sogar wegen der Prüfung auf der Erde. Aber der Name auf meinen Unterlagen lautete John Takei. Und als sie dann zugeschickt werden sollten und ich mich wieder Akira Otomo nannte, da..."

"Ist das die ganze Wahrheit oder hast du es etwa doch nicht geschafft? Oder einfach noch gar nicht angefangen?", hakte Kitsune nach.

Ich warf ihr einen bösen Blick zu.

Erschrocken rutschte die Füchsin beinahe von meiner Schulter. "Aaah. Tut mir Leid, Akira-chan. Tut mir Leid."

"Ist schon in Ordnung. Megumi hat mich damit auch schon genervt", brummte ich und warf meiner Freundin ebenfalls einen wütenden Blick zu.

"So? Ich nerve also? Wenn das deine Meinung ist, Akira, dann...", begann sie, senkte den Kopf und ging schnell ein paar Schritte vor.

Ich ergriff ihren Arm und hielt sie fest. "So habe ich das doch gar nicht gemeint, Megumi. Megumi-chan. Du weißt doch, dass ich dir nie Vorwürfe machen würde."

Sie sah zurück und grinste mich an. "Schön, das zu hören, Akira. Kitsune-chan, da hinten sind Yohko und Akari. Wollen wir da hin?"

"Supi!", rief die über zweitausend Jahre alte Fuchsdämonin und sprang von meiner Schulter zu Boden. Dort verwandelte sie sich in die niedliche rothaarige Menschenfrau, als die sie normalerweise auftrat und ging mit Megumi zu den anderen beiden Mädchen.
 

Yoshi tauchte neben mir auf, während er sich die klebrigen Fäden und die Sojabohnen des Natto einverleibte. "Junge, Junge. Du stehst ganz schön unter dem Pantoffel, Akira. Sieh nur zu, dass das auf dein Privatleben beschränkt bleibt. Ansonsten kannst du ihr deine Division auch gleich übergeben."

Ich zuckte mit den Schultern. "Ich lasse ihr ne lange Leine. Sie wird schon merken, wenn ich dran ziehe."

Yoshi schluckte hart neben mir, als sich Megumi umwandte, um uns beide zu fixieren. Seltsam. Sie war definitiv außer Hörweite gewesen. Das musste ein Zufall sein.

Ich lächelte zu ihr herüber und winkte, sie begann auch zu lächeln und winkte zurück.

Neben mir atmete Yoshi hörbar aus. "Junge, Junge, für ne Sekunde dachte ich, die frisst dich und mich gleich mit, nur weil ich daneben stehe."

"Halb so wild, halb so wild. Sie weiß es noch nicht, aber in unserer Beziehung habe ich das Kommando", brummte ich ernst.

"Phh. Die Wetten in Makotos Pool stehen jedenfalls vier zu anderthalb gegen dich, Akira", murmelte Yoshi und stopfte sich noch eine Fuhre Natto in den Mund.

Ich für meinen Teil würde mir nachher lieber eine Schüssel Ramen mit Krabben und Eiern kaufen.

"So. Makoto wettet schon wieder. Aber diesmal scheint er die Quoten falsch gesetzt zu haben." Ich schmunzelte amüsiert. "Er wird schon noch sehen, wer härter ist: Ich oder Megumi."

"Was soll's, bei der Quote habe ich natürlich auf den Außenseiter gesetzt", sagte Yoshi und gab mir einen derben Klaps auf den Rücken. "Also streng dich gefälligst an und verlier nicht. Auch Natto?"

Angewidert wandte ich mich ab. "Bleib mir mit deinen Pilzfäden vom Leib. Ich kann mich auch mit Sake vergiften."

Yoshi runzelte die Stirn. "Sicher, dass du Japaner bist?"

"Was hat das denn mit Natto zu tun?", erwiderte ich wütend. "Aber wo du es ansprichst, nein, ein Viertel von mir ist Europäer. Reicht das, um kein Natto essen zu müssen?"

"Eigentlich nicht. Denn was du dir alles an Sushi reinpumpst geht ja auf keine Kuhhaut."
 

In einer freundschaftlichen Geste legte er mir einen Arm um die Schulter. "Gehen wir einen Sake trinken, eh? Und nebenbei, mein alter Freund, hast du wirklich deinen Oberstufenabschluss gemacht oder hast du das nur erzählt?"

Ich griente ihn an. "Was denkst du denn?"

Für einen Moment war Yoshi sprachlos. "Du hast gelogen? Eiskalt gelogen? Wow. Du hast also auch eine dunkle Seite, Akira."

"Natürlich habe ich eine dunkle Seite. War vielleicht ein Fehler zu glauben, ich würde damit durch kommen. Na, wenigstens habe ich eine gut konstruierte Ausrede. Aber wieder die Schulbank drücken zu müssen nervt. Den ganzen Kram lernen und so, nebenbei die ganze Division führen, das wird anstrengend."

"Aber, aber. Du hast doch noch uns, deine treuen Offiziere. Außerdem hast du einen eigenen Stab. Schon vergessen? Die betteln alle um Arbeit."

"So kann man es auch sehen", murmelte ich. "Außerdem muß ich mir ja nur den Stoff erarbeiten, den ich für die Prüfung brauche. Wie lange kann das dauern? Ein Jahr? Ein Halbes?"

"Mindestens ein Jahr. Selbst für ein Genie wie dich, Kumpel." Yoshi zwinkerte mir zu und zog mich zu einem Getränkestand. "Zwei Sake. Der hier bezahlt. Nicht wahr?"

"Erpresst du mich hier etwa, mein Freund?", tadelte ich ihn.

Yoshi grinste mich an. "Aber, aber. Als Divisionskommandeur hast du einfach einen besseren Sold als ich. Ist es verkehrt, wenn man darauf hinweist, Commander, Sir?"

"Witzbold", brummte ich amüsiert und kaufte den Sake.
 

Wir saßen etwas abseits und beobachteten, wie die anderen mit Kenji und Eri zusammentrafen - und nun gemeinsam versuchten, aus einem Bottich Goldfische zu fischen. Das sollte angeblich Glück bringen.

Yoshi grinste mich an. "Es war ein langer Weg bis hierher."

"Ein sehr langer Weg", erwiderte ich und stieß mit ihm an. Die Portion war klein, aber wir wollten uns ja auch nicht betrinken. Es reichte aber durchaus dafür, um uns in sentimentale Stimmung zu versetzen.

"Ich weiß jetzt endlich warum Zeus seinen Eagle immer alleine gesteuert hat", brummte Yoshi und betrachtete seine Hände. "Dieses Gefühl, dieses absolute Gefühl, alles um einen herum zu erfassen, auf alles zugleich zu reagieren, die Bewegung des Mechas zu spüren, die Ziele anzuvisieren... Es ist phantastisch."

Ich grinste den Freund an. "Du beschreibst gerade wie es ist in einem Hawk zu sitzen, mein Freund." Mit einem Lächeln beobachtete ich Akari, wie sie siegreich einen Goldfisch in einer Plastiktüte in der Hand hielt. Neben ihr sah Yohko betreten zu Boden, in der Hand fünf Käscher mit Papierfläche, die für dieses Vergnügen benutzt wurden. "Aber ein Eagle ist... Größer, mächtiger, mehr Energie durchpulst ihn. Die Waffen erfordern eine ständige Nachjustierung. Während eines Gefechts ist dies für ein normales menschliches Gehirn, selbst wenn es einen Mecha steuern kann, einfach zuviel. Deshalb hat man sich dazu entschlossen, Pilot und Waffen zu trennen. Nie hat jemand damit gerechnet, dass es einen Menschen geben könnte, der beides schafft." Ich sah Yoshi an und zwinkerte. "Oder sogar zwei."
 

Missmutig erwiderte der Freund den Blick. "Hör bloß auf. Ich habe die letzten beiden Jahre dafür gebraucht, um so weit zu kommen. Selbst jetzt bin ich nur ein mittelmäßiger Pilot. Und da werde ich wohl auch stehen bleiben."

"Aber du bist der beste Schütze der Division und du hast überragende Fähigkeiten in der Menschenführung", konterte ich.

"Ja, weil ich ihnen mit dir drohe, wenn meine Leute einen Befehl nicht ausführen wollen", scherzte er.

Ich verdrehte die Augen. "Einen besseren Witz hast du nicht drauf?"

"Na, mit Yohko oder Megumi kann ich ihnen ja wirklich schlecht kommen. Manche Männer würden es nicht als Strafe auffassen, wenn..."

"Das geht jetzt vielleicht ein wenig in die falsche Richtung!", beeilte ich mich zu sagen. "Jedenfalls hast du sehr große Fortschritte gemacht und ich bin sehr stolz auf dich. Makoto hat neulich erst gesagt, dass er nur deshalb aus seinen Eagle geklettert ist, weil du ihn ersetzen kannst."

Yoshi sah zur Seite. "Ach, was Mako-chan immer redet."

"Sag mal, wirst du gerade rot?", neckte ich ihn.

"B-blödsinn", erwiderte Yoshi und versuchte mich nicht anzusehen.

"Hm. Steckt da vielleicht immer noch was in dir? So ein wenig Bewunderung für Makoto?"

Ich hatte vieles erwartet, aber nicht den klaren und leicht wehmütigen Blick, den Yoshi daraufhin in den Himmel richtete. "Natürlich ist da Bewunderung für Mako-chan. Immerhin liebe ich ihn."

Er bemerkte meinen entsetzten Blick und winkte ab. "Nicht so, Akira. Nicht so. Eher wie... Wie einen großen Bruder. Ja, großer Bruder. Auch wenn er kleiner ist als ich, er war lange Zeit mein Lehrer und Mentor und ich bin dankbar für jede Stunde, die er auch heute noch mit mir verbringt. Außerdem muß ich dir das doch nicht erzählen, oder? Du liebst ihn doch auch."

Ich nickte schwer. "Natürlich. Immerhin ist er Familie." Ich sah Yoshi ernst an. "Genauso wie du."

Der Freund schluckte schwer. "Danke", brachte er mühsam hervor.

Wir schwiegen daraufhin einige Zeit. In der übrigens Joan mit ihrer Band auftauchte, mit Mamoru und Gina im Schlepp. Himmel, das würde Akane aber gar nicht gerne sehen. Die Sache zwischen ihr und Mamoru schlug immerhin noch immer Funken und ich war mir nicht sicher, ob der Brand, der die beiden verbunden hatte, nicht erneut ausbrechen konnte.
 

"Denkst du manchmal noch daran?", fragte ich leise.

Yoshi warf mir einen schiefen Seitenblick zu. "Woran? Daran? Daran, dass uns dieser kleine superdeformte Teufel weisgemacht hat, wir wären in ein fiktives Universum versetzt worden?"

Woher wusste er das nur schon wieder? Ernst nickte ich.

Yoshi seufzte schwer. "Jeden Tag und jede Nacht. Ich wache manchmal auf und denke daran, wie ich mein anderes Leben verbracht habe. Ob das was Dai-Kuzo dir gesagt hat wahr ist oder ob drüben in der anderen Welt nicht mein Körper im Koma liegt. Aber ich erinnere mich an dieses Leben leider nur bis zu dem Punkt, an dem das Blondie mit dem Laptop aufgetaucht ist. Haben wir nicht eigentlich das Recht, alles über unsere alten Leben zu erfahren?

Und dann stehe ich manchmal irgendwo im Freien, zwirbele einen Grashalm und bete, bete laut und voll Inbrunst, dass all das wahr ist und wahr bleibt. Das ich dieses Leben nicht verliere. Das ich Yohko nicht verliere. Das wir beide nicht auseinander driften.

Denn ich liebe diesen Ort. Das Leben hier ist so schwer, so unsagbar schwer, aber jeder einzelne Tag, jedes Lachen eines unserer Freunde gleicht das doch aus. Je mehr Mühe ich in diesem Leben habe, desto mehr Freude erwartet mich.

Ich will hier nicht weg, Akira. Selbst wenn alles nur eine große Illusion ist. Hier gehöre ich her. Nicht weil ich hier mehr bin als in dem anderen Leben. Nein, weil mir die Menschen gefallen, die uns umgeben. Ich liebe sie, sie alle. Ich kann nicht ohne sie sein."

Er musterte mich amüsiert. "Akira, dein Kiefer."

Überrascht klappte ich ihn wieder zu. "Wow. Du hast gerade meine Gedanken und Gefühle in Worte gefasst."

Er lächelte schüchtern. "Manchmal frage ich mich, ob wir Kitsune oder Dai-Kuzo nicht fragen sollten, ob sie unsere Erinnerung an das alte Leben auslöschen kann."

"Aber dann erkennst du, dass es diese Erinnerung ist, die dein Leben hier geformt hat, die dich geformt hat. Das es erst der Schritt war, diese Welt zu akzeptieren und nicht mehr hergeben zu wollen, die dir das erste Mal wirklich bewusst gemacht hat zu leben", fügte ich leise an.

Yoshi starrte mich an wie einen Oni. "Du hast meine Gedanken und Gefühle gerade in Worte gefasst, Akira."

Ich winkte ab. "Wir haben uns anscheinend nur die gleichen Gedanken gemacht, hm?"

Wir wechselten einen stummen Blick voller Wissen und Verständnis. Wieder einmal erfuhr ich, warum Yoshi mein bester Freund war. Und warum ich der seine war.

Dieser Rückhalt, den ich nur bei ihm genoss, dieses Vertrauen war etwas sehr besonderes.
 

"Guten Abend, Division Commander Otomo", erklang hinter mir eine zuckersüße Stimme. Ich kannte diese Art von Stimmen. Entweder wollten sie etwas haben, oder sich an etwas weiden. Und so wie diese Stimme klang hatte sie vor, mich ausgiebig fertig zu machen und anschließend über meine erbärmlichen Reste zu lachen.

"Hallo, Kapitän", erwiderte ich ohne mich umzudrehen. Yoshi warf mir einen wissenden Blick zu und machte Anstalten sich zu erheben, aber ich winkte ab.

Ban Shee Ryon, Tochter von Admiral Ryon, dem Anführer der anelphschen Evakuierungsflotte kam um die Bank herum, auf der Yoshi und ich saßen und lächelte uns an.

Es war natürlich ein falsches Lächeln. Die Frau hatte mich echt gefressen und sie ließ keine Gelegenheit aus, um mich zu triezen. Nicht, dass mir das wirklich etwas ausgemacht hätte.

Ich hatte nicht viele Schwachstellen und bisher hatte die Anelph an keiner gerührt.

"Genießen Sie dieses schöne Straßenfest, Commander? Guten Abend, Major Futabe."

Yoshi erwiderte die Begrüßung mit einem Nicken. Und ich bemerkte verwundert, dass sie meinen besten Freund eher beiläufig beachtete, nicht wie einen meiner engsten Vertrauten und einen der Mitverantwortlichen bei der Enterung der Evakuierungsflotte ihres Volkes.

Anscheinend hasste sie nur mich.

"Ja, das tue ich. Es wird sicher noch mehr Gelegenheiten wie diese geben, aber wenn wir erst einmal im Einsatz sind, steigen die Chancen sie zu verpassen." Ich seufzte schwer.

"Aber, aber. Da zweifelt doch nicht etwa jemand an seinen Fähigkeiten?", tadelte die groß gewachsene Frau mit den braunen Haaren, zog dabei einen Schmollmund und winkte mit dem Zeigefinger, eine Geste, die sie uns Menschen abgeschaut hatte.

"Das würde ich nun nicht sagen. Eher, dass ich mir vorstellen kann, wie die Zukunft aussehen wird. Übrigens steht Ihnen Ihr Yukata ausgezeichnet", bemerkte ich mit Hinweis auf das mintgrüne Kleidungsstück, welches ihre schlanke Figur betonte und toll zu ihren Augen passte. Es war wirklich erstaunlich, wie sehr sich Anelph und Menschen ähnelten. Und dies nicht nur äußerlich.

"Das sagen Sie doch garantiert zu jeder Anelph im Yukata, Commander", antwortete sie, "falls Sie sie nicht gerade zum Schein vor ein Kriegsgericht zerren."
 

Yoshi wollte sich erheben, aber ich drückte ihn an der Schulter wieder auf die Bank zurück.

"Wie dem auch sei, Kapitän, ich gratuliere zu Ihrer Beförderung und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit. Da Ihr ZULU ZULU..." "BAKESCH, Commander." "Da Ihr BAKESCH das größte Schiff unserer Flotte mit der größten Mecha-Kapazität ist, werden wir wohl des Öfteren zusammen arbeiten."

"So wird es wohl sein. Falls Sie nicht gerade die Schulbank drücken müssen, Commander", flötete die Anelph süffisant und legte dann eine Hand auf den Mund, als hätte sie sich über ihre unbewusst ausgesprochenen Worte erschrocken.
 

Die Katze war aus dem Sack. Oder eben irgendein anderes kleines Anelph-Tier, welches den Part des halb domestizierten, putzigen Raubtiers übernehmen konnte.

"Ach ja, die Schule", erwiderte ich. "Davor graust mir schon. Ich werde mich tödlich langweilen wenn ich den ganzen Stoff, den ich schon beherrsche, noch mal durchkauen muß."

Für einen Moment verlor die Offizierin die Fassung. Durch ihr ewiges Dauerlächeln glitt kurz ihre wahre Stimmung. Ein wütendes Funkeln trat in ihre Augen und innerlich präparierte ich mich darauf, dass sie nun stärkeres Geschütz auffahren würde.

"Nun, hätte ein anderer dies gesagt als Akira Otomo, der legendäre Held beider Mars-Feldzüge, Zerstörer des Mars-Mondes Phobos und Eroberer der Anelph-Flotte, dann würde ich das natürlich für Angeberei halten. Aber bei Ihnen, Sir, da fällt es doch überhaupt nicht schwer zu glauben, dass Sie sich eigentlich nur noch das Abschlusszertifikat abholen müssen.

Anstatt wie alle anderen hart und ausdauernd dafür zu lernen und auf dieses schwierige Ziel kontinuierlich hinzuarbeiten.

Aber Sie sind auch in dieser Hinsicht Vorbild, nicht nur in Ihrer Rolle als Commander der Hekatoncheiren-Division. Ich bin sicher, die gut achttausend Kinder und Heranwachsenden im Schulalter an Bord der AURORA werden von Ihrer ehrlichen Leistung und Hingabe für die Schule inspiriert sein."

Ich schluckte hart. Wie konnte diese kleine tödlich beleidigte Anelph es wagen, mir durch die Blume so eine Gardinenpredigt zu halten? Und wie konnte sie es dann auch noch wagen, Recht zu haben?
 

Ban Shee spürte natürlich, dass sie getroffen hatte. Und sie schickte sich an, dem Hüllenbruch nachzuhelfen.

"Das reicht jetzt, Ban Shee."

Ich sah zur Seite und erkannte Kei Takahara, wie er auf uns zukam. Nun, zumindest vermutete ich, dass es Kei war, denn dieses unverhohlen zornige Gesicht und die Wut-Aura, die er vor sich her schob, machten eine Erkennung schwierig.

Ban Shee Ryon sah zur Seite und wurde bleich.

Kei indes trat näher heran und schien sie mit einem Abstand von einem Meter vor sich her zu schieben, bis sie mitten im Strom der Besucher standen, die ebenfalls auf das Straßenfest wollten. Längst nicht alle im Yukata, soviel Stoff würden unsere Fabriken nicht in einem Monat produzieren können. Aber doch ein paar hundert.

"Ich sehe mal davon ab, dass Sie gerade auf einem Freund herum hacken. Auf einem meiner besten Freunde, Kapitän.", begann Kei seinen Vortrag.

Er war einen halben Kopf kleiner als die schlanke Anelph, aber er schien mit jedem einzelnen Wort, dass er sprach zu wachsen. "Und auch einmal darauf abgesehen, dass der Kooperationsvertrag unserer beiden Völker als erstes die Unterschriften Ihres Vaters und die Akira Otomos ziert... Sie sprechen mit dem Mann, der bereits als Kind in Gefechten stand, die Sie nie erleben wollen. Er griff den Mars zweimal an, wie Sie richtig festgestellt haben. Er wurde entführt, sein Gehirn wurde partiell gelöscht, er musste aus dem Nichts wieder der beste Mecha-Pilot der Erde werden, um seine Familie, seine Freunde und eine ganze Welt zu schützen. Und er war es, der das Legat vernichtet hat. Was Ihr Volk gedankenlos und in Panik verursacht hat!"

Bei Keis letzten Worten schien es letztendlich so, als wäre er tatsächlich größer als seine Erste Offizierin. Sie sah kleinlaut zu ihm hoch, aber seinem wütenden Blick konnte sie nicht lange standhalten.
 

"Um es abzukürzen, Ban Shee, werde ich jeden weiteren verbalen Angriff auf Akira behandeln als würden Sie mich kritisieren. Und vergessen Sie nicht: Auf der Erde und dem Mars gibt es nicht nur willige Mecha-Piloten um Hekatoncheiren zu ersetzen. Auch einige sehr gute Erste Offiziere."

Die letzte Spitze saß. Erschrocken sah die Anelph ihren Kapitän an, rang sichtlich um Fassung.

Ich verstand in diesem Moment dass es sich hier nicht um die Fortsetzung der kleinen verbalen Rangelei im Backstagebereich von Joans Konzert handelte, dass es um weit mehr ging als darum, dass sie mich nicht mehr zu triezen versuchte.

Es ging auch darum, ultimativ darum, ob sie Kei wirklich als Vorgesetzten akzeptierte. Als Mann, dessen Befehle sie ausführte und nicht diskutierte.

In einem Gefecht vielleicht die Zehntelsekunde, die ein Schiff retten konnte.

Übergangslos straffte sich die junge Frau. "Ich habe verstanden, Commander."

Zufrieden nickte Kei. In einer freundschaftlichen Geste legte er eine Hand auf die Schulter der Anelph. "Ich will Ihre Freundschaft und Ihr Vertrauen, Ban Shee. Aber die kann ich nicht erreichen und akzeptieren, wenn Sie einen Mann sabotieren, den ich schätze wie keinen zweiten. Ich kann Vertrauen nicht subtrahieren. Nur addieren."

Die beiden tauschten einen langen Blick aus.

Dann endlich nickte die Anelph erneut. "Ja, Sir."

"Sagen Sie Kei zu mir, wenn wir nicht im Dienst sind, Ban Shee."

Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. "Ja, Kei."
 

Dies war der Moment, in dem ein Bann gebrochen zu sein schien. Die zwei lächelten sich an und ärgerlicherweise wusste ich plötzlich, dass sie nicht aufhören würde mich zu triezen. Es würde nur eine neue Qualität erreichen.

Aber das war es auch gar nicht, was Kei hatte erreichen wollen.

"Vielleicht trinken wir nachher mal was zusammen", bot Kei an.

"Ich bin gerade erst gekommen", erwiderte die Anelph. "Es gibt sicher die Gelegenheit dazu, Kei."

"Gut. Gehen Sie ruhig schon mal vor. Ich habe mit Akira noch etwas zu besprechen."

Ban Shee Ryon nickte, warf mir noch mal einen bösen Blick zu - obwohl er bei weitem nicht die Intensität ihrer üblichen bösen Blicke erreichte - und verschwand im Menschengewirr.

Kei seufzte tief und setzte sich neben mich.

"Sie hat aber Recht, Akira", sagte er betont leise. "Mit hingehen, Prüfung machen und wieder verschwinden ist es nicht getan. Vergiss nicht, wenn du in diese Schule gehst, wirst du mit Gleichaltrigen lernen. Du musst ihnen ein Vorbild sein. Sowohl was das lernen angeht als auch was deine sozialen Kontakte betrifft. Auf der AURORA ist es so leicht zum Außenseiter zu werden. Und bei weitem schlimmer als auf der Erde. Mach dich also nicht selbst zu einem und dulde es nicht bei anderen."

"Na danke", brummte ich unwirsch. "Ich wollte eigentlich nicht wirklich ein ganzes Jahr durchziehen."

"Da wirst du wohl nicht drum herum kommen. Hey, Sakura-chan! Tetsu-kun!" Yoshi erhob sich und winkte meiner Cousine und dem Kommandanten der AURORA zu.

Der ehemalige Ganganführer und die von der UEMF eingesetzte Expeditionsführerin gingen nebeneinander durch das Gewirr der Straßen.

Misstrauisch beäugte ich die Szene. "Ist es mit ihr und Thomas wirklich aus?", fragte ich ernst. "Ich meine, nichts gegen Tetsu. Er hat wirklich gute Arbeit geleistet und die LOS ANGELES hervorragend geführt. Und ich erwarte für die AURORA zumindest die gleiche Leistung. Aber..."

"Nur weil Thomas nicht an Bord ist heißt das noch lange nicht, dass Sakura nun auf Tetsu abfährt", erwiderte Yoshi burschikos. "Außerdem würde es mich nicht stören. Ich weiß ja, dass Tetsu ein feiner Kerl ist."

"Na, danke", seufzte ich und erhob mich. Kei stand ebenfalls auf und zusammen gingen wir auf die zwei zu.

"Da fällt mir ein, hat eigentlich schon jemand Mizuhara-sempai gesehen? Er soll seit einigen Tagen an Bord sein, aber ich habe ihn noch nicht beim Sparrow-Training gesehen."

"Woran du alles denkst", tadelte Kei. "Dies ist ein Fest. Hat das keinen Vorrang bei dir?"

Ich zuckte mit den Schultern. "Reine Vorsichtsmaßnahme. Bei Takashi weiß man eben nie, woran man ist. Wenn man sich nicht vorsieht, taucht er direkt hinter einem auf und..."

Ängstlich warf ich einen Blick hinter mich. Nein, dort lauerte kein Takashi Mizuhara, um mich wieder einmal in einen wirklich fiesen Doppelnelson zu nehmen.
 

Erleichtert sah ich wieder nach vorne, hatte zusammen mit Kei und Yoshi Sakura fast erreicht - und sah wieder nach hinten.

Tatsächlich, ich wurde verfolgt. Und das auch noch auf eine sehr plumpe Art und Weise, mit nur drei Schritt Abstand.

Ich wandte mich ganz um, was dazu führte, dass meine drei Verfolger - Verfolgerinnen, wohlgemerkt - abrupt stehen blieben.

"Ja, bitte?", fragte ich trocken.

Verlegen sahen die drei weg, bis sich die Mittlere ein Herz fasste. "Commander, ich bin..."

"Second Lieutenant Amanda Leary aus dem Briareos-Regiment. Ich hatte Ihre Akte auf meinem Tisch, weil Sie eine Abschusskandidat waren", stellte ich fest. Ich musterte die anderen beiden Frauen, aber bei ihnen klingelte es nicht gerade. Kannte ich sie überhaupt?

Die junge Frau senkte betroffen den Kopf. "Ja, Sir, das ist korrekt. Ich bin Leary. Sie haben mir gedroht, mir meine Sektion wegzunehmen und mich zurück zur Erde zu schicken. Ich... Ich war eine der Freiwilligen für den zweiten Marsangriff und habe die Endschlacht um Martian City auf meinem Hawk mitgemacht.

Nachdem ich so hoffnungsvoll zur AURORA und der Mission Troja aufgebrochen war, da war ich der festen Meinung, ich wäre bereits die Elite, die Sie sich für die Hekatoncheiren-Division erhofften. Ich dachte, ich stände an einem Platz, von dem aus es nur noch aufwärts geht.

Doch dann kam Ihr Tadel und ich war nahe daran, selbst meinen Rücktritt einzureichen. Ich, eine der besten Pilotinnen der Erde, nach Hause geschickt, nein, das war undenkbar.

Aber da war diese Übung, in der Sie alleine gegen alle Hekatoncheiren antraten und auch noch gewonnen haben. Da fragte ich mich, ob es richtig gewesen war, ob dieses Verhalten nicht eigensinnig gewesen war und im Ernstfall die ganze Mission gefährdet hätte.

Ich begann, darüber nachzudenken, und bevor ich mich versah, hatten Sie und ich die Plätze getauscht und ich hatte erkannt, dass ich mit meinem Verständnis von Elite selbst die Gefahr war. Das ich meine Leute und meine Division mit dieser Einstellung in Gefahr gebracht hätte."

Ich schwieg bestürzt. Ich hatte keine Offenbarung erwartet. Eher noch einen verbalen Angriff.

"Was ich sagen will", druckste sie verlegen und sah zur Seite, "ist, danke."
 

Ich legte eine Hand an meine Stirn und senkte den Blick. Übergangslos hatte ich Kopfschmerzen. Da war doch nicht etwa jemand heute freundlich zu mir?

"Was wollen Sie wirklich, Lieutenant? Nur sich bei mir bedanken, weil ich Sie wach gerüttelt habe?"

Wieder druckste die junge Frau verlegen. "Nein, auch, aber nicht nur. Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, haben wir das gleiche Alter, Commander Otomo und..."

Unwillkürlich erwartete ich, dass in diesem Moment Megumi aus der Menge aufschaute, ihre Augen in ein dämonisches Leuchten getaucht wurden und sie eine halbe Sekunde später an meinem Arm klebte, um ihr Revier zu markieren.

"Und?", fragte ich ernst.

"Und ich weiß, dass Sie wieder in die Schule müssen, weil etwas mit Ihrem Abschluss schief gelaufen ist. Ich... Ich bin direkt aus meiner Mittelschule zum Militär gekommen und von dort aus erst in die UEMF und dann in einen Hawk.

Ich meine, im Gegensatz zu Ihnen war ich nie auf der Oberstufe. Aber wenn Sie noch einmal die Schulbank drücken, ich meine, mit dem Tadel hatten Sie ja schon Recht, warum dann nicht auch mit der Schule? Ich werde auch wieder in die Schule gehen und mir meinen Abschluss holen.

Ich weiß nicht, ob ich so schnell sein werde wie Sie, Sir. Aber ich verspreche, dass meine Arbeit in der Hekatoncheiren-Division nicht darunter leiden wird."

Überrascht blinzelte ich zwischen den Fingern meiner Rechten hindurch. Na, das war doch mal eine Aussage.

"Das freut mich zu hören, Leary. Das bedeutet, wir sind wohl ab nächster Woche Schulkameraden. Kommen Sie auch ins letzte Jahr?"

Die junge Frau errötete. "Nun, ich versuche es im dritten Jahr. Aber ich bin nicht zu stolz, um notfalls ein Jahr zurück zu gehen und den ganzen Stoff noch mal aufzuarbeiten!"

Ich nahm die Hand ganz ab und sah in ihre großen, vor Entschlossenheit und Verlegenheit strahlenden Augen und musste lachen. Ich lachte einfach, laut und herzlich. War denn heute der Tag der Predigten? Und warum musste jede einzelne nur so verdammt gut sitzen?
 

Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, wischte ich mir ein paar Tränen von den Wangen und lächelte die Pilotin an. "Seien Sie unbesorgt, Leary, ich lache nicht über Sie. Ich lache über mich. Was war ich doch nur die ganze Zeit für ein Narr. Eine so wichtige Sache wie die Hochschulreife sollte man nur mit der gebotenen Ernsthaftigkeit in Angriff nehmen. So gesehen haben Sie meinen vollen Respekt für das Wagnis, dass Sie eingehen."

Ich reichte ihr die Hand. "Wollen wir beide unser Bestes geben?"

Die Hawk-Pilotin zögerte einen Moment, dann aber ergriff sie meine Hand mit beiden Händen und drückte sie. "Ja, Sir!", rief sie erleichtert und lachte dazu.

Ich schmunzelte. Und fühlte mich für einen Moment wirklich wohl. Hatte ich die Schule bisher als notwendiges Übel gesehen, dass ich auf meinem Weg zum Division Commander in Kauf nehmen musste, so war es nun anders geworden. War ich ein Vorbild? Ja. Und dieser Rolle musste ich gerecht werden. Sowohl für die Hekatoncheiren als auch für die Schüler der Fushida Schule. Und für die anderen Soldaten und Zivilisten an Bord der AURORA.

Hatte ich das gewollt? Hatte ich irgendetwas davon gewollt? Nun, ich hatte mich freiwillig und aus vollem Herzen für diese Welt entschieden.
 

"Entschuldigen Sie, ich bin unhöflich. Ich habe gar nicht nach den Namen Ihrer Begleiterinnen gefragt, Lieutenant."

Die junge Frau errötete. "Das sind Private Adrian Leslie von Briareos First Head Third Arm und First Lieutenant Sascha Andropova von der Panzerabteilung. Sie gehören zu... Nun, meiner Klasse. Sie holen auf der AURORA ebenfalls ihre Abschlüsse nach."

"Das scheint ja eine lustige Truppe zu werden", erwiderte ich lächelnd. "Wäre vielleicht ganz nett, wenn ich auch in Ihre Klasse käme."

Übergangslos spürte ich eine bedrohliche Präsenz hinter mir und dachte unwillkürlich daran, Megumi könnte zurückgekehrt sein und meine Worte fehl interpretiert haben.

Aber als ich mich umwandte, sah ich in ein von blonden Haaren eingerahmtes, lächelndes Gesicht, dass sofort sämtliche Alarmanlagen in meinem Kopf in voller Lautstärke aufläuten ließ.

"Natürlich wird es eine lustige Truppe werden. Immerhin habe ich mich dazu entschlossen, einen Teil meiner spärlichen Freizeit zu opfern, um dich in deinem Bemühen zu lernen zu unterstützen, Akira-chan."

Ich spürte wie mir das Blut aus dem Kopf sackte und kaltes Grausen von meinem Magen ausgehend den ganzen Körper erfasste. "Das... ist gut, Sakura-chan", hauchte ich mit einer rauen Stimme, die ich kaum als meine eigene wieder erkannte.

Plötzlich hatte ich zwei Finger im Mund, die meine Mundwinkel schmerzhaft auseinander zogen. Auf Sakuras Stirn pochte eine große Ader und sie sah mich mit einem Blick an, wie er kaum mörderischer sein konnte. "Du weißt meine Bemühungen um deine Bildung und um deinen Abschluss hoffentlich zu schätzen, Akira-chan?"

"Gargl", machte ich.

Der wütende Blick verschwand und machte einem Lächeln Platz. "Gut. Da das geklärt ist, mein Lieblingscousin, können wir uns ja wieder dem Fest widmen. Und Sie, meine Damen", sagte Sakura in Richtung der drei jungen Frauen, "können sich schon mal auf meinen Unterricht freuen."

Aufgeregtes Raunen antwortete ihr.

"Ist irgendetwas?", fragte Sakura mit einem wirklich liebenswerten und gefährlichen Lächeln nach.

Alle drei hoben abwehrend die Hände und lächelten gequält. "Nein, nein, Sensei. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit", erwiderte Leary.

"Na dann ist ja gut."
 

Ich fühlte mich am Kragen meines Yukata ergriffen und davon geschleift.

"Das ist nun wirklich übertrieben, Sakura-chan", beschwerte ich mich, während ich mehr oder weniger hinter meiner Cousine herstolperte.

"Ist es nicht. Denn du wirst jetzt am Gesangswettbewerb teilnehmen, mein Lieblingscousin."

Ich startete sofort mit einer Fluchtreaktion. Scheiterte aber einerseits an Sakuras festem Griff und andererseits an Megumi, die mich abfing und nun ebenfalls begann, mich mitzuziehen.

Dazu lächelte die kleine Verräterin so süß, dass mir beinahe warm ums Herz geworden wäre, wenn sie mich nicht in meine persönliche Nemesis geführt hätte.

"Ich will nicht...", begehrte ich auf. Als Antwort verstärkte sich der Griff um meine Arme und zwei Hände begannen mich von hinten zu schieben.

"Ihr seid viel zu lasch. So muß man das machen", hörte ich Yoshi sagen. "Fünf Jahre Erfahrung darin, Akira zum Karaoke zu schleifen."

"Warum wollt Ihr mich nur alle dauernd zu diesem dämlichen Rumsingen schleifen?"

Die drei hielten an. Ich fühlte mich übergangslos von mehreren Dutzend Blicken fixiert.

Dann brach lautes Gelächter aus, das eindeutig auf meine Kosten ging.

"Ich glaube", japste Yoshi atemlos, "das hat er wirklich ernst gemeint."

Wieder wurde gelacht.

"Das war keine Antwort auf meine Frage", murrte ich.

**

"Der Sonnenuntergang ist wirklich schön", hauchte Megumi neben mir und sah mit mir dabei zu, wie die holographische Projektion auf der Backbordseite der AURORA über dem Serenity-Meer langsam versank. Dabei tauchte die Sonne das Meer und die Poseidon-Station in herrliches rotes Licht. Ein wirklich wundervoller Anblick.

Ich lächelte leicht, als sie ihren Kopf gegen meine Schulter sinken ließ. Diese Momente, diese wenigen Momente waren es, die unsere Beziehung so wundervoll machten. Die Momente alleine, ohne Freunde und Familie. Egal wie sehr ich die ganze Bande mochte, ja liebte, Zeit für mich und Megumi alleine gab es dabei viel zu selten - wenn man mal von nicht gerade wenig Zeit in der Nacht absah. Aber da hatten wir selten Gelegenheit, um still beieinander zu sitzen, ein wenig zu reden und einfach nur etwas Wunderschönes zu betrachten.
 

Über uns fuhr eine Rakete in den Himmel über der Stadt und zerplatzte in einer farbenfrohen Aureole. Dutzende folgten und tauchten den Himmel in rot, blau, gelb, grün und orange.

Das für den Abend versprochene Feuerwerk begann. Unwillkürlich zog ich Megumi noch enger zu mir heran. Wir hatten bestenfalls noch ein paar Minuten, bevor die anderen uns fanden - selbst hier oben auf einem Hausdach, drei Blöcke vom Straßenfest entfernt. Die wollte ich einfach nur mit ihr genießen.

"Wunderschön", hauchte sie neben mir.

"Ja, das ist ein tolles Feuerwerk", erwiderte ich.

"Ich meinte nicht das Feuerwerk", hauchte sie.

Überrascht sah ich sie an. "Das war eigentlich mein Text."

"Das hast du mir damals gesagt, auf dem Dach des Treppenhauses, weißt du noch? Ich bin vor dir weg gelaufen und du... Du hast dich neben mich auf dieses Dach gelegt und gesagt: Wunderschön. Damals wollte und konnte ich dir nicht glauben."

"Ja, ich musste erst sterben, damit du mir glaubst. Und damit ich selbst wirklich und wahrhaftig weiß, was ich für dich fühle."

Ich erwartete eine trotzige, eine wütende Reaktion auf meine Worte. Stattdessen sah sie mich nur mit feucht schimmernden Augen an und berührte meine Wangen mit beiden Händen. "Akira...", hauchte sie mit tränenschwangerer Stimme.

Ich spürte ihren sanften Kuss wie eine heiße Flamme auf meinen Lippen, fühlten ihren Körper, der sich an mich drängte mit all der Zartheit und Wärme und wusste um die ganze Liebe, die in diesem einen Wort steckte. Nein, eigentlich mehr in der Betonung. Und das machte mich glücklich, so unendlich glücklich.
 

Sie beendete ihren Kuss nur zögerlich und sah mich an. "Akira. Damals auf dem Mars, ich... Ich wäre beinahe gestorben. Ich dachte, du verlässt mich. Das hätte ich nicht ertragen."

Ihr Kopf sank gegen meine Brust. "Das hätte ich nicht überlebt, Akira. Das hätte ich nicht überleben wollen."

Ich schloss meine Arme um sie. "Dummkopf. Welchen Sinn hat es für dich zu sterben, wenn du nicht weiterleben willst?"

"Ich will ja weiterleben. Aber nicht ohne dich."

Sanft streichelte ich über ihre Wange. "Megumi, du weißt, wie sehr ich dich liebe. Und ich weiß wie sehr du mich liebst. Aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich diese Mission überlebe. Ich kann dir nur versprechen, dass ich die Zeit für uns beide glücklich mache. Falls ich sterben sollte, dann hat es hoffentlich einen tieferen Grund, einen größeren Sinn. Und dann bleibst nur du, um meinen Willen auszuführen und die Expedition sicher nach Hause zu bringen. Es gibt keinen Menschen, dem ich so sehr vertraue wie dir. Kannst du mir das versprechen, dass du überlebst, auch wenn ich sterbe?"

Von meiner Brust aus sah sie mir in die Augen. "Moment mal, Herr Akira. Was ist, wenn es mich erwischt? Was ist, wenn ich sterbe? Wer führt dann meinen Willen aus, he? Lebst du dann für mich weiter?"

Ich wollte lachen und antworten. Doch ich konnte es nicht. Übergangslos steckte mir ein Kloß im Hals. "Ich weiß es nicht", hauchte ich.

"Ach komm schon, Akira. Ich verspreche dir, dass ich weiterleben werde. Aber was ist mit dir?"

Sanft küsste ich sie auf die Stirn. "Ich werde deinen Willen ausführen und diese Expedition nach Hause bringen. Aber erwarte nicht, dass ich jemals ohne dich glücklich werde."

"Na, das wäre ja noch schöner", brummte sie, rutschte auf meinen Schoß und schmiegte sich an mich.
 

Über uns zerplatzte die zweite Welle Feuerwerk und tauchte die Stadt beinahe in taghelles Licht. Ein wirklich schöner Anblick, wie ich fand. Dazwischen leuchteten die ersten projizierten Sterne auf. Wir hatten uns bei der Planung dazu entschlossen, den Menschen nicht irgendeinen Sternenhimmel in der Nacht vorzugaukeln, sondern ihnen die Sterne zu zeigen, die sie auch von der Außenhülle der AURORA gesehen hätten.

Doch im Moment hatte sich da nicht viel verändert. Bis auf die Planeten waren alle Fixsterne an ihrem Platz. Ich war aber schon sehr gespannt, wie dieser Himmel aussehen würde, wenn wir Alpha Centauri erreichten.
 

Vor meinem Gesicht tauchte eine volle Flasche Sake auf. "Auch was?"

Ich sah zur Seite und blickte in Mamorus grinsendes Gesicht. "Du störst."

"Schon klar, schon klar, Kumpel. Aber ich bin nur das kleinere Übel. Denn jede Sekunde kommen hier Akari und Ami an. Da dachte ich mir, ich warne euch beide besser vor."

Ich seufzte tief. Unser gemeinsamer Moment war vorbei.

Megumi seufzte ebenso tief und rutschte wieder von meinem Schoß. Sie warf mir einen letzten wehmütigen Blick zu, fügte einen kurzen Kuss an und griff nach der Flasche.

"Hey", protestierte Mamoru. "Das ist nur was für die Männer. Warte auf den Sekt."

"Rede nicht, gib her", erwiderte sie und trank einen kurzen Schluck.

"Akira-chan", erklang eine fröhliche Stimme vom Dachrand. Nacheinander erklommen mehrere Personen das Dach über die Feuerleiter. Vorweg natürlich Akari, die sich zwischen Mamoru und mir zu Boden sinken ließ. Dazu gesellten sich Yoshi, Makoto, Kei, diesmal aber ohne Ban Shee, Doitsu und Hina, die aus unerfindlichen Gründen ihre Beziehung wieder belebt hatten, Ami und Eri, die Kenji im Schlepp hatten sowie Joan und Ai-chan, die mittlerweile so etwas wie ihr Mündel geworden war - so oft wie die beiden zusammen waren.

Irgendwann hörte ich auf, die Leute mit Namen aufzuzählen. Stattdessen freute ich mich plötzlich, dass sie alle zusammen gekommen waren.

Okay, etwas ärgerlich war ich schon, immerhin bedeutete diese Massenansammlung in erster Linie eine Stabilitäts- und Partytauglichkeitsprüfung für das Dach und zweitens das Ende von Megumis und meiner kleinen Auszeit. Aber meistens liebte ich es, wenn das Leben um mich herum brodelte.

"Akira-chan", hörte ich Kitsune rufen, bevor sie mir von hinten um den Hals fiel. "Wir haben euch schon vermisst."

"Sie hat euch vermisst und wollte schon Suchtrupps ausschicken", kommentierte Okame-tono und setzte sich vor uns, in der Hand eine Flasche Sake, "aber zum Glück hat Kurosz-tono gesehen, wohin Ihr gegangen seid."

Suchend glitt mein Blick über die Anwesenden und erkannte schon bald den Ausbilder aus dem Briareos-Regiment. Übrigens zusammen mit diesem halbherzigen Anwärter, den ich auch fast nach Hause geschickt hätte. Außerdem gefielen mir die Blicke nicht, die er Megumi zuwarf, wenn er meinte dass ihn niemand beobachtete.

Aber zugegeben, beide hatten großes Potential.

"Ist das zulässig?", hörte ich Sakuras wütende Stimme von der Leiter. Sie kletterte auf das Dach, Tetsu dicht hinter sich. "Hier eine Party zu machen - ohne uns?"

Lautes Gelächter und Zustimmung antworteten ihr.

Und langsam machte ich mir wirklich Sorgen um die Stabilität des Daches.

Zugegeben, für einen winzigen Moment.
 

2.

Der große Moment war atemberaubend, aber dann auch wieder so schrecklich banal.

Die AURORA verfügte über genau zwei Schwerkraftsysteme. Das eine System, die Basis, war im fünfhundert Meter starken Boden des gigantischen Felsen verankert worden.

Dort sorgte es für eine permanente simulierte Schwerkraft von einfacher Erdschwere. Ironischerweise gab es aber Regionen auf dem Boden der AURORA, an denen die Schwerkraft stellenweise nur ein dreiviertel der Erdschwere, ein Gravo genannt, erreichte.

Doch das lag einfach in der Natur des Schwerkraftgenerators.

Der zweite Generator war in den Bug des natürlichen Gebildes eingebaut und nahm in diesem Augenblick seine Arbeit auf.

Wir würden den Felsen hart beschleunigen müssen, um ihn in annehmbarer Zeit bis auf die Jupiterbahn zu bringen. Nur dort konnten wir den Sprung nach Alpha Centauri wagen, ohne durch den Riss in der Raumzeit große Schäden auf den bewohnten Planeten des Systems zu riskieren, Schockwellen gleich.

Bei dieser Beschleunigung aber würden enorme Kräfte auf die Steinhülle wirken. Dem wirkte der Gravitationsgenerator entgegen.

Das Prinzip dieser Maschinen war relativ simpel, wenn man es erst einmal erkannt, ausgetestet und installiert hatte.

Im Bug und im Boden des Schiffs verliefen die Bahnen gigantischer Partikelbeschleuniger. Dort wurde jeweils eine bestimmte Masse bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit gebracht und mittels Magnetkräften in einem geschlossenen System gehalten. Nahe der Lichtgeschwindigkeit potenzierte sich diese Masse auf ein Vielfaches des alten Wertes, zog damit die Materie in seiner Umgebung an. In unserem Fall jagte diese Masse durch eine Art Oval im Boden der AURORA und erzeugte somit die von uns gewohnte Gravitation.

Das gleiche Prinzip galt im Bug, doch war es hier etwas komplizierter. Beschleunigung war immer gleich zu setzen mit Masseaufbau. Sprich, je mehr ein Schiff beschleunigte, desto höher wurde die eigene Masse und die damit verbundene Schwerkraft, in diesem Fall Andruck genannt.

Um zu verhindern, dass einerseits die strukturelle Integrität der AURORA geschädigt wurde und andererseits die Bevölkerung des Schiffs plötzlich auf dem Heck leben musste, weil sich die Stadt um neunzig Grad gekippt hatte, wirkte der Buggenerator genau entgegen der Masse, welche die Beschleunigung im Heck erzeugte.

Gravitation war ein Fallen auf ein bestimmtes Objekt zu. Das Prinzip der Gravitation war ein gegenseitiges Fallen. Ich fiel auf den Boden der AURORA zu, was ich als Gravitation verspürte. Gleichzeitig aber fiel die AURORA minimal auf mich zu. Bei der Beschleunigung wirkten genau diese Kräfte. Einerseits die Kraft im Heck, andererseits die Kraft im Bug. Beide Kräfte ließen mich fallen, hielten sich aber die Waage. Somit hoben sie sich gegenseitig auf. Die einzige Kraft, die auf mich wirkte war der Bodengenerator und somit die normale Schwerkraft.
 

Es war lange Zeit umstritten gewesen, ob der riesige Felsen ausreichend verstärkt worden war, um die Beharrungskräfte auszuhalten. Doch als die AURORA langsam auf tausend Meter pro Sekunde beschleunigte, war allen klar, dass wir es geschafft hatten.

Es gab keinen Jubel, keinen Applaus. Nur die nüchterne Nachricht in den Medien, dass sich die AURORA wie erwartet erfolgreich in Bewegung gesetzt hatte.

Ich grinste schief. Nichts anderes hatte ich erwartet.

Deshalb hatte ich die Nachrichten auch nicht Zuhause verfolgt sondern in der Innenstadt vor einem Shop für Fernseher.

Nachdenklich lüftete ich meinen Kragen. Wieder in einer Schuluniform zu stecken war ein merkwürdiges Gefühl. Die UEMF-Uniform erschien mir viel wichtiger zu sein, wie eine zweite Haut zu passen. Der Mandarinkragen der Jacke bereitete mir doch einige Mühe.

Ärgerlich stellte ich das zerren ein und machte mich auf den Weg zur Schule.

Vielleicht hätte ich mich doch etwas mehr anstrengen sollen. Vielleicht hätte ich mich nicht verkriechen dürfen. Vielleicht wäre Vater bestechlich gewesen...

Aller Müßiggang half nichts. Ich hatte eine Aufgabe und nahm sie wahr.

Megumi hatte drei Jahre lang das Doppelleben als Offizier und Schülerin geführt, und das während eines Krieges. Da konnte ich, Akira Otomo ja wohl ein lächerliches Jahr zur Schule gehen und nebenbei eine Division Mechas führen, oder?

Nachdenklich strich ich mir über die Haare. Die weiße Farbe wuchs langsam raus und machte dem normalen dunkelblonden Haarton Platz, den ich Mutter verdankte. Aber im Moment sah ich aus wie ein Stachelschwein. Ein sehr amüsanter Gedanke.

Das weiße Auge, das durch den Säureangriff beinahe blind war, hatte ich mit einer Sonnenbrille abgedeckt. Ich wollte den jungen Leuten, die mich die nächste Zeit umgeben würden, nicht gleich zu Anfang einen solchen Schrecken einjagen.

Und eines Tages, wenn mich die Gedanken an meine Schuld nicht mehr so sehr plagten, bat ich vielleicht Kitsune-chan darum, das Auge zu heilen.

Obwohl, irgendwie wirkte es cool.

Mit einem Grunzen schob ich diesen Gedanken beiseite. Die Aufgabe, die auf mich zukam würde schwer genug werden. Ich würde sehr viel nachholen müssen, denn ich fing im letzten Jahr an, mir fehlten aber die Vorbereitungen aus dem zweiten Jahr für die Fächer, auf die ich mich konzentrieren wollte. Dieses Wissen musste ich mir erarbeiten. Und das würde ein ganz schöner Brocken sein, an dem ich da kauen würde.
 

Je näher ich der Schule kam, desto mehr junge Menschen und Lehrer waren auf den Straßen zu sehen. Zwei Linien der Magnetbahn hielten beinahe in direkter Nähe und brachten mehrere hundert Schüler. Zusammen mit denen, die bereits im Gebäude sein mochten und jenen auf dem Weg waren dies gut viertausend. Fünftausend sollten es sein, verteilt auf dreizehn Klassen, die Vorschule mal nicht mit eingerechnet.

Fünftausend Kinder und Heranwachsende aus siebzig Nationen, neunzehn Religionen und allen drei ethnischen Grundtypen.

Und alle begrüßten sich freundlich, gingen sehr höflich miteinander um und schienen sich auf das Sommersemester zu freuen.

Nur ich fiel in diesem Haufen natürlich auf wie ein Uniformierter im Kindergarten.

Ich war nicht gerade rücksichtslos, als ich mir meinen Weg in die Schule bahnte. Aber ich zeigte meine mürrischste Miene und vermied es, andere anzusehen. Was schwierig war, denn mehrere hundert Blicke ruhten auf mir.

Ich ignorierte das so gut es ging, kam in das Gebäude, stellte verwundert fest, dass es keine Schuhboxen gab und man anscheinend in Straßenschuhen durch das Gebäude gehen sollte...

Westler.
 

Ich erreichte meine Klasse, trat ein und erstarrte für einen Moment. Zwölf Paar Augen wandten sich mir zu und musterten mich mit unverhohlener Neugier. Halb hatte ich erwartet, dass die drei Soldatinnen vom Fest gestern in meiner Klasse waren. Doch die zwölf Gesichter, sieben Mädchen und fünf junge Männer, kannte ich nicht.

Der Raum war großzügig ausgelegt, es hätten sicher dreißig oder mehr hinein gepasst. Aber es war nur noch ein Tisch frei.
 

"Morgen", grüßte ich trotz meiner schlechten Laune, aber ohne wirkliche Begeisterung, während ich meine Tasche auf den freien Platz ablegte.

Danach sah ich in die Runde. "Ich bin Akira Otomo. Wer möchte, kann mich Akira nennen. Ich hoffe, wir kommen gut miteinander aus."

Stille antwortete mir und ich fragte mich, ob ich vielleicht zu mürrisch, zu abweisend auf sie gewirkt hatte.

"Äh", machte ich leise und sah peinlich berührt weg. Was für ein toller Start.

"Akira-chan."

Verdutzt sah ich wieder auf. Was? Wurde etwa jemand so schnell mit mir familiär?

Eine der jungen Frauen erhob sich von ihrem Pult, kam herüber und unterband gerade noch den Versuch, vor mir zu salutieren. "Second Lieutenant Mareike Koopman, Briareos, Stabsdienst. Ich war mit Ihnen auf dem Mars und habe in der Koordination gedient."

"Freut mich. Darf ich Sie Mareike nennen? Second Lieutenant ist doch etwas zu lang."

Na das war ja zu erwarten gewesen. Ein oder zwei Veteranen sollte es wohl in jeder Klasse geben.

Damit hatte die junge Frau einen Bann gebrochen und auch die anderen begannen ihre Namen zu nennen. Etwas zu schnell für mich um wirklich mitzukommen.
 

"Ruhe, bitte!", erklang von vorne eine bekannte Stimme.

Ich zwinkerte überrascht. Einmal, zweimal. Nein, ich irrte mich nicht. Die Frau, die dort vor mir an der Tafel stand und offensichtlich die Lehrerin war... Es war Akane.

"Wie Ihr sicher gemerkt habt, sind die Klassen hier recht klein. Die Kapazität der Schule liegt bei fünfzehntausend Schülern. Im Moment aber kommen auf jeden Klassenraum im Schnitt ein Lehrer und neun bis vierzehn Schüler.

Mein Name ist Akane Hazegawa. Ich studiere und werde hier zehn Stunden die Woche als Hilfslehrer für Physik, Sprachen und Mathe arbeiten. Ich war ebenfalls mit Akira-chan auf dem Mars und ich hoffe, wir alle kommen gut miteinander aus."
 

Ich grinste schief. Na Klasse. Das fing ja wirklich gut an. Akane gab die seriöse Lehrerin und nannte mich gleich im ersten Atemzug chan. Fehlte nur noch, dass...

"Wie gesagt, ich helfe hier zehn Stunden die Woche aus. Darf ich euch nun euren Klassenlehrer vorstellen..."

Sie sah zur Seite, wo sich die Tür öffnete.

Wer würde es sein? Mamoru vielleicht? Takashi-sempai? Oder noch schlimmer, Makoto im Minirock?

Nun, es war ein Minirock, aber die Beine gehörten definitiv nicht Makoto.

"Guten Morgen, Klasse", sagte eine gut gelaunte Sakura Ino und lächelte in die Runde. "Ich bin für dieses Jahr eure Klassenlehrerin. Ich teile mir diese Aufgabe aber weitestgehend mit Hazegawa-sensei, weil ich nebenbei noch die AURORA-Kampfgruppe befehligen muß.

Und ja, ich mache es, weil mein Cousin in dieser Klasse ist.

Auf gute Zusammenarbeit."

Sakura lächelte in die Runde und gegen meinen Willen wurde mir warm ums Herz. Mein Cousinchen war eben immer noch die Alte. Und eine der liebenswertesten Personen, die ich kannte. Wenn man mal von ihrem Hang zur brutalen Gewalt absah.

Mein Nachbar, Miguel Santos oder so, klopfte mir grinsend gegen die Schulter. "Akira-kun, wir werden sehr gute Freunde."

Die Worte hätten mir mehr bedeutet, wenn er meine Cousine nicht zuvor mit seinen Blicken regelrecht ausgezogen hätte...
 

3.

"O-nii-chan!"

Erschrocken wäre ich beinahe von meinem Stuhl gerutscht, auf dem ich gerade ein wenig kippelte. Dafür biss ich ein Stück meines Bleistifts ab. Ein widerlicher Geschmack.

Akari kam in den Klassenraum und stellte sich vor meinen Tisch. In der Hand hielt sie ein in ein Tuch eingewickeltes Päckchen.

Sie kniff die Augen zusammen und lächelte mich honigsüß an. "Du bist heute Morgen so schnell aufgebrochen, ich hatte gar keine Zeit, dir dein Mittagessen mitzugeben."

Überrascht sah ich sie an. Sie trug die gleiche Uniform wie die Mädchen meiner Klasse. Das bedeutete, dass sie definitiv in der Oberstufe war. Ein gutes Jahr zu früh, wenn man mal davon absah, dass sie eigentlich vierhundert Jahre alt war.

Aber die Uniform stand ihr gut, sehr gut sogar. Wenngleich ich mir als großer Bruder wünschte, dass der Rock etwas länger wäre - so ein bis zwei Meter.

Ich ergriff das Päckchen. "Danke, Akari-chan. Aber ich hätte mir doch was aus einem Automaten ziehen können.

Die ehemalige Oni zog einen Schmollmund. "Du kannst doch nicht nur von Zucker und Kaffee leben, Akira. Du musst was Gesundes essen. Außerdem habe ich das alles selbst gemacht. Ich hole die Box nachher wieder ab und wehe, es ist noch etwas drin."

Sie drohte mir gespielt mit dem Zeigefinger und zwinkerte mich an. Danach verließ sie den Klassenraum wieder.
 

Erst nach einiger Zeit fiel mir die absolute Stille im Raum auf.

Und die zwölf brennenden Blicke in meinem Nacken.

"Wie süß!", rief eine meiner Klassenkameradinnen plötzlich. Eines der anderen Mädchen fiel ein und resignierend befürchtete ich, sie würden sofort einen Akari-Fanclub gründen.

Übergangslos spürte ich mehrere Hände auf meiner Schulter und wurde von den Männern umringt.

"Hey, Akira-kun, das war deine Schwester? Wie alt ist sie? Hat sie einen Freund? Was isst sie gerne? Mag sie Karaoke?"

"Ich... Ich..." Für einen Moment fühlte ich mich hilflos.

"Und das Essen hat sie alleine gemacht? Bento nennt Ihr Japaner das, oder? Dürfen wir nachher mal davon probieren?"

"Sie ist ja sooo niedlich..."

"Was für ein Lächeln. Und die langen schwarzen Haare, zum verlieben."

Ich seufzte viel sagend. Die Anzahl der Clubmitglieder hatte sich wohl gerade auf zwölf erhöht.

Schützend legte ich beide Hände auf mein Bento. "Finger weg. Das hat sie für mich gemacht." Ich grinste in die Runde. "Ihr könnt sie ja meinetwegen fragen, ob sie euch auch eins macht. Sie kocht ganz gerne."

Aufgeregtes Stimmengewirr antwortete mir, und mir fiel auf, dass ich nicht behandelt wurde wie Akira Otomo, der Mann, der zweimal den Mars angegriffen hat, der zeitweilig Oberkommandierender der Erdverteidigung war, der die Abschussliste der UEMF mit großem Vorsprung anführte.

Nein, hier war ich Akira. Einfach nur Akira. Und das gefiel mir sehr.

**

Für die Mittagspause suchte ich mir das Dach aus. Es war der erste Schultag, es hatten sich noch keine Strukturen etabliert, dementsprechend hatte sich der Brauch, dass die größten Schulschläger das Dach beanspruchten, noch nicht durchgesetzt.

Also nahm ich es in Besitz und genoss den Sonnenschein der Hologrammsonne, während ich mich über Akaris Festmahl hermachte.

In der Ferne zog einer der Sauerstoffdistributoren seine Bahn und ließ zugleich eine Werbung für einen Softdrink auf seiner Außenhülle blinken, unter mir hatte sich der Schulhof mit Schülern gefüllt und über mir flog ein Falke. Ein Falke?

Ich war nicht über jeden Aspekt informiert, welcher die Fauna in der AURORA betraf, aber waren hier Greifvögel ausgesetzt worden?

Der große Vogel zog kreischend ein paar Runden um meine Position, drehte dann ab und jagte auf eine Wiese knapp außerhalb der Stadt zu.

Ein majestätischer Anblick.
 

"Akira Otomo?", erklang es hinter mir. Natürlich, lange konnte ich ja nicht alleine bleiben.

"Wer fragt?", erwiderte ich und wandte mich dem Treppenhaus zu.

Dort stand ein Junge in der Uniform der Mittelstufe, und für seinen mörderischen Blick benötigte er alleine schon einen Waffenschein. Für den langen Dolch in seiner Hand allerdings auch.

Der Junge sah mich böse, sehr böse an und lief aus dem Stand los. Als er mich fast erreicht hatte, stieß er den Dolch nach mir.

Ich wich aus, im allerletzten Moment, ergriff das Handgelenk mit dem Dolch, drehte es schmerzhaft nach außen. Danach drehte ich den ganzen Arm im Gelenk und auf den Rücken. Auf diese Weise zwang ich den Angreifer bäuchlings zu Boden. Nachdem ich den Arm schmerzhaft hart eingedreht hatte, keuchte der Junge auf und ließ den Dolch fallen.
 

"Netter Versuch, aber du bist ein paar hundert Jahre zu früh dran, Kleiner."

Ich hielt ihn wirklich gut im Griff, dennoch sträubte er sich. Ich setzte zusätzlich meinen rechten Fuß auf seinen Rücken und beendete seine Bewegungen, aber nicht seine Gegenwehr.

"Ich... töte dich, Akira Otomo", schluchzte er mit Schmerzgezeichneter Stimme. Schmerz, der wenig mit dem verdrehten Arm oder dem Schuh in seinem Kreuz zu tun hatte.

"Ich bringe dich um!"

Erst jetzt fiel mir sein weißes Haar auf. Konnte es sein, dass... Nein, die Kronosier auf dem Mars hatten zwar schon Kinder gezeugt. Aber keines von ihnen war älter als sechs Jahre. Der Bursche hier aber war definitiv vierzehn Jahre oder älter.

Aber hatte er die Gift erhalten? In diesem Alter?

"Ist ja schön und gut, aber kannst du mir erklären, warum?"

Er drehte den Kopf und sah mich aus brennenden Augen an. "Du hast meinen Vater getötet!"

**

"Also, damit ich das kapiere. Als ich den Mars angegriffen habe, wurde dein Vater getötet. Du selbst bist beim Einsturz deiner Schule schwer verletzt worden und kamst in einen Biotank. Der Tank war aber schon programmiert gewesen, um jemanden die Gift zu gewähren.

Nachdem du geheilt wurdest, hast du geschworen mich zu töten. Und als du erfahren hast, dass ich auf der AURORA dienen würdest, hast du alles daran gesetzt, um ebenfalls herkommen zu können."

Der junge Kronosier saß neben mir wie ein begossener Pudel. "Ja, so weit stimmt das." Er umklammerte seine Knie mit beiden Armen. "Ich habe versagt."

Die Sache war kompliziert und sicher noch nicht ausgestanden. Ich hatte mehrere Möglichkeiten, und eine von ihnen war, den jungen Mann der Schulleitung zu melden. Aber das konnte ich nicht, denn seine Beweggründe waren nachvollziehbar, ja, sie erschienen mir sogar berechtigt zu sein.

"Einverstanden", sagte ich und klopfte mir auf die Knie. "Ich mache es."

Erstaunt sah der Junge mich an. "Was? Mich verhaften lassen?"

"Nein, Kurzer. Ich begann mich schon zu langweilen. Da bietet deine Rache eine kleine Abwechslung. Im Moment bist du kein Gegner für mich, bestenfalls eine Fingerübung. Aber ich sehe ein, dass du ein Recht auf Rache hast. Deshalb... Nun, will ich dich trainieren, bis du mich schlagen kannst."

"Du spinnst", erwiderte der Kronosier im Brustton der Überzeugung. "Warum solltest du mich noch gefährlicher machen?"

"Weil du mir im Gegenzug versprichst, mich nicht noch einmal anzugreifen. Erst wenn ich dir sage, dass du soweit bist, klar? Oder du kannst nicht nur das ganze Training vergessen, sondern den Rest der Reise auf Stubenarrest verbringen." Ich sah ihn mit meinem zwingendsten Blick an. "Außerdem lockt mich wirklich die Herausforderung. Nimm an oder lass es."

Wir sahen uns lange, sehr lange in die Augen. Ich sah es in ihnen arbeiten, sah den Hass mit der Vernunft ringen. Welche Seite würde gewinnen?

"Einverstanden, Akira Otomo."

Für einen Moment kam ich mir lächerlich vor. Ich züchtete mir hier meinen eigenen Erzfeind heran. "Das wird ein Spaß", murmelte ich leise zu mir selbst.

"Hey, Kurzer, wie heißt du überhaupt?"

Der Junge sah mich an und übergangslos stand wieder Hass in seinen Augen. "Mein Name ist Michi Torah."
 

3.

Nachdenklich kaute Akari auf ihren Kugelschreiber herum. Ob das Bento Akira wohl schmeckte? Früher hatte er ihr Essen immer gerne gegessen. Aber seit sie wieder ein Mensch war, da war es ihr, als würde hier und da etwas fehlen. Und in einem Anflug von Verzweiflung fragte sie sich, ob ihre Kochkunst auch gelitten hatte.

"O-nii-chan", murmelte sie nachdenklich. Das Verhältnis, welches sie zu Akira Otomo unterhielt hätte komplizierter nicht sein können, wenn man damit begann, dass er sie als Oni unterworfen und in seine Dienste aufgenommen hatte.

Kurz dachte sie an die gemeinsame Zeit, in der sie sich als Akiras Beschützerin verstanden hatte. Der Angriff auf den ZULU damals, die Attacke auf dem Mars. Dai-Kuzo-samas Prüfung, in der ihr schmerzhaft bewusst geworden war, wie sehr sie an ihrer Existenz hing und die Erkenntnis, dass das Leben von Akira wichtiger für sie war.

Sie war ein Mensch geworden, dank Dai-Kuzo-samas Gnade. Und sie war immer noch ein Slayer und trainierte mit den anderen Slayern und der Infanterie für gemeinsame Einsätze, wenngleich sie nicht daran glaubte, dass ihnen Youmas oder andere Dämonen begegnen würden.

Ja, sie war immer noch White Slayer. Aber die Stärke, ihre phänomenale Stärke hatte sie verloren. Sie spürte es jedes Mal wenn sie sich verwandelte. Aber es würde reichen. Reichen müssen. Egal, welche Gefahren sie in der Zukunft erwarten würden, sie würde ihrem Bruder beistehen. Der Mann, der als ihr Meister begonnen hatte und nun das Wertvollste war, was sie je gekannt hatte, sie würde für ihn da sein. Das hatte sie sich geschworen.
 

"Otomo-kun", rief sie der Lehrer auf. "Ich habe hier einen Freistellungsantrag in deiner Akte. Demnach fordert dich die UEMF an. Kannst du uns dazu vielleicht eine Erklärung geben?"

Nun, sie musste nicht unbedingt jedem auf die Nase binden, dass sie White Slayer war, aber eine halbe Wahrheit war immer noch besser als eine ungeschickte Lüge.

"Das ist schnell erklärt, Sensei. Ich gehöre dem Infanteriekontingent der AURORA an. Es kann sein, dass ich ab und an zu Einsätzen und Übungen muß."

Aufgeregtes Raunen ging durch ihre elfköpfige Klasse.

"Du bist bei der UEMF?", rief einer ihrer Klassenkameraden aufgeregt.

Akari zuckte mit der Schulter. "Ich war beim Marseinsatz dabei."

Das Raunen ging in purer Aufregung unter.

Irritiert sah sie der Lehrer an. "Was? Aber du warst doch gar nicht im Rekrutierungsalter, als Akira Otomo seinen geschichtlichen Rekrutierungsaufruf..." Im Gesicht des Lehrers arbeitete es. "Otomo...", murmelte er leise.

Akari schmunzelte dazu. Anschließend nickte sie leicht, um ihrem Klassenlehrer zu bestätigen, dass seine Vermutung richtig war.

"Wie dem auch sei, dein Freistellungsantrag ist jedenfalls genehmigt. Klasse, ich erwarte von euch, dass Ihr Rücksicht auf Otomo-kun nehmt. Nicht nur, dass sie vorzeitig in die Oberstufe aufgerückt ist, nein, sie hat zudem Doppelbelastung durch das Militär. Ich erwarte, dass Ihr alle ihr helft, wo immer Ihr es könnt."

Bestätigendes Raunen erfüllte den Raum und Akari ging ein Stich durchs Herz. Übergangslos fühlte sie sich in dieser Klasse sehr wohl. Beinahe schon genauso wohl wie in der Klasse, welche sie in ihrer alten Schule in Tokio besucht hatte.

**

Der erste Schultag war immer etwas sehr aufregendes, fand Akari. Daran änderte sich nichts, nicht einmal in vierhundert Jahren. Und für den ersten erfolgreich absolvierten Tag hatte man immer eine Belohnung verdient. Fand zumindest die ehemalige Oni.

Also gönnte sie sich was, holte sich Eis und ging zur Nordwand.

Sie hätte mit ihren neuen Klassenkameraden nach Hause gehen können, aber das war nichts, was man überstürzen musste. Sie alle würden schon noch zusammen wachsen. Irgendwie.
 

Die Nordwand, das war die Begrenzung in Bugrichtung der AURORA. Fushida City war sehr nahe am Nordende erbaut worden. Um zu vermeiden, dass manche Einwohner quasi jeden Tag auf die deprimierende Steinmauer blicken musste, hatte man die Stadt in den Felsen integriert. Genauer gesagt waren mehrere Wolkenkratzer halb in die Wand hinein erbaut worden. Überdies führten Dutzende großer und kleiner Zugänge in das Gestein und ermöglichte den Zugang zum industrialisierten und militärischen Bereich des Gigantschiffs.

Darüber thronten wie Schwalbennester die allgegenwärtigen Appartements in der Wand und erlaubten einen formidablen Ausblick auf die Innenwelt.

Die Gegend selbst war dünn besiedelt. Genauer gesagt gab es kaum jemanden, der bisher hier wohnen wollte. Oder konnte, denn so nahe an der Industrie drängten sich hier die Verteilerbetriebe aneinander und ließen relativ wenig Wohnraum übrig.

Akari leckte nachdenklich an ihrem Eis und trat an den Sovereign-Tower heran, das anerkannt größte Gebäude in der Stadt. Es ragte einen stolzen Kilometer in die Höhe. Und war zur Hälfte in der Wand verbaut. Akari war sich sicher, dass dieses Hochhaus einen ähnlichen Kultstatus erreichen würde wie es der Tokio Tower auf der Erde erreicht hatte.

Der Ausblick da oben musste super sein.
 

"Du bist Akari Otomo, richtig?", erklang hinter ihr eine amüsierte Frauenstimme.

Langsam wandte sich die ehemalige Oni um. "Wer will das wissen?"

Die arrogant wirkende Frau mit dem dunklen Teint und dem schmalen Gesicht betrachtete sie abfällig. "Oh, ich will nur sichergehen, dass ich die Richtige erwische."

Ein worum geht es lag Akari auf der Zunge, aber da sprang sie schon im Reflex einen Meter zur Seite. Wo sie vorhin noch gestanden hatte, trafen mehrere Shuriken den Boden.

"Ach, darum", brummte sie leise und beobachtete ihre Gegnerin, wie sie langsam näher kam und gemächlich die Shuriken wieder einsammelte. "Gute Geschwindigkeit, Schätzchen. Dann wird das hier doch nicht so langweilig einfach wie ich dachte."

Übergangslos wurde Akari in blendend weißes Licht gehüllt. "White Slayer Power..."

Als normaler Mensch hatte sie gegen diese Frau keine Chance, das wusste sie. Als Oni hätte sie mit ihr den Boden aufgewischt. So aber blieb ihr nur die Flucht oder die Verwandlung in White Youma Slayer.

Sie fühlte ihre Macht wachsen, ihre Sinne schärfer werden und ihr Herz schneller schlagen. Dennoch fühlte es sich nur wie ein Abklatsch ihrer alten Macht an. Aber für die da würde es reichen müssen.

Akari verwandelte sich in White Slayer und fixierte anschließend ihre Gegnerin. "Schauen wir mal, wie langweilig."

Die erwiderte den Blick. "Gehen wir es an, Schätzchen."

**

Hart prallte Akari gegen die Wand der Lagerhalle. Sie stürzte auf die Knie herab und hustete. Blut floss als dünner Faden aus ihrem Mundwinkel. Verdammt, verdammt, verdammt. Warum war diese Frau nur so stark? Sie war doch nur ein Mensch, ein einfacher Mensch!

Ihre Gegnerin grinste dämonisch und betrachtete dabei ihren rechten Arm, der von einer rötlich glimmenden Aura umgeben war. "Du hast doch nicht wirklich gedacht, mein kleiner Slayer, das nur Ihr Menschen Fortschritte bei der Anwendung des KI gemacht habt? Nein, die Forschungen von Meister Tora haben sehr wohl Ergebnisse geliefert. Nicht nur diese Torpedos oder diese starke Hauptwaffe eines Schlachtkreuzers."

Sie sah von ihrem Arm zu Akari herüber. Ihre Augen schienen aufzulodern, als das KI aus ihnen herauszuschießen schien. "Wenn man erst einmal weiß, wie es geht dann ist es sehr leicht. Dann bedeutet es keine Schwierigkeit, einen Menschen zu töten. Und mit ein klein wenig Anstrengung mehr einen Slayer."

Akari warf sich vor, löste einen Energieblitz aus, der ihre Gegnerin ablenken sollte und griff mit einem Tritt an.

Ihre Feindin schlug den Blitz beiseite und fing die Slayer im Flug aus der Luft auf. Für einen winzigen Augenblick schien die Zeit einzufrieren. Dann schleuderte die Frau Akari meterweit durch die Luft.

Hart kam sie auf dem Boden auf, überschlug sich mehrfach und stieß dann auch noch mit dem Kopf schmerzhaft auf dem Boden auf. Benommen schüttelte sie den Kopf. Sie konnte, sie durfte jetzt nicht liegen bleiben. Sie musste doch... Sie musste diesen Gegner besiegen. Denn was war sie für ihren großen Bruder wert, wenn sie schon hier versagte?
 

Mühsam drehte sie sich auf die Seite, sah die Angreiferin heran eilen. "NUTZLOS!", blaffte die Frau und hob ihren rechten Arm zum Schlag.

Da sauste ein armdicker Strahl auf sie zu und traf sie frontal in der Leibesmitte. Die Angreiferin wurde getroffen und meterweit zurück geschleudert.

Wow. Wow.

Ein Paar langer Beine tauchte in Akaris Blickfeld auf. Zwischen ihnen hindurch konnte sie immer noch die Angreiferin erkennen, die sich mühsam aufrappelte. "Du", knurrte sie wütend. "Ich töte dich."

Zu den Beinen gehörte ein gelber Slayer-Rock. Akari sah höher und erkannte zwei lange Stränge hellblauen Haares. Wer war das? Eri? Akane?

Als Antwort entließ die Slayer im gelben Rock einen erneuten Energieblast, dem die Feindin nur knapp entging, dafür aber die dahinter liegende Wand pulverisierte.

"Verdammt!", heulte sie wütend. Einen Augenblick später war sie verschwunden.

Akari versuchte sich hoch zu stemmen, aber es gelang nicht. Stattdessen löste sich ihre Verwandlung auf und aus White Slayer wurde wieder der Mensch.

Ihr wurde schwarz vor Augen, sie sank auf die Straße zurück.
 

Als sie die Augen wieder öffnen konnte, sah sie in ein hübsches, von blauem Haar umrandetes Gesicht. "Geht es wieder, Akari-chan?", fragte die unbekannte Slayer.

Akari fuhr auf. Sie hatte mit ihrem Kopf auf dem Schoß von Yellow Slayer geruht.

"Yellow?", fragte sie hastig und kämpfte mit einem erneuten Blackout, weil sie zu schnell hoch gekommen war.

Sie fühlte sich auf dem Kopf getätschelt. "Richtig. Yellow Youma Slayer. Und du bist Akari-chan, White Youma Slayer. Da bin ich wohl gerade Rechtzeitig gekommen, was?"

Beschämt musste Akari eingestehen, dass die fremde Slayer Recht hatte. Ohne ihr Eingreifen hätte die Attentäterin mit ihr den Boden aufgewischt. Seit wann war sie nur so schwach? So entsetzlich schwach?

"Ruhig", sagte Yellow und drückte Akari an ihre Brust. "Du machst dir zu viele Gedanken und Sorgen. Du erzwingst zu viel und lässt dein KI zu wenig machen. Kämpfe mehr mit dem Herzen und weniger mit dem Verstand."

Erstaunt sah Akari die neue Slayer an. "Mehr mit dem Herz?"

Yellow lächelte und nickte dazu. "Mehr mit dem Herz. Und du wirst dich wundern, welche Stärke du daraus schöpfst."

Yellow hielt die ehemalige Oni eine Armlänge von sich. "Du bist stark, Akari-chan. Sehr stark sogar. Lass dir von niemandem erzählen, es wäre anders. Und in dir ruht noch soviel mehr Kraft. Du bist vielleicht die Mächtigste von uns allen."

Dies war das Stichwort. Akari sah Yellow aus großen Augen an. "Apropos. Wer bist du? Kenne ich dich?"

"Das", erwiderte Yellow noch immer lächelnd und legte die Rechte auf den Mund, "ist ein Geheimnis, Akari-chan. Wenigstens noch für eine Weile, solange wir noch mit den zwölf Agenten des Legats zu kämpfen haben. Kannst du aufstehen und gehen?"

"Ja", erwiderte sie leise. "Ich denke schon." Sie wusste von den Agenten. Das engte den Kreis der möglichen Kandidaten gewaltig ein.

"Gut. Dann solltest du jetzt schnell nach Hause gehen, bevor sich die anderen und dein großer Bruder Sorgen um dich machen. Wir sehen uns."
 

Übergangslos war Akari allein. Ein neuer Slayer. Ein neuer Slayer, der ein wenig schüchtern war. Und eine ganze Ecke stärker als sie. Warum war die Welt so ungerecht?
 

4.

"Bin wieder da", sagte ich laut, als ich das Haus betrat. Der erste Schultag war doch alles in allem sehr gut gelaufen. Kaum Ärger, nur ein Attentat, keine Notfälle militärischer Natur...

"Willkommen daheim." Akari verbeugte sich vor mir steif in der Hüfte. Das hatte sie schon nicht mehr gemacht seit... Hm, da war sie noch ein Oni gewesen.

"Alles in Ordnung mit dir, Akari-chan?", fragte ich nach.

"Alles Bestens. Alles Bestens. Ich hatte nur eine Begegnung mit einem der Attentäter." Sie strich sich über die Stirn, um eine Haarsträhne wegzuwischen. "Aber eine neue Slayer hat mir geholfen."

"Eine neue Slayer?" Richtig, ich hatte ja niemandem erzählt, dass mich ein Slayer aus dem einstürzenden Gang gerettet hatte.

Akari nickte. "Yellow Slayer. Ist sehr stark, O-nii-chan."

Dieser Umstand schien sie zu betrüben. Gerade wollte ich tiefer bohren, als sie sich erneut verneigte. "Guten Abend, junger Mann."

Peinlich berührt legte der Bengel neben mir die Rechte auf den Hinterkopf. "Du brauchst dich nicht zu verneigen, Otomo-kun. Ich wurde westlich erzogen."

Ich grinste. "Das ist Michi Torah. Ich... werde ihn ab sofort trainieren."

"Trainieren?" Argwöhnisch hob Akari eine Augenbraue.

"Ja, er... Ist gewissermaßen mein Schüler geworden." Das ich ihn trainieren wollte um ihn in die Lage zu versetzen mich zu töten brauchte ich ja nicht extra zu erwähnen. Der Gedanke hatte sowieso etwas sehr krankes. Aber irgendwie wusste ich, wenn ich mir nicht selbst Herausforderungen stellte und beständig versuchte besser zu werden, konnte dies eine Reise ohne Wiederkehr werden.

"Er hat eine große Wunschliste. Schwertkampf, KI-Beherrschung, Mecha-Steuerung. Ich denke, es wäre keine vergeudete Zeit."

Akari lächelte den Jungen an. "Ein Freund von O-nii-chan ist hier immer willkommen. Hast du schon gegessen? Wir machen gerade Abendbrot. Komm, ich stell dir die anderen vor."

Akari ergriff die Linke von Michi, ließ ihm kaum Zeit die Schuhe zu wechseln und zog ihn hinter sich her in Richtung Wohnzimmer.
 

Ich seufzte, tauschte meine Schuhe gegen Schlappen und ging ihnen hinterher.

Als ich die Küche passierte, grüßte ich gedankenlos, stockte aber sofort. Irgendetwas stimmte nicht an dem, was ich gesehen hatte.

Ich trat einen Schritt zurück und sah erneut rein. "Sakura. Du kochst?"

Meine Cousine warf mir einen spöttischen Blick zu. "Habe ich das nicht früher immer für dich gemacht?"

"Schon, schon, aber das letzte Mal ist nun zwei Jahre her. Du hast doch..." Zuviel zu tun, hatte ich sagen wollen, doch sie wischte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite.

"Höchste Zeit, dass ich es mal wieder mache. Ich mag das kochen doch so gerne."

"Ich auch", beschwerte sich Kitsune, die neben Sakura stand und Zwiebeln schnitt. "Aber was passiert? Sakura-chan schneit hier rein und ich werde zum Hilfsarbeiter degradiert. Die Welt ist so ungerecht. Dabei habe ich fast die letzten zwei Jahre in dieser Küche das Kommando gehabt. Na, außer wenn Yoshi gekocht hat. Aber ansonsten..."

"Ich will ja nicht immer kochen", besänftigte Sakura die Dämonin. "Nur heute mal und danach ab und zu. Wenn du mir dabei hilfst, bringe ich dir vielleicht meine Waffeln bei."

Kitsunes Augen blitzten auf. "Deine Waffeln? Du meinst die Waffeln, die du nur Akari gezeigt hast?"

Ich unterdrückte ein Schmunzeln.

"Genau die Waffeln, Kitsune-chan", sagte Sakura mit einem feinen Lächeln und kniff dabei die Augen zum so genannten Japanlächeln zusammen.

Übergangslos glomm Kitsunes Aura auf. Es sah aus, als würde Starkstrom über ihren Körper wandern. "Die ultimativen Waffeln, die mir noch fehlen, um meine westliche Küche zu vervollständigen... Was soll ich tun?"

"Ihr kommt ja gut zurecht, wie ich sehe", bemerkte ich, winkte noch einmal und ging dann ins Wohnzimmer.
 

"Dann sind wir ja nur eine Etage voneinander entfernt, Torah-kun", schall mir Akaris freudige Stimme entgegen, kaum dass ich die Tür zum Wohnzimmer geöffnet hatte.

Von ihrer depressiven Stimmung war nun nichts mehr zu spüren, denn während sie sich mit Michi unterhielt schien sie richtig aufzublühen.

Was immer im Zusammenhang mit dem neuen Slayer an ihr nagte, im Moment war es vergessen.

Ich setzte mich dazu, grüßte kurz Yoshi und Kei, die gelangweilt in den Fernseher sahen und schmunzelte leicht. Es kam selten, viel zu selten vor, dass Akari außerhalb des Freundeskreises derart offen mit einem Menschen umging, gerade mit einem gleichaltrigen Jungen. Vielleicht hatte sie hier die Möglichkeit, wie ein völlig normales sechzehnjähriges Mädchen eine einfache Freundschaft aufzubauen.

Bis Michi soweit war, um ernsthaft versuchen zu können mich zu töten.

Der Gedanke zuckte durch meinen Kopf und verursachte mir seelischen Schmerz, nein, körperlichen, denn mein Magen zog sich zusammen. Verdammt. Was hatte ich mir dabei gedacht, Michi Torah mit nach Hause zu nehmen? Und warum ließ ich es zu, dass sich Akari offensichtlich mit ihm anfreundete? Irgendwann würde ich mein Versprechen halten und mit ihm kämpfen. Sicher würde er dabei sterben, vielleicht, wenn ich als Lehrer nicht versagte, würde ich sterben. Aber ich hatte es ihm versprochen und auf eine krude Art sogar die Berechtigung an Rache zuerkannt.

Für eine Sekunde fragte ich mich ernsthaft, ob ich nicht eher ein Fall für einen Psychiater war und nicht besser das Divisionskommando abgeben sollte.
 

"Es geht los", murmelte Yoshi. "Hey, Sakura, sie bringen die Namen."

"Komme! Megumi-chan, Yohko, beeilt euch, es geht los."

"Was? Habe ich was nicht mitgekriegt?", fragte ich verwundert.

Yoshi sah kurz zu mir herüber. "Sie veröffentlichen jetzt die Namensliste der Begleitschiffflotte. Zwölf Kähne liegen ja schon längs, aber die letzten neun Namen fehlen noch. Sie stoßen am Sprungpunkt Jupiter zu uns. Hast du das letzte strategische Meeting verschlafen, Akira?"

Ich spürte, wie ich rot wurde. Verschlafen war eine gute Formulierung. Wenn ich mich recht entsann, hatte ich es geleitet, die Ausarbeitung aber Makoto überlassen.

Na ja, bei all dem Ärger den ich in letzter Zeit hatte, inklusive zwei Attentaten, durfte ich doch sicher mal was vergessen.
 

"Jetzt wird es spannend. Ich frage mich, ob die UEMF die BISMARCK und die HINDENBURG mitschickt oder nicht. Kann durchaus sein, dass sie in der Mission ein schlechtes Omen für die Schiffe sehen." Kei grinste mich an. "Immerhin hast du sie ja neulich ein halbes Jahr im atlantischen Ozean geparkt."

Ich verdrehte die Augen. "Damals erschien mir das sehr logisch."

"Und nachdem die Schiffsrümpfe aus eintausend Meter Tiefe geborgen und aufwändig restauriert worden waren, gab es angeblich keine Crew und keinen Kapitän, der freiwillig diese Schiffe übernehmen wollte", setzte Kei nach.

"Ja, ja, ich habe einen Fluch über diese Schiffe gebracht. Ich bin der Böse. Und wenn sie mitkommen, werden sie vernichtet, weil meine Aura mit ihrem Karma kollidiert. Bla, bla, bla", sagte ich und winkte ab.
 

Admiral Richards, der Oberbefehlshaber der Begleitflotte trat im Blitzlichtgewitter vor das Rednerpult. Blitzlichtgewitter, ja, wir hatten eine eigene Presse an Bord. Faksimile von großen Tageszeitungen und auch eigene Blätter.

"Das weckt keine guten Erinnerungen", murmelte ich mehr zu mir selbst. Das letzte Mal, als ich selbst derart in Blitzlichter getaucht worden war, hatte ich die Jugend der Welt gezwungen, in den Krieg zu ziehen. Und davor hatte Joan Reilley eine schauspielerische Glanzleistung hingelegt, die mich für Wochen zum meistgehassten Mann meiner Schule gemacht hatte.

"Guten Morgen, AURORA", sagte der bärbeißige Amerikaner, der mich als einer der Ersten unterstützt hatte, als die Kronosier den OLYMP mit Hilfe des Temporalresonators lahm gelegt hatten. Beifälliges Gemurmel antwortete ihm.

"Nun, Sie wissen alle, warum wir hier zusammen gekommen sind. Ich gebe jetzt die offizielle Liste der Schiffe ab, die uns begleiten werden.

Vorweg eines: Uns wurden von den Kronosiern zwanzig Schiffe der FOXTROTT-Klasse zur Verfügung gestellt, die direkte Begleitaufgaben erfüllen werden. Wir haben uns dazu entschlossen, diesen Schiffen Codenamen nach dem NATO-Alphabet anstatt Eigennamen zu geben. Dies vor allem, da sie keine festen Crews und keinen festen Kapitän haben werden.

Aber kommen wir zum eigentlichen Kern.

Das Flaggschiff unserer Flotte wird selbstverständlich der ZULU ZULU, Verzeihung, der BAKESCH sein, den uns unsere Anelph-Freunde zur Verfügung gestellt haben. Die SUNDER steht unter dem Kommando von Kapitän Kei Takahara, einem unserer Besten.

Die UEMF hat uns für unsere Mission drei BISMARCK zur Verfügung gestellt. Wie Sie alle wissen, ist die GRAF SPEE schon seit geraumer Zeit bei uns. Doch bisher wussten wir nicht, welche der anderen sieben bisher gebauten Schiffe uns begleiten werden.

Ich habe die große Freude, Ihnen verkünden zu können, dass uns die BISMARCK, der Namensgeber dieser Klasse sowie die PRINZ EUGEN die Ehre geben. Beide Schiffe wurden von Veteranenkapitänen des zweiten Marsfeldzuges übernommen. Kapitän Roger Smith wird die BISMARCK übernehmen. Kommodore Elora Gonzales kommandiert die PRINZ EUGEN.

Fünf Schiffe der MIDWAY-Klasse begleiten uns. Namentlich sind das die MIDWAY selbst, die LOS ANGELES, die WESTPOINT, die ENTERPRISE und die NEW YORK.

Dazu kommen zwölf YAMATO. Die YAMATO selbst wird ebenso dabei sein wie die KAZE, die KOBE, die AKAGI, die HARUNA, die SAKURA, die OSAKA, die TOKIO, die OKINAWA, die SEOUL und als letztes Schiff in der Aufstellung die BEIJING. Darüber hinaus teilte uns die UEMF anstelle einer zwölften YAMATO-Fregatte die NOVEMBER-Fregatte KOWLOON zu.

Mit dieser Aufstellung an erfahrenen Schiffen, Kapitänen und Mannschaften werden wir diese Mission vollbringen.

Ich als Befehlshaber der Begleitflotte verlange von den Schiffen Mut, Opferbereitschaft, Leistung und Einsatz, wie es während dem zweiten Marsfeldzugs gezeigt wurde.

Zwei Planeten schicken uns voller Stolz und Hoffnung ins Unbekannte. Wir werden sie nicht enttäuschen. Nicht mit der Elite von zwei Planeten, die auf der AURORA und den Begleitschiffen versammelt ist."
 

Wieder flammte das Blitzlichtgewitter auf. Ich nickte zufrieden. Man gab uns wirklich die erfahrensten und Kampferprobtesten Schiffe mit. Die KAZE, die LOS ANGELES, die GRAF SPEE und die YAMATO waren beim zweiten Marsangriff dabei gewesen. Bessere Schiffe konnte ich mir gar nicht wünschen. Alles in allem glaubte ich ernsthaft, eine Streitmacht zu sehen, die es durchaus mit einem Teil des Naguad-Imperium aufnehmen konnte.

Zugleich erschien mir dieser Gedanke aber vermessen.

"Macht die Flimmerkiste aus", erklang Sakuras Stimme aus der Küche. "Essen ist fertig."

Yoshi schaltete ab und setzte sich an den Tisch. "Na dann mal her mit den guten Sachen."

Das traf den Kern der Sache recht gut, fand ich.

**

Nach dem Essen verschwand Akari kurz mit Michi, während ich mich mit Yoshi in den Garten setzte. Doitsu gesellte sich dazu und Mamoru, der während des Essens reingeschneit gekommen war, brachte kalten Tee und Gläser mit.

Wir füllten uns ein, genossen den kalten grünen Tee und sahen nach oben in den projizierten Sternenhimmel, während die holographische Sonne versank.

Ich seufzte leise. "Ein wirklich schöner Tag."

"Ja", pflichtete Mamoru bei, "man kann glatt vergessen, dass man hier in einem hohlen Felsen sitzt und gerade in ein ungewisses Schicksal rast."

Ich seufzte schwer. "Danke, dass du die Stimmung ruiniert hast. Außerdem, es sind noch zwei Wochen bis zum Sprung. Du kannst dich also jederzeit absetzen."

"Wieso? Ich liebe den Sprung ins Unbekannte", erwiderte der Geheimdienstoffizier mit einem Lächeln.

"Das merkt man. Deshalb verstehst du dich auch mit dieser Gina so gut, was?", spöttelte Yoshi. "Gut, dass Akane das so gut weg gesteckt hat."

Mamoru wurde kurz rot. "W-was hat Akane denn damit zu tun? Wir sind nicht mehr zusammen."

"Apropos", setzte Doitsu hinzu, "arbeitest du jetzt eigentlich als Koch in Ginas Restaurant? Ich meine, das war doch im Gespräch, oder?"

Mamoru umklammerte sein Glas und sah zu Boden. "Ich... helfe ab und zu mal aus. Sie hat ja eine eigene Crew zusammen gekriegt und das Lokal ist immer gut gefüllt. Aber hier und da..."

"Interessant. Und wie nimmt Akane die Sache auf?", fragte ich leise.

"Schon wieder Akane. Wir sind nicht mehr zusammen. Lies es von meinen Lippen ab, Akira. Nicht mehr zusammen."

Abwehrend hob ich die Rechte. "Ruhig, ruhig, mein Großer. Es schien mir nur halt so, als wärst du noch nicht richtig drüber weg. Und Akane wirft dir immer diese heimlichen, verliebten Blicke zu und so..."

"Erzähl nicht so einen Quatsch, Akira!", blaffte Mamoru wütend.

Leise fügte er hinzu: "Wäre ja schön, wenn es so wäre."

"Du liebst sie immer noch?", fragte Doitsu ernst.

"Weiß nicht. Was ist Liebe? Das man kaum Schlaf findet? Das sie mein erster und mein letzter Gedanke am Tag ist? Das ich mich schuldig fühle für jede Frau mit der ich ein Wort wechsle?"

"Ihr solltet euch dringend mal aussprechen", murmelte ich teils belustigt, teils resignierend.

"Ja, das sollten wir wohl", murmelte er ernst.
 

"Themawechsel", bestimmte Yoshi. "Akira. Du wirst nächste Woche die Booster-Expedition zum Jupiter leiten. Hast du schon entschieden, welcher Mecha-Pilot auf dem Jupitermond Europa landen darf und somit unsterblich in den Geschichtsbüchern verewigt wird?"

"Hm", machte ich leise. "Ein Epsilon wird uns begleiten. Wenn ich Makoto dazu kriege, das Team zu leiten, dann wird er der erste Mensch auf Europa."

"Und wenn nicht? Wird es dann Megumi? Oder Yohko?"

"Nein, Doitsu. Ich dachte dann an dich oder Yoshi. Dai-chan wäre auch keine schlechte Wahl, oder?", erwiderte ich mit einem Lächeln.

"Oder du nimmst jemanden, der wirklich hart gearbeitet hat, um sich in den Hekatoncheiren zu behaupten." Yoshi zog einen eng beschriebenen Zettel hervor. "Hier, Vorschläge deiner Regiments- und Bataillonskommandeure."

Ich nickte ernst. "Akzeptiert." Vielleicht waren unter all den Namen tatsächlich einige dabei, die diese Ehre verdient hatten. Und die danach als Ansporn für die anderen Hekatoncheiren dienen würden.
 

"Waaah! Die ganze Reihe!", erklang plötzlich eine laute Stimme aus dem Fenster zu meinem Zimmer. "Alle bisher erschienenen Bände! Hochglanzcover und handsigniert. Ich habe noch nie davon gehört, dass Hideako Teutsch einen seiner Mangas handsigniert hat!"

"Nicht so laut, Michi! Wenn Akira uns hört und hier reinkommt, während wir seine Sammlung durchstöbern...", klang Akaris Stimme auf, nur wenig leiser.

Ich tauschte einen überraschten Blick mit den anderen aus und rückte auf der Veranda näher an mein Fenster heran. Die anderen folgten mir grinsend.

"Beyond the Lines: Daystorm hat er ja auch. Die ausgekoppelte Geschichte aus der Haupthandlung um dieses Wurmloch. Ich habe nie alle drei Bände zusammen auf einem Haufen gesehen. Und auch handsigniert! Wow!"

"Beyond the Lines scheint ihm zu gefallen", sagte ich zu Doitsu. Die Geschichte eines Krieges der Menschen mit einer insektoiden Alienrasse und insbesondere einem Trägerraumschiffs, dass hinter der Frontlinie operierte war schon lange kein Geheimtipp mehr, sondern ein richtiges Massenprodukt. Es gab kaum einen Mangafan, der die epischen Zeichnungen und die gut dargestellten Charaktere nicht kannte. Die unterkühlte Russin, den überspitzten, karrieregeilen CAG, die einzelnen, liebenswert oder abstoßend gezeichneten Piloten. Die diversen Liebesgeschichten, das Leid und der Schmerz, wenn es wieder einen Kameraden erwischt hatte.

Doitsu nickte. "Ich arbeite gerade an Band neun. Zweihundert Seiten fehlen mir noch, aber ich komme ganz gut voran."

Yoshi sackte die Kinnlade runter. "Was? Wie? Du... Du bist Hideako Teutsch?"

"Sag bloß, dass wusstest du nicht?", kommentierte Mamoru amüsiert. "Hat er dich während des Flugs zum Mars etwa nicht mit seinen ersten Entwürfen und Zeichnungen genervt?"

"Ja, schon, aber..."

"Und ist dir nicht aufgefallen, wie sehr sich der Stil von Doitsu und Hideako ähneln?"

"Jetzt, wo du es sagst..." Yoshi warf Doitsu einen bösen Blick zu. "Das bedeutet, dass du meine Bände auch signierst, verstanden?"

"Schon gut, schon gut, habe es kapiert", erwiderte Doitsu grinsend.

Er schob mit der Rechten seine Brille die Nase wieder hoch, was in der Abendsonne einen spiegelnden Reflex hinterließ. "Ich habe zwar etwas wenig Zeit, aber die Arbeit an meinem Manga ist mir das Wichtigste."
 

"Und, Akira?", fragte Mamoru.

"Was, und, Mamo-chan?"

"Und, wann willst du Michi-kun und Akari aus deinem Zimmer werfen?"

Ich winkte ab. "Lass sie doch lesen. Ich gehe schon rein, wenn es mir zuviel wird."

"Hey, Akari, meinst du, dein Bruder merkt was, wenn ich mir ein paar der Mangas ausleihe?"

Ich sprang auf wie von einer Tarantel gestochen. "Ich glaube, jetzt ist es mir zuviel."

Unter dem Gelächter meiner Freunde hetzte ich wieder ins Haus. Meine Sammlung, meine geheiligte Sammlung - auseinander gerissen? Niemals!
 

Epilog:

Die fünf Mechas rasten mit Hilfe der Booster knapp unter einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit durch das Sonnensystem.

Es waren drei Hawks, ein Eagle und ein Long Range Area Observer oder auch umgebauter Epsilon, die mit Hilfe der Booster-Packs einen kurzen Abstecher zum Jupiter machten.

Nein, eigentlich waren es nur zwei Hawks, denn obwohl das Konzept des Mechas Primus nachempfunden worden war saß ich in keinem Hawk. Ich steuerte einen modifizierten Daishi Beta. Meinen Daishi Beta. Den legendären Prime Lightning.

"Und da kommt er auch schon in Sicht", hörte ich Makotos Stimme über den Funk rufen. "Meine Damen und Herren, der Jupiter. Ich schicke euch die Kursdaten, die Ihr braucht, um rechtzeitig für das Rendezvous mit Europa abzubremsen und sicher in den Orbit um den Mond zu gehen.

Und seid wachsam. Der Jupiter ist eine Art Staubsauger, der Abermilliarden Tonnen Geröll und Weltraumschrott aufsaugt, lange bevor sie den inneren Planeten gefährlich werden können. Je näher wir ihm also kommen, desto mehr werden unsere Schutzschirme belastet."

Wie um seine Worte zu bestätigen flammte mein eigener Schirm auf und zerstieb ein faustgroßes Trümmerstück in seine Atome. Zum Glück war es nicht sehr schnell gewesen.

"Verstanden", bestätigte ich. Auch Yoshi meldete sich kurz.
 

"Hey, Akira", erklang eine Frauenstimme. Ich erkannte sofort Hitomi wieder, eine Klassenkameradin von Megumi, die uns ebenfalls auf die Marsmission begleitet hatte, aber im Stab gelandet war. Hier und heute leitete sie das Team aus vier Ortungstechnikern an Bord des LRAO, den Makoto steuerte.

"Was gibt es, Hitomi-chan?"

"Hm, hast du schon eine Entscheidung getroffen? Wer wird denn nun der erste Mensch auf dem Jupitermond Europa sein?"

Yoshi schaltete sich dazu. "Also, wenn du mich ausgewählt hast, vergiss es. Es gibt genügend andere, die diese Ehre eher verdient hätten."

Die Mechas schoben, von den künstlichen Intelligenzen gesteuert, ihre Steuerdüsen nach vorne und gaben Gegenschub, um auf den neuen Kurs zu wechseln und die Geschwindigkeit zu reduzieren. Jupiter wurde größer und größer, sogar das Sturmauge, das Wahrzeichen des Gigantplaneten konnte man schon sehr gut erkennen.

"Ja, ich habe eine Entscheidung getroffen. Goran, hast du die Ohren auf?"

Captain Goran Kurosz, einer von Yoshis Kompaniechefs, meldete sich sofort. "Klar, Chef. Wenig reden, viel zuhören ist das Zauberwort."

Ich grinste schief. "Du hast dir in letzter Zeit richtig Mühe gegeben, Kumpel. Darum möchte ich, dass du Europa betrittst."

"Das... Das ist eine große Ehre", hauchte der Mann ergriffen.

"Warte, warte. Ich bin noch nicht fertig. Lieutenant Daynes?"

"Sir?"

"Ich will mal ganz ehrlich mit Ihnen sein. Ich mag Sie nicht. Meiner Meinung nach verehren Sie Colonel Uno etwas zu sehr und scharwenzeln viel zu oft um sie herum. Man könnte glatt meinen, Sie wollen mir meine Freundin ausspannen."

"Ich... ich...", stammelte der Amerikaner, während die anderen lachten.

"Und noch was. Ich hatte Sie von Anfang an auf meiner Abschussliste, und ich stand auch kurz davor, Sie nach Hause zu schicken."

Ich ließ den Gedanken sacken, während die Mechas rapide Geschwindigkeit reduzierten.

"Aber ich habe mich geirrt. Sie haben sich gut gemacht, ja, sie haben nicht nur Leistung gezeigt, sondern auch noch kontinuierlich verbessert. Sie haben sich Mühe gegeben. Viel Mühe. Nun, das hat mir imponiert. Deshalb will ich, dass Sie zeitgleich mit Captain Kurosz auf Europa landen. Verstanden?"

"Ver...Verstanden, Sir."

Ich schmunzelte. Der Junge hatte so aufgeregt geklungen. Das tat richtig gut.
 

Wir kamen in dem Orbit um Europa an. Ich besah mir die Eiswelt genauer und erschauderte. Kurz gingen mir wundervolle Ideen durch den Kopf, wie künstliche Sonnen zu installieren und den Eismantel schmelzen zu lassen, um aus diesem Mond eine bewohnbare Welt zu machen. Aber der Gedanke war einfach zu phantastisch.

"Ein paar Atomsonnen aus Anelph-Produktion, in tiefem Orbit", hörte ich Yoshi murmeln, "dazu dreihundert Kontrollstationen, die das Abschmelzen des Eises überwachen... Akira, das hier könnte mal eine annehmbare Welt werden. Der Fischereiplanet des Sonnensystems."

Ich schmunzelte amüsiert. Zum Teil darüber, das wir uns wieder einmal die gleichen Gedanken gemacht hatten.

"Ach. Und auf der Venus richtest du eine Großbäckerei ein, was?"

"Spötter", kommentierte er amüsiert.
 

"Okay, es geht los. Lieutenant, Captain, bereiten Sie sich auf den Abstieg vor."

"Sir, wir haben drüber geredet", meldete sich Daynes zu Wort, "und wir wissen auch zu schätzen, welche Chance Sie uns hier bieten. Aber..."

Erstaunt hob ich die Augenbrauen. Lehnten die zwei etwa ab?

"Aber wir sind beide der Meinung, dass wir alle zusammen da runter gehen sollten."

Ich schwieg verblüfft. Das war wirklich eine Überraschung.

"Na, wenn alle einverstanden sind..."

Ich dirigierte Prime zu Makotos LRAO herüber und griff nach der humanoiden Hand. "Darf ich bitten?"

Makoto griff nach Daynes, der nach Yoshi, und dieser nach Kurosz. Als die Linke seines Hawks in Primes Rechter ruhte, hatten wir den Kreis geschlossen.

"Okay, Colonel Ino hat Prioritätsrecht. Seine KI lenkt den Abstieg. Gehen wir Geschichte schreiben, Leute."

"Roger", hallte es mir entgegen, während wir auf die Eisoberfläche herab stiegen. Unsere ganz persönliche Zeile in der Geschichte der Erforschung des Sonnensystems.

Ein erhabener Gedanke.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Carnidia
2007-10-05T17:04:32+00:00 05.10.2007 19:04
HA! DA war er wieder ^.^
Der Humor, den ich an deinen Geschichten so mag. XD
Hab ihn in den letzten Kapiteln ein wenig vermisst, aber hier schlägt er endlich wieder erbarmungslos um sich. X3
Sehr schön =^.^=
Bis bald ^.^/
Von: abgemeldet
2007-02-22T15:23:44+00:00 22.02.2007 16:23
Höhö. ^_____^ Erste in diesem Kappi. XD
Wie immer Hammergeilo. ^^ Super spannend und lustig. Vorallem der letzte saTz vorm Epilog. XDD


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