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Anime Evolution: Erweitert

Zweite Staffel
von

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Episode fünf

1.

Training hieß das Zauberwort. Die nächsten Tage und Wochen würden ganz unter dem Bann dieses Wortes stehen. Training bis zum Erbrechen, bis zur Aufgabe. Um in einem letzten Versuch die letzte Spreu vom letzten Weizen zu trennen.

Um die besten herauszusieben und jene, welche die besten werden konnten.

Es würde hart werden, für die Ausbilder ebenso wie für die Anwärter. Schweiß und Tränen würden fließen, Flüche ausgestoßen werden und hier und da mochte Blut fließen und Knochen gebrochen werden.

Was ich vor mir sah, sollte die absolute Elite der Mecha-Piloten der Menschheit sein - soweit sie sich zum Projekt Troja freiwillig gemeldet hatte.

Ich ließ Prime Lightning die rechte Hand ausstrecken und eine winkende Bewegung machen. "Kommt."

Kurz darauf brach in der eisigen Stille des Alls die Hölle los.
 

Die Distanz zu den Hekatoncheiren betrug einhundert Meter. Das bedeutete, das mir dreihundertsechzig Mechas der Klassen Sparrow, Eagle und Hawk gegenüber durch das All trieben - und in diesem Moment in meine Richtung beschleunigten.

Meine stille Hoffnung, dass sich die Mechas gegenseitig behinderten, erfüllte sich nicht. Raketen wurden abgeschossen, die Glattrohrkanonen und Laser der Eagles feuerten Sperrfeuer und direkt auf mich. Ich musste zugeben, Daisuke, Megumi und Yohko hatten ihre drei Regimenter gut koordiniert.

"Das sieht nicht gut aus, Colonel", sagte Prime, während er die Laserstrahlen anhand meiner Gedankenimpulse austanzte und den Projektilen der Glattrohrkanonen anhand der Ortungsdaten auswich. In drei Sekunden würden auch noch Raketen dazu kommen. Aber wir würden die Strecke bis zu den Hekatoncheiren um fünfzig Meter reduziert haben.

Ich fixierte die angreifenden Raketen und markierte sie somit für mein Abwehrsystem. Im Weltraum mit den eher großen Distanzen eigentlich zeitaufwändig und unmöglich.

Aber ich und die Hekatoncheiren waren eher dicht gepackt, und auch wenn sich die über dreihundert Mechas noch diszipliniert verhielten, würde ich das Chaos schon noch in ihre Reihen bringen. Und den Vorteil nutzen, den die verkürzte Strecke mir verschaffte.

Ich hatte etwa zwanzig Raketen anvisiert, das Lasergestützte Rak-Abwehrsystem tat den Rest und fegte die Projektile aus dem All.
 

Im nächsten Augenblick war ich schon mitten in ihren Linien.

Ich zog die Herkules-Klingen und spaltete zwei Gyes-Hekatoncheiren des First Arm-Bataillons quer. Sie hatten nicht den Hauch einer Chance.

Herkules-Klingen zuckten nach mir. Schwere Gewehre feuerten und die Entladung einer Artemis-Lanze jagte nur knapp an mir vorbei, während ich Prime instinktiv in eine Rolle warf.

Drei Hawks der First Arm folgen mir, versuchten mich in den Nahkampf zu zwingen.

Ich nahm es dankbar an, denn je näher sie mir waren, desto weniger Platz und Gelegenheit hatten ihre Kameraden für Treffer.

Das hieß aber nicht, dass ich ewig mit ihnen spielen wollte.

"Wie sieht es aus, Prime?", fragte ich atemlos, während ich einen Eagle vernichtete, der sich ebenfalls in den Nahkampf gegen mich gewagt hatte.

"Gut, Colonel. Wir haben zwei Raketentreffer an den Schulterschilden, einen mittig im Torso. Drei Eagles haben Treffer am linken Bein und im Rücken gelandet. Aber wir sind noch funktionell. Allerdings..."

"Ich höre", erwiderte ich und schüttelte stumm den Kopf, als ein Sparrow in eine Wolke Raketen geriet und in einer Explosion verging, die einen Hawk in direkter Nähe verwüstete.

"Allerdings, Colonel, wir sind im Arsch."

"Du sagst mir nichts Neues", sagte ich, lud eine Herkules-Klinge auf und zerstörte einen weiteren Eagle, der mich aus der Distanz beharkte.
 

Schnell checkte ich die Ortungsdaten und konnte mein Glück kaum fassen. Die gut geordnete Schlachtreihe der Hekatoncheiren löste sich mehr und mehr auf. Sie strömten auf mich zu. Und nahmen sich damit gegenseitig das Schussfeld weg.

Sie gingen wirklich in den Nahkampf. In mein ureigenstes Gebiet.

Ich grinste kalt, als eine Artemis-Lanze nach mir stieß und den linken Arm von Prime knapp unter der Schulter abtrennte. Damit ging mir eine Herkules-Klinge verloren. Wäre ich nicht erneut in eine enge Kehre gegangen hätte die Waffe mein Cockpit erwischt.

Das konnte nur die Anführerin des Briareos-Regiments sein, die das Debakel kommen sah und nun versuchte, mich zu vernichten, bevor endgültig das Chaos ausbrach. Aber ich war auch mit nur einem Schwert noch gefährlich.

"Hallo, Schatz", flüsterte ich leise und nutzte einen Hawk von Kottos' Third Arm als Schild, stieß ihn Megumi Uno entgegen und blieb bis knapp vor meinem Ziel hinter ihm.

Dabei ließ ich die verbliebene Klinge kreisen und erwischte einen weiteren Sparrow mit einer nebensächlichen Bewegung, kappte zwei Hawks Gliedmaßen.

Dann war ich heran, stieg über meinen Schild hinweg und konnte Megumis Artemis-Lanze gerade noch parieren.

So schwebten wir uns bange drei Sekunden gegenüber, verbissen miteinander ringend.

Die anderen Mechas der Hekatoncheiren griffen nicht ein, was ich mit Missfallen bemerkte.

Einen Augenblick später schoss ich aus allernächster Nähe meine Raketen auf Lady Death ab.

Ich hatte sie auf Aufschlagzünder stellen lassen, mich damit der Homing-Funktion beraubt, ja, aber sie zu einer effektiven Waffe für den Nahkampf gemacht.
 

"Lady Death wurde schwer beschädigt", meldete Prime.

Ich lächelte kalt, stieß die Artemis-Lanze an mir vorbei, tauchte unter dem Hawk hindurch und stieß meine Klinge an der Hüfte vorbei hinter mir. Sie durchbohrte das Cockpit von Lady Death und schaltete damit den Kopf von Briareos ein für allemal aus.

"Lady Death ist gefallen", meldete Prime Lightning ernst.

Wieder warf ich einen Blick auf die Ortung. Die Angriffsbewegung der anderen Mechas verstärkte sich. Sie verzichteten weitestgehend auf Fernreichweitenwaffen; jene, die es dennoch taten, trafen vor allem ihre eigenen Kameraden.

Sie rückten damit aber so nahe zusammen, dass ich planlos schießen konnte und garantiert etwas traf.

"Danke für dieses Geschenk", sagte ich kalt und riss die Herkules-Klinge aus dem sterbenden Mecha wieder hervor. Dann griff ich an.

**

Nach der Gefechtsübung herrschte im Hauptbesprechungsraum beängstigende Stille. Nur mein Lachen war zu hören.

Ich wusste, mein lautes, höhnisches Lachen war unfair. Und Megumis hochroter Kopf war der Beweis dafür, dass meine Spitze sehr wohl traf. Selbst Daisuke sah betreten zu Boden, während ich mich schier ausschütten wollte vor Heiterkeit.

Aber wenn ich in die verstockten oder stark geröteten Gesichter der Hekatoncheiren-Piloten sah, dann wusste ich, dass dies der beste Augenblick war, um sie alle zu belehren.

Es war von vorneherein eine umstrittene Entscheidung gewesen, die Hekatoncheiren nach so kurzer Zeit von Regimentsgröße auf Divisionsstärke aufzublähen. Und das Experiment drohte jeden Tag zu scheitern.

Aber nicht, solange ich etwas dagegen tun konnte.

Noch immer lachte ich. Und noch immer sahen meine Freunde beschämt zu Boden. Ja, ich hatte sie beschämt. Ein einzelner Mecha, auch wenn es der legendäre Prime Lightning war, mit dem anerkannt besten Piloten der United Earth Mecha Force an Bord, hatte gegen die gesamten Hekatoncheiren gehalten, der angeblichen Elite der Menschheit.
 

"Bitte sag es noch mal, Makoto", bat ich meinen Cousin grinsend.

"Ich wiederhole noch einmal die Verlustrechnung der Übung. Mit Colonel Uno haben die Hekatoncheiren exakt siebenundachtzig Hawks verloren. Dazu neunzehn Sparrows und acht Eagles. Colonel Otomo hat davon dreiundzwanzig Hawks, elf Sparrows und alle acht Eagles vernichtet. Der Rest verging in Friendly Fire."

Lautes Raunen antwortete dem Taktischen Chef im Range eines Colonels. Friendly Fire, Treffer durch verbündete Einheiten.

"Ich danke dir, Makoto", sagte ich grinsend und sah meine Piloten an.

"Hoffentlich habt Ihr heute alle eines begriffen. Was einen wahren Elitepiloten ausmacht... Und was Ihr seid."

Für einen Augenblick erklang leiser Protest. Aber Makoto deutete nur stumm auf das amtliche Ergebnis hinter mir auf dem großen Schirm, um ihn zum verstummen zu bringen.
 

"Vergessen Sie alle vor allem eines nicht. Sie haben das Operationsziel, Prime Lightning zu zerstören, nicht erreicht. Prime wurde wegen Überhitzung stillgelegt. Und das nach achtzehn Minuten Nahkampf. Die Schäden an Prime Lightning waren schwer, vor allem der Arm den Colonel Uno abgetrennt hat schränkte den Daishi stark ein. Was die Verluste nach unten gedrückt haben sollte", sagte Makoto mit immer noch sehr ernster Stimme. "Aber Sie haben ihn nicht vernichtet. Ein einzelner Mecha gegen die gesamten Hekatoncheiren. Schämen Sie sich."

Betretenes Schweigen antwortete ihm.

"Ja, schämen Sie sich. Schämen Sie alle sich. Sie wollen die Elite der Menschheit sein?", schlug ich in die gleiche Kerbe. "Sie alle gelten als die besten Piloten, die wir auftreiben konnten. Und Sie haben es nicht geschafft, mich zu vernichten?"

Ich sah einigen Piloten direkt in die Augen. Die meisten wichen meinem Blick aus.

"Ursprünglich gingen wir davon aus, dass ich nach drei, spätestens vier Minuten zerstört sein sollte. Aber Sie alle haben schwerwiegende Fehler gemacht.

Die Regimentskommandeure", ich sah Megumi an, danach Daisuke und schließlich Yohko, "haben mich zu nahe heran kommen lassen. Sie hätten mich mit Hilfe der Eagles auf Distanz halten müssen und mir nicht erlauben dürfen, in meinen bevorzugten Kampfstil zu finden, den Nahkampf. Ich bin nun mal gefährlich. Das solltet Ihr eigentlich wissen."

Yohko wich meinem Blick aus, während Daisuke ihn mit einem leichten Schmunzeln erwiderte. Megumi biss sich auf die Lippe. Das ich sie vernichtet hatte, nagte immer noch an ihr.

"Die Bataillonskommandeure haben ebenfalls versagt. Die Phalanx war erstklassig aufgestellt. Doch dann begann sie aufzuweichen. Hawks rückten gegen mich vor, Sparrows spritzten zwischen ihnen herum. Und Eagles hatten plötzlich kein Schussfeld mehr.

Die Bataillone haben ihre Plätze verlassen und unfreiwillig auf ihre Kameraden gefeuert. Es war eine absolute Fehlentscheidung, mich nicht im Nahkampf zu stellen, nachdem ich diesen aufgenommen hatte. Es hätte die Verluste mindern können. Enorm mindern können."

Ich pickte mir einige Bataillonskommandeure heraus wie Yoshi, Doitsu und Takashi. Sie nickten zumeist stumm bei meinem Tadel.

"Und die Kompaniechefs haben auf der ganzen Linie versagt. Anstatt ihre Leute bei der Stange zu halten, unter Kontrolle zu haben, sind sie auf den gleichen Zug aufgesprungen und haben versucht, den entscheidenden Schuss auf Prime Lightning abzugeben."

Dutzende Köpfe wurden gesenkt. Ich kannte meine Pappenheimer sehr genau.

"Aber das Schlimmste!", blaffte ich und schlug mit der flachen Rechten auf das Redepult vor mir. "Das Schlimmste seid Ihr Mecha-Krieger, egal ob Ihr in einem Hawk, einem Eagle oder einem Sparrow sitzt! IHR HABT VERSAGT!"

Wieder ging ein Raunen durch den Besprechungsraum, nur diesmal betreten.

"Wenn Ihr nicht auf eure Kompaniechefs hört, dann verfallen die Linien in Unordnung und Ihr schießt auf Kameraden oder nehmt anderen das Schussfeld weg. Wer hier Trophäen jagt gefährdet nur seine Verbündeten und HAT IN DER ELITE NICHTS VERLOREN!

Wer nicht die Disziplin hat, seinen Platz zu halten und den Anweisungen seines Kompaniechefs zu folgen, egal was neben ihm passiert, der sollte noch einmal in die Ausbildung zurückgehen. Was dabei herausgekommen ist, haben wir heute ja gesehen.

Eure Vorgesetzten sind Kompaniechefs, weil wir ihnen die damit vorausgesetzten Fähigkeiten zutrauen. Nicht weil uns der Klang ihrer Namen gefällt oder weil Papi Admiral ist."
 

Ich ließ diesen Gedanken sacken. "Die Befehlsstruktur muß jedem klar sein. Ob einfacher Krieger, ob Kompaniechef, ob Bataillonskommandeur, ob Regimentsführer. Die Befehle kommen von oben. Ich gebe sie Colonel Uno. Sie gibt sie Major Futabe. Der gibt sie an Captain Kurosz weiter. Und der erteilt ihn an Lieutenant Daynes.

Hat das geklappt? NEIN!"

Ich war schon ein paar Mal laut geworden, aber diesmal war ich sicher, meine Stimme konnte man selbst in zwei Kilometer Tiefe in Fushida City hören.

"Ich bin enttäuscht. Und das vor allem von euch, den einfachen Piloten. Wir sind noch fast drei Wochen hier, danach dümpeln wir weitere zwei Wochen bis zu unserem Sprungpunkt. In dieser Zeit kann ich jeden, wirklich jeden noch nach Hause schicken.

Und so wahr ich Blue Lightning bin, das werde ich, wenn das hier nicht besser wird.

Nicht genug, dass Ihr nicht mal mit einem, mit einem einzigen Mecha fertig geworden seid.

Aber euch muß klar sein, dass die Spitzen der Hekatoncheiren mit Veteranen des Mars-Feldzuges besetzt sind. Mit den erfahrensten Männern und Frauen, die wir haben! Die in Schlachten gesteckt haben, die Ihr niemals erleben wollt. Wenn Ihr nicht auf sie hören könnt, ist in dieser Division kein Platz für euch."

Wütend schüttelte ich den Kopf. Meine Worte waren hart, aber gerechtfertigt. Immerhin hatten wir draußen im stellaren Bereich keinen Nachschub, keine neuen Piloten, nichts.

Wir mussten mit dem auskommen, was wir mit uns führten.

"Werdet besser. Bis dahin schämt euch. Diese Übung wird offiziell als verloren gewertet. Ich bin der Sieger. Regimentskommandeure, lassen Sie diese Versager wegtreten."
 

Die drei standen auf und riefen ihre Leute ins Stillgestanden, ließen sie salutieren und wegtreten.

"Na toll", brummte Makoto neben mir. "Wenn du dir gerade fünfhundert Feinde machen wolltest, das hast du geschafft."

"Ich bin nicht hier, um nett zu ihnen zu sein, Mako-chan", erwiderte ich. "Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass die AURORA wieder in einem Stück nach Hause kommt."

"Dennoch. Musstest du Megumi und die anderen gleich mit demütigen?"

"Habe ich vielleicht etwas Falsches gesagt oder übertrieben?"

Makoto schüttelte den Kopf. "Übertrieben, etwas. Aber nichts Falsches."

Ich nickte ernst dazu.

"Keine Angst", meldete sich Megumi zu Wort, als sie neben mich trat. "Ich und Daisuke sind nicht sauer auf Akira."

Sie sah Makoto an. "Er hat ja Recht. Denn wir haben aus einem Bataillon nach dem Marsfeldzug ein Regiment gemacht. Ein Regiment ohne Felderfahrung mit vielen neuen Piloten. Piloten, die in ihren alten Einheiten sicherlich gute Arbeit geleistet haben, aber in dieser Zusammenstellung noch nie gekämpft haben.

Und dann haben wir sie auf eine Division aufgebläht. Diese Division muß funktionieren, und das so schnell wie möglich. Akira hat Recht, ihnen ihre Fehler vor Augen zu führen. Mit ihnen fallen und stehen wir Regimentskommandeure."

"Danke, Megumi", sagte ich erleichtert und gab ihr einen knappen Kuss. "Du warst übrigens richtig gut heute. Als du mir den Arm gekappt hast, dachte ich schon das war es für mich."

"Du warst besser. Dieser alte Trick mit dem Schwert an der Hüfte vorbei, ich bin tatsächlich drauf reingefallen."

"Glück", erwiderte ich.

"Glück?" Die junge Frau zog die Augenbrauen hoch. "Wenn ich mir mal deine Rede in Erinnerung hole, kam da Glück nicht an einer Stelle vor. Nur ein ich bin der Beste."

Ich lächelte verlegen. "Habe ich vielleicht doch übertrieben?"

"Nein", erklärte Megumi schmunzelnd. "Immerhin haben sie dich ja nicht abgeschossen. Du hast Prime überhitzt, weil du mit dem abschießen der Ziele nicht nachgekommen bist. Ich hoffe, es sickert bis in ihre Bewusstseine durch."

"Wenn nicht", sagte ich und gab meiner Stimme einen harten Klang, "es gibt genügend junge Mecha-Piloten, die nur zu gerne einen Platz bei den Hekatoncheiren einnehmen würden."

"Du meinst es wirklich ernst", sagte Makoto. Es war eine Feststellung. Eine kalte Feststellung.

"Ja", antwortete ich, obwohl es nicht nötig gewesen wäre, um meine Entschlossenheit zu unterstreichen...
 

"So, ich gehe meinen Leuten den Kopf waschen", sagte sie und nickte Makoto und mir zu.

Ein Lächeln huschte über ihre Züge. "Falls das noch klappt, nachdem Akira mir meinen abgerissen hat."

Ich räusperte mich lautstark. "Ich wollte deine Autorität nicht untergraben, Schatz."

"Das hast du auch nicht. Aber du hast ganz sicher klar gestellt, wer die Nummer eins und wer die Nummer zwei ist."

Wieder räusperte ich mich. Das war wirklich nicht meine Absicht gewesen.

"Schon gut, Akira. Grübele nicht drüber nach." Sie gab mir einen Kuss auf die Wange, winkte Makoto zu und ging.
 

"Tolles Mädchen", meinte Mako. "Aber ich glaube, die nächste Woche schläfst du allein, Akira."

"Meinst du, sie ist doch sauer?", argwöhnte ich.

"Quatsch. Es ist nur, so wie du sie vorgeführt hast, wird sie sich und ihre Leute trainieren, bis sie umfallen."

"Nicht dass sie es nicht nötig hätten", brummte ich zur Erwiderung, "denn sonst können wir Projekt Troja gleich vergessen."
 

2.

Zwei Wochen noch. Zwei Wochen, bevor wir aufbrachen. Die letzten Schiffe der Begleitflotte trafen ein und ließen ihre Mannschaften Quartier beziehen. Zumeist in den Appartements in den Felswänden der AURORA, aber Makoto hatte mir erklärt, dass eine Ghettoisierung, wie er es genannt hatte, nicht stattfinden sollte. Darum stand jedem Soldaten mindestens ein Zimmer in der Stadt oder einem der kleineren Orte zu.

Seit der Übung war eine Menge geschehen. In kürzester Zeit war ich zum meistgehassten Mann der AURORA aufgestiegen, zumindest was die neuen Rekruten der Hekatoncheiren betraf. Die Mars-Veteranen bewahrten sich dem gegenüber eine gewisse Nonchalanche und hielten die Klappe.

An sich war diese Entwicklung nämlich gewollt, denn wenn sie mich hassten und mich überholen wollten, mussten sie sehr viel besser werden.

Dennoch hatte ich bereits drei Leute in Schande nach Hause geschickt und durch bessere ersetzen lassen.

Was die Hekatoncheiren anging hatte ich das letzte Wort. Niemand sonst.
 

"Ruhe, bitte", sagte Sakura Ino, ihres Zeichens Admiral und Oberbefehlshaberin der Expedition. Sofort verstummten die anwesenden Schiffskapitäne, die Infanterie-Offiziere, die Kommandeure der Panzereinheiten und die obersten Offiziere der Mecha-Einheiten sowie Hina Yamada als Vertreterin der Slayer. Auch Futabe-sensei war anwesend, was mich für einen Moment etwas irritierte.

Als alle Teilnehmer der Konferenz Platz genommen hatten und die kleinen Gespräche eingestellt hatten, kamen durch eine Seitentür mehrere Anelph. Einer von ihnen war unverkennbar Jano Avergan Ryon, der Admiral der Evakuierungsflotte.

Sie nahmen neben Sakura Platz. Die nickte den Neuankömmlingen zu. "Schön, dass Sie es geschafft haben, Admiral.

Das Thema der Besprechung ist unsere Mission. Oder vielmehr das, was uns erwartet. Wir haben die AURORA mit allem ausgestattet, was die Zeit ermöglichte und was die Erde entbehren konnte. Wir wissen dennoch nicht, ob es reichen wird. Admiral Ryon wird nun seinen Kenntnisstand über Lorania vermitteln, der Heimatwelt der Anelph. Bedenken Sie alle, diese Kenntnisse sind fünf Jahre alt. Admiral, bitte."
 

Ryon erhob sich. "Danke, Admiral Ino. Ich danke Ihnen und Ihren Untergebenen dafür, dass sie diese schwierige Mission erfüllen wollen."

Sein Blick glitt über die Anwesenden und blieb an mir hängen. "Ihnen allen.

Ich werde Ihnen nun etwas über mein Heimatsystem erzählen.

Zuerst einmal ein paar allgemeine Daten. Unsere Sonne heißt Kanto. Kanto ist eine gelbe Normsonne des G2-Spektraltyps. Wir schätzen ihr Alter auf vier Milliarden Jahre.

Das Kanto-System umfasst dreizehn Planeten und hundertsiebenundachtzig Monde. Plus Minus drei Dutzend, weil sich unsere Astronomen in über dreihundert Jahren interplanetarer Vermessung nicht einig wurden, was als Mond und was als kosmisches Trümmerstück gilt.

Relevant für uns sind siebzehn Monde sowie die Planeten vier bis neun.

Die inneren drei Planeten, Lokasa, Lovenk und Lote sind unbewohnbare Gluthöllen, die viel zu nahe an Kanto liegen. Lokasa und Lovenk entsprechen von der Größe her Ihrem Merkur. Lovenk hätte Leben tragen können, ist aber ebenso wie Ihre Venus von einer Hochdruckatmosphäre umgeben, die eine Besiedlung unmöglich macht.

Lorania, unsere Heimatwelt ist Planet Nummer vier. Auf ihr leben achthundert Millionen Anelph. Die Aufteilung von Land zu Wasser entspricht in etwa zwanzig zu achtzig. Die Achsneigung ist unter drei Grad, Jahreszeiten entsprechend schwach ausgeprägt. Jomma und Dipur, die beiden Monde unserer Heimat, umlaufen Lorania auf exakt gegenüber gesetzten Punkten der gleichen Bahn. Es handelt sich um Einseitendreher. Sie bringen zusammen in etwa die gleiche Masse auf die Waage wir Ihr Mond Luna. Lorania selbst ist etwas kleiner als Ihre Erde, aber ein stärkerer Eisenkern sorgt dafür, dass die Gravitation in etwa einem Gravo, also Ihrer Norm entspricht.

Wichtig an dieser Welt ist vor allem eines. Sowohl in der Hauptstadt Demiral als auch über die ganze Welt sowie die Monde verteilt befinden sich neunzehn Garnisonen der Naguad sowie fünf Raumhäfen für ihre Besatzungsflotten. An diesem Punkt konzentriert sich die größte Militärmacht der Naguad im gesamten System."
 

"Von welcher Größenordnung sprechen wir?", warf ich ein.

"Nun, die anwesenden Streitkräfte der Naguad entsprechen in etwa der Kampfkraft von elf BAKESCH. Minus der drei, die wir für unsere Flucht gestohlen haben. Dazu kommen die Streitkräfte auf einundzwanzig weiteren Basen, die über das System verteilt sind und zusammen eine Schlagkraft von sechs weiteren BAKESCH aufbringen. Diese Zahlen sind alt, wir können also davon ausgehen, dass die Kampfkraft wieder aufgestockt oder ungünstigenfalls erhöht wurde.

Doch die Missionsparameter verlangen keine Schlacht mit diesen Truppen. Ganz davon abgesehen, dass ein erobertes Kanto-System nicht länger als maximal ein Jahr zu halten wäre."

Ich nickte als Antwort. "Verstehe." Die Kampfkraft von siebzehn BAKESCH war eine harte Nuss. Selbst wenn sie sich auf Dutzende Schiffe aller Klassen aufteilte würde es nicht leichter werden.
 

"Auf Lovaria folgt Lovtose. Lovtose ist eine fast ebenso große Welt wie unser Heimatplanet. Wir haben vor fünfzig Jahren versucht, sie mit Orbitalspiegeln zu terraformen. Ursprünglich war sie eine Eiswelt. Nun ist sie eine Wasserwüste mit minimal ausgeprägten Jahreszeiten und etwa sieben Prozent Landmasse. Drei Millionen Anelph leben hier.

Lovtose verfügt über fünf Monde von unterschiedlicher Größe. Aber lediglich Bilod ist für uns interessant da er in etwa auf einen Durchmesser von zweitausend Kilometern kommt und eine Basis der Naguad beheimatet.

Der sechste, siebte und achte Planet sind Loccose, Lotorion und Lohoris. Alle drei Welten haben keine Atmosphäre. Auf Loccose versuchen wir eine aufzubauen, da die Eigengravitation von null Komma acht von terranischer Norm bei einem planetaren Durchmesser von zehntausend Kilometern eine Atmosphäre halten könnte. Doch ob uns ein Erfolg beschienen ist, wird sich erst in fünfzig Jahren heraus stellen. Bis dahin werden Loccose, Lotorion und Lohoris als Umschlagplätze für die Frachtraumer genutzt, welche in das Naguad-Imperium aufbrechen und von dort Waren bringen.

Alle drei Welten haben jeweils einen Mond. Sie spielen aber lediglich untergeordnete Rollen und sind zu klein.

Laccus, der neunte Planet wiederum spielt eine wichtigere Rolle. Denn auf dem dreitausend Kilometer durchmessenden, atmosphärelosen Eisball befindet sich das Regionalkommando der Naguad. Alleine dort konzentrieren sich Schiffe mit einer Kampfkraft von vier BAKESCH.

Livior, Letus und Lamada sind Gasriesen. Livior ist ein Gigant, der dreizehn Prozent mehr Masse als Ihr Jupiter hat. Ihn umgeben siebenundfünfzig Monde, von denen die größten drei, Garth, Gomarn und Gelder als Basis der Naguad genutzt werden.

Letus ist unwesentlich kleiner, besitzt aber nur neun Monde. Drei von ihnen werden noch in diesem Jahrhundert auf ihre Mutterwelt hinab stürzen. Letus gilt als Materiefresser, der schon viele Kometen angezogen und assimiliert hat. Selbst seine eigenen Monde fallen ihm zum Opfer.

Lamada wiederum ist knapp an der Untergrenze eines Methanriesen. Etwa halb so groß wie Ihr Jupiter, mit neun Ringen ausgestattet und fünfundzwanzig Monden. Ein Mond, Kapel, wird militärisch genutzt. Allerdings vom Anelph-Regime, welches unser System im Sinne der Naguad regiert.

Die letzten beiden Planeten sind Licavre und Lessette, eigentlich nichts weiter als dreitausendfünfhundert Kilometer beziehungsweise zweitausendachthundert Kilometer durchmessende Eisbälle, auf denen die Naguad Frühwarnsysteme und Ortungsstationen unterhalten. Fragen hierzu?"
 

Makoto hob eine Hand. "Ich nehme an, Letus' Monde werden nicht militärisch oder zivil genutzt, da das Mondsystem als instabil gilt."

"Das ist richtig, Colonel Ino. Es macht wenig Sinn eine Basis aufzubauen, wenn sie in ein oder zwei Jahrzehnten samt Mond auf den Riesenplaneten stürzt. Es gibt keine nennenswerte Präsenz der Naguad in dieser Region des Systems. Tatsächlich haben wir Letus und seine Monde als Aufmarschgebiet genutzt, bevor wir das System als geschlossener Verband verlassen haben."
 

Schweigen folgte den Worten des Admirals. Ordonnanzen traten ein und servierten Kaffee und Tee.

Nachdem alle Teilnehmer der Konferenz ein Getränk ihrer Wahl erhalten hatten, fuhr der Admiral fort.

"Kommen wir zum nächsten Teil. Ich war in der Flotte der Anelph tatsächlich Admiral. Als junger Leutnant habe ich gegen die Invasion der Naguad gekämpft. Ja, wir wurden militärisch direkt unterworfen, nicht durch einen Core.

Nach unserer Niederlage etablierten die Naguad eine neue Regierung und unterstellten das Militär ihrem Kommando. Diese Regierung sorgt vor allem für die von den Naguad geforderten Steuerabgaben und die militärische Unterstützung.

Als Vasall des Imperiums sind wir Anelph verpflichtet, auf Anforderung der imperialen Marine Soldaten und Schiffe unter den Befehl der Naguad zu stellen und Polizeiaktionen im gesamten Gebiet des Imperiums durchzuführen.

Dass wir nicht gerade als Frontklasse-Truppen gelten und oftmals kaum besser verheizt werden, sollte Ihnen allen klar sein. Ich selbst war auf elf dieser Missionen und wenn es nicht gerade darum ging eine rebellische Welt zu zerbomben, dann standen wir auf verlorenem Posten, um Naguad-Schiffen die Flucht oder das heranführen von Verstärkungen zu ermöglichen. Dementsprechend groß waren unsere Verluste.

Das Regime tut was es kann um einerseits unser Volk nicht ausbluten zu lassen, andererseits das Imperium nicht zu verärgern. Aber letztendlich wird es nicht mehr lange dauern und wir Anelph werden ebenso in den Aufstand getrieben wie andere Nationen vor uns. Und wir werden genauso blutig unterworfen werden wie sie. Außer, wir würden selbst zu Naguad werden."
 

Wieder sah mich der Admiral direkt an. "An diesem Punkt der Erkenntnis fassten einige Offiziere einen Plan. Die meisten von ihnen haben mich begleitet, aber einige Tapfere sind hoffentlich noch immer unentdeckt und warten auf den Tag ihrer Aktivierung innerhalb der Admiralität.

Der Plan war einfach. So viele Anelph wie möglich zu evakuieren und aus dem Imperium zu schaffen.

Uns war allen klar, dass dies nicht von heute auf morgen möglich war. Tatsächlich hat uns der lange Weg schon früh entmutigt und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob meine Leute nach der Pause auf dem Mars bereit gewesen wären, eine weitere Reise in Kauf zu nehmen.

Die Anelph, die mich begleitet haben, sind hauptsächlich Angehörige der Soldaten meiner Flotte. Aber es sind auch viele Freunde, Bekannte dabei, Freiwillige, die wir auf diese oder jene Art integrieren konnten. Wissenschaftler, Ingenieure. Nicht die Besten, aber sehr gute Leute. Alles, was uns mit nur einem Jahr Vorbereitung möglich war.

Der ursprüngliche Plan sah vor, einen Pendelverkehr zu etablieren, immer und immer mehr Anelph aus dem Gebiet des Imperiums zu retten. Aber mit unseren Mitteln ist dies nicht möglich. Zudem wissen wir nicht, wie es im Kanto-System aussieht. Eventuell hat unsere Flucht automatisch eine Strafexpedition ausgelöst..."

Erschrockenes Raunen ging durch den Saal. Strafexpedition. Was für ein schauriges Wort.
 

"Reden wir über das Regime und über das Imperium. Was haben wir zu erwarten?", fragte Daisuke ernst. "Was sind die Beweggründe des Imperiums? Inwieweit wird uns das Regime der Anelph Hilfe oder Bedrohung sein?"

"Die Beweggründe des Imperiums sind einfach. Die Naguad sind eine Rasse von Humanoiden, welche durch eine Bevölkerungsexplosion und stagnierende Wirtschaft ins All ausgewichen ist. Durch Expansion auf neue Märkte und immer billigere Ressourcen haben sie sich weiter vermehrt und weiter ausgebreitet.

Ihre Mentalität ist etwas, was Ihr Menschen Kapitalismus nennt. Der Starke frisst den Schwachen. Die Finanzen sind heilig. Und ein Leben hat einen Preis, der ist allerdings verhandelbar.

Neben dem festen Tribut handeln die Naguad mit uns. Es ist ein sehr profitables Geschäft und hat zu einem Wohlstand geführt, der immens größer ist, als alles was wir bisher auf unserer Heimatwelt erlebt haben. Allerdings bescheiden in diesem Zusammenhang für imperiale Verhältnisse und nach kapitalistischem Prinzip nur für einige wenige, vor allem Mitglieder der Regierung.

Dennoch hat sich im Regime eine Widerstandsgruppe etabliert. Denn uns stehen nur zwei Wege in die Zukunft offen. Entweder wir gehen im Imperium der Naguad völlig auf, verbreiten die Gift und werden biologisch alle selbst Naguad und treiben als Naguad die Expansion des Imperiums voran, überfallen andere Systeme, zwingen sie unter unsere Kontrolle, missbrauchen ihre Absatzmärkte und kaufen billig Rohstoffe von ihnen.

Oder wir fliehen, bauen uns ein neues Leben auf, werden wieder Anelph.

Innerhalb des Regimes gab es fünf Minister, die für uns tätig waren oder zumindest einen Teil der Aktivitäten unserer Gruppe gedeckt haben.

Auch hier kann ich nicht sagen, wer noch im Amt ist oder überhaupt noch lebt."
 

"Wir haben aber die Möglichkeit, sie zu kontaktieren?", hakte Megumi nach.

"Sicher haben wir das. Ich werde Kapitän Ban Shee Ryon sämtliche entsprechenden Daten übergeben, über die wir verfügen."

"Noch eine Frage, Admiral Ryon", sagte ich und erhob mich. "Wie genau soll unsere Operation ablaufen? Warten bereits bemannte Schiffe auf uns, wenn wir in das Kanto-System einfliegen? Oder müssen wir zu den bewohnten Welten? Existieren die evakuierungswilligen Anelph bereits oder müssen wir erst Überzeugungsarbeit leisten?"

"Natürlich warten noch keine bemannten Schiffe auf uns", erwiderte der Admiral mit einem Schmunzeln. "Da niemand weiß, wie lange wir brauchen würden, wäre es auch verrückt gewesen. Aber nein, wir werden hoffentlich nicht die bewohnten Welten direkt anfliegen müssen. Es sollte möglich sein, aus dem gravitatorischen Feld von Letus heraus alle nötigen Aktionen in Angriff zu nehmen.

Und ja, vor fünf Jahren gab es mehr als genügend evakuierungswillige Anelph. Ich weiß nicht wie es heute aussieht. Leider nicht."
 

"Weiter. Wie nähern wir uns an?"

"Nun, Colonel Otomo, wir springen erst einmal von System zu System. Anschließend verstecken wir uns im Orbit um Letus und schicken Scouts aus. Da es einen regen Handel mit dem Imperium gibt, sollten wir einigermaßen unbehelligt Lorania erreichen, um unsere Verbindungsleute zu kontaktieren und die weitere Flucht zu koordinieren. Entschuldigen Sie, Sie natürlich. Langsam bereue ich es, dass ich hier bei meinem Volk bleiben muß und Sie nicht begleiten werde."

"Wir werden wahrscheinlich bis zum Hals in Ärger landen", kommentierte ich.

"Deshalb ja", erwiderte der Admiral schmunzelnd.

Die Anwesenden lachten leise.

"Besprechen wir einige Details", nahm Kei den Faden wieder auf. "Sie haben doch sicherlich Leistungsparameter von Mechas, Schiffen und Infanterieeinheiten sowohl der Anelph als auch der Naguad für uns, oder, Admiral?"

Zwei der Anelph-Begleiter erhoben sich, gingen von Teilnehmer zu Teilnehmer und luden neue Dokumente in die individuellen Datapads. "Hier sind sie schon."

"Gut. Reden wir darüber", sagte ich ernst.
 

3.

"Es ist nicht unmöglich. Es ist nicht unmöglich. Es ist nicht unmöglich."

"Akira, was ist los? Hast du plötzlich einen Schaden gekriegt, oder was?", fragte Kei erstaunt.

"Würde dich das wundern? Du hast die Daten doch auf deinem Pad." Ich starrte auf meine ausgebreiteten Hände und sah dann den Freund wieder an. "Verdammt, Kei, wir haben eine gute Chance, diesen Einsatz zu überleben. Verdammt. Wir haben sogar eine gute Chance, unser Ziel zu erreichen. Aber wir haben mindestens eine ebenso gute Chance, hierbei zu sterben oder noch schlimmer, die Naguad direkt zur Erde zu führen."

"Dann wäre es das Sinnigste, Zuhause zu bleiben, die Türen geschlossen zu halten und alles zu vernichten, was in diesem System auftaucht und nach Naguad riecht - ohne Warnung und so schnell wie möglich, richtig?"

"Richtig, Kei", erwiderte ich ernst.

"Warum machen wir es dann nicht auch?"

"Du bist ein verdammter Arsch", warf ich ihm vor, während der kleinere Mann mich frech angrinste. "Weil ich ein verdammter unternehmungslustiger Idiot bin und ich die feste Meinung habe, dass die Anelph, die wir dem Imperium aus den Klauen reißen wollen es wert sind."

"Und das glaubst nicht nur du, Großer", sagte Kei und tätschelte mir gönnerhaft die Schulter.
 

Wir setzten uns zusammen in Bewegung und verließen den Besprechungsraum. Die meisten Teilnehmer hatten sich schon verstreut oder standen draußen im Gang und unterhielten sich.

Die Stimmung war durchweg positiv. Man freute sich auf die Herausforderung.

Verdammt. Wie schnell konnte das alles in einem Blutbad versinken?

"Ich kann deine Gedanken lesen", sagte der Kapitän der SUNDER leise. "Du denkst gerade daran, dass wir in ein riesiges Fiasko fliegen könnten, oder?"

"Du etwa nicht?", konterte ich.

"Natürlich", bemerkte er ernst. "Ich wäre ein Idiot, wenn ich das nicht in Betracht ziehen würde. Und genau deswegen können wir verhindern, dass es geschieht. Wir werden unsere Leute schleifen, bis sie umfallen. Aber wenn sie wieder aufwachen, dann beherrschen sie ihren Job im Schlaf. Und nur darauf kommt es an.

Nur wenn wir die Leute so gut kriegen, dass sie nicht an eigenen Fehlern krepieren, ist unser Gewissen nicht mehr so schwer wie die ganze AURORA..."

Ich spürte, wie meine Augen feucht zu schimmern begannen. "Kei..."

"Ich bin nicht durch die Hölle des Mars-Feldzuges mit dir gegangen, ohne etwas zu lernen."

Ich betrachtete seine Abzeichen, bevor ich schniefte und mir mit dem Uniformärmel über die Augen wischte. "Sieht man, Kei, sieht man."

Der Freund begann zu lachen und ich fiel ein. "Also mach ruhig weiter bei deinen Hekatoncheiren und schleif sie, bis sie dir auflauern, um dich zu verprügeln. Wenn sie erst merken das sie dank deines harten Drills überleben, werden sie dir mehr als dankbar sein."

Ergriffen sah ich den Freund an. Aber was hatte ich anderes erwartet? Wer einen ZULU ZULU kommandierte, war kein Kind mehr.

"Aber eines stört mich doch. Sag mal, alleine gegen alle Hekatoncheiren anzutreten, kann es sein, dass du zum Angeber mutierst?", tadelte er mich.

"Äh... Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt als Sieger hervor zu gehen."

"Ausreden, Ausreden", kommentierte Kei und ging wieder voran.
 

Wir kamen schnell zur nächsten Bahnhaltestelle. "So, ich fahre zu meinem Appartement in Süd zwei vier. Wo ist deines?", fragte der junge Mann wie beiläufig.

"Ich habe mein Appartement heute aufgegeben. Ich ziehe nach Fushida. Man hat mir eine Wohnung zugeteilt. Ich bin schon sehr gespannt auf sie", erzählte ich. "Hab sie bisher noch nicht gesehen."

"Eine Wohnung in der Stadt?"

"Ja, recht zentral gelegen, habe ich mir sagen lassen. Ich mag es gerne etwas lauter." Ich deutete auf die Haltestelle entgegen der Südrichtung. "Willst du mit?"

"Ein Blick kann ja nichts schaden. Zieht Megumi auch ein?"

"Sie", sagte ich ernst, "hat eine eigene Wohnung. Frag mich nicht warum, denn wir werden die meiste Zeit sowieso bei mir sein, wenn wir nicht gerade unsere Leute drillen oder im Einsatz sind. Aber es ist ihre Entscheidung. Und ich respektiere das."

"Du bist mir einer", sagte Kei, und ich fühlte mich für einen Moment gläsern. Durchschaubar. Mein alter Freund wusste viel zu gut, wie es wirklich in mir aussah.
 

Wir bestiegen die Bahn und fuhren Richtung Fushida. Unsere Magnetschwebebahn fuhr auf einer Schiene, die sie über Serenity führte, das künstliche Meer. Die Route hatte auch eine Haltestelle an Poseidon, unserem HQ, das sich majestätisch inmitten der Fluten erhob. Bei Sonnenuntergang ein toller Anblick. Vor allem, wenn man am Strand lag und auf die Wellen hinaus sah. Die holographische Technik, die für den Himmel verwendet worden war, war einfach gigantisch.

"Was ist eigentlich mit Takashi Mizuhara?", fragte Kei beiläufig. "Ich habe gehört, er hatte sich nach dem Feldzug aus der UEMF zurückgezogen?"

"Komisch. Er leitet eines meiner Bataillone. Wenn er sich zurückgezogen hat, habe ich davon nichts mitbekommen. Seine Leistungen sind sehr gut." Ich schüttelte den Kopf. "Wenn er sich zurückgezogen hat, dann sicher nur, um seinen Abschluss zu machen."

"Da habe ich was anderes gehört, Akira", brummte Kei leise. "Ich glaube, er hatte ein ernstes Problem damit, dass er sich damals freiwillig gemeldet hat, um mit seiner Sparrow-Kompanie die eroberte Werft zu schützen. Machte sich viele Vorwürfe, dass er nicht mit uns in der dicken Suppe gesteckt hat."

"Das habe ich gar nicht gemerkt", erwiderte ich leise. "Verdammt, ich habe es nicht gemerkt."

"Ist nicht deine Schuld. Von unseren Freunden ist er nicht gerade einer der Engsten", entschuldigte Kei mich.

Ich rieb mir meinen Nacken, der plötzlich schmerzen wollte. "Zu eng hätte ich was zu sagen. Sein Doppelnelson ist echt die Hölle.

Also, was ist mit ihm? Warum ist er zurückgekommen? Komm schon, du hast doch sicher was gehört. Will er es diesmal besser machen?"

"Nein. Sein großer Bruder kommandiert eines der Begleitschiffe. Das war wohl der Grund für seine Rückkehr."

"Takashi hat einen Bruder?" Nachdenklich kratzte ich mir die Stirn. "Und ich dachte mittlerweile, ich wäre der einzige Mensch mit Geschwistern auf diesem Planeten. Von Makoto und Sakura mal abgesehen."

Kei lachte leise. "Sarah hat auch Geschwister. Vier oder fünf, wenn ich mich nicht irre. Gut, ich und Yoshi haben keine und Megumi auch nicht. Aber Hina hat noch einen kleinen Bruder. Und Akane... Bei Akane weiß ich das gar nicht."

Ich grinste Kei an. "Bist gut informiert."

"Hey, wenn du ein so dickes Schiff wie die SUNDER kommandierst, musst du ein Gespür für den neuesten Tratsch und die Familienverhältnisse haben, sonst gehst du schnell auf Grundeis. Wer sich nicht für seine Leute interessiert, hat bei ihnen keinen Rückhalt."

"Ich hasse es, wenn du Recht hast", warf ich ihm vor.

Kei grinste mich nur an.
 

Wir hielten in der Poseidon-Station. Mehrere Dutzend Menschen und Anelph in Uniform stiegen zu.

"Du solltest wirklich aufhören, dir die Haare weiß zu färben", beschwerte sich Kei bei mir. "Die starren dich alle an."

"Nicht alle", erwiderte ich amüsiert. "Nur die Hälfte. Die andere Hälfte sieht verkrampft weg."

Kei grinste. "Lass die Farbe raus wachsen und das Auge von Kitsune-chan oder Okame-tono heilen, hm? Als Chef der Hekatoncheiren brauchst du beide Augen. Keine Zeit für Eitelkeiten."

"Eigentlich hast du ja Recht."

"Und warum machst du es dann nicht?"

"Weil ich ein Idiot bin?"

"Guter Einwand", schmunzelte Kei. "Ist das deine Ausrede für alles?"

"Ich fliege auf diesem Felsbrocken in eine Mission mit ungewissem Ausgang. Reicht das als Antwort?"

"Touché."
 

Die Bahn fuhr weiter und sauste nur knapp über die Oberfläche von Serenity hinweg. Das griechische Wort für Heiterkeit, ich fand es für das Farbenfeuerwerk unter uns sehr passend.

Die Meeresbiologen hatten sehr gute Arbeit geleistet, um in dem salzigen Wasser eine ausgewogene Population zu etablieren. Sogar an künstliche Riffe hatten sie gedacht.

Kurz ging ein Schauer über meinen Rücken als ich daran dachte, dass mit den Meerestieren, die gewollt angesiedelt worden waren, auch das eine oder andere Exemplar dabei sein konnte, dass man eigentlich nicht hatte haben wollen. Feuerquallen oder Haie zum Beispiel.

"Volleyball", murmelte ich leise.

"Volleyball?", argwöhnte Kei. "Ist das ein Spezialtraining oder eine Mission, die ich noch nicht kenne?"

Ich schüttelte den Kopf. "Kein Codewort. Ich meine das Spiel." Mit der Rechten deutete ich auf den näher kommenden Strand. Eine Gruppe junger Leute spielte dort gerade.

"Ach, richtiges Volleyball", murmelte Kei und nickte verstehend. "Habe ich lange nicht mehr gespielt. Sollte ich unbedingt noch mal nachholen."

"Ja, vielleicht sollten wir mal wieder alle an den Strand fahren, was? Mit der ganzen Bande", erwiderte ich nachdenklich.

"Ach komm. Du willst die Mädchen ja nur im Badeanzug sehen", warf der Freund mir grinsend vor.

"Wer die wohl im Badeanzug sehen will", konterte ich grinsend. "Ich sehe dich schon deine Fotoausrüstung aufbauen. Verkaufst du eigentlich immer noch nebenbei deine Fotos?"

"Für wen hältst du mich?", sagte Kei leise. "Ich bin Kapitän der SUNDER. Ich habe keine Zeit dafür, aufwändig Fotos von Hand zu Hand zu verkaufen."

"Oh."

"Dafür habe ich eine Website."

Kei lachte mich aus, als mir das Kinn herab sackte. Und wenn ich ehrlich war, dann hatte ich es auch verdient. "Du bist ein mieser kleiner...", begann ich.

"Soll ich dir meine Zugangsdaten geben? Ich habe da ein paar sehr tolle Serien von Megumi auf der Page", unterbrach er mich wie beiläufig.

"Und ich dachte, du wirst endlich erwachsen", murmelte ich und schüttelte den Kopf. "Klar, schreib es mir auf, ich sehe sie mir an. Von Megumi kann ich nie genug kriegen."

"Wer von uns beiden wohl endlich erwachsen werden sollte", tadelte Kei und erhob sich mit mir, als die Bahn meine Station erreichte. "Aber schön zu wissen, dass sich manche Dinge nicht ändern."
 

Ich grinste schief, während wir in einem Pulk an Menschen die Bahn verließen.

Uns offenbarte sich ein Stadtteil mit geduckten, selten größer als dreistöckigen Gebäuden, deren Untergeschosse mit kleinen Läden, Kneipen und dergleichen ausgestattet waren. Dazwischen und dahinter duckten sich immer wieder weitere kleine Gebäude, Bungalows und andere Wohnhäuser.

"Keine Wolkenkratzer?", wunderte sich Kei. "Du bevorzugst eher Kleinstadtatmosphäre, was?"

Ich zog einen Zettel aus meiner Uniform hervor und las ihn aufmerksam. "Keine Ahnung. Eikichi hat sich um die Wohnung gekümmert. Ich brauche eigentlich nur noch einzuziehen. Und meine Sachen sollten auch schon bereit stehen."

"Deine Sachen? Auch deine Manga-Sammlung? Ich meine, du hast sie doch mitgenommen, oder?", argwöhnte der Freund.

"Was denkst du denn von mir? Natürlich habe ich meine Sammlung mitgenommen. Willst du dich wieder durch mein Regal arbeiten?", fragte ich grinsend.

"Klar."
 

Nebeneinander gingen wir die Straße hinab. Sie war nach einem der Soldaten benannt worden, der auf dem Mars gestorben war. Eine Mahnung an mich, dass ich niemals alle hatte beschützen können und dies auch nie schaffen konnte. "Die Kenneth Young-Allee runter zur Sandra Antani-Straße", murmelte ich leise. "Dreihundert Meter auf der rechten Seite. So steht es hier zumindest."

"Das sollte doch zu finden sein", meinte Kei. "Sag mal, Akira, hast du schon das von Mamoru gehört? Ich meine, schlimm genug, dass er mit Akane auseinander ist, aber er hat doch tatsächlich..."

"Ich weiß. Ich habe Gina schon kennen gelernt", unterbrach ich seinen Redefluss.

"Okay, aber meinst du nicht, dass das noch mächtig Ärger geben wird? Ich meine, Akane wird das nicht so hinnehmen. Das gibt bestimmt Stutenbeißen."

Ich begann leise zu lachen. "Was du für Wörter kennst, es ist unglaublich. Meinst du wirklich, es wird so schlimm? Ich meine, die zwei, sie... Nun, sie haben sich gefunden, als der Krieg seinen Höhepunkt erreicht hat. Sie waren in permanenter Lebensgefahr und kosteten das Leben aus, soweit sie es konnten. Nach dem Krieg aber fanden sie heraus, dass sie nicht zusammen passten. Und in dieser Ernüchterung haben sie sich getrennt. Ich meine, mit Hina und Doitsu war es doch genauso. Und Sakura-chan und Thomas, ein Traumpaar waren die beiden eigentlich nie, aber das es so schnell mit ihnen aus sein würde... Vielleicht hat der Rangunterschied auch ne Rolle gespielt. Manche Männer haben Komplexe, etwas mit einer Frau anzufangen, die ihnen in irgendeiner Form überlegen ist."

"Also, ich fand, dass Doitsu und Hina gut zusammen gepasst haben. Ich meine, ihre spritzige Art tat ihm gut und er hatte einen regulierenden Einfluss auf sie. Die beiden haben zusammen wirklich aufgelebt. Bei Thomas und Sakura kann ich das eher verstehen. Irgendwie haben sie halt nicht die richtige Chemie gehabt", merkte Kei an.

"Apropos. Wie ist es denn bei dir so gelaufen?", fragte ich beiläufig.

"Hm? Bei mir? Ach so. Nein, hat sich nichts ergeben."

Ich blieb stehen und starrte den kleinen Computerexperten und jetzigen Kommandeur der SUNDER an. "Was? Aber ich dachte, du... Ich dachte, die kleine Shirai hätte ein Auge auf dich geworfen. Oder war es Eri-chan?"

Keis Wangen röteten sich leicht. "E-es ist nicht so einfach. Ich meine, du kannst vielleicht mit der linken Hand die Schule schaffen, und mit Rechts steuerst du deinen Mecha, während du gleichzeitig die UEMF verwaltest und deine Traumfrau eroberst.

Aber ich musste mir alles hart erarbeiten.

Ich meine, Akira. Als du schon vier Jahre dazu gehört hast, als du schon lange ein Profi warst, da war ich noch ein besseres Kind. Ich musste mir meinen Respekt erst erkämpfen. Ich musste vieles von Grund auf neu erlernen. Die Computersysteme an Bord der GRAF SPEE sind ein völlig anderes Kaliber als die PCs, die ich Zuhause habe.

Dann die taktische Ausbildung, die Bordstruktur, der ewige Drill und die viele Verantwortung. Wann sollte ich mir da nebenbei noch eine Freundin zulegen?"

"Heißt das etwa, du..."

"Heißt was?", erwiderte er wütend.

"Hattest du die ganzen letzten zwei Jahre keine Freundin?"

"Nein, hatte ich nicht. Denn während du dich irgendwo verkrochen hast, um von deinen Komplexen runter zu kommen, da habe ich die Akademie absolviert. In der einen Stunde selbst die Schulbank gedrückt, in der nächsten unterrichtet. Akira, ich bin erst zwanzig. Ich weiß nicht wie du das alles geschafft hast, aber ich hatte nicht den Hauch von Freizeit.

Aber wie du an meinem Kommando sehen kannst, hat es sich gelohnt."

"Also heißt es das", murmelte ich leise.

"Was heißt was?", erwiderte er lauter.

"Schon gut, Kei. Ich wollte nicht den Finger in die Wunde legen." Ich wollte weiter gehen, doch der Freund hielt mich fest.

"Nun sag schon. Heißt was?"

"Du bist noch... Du weißt schon."

"Nein, weiß ich nicht. Rede mal Klartext, ja?", blaffte er wütend.

"Wenn du keine Freundin hattest, dann hattest du sicher auch noch keinen...", sagte ich leise.

"Sex?", argwöhnte Kei.

Ich nickte.

"Und? Hast du ein Problem damit?"

"Dann ist es wahr?"

"Mann, als wenn das so eine große Sache wäre. Ich hatte einfach keine Zeit dafür. Außerdem hatte ich auch nicht gerade deine Auswahl. Wie viele Frauen wollten was von dir? Und ich rede hier nur von den Offensichtlichen Fällen."

"Kei, ich...", begann ich leise.

"Nein, ist schon gut. Ist ja nicht so, als würde ich weiterhin in Askese leben wollen. Aber ich muß ja nun auch nicht gerade die Axt im Wald spielen, oder? Außerdem habe ich wirklich nicht viel Freizeit, solange ich den BAKESCH kommandiere."
 

Schweigend setzte er sich wieder in Bewegung und ebenso schweigend holte ich zu ihm auf.

"Tut mir leid", sagte ich schließlich.

"Ist schon in Ordnung. Kannst ja nichts dafür. Und es ist auch kein Beinbruch. Wenn ich die Gelegenheit habe, dann habe ich sie halt." Er warf mir einen kurzen Blick zu. "Ami wollte was von mir?"

"Kann sein. Gesagt hat sie es nicht, aber..."

"Und wenn schon", meinte Kei und winkte ab. "Dann sicher nur, weil sie sauer war, dass sich Yoshi für deine Schwester entschieden hat. Ich bin nicht gerne Zweite Wahl, du verstehst?"

"Sie ist aber ein nettes Mädchen", murmelte ich nachdenklich. "Okay, sie kann deine Wirbelsäule in fünf Sekunden in Trümmer verwandeln. Aber gib doch zu, seit sie die braunen Zöpfe gegen diesen niedlichen Kurzhaarschnitt getauscht hat..."

"Hast du nicht noch was mit zwölf Attentätern zu tun, die in die Körper von ahnungslosen Bewohnern von AURORA implantiert sind und nur darauf warten, dich töten zu können?"

"Nun reagier mal nicht so empfindlich", erwiderte ich und hob abwehrend die Arme. "Muss ja nicht sofort sein. Ich kann sie ja mal mit den anderen Slayern zum Karaoke einladen. Du kommst dann zufällig mit und..."

"Hat dir schon mal jemand gesagt, dass verkuppeln nicht deine Stärke ist?", schmunzelte Kei.

Ich blieb wieder stehen und senkte die Arme. Langsam atmete ich aus. "Alles was ich will ist doch, dass meine Freunde glücklich sind. Ist das ein solches Verbrechen?"

Unschlüssig sah Kei mich an. "Na gut!", rief er schließlich und warf verzweifelt die Arme in die Luft, "probieren können wir es ja mal. Kann auch nicht schlimmer sein, wenn es schief geht, als drei direkte Treffer backbord zu kassieren."

"Ich glaube, er mag sie auch", schmunzelte ich und holte den Freund wieder ein.

**

"Das ist es?", fragte Kei ungläubig.

Ich versuchte zu antworten, aber irgendwie wollten meine Stimmbänder nicht. Ich öffnete und schloss den Mund wie ein Karpfen auf dem Trockenen.

"Scheiße, ist das groß. Weißt du, wie viele Hochhäuser man auf diese Fläche hätte setzen können?", tadelte Kei ernst.

Wieder öffnete ich den Mund, aber noch immer versagte meine Stimme mir den Dienst.

Was da vor mir stand, eingezäunt, zweistöckig und um einiges größer als unser altes Haus in Tokio, sollte meine neue Wohnung sein? Wie viele Quadratmeter hatte dieses Ding? Tausend? Irritiert trat ich an das schwere Metalltor und inspizierte die Klingel. Kein Zweifel, mein Name stand dort. Ich drückte meine Hand an das kühle Metall und der Sicherheitscomputer des Hauses identifizierte meinen Handabdruck, entriegelte die Tür und ließ mich mit Kei ein.

Was ich auf der anderen Seite sah, verschlug mir den Atem. Der Garten war in etwa genauso groß wie Zuhause, und er war ebenso aufgebaut. Beinahe hätte ich geglaubt, diese Wahnsinnigen von der UEMF hätten ihn in Tokio ausgegraben und hierher transferiert. Es war alles da. Sogar Yoshis Zielpfähle für sein Bogentraining.
 

Ich trat mit Kei an das Haus heran. Zweistöckig, vom Stil her einem alten japanischem Schloss nachempfunden. Hieß das etwa wieder Papierwände?

Die Tür öffnete sich widerstandslos. Im Vorraum zog ich meine Schuhe aus und tauschte sie gegen bereitliegende Latschen. Auch Kei schlüpfte in die bequemeren Schuhe.

"Dann bin ich wohl Zuhause", murmelte ich.

"Willkommen Zuhause, O-nii-chan", erklang es fröhlich neben mir.

Ich erschrak dermaßen, dass ich zusammen zuckte und gegen die Wand hinter mir kippte.

Neben mir hockte plötzlich Akari in einem traditionellen Kimono und lächelte zu mir hoch.

"W-wo kommst du denn plötzlich her?", rief ich entsetzt.

"Aus deinem Zimmer, Akira-chan. Ich räume gerade deine Sammlung in die Regale." Akari zog eine enttäuschte Schnute. "Ich dachte, die Besprechung würde länger dauern. Dann wäre ich mit einräumen fertig gewesen, bis Ihr kommt. Essen habe ich auch schon aufgesetzt, um unseren Einzug zu feiern."

Sie verbeugte sich leicht vor Kei.

"Kei-kun, ich habe mir erlaubt, deine Sachen in dein altes Zimmer zu schaffen. Ich hoffe, das war in deinem Sinne."

Entsetzt wechselte er einen Blick mit mir. "M-meine Sachen? Altes Zimmer?"

"Es ist natürlich nicht das alte Zimmer. Hier in diesem Haus ist alles ein klein wenig größer, und viele Räume sind im Obergeschoss", informierte sie uns. "Dafür ist das Bad um einiges größer. Und wir haben ein Außenbad, ganz wie O-nii-chan es sich gewünscht hat."

"Habe ich das?", warf ich verlegen ein und erinnerte mich daran, etwas derartiges mal gesagt oder gehört zu haben.

"Dennoch dachte ich mir, dass du gerne wieder das Zimmer direkt neben dem Bad haben willst, Kei-kun. Du kannst natürlich lieber in den Ersten Stock ziehen, dort gibt es ein eigenes, aber kleineres Bad."

"D-darf ich denn?", stammelte er entsetzt.

"Was? In den Ersten Stock ziehen?", fragte ich.

"Nein. Hier einziehen, meine ich."

Ich lachte laut. "Natürlich darfst du das, Kei. Eigentlich freut es mich, dass Akari so gut mitgedacht hat. So völlig alleine in dem großen Haus wäre ich bestimmt verrückt geworden."
 

"Oh, du bist schon da, Akira. Willkommen daheim. Akari, soll ich dir beim kochen helfen? Hm, Kei, willkommen Zuhause. Habt Ihr Doitsu nicht gleich mitgebracht?"

"Yohko?", rief ich überrascht.

"Richtig geraten", erwiderte meine kleine Schwester und streckte die Zungenspitze zum linken Mundwinkel ein Stück heraus. "Wir sind schon eine Woche hier und bereiten alles vor. Wenn die anderen kommen, dann..."

"Welche anderen?"

"Na, welche anderen wohl?", ließ sich Yoshi vernehmen, der gerade aus einem Raum kam, in dem ich das Wohnzimmer vermutete. "Megumi, natürlich. Und Sakura. Vergessen wir nicht Mako-chan, hm? Das Haus ist so groß, willst du wirklich, dass die Räume leer stehen?"

"Äh", machte ich.

"Ich weiß nicht, ob Joan nun auch einziehen wird, das ergibt sich dann wohl irgendwann. Wie es mit Daisuke und Sarah ist, weiß ich auch nicht. Hina, Ami und Eri... Keine Ahnung. Aber dieses Haus hat nicht ohne Grund etwas mehr Platz." Yoshi zwinkerte mir und Kei zu. "Ihr wollt doch sicher erst einmal eure Zimmer sehen, oder?"

Ich fühlte mich an der Hand ergriffen. Akari lächelte mich an und zog mich hinter sich her. "Komm, O-nii-chan, vor dem Essen müssen wir noch einiges einräumen."

Ergeben seufzend fügte ich mich in mein Schicksal.

"Bin wieder da", erklang es hinter mir. Während Akari mich in meinen Raum zerrte, erhaschte ich noch einen Blick auf eine genervt wirkende Sakura mit dem obligatorischen Handy am Ohr und Yohko, die ihrerseits Kei drangsalierte, um ihn ins Haus zu schleppen.

"Hey, Sakura", rief ich. "Willkommen Zuhause."

Die angespannte Miene fiel von ihr ab. Sie lächelte. Nicht irgendein Lächeln, sondern eines von dem Kaliber, mit dem sie schon die ganze alte Klasse um den kleinen Finger gewickelt hatte. "Ja. Zuhause."

In diesem Moment war ich froh, dass ich dieses Haus nicht alleine bewohnen würde. Ohne die Familie wäre es ja auch langweilig geworden.
 

4.

Es war früher Abend, als Hina Yamada das kleine Lokal betrat. Hier wurde Eis verkauft. In der immer mindestens zwanzig Grad warmen künstlichen Atmosphäre der AURORA ein lohnendes Geschäft. Sie fragte sich für einen Moment, ob es eine gute Idee war, hier zu investieren. Gegen gute Renditen hatte sie noch nie etwas gehabt. Und Eisverkauf in immer angenehm temperierter Umgebung erschien ihr ein sehr sicheres Geschäft zu sein.

"Jo." Doitsu Ataka hatte sie bemerkt und winkte knapp zu ihr herüber.

Hina verneigte sich höflich in seine Richtung und kam langsam näher.

"Schön, dass du es geschafft hast", sagte Doitsu, und schob die Brille in seiner unnachahmlich coolen Art die Nase wieder hoch. Dabei löste er wie so oft diesen schimmernden Reflex auf den Gläsern aus.

Hina unterdrückte ein Seufzen und nahm Platz.
 

Doitsu ließ ihr Zeit. Sie bestellte einen Eiskaffee und ein paar gemischte Kugeln. Nachdem die Bestellung serviert worden war, sah sie ihren ehemaligen Freund auffordernd an.

Der nickte schwer. "Du wunderst dich sicher, warum ich dich hergebeten habe, Hina."

Die blonde junge Frau, die als Blue Slayer die anderen fünf Slayer anführte, stellte sich dumm. Vielleicht half es, den kommenden Schaden in Grenzen zu halten. "Nein, keine Ahnung."

"Nun", begann Doitsu ernst, "es geht um KI."

"KI?", rief sie überrascht.

Doitsu lächelte dünn und sah ihr in die Augen. "Es ist nicht wenigen aufgefallen, dass die Slayer Akiras Affinität zum KI genutzt haben, um besonders mächtige Schläge auszuführen. Seitdem frage ich mich, ob dies an Akira liegt... Oder ob ich das auch kann. Immerhin beherrsche ich das KI nicht viel schlechter als Akira. Außerdem ist Yoshi noch um einiges besser als wir beide. Und dann ist da immer noch Futabe-sensei, der mich seit einigen Wochen zusammen mit anderen viel versprechenden Kandidaten in der Kontrolle des KI unterweist."

"Das ist es also? Du willst wissen, wie man die Waffe, welche die Slayer bilden, besser nutzen kann?" In Hinas Stimme klang ein bitterer Unterton mit.
 

"Das war ein Grund. Ja. Aber eigentlich habe ich ihn nur vorgeschoben, damit du dich setzt und nicht sofort wieder verschwindest, Hina." Doitsu senkte den Blick. "Ich will dich zurück."

Erschrocken keuchte Hina Yamada auf. "Doitsu...", hauchte sie erschrocken.

"Du hast mir gesagt, du willst eine Pause für uns beide, zum nachdenken, zum reflektieren.

Ich weiß, wir sind beide noch jung, aber ich bin mir sicher... Ich weiß, dass wir zusammen gehören. Das ist die Antwort, die ich gefunden habe."

"Ich...", hauchte sie und spürte, wie ihr die ersten Tränen zu fließen drohten, "ich..."

Abrupt sprang sie auf, wollte das Lokal verlassen. Dieser Idiot! Verstand er nicht, was er ihr da gerade antat?

Eine Hand schlang sich um ihre Hüfte und zog sie zurück.

Sie landete auf Doitsus Schoß, der sie auf seine unnachahmliche Art anlächelte. "Ich denke, ich verdiene zumindest eine Antwort, Hina-chan", flüsterte er ihr zu.

Sie hörte seine Stimme, roch seinen Atem, fühlte die Tonlage und die Sicherheit, die dahinter lag, aber dennoch...

"Ich kann nicht mehr deine Freundin sein!", rief sie, sprang von seinem Schoß und lief aus dem Lokal.
 

Draußen auf der Straße wandte sie sich in eine beliebige Richtung, fort, einfach nur fort von der Enttäuschung, die sie sich selbst bereitete.

"HINA!", erklang es hinter ihr. Im Laufen zahlte Doitsu den Wirt aus und holte dennoch zu ihr auf.

"BLEIB WEG!", rief sie, konzentrierte sich auf ihre Slayer-Kräfte und verwandelte sich in Blue Slayer. Nach der Verwandlung nutzte sie ihre neue Energie, um auf ein Hausdach zu springen und von dort auf das nächste zu wechseln.

"HINA! WARTE!", erklang es wieder hinter ihr.

Sie wandte sich um und sah, dass Doitsu am ganzen Körper von einer hell strahlenden Aura umgeben war. Verdammt, sein KI. Sie hatte sein KI vergessen. Es ermöglichte ihm, genauso schnell und weit zu springen wie sie selbst.

"Folge mir doch nicht", flehte sie verzweifelt. "Mach es mir doch nicht noch schwerer!"

"Nun hör mich doch wenigstens an", rief er ihr nach.

"Ich habe dich doch nur als zweite Wahl genommen", rief sie zurück. "Ich war enttäuscht von Akira-san, vor allem als ich merkte, dass ich ihn nicht wirklich so liebte...

Du warst einfach der erste Mensch, der mir damals in den Sinn kam. Ich kann dich doch nicht immer als Ersatz für Akira leben lassen!" Wütend, verzweifelt und verängstigt stieß sie sich vom nächsten Dach ab und flog durch die Luft, fort von Doitsu.
 

Dann spürte sie, wie zwei starke Arme um ihre Hüfte glitten, sie fest hielten, ihren Flug stoppten. Erschrocken wandte sie sich um, erkannte Doitsu, wie er sie umschlang und an sich riss. "Hina", hauchte er und drückte sanft ihren Kopf an seine Schulter. "Es ist mir egal, was vor uns war. Es ist mir egal, warum wir zusammen gefunden haben. Ich weiß nur, dass dies die beste Zeit meines Lebens war.

Ich... Ich bin in einen Yakuza-Clan geboren worden und dachte, ich würde nie ein anderes Leben führen. Erst Akira zeigte mir, dass man nicht nur um etwas kämpfen, sondern es auch gewinnen konnte. Ich habe mein Leben verändert. Ich habe mich verändert. Du bist Teil dieser Veränderung, der wichtigste Teil. Ich gebe dich nicht auf. Ich will es nicht und ich tue es nicht. Nur wenn du mir jetzt und hier sagst, dass ich wirklich nur ein Ersatz, ein Spielzeug an Akiras Stelle für dich war."

"Autsch", sagte Hina leise.

Erschrocken ließ der junge Mann etwas lockerer. "Habe ich zu fest gedrückt?"

"Nein", tadelte sie ihn sanft, "du hast nur gerade wieder mein Herz gebrochen..."

Sie sah ihm lange und tief in die Augen. Er erwiderte den Blick. "Hina..."

"Doitsu..."

"Ähemm!", erklang es neben ihnen, gerade als sie sich küssten.
 

Erschrocken fuhren sie herum und erkannten... "Yoshi?"

"Genau der", sagte er und musterte sie streng.

"Du kannst auch fliegen?", rief Doitsu überrascht.

"Wieso fliegen?"

"Na, weil du bei uns hier oben bist", antwortete Hina.

Yoshi sah die beiden an, dann begann er laut zu lachen. "Hier oben? Leute, Ihr schwebt gerade direkt über dem Dach von Akiras neuer Hütte. Ich bin nur aufs Dach geklettert, weil ihr zwei hier langsam vom Himmel runter fallt. Wenn Ihr so weiter macht, landet Ihr nämlich im Außenbad."

Erschrocken sahen sich die zwei um und erkannten, dass sie tatsächlich an Yoshi vorbei sackten, der wirklich auf dem Dach eines Gebäudes stand.

Sie tauschten einen entsetzten Blick und fielen in die Tiefe.

"Und ich warne euch auch noch!", rief Yoshi ihnen ärgerlich nach.

Kurz darauf tauchten sie beide in warmes Wasser ein.

Hina kam hoch, schnappte nach Luft und japste: "Mist, mist, mist, mist!"

Doitsu sah sie an und lachte aus vollem Hals. "Man sollte eigentlich meinen, dass Blue Slayer bessere Flüche kennt als Mist. Immerhin hat sie mit Marines gekämpft."

"Man macht sich eben meistens das zu eigen, was man mag", protestierte Hina ärgerlich und wollte rausklettern, doch Doitsu hielt sie fest. Langsam zog er sie wieder zu sich heran.

"Wo waren wir?", fragte er lächelnd.

"Du wolltest mir deine ewige Liebe schwören und mich küssen", hauchte sie.

"Ach, die Stelle", erwiderte er und gab ihr einen langen Kuss.
 

Auf dem Dach setzte Yoshi gerade eine Sonnenbrille auf und sah auf das Becken hinab. "Junge, Junge, wenn sich die beiden immer küssen, wenn Hina Blue Slayer ist und Doitsu seine KI-Aura auf Maximum hat, dann kriegen wir aber bald Ärger mit den Nachbarn. Bei der Lichtexplosion..."
 

5.

Als ich meinen Blick über die Anwesenden streifen ließ, sah ich in vielen Gesichtern noch immer den Ärger über die verlorene Übung von neulich. Doch in anderen sah ich Anstrengung, den unbedingten Willen, sich zu beweisen.

Einige zeigten Angst. Angst, genauso ausgemustert zu werden wie drei ihrer Kameraden, die ich schnell und schmerzlos aus der Aufstellung entfernt hatte.
 

"Hekatoncheiren", sagte ich ernst und sofort kehrte Ruhe ein. Der Besprechungsraum, ein großer Vorlesungssaal, fasste sie, und wichtige Offiziere der begleitenden Dienste. Unter ihnen auch einige Schiffskapitäne.

"Heute will ich etwas über das neueste Projekt theorisieren, welches die Erde uns zur Verfügung stellt. Jeder von Ihnen hat den Long Range Area Observer, kurz LRAO gesehen, seine technischen Daten vermittelt bekommen und die Crews aller fünf Maschinen kennen gelernt. Ziel und Zweck dieser Einheiten sind auch jedem klar. Auf lange Strecken Daten mit Hilfe passiver und aktiver Sensoren sammeln, auswerten und gegebenenfalls unsere Kampfeinheiten koordinieren.

Nun, damit sie dieser Aufgabe auch gerecht werden, hat Luna Mecha Research dieses Projekt ins Leben gerufen: Den Booster."

Aufgeregtes Raunen klang mir entgegen. Der Booster. Wir hatten hundert von ihnen an Bord, und jeder einzelne wurde besser bewacht als die Goldreserven im legendären Fort Knox.

Ich wartete, bis sich das Gemurmel wieder gelegt hatte. Diese Informationsrunde diente nicht nur dazu, die Hekatoncheiren mit der neuen Technologie zu konfrontieren. Letztendlich diente sie mir als weiteres Auswahlverfahren, um weitere ungeeignete Soldaten nach Hause schicken zu können. Es war nicht so, dass ich dies wollte. Aber ich würde es tun, wenn ich weitere sture, lernunwillige, von sich vollkommen überzeugte Piloten herausfilterte wie die letzten drei.
 

Hinter mir erwachte die Projektionsfläche zum Leben. Ich deutete ohne hinzusehen nach hinten. "Dies ist der LMR Protectorantrieb XS null neun, liebevoll Booster genannt."

Leises Gelächter erklang, wurde schnell lauter.

Ich warf selbst einen Blick nach hinten und musste grinsen. "Okay, das ist nicht der Booster. Colonel Ino, macht es Ihnen etwas aus, das Musikvideo von Miss Reilley abzustellen und gegen den Protectorantrieb auszutauschen?"

"Natürlich, Colonel Otomo", erwiderte Makoto und zwinkerte mir zu.

Er hatte das absichtlich gemacht. So ein Kerl.

"Nicht, dass Miss Reilley kein schöner Anblick ist", setzte ich meine Rede fort und erntete amüsiertes Gelächter, "aber erst die Arbeit, dann das Vergnügen."

Hm, war das sein Plan gewesen? Mich einmal von einer menschlicheren Seite zu zeigen? Provozieren und beweisen, dass ich kein überspannter Choleriker war?

Oder hatte er mich einfach nur ein wenig triezen wollen? Wie dem auch sei, ich hatte genügend Zimt mit, um ihm bis zum letzten Tag unserer Heimreise den Kaffee zu vermiesen.

"Der Protectorantrieb", begann ich erneut, "besteht aus zwei Komponenten. Einmal dem eigentlichen Booster und zum zweiten aus einem Schutzfeldprojektor."

Aufgeregtes Raunen antwortete mir. Bisher hatte nichts, was kleiner als ein Großraumshuttle war, einen eigenen Schirm erhalten können, weil die Kraftwerke und die Projektoren einfach zu groß, zu klobig waren. Und dort gab es auch nur eine abgespeckte Version, gerade stark genug, um den Eintritt in eine Atmosphäre zu kompensieren.

Das nun ausgerechnet in dem Booster ein Schirmfeldprojektor stecken sollte, verschlug vielen die Sprache.
 

"Die Entwicklung und die Zeit stehen nicht still", begann ich meinen eigentlichen Vortrag. "Es gibt immer wieder innovative Ideen, Neuheiten, Geniales, was das Alte über den Haufen wirft.

Der Booster ist ein solches Gerät.

Unsere bisherigen Operationen erfolgten auf eng begrenztem Raum, im Orbit eines Planeten oder in der Beengtheit auf seiner Oberfläche.

Nun aber fliegen wir durch unbekannte Systeme, durch die Leere des stellaren Raums.

Der UEMF wurde schnell klar, dass die Geschwindigkeiten unserer Mechas hier an ihre Grenzen stoßen.

Um der Flotte voraus zu eilen, den Weg für sie zu erkunden, die Flanken oder den rückwärtigen Bereich zu decken, sind sie zu langsam.

Dies führte zu dem Gedanken, das erfolgreiche Modell der amerikanischen AWACS zu wiederholen, ein fliegendes Radarauge ins Spiel zu bringen. Dies ist Bruder Auge.

Um aber den Anforderungen, die wir an ihn stellen, gerecht zu werden und den Korvetten, die zudem über begrenzte Tarnfähigkeiten verfügen überlegen zu sein, mussten wir den Epsilon erheblich schneller machen und seine Reichweite drastisch erhöhen. Natürlich ist Ihnen allen klar, dass der Booster diese Lösung ist. Eine gute Lösung, denn sie befähigt einen Epsilon oder einen Hawk, zwanzig Prozent schneller zu beschleunigen als eine FOXTROTT."
 

Diesmal war das Stimmgewirr lauter und dauerte länger an. Ich hob die Arme, um die Aufmerksamkeit zurück zu gewinnen. "Bisheriges Problem bei diesen Geschwindigkeiten waren Mikrotrümmer. Die wenigsten, die bereits einen Mecha im Weltall geflogen haben, erlebten den Umstand noch nicht, von Mikrotrümmern getroffen zu werden. Einige dieser Objekte durchschlugen einen Mecha glatt, andere rissen Gliedmaßen ab. In den meisten Fällen hielt die Panzerung. Glücklicherweise.

Deshalb hat sich schnell eine moderate Gefechtsgeschwindigkeit etabliert, bei denen die Gefahr von letalen Schäden durch Mikrotrümmer relativ gering ist - was natürlich nicht davor schützt, wenn ein paar Moleküle mit halber Lichtgeschwindigkeit die eigene Bahn kreuzen."

Hier und da erklang Gelächter, doch die Hekatoncheiren hörten konzentriert zu.

"Ein großes Problem war die Größe von Projektor und Kraftwerk. Beides zusammen wäre größer gewesen als ein Eagle.

Nun, wir mussten viele Kompromisse eingehen, um auf das kompakte Design zu kommen. Einer ist, dass die Booster keine eigene Energieversorgung haben. Sie tragen Akkupacks, die den Projektor in erster Linie versorgen.

Ich sehe schon, die vielen Arme, die sich nach oben recken. Ihre Frage ist doch bestimmt: Wie lange kann die Ladung der Akkus anhalten, wenn ein Schirm versorgt werden muß?

Das kann ich Ihnen beantworten: Bei Dauerbetrieb keine halbe Stunde.

Ja, ich ahne schon die nächste Frage: Wie soll man in einer halben Stunde selbst bei der zugegeben starken Beschleunigung von Bruder Auge eine akzeptable Entfernung erreichen, bevor einem der Saft ausgeht?

Auch das ist simpel erklärt, obwohl wir Monate dafür gebraucht haben, diese Lösung zu finden.

Nebenbei führte diese Lösung zur besten Aktivortung, die jemals von Menschen, Anelph oder Kronosiern entwickelt worden ist: Der Booster hat eine Künstliche Intelligenz und eine eigene Ortung. Die erfasst während einem beschleunigten Flug permanent die direkte Umgebung und sucht nach kosmischen Trümmern bis hinunter in den molekularen Bereich, der uns solche Sorgen macht. Der Radius dieser Suche beträgt bei Minimalgeschwindigkeit einen Kilometer. Bei Maximalbeschleunigung jedoch zwanzig Kilometer. Wenn man selbst sehr schnell ist, kommen die gefährlichen Sachen umso schneller näher.

Im Klartext: Der Schirm aktiviert sich nur, wenn er benötigt wird.

Durch die einmalige Ortung haben wir in Feldtests und im Labor eine Erfolgsrate von neunundneunzig Prozent erreicht. Die Fehlerquote ergibt sich übrigens nicht dadurch, dass sich der Schirm zu spät aufgebaut hat. Nein, die Mikrometeoriten waren einfach zu massereich."
 

Wieder wurde geraunt, diesmal aber erschrocken.

"Das sollte uns immer daran erinnern, dass kein System absolute Sicherheit verspricht.

Übrigens, verabschieden Sie sich schon mal von der Idee, einen solchen Schirm im Gefecht nutzen zu können, denn ein weiteres Attribut des Boosters ist der fragmentale Schirm. Sprich, er baut sich in voller Stärke nur in dem Sektor auf, in dem der Einschlag errechnet wird. Dies spart zusätzlich Energie.

Im Gefecht unter Dauerbelastung schützt er tatsächlich, verbraucht sich aber überdurchschnittlich schnell. Die halbe Stunde können Sie also durch die permanenten Einschläge und den erhöhten Verbrauch aufgrund der Kompensierung vergessen.
 

Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass die Booster auch an Hawks, Eagles und Sparrows angesetzt werden können.

Wozu hätten wir sonst einhundert an Bord der AURORA?

Wir werden jedem Auge im Einsatz eine gemischte Kompanie als Schutz zuteilen. Darüber hinaus existieren bereits Szenarien für Langstreckenkampfeinsätze. Freuen Sie sich auf eine aufregende Zeit, solange wir im Sonnensystem sind. Jeder von Ihnen wird mindestens einen Langstreckeneinsatz hinter sich bringen, bevor wir springen.

Ziel sind die Planetoiden und der Jupiter."

Ich ließ meine Worte wirken. "Genauer gesagt werden wir die Fähigkeiten der Booster einem letzten Feldtest unterziehen. Nebenbei schicken wir zum ersten Mal in unsere Geschichte Menschen zum Jupiter. Eine Gruppe Piloten wird die Ehre haben, die ersten Menschen auf dem Mond Io zu sein.

Die Teilnehmer dieses Ferneinsatzes bestimme ich anhand der Leistungen in den nächsten Tagen. Geben Sie also Ihr Bestes, um in die Geschichtsbücher einzugehen."
 

Ich nickte Makoto zu.

"ACHTUNG!", gellte sein Ruf durch die Halle. Die Piloten sprangen auf und nahmen Haltung an.

Er löste mich am Rednerpult ab. "Vor einer Stunde habe ich diesen Direktbefehl von Executive Commander Eikichi Otomo erhalten. Ich verlese ihn nun.

An die Hekatoncheiren-Division, Unterstützende Dienste und Personal des Bruder Auge-Projekts. Mit sofortiger Wirkung erhält die Division drei Banner, die fortan bei Ehrungen, Feierlichkeiten und Paraden vor der Truppe geführt werden sollen. Die Motive der Banner sind zu Ehren der Tapferen und Gefallenen der Hekatoncheiren beider Marsfeldzüge sowie des Abwehrkampfes zwischen Erde und Mond gewählt worden und ich wünsche, dass die Truppe die Fahnen in Ehren hält.

Das Regiment Briareos erhält das Rote Banner. Fortan ziert eine stilisierte Darstellung des Mechas Lady Death dieses Banner, um die Leistungen von Colonel Megumi Uno über die Erwartungen und weit über das Menschenmögliche zu würdigen.

Das Regiment Kottos erhält das gelbe Banner. Fortan wird der Hawk-Mecha Thunderstrike in stilisierter Form diese Fahne zieren, in Anbetracht der Pein und der Leistung, die Lieutenant Colonel Yohko Otomo ertragen und erbracht hat.

Das Regiment Gyes erhält das blaue Banner. Der modifizierte Eagle-Mecha Zeus wird ab sofort diese Flagge ausstatten in Anerkennung und im Respekt für die Leistungen von Colonel Makoto Ino.

Hekatoncheiren, achtet auf eure Fahnen und achtet eure Geschichte. Respektiert eure Vorgänger und erinnert euch immer daran, dass sechs Milliarden Menschen auf euch vertrauen.

Zu guter letzt befehle ich hiermit, dass Colonel Akira Otomo das Kommando über die Hekatoncheiren übernimmt.

Akira Otomo wird dafür der Rang eines Division Commander verliehen.

Im Namen einer dankbaren Menschheit, Eikichi Otomo, Executive Commander."

Makoto verstummte und sah in die Runde.

"Colonel Ino, Colonel Honda, Colonel Otomo, bitte treten Sie vor."
 

Die angesprochenen Offiziere verließen ihre Sitzplätze und kamen vor die Reihen.

Makoto trat zu ihnen und händigte jedem ein Bündel Stoff auf. "Dies sind die neuen Fahnen Ihrer Einheiten. Ehren Sie diese und achten Sie gut darauf."

Nach der eher schmucklosen Zeremonie nickte er mir zu.

"Hekatoncheiren, weggetreten."

Sofort bildeten sich kleine Pulks um die drei Regimentskommandeure. Diese breiteten die Fahnen aus und präsentierten sie den anderen.

Ich schmunzelte bei diesem Anblick. Vielleicht musste ich doch keinen Piloten mehr aus der derzeitigen Aufstellung entfernen.

Makoto trat leise neben mich.

"Und? Wann willst du meine Beförderung inszenieren?", fragte ich ihn.

Mein Cousin grinste. "Sobald mehr Applaus als Pfiffe von deiner Division kommen, Akira."

Ich lachte leise. Ein wahres Wort.

**

"Auf ein Wort, Colonel."

Ich blieb stehen und wandte mich langsam um. Schade. Fünf Minuten später hätte ich den Laufgang verlassen und wäre in meine Bahn nach Hause eingestiegen. Ich sah zurück und erkannte ein Gesicht, dass ich eigentlich hier nicht mehr erwartet hatte. "Lieutenant Winters."

Der Pilot hatte ehemals in der Kottos gedient. Ich hatte ihn aus der Aufstellung gezogen, weil er für persönliche Erfolge die Leben seiner Kameraden gefährdete. Dies war sogar soweit gegangen, dass er während des Trainings fast einen tödlichen Unfall verursacht hätte. Nur leider hatte der Bastard im Anschluss weder Reue noch Verständnis gezeigt. Grund genug für mich, ihn zu feuern.

"Sir. Ich wollte Sie bitten, Ihre Entscheidung zu überdenken. Es... gibt da gewisse Faktoren, die Sie nicht berücksichtigt haben."

In diesem Moment wünschte ich mir den rauen Griff meines Katanas herbei. Einfach umfassen, griffbereit haben. Ich atmete heftig aus. "Meine Entscheidung ist endgültig, Lieutenant. Sie sind kein Teamspieler. Deshalb kann ich Sie nicht im größten Team belassen, welches die Menschheit jemals aufgestellt hat."

Der Mann war fünfzehn Meter von mir entfernt, am Kreuzpunkt zu einem Quergang. Irritiert fragte ich mich einen Moment, warum er nicht näher kam.

Das es hier keinen Publikumsverkehr gab, kam mitten in der Schicht schon mal öfters vor und war nicht weiter verwunderlich. Nur bedeutete das, dass wir beide keine Zeugen hatten. Das beunruhigte mich etwas.
 

Die Hände des Offiziers bebten. Er starrte zu Boden. "Wissen Sie nicht, wer ich bin? Wissen Sie nicht, dass mein Vater Senator in Washington ist?"

"Wissen Sie, wie scheißegal mir das ist? Ich führe diese Einheit in die größte Gefahr, der wir Menschen jemals begegnet sind. Ich weiß nicht, was uns erwartet. Aber ich weiß, dass ich mir nicht eine Sekunde vorwerfen will, dass Menschen sterben, weil ich nachlässig oder weich war. Sie zu behalten wäre nachlässig, Lieutenant. Es gibt für Sie kein Zurück mehr."

Die Hände meines Gegenübers beruhigten sich. "So ist das also", hauchte er leise. Übergangslos zierte ein schmales Lächeln seine Lippen.

Für einen Moment musste ich schmunzeln. Ich ahnte, was nun kam. Kurz checkte ich meine Optionen.

Der Gang zur Bahn führte hinter mir noch weitere zwanzig Meter durch das massive Gestein der AURORA-Außenwand. Eine lange Strecke, wenn man floh.

Aber ich hatte nicht vor zu fliehen.
 

Während Lieutenant Winters seine Dienstwaffe zog, konzentrierte ich mich darauf, KI zu produzieren. Es gelang mir bereits mit nebensächlichen Gedanken, so gut war ich mittlerweile in dieser Disziplin geworden. Ein KI-Schild über Brust und Kopf würde eine Kugel oder sogar mehrere abfangen. Teufel, mein Schild war vor fast zwei Jahren beinahe genug gewesen, um eine Herkules-Klinge abzuwehren.

"So ruinieren Sie also den Rest Ihrer kläglichen Karriere", stellte ich fest, während der Mann seine Waffe auf mich richtete.

Die Augen des Mannes fixierten meinen Blick und ich erkannte meinen Fehler. Es waren nicht mehr die Augen dieses Hitzkopfs. Sie blickten klarer, entschlossener, fanatischer. Ich hatte es mit einem Schläfer zu tun. Ein Schläfer in einem Mann. Das bedeutete für meinen Wunsch, die Fahndung nach den Schläfern auf die Frauen beschränken zu können, das Aus.

"Im Gegenteil, sie beginnt erst. Wenn ich den Mörder von Legat Taylor ausgeschaltet habe, steht mir jeder Platz in der Hierarchie des Schattenstaats offen."

Ich spannte mich an. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich konnte einfach nicht glauben, dass der Attentäter so naiv war zu glauben, ich wäre mit einer Kugel oder zwei auszuschalten. Er musste noch einen Trumpf in der Hinterhand halten. Einen tödlichen Trumpf.
 

Als über mir infernalischer Krach erklang, hinter und vor mir ebenso, wurde ich bleich. Die Decke! Die verdammte Decke wurde gesprengt! Das bedeutete, dass nun gut fünfzig bis sechzig Tonnen Gestein auf mich niederfuhren! Und zu allem Überfluss drückte der Bastard ab und jagte mir eine Kugel entgegen.

Die Zeit verlangsamte sich für mich, meine Reflexe griffen. Ich rannte auf den Attentäter zu, weil die Strecke zu ihm kürzer war als zum Ausgang.

Ich wich unmerklich nach rechts aus, um der Kugel zu entgehen, da schoss der Halunke schon eine zweite ab, genau in meine neue Laufrichtung.

Vor mir sah ich die Decke sich absenken. Ich würde es nicht schaffen, nicht auf diese Weise. Konnte ich aber einen solchen Einsturz überleben? Würde mich vielleicht das KI von Dai-Kuzo-sama erneut retten?

Für einen Moment spürte ich Angst, blanke Angst. Diese Angst beflügelte mich zusätzlich, aber es würde dennoch nicht reichen. Als ich dies erkannte, wurde ich ruhiger. Noch immer war die Zeit für mich verlangsamt und ich konnte deutlich sehen, wie mein Gegner im Triumph zu grinsen begann.

Wenn ich aber schon sterben musste, wollte ich ihm nicht die Genugtuung gönnen, mich verzweifelt sterben zu sehen. Ich würde kämpfen bis zum Schluss. Und ich würde überleben, irgendwie. Irgendwie...
 

Plötzlich huschte ein Schemen heran, traf Winters und warf ihn zu Boden. Dann huschte der Schemen zu mir, ich spürte den festen Griff einer Hand, die mich an etwas Weiches, Warmes presste. Die andere Hand richtete sich in den Gang hinaus und entließ einen Blast aus reiner KI-Energie, der durch das herabfallende Gestein einen Tunnel trieb. Durch diesen Tunnel huschten wir nun in Sicherheit, während weiteres Gestein ihn hinter uns wieder verschloss.

Vor dem Gang beschleunigte meine Zeit wieder auf die Norm. Ich keuchte auf, sackte in den Knien ein. Übergangslos war mir zumute als müsste ich mich gleich übergeben.

"Verdammt", krächzte ich. "Ich dachte schon, das war es für mich."

"Akira, Akira. Das man aber auch immer auf dich aufpassen muß", hörte ich eine amüsierte Stimme sagen.

Ich sah auf und erkannte... Ja, wer hatte mich da gerettet? Kitsune-chan? Blue Slayer? Green oder eine der anderen? Vielleicht Futabe-sensei?

Mein Blick glitt ein Paar hübscher Frauenbeine empor, erreichte einen gelb gehaltenen Rock, folgte einer Slayer-Uniform und erreichte die ersten hellblauen Haarspitzen, die sich als langer, weiter Vorhang auf dem Rücken der jungen Frau vor mir ausbreiteten.

Ich sah meiner Retterin ins Gesicht und verfluchte diesen Schutz, der verhinderte, dass man das Gesicht einer verwandelten Slayer wieder erkannte.

"Yellow Slayer?", fragte ich überrascht.

Mein Gegenüber sah mich missmutig an. "Normalerweise sagt man danke, Akira."

"Danke", murmelte ich überrascht. Sieben Slayer? Woher kam der siebte Slayer? Und warum ging Yellow so familiär mit mir um?

"Na also, geht doch." Sie lächelte mich an und ging neben mir in die Hocke. "Geht es?"

Ich starrte sie an. "Wer bist du, Yellow?"

Ihr Lächeln wurde breiter, burschikoser. Sie klopfte mir kräftig auf den Rücken. "Aber, aber, Akira. Denkst du nicht, es könnte von Vorteil sein, mich, ah, quasi als Aß in der Hinterhand zu haben? Ich meine, ich war ja schon für den Agenten im armen Dominik Winters eine Überraschung. Das können wir doch sicher noch ausbauen, oder?"

"Vielleicht hast du Recht", erwiderte ich nachdenklich. "Außerdem finde ich es sowieso bald raus."

Ein amüsierter Blick strich über mich hinweg. "Versuche es ruhig, Akira. Das wird Spaß machen."

Sie erhob sich wieder und winkte mir zu. "Auf bald."

Ihre Konturen wurden unsichtbar, dann war sie fort.
 

Ich erhob mich nun ebenfalls. Alarmsirenen gellten, ich hörte die ersten Menschen in meine Richtung stürmen. "Mir das Leben zu retten war ein guter Einstand, Yellow", murmelte ich leise. "Und eine Warnung an mich, dass ich nicht unsterblich bin. Und noch lange nicht gut genug."

"Kluge Worte, Akira", erklang es vor mir. Yellow Slayer entstand wieder direkt vor mir.

"Nanu?", fragte ich und zog die Augenbrauen hoch.

"Hab was vergessen", hauchte sie, nahm mein Gesicht in beide Hände und gab mir einen intensiven Kuss.

Ich versuchte zu protestieren, da unterbrach sie diese innige Geste jedoch, zwinkerte mir noch einmal zu und verschwand erneut.

"Was haben die Mädchen nur immer mit meinen Küssen?", raunte ich ärgerlich und verzweifelt. Hoffentlich fand Megumi das nicht raus, Frauen neigten bei solchen Dingen dazu, etwas irrational zu reagieren.
 

"Akira-sama!", erklang eine aufgeregte Stimme hinter mir.

Ich fuhr herum und erkannte Yamagata, gefolgt von meiner Cousine und Makoto.

"Akira-sama, geht es dir gut?", fragte Yamagata und sah abwechselnd von mir zu dem eingestürzten Gang und wieder zurück.

Ich hob abwehrend die Hände. "Alles in Ordnung, alles in Ordnung, Ai-chan. Ich hatte einen Schutzengel."

"Einen Schutzengel?", raunte Makoto.

"Ja, einen Schutzengel", erwiderte ich. "Einen gelben."

"O-nii-chan, alles in Ordnung?", erklang hinter mir Yohkos Stimme. Sie kam aus der anderen Richtung herbei gerannt, hinter ihr Doitsu und die junge Italienerin, Gina-chan, die Freundin von Mamoru.

"Eins, zwei, drei, vier", murmelte ich leise. Vier Frauen kamen nun in Frage, Yellow Slayer zu sein. Wenn ich die Klischees bediente und mal nicht davon ausging, dass der siebte Slayer eine Unbekannte war.

Kurz streifte ich mit meinem Blick Makoto und erinnerte mich daran, wie niedlich er im Rock aussah. Ich hatte keine Ahnung, ob Dai-Kuzo auch einen Mann zum Slayer machen konnte. Aber in einem Anflug von Witz setzte ich ihn als Nummer fünf auf die Liste.

Doch wenn er es war, dann würden wir zwei uns sehr lange über den Kuss unterhalten müssen.

Das gleiche galt dann natürlich auch für Yohko. Besonders für Yohko.
 

Hinter mir zerbrach eine große Felsplatte, die bisher den Gang versperrt hatte. Yoshi trat daraus hervor, hinter ihm folgten die Slayer, Megumi und Joan Reilley, die bei der Besprechung als Unterstützungstruppen dabei gewesen waren. "Alles in Ordnung, Akira?"

"Meine Knie sind weich, aber ansonsten geht es", erwiderte ich. Yohko erreichte mich und musterte mich intensiv. "Äußerlich bist du unversehrt. Ein Glück."

Übergangslos umarmte sie mich.

"Hey, Hey", beschwerte ich mich scherzhaft. "Dein Freund sieht zu."

"Ich darf ja wohl noch meinen großen Bruder umarmen, wenn er gerade einem Attentat entronnen ist, oder?"

"Attentat?", fragte ich ernst. Woher hatte sie das so schnell erfahren?

"Na, wir haben es euch nicht erzählt, aber da war dieser besessene Mann, der Megumi attackiert hat und sie darüber informierte, dass zwölf Menschen an Bord der AURORA..."

Entsetzt starrte ich Megumi an. Dann Yoshi, der nicht weniger erschrocken war.

Ich wirbelte herum zu Sakura, die entschuldigend die Arme hob. "Ja, ja, ich weiß. Aber wir haben nichts gesagt, weil wir gehofft haben, dass die Agenten nur Männer übernommen haben. Deshalb haben wir euch Kerle außen vor gelassen."

"Ich glaube, wir Kerle müssen euch was dazu sagen", hauchte ich ernst.
 

Epilog:

Doitsu Ataka betrat das Spielecenter in mäßigem Tempo. Er hatte es nicht eilig. Nichts, was hier geschehen würde konnte Einfluss auf sein Leben nehmen. Einzig und allein sein verbliebener Respekt vor seiner Gruppe hatte ihn überhaupt dazu gebracht, die Einladung anzunehmen.

Ein älterer Mann, der hier den Boden wischte, verbeugte sich vor ihm eifrig und geleitete ihn zur Tür zu den Mitarbeiterräumen.

Dort ging es durch einen langen Gang zu einem Gebäude im Hinterhof.

Das kleine Haus war im traditionellen japanischen Stil gehalten. Es war sogar ein Garten mit Teich angelegt. Doitsu glaubte, Koi-Karpfen erkennen zu können, war sich aber nicht sicher.

Der alte Mann hockte sich neben die Papiertür und öffnete sie für Doitsu.

Der nickte dankbar, zog die Schuhe aus und trat ein.
 

Ihn erwartete ein langer Tisch und zwanzig Tatamis, traditionelle Sitzmatten. Diese waren um den Tisch verteilt. Und das Wichtigste, sie waren besetzt. Alle bis auf drei. Zwei waren gleichberechtigt am Stirnende platziert, die dritte nahm eine exponierte Position an der Rechten ein. Seine Matte war dem Tisch am nahesten, gut drei Zentimeter mehr als die beiden anderen leeren Matten. Dass diese für ihn gedacht war, daran zweifelte er keine Sekunde.

Er setzte sich und verbeugte sich respektvoll vor den leeren Matten. Vor den anderen Anwesenden verbeugte er sich hingegen nur leicht, denn die Position seines Sitzplatzes machte nur zu deutlich, dass er in der Hackordnung ganz oben stand.

In diesem Moment betrat ein schwarz gekleideter Mann mit schwarzer Netzmaske den Raum.

Doitsu verstand. Dieser Mann würde stellvertretend für die beiden sprechen, die auf diesen Matten hätten sitzen müssen. Es würde so sein, als sprächen sie selbst zu ihm. Und es würde ebenso bindend sein.
 

Der Mann hockte sich neben die Matten und sah zu Doitsu herüber.

"Ataka Doitsu-sama", begann er leise, "wir danken dir dafür, dass du unsere Einladung angenommen hast."

"Ich bedanke mich für die Einladung", erwiderte Doitsu und verneigte sich wieder in Richtung der beiden Matten.

"Der Oyabun", begann der Schwarzgekleidete erneut zu sprechen, "hat einen wichtigen Auftrag für dich."

Langsam aber nachdrücklich schüttelte der junge Mann den Kopf. "Ich bin nicht länger Teil der Familie. Außerdem verbietet es der Respekt vor Otomo-sama, meine Arbeit als Pilot zu vernachlässigen."

"Du hast keine Möglichkeit, dich zu verweigern. Dies sind die Worte von Executive Commander Otomo Eikichi-sama."

Erschrocken starrte Doitsu auf die beiden Matten. Eine von ihnen sollte Onkel Eikichi gehören? Die andere war für seinen Oyabun gedacht, den Herrn seiner Yakuza-Gruppe. Aber den Executive Commander symbolisch hier zu wissen war ein Schock für ihn.

"Ataka Doitsu-sama. Dies sind die Worte des Oyabun. Die AURORA wird sich mit vielen Menschen füllen. Die Auswahlkriterien sind streng, aber an jedem Ort, an dem Menschen zusammen kommen, wird es über kurz oder lang zu Dingen kommen, die Gewalt beinhalten. Erpressung, Mord, Prostitution, illegales Glücksspiel und was der Dinge mehr sind.

Die AURORA hat eine eigene Polizei, aber dies wird nicht ausreichen."

Wieder neigte Doitsu respektvoll das Haupt. "Was wird meine Aufgabe sein?"

"Dies sind die Worte von Otomo Eikichi-sama. Vom Rand aus kann ein Beobachter nicht erkennen, was unter der Oberfläche eines Teiches geschieht. Die Wasseroberfläche verzerrt, verschleiert und spiegelt. Ataka Doitsu-sama, du sollst unter der Wasseroberfläche sein und auf das Treiben unter dir achten. Du sollst..."

"Ich soll wieder ein Yakuza werden? Ich soll eine eigene Gruppe gründen und den ganzen Scheiß hier auf der AURORA im Namen meines Clans leiten?" Wütend sprang Doitsu auf.

"Dieser Teil meines Lebens liegt weit hinter mir. Viel zu weit!"
 

"Niemand verlangt von dir, Verbrechen zu begehen", erklang eine sanfte Frauenstimme hinter ihm. Zwei Hände senkten sich auf seine Schultern und drückten ihn wieder auf die Matte.

Danach setzte sich die Besitzerin der Stimme neben ihm auf den Boden.

"Sakura-chan", hauchte Doitsu erschrocken.

"Alles, was du tun sollst, ist mit diesen Männern hier darauf zu achten, dass sich keine kriminellen Vereinigungen bilden. Ihr seid Yakuza. Wenn jemand eine solche Gruppe erkennen kann, wenn jemand sie notfalls auch außerhalb des Gesetzes bekämpfen kann, dann Ihr. Dann du, Doitsu. Denn du hast mein Vertrauen, das von Eikichi und das von Akira."

"Was, wenn ich durch solche Gruppen gezwungen bin, die Prostitution zu kontrollieren? Schutzgelderpressungen abzuwehren? Zu töten?", hauchte er mit gesenktem Kopf.

"Ataka Doitsu-sama hat freie Hand. Diese siebzehn Kobun, die dir mitgegeben werden, führen jeden deiner Befehle buchstabengetreu aus. Nimm das Amt des Oyabuns der AURORA an, zum Schutz der Menschen an Bord, und zum Segen der Mission.

Einer Mission, für die alle Opfer bringen müssen. Dies sind die Worte von Otomo Eikichi-sama."

Zögernd nur verneigte sich Doitsu vor den beiden leeren Matten. "Ich... habe verstanden."

Damit hatte er zugestimmt der erste Anführer der hiesigen Yakuza zu werden.

Doch es war ein anderer Gedanke, der ihn viel mehr beschäftigte. Hina. Er hatte sie nicht angelogen. Aber dieses Amt zu übernehmen war beinahe genauso gut. Dieser Auftrag konnte sein Leben zerstören.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Carnidia
2007-10-03T08:54:21+00:00 03.10.2007 10:54
Der Schluss ist etwas seltsam, aber mal schaun was du draus machst ^.^b
Ich find zumindest ein Bein hätt sich Akira bei dem Anschlag schon brechen können, hät die weitere Story sicher nicht beeinflusst und hätte die gefährlche Lage noch einmal betont. ;)
... auf der anderen Seite hätte er sich dann sicher ein paar Kopfnüsse eingefangen, das ist natürlich auch subobtimal ^.^°
Bis denne ^.^/
Von: abgemeldet
2007-02-21T12:05:33+00:00 21.02.2007 13:05
Wow! Wie immer super spannend, megalustig, und ernst. ^___^
freu mich schon drauf, weiter lesen zu können, wenn es mir die Zeit erlaubt. ^^
Von: abgemeldet
2005-05-08T14:33:46+00:00 08.05.2005 16:33
ERSTÖÖÖÖÖ!!!!
Das Kapo war wieder supiiii!!!
Isch bin escht ein fan von deinen Storys!
Sry das isch erst scho spät schreibe aba isch hatte keine Zeit das Kap in Ruhe zschu lesen^^


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