Zum Inhalt der Seite

Anime Evolution: Erweitert

Zweite Staffel
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Episode drei

1.

Unter großem Presserummel trafen die ersten Bürger und Siedler auf der AURORA ein.

Die Reporter stürzten sich auf die Gruppen, bestehend aus zweitausend Menschen und nahmen sie ordentlich in die Mangel.

„Sind Sie sich dessen bewusst, dass die AURORA zerstört werden kann?“

„Wissen Sie, dass Sie mitten in einen Krieg geraten könnten?“

„Werden Sie kämpfen, wenn es sein muss?“

Alle Fragen waren darauf abgezielt, den Neuankömmlingen bewusst zu machen, worauf sie sich eingelassen hatten. Sofern ihnen das nicht von vorne herein klar gewesen war.

Die Antworten waren dann meistens eine Mischung aus Patriotismus, Nonchalance oder Patzigkeit, je nach Temperament.

Unter dem Dauerfeuer der Blitzlichter nahmen die Siedler, allesamt bevorzugte Menschen, da sie Angehörige in der Einsatzgruppe hatten, ihre neuen Wohnungen und Arbeitsplätze in Besitz. Eine berühmte Softdrinkfirma nahm ihre Cola-Produktion in Betrieb.

Eine Sushi-Kette öffnete ihre erste Filiale.

Und die erste Karaoke-Bar öffnete ihre Pforten, gleich neben dem ersten Irish Pub.

Zweitausend war noch nicht wirklich viel. In einer Stadt, die auf das hundertfache ausgelegt war, eine verschwindend kleine Zahl. Aber es war ein Anfang. Ein Anfang, der viel versprach.

***

Als Akane Hazegawa ihre beiden Koffer in ihrem neuen Appartement abstellte, wischte sie sich kurz den Schweiß von der Stirn. Sie hatte sich für das Dachgeschoss eines dreistöckigen Wohnhauses nahe der Bahnlinie zum Meer entschieden. In so einem Gebäude gab es natürlich keinen Fahrstuhl, was dazu geführt hatte, dass sie ihr Gepäck die Treppe hatte hoch schleifen müssen. Dennoch war sie sehr zufrieden, endlich hier zu sein.

Ihr hervorragender Abschluss im letzten Jahr hatte ihr eine Menge Türen geöffnet. Sie hatte sich für die Universität entschieden. Für die Universität, die an Bord der AURORA ihre Pforten öffnen würde.

Niemals hatte sie sich vorgestellt, dass die Aufnahmeprüfung so schwer sein würde. Sogar schwerer als auf die als kompliziert geltende Tokio-Universität.

Aber sie hatte es geschafft.

Müde ließ sie sich in den nächsten Sessel sinken. Während den Prüfungen war sie versucht gewesen, ihren Status als Slayer und Veteranin des Zweiten Marsfeldzugs auszunutzen und eine bevorzugte Behandlung zu verlangen. Was ihr auch zustand.

Aber sie hatte sich lieber selbst durchgebissen. Sie wollte in dieser Gemeinschaft nützlich sein und nicht lediglich auf ihren Status als Slayer reduziert werden.

Sie wollte sich hier etwas aufbauen.
 

Nach einiger Zeit begann sie sich umzusehen. Das Appartement war voll möbliert und bestand aus sechs Räumen, darunter die Küche und ein Bad im japanischen Stil. Es waren moderne Elektrogeräte in allen Räumen vorhanden und der Fernseher war groß genug, dass ein Hawk auf ihm hätte notlanden können.

Danach begann sie ihr Gepäck auszupacken und nahm ihr neues Domizil, einhundertzwölf Quadratmeter Dachwohnung, in Besitz.

Sie räumte ihre Wäsche in die Schränke im Schlafzimmer, stellte ein paar Bücher in die bereit stehenden Regale im Wohnzimmer und baute auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer einige Fotos auf.

Eines zeigte sie zusammen mit den anderen fünf Slayern nach dem Sieg auf dem Mars. Sie selbst grinste von einem Ohr zum anderen, tätschelte mit einer Hand den Kopf der zum Menschen gewordenen Akari und zeigte mit der anderen das Sieges-V.

Auf einem anderen Foto war sie mit Joan Reilley zu sehen, aufgenommen während eines Konzerts. Akane hatte nicht so recht daran geglaubt, dass sich der erfolgreiche Star überhaupt an sie erinnern würde, obwohl sie zusammen auf dem Mars ein Konzert gegeben hatten.

Aber Joan hatte sie aus einer Menge von zehntausend Leuten regelrecht heraus gepickt, ihr einen Backstage-Ausweis verpasst und mit ihr und einigen anderen Freunden anschließend die Nacht zum Tag gemacht. Akane fühlte sich sehr wohl, wenn sie daran dachte. Joan hatte eine Seite an ihr zum klingen gebracht, wie es vor ihr nur Akira geschafft hatte, damals beim Karaoke.

Und da war es auch schon, das Bild mit allen. Den Slayern, Joan, Akiras Familie und die Freunde von der Schule. Es war eine Massenaufnahme mit über vierzig Leuten. Sie hatten sie auf dem Mars gemacht, Tage nachdem die Anelph mit der Besiedlung der Region begonnen hatten.

Auch das war eine glückliche Zeit gewesen und Akane hatte nie so richtig glauben können, dass sie jemals hätte vorbei gehen können. Doch nun war sie es – vorbei. Und nichts würde sie zurück bringen.
 

Gemächlich stellte sie das letzte Bild auf. Es zeigte sie und Mamoru. Wie sie zwei aneinander geraten waren, konnte Akane selbst nach zwei Jahren Abstand nicht mehr sagen. Anfangs war es sicher nur Frust gewesen. Mamoru hatte erkennen müssen, dass Megumi Akira viel zu sehr liebte, um ihm auch nur den Hauch einer Chance einzuräumen. Und sie selbst hatte schmerzlich erkennen müssen, dass sie in einem direkten Wettstreit zwischen der besten Mecha-Pilotin und der berühmten Pop-Sängerin bestenfalls die Bandenwerbung war.

Diese Tage waren sowohl für sie als auch Mamoru Hatake sehr frustrierend gewesen.

Dementsprechend endeten alle ihre Begegnungen entweder in Gebrüll oder in frustrierendem Anschweigen. Nicht, dass sie sich damals schon gedatet hätten.

Aber während alle ihr Bestes gaben, um den OLYMP am laufen zu halten und Überstunden nach Überstunden schoben, hatte niemand ein besonders strapazierfähiges Nervenkostüm.

Und in den ersten Wochen gab es leider nur diese kleine Notmannschaft, die mit ach und krach wenigstens die wichtigsten Funktionen am Leben erhielt.

Dabei liefen sie einander zwangsläufig über den Weg.

Ein dünnes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie hatte Mamoru beinahe sofort gehasst. Diesen arroganten, selbstgefälligen, von sich so eingenommenen Mamoru. Den Geheimdienstoffizier, der es blutjung bis zum Captain geschafft hatte und auf all die nachträglich beförderten Offiziere und Mannschaften so tief herab sah wie es nur ging.

Ja, er war definitiv ein Arschloch gewesen. Ein Arschloch, das sicherlich beste Arbeit leistete. Aber auch eines, das an den Nerven aller fraß, die mit ihm zusammen arbeiten mussten.

Akane selbst war es gewohnt Autorität auszuüben. Sie war seit der Ersten Klasse immer Klassensprecherin gewesen, und später auf Mittel- und Oberstufe Stellvertretende Schulsprecherin. Dementsprechend hatte sie ein Problem damit, von Mamoru Befehle entgegen zu nehmen.

Er gehörte nicht zu ihren direkten Vorgesetzten, war nicht bei den Slayern integriert. Und er hatte so gut wie keine Ahnung, was sie in ihrem Arbeitsgebiet leisten musste. Und trotzdem wollte er ihr erzählen, was sie zu tun hatte.

Ja, sie hatte ihn gehasst. Und sie hatte die Herausforderung angenommen und sich mit ihm jedes Mal auseinander gesetzt. Bevor sie freiwillig zurück steckte, hatte sie den Konflikt gewählt und Mamoru jedes Mal heftig zugesetzt.

Doch bevor sie sich versehen hatte, da hatten ihr diese kleinen Kämpfe Spaß gemacht. Die Schimpfnamen, mit denen sie zwei sich bedacht hatten, waren schnell in Koseform ausgesprochen worden. Von dort war es nur ein kleiner Schritt dazu gewesen, dass sie die Treffen herbei sehnte. Sie erwartete.

Als Mamoru dann eine seiner Gängeltouren ausgelassen hatte, da hatte sie ihn gesucht. Und in der dunkelsten Stimmung seines Lebens vorgefunden. Anstatt sich mit ihm zu triezen, hatte sie sich zu ihm gesetzt und ihm stundenlang zugehört. Dann hatte sie gesprochen, viel erzählt, ihr Herz ausgeschüttet. Dies war der erste Schritt gewesen, um Freunde zu werden.

Und je öfter sie sich sahen, je mehr sie miteinander sprachen, desto enger wurde dieses Band. Bis sie endlich merkte, dass Hass nicht ohne Liebe existierte, denn das Gegenteil von Liebe war Gleichgültigkeit.

Akane nahm das Bild von Mamoru an sich und drückte es an ihre Brust. „Du Idiot. Du verdammter Idiot. Warum bist du nicht mit mir gegangen?“

Leise begann sie zu weinen.

**

Der Morgen kam sehr plötzlich über uns. Das Zwielicht machte der vollen Lichtfülle sehr schnell Platz und von einem Moment zum anderen konnten wir wieder unseren Weg sehen.

Ich weckte meine Freundin und erhob mich. Megumi, mit den trainierten Reflexen eines langjährigen Soldaten ausgestattet, wachte sofort auf, erfasste die Umgebung und nickte.

Langsam, etwas schlaftrunken kam sie auf die Beine. „Weiter?“, fragte sie.

„Weiter“, erwiderte ich.

„Moment“, murmelte sie und machte sich auf den Weg zum nächsten Baum.

Ich stieß eine Verwünschung hervor, rannte an ihr vorbei und kontrollierte die Umgebung oberflächlich. „Auch wenn die Natur ruft, lass mich wenigstens vorher kontrollieren, ob hier irgendetwas lauert.“

Ich legte beide Hände auf den Boden und aktivierte mein KI. Die letzen Monate hatte ich sehr erfolgreich damit gearbeitet, eine gewisse Meisterschaft erreicht. Ich war nicht so gut wie Yoshi, zugegeben, und noch lange nicht so gut wie Futabe-sensei. Aber es reichte, um die Falltürspinne in ihrem Versteck nahe des Baumes zu entdecken.

„Nur eine Spinne. Da, unter dem Stein. Wenn du da weg bleibst, sollte nichts passieren.“

„Ich habe keine Angst vor Spinnen“, tadelte sie mich.

Sie warf mir einen schrägen Blick zu. „Willst du zusehen?“

Ich spürte wie das Blut in meine Wangen schoss. „Ich… Besser wäre es vielleicht. Ich meine, ich…“ Wütend warf ich die Arme in die Luft und ging wieder auf die andere Seite.
 

„Akira“, sagte sie leise. „Heute werde ich aber selbst gehen. Du kannst mich nicht ewig tragen. Und dein KI reicht nicht grenzenlos.“

„Kommt überhaupt nicht in Frage, Megumi“, erwiderte ich ernst. „Ich lasse nicht zu, dass dir irgendetwas passiert. Du hast keine Schuhe, und dies ist keine freundliche Umgebung. Hier kann viel zu viel passieren.“

„Dennoch. Wir wissen nicht, wo wir sind. Wir haben keine Vorräte. Und wir wissen nicht, wann wir wieder auf Zivilisation treffen werden. Du musst deine Kräfte schonen, Akira.“

Sie kam wieder hinter dem Baum hervor. „Als erstes sollten wir uns trinkbares Wasser besorgen.“

Ich nickte. „Trinkwasser, Nahrung. Vielleicht eine Waffe.“

Ich bot ihr meinen Rücken an und sie stieg auf. Ihre warme Wange legte sich auf meine. „Du verstehst es wirklich, ein Mädchen auf Händen zu tragen.“

„Nun, nicht gerade auf Händen“, erwiderte ich lächelnd.
 

Langsam setzte ich mich wieder in Bewegung und folgte dem Trampelpfad, den wir Gestern über eine Stunde entlang gelaufen waren.

Unsere Position zu bestimmen war schwierig, aber wir waren den Abend meistens mit der Sonne links von uns unterwegs gewesen. Die grobe Richtung mochte Norden gewesen sein. Unsere Toba-Freunde hatten sich vom Camp aus gesehen nach Westen zurück gezogen. Wenn ich meinen Kampf mit Megumi richtig im Hinterkopf hatte und die Position des alten Hangars, dann waren wir etwa drei Kilometer südwestlich zu Boden gegangen und von dort in den Wald geflohen. Dann hatten wir eine unbekannte Strecke zurückgelegt. Hauptsächlich in nördlicher Richtung, aber ich wollte es nicht beschreien. In einem Dschungel verlor man schnell die Übersicht. Die Sonne ging rechts von uns auf, aber das bedeutete nur, dass wir gerade in diesem Moment unterwegs nach Norden waren. Mit etwas Glück hielten wir auf den Rio Paraguay zu, der auch in dieser Region war. Wenn wir seinem Lauf folgten, egal ob stromauf oder stromab, würden wir vielleicht auf Toba-Siedlungen stoßen, andere Indianer oder ein Zeichen von Zivilisation.

„Woran denkst du?“, fragte Megumi.

„Ich denke daran, wo wir eine Hose und ein Paar Wanderschuhe für dich her kriegen.“

Sie äugte an mir herab. „Deine Dienstschuhe sind auch nicht gerade sehr gut geeignet für diese Umgebung. Die dürften mittlerweile durchgeweicht sein. Wir sollten die Schuhe und deine Füße so schnell wie möglich trocknen, bevor du dich wund läufst.“

Ich wollte widersprechen und auf meine Meisterschaft in der Kontrolle des KI hinweisen. Aber es würde mich Kraft kosten. Wieder einmal. „Gute Idee“, sagte ich also.

Dann folgten wir dem Pfad weiter.
 

Plötzlich hob Megumi den Kopf an, sah nach hinten. Sie hatte schon immer ein besseres Gehör gehabt als ich.

„Hubschrauber. Einer. Etwa fünf Kilometer entfernt. Fliegt Zickzack. Sucht nach uns“, sagte sie ernst.

„Kommt er in unsere Richtung?“

„Kann ich nicht sagen. Wir sollten in jedem Fall machen, dass wir hier weg kommen.“

„Verstanden“, sagte ich, fasste ihre Beine fester und begann zu laufen.
 

2.

„Herr General, dies ist das Ergebnis der Funkanalyse. Dieser John Takei hat tatsächlich den Daishi Beta gesteuert, der unseren Truppen so übel mitgespielt hat.“

Basicá schmunzelte. „Das sind doch gute Nachrichten. Wir können es gegen die UEMF verwenden, wenn der Mann, den wir retten wollten, sich mit Rebellen verbündet. Das bringt uns einen enormen Vorteil.“

„Das… Das ist noch nicht alles, Herr General. Wir haben die Gesprächsfetzen, die über den Helm von Colonel Uno kamen, erneut analysiert. Dabei kam heraus das dieser John Takei in Wirklichkeit Akira Otomo ist.“

Basicá erstarrte. „Der Akira Otomo? Das ändert alles.“

Der General dachte einen Moment lang nach. „Wenn er aussagt, kann das nur schlecht für uns sein. Wir müssen ihn erwischen, bevor er seine Leute kontaktieren kann. Beordern Sie weitere Kampfhubschrauber in die Region. Sie sollen bei Sichtkontakt ohne Anruf schießen. Eine Leiche oder zwei kann man verschwinden lassen. Und man kann es sehr leicht den Rebellen in die Schuhe schieben. Ausführen.“

„Ja, Herr General.“

„Ist noch etwas?“

„Es geht um den Offizier, der Colonel Uno begleitet hat. Major Hatake. Es ist uns nach der misslungenen Festnahme noch nicht gelungen, ihn ausfindig zu machen. Er hat sich seiner Uniform entledigt und sein Handy entsorgt. Er geht mit ungewöhnlichem Geschick vor und hat noch nicht einmal mit seinen Kreditkarten bezahlt. Wir haben eine Fahndung nach ihm raus gegeben und eine Belohnung ausgesetzt, aber bisher ohne Erfolg.“

„Und was soll ich da machen?“

„Nun, der Mann hat zweifellos ein Spezialtraining erhalten. Ich möchte Sie bitten, den Fall dem Geheimdienst zu übertragen.“

„Meinen Segen haben Sie“, brummte der General. „Finden Sie ihn. Töten Sie ihn.“

„Jawohl, Herr General.“

**

Argentinien war in den letzten Jahrzehnten ein beliebtes Einwandererland für Asiaten gewesen. Gerade Japaner waren ihren Firmen gefolgt und hatten sich in der Hauptstadt angesiedelt. Ein hellhäutiger und Hochgewachsener Mann wie Mamoru Hatake fiel in der Stadt also kaum auf. Vor allem nicht, nachdem er sich neu eingekleidet hatte. Die verräterischen UEMF-Standardschuhe waren ebenso ausgetauscht worden wie Hemd und Hose, die noch darauf hindeuteten, welchem Zweck sie einmal gedient hatten.

Mamoru trat nun lax auf, mit einem weiten, bunten Shirt, hoch gegeltem Haar, poppigen Sportschuhen und Stoffshorts mit großen Taschen. Auf den ersten Blick mochte man ihn für sechzehn oder jünger halten.

Und in den Vierteln in denen die Asiaten siedelten, sollte man ihn nicht so ohne weiteres von anderen Jugendlichen unterscheiden. Dachte er.
 

Einen Fehler musste er gemacht haben. Als er nach einem üppigen Mittagessen aus der Sushibar kam, fielen ihm zwei schnell fahrende Autos auf. Sein Instinkt schlug Alarm und er zögerte nicht, Fersengeld zu geben. Was hatte ihn verraten? Er ging nicht mehr wie ein Militär, schäkerte mit den hübschen Mädchen und hatte mehr ein Auge für Automotoren als für Waffen. Und nun wurde er verfolgt.

Mist, es waren nur noch wenige Meter bis zu einem toten Briefkasten gewesen, einen fixen Treffpunkt, an dem er eine Nachricht für die hiesige UEMF-Zelle hätte hinterlassen können. Dieser und zwei weitere Orte waren ihm für einen Notfall wie diesen genannt worden.
 

Mamoru bog in eine Seitenstraße ein, lief sie hinab und wandte sich nach links. Nun machte es sich bezahlt, dass er sich nicht für das Outfit als Schlipstragender Geschäftsmann entschieden hatte. Die Sportschuhe und die leichte Kleidung waren ideal zum davonrennen.

Er hörte den ersten Wagen mit quietschenden Reifen in die Seitenstraße einbiegen, gerade als er selbst die Ecke erreichte und eine größere Straße hinab lief.

Sie durften ihn nicht kriegen! Moment mal, warum eigentlich nicht? Immerhin hatte er seinen Job erledigt und die UEMF gewarnt. Akira und Megumi sollten nun eine echte Chance haben und…

Eine Kugel, die neben ihm über den Fußgängerweg schrappte, beschleunigte seine Schritte erneut und gab ihm die Antwort. Ach ja, weil sie ihn töten wollten. Schon wieder, wie im Hangar. Wenn er doch wenigstens eine Waffe gehabt hätte. Aber die verräterische Dienstpistole hatte er ja auch entsorgt. Na, mit fünf Schuss hätte er aber auch nicht viel gerissen.

Gab es noch einen Grund, warum er überleben sollte? Sein Leben lag ja mehr oder weniger in Trümmern. Seine Liebe zog es vor, ohne ihn ins Ungewisse zu fliegen, seine wenigen Freundschaften hatte er nicht gerade gepflegt in letzter Zeit und er drohte, genau wie sein Vater ein Workaholic zu werden, dem der Beruf über alles ging.

Okay, er war einer der talentiertesten jungen Offiziere in der UEMF, was er oft genug bewiesen hatte. Aber die Affäre mit Akane hatte ihm nur zu schmerzlich bewiesen, dass es mehr gab als eine unerwiderte Liebe zu Megumi oder ein ausfüllender Beruf.

Für einen Moment blieb er stehen. Was war eigentlich so schwierig daran, sich einfach fallen zu lassen?

Als ihm eine Kugel durch das gegelte Haar fuhr, rannte er weiter. Ach ja, richtig. Die Kugeln, der Tod und die Schmerzen, die mit einer Verletzung einhergingen. Alles Dinge, die er nicht für besonders erstrebenswert hielt. Wieder eine Seitenstraße. Mamoru lief sie hinein, bog in ein Geschäft ein, kam am Besitzer vorbei und hastete durch das Lager in den Innenhof. Dort bog er scharf nach Rechts ab, fand den Hintereingang eines Restaurants und ging bis vorne durch.

Na toll, ausgerechnet in einem Vier Sterne-Fresstempel war er gelandet. Wenn er hier nicht auffiel, wo dann?
 

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Die Angreifer? Unmöglich. Die konnten noch nicht da sein. Wurde er erwartet? Auch nicht möglich. Er war ohne Ziel umher gerannt.

Dieser Gedanke wurde müßig, als die Hand seine Schulter umschloss und ihn in die Küche zerrte.

Erschrocken machte sich Mamoru kampfbereit, wirbelte herum… Und erstarrte, als er in die Gesichter von fünf ziemlich wütenden Köchen und einer hübschen Bedienung starrte. Der einzigen übrigens, die sich nicht mit schweren Fleischermessern bewaffnet hatte.

„Bist du Mamoru Hatake?“, fragte die Bedienung.

„Mamoru-wer?“, log er, was die Köche dazu brachte, bedrohlich ein paar Schritte vorzutreten.

„Mamoru Hatake“, sagte sie noch mal und deutete auf einen Fernseher, der in der Küche lief.

„…ungefähr eins achtzig groß, kräftige Schultern. Schlank. Gut trainiert. Haarfarbe schwarz. Augenfarbe braun. Major Mamoru Hatake wird wegen Spionage, Landesverrat und Mord in fünf Fällen gesucht. Hinweise bitte an…“

Wieder spannte sich Mamoru an. Na toll, eine bessere Presse hatte er ja nicht kriegen können. Würde er sich den Weg hier raus frei kämpfen müssen? Und was dann? Würde der ganze Block rebellisch werden? Die Belohnung? Wer würde noch dahinter her sein?

„Ja, ich bin Mamoru Hatake“, brummte er und suchte nach einer Möglichkeit, aus der Küche zu entkommen.

Das war kurz bevor ihm eine weiße Jacke und eine weiße Hose entgegen flogen.

„Schnell, zieh die an. Und setze die Sonnenbrille ab.“

Verdutzt begann Mamoru in die weiße Hose zu schlüpfen. Einer der Köche half ihm bei der Jacke während die Bedienung sie zuknöpfte. Schnell setzte ihm jemand eine Kochmütze auf. „Schnitzel kriegst du ja wohl hoffentlich hin, oder?“, fragte einer der Köche und schob ihn in den Hintergrund der Küche, wo paniertes Fleisch wartete.

„Wartet, wartet!“, rief Mamoru, aber die junge Frau schnappte sich ein Tablett und bedeutete ihm zu schweigen.
 

Einer der anderen Köche warf einen ordentlichen Klacks Butter in Mamorus Pfanne und stieß ihn mit dem Ellenbogen an. „Verhalte dich ganz unauffällig und rede nur, wenn du angesprochen wirst.“

Das wollte dem jungen Geheimdienstoffizier nicht so recht einleuchten, aber da er nichts besseres vorhatte, legte er zwei der panierten Schnitzel in die Pfanne und begann sie zu braten.

„Sie dürfen nicht in die Küche!“, rief die junge Frau. „Der Raum ist…“

Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und drei Männer mit Sonnenbrillen kamen herein. „Das ist meine Küche!“, rief einer der Köche und schnappte sich sein größtes Fleischermesser.

Der Anführer der Gruppe hob abwehrend beide Hände. „Entschuldigen Sie, Maître, aber wir suchen einen Terroristen, der in dieser Gegend gesehen wurde. Vielleicht haben Sie es schon in den Nachrichten gehört.“

„Was? Ach der? Hm. Ja, der kam durch meine Küche. Und ich hatte nichts Besseres zu tun, als ihm gleich einen Job anzubieten.“

Die anderen Köche lachten und auch die junge Frau kicherte leise dazu.

„Vielleicht ist er hier durch gelaufen?“, hakte der Anführer der Dreiergruppe nach.

„Weiß nicht. Ich sehe nur, was hier in die Küche kommt. Fragt doch mal vorne bei den Kellnern nach.“

„Gut, das machen wir. Habe ich schon erwähnt, dass es eine Belohnung gibt?“

„Nun aber raus hier“, rief der Chefkoch. „Wir haben Mittag und der Laden ist brechend voll. Ich habe hier immerhin einen guten Ruf zu verteidigen!“

Indes wendete Mamoru die Schnitzel. Sie schienen recht gut zu werden, fand er.

„Alles klar. Hier, meine Karte. Falls Sie ihn sehen, zögern Sie nicht anzurufen.“

Die Dreiergruppe machte kehrt und verschwand wieder aus der Küche.

Die Köche und das Mädchen atmeten sichtbar auf.

Da öffnete sich noch einmal die Tür, der Mann sah erneut herein und fragte: „Habe ich schon erwähnt, dass er bewaffnet und gefährlich ist?“

„Wir können entweder kochen oder Ihre Arbeit machen!“, rief der Koch und hob drohend das große Messer.

Dies raubte dem Mann die letzte Courage und er verließ die Küche.
 

Mamoru keuchte erleichtert auf. Das war ganz schön knapp gewesen.

„Na, Mike“, rief der Chefkoch und schlug ihm kräftig auf die Schulter, „das sieht doch schon ganz gut aus. Wenn du mit den Schnitzeln durch bist, wasche mal den Salat.“

„Warum helfen Sie mir?“, fragte Mamoru leise und legte neue Schnitzel in die Pfanne.

„Na, du tust ja auch was dafür, oder?“, erwiderte der Mann und grinste ihn an.

**

Am späten Abend saß Mamoru mit den anderen Köchen und den Bedienungen im eigentlichen Restaurant und aß endlich selbst etwas.

„Die Pastasoße ist dir aber gut gelungen“, lobte der Chefkoch und klopfte Mamoru anerkennend auf die Schulter.

„Si“, meldete sich ein anderer, den Mamoru als Luigi kennen gelernt hatte. „Diese fruchtige Note, wirklich ganz hervorragend. Gib mir das Rezept und sie kommt mit auf die Karte.“

„Wo hast du kochen gelernt?“, fragte die Bedienung freundlich.

Mamoru lachte leise und begann sich Spaghetti in einem Löffel zusammen zu rollen. „Wisst ihr, wenn man wie ich Soldat ist, dazu noch beim Geheimdienst, dann ist man oft nicht Zuhause. Wenn man dann nicht aus der Tüte leben will, dann muß man eben selbst etwas kochen. Und seit ich nicht nur weiß was Oregano ist, sondern es auch in meiner Küche benutze…“

Der Rest des Gedanken ging im Gelächter der Köche unter.

„Warum helft ihr mir?“, fragte Mamoru wieder. Alle Anwesenden, die Bedienungen und die Köche waren Nachfahren von eingewanderten Italienern, die eine große Bevölkerungsgruppe in Buenos Aires stellten, soviel hatte Mamoru schon herausgefunden.

„Du bist Mamoru Hatake“, sagte der Chefkoch und tat, als wäre damit alles getan. Als er merkte, dass der UEMF-Offizier nicht verstand meinte er: „Gina, komm mal her zu mir.“

Die junge Frau setzte sich gehorsam neben ihren Vater und lächelte Mamoru an.

„Diese kleine Ragazza hier hat an der UEMF einen Narren gefressen. An euren Mechas, euren Waffen und an euren Anführern. Die Romane über den Angriff auf den Mars hat sie verschlungen. Und man muss nur mal Akira sagen, da leuchten ihre Augen vor Begeisterung.“

Die anderen lachten, als Gina rot wurde.

„Und am meisten geht sie mir immer mit dieser Joan Reilley auf die Nerven. Joan hier, Joan da, das geht ganz schön aufs Gemüt. Wir spielen schon immer ihre Musik, damit der kleine Wirbelwind hier abgelenkt ist.“

Mamoru schmunzelte dazu.

„Und wenn sie Joan Reilley sagt, dann meint sie auch immer gleich Mamoru Hatake. Der tapfere Mamoru, dieses große Vorbild. Der Beschützer von Megumi Uno. Und so weiter und so fort.“

„Papa, lass das doch“, forderte Gina mit rotem Gesicht.

Der Vater lachte laut und die anderen fielen ein. „Jedenfalls, als die Fahndung nach dir ausgeschrieben wurde, da hat sie ein Riesentrara gemacht. Das könne nicht sein, Mamoru sei nicht so einer… All so was.“

Mamoru spürte, wie sich ein Schatten auf seine Stimmung senkte. „Es stimmt aber“, sagte er tonlos. „Ich habe drei Soldaten erschossen und bin von einem Kasernengelände geflohen.“

Erschrockenes Raunen ging durch den Raum.

„Mir blieb allerdings keine Wahl. Sie hatten mich ausschalten wollen, weil ich herausgefunden habe, was sie getan haben…“

Mamoru sah auf. „Sie haben versucht, einen Mecha-Piloten aus dem Weg zu räumen, der in einem Shuttle auf argentinischem Boden abgestürzt ist. Meine Vorgesetzte, Megumi Uno, hat nach diesem Shuttle gesucht. Das letzte, was ich von ihr gehört habe war, dass sie tot sein soll. Aber das will ich nicht glauben. Denn der Mann den sie gesucht hat ist Akira Otomo.“
 

Für einen Moment verfluchte sich Mamoru, weil er so bereitwillig Informationen freigab. Aber er hatte nicht anders gekonnt. Es war aus ihm heraus gesprudelt wie ein Wasserfall.

„Ich konnte nichts weiter tun als meinen eigenen Tod zu verhindern und habe mich abgesetzt. Das ist schon die ganze Geschichte“, schloss Mamoru und sah zu Boden.

„Was… Was hast du jetzt vor, Mamoru?“, fragte Gina leise.

„Es gibt da verschiedene Bereiche, in denen ich die hiesige UEMF kontaktieren kann. Sie kann mich außer Landes schaffen. Aber dazu muß ich hier raus.“

Stille antwortete ihm. Dann griff der Chefkoch zu und schaufelte ihm eine neue Portion Spaghetti auf den Teller und kippte viel Soße drüber. „Nun stärke dich erst mal. Du wirst es brauchen können. Danach gibt dir Antonio ein paar unauffällige Sachen. Und Gina bringt dich dann unauffällig zu einem dieser Orte.“

„Ich kann sie doch nicht in Gefahr bringen“, protestierte Mamoru.

„Nichts ist unauffälliger als ein Pärchen in der warmen Nachtluft. Es verlangt ja keiner von dir Tango zu tanzen.“

Die anderen lachten.

„Und jetzt iss erst mal auf. Du hast gut gearbeitet. Wenn alle Stricke reißen kannst du immer noch für uns kochen.“

Mamoru lächelte. „Vielleicht ist das keine so schlechte Idee…“

**

Der Lieutenant staunte nicht schlecht, als der humanoide Umriss aus über dreißig Meter Höhe in die Tiefe stürzte, die ersten Bäume erreichte und von dort von Ast zu Ast huschte.

Einen Augenblick später stand ein groß gewachsener Blondschopf vor ihm. Die Abzeichen an seinem Tarnanzug wiesen ihn als Captain aus und der Kragenspiegel informierte den Fremdenlegionär darüber, dass er Mecha-Pilot war.

Nun, für einen Blechbüchsenkutscher war das schon eine tolle Aktion gewesen.

„Lieutenant Navarre?“, fragte der Blonde.

Der Fremdenlegionär nickte.

„Doghouse“, sagte der Fremde bestimmt.

„April“, antwortete Navarre.

Dies schien den Mecha-Piloten zufrieden zu stimmen. Er streckte die Hand aus. „Captain Yoshi Futabe, United Earth Mecha Force.“

„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Sir. Habe schon eine Menge über Sie gehört“, sagte der Lieutenant.

„Ich hoffe nur gutes“, scherzte Yoshi, ergriff sein Funkgerät und sagte: „Sicher.“

Kurz darauf landete der Transporthubschrauber, der vorhin ihre Lichtung überflogen hatte, um Captain Futabe abzusetzen. Drei junge Frauen und fünf Soldaten in der gleichen Tarnuniform stiegen aus, nahmen Ausrüstung mit und ließen den Helikopter wieder starten.

„Monsieur, es geht mich ja nichts an, aber der Dschungel ist kein Platz für kleine Mädchen“, sagte Navarre leise.

„Da haben Sie Recht, es geht Sie nichts an“, erwiderte Yoshi ernst. „Ich kann Sie aber beruhigen, die kleinen Mädchen haben auf dem Mars gekämpft. Eine sogar zweimal, und wenn Sie erraten welche es ist, halte ich sie sogar zurück wenn sie versucht Ihnen die Kehle raus zu reißen.“

Erstaunt riss der Lieutenant die Augen auf. „Auf dem Mars? Alle drei?“

Futabe nickte ernst.

„Mann, muss es der UEMF dreckig gegangen sein.“

„Übrigens, Lieutenant Navarre, ich war ebenfalls bei der Marsmission dabei“, sagte der UEMF-Captain mit warnendem Unterton in der Stimme.
 

„Nun fange doch nicht gleich Streit an“, ermahnte eine junge Frau mit rotem Haar den Captain. Sie lächelte den Fremdenlegionär freundlich an und reichte ihm die Hand. „Ich bin Kitsune. Habe auf dem Mars Infanteriecyborgs versprengt.“

„Kaum zu glauben bei so einem zarten Körper“, kommentierte der Offizier, bereute seine Worte aber sofort wieder, als er vor Schmerz in die Knie ging.

„Ach, habe ich vergessen zu erwähnen, dass ich eine Daimon bin?“

„Hört auf rum zu spielen! Ihr alle“, blaffte das jüngste Mädchen in der Runde. „Wir sind hier um O-nii-chan und O-nee-chan zu retten, habt Ihr das schon vergessen?“

Sie zog eine Karte hervor und breitete sie aus. „Lieutenant Navarre, die Daishi-Mechas wurden in etwa hier gefunden. Und hier, drei Kilometer im Westen, befand sich die Siedlung, aus der der Beta gestartet ist. Hier und hier wurden Napalm oder andere Brandbomben eingesetzt. Wir gehen davon aus, dass Colonel Otomo und Colonel Uno nicht in den Flammen umgekommen sind. Sie werden zu Fuß geflohen sein.

Lieutenant Navarre, wie weit können sie zu Fuß gekommen sein? Und welche Richtung werden sie genommen haben?“

Der Fremdenlegionär kratzte sich die Stirn. Wow, ausgerechnet die Kleinste hatte es am besten drauf. „Wenn sie sich zu Fuß abgesetzt haben, dann werden sie in Richtung Fluss unterwegs sein. Also richten sie sich in etwa nördlich. Ich nehme an, dass sie über keine Hilfsmittel verfügen, deshalb werden sie sich nach dem Sonnenstand richten. Das ist bei der Tiefe des Dschungels nicht überall möglich. Sie werden also zwangsläufig Schlangenlinien laufen und vielleicht sogar in die komplett falsche Richtung geraten.“

„Was ist Ihre optimale Schätzung, Lieutenant? Wie weit werden sie maximal gekommen sein?“

„Nun, wenn beide unverletzt sind und gut vorankommen, dann schätze ich, dass sie gestern zwei bis drei Kilometer geschafft haben. Heute werden es maximal zehn sein. Ich vermute, dass sie in diesem Bereich sind. Das ist ein Areal mit einer Fläche von zwanzig Quadratkilometern, das in Richtung Fluss zeigt. Wir vermuten sie in dieser Region.“

„Was ist Ihre Minimalschätzung? Falls einer von ihnen verletzt ist und sie nur schleppend vorankommen?“

„Dann befinden sie sich hier, wenige hundert Meter vor der Suchfront der Argentinier. Und einen Trost haben wir bei der Geschichte.“

„Dieser Trost wäre?“, fragte die dritte junge Frau. Sie fiel alleine durch ihr weißblondes Haar und die ernsten Augen auf.

„Solange die Argentinier suchen, sind ihre beiden Freunde noch in Freiheit.“

Captain Futabe rieb sich nachdenklich das Kinn. „Hören Sie, Lieutenant Navarre, wie risikofreudig seid ihr Fremdenlegionäre eigentlich?“

„Mit Mädchen, die für uns auf dem Mars gekämpft haben, sollten wir mithalten können“, erwiderte Navarre grinsend.

„Gut“, schnurrte Futabe zufrieden. „Dann habe ich einen Plan.“
 

3.

Daisuke Honda lächelte gering schätzend, als die Meldung eintraf, dass die Radaranlage von Armstrong aktiv gestört wurde. Es war also soweit.

Irgendjemand in Armstrong selbst schien eins und eins addieren zu können und gab Alarm. Automatisch wurde ein Notruf zur Garnison abgesetzt, aber Daisuke bezweifelte, dass er durch kommen würde. Nun begannen auch die wichtigeren Firmen wie Luna Mecha Research, Notrufe zu senden. Grund genug für den Mecha-Piloten, in seine Maschine zu steigen. Die Techniker grüßten ihn freundlich, während sie seinen Hawk fertig machten.

Offiziell war diese Halle hier noch nicht einmal fertig gebaut, noch voller Löcher und nicht in der Lage, eine Atmosphäre zu halten. Inoffiziell aber diente sie zehn seiner Mechas sowie einem fünfzigköpfigen Technikerteam als Unterschlupf.

Unter größter Geheimhaltung waren die Leute und ihre Maschinen hier her geschafft worden. Lediglich fünf hohe Offiziere in Armstrong wussten über diesen Transfer Bescheid. Bei Luna Mecha Research wusste es mit Sicherheit niemand.

Und die Marodeure ahnten hoffentlich nicht einmal, dass hier eine Elitekompanie auf sie lauerte.
 

Daisuke legte seinen Druckanzug an, setzte den Helm auf. Als er in seinen Hawk stieg, half ihm ein Techniker bei den Anschlüssen.

Er nickte dem Techniker zu, kurz darauf schloss sich das Cockpit. „Kottos hergehört“, sagte Daisuke über Funk mit geringer Leistung. „Die Marodeure dürften hier bald eintreffen. Falls sie nicht vorher den Braten riechen oder gewarnt werden.

Ich weiß nicht, wie viele angreifen werden, geschweige denn welche Daishi-Typen es sein werden. Aber unsere oberste Priorität hat der Schutz von Menschenleben. Danach kommt die strukturelle Integrität jeder Kuppel, die Atmosphäre hält. An dritter Stelle steht dann LMR.

Vergesst eines nicht: Ihr seid die Hekatoncheiren, Nachfolger der legendären Kottos-Kompanie. Damit tragt Ihr einen stolzen Namen und habt auf dem Mars bewiesen, dass Ihr ihn verdient. Die meisten jedenfalls.“

Leises Gelächter erklang.

„Der Rest hat heute Gelegenheit zu beweisen, dass er ein vollwertiger Teil der Hekatoncheiren ist. Bereit machen zum ausschleusen.“

Bestätigungen antworteten ihm. Dann winkten die Techniker das erste Paar in die Schleuse.

Daisuke war dabei. Er grinste still. Den Marodeuren würde schon sehr bald klar werden, dass LMR nicht unbedingt gemütlicher wurde, nur weil Akira Abenteuerurlaub im südamerikanischen Dschungel machte.

„Auf geht´s.“

**

„Si, Senior Takei war in dem Mecha. Er bestand geradezu darauf. Wir verdanken ihm damit sehr viel. Nur dadurch waren wir in der Lage, ohne weitere Verluste aus der Siedlung zu kommen.“ José sah zu Boden. „Ansonsten haben wir alles verloren.“

„Materialien lassen sich ersetzen, Menschenleben nicht“, unterbrach Yoshi den Mann. „Was ich von Ihnen wissen will, José, ist, wie gut kennen Sie sich in dieser Region aus? Und sind Sie bereit, uns bei der Suche nach John Takei zu helfen?“

Der Toba sah von Yoshi zu den fünfunddreißig Männern in Fleckentarn und den drei jungen Frauen. „Wir können nicht alle gehen. Es wäre zu auffällig.“

„Nein, Sie nehmen nur mich mit, Lieutenant Navarre, Kitsune-chan und zwei Fremdenlegionäre. Sind sechs Leute in der Lage, sich unauffällig in diesem Urwald zu bewegen?“

José grinste von einem Ohr zum anderen. „Wie es der Zufall so will, stehen uns seit Gestern sehr moderne und voll getankte Jeeps zur Verfügung. Sie haben alle Allrad, was für diese Gegend dringend nötig ist. Mit zweien von ihnen und ein paar meiner Leute sollten wir in der Lage sein, uns einigermaßen ungesehen zu bewegen.

Aber was machen Ihre anderen Leute, Kapitano?“

Yoshi grinste breit. Der Mann war nach seinem Geschmack. „Sie… machen das, worauf sie trainiert wurden.“

Er ging zur Karte und deutete auf eine schraffierte Region. „José, Sie und ich stoßen mit den Jeeps bis in dieses Gebiet vor. Wir suchen dort nach Takei und Uno. Lieutenant, Ihre Leute bilden drei Stoßtrupps, die hier, hier und hier Stellung beziehen. Sollten unsere Leute ihnen in die Arme laufen, umso besser. Doch Hauptaufgabe ist: Nicht gesehen werden, aber alles andere sehen. Falls wir ganz schnell aus diesem Gebiet wieder raus müssen, sind sie außerdem ein sicherer Anlaufpunkt für uns.

Der Rest bleibt hier und baut ein Basiscamp auf. Ein gut geschütztes Basiscamp.“

Lieutenant Navarre rieb sich die Nasenwurzel. „Mit zwanzig Mann wird das schwierig zu verwirklichen sein. Ich meine, sehen Sie sich die vielen Leute an. Um die alle zu schützen, bräuchten wir eine verdammte Armee.“
 

Südlich ihrer Position ging ein Hawk nieder und federte in den Knien nach. Neben ihm landete ein Eagle, ein weiterer Hawk und ein Sparrow.

Der Hawk wandte sich der Gruppe an der Karte zu. „Hat da jemand nach einer Armee gerufen?“

„Gut, dass du da bist, Doitsu“, rief Yoshi zurück. „Wir werden dich brauchen. Viel zu bald.“

„Unter diesen Umständen stimme ich zu. Machen wir es so“, sagte Navarre.

„Dann lassen Sie mich die Jeeps holen.“ José grinste breit und machte sich auf den Weg.
 

„Entschuldigen Sie“, erklang eine dünne Stimme hinter Yoshi. Er wandte sich um und erkannte eine junge Japanerin in einem reichlich verdrecktem Tech-Overall.

„Ja?“

„Sie gehen Takei-sama, ich meine Otomo-sama retten?“

Yoshi dachte kurz nach. „Sie sind Yamagata-kun, richtig? Machen Sie sich keine Sorgen. Wir lassen Sie und die anderen drei bald evakuieren. Sie sind eher in Ihrer Wohnung auf dem Mond als Sie Fürst Pückler-Eiscreme sagen können.“

„Muss ich weg?“, fragte sie entsetzt. „Ich meine, müssen Sie mich evakuieren? Kann ich nicht auf Takei-sama, ich meine Otomo-sama warten?“

Yoshi runzelte die Stirn. Die anderen drei Mitarbeiter von LMR hatten ähnliches gefragt. Was hatte Akira mit ihnen gemacht? Gehorsamkeitstraining? Oder war das einfach seine Art?

„Darf ich fragen, warum Sie hier auf Otomo-kun warten wollen?“, fragte er ernst.

Yamagata wurde rot. „Ich bin seine Freundin.“ Diese Worte ließen sie noch mehr erröten. „NEIN! So meinte ich das gar nicht! Ich meine, ich will sagen, dass… Ich bin eine Freundin. Er… Er ist der einzige Mensch, mit dem ich mich anfreunden konnte. Bitte, es würde mir so viel bedeuten.“

Yoshi schlug sich eine Hand vors Gesicht. „Irgendwann kriegt der Kerl von mir noch mal einen Heiligenschein. Einen zum an und ausmachen. Yamagata-kun, ich gebe Ihnen die gleiche Antwort wie Ihren drei Kollegen. Sie dürfen hier bleiben, aber auf eigene Gefahr. Ist das in Ordnung?“

Für einen Moment dachte Yoshi, die junge Frau wolle ihn um den Hals fallen. Mit Yohko in Sichtweite, die Ai Yamagata sowieso schon misstrauisch beäugte, sicher nicht die beste Idee.

Stattdessen verbeugte sie sich tief und ernst. „Vielen, vielen Dank, Futabe-sama. Vielen, vielen Dank. Das bedeutet mir so viel. Und wenn Sie mal einen guten Techniker für Ihren Eage brauchen…“

„Sie sind Technikerin?“

„Daishi-Technikerin. Aber die Hawks und die Eagles habe ich mittlerweile auch ganz gut drauf.“
 

„Yamagata, Yamagata… Ai Yamagata?“

Die junge Frau trat erschrocken einen Schritt nach hinten.

„DIE Ai Yamagata? Die für das Troja-Projekt vorgesehen ist?“, hakte Yoshi nach.

„Für… Für das Troja-Projekt? I-ich habe mich beworben, aber…“

„Das ist merkwürdig. Wie viele Ai Yamagatas gibt es denn in Ihrer Firma? Ich bin mir sicher, Sie auf den Listen gesehen zu haben. Sie könnten sich theoretisch also wirklich um meinen Eagle kümmern.“

„Aber ich… Aber ich… Aber ich…“, haspelte sie aufgeregt.

„Ich bin mir da sogar sehr sicher. Ich lasse mal in den Abteilungen nachforschen. Eigentlich sollte der Marschbefehl längst bei Ihnen sein. Vielleicht haben Sie ihn einfach deswegen noch nicht, weil Sie hier abgestürzt sind.“

„I-ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. I-ich meine, so im Nachhinein, als Technikerin der Kronosier... Ich meine… Ich…“ Wieder verbeugte sie sich. „Tut mir Leid, Futabe-sama.“

„Hm, eine Frage. Vertraut John Takei Ihnen?“

„Sie meinen Otomo-sama? Ja, ich glaube, er vertraut mir.“

Yoshi lächelte dünn. „Dann sehe ich keinen Grund das nicht ebenfalls zu tun. Wir werden uns schon bald sehen – auf der AURORA.“
 

„Da wirst du aber nicht mehr rechtzeitig hinkommen, wenn du nicht bald bei den Jeeps bist“, tadelte Yohko ihren Freund.

„Was? Sind sie schon bereit? Dann muß ich wohl los. Yohko, das hier ist Ai-chan. Akiras Freundin von LMR.“

Yohko verneigte sich leicht. „Dann muß ich Ihnen danken, dass Sie auf meinen O-nii-chan aufgepasst haben.“

„Was?“ Erschrocken verneigte sich Yamagata ebenfalls. „Nein, es ist eher so, dass er auf mich aufgepasst hat.“

„Wie dem auch sei. Akira braucht immer jemanden, den er um sich haben kann. Schön, dass er sich darin nicht geändert hat.“

Yoshi schmunzelte. „Ich sehe, Ihr versteht euch. Ich fahre dann los, ja?“

„Yoshi!“, hielt Yohko ihn zurück. Sie zog ihn zu sich heran und gab ihm einen Kuss, lang und intensiv. „Bring mir meinen großen Bruder und Megumi unbeschadet wieder, bitte.“

„Was kriege ich dafür?“, fragte der Eagle-Pilot frech.

Yohko flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Yoshis Kopf ruckte hoch. Er sah sie erstaunt an. „Wirklich?“

„Wirklich. Mit den Katzenohren.“

„Äh, Futabe-sama. Sie haben Nasenbluten“, wandte Yamagata schüchtern ein.

„Das tut jetzt überhaupt nichts zur Sache. Ich muß los. Einen unvorsichtigen Freund und sein Mädchen retten!“

„Na, der ist aber plötzlich energisch“, staunte Yamagata.

„Kein Wunder“, schmunzelte Yohko. „Erstens ist Akira sein bester Freund. Und zweitens freut er sich auf seine Belohnung.“ Sie zwinkerte der jungen Technikerin zu. „Männer sind so leicht zu motivieren, was, Ai-chan?“

„Eh?“, machte sie verständnislos…

**

Als die fünf Daishi Alpha und die drei Beta auf Armstrong nieder sausten, schalteten sich die automatischen Abwehranlagen der Stadt ein. Schnellfeuerkanonen richteten sich aus und gaben einen Hagel von Stahlgeschossen ab. Die Kanonen waren in autarken Kuppeln errichtet worden, vor allem aus dem Grund, damit ihre Zerstörung die eigentlichen Kuppeln nicht beschädigte.

Dementsprechend hatten die Daishis wenig Skrupel, die Abwehrstellungen aufzumischen.

Daisuke grinste, während sich hinter ihm der Rest der Hotel-Kompanie versammelte.

„Haben wir eine Ortung von einem Trägerschiff?“, fragte er leise.

„Sir“, meldete einer der Techniker aus der Halle, „passive Ortung ergibt eine Fregatte im tiefen Orbit. Die NOVEMBER kann maximal zwanzig Daishi unterstützen, dreißig, wenn es nur Alpha sind.“

„Gut. Geben Sie der YAMATO und der KAZE Bescheid, dass wir den Sack zu machen.“ Wieder ging ein Grinsen über Daisukes Gesicht. Aber es war ein kaltes, selbstgefälliges Grinsen. „Guardian an Kottos. Hauen wir auf die Pauke.“

Sein Hawk löste sich als erstes, kam hinter der schützenden Felsformation vor und eröffnete augenblicklich das Feuer mit dem schweren Maelstrom-Partikelgewehr.

Ultrahochbeschleunigte Minipartikel, knapp Lichtschnell schlugen nun wie eine Ladung sehr effektives Schrot auf einen Beta ein, der gerade eine Waffenkuppel ausradierte.

Der Schuss war nur kurz, hatte aber zwei Effekte. Er riss einen Mecha-Arm direkt an der Schulter ab, beschädigte die innere Struktur schwer und übertrug eine Menge kinetischer Energie, die den Beta um die eigene Achse taumeln ließ.

„Willkommen zu meiner Party, meine lieben Marodeure. Wenn ich mich vorstellen darf: Lieutenant Colonel Daisuke Honda und die Hotel-Kompanie des Kottos-Bataillons. Wenn Ihr gleich aufgeben wollt, kann ich das verstehen.“

Der beschädigte Beta wandte sich in seine Richtung. „Was? Du arroganter, selbstgefälliger Kerl! Wer glaubst du, dass du bist? Akira Otomo?“

Neben und über ihm gingen die anderen Mechas der Kompanie nun in den Clinch mit den Marodeuren.

„Nicht Akira“, antwortete Daisuke, „aber ich bin nicht viel schlechter.“

„Das musst du erst mal beweisen!“, blaffte sein Gegenüber und feuerte eine Raketensalve auf ihn ab.

Daisuke wich dem einen Teil aus, vernichtete die anderen mit seinem Antiraketensystem und griff auf den Rücken. Dort hing eine Herkules-Klinge in der Spezialhalterung bereit. Sie zu ziehen, den Beta zu passieren und den Reaktor vom Cockpit zu trennen, was aus dem Beta ein Cabrio machte, war eine einzige fließende Bewegung.

Daisuke fing den Hawk auf federnden Beinen ab, während der Torso des Daishis vom Cockpit herab rutschte und langsam herab trudelte, in den Mondstaub.

„Beweis genug?“, fragte der Bataillonsführer eisig.

**

„Komm, komm. Komm, bitte.“ Die junge Frau zog Megumi mit sich unter die Aufbauten des Bootes, während ich mich neben das Steuer stellte. Ich ging nun schon eine halbe Stunde barfuß, und es war ein Labsal für meine Füße.

Miguel lachte mich an und zog an seiner selbst gedrehten Zigarette. Er und seine Crew hatten mich und Megumi am Ufer aufgelesen, kaum dass wir den Fluss erreicht hatten. Miguel hatte keine Fragen gestellt, nicht warum Megumi halbnackt durch den Dschungel gelaufen war, nicht woher wir kamen. Er hatte nur gelacht und gefragt, ob wir mit stromaufwärts kommen wollten.

Ich hustete leicht, als ich den schweren, blauen Dunst einatmete. „Zieh endlich die Durchgeschwitzten Sachen aus“, mahnte mich der Ältere. „Die Luft ist zwar warm, aber deswegen kannst du dich doch erkälten.“

Gehorsam zog ich Hemd und Shirt aus und wechselte in das trockene Flanellhemd, welches mir Santos, der Maschinist geliehen hatte.

Die LA TRINIDAT war ein relativ großes Boot, eine Art Kurierschiff, das Waren und Nachrichten den Fluss hinauf brachte. Für ihren Trip in die vielen Nebenflüsse, ins unwirtliche, kaum erschlossene Gebiet auf argentinischem oder paraguayanischem Boden war sie jedes Mal über eine Woche unterwegs. Und kam meistens mit ein paar Säckchen seltenen Pflanzen und ein paar Unzen Goldnuggets zurück. Manchmal tauschten die Bewohner der abgelegeneren Dörfer auch Diamanten und andere Edelsteine gegen die Waren ein. Es war nicht soviel, dass es eine große Firma auf den Plan gerufen hätte, um hier mitten im Urwald Raubbau zu betreiben. Aber es reichte, um sich ab und an Ersatzteile für einen Generator zu leisten. Oder einen viel versprechenden jungen Menschen zum studieren in die Stadt zu schicken. Erstaunt erfuhr ich, dass einige der Dorfbewohner aus den Flusssiedlungen sogar in die UEMF eingetreten waren. Und dabei hatte ich den Fluss und seine Bewohner in ihrer ganz eigenen Welt geglaubt. Nicht unbedingt jene in den großen Städten, die den großen Lebensstrom säumten. Aber die in den kleinen und kleinsten Siedlungen. Anscheinend hatte ich das falsche Bild von ihnen.
 

Miguel lachte wieder und sah mich mit schalkhaftem Glitzern in den Augen an. „So weit vom Schuss sind wir nicht, Akira. Wir kriegen hier schon mit, was draußen läuft. Den Angriff auf den Mars haben wir sehr interessiert mitverfolgt. Und auch die Aktivitäten der United Earth Mecha Force bekommen wir mit. Und wir erkennen eine Uniform, wenn wir sie sehen.“

Ich nickte dazu. „Hast du uns deswegen mitgenommen, Miguel?“

„Ich habe euch mitgenommen, weil ihr so ausgesehen habt, als würdet ihr Hilfe brauchen. Wenn sich die Menschen in dieser Region nicht gegenseitig unterstützen, wäre dies eine gottlose Gegend. Vor allem sollte man denen zur Seite stehen, die von den Argentiniern mit raketenbestückten Hubschraubern gejagt werden.“

Erschrocken sah ich ihn an.

Wieder lachte Miguel. „Was wunderst du dich? Eine so große Militäraktion können die Argentinier nicht verheimlichen. So was spricht sich rum. Auch, dass du den Toba geholfen hast. Wir sind hier fast alle Mestizen, musst du wissen.“

Mestizen! Mischlinge aus weißen Einwanderern und eingeborenen Indianern, ging es mir durch den Kopf.
 

„Komm“, sagte die junge Frau, die Megumi weg geführt hatte. „Komm, er wird sich freuen, dich so zu sehen.“ Soweit ich wusste hieß die junge Dame Carmen und war so was wie die Kontaktpflegerin an Bord. Wenn das Schiff irgendwo anlegte war es Carmen, die sofort mit den Frauen zu schwatzen begann, Neuigkeiten austauschte und die Bindung zur LA TRINIDAT erhöhte. Im Moment erhöhte sie aber lediglich Megumis Widerstand, die sich nur sehr unwillig aus dem Aufbau herauslocken ließ.

Als sie dann doch vor mir stand, sackte mir die Kinnlade herab. Sie trug nur ein schlichtes weißes Sommerkleid und ihre Haare waren frisch gewaschen. Zudem schien ihr der Aufzug peinlich zu sein. Außer für die Schuluniform trug sie eigentlich nie einen Rock oder ein Kleid.

Aber es stand ihr vorzüglich. In Momenten wie diesen, wenn sie mich erneut überraschte, sprachlos machte, da ahnte ich wieder, wie und warum ich mich in sie verliebt hatte.

„Wow“, murmelte ich leise.

„Gefällt es dir?“, fragte sie und sah noch immer weg.

„Es ist… Megumi, du solltest öfter ein Kleid tragen. Es steht dir wundervoll.“

Sie sah mich an und ihre Augen strahlten. „Wirklich?“

Miguel lachte erneut. „Junge Liebe. Was gibt es schöneres?“

Ich klopfte dem Kapitän auf die Schulter. „Ihr habt uns zu essen gegeben. Ihr habt uns Kleidung gegeben. Wie können wir das wieder gut machen?“

Miguel wurde ernst. „Vielleicht gibt es da wirklich etwas, was du tun kannst, Akira Otomo. Wir haben euch nicht geholfen, um eine Gegenleistung zu bekommen. Aber wenn ich eine Bitte äußern darf…“
 

Explosionslärm ließ uns aufschrecken und nach Süden sehen. Rauchwolken stiegen über dem Urwald auf.

„Vier Kilometer entfernt“, sagte Megumi konzentriert. „Drei Hubschrauber. Kommen näher. Ich glaube, sie jagen etwas.“

Kurz darauf kam der erste Helikopter in Sichtweite. Er zog eine weite Schleife, die Bordgeschütze hämmerten in den Dschungel hinab. Eine Stinger hob aus dem Blätterdach ab, traf den Flieger am Hauptrotor, beschädigte ihn aber nicht schwer genug. Dennoch zog sich der Hubschrauber zurück und überließ den Schauplatz seinen beiden Kollegen.

„Wen immer sie jagen, er ist gut ausgerüstet“, stellte ich fest.

Am Ufer erschienen zwei Jeeps und nutzten den Trampelpfad neben dem Flusslauf als provisorische Straße.

„Ja, da soll mich doch… Das sind Yoshi und Kitsune!“, rief ich aufgeregt.

Jeweils vier Leute saßen in einem der Jeeps. Im vorderen saßen der Freund und die Fuchsdämonin. Sie wirkten erschöpft, aber unverletzt.

Ich winkte ihnen zu, bis es mir wegen der näher kommenden Hubschrauber zu gefährlich wurde. Einer jagte den Jeeps hinterher, die wieder in den Dschungel abbogen. Der andere sauste auf den breiten Fluss hinaus und legte sich neben die LA TRINIDAT. Der Co-Pilot rief etwas auf spanisch über die Lautsprecheranlage, doch Miguel schüttelte nur den Kopf und deutete auf den Fluss vor ihnen. Daraufhin rang der Offizier sichtlich mit sich, bevor der Hubschrauber wieder Höhe gewann und zurück zum Dschungel flog.

„Was wollte er?“, fragte ich.

„Na, was wollte er wohl? Euch wollte er. Aber ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass wir auf der paraguayanischen Seite sind und er hier nichts zu suchen hat.“ Miguel lachte laut. „Pack die Stinger wieder ein, Santos. Wir brauchen sie noch nicht.“

Der Maschinist lugte aus dem Aufbau hervor und deaktivierte die Schulterwaffe wieder. „Gut. Diese Dinger sind teuer.“

„Nicht immer“, sagte Miguel ernst, „halten sich die Argentinier an Grenzen. Dann ist es gut, eine Rückversicherung zu haben. Vor allem jetzt, wo sie ahnen, wo ihre Beute ist…“

Ich nickte schwer.
 

Neben uns wurde ein Krokodil durch die Luft geschleudert, erreichte eine Höhe von beachtlichen sieben Metern und schlug hart wieder auf das Wasser auf.

„Machen eure Krokos so was öfter?“, fragte ich erstaunt.

„Es sind Alligatoren. Und nein, bisher konnten sie noch nicht fliegen.“ Miguel war nicht weniger überrascht als ich.

„Such dir ein anderes Frühstück!“, hörte ich eine bekannte Stimme fluchen. Ich trat an die Reling und lachte befreit auf. Dann langte ich ins Wasser hinab und half Kitsune dabei, an Deck zu kommen.

„Danke“, sagte sie und schüttelte sich wie ein nasser Hund.

„Und ich dachte schon, ihr habt mich nicht gesehen“, rief ich erleichtert.

„Haben wir auch erst nicht. Als der zweite Hubschrauber aber dann zu euch geflogen ist, anstatt uns zu verfolgen… Ist was, guter Mann?“

Miguel starrte die Dämonin aus weit aufgerissenen Augen an und bekreuzigte sich. „Heilige Madonna, ein Naturgeist.“

„Das kannst du sehen?“, rief Megumi erstaunt.

„Sehen nicht, aber fühlen. Und ein fliegender Alligator ist auch ein guter Hinweis“, erwiderte der Kapitän. „Eure Freundin?“

„Kann man so sagen“, erwiderte ich. Kurz darauf steckte ich in einer der dicksten Umarmungen der letzten zwei Jahre.

Kitsune hielt mich umklammert und schluchzte leise. „Akira, ich habe dich so vermisst. Wir alle haben dich vermisst. Vor allem Akari. Und Kei. Und Yoshi. Und der alte Brummbär von Okame auch! Wie konntest du so lange weg bleiben?“

„Aber, aber“, sagte ich und streichelte der Fuchsdämonin über die roten Haare.

„Nichts aber, aber. Wehe, du machst das noch mal mit uns. Sag doch auch mal was, Megumi.“

Die Angesprochene lächelte schief. „Von mir hat er sein Fett schon weg, Kitsune-chan.“

„So?“ Misstrauisch beäugte die Fuchsgöttin die Freundin. „Ach, du bist doch immer viel zu sanft mit ihm.“

„Du etwa nicht?“, erwiderte Megumi lächelnd.

Kitsune ließ mich los, stürzte zu Boden und stützte sich schwer auf den Händen ab. „Du hast mich ertappt! Ich bin viel zu weich gegenüber Akira!“

„Na, na. Nun sei mal nicht gleich so depressiv“, sagte ich und tätschelte ihren Kopf. „Ich beschwere mich jedenfalls nicht.“

„Das wäre ja auch noch schöner“, rief die Fuchsdämonin und bekam wieder Oberwasser. Sie fixierte den Kapitän. „Yoshi hat uns einen Treffpunkt mitgegeben. Fünf Kilometer stromauf liegt ein Anlegeplatz. Dort will er uns abholen.“

„Schlechte Idee, schlechte Idee. Dafür müssen wir wieder auf die argentinische Seite. Und die Hubschrauber belauern uns dort sicher.“

„Das“, sagte Kitsune mit einem breiten Grinsen, „lass mal Yoshis Sorge sein.“

**

„Junge, Junge, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich hätte es nicht geglaubt“, murmelte der Fremdenlegionär und beobachtete Akari, wie sie die Soldaten in Bereitschaftsstellungen scheuchte. Mechas waren keine zu sehen, aber irgendwie konnte der Lieutenant nicht dran glauben, dass das resolute Mädchen ausgerechnet die Riesengefährte vergessen hatte.

Der Jeep hielt quietschend neben der ehemaligen Oni und Yoshi sprang heraus. „Ich weiß, ihr hattet nur zwanzig Minuten Zeit. Aber hast du alles hin gekriegt?“

Akari nickte knapp. „Wir haben uns halbkreisförmig ausgebreitet. Stinger wurden ausgegeben. Hier, hier und hier habe ich die Hawks positioniert. Sobald die erste Attacke abgeschlagen ist, werden die Argentinier Jagdbomber einsetzen. Die Hawks werden die Raketen abfangen, bevor sie uns gefährlich werden können. Der Eagle deckt derweil Akiras Rückzugsweg ins Basis-Camp. Von mir aus kann es losgehen.“

„Gut zu hören, Akari-chan.“ Yoshi inspizierte die provisorischen Stellungen und grunzte zufrieden. „Damit sollten wir sowohl den Hubschraubern als auch den Bodentruppen standhalten können. Jetzt müssen wir nur noch auf Akira und Megumi warten.“

„Und die Argentinier mit dieser Aktion herlocken“, klagte Akari. „Aber da ich keine bessere Idee habe, machen wir es so.“ Sie wandte sich um und ging zu einem Unterstand, der eilig errichtet worden war und nun einem Sparrow als Deckung diente.
 

„Junge, Junge, das kleine Mädchen hat Sie aber ganz schön im Griff“, triezte der Fremdenlegionär.

„Würden Sie mir glauben, dass sie ein wiedergeborener Oni, ein Slayer und vierhundert Jahre alt ist?“

Entsetzt sah Navarre den Captain an. „Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“

Yoshi grinste kalt. „Doch, das ist es. Und deshalb darf sie mich im Griff haben, soviel sie will. Und wenn ich Sie wäre, würde ich mich nur sehr ungern mit ihr anlegen.“

Yoshi klopfte dem Mann auf die Schulter und ging ebenfalls zum Sparrow.

Zurück blieb ein Offizier der Fremdenlegion, der einige herzhafte Flüche in seiner kroatischen Landessprache zum Besten gab. Dann zuckte er die Achseln und folgte den Japanern. „Was wundere ich mich überhaupt? Die waren schließlich alle auf dem Mars.“

Irgendwie war Navarre neidisch auf sie.

**

„Soweit, so gut“, sagte Mamoru leise. Er saß mit Gina in einem Straßencafé und beobachtete unauffällig den toten Briefkasten, ein Buschwerk hinter einem Briefkasten. Gestern Nacht hatte er mit Hilfe von Gina und ihrem atemberaubenden Sommerkleid die Botschaft dort platziert. Heute Morgen, als er kontrolliert hatte, war sie fort gewesen. Er wusste, es war vollkommen unprofessionell, nun den toten Briefkasten zu überwachen. Aber er musste Gewissheit haben, wer ihm auf die Nachricht antworten würde.

Gina akzeptierte das und schwatzte munter drauf los, ohne etwas darauf zu geben, dass Mamoru nur nickte, ab und zu zustimmend brummte und ihr überhaupt nicht zuhörte.

Doch ein Wort ließ den Offizier der UEMF aufhorchen. „AURORA?“, fragte er.

Gina lächelte verlegen. „Ja, die AURORA. Ich weiß nicht, wie gefährlich die Reise wird, aber ich würde sie gerne mit machen. Ich habe gehört, es gibt eine richtige Stadt in ihr mit Geschäften, Lokalen, Parks und Bürohäusern. Ich habe mir überlegt, ob ich dort nicht eine Filiale des Familiengeschäfts eröffnen sollte. Ich meine, mein Cousin Andrea wird als Ingenieur an Bord sein, und als Angehörige werde ich vielleicht bevorzugt.

Warst du schon in der AURORA?“

Mamoru schüttelte den Kopf. „Ich nicht. Aber ich habe die Pläne gesehen.“ Er rieb sich die Nasenwurzel. „Ich werde sie mir wohl auch nicht ansehen oder mitfliegen. Meine Ex ist an Bord.“

„Deine Ex? Und deshalb willst du nicht an Bord? Willst du das große Abenteuer mit Otomo und den anderen nicht erleben?“, fragte Gina verwundert.

„Das ist es nicht. Ich… Sie… Sie hat sich für die Universität an Bord der AURORA eingeschrieben, ohne mir etwas zu sagen. Und als sie ihre Bestätigung hatte, da hat sie mir knallhart gesagt, was sie tun wird.“

„Hat sie dich nicht gefragt, ob du mitkommen willst? Das wundert mich jetzt aber.“

„Nein, sie hat mich nicht gefragt. Wahrscheinlich hat sie es stumm voraus gesetzt. Vielleicht wollte sie mich auf diese Weise auch nur loswerden. Ich weiß es nicht.“ Mamoru sah wütend zu Boden.

„Warum hast du sie nicht gefragt? Ihr Männer seid aber ein merkwürdiges Volk.“

„Sie fragen, und von ihr ins Gesicht gesagt bekommen, dass sie mich loswerden will? Nein, das ist nichts für mich.“

Gina schmunzelte. „Oder gesagt zu kriegen, dass sie dich mitnehmen will. Das wäre die andere Möglichkeit gewesen.“

„Du verstehst das nicht. Sie… Sie liebt Akira und… Ich stehe auf Megumi und unsere ganze Beziehung war nur ein Notanker und mir war klar, dass wir irgendwann wieder getrennte Wege gehen würden. Ich meine, ich hatte gehofft, dass… Aber mit ihrer Entscheidung, an die AURORA Universität zu gehen, da hat sie… Da hat sie…“

„Da hat sie nichts weiter getan als sich für die AURORA Uni zu entscheiden“, tadelte Gina. „Und du hattest nichts besseres zu tun als das als Schlussstrich unter eurer Beziehung zu verstehen? Megumi hin, Akira her, so wie deine Augen gerade schimmern muß dir die Trennung sehr schwer fallen. Oder?“

Mamoru sah auf. „Ich… Ja, ich gebe es zu. Aber das ist nur meine Sicht, und ich will ihr wirklich nicht… Ich meine…“

Gina nickte bestätigend. „Ja, so was habe ich mir schon gedacht. Ich will jetzt auch gar nicht lange breit treten, dass sich deine Exfreundin nichts sehnlicher wünscht, als das du in ihr Leben zurückkehrst. Ich will dich nur eine Sache fragen: Ist es nicht unglaublich schade, dass es so enden muß? Geht das nicht mit… Etwas Würde und Verständnis?“

„Das waren aber zwei Fragen“, beschwerte sich Mamoru und kämpfte mit dem dicken Kloß in seinem Hals. Die junge Frau hatte, wie Sniper immer so gerne sagte, den Nagel auf den Kopf getroffen.

Gina klatschte in die Hände. „Weißt du was? Ich werde mich für AURORA bewerben und ein italienisches Restaurant aufmachen. Und du kommst auch mit an Bord und sprichst dich mit deiner Freundin aus. Und wenn alles den Bach runter geht und Ihr wirklich nicht mehr zusammen könnt, weil dein Dickschädel ausnahmsweise Recht hatte, dann stelle ich dich als Koch an. Na, wie klingt das?“

Mamoru verbarg sein Gesicht unter beiden Händen.

„Was? Ist die Idee so schlecht?“, schmollte Gina.

Da begann Mamoru leise zu lachen, wurde immer lauter. Als die ersten Tränen auf den Tisch fielen, konnte er nicht mehr an sich halten und lachte sich die Ängste und Befürchtungen der letzten Monate von der Seele.

Er lächelte Gina an, während er sich die letzten Tränen aus den Augenwinkeln wischte. „Also gut, abgemacht. Aber muß sie mich abblitzen lassen, damit du mich als Koch einstellst?“

„Natürlich nicht“, erwiderte sie. „Aber den Mitleidsbonus im Gehalt kannst du dann natürlich vergessen.“

Er schmunzelte. „Wäre ja auch zuviel verlangt, was?“
 

„Mamoru“, hauchte Gina.

„Ja?“

„Mamoru, da hat jemand einen roten Zettel in den Busch gehängt.“

Sofort war der Geheimdienstoffizier in ihm erwacht. „Hast du erkannt, wer?“

„Nein, da waren vorhin so viele Menschen, ich bin mir nicht sicher. Ist das ein schlimmes Zeichen?“

„Ein sehr schlimmes Zeichen. Es bedeutet, dass der tote Briefkasten geschlossen ist. Er wird überwacht oder der gegnerische Geheimdienst kontrolliert ihn. Trink aus, wir müssen hier schnell weg.“

Gina warf ihrem Eistee einen bedauernden Blick zu. „Schon fertig. Wo wollen wir hin?“

„Nicht so hastig. Falls uns jemand beobachtet, soll er keinen Verdacht schöpfen. Steh ganz natürlich auf“, sagte er leise.

Er selbst erhob sich, legte Geld auf den Tisch. „Gehen wir erst mal durch einen Park oder so. Ein verliebtes Pärchen wird dort nicht weiter auffallen und eventuelle Verfolger sollten bald das Interesse verlieren.“ Mamoru fluchte leise. „Ich hätte mir doch die Haare färben sollen.“

Gina hakte sich bei ihm ein. „Da bin ich aber dagegen. Schwarz steht dir einfach am besten.“

„Na, wenn du das sagst.“ So lange sie nur in Bezug auf die Haarfarbe Recht hatte…
 

4.

„Scheiße, das sieht schlecht aus! Jaques, Andreas, Rückzug!“

„Geht nicht, Shawn! Die UEMFler bedrängen uns zu sehr! Außerdem meldet die KOWLOON gegnerische Fregatten auf Abfangkurs!“

„Verdammt!“

Daisuke lauschte dem Funkverkehr seiner Gegner mit Interesse. „Ihr solltet besser aufgeben, Shawn, bevor noch einer drauf geht bei der Geschichte“, sagte er leise.

„Mist, die sind in unserem Funkkreis! Shawn, was machen wir? Gerade hat es Mike erwischt.“

Ein leises Lachen antwortete ihm, ein leises Lachen, das immer lauter wurde und in einem zornigen Schrei endete.

„Jetzt habt Ihr es geschafft, Ihr verdammten UEMFler! Jetzt bin ich sauer!“

Daisuke identifizierte den Mecha des Anführers als Daishi Beta, keine zwanzig Meter von ihm entfernt, eine großkalibrige Preacher-Waffe in der Hand.

„KOWLOON, auf mein Kommando beginnt ihr mit dem Bombardement von Armstrong. Was hältst du davon, UEMF-Commander? Zieh die Fregatten zurück und lass uns ziehen, dann darfst du deine schöne Stadt behalten!“

„Keine gute Idee“, erwiderte Daisuke. „Schieß lieber auf die Stadt. Das bringt uns eine bessere Propaganda und einen guten Zulauf. Nein, warte.“ Er drehte seinen Mecha in Richtung Wohnanlagen. „Orbitalbombardement ist so ungenau. Besser, ich nehme die Ziele, die uns die meisten Toten bringen, selbst unter Beschuss. Je größer der Aufschrei in der Öffentlichkeit, desto besser für unsere Pressearbeit. Unser Budget wird in die Höhe schnellen.“

„Was? Aber… Aber Ihr seid doch hier und könnt es nicht verhindern und…“

„Quatsch. Offiziell sind wir noch immer in Aldrin. Keiner weiß, dass hier eine Kompanie Hawks steht. Und es wird auch nie einer erfahren.

Hm, was nehmen wir zuerst unter Beschuss? Die Schule, würde ich sagen. Explosive Dekompression ist ein schnellerer Tod als langsames Ersticken. Das zumindest sind wir den Kindern schuldig.“

„Du…“, hauchte Winslow. „Du willst das wirklich tun?“

„Natürlich. Ich warte nur noch darauf, dass deine November mit dem Bombardement beginnt.“

Ein wütender Aufschrei antwortete Daisuke. Der Beta sprintete vor und warf sich gegen seinen Hawk. Daisuke spürte den harten Aufprall, wurde zu Boden geschleudert. „Das kannst du doch nicht machen! Das sind Menschen! Menschen!“

„Natürlich kann ich das nicht machen“, erwiderte Daisuke trocken. „Und du kannst es auch nicht.“

Stille antwortete dem Anführer des Kottos-Bataillons.

„Also, beenden wir es jetzt und hier, bevor wirklich noch jemand zu Schaden kommt. Bitte. Ihr werdet ordentlich behandelt, das verspreche ich.“

Der Daishi Beta sackte vor seinen Augen in sich zusammen. Für einen Moment fühlte Daisuke tiefes Bedauern, dass es hatte so kommen müssen.

„Es… Es ist vorbei. Deaktiviert die Waffen und die Ortung. Die KOWLOON soll stationären Orbit halten und eine Entermannschaft an Bord lassen.

Du garantierst für unsere gute Behandlung, UEMF-Commander?“

„Mein Name ist Daisuke Honda. Und ja, ich garantiere dafür.“

„Daisuke Honda? So wie du mit der Herkules-Klinge umgehst dachte ich, du wärst Akira Otomo.“

„Na, danke für die Blumen“, schmunzelte Daisuke.

**

Übergangslos pfiffen die Kugeln über das Gelände. Wer noch keine Deckung hatte, warf sich schnell hinter einen Erdwall oder einen Baum. Sofort schossen zwei Hawks aus ihren Verstecken, fanden aber keine Ziele. Vier Kampfhubschrauber, die von Süden angreifen wollten, bemerkten die Mechas und überlegten es sich noch einmal.

„Mist, das ist Infanterie!“, rief Yoshi, als er sich neben Navarre in den Graben warf. „Die kriegen wir mit Mechas nicht aus den Löchern, und wenn wir den ganzen Urwald umpflügen. Napalm gehört leider auch nicht zu unserer Gefechtsdoktrin.“

„Wir können warten bis es dunkel ist. Dann gehen meine Männer raus und erledigen die Argentinier einzeln.“ Um zu unterstreichen was er meinte, zog Navarre die lange Bowie-Klinge ein paar Zentimeter aus ihrer Halterung.

„So viel Zeit haben wir nicht. FEUER ERWIDERN! Akira und Megumi dürften in einigen Minuten auf dem Steg landen. Wenn dann ein Scharfschütze in der Nähe ist, gute Nacht.“

Die Fremdenlegionäre und die UEMF-Infanteristen schossen nun auf breiter Front zurück.

Hinter ihnen begann der Eagle zu feuern. Er schoss zehn Runden ab, bevor er die Arme wieder senkte.

„Was ist denn nun schon wieder los?“, blaffte Yoshi.

„Angreifende Kampfjets, Sir“, meldete der Pilot. „Mein Gunner hat ihnen klar gemacht, dass sie hier nicht willkommen sind.“

„Gut, gut. Haben Sie vielleicht noch eine Patentlösung für die gegnerische Infanterie parat?“
 

Als der gigantische Hawk mitten zwischen den Stellungen der Fremdenlegion herunter kam, verstummten die Schusswechsel für einen Moment.

Die Cockpitluke öffnete sich und Doitsu Ataka kletterte hervor. Er war sichtlich wütend; in der Rechten hielt er sein Katana.

„Wenn hier nicht bald Ruhe herrscht“, blaffte er in Richtung der im Wald versteckten Argentinier, „dann werde ich hier noch so richtig sauer. Und glaubt mir, Ihr wollt mich nicht sauer erleben! Also, entweder verzieht Ihr euch jetzt oder Ihr ergebt euch. Wenn nicht, komme ich euch holen, Mann für Mann!“

„Was macht dieser Wahnsinnige? Warum bietet er sich als Zielscheibe an?“, rief Navarre.

„Genau das tut er. Er bietet sich als Zielscheibe an“, schmunzelte Yoshi.

„Was? Aber… Aber… Hat er Todessehnsucht? Oder soll das die Moral stärken? Ich habe da ein paar verrückte Sachen über euch Japaner gehört…“

„Nein, es geht um etwas anderes. Es geht um das Beeindrucken des Feindes. Hoffentlich schießt bald einer.“

„WAS?“, rief Navarre und wäre beinahe aufgesprungen.
 

„Wird es bald?“, blaffte Doitsu und zog sein Katana blank. Infanterie hob man am besten mit flächendeckendem Bombardement oder mit eigener Infanterie aus. Das wusste er nur zu gut.

Die Kugel, die auf seinen Kopf gezielt gewesen war, erreichte eine Maximalgeschwindigkeit von fast neunhundert Kilometern pro Stunde. Sie wog etwa dreißig Gramm und hatte einen Weichkern-Gefechtskopf. Abgeschossen aus weniger als hundert Metern Entfernung würde sie genügend kinetische Energie entfalten, um Doitsu den Kopf abzureißen.

Nach etwa achtzig Metern trat sie jedoch in die extrem ausgeweitete Aura des Japaners ein und löste damit einen Reflex aus. Die ohnehin schon erhobene Klinge ruckte leicht nach rechts oben. Dabei glomm die Schneide des Katanas mit KI auf, zerteilte die Kugel und ließ die beiden Überreste wie zornige Wespen in verschiedene Richtungen davon springen.

Ein ehrfurchtsvolles Raunen ging durch die Reihen der Fremdenlegionäre.

Yoshi warf Navarre ein Zwinkern zu. „Darauf habe ich gewartet“, sagte er. „Und jetzt geht es erst richtig los.“

Doitsu war nun sichtlich sauer. Er schloss seine Augen, hob die Klinge zu einem Karatake-Schlag und ließ das Katana selbst aufleuchten. Das Leuchten erfasste nun auch seine Arme, seinen Oberkörper, sein Gesicht und endlich seine Augen. Als alles unter einem gespenstischen Schein lag, lief der Hawk-Pilot aus dem Stand los.

Selbst Yoshi hatte Mühe, seine Augen mit den Bewegungen des Freundes mithalten zu lassen. Vereinzelt fielen Schüsse, aber Yoshi bezweifelte, dass sie Doitsu auch nur nahe gekommen waren.

Danach war es einige Zeitlang absolut still. Dann erklang der erste Schmerzensschrei, der sich anhörte, als wäre jemand von hinten in den Allerwertesten getreten worden.

Yoshi sprang auf. „Jetzt sind wir dran. Doitsu bringt die Stellung in Unordnung, und wir wischen auf.“

Navarre erhob sich, als Yoshi bereits auf den nahen Waldrand zulief. Er griff seine Waffe fester und sagte laut zu sich selbst: „Warum wundere ich mich eigentlich überhaupt noch?“
 

Fünf Minuten später war alles vorbei. Siebenundzwanzig Soldaten der Armee waren gefangen genommen worden. Der Rest war entkommen und floh durch den Wald nach Süden.

In diesem Moment legte die LA TRINIDAT am Steg an. Akira Otomo sprang herüber, half das Boot mit einem Seil zu sichern. Danach half er Megumi über die Reling, indem er sie auf die Arme nahm.

„Na endlich“, seufzte Yoshi.

**

Als ich Megumi vom Boot geholfen hatte, bedankte ich mich noch einmal bei Miguel und seinen Leuten. Um was er mich als Gegenleistung gebeten hatte, war beinahe unmöglich. Beinahe.

Mit Megumi an meiner Seite und der Fuchsdämonin in verwandelter Form auf meiner Schulter trat ich zu den anderen.

„Meine Herren“, sagte ich steif. „Wie ist die Lage?“

„Angreifende Infanterie, ein paar Hubschrauber. Dazu Kampfjets knapp außerhalb der Waffenreichweite des Eagles“, meldete Yoshi, der anscheinend das Kommando bei dieser Operation hatte.

„Gab es Probleme?“

„Ja, eines. Doitsu hat sich vorgedrängelt und mir die Schau gestohlen. Hättest ihn mal sehen sollen, wie er sich mit seinem Katana in Szene gesetzt und dann nur mit seiner Waffe Kugeln in der Luft zerschnitten hat. Der Kerl ist ein ganz schöner Angeber geworden.“

Doitsu wurde rot. „D-das ging ja wohl nicht anders. Oder hattest du vielleicht den Hauch einer Idee, wie wir die Infanterie aus ihrer Deckung kriegen sollten?“

Spontan trat ich einen Schritt vor und umarmte die beiden. „Es ist schön, wieder Zuhause zu sein.“

Diese Eröffnung machte sie sprachlos.
 

Als ich sie los ließ, fragte ich: „Wo ist das Basiscamp?“

„Fünf Minuten den Fluss hoch“, sagte Doitsu.

„Gut. Dann lasst uns hier zusammen packen. Wir sind hier vielleicht fertig, aber es wartet noch eine Menge Arbeit.“

„Typisch. Wir machen uns Sorgen um dich, und du tauchst hier quietschfidel zusammen mit Megumi wieder auf und reißt die ganze Szenerie an dich. Woher hat sie überhaupt das weiße Kleid?“

„Das ist eine lange Geschichte“, seufzte ich. „Schatz, kommst du?“

Megumi hatte derweil mit Akari zu kämpfen, die ihr schluchzend um den Hals gefallen war. „Bin ja schon da. Nimmst du sie mal, Akira? Und? Habt Ihr euch Sorgen um mich gemacht?“, fragte sie die Jungs.

Doitsu und Yoshi wechselten einen langen Blick und schüttelten den Kopf. „Nee“, sagten sie im Chor.

„Akira war ja bei dir. Gibt es einen besseren Schutz?“, fügte Yoshi an.

„Onii-chan!“, rief Akari aufgelöst und umklammerte nun mich.

„So, so“, schmunzelte Megumi.

„Dies hier ist übrigens Lieutenant Navarre von der Fremdenlegion. Er und sein Zug haben uns dabei geholfen, euch aufzuspüren“, informierte mich Yoshi.

„Freut mich Sie kennen zu lernen. Sie haben die Jeeps durch den Wald gebracht?“

Wir schüttelten einander die Hände. „Teils, teils, Sir. Wir hatten Hilfe von einem Einheimischen namens José.“

„José?“, rief ich erfreut. „Dann sind er und seine Leute gut raus gekommen?“

„Si, El Magnifico!“, rief der Indianer erfreut und winkte von den Jeeps herüber. „Kommen Sie, Kommen Sie und bringen Sie Ihre hübsche Freundin mit.“

„Abrücken, abrücken!“, rief Navarre. Wir setzten uns in Bewegung. „Das ist also der legendäre Akira Otomo? Das Kommando übernehmen kann er jedenfalls ganz gut.“

**

Als wir im Basis-Camp ankamen, erwartete Doitsu uns schon. Ein Hawk hatte gegenüber Jeeps einen Riesenvorteil.

Wir wurden mit großem Trara begrüßt. Und ehrlich gesagt genoss ich den Trubel. Natürlich hatte ich kurz darauf Yohko am Hals. Ich wäre auch schwer gekränkt gewesen, wenn sie sich nicht Tränen überströmt an meine Brust gedrängt hätte. Immerhin war sie meine kleine Schwester und wir hatten uns anderthalb Jahre nicht gesehen.

„Schon gut, Yohko-chan“, sagte ich und streichelte ihr über den Kopf.

„Onii-chan, dein Auge, wir…“

„Ich wollte es ja heilen“, mischte sich Kitsune ein, „aber er ist ja sooo störrisch.“

„Das hat seinen Grund, Kitsune-chan“, sagte ich und tätschelte ihren Kopf. „Dazu aber später mehr.“
 

„Na, Akira?“, begrüßte mich Jackson. „Schön, dass du wieder in einem Stück zu uns gekommen bist.“

„Fred?“ Erstaunt sah ich den Kollegen von LMR an. „Ach so, du hast es hier mitgekriegt. Und Juri und Tasha sicher auch und…“ Beim Schmunzeln des Technikers verlor ich schnell die Fassung. Die beiden Piloten traten ebenfalls hinzu und grinsten scheinheilig.

„Was? Ihr auch?“ Alle drei nickten. „Ach kommt, Ihr verarscht mich.“

„Wer fällt schon auf gefärbte Haare rein?“, konterte Juri.

„Jetzt sagt mir bloß noch, dass ganz LMR Bescheid weiß“, murrte ich.

„Natürlich weiß ganz LMR Bescheid. Wie hätten wir sonst verhindern können, dass dich einer verpetzt?“, erwiderte Fred ernst. Ein Schmunzeln umspielte seine Züge, als er hinzufügte: „Na ja, einer wusste es bis eben nicht. Hey, Ai-chan!“

Die zierliche Japanerin kam langsam nach vorne. „Takei-sama… Ich meine Otomo-sama, ich…“

„Akira“, erklang Megumis Stimme direkt hinter mir. „Willst du mir vielleicht irgendetwas sagen?“

„Das will ich in der Tat, Schatz. Darf ich vorstellen? Meine Freundin Megumi Uno, das Techniker-Aß Ai Yamagata, außerdem meine beste Freundin in der Firma.“

Megumi lächelte freundlich als die Japanerin sich vor ihr verneigte. „F-freut mich Sie kennen zu lernen, Colonel.“

Vollkommen unjapanisch streckte Megumi die Hand aus und schüttelte die Rechte von Yamagata. „Freut mich auch, Ai-chan. Akiras Freunde sind auch immer meine Freunde.“ Sie legte kurz den Kopf schräg. „Meistens, jedenfalls. So wie in diesem Fall.“

„Den Rest stelle ich ein andermal vor“, drängte ich. „Wer verschafft mir eine Direktverbindung zum OLYMP?“

**

„Nein! Nein, nein, nein, nein und nochmals nein! Akira, hörst du? Nein!“

Ich seufzte schwer. „Vater, ich kriege das auf die Reihe. Das verspreche ich. Am Ende werden alle zufrieden und glücklich sein. Hm, die meisten werden das.“

„Trotzdem. Du riskierst einen internationalen Zwischenfall!“

„Wie schnell können Prime und Lady Death hier sein?“

Eikichi Otomo sah mich missmutig an. „Ich habe beide los geschickt, als die Meldung kam, dass Ihr beide sicher seid. In fünf Minuten sollten sie da sein.“

„Gut. Ich werde sie brauchen, wenn ich Argentinien erobere“, schmunzelte ich.

„Tu, was du nicht lassen kannst. Aber versprich mir eines, mein Sohn.“

„Und das wäre, Vater?“

„Wehe, du singst diese Schmonzette aus dem Musical Evita.“

Ich lachte leise. „Versprochen. Ich singe sie nicht. Wie wäre es dann mit etwas aus Cats?“

„Vergehe dich bitte weder an moderner noch an klassischer Musik. OLYMP aus.“

Ich brummte enttäuscht. „Wäre doch bestimmt gut gekommen. Ich in meinem Mecha über Buenos Aires und dann ein herzhaftes: Don´t cry for me… War nur Spaß.“

**

„Es tut mir Leid, Gina. Es tut mir Leid, dass ich dich da mit rein gezogen habe“, hauchte Mamoru. Er zählte drei Agenten hinter sich, jeweils zwei an den Flanken und nun kamen auch noch zwei von vorne. Damit saßen sie definitiv in der Falle. Es gab kein Entkommen mehr, er hatte keine Waffe.

„Sag so etwas nicht, Mamoru. Es war für eine gute Sache“, hauchte die Italienerin zurück.

„Okay, wenn sie uns erwischen, dann werde ich sagen, dass du meine Geisel bist. Du widersprichst mir nicht. Sie werden mich in irgendeinem Hinterhof erschießen, deshalb ignoriere alles, was sie sagen. Hör einfach nicht hin. So lange du nicht weißt was sie machen, hast du eine Chance das sie dich laufen lassen.“

„Erschießen? Mamoru!“

„Ruhig. Du kennst mich eigentlich gar nicht. Ich habe dich aufgerissen und dann gezwungen, mit mir zu gehen.“

Der Geheimdienstoffizier fluchte leise. Er hätte sich schon von Gina trennen sollen, nachdem der tote Briefkasten entwertet worden war. Das wäre für sie allemal besser gewesen. Er hoffte inständig, dass sie die junge Frau verschonen würden.
 

Als sie das Paar eingekreist hatten, hob Mamoru die Arme, um zu zeigen, dass er aufgab. Sofort griffen zwei Männer zu, drehten seine Arme auf den Rücken und legten ihm Handschellen an. Ein anderer trat vor ihn und schlug ihm hart in den Bauch.

Gina keuchte erschrocken auf. „Was tun Sie da?“

„Hören Sie, lassen Sie das Mädchen gehen. Die habe ich als Tarnung aufgegabelt. Sie hat absolut keine Ahnung, dass ich ein Spion bin.“

Als Antwort traf ihn wieder eine Faust, diesmal mitten ins Gesicht.

Wieder keuchte die Italienerin erschrocken auf. „Hören Sie auf ihn zu schlagen! Er kann sich doch nicht wehren!“, rief sie und versuchte den Schläger fest zu halten.

Zwei Agenten traten vor und hielten sie fest.

„Um dich kümmern wir uns später. Aber jetzt ist der da erst mal dran“, brummte der Schläger und malträtierte Mamorus Kiefer. Danach landete er wieder einen Treffer auf den Bauch. Sein letzter Schlag traf das linke Auge.

„Verdammt, ist der Kerl hart. Die Knochen sind wohl mit Beton ausgegossen, was? Ramirez, machen Sie weiter. Und Sie, junge Dame, haben eine Menge Ärger am Hals. Treiben sich mit einem Mörder und Spion herum! Wenn Ihre Eltern das erfahren, was werden die sagen, hä?“

Erde spritzte auf und traf den Agenten. „Was zum…?“

**

„Sie werden sagen, dass sie ein braves Mädchen mit dem Herz am rechten Fleck ist“, rief ich über Lautsprecher. Beinahe hatte ich befürchtet zu spät zu kommen, aber ein UEMF-Agent mit Funkgerät und Richtmikrofon hatte mich nicht nur eingewiesen, sondern auch das Gespräch übertragen. Wenn man diese halbe Exekution so nennen konnte.

Mamoru hob den Kopf und lächelte zu mir hoch. Sein linkes Auge begann zu zuschwellen. „Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen, Akira.“

„Hey, tut mir Leid, ich hatte einen kleinen Disput mit der argentinischen Luftwaffe. Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich die Jets abgeschossen hätte? Immerhin lebst du noch, oder?“

Ich ließ Prime Lightning einen Schritt vortreten und noch mehr Erde aufwerfen. „Und ich würde gerne sicher gehen, dass das auch so bleibt. Wenn Sie also meinen Offizier freilassen

würden?“ Ich hob den linken Arm mit dem Herkules-Schwert. „SOFORT!“

Ein paar Sekunden später waren die Agenten stiften gegangen.

„Ein paar Agenten kommen bald und übernehmen euch. Ich kümmere mich inzwischen darum, dass diese Scharade aufhört.“

„Akira!“, rief Mamoru. „Übertreibe es aber nicht, ja?“

Er sah zu mir hoch und runzelte die Stirn. „Andererseits… Übertreibe es mal so richtig. Die haben es nicht besser verdient.“

„Geht klar, Kumpel!“, rief ich und startete durch.

**

Als ich vor dem Regierungssitz landete, neben mir Lady Death und sechs weitere Mechas, musste selbst dem Militär das Herz in die Hose rutschen. In den letzten Stunden hatte sie mehr als einmal erlebt, was ein moderner Hawk mit einem Kampfjet machen konnte. Und gegen diese Monster sollten sie nur mit Faustwaffen antreten? Oder schwächlichen Panzern?
 

Es wäre ein leichtes gewesen, die ganze Bande zu zermalmen. Aber das war nicht der Plan.

Ich öffnete das Cockpit und kletterte hervor. Unverkennbar für jedermann trug ich meinen typischen blauen Druckanzug und den Helm mit den blauen Blitzen, die mich – abgesehen von Rangabzeichen und Namensschild – als Colonel Akira Blue Lightning Otomo identifizierten.

Als ich den Helm abnahm, eilte mir schon ein Offizier in weißer Ausgehuniform entgegen.

„Mein Name ist Akira Otomo“, sagte ich ernst. „Bitte bringen Sie mich zu Ihrem Präsidenten.“

„Natürlich, Colonel. Natürlich. Bitte, folgen Sie mir. Sie werden erwartet.“

„Ist es klug, da alleine rein zu gehen?“, rief Megumi über Lautsprecher.

„Sollte es nicht klug sein, kommt nach. In euren Mechas“, erwiderte ich und verursachte damit einen Blutsturz im Gesicht des Offiziers, der mich eskortierte.
 

Als ich Minuten später in dem abgedunkelten Raum stand, erkannte ich kaum einen Schattenumriss. Aber ich spürte die Präsenz von Männern und Frauen mit Macht.

„Was können wir für Sie tun, Colonel Otomo?“, erklang die Stimme von Juan Alvarez, dem derzeitigen Präsidenten. „Ich nehme an, Sie sind nicht gekommen, um uns den Krieg zu erklären, oder?“

Ich grinste schwach. „Nein, im Gegenteil. Ich bin hier, um mich zu bedanken. Die United Earth Mecha Force hat Sie darum gebeten, nach mir suchen zu dürfen. Sie haben dies genehmigt. Und was soll ich sagen, hier bin ich. Unbeschadet und zufrieden.“

„Dann sind ja alle Beteiligten glücklich“, hörte ich den Präsidenten sagen.

„Das stimmt. Aber sie könnten glücklicher sein. Ich meine“, begann ich und fixierte die Augen des Mannes in der Dunkelheit, „ich stehe nicht hier um zu fragen, wie Ihre Beziehung zu den Marodeuren in der Vergangenheit war. Ich frage auch nicht danach, wieso ein Daishi mein Shuttle abgeschossen hat. Oder warum Jagdflieger versucht haben, mir ein Lagerfeuer aus Napalmbomben zu machen. Und ich frage auch nicht danach, warum man mir meine eigene Freundin auf den Hals gehetzt hat. Geschweige denn einen meiner Kameraden in einer Ihrer Kasernen liquidieren wollte.“

„Ist ja gut, wir haben verstanden, Colonel. Gibt es denn einen Weg, Sie… Ah, noch zufriedener zu machen?“, fragte der Präsident.

„Nun, die argentinische Staatsbürgerschaft wäre nicht schlecht. Ich meine, wenn Sie sich zu den Marodeuren bekennen und sie an die UEMF überstellen, geht das schlecht solange sie staatenlos sind, oder? Das käme doch allen Beteiligten zugute. Argentinien hätte dann endlich seine Präsenz in der Weltverteidigung. Dazu noch sehr erfahrene Offiziere und Kapitäne, die in letzter Zeit einen beträchtlichen Ruf erworben haben.“

„Das ist machbar.“

„Hören Sie sich erst mal den Rest an. Wissen Sie, als ich in diesem Shuttle saß und die Raketen anflogen, da dachte ich: Welcher Arsch lässt hier auf dich schießen? Dem würde ich zu gerne mal nachts begegnen. Oder zumindest dafür sorgen, dass er so einen Scheiß nie wieder veranstalten kann.“

„Ebenfalls machbar.“

„Aber Herr Präsident!“

„Sicherheit, entfernen Sie General Basicá, ich meine, Senior Basicá aus diesem Raum. Er steht bis auf weiteres unter Arrest.“

„Herr Präsident! Herr Präsident!“

Zufrieden sah ich dabei zu, wie ein Mann von zwei Geheimdienstmännern aus dem Raum geschleift wurde.

„Haben Sie noch etwas auf dem Herzen, Colonel?“

„In der Tat. Ich freue mich, Ihnen verkünden zu können, dass Major Hatake wegen der kleinen Hetzjagd nicht auf Wiedergutmachung besteht. Aber er erwartet natürlich, dass Sie seinen guten Ruf wiederherstellen. Ist das machbar?“

„Natürlich.“

„Und zu guter Letzt bittet die UEMF darum – ich meine jetzt, wo Argentinien mit eigenen Schiffen vertreten ist und so viel zur gemeinsamen Verteidigung beiträgt – um ein Trainingsgelände im Urwald am südlichen Ufer des Rio Paraguay. Ich meine ein Gebiet, das wir selbst verwalten. Ihre Leute können dort gerne Ackerbau betreiben, schürfen, Medizin suchen, was auch immer. Solange die UEMF das letzte Wort und als einzige Waffengewalt in der Region hat.“

„Ich bin sicher, wir finden auch in diesem Zusammenhang eine Lösung. Bitte lassen Sie uns eine Arbeitsgruppe bilden, die an dem Umfang der Trainingsregion arbeitet.“

Ich nickte. „Danke, Herr Präsident. Darf ich Ihnen noch einmal meinen persönlichen Dank für meine Rettung aussprechen? Auch die UEMF bedankt sich für die vorbildliche Hilfeleistung Argentiniens und hofft auf eine beständige und wertvolle Partnerschaft.“

„Argentinien bedankt sich für diese Chance und das Vertrauen, Colonel Otomo.“

Der Präsident erhob sich, kam auf mich zu und bot mir die Hand an.

„Ich habe gehört, Sie werden demnächst auf eine Zweijahresmission mit der AURORA gehen. Die Erde wird eine ganze Ecke ruhiger und uninteressanter werden, wenn Sie nicht da sind.“

Ich schüttelte die Hand und grinste schief. „Ab und an sind ruhige Zeiten nicht verkehrt, Herr Präsident.“
 

5.

„Akira? Wo bleibst du?“, rief Akari.

„Ich komme ja schon“, erwiderte ich und versuchte einen Stapel Romane und Mangas sicher zu balancieren.

„Wir haben doch Direktverbindung zur Erde und Faksimilerechte an fünfzigtausend Druckerzeugnissen“, tadelte mich Megumi, bevor sie mich küsste. „Ist soviel Lesestoff wirklich nötig?“

Ich besah mir die zwanzig Kartons, die nur mit Mangas und Romanen gefüllt waren und in die nun auch mein Stapel landete. „Du wirst mir noch dankbar sein, dass ich meine Sammlung mitnehme.“

„Und vergisst fast dein Schwert“, lachte Doitsu und hielt mir mein Katana hin.

„Danke, Alter.“ Ich steckte die Klinge zwischen Hose und Gürtel.

„Also?“, fragte ich. „Seid Ihr alle bereit?“

„Ich nicht“, beschwerte sich Kei wütend. „Ich bin immer noch sauer, weil Ihr alle euren Spaß hattet und mich nicht mitgenommen habt.“

„Nun meckere mal nicht. Du warst immerhin im All und hast dein neues Schiff übernommen. Verdammt“, fluchte Yoshi, „keine zwanzig, aber schon Kapitän eines eigenen Schlachtkreuzers. Welchen Kahn hast du gekriegt? Die BISMARCK? Die PRINZ EUGEN?“

Kei Takahara grinste schief. „Lasst euch überraschen.“
 

Ich wandte mich noch einmal um. Dieses Haus. Es war so lange unser aller Zuhause gewesen. „Ich werde dieses Haus vermissen“, hauchte ich.

„Willst du es vielleicht mitnehmen?“, fragte Megumi. „Ich kann das arrangieren.“

Ich zog sie zu mir heran. „Das muß nicht sein. Ich bin überall da Zuhause wo meine Freunde auch sind.“

Kurz spürte ich einen stechenden Schmerz in der linken Schulter. Kitsune hatte mich als Fuchs angesprungen und ihre spitzen Zähne in meinem Fleisch vergraben. „Daff hätte dier fffor anderfffalff Jahffen einfallen follen“, murrte sie.

„Au, Kitsune-chan, deine Zähne sind spitz. Lass das.“

Eine Faust landete auf ihrem Kopf. Erschrocken verwandelte sie sich wieder in einen Menschen.

„Okame-kun!“, rief ich erfreut.

Kitsune ließ derweil meine Schulter wieder los. „Bäh. Akira, du schmeckst überhaupt nicht. Ah, alter Griesgram. Willst du etwa mit?“

„Natürlich. Ihr könnt ja nicht auf Akira-tono aufpassen“, brummte der alte Wolf.

Als ihn ein Dutzend böser Blicke trafen, fragte er unschuldig: „Was?“

Ich lachte laut.

„Da kommt unser Taxi.“ Langsam senkte sich ein Großraumshuttle auf unsere Position herab. Es würde uns und unser Gepäck aufnehmen und uns zur AURORA schaffen – mitten hinein ins nächste Abenteuer!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2008-02-25T18:04:05+00:00 25.02.2008 19:04
Hab gerade die ersten drei Kapitel gelesen, sind auch wieder echt super geworden. Besonders halt die Gefühle von Akira. Säure, autsch...
Nur etwas kleines, tschuldigung, ich kanns einfach nicht lassen:
Kapitel 3, Abschnitt 3:
... den Nagel auf den Kopf getroffen.
Nicht auf dem Kopf, ist hier Akkusativ.

Die Story ist aber echt toll, hab mich vor Lachen gekugelt. *rumkugel*
Freue mich schon aufs weiterlesen^^


Von:  Carnidia
2007-10-01T14:24:10+00:00 01.10.2007 16:24
Schönes Kapi ^.^
Aber bei so viel Lob, darf ich sicher durch Kritik negativ auffallen, ohne dass es mir den Kopf kostet oder? Ö.Ö
Ich find, dass es zu leicht ging, das alles. Ich weiß, es ist nur ein Nebenkapitel, aber grad wo Akira einfach in die fremde Regierung spaziert ... das fand ich etwas übertrieben ^.^°
Aber ich freu mich aufs nächste Kapitel, endlich gehts los =^.^=
Man liest sich ^.^/
Von: abgemeldet
2007-02-15T17:04:32+00:00 15.02.2007 18:04
Klasse. Hätt mich teilweise echt bepissen können vor lachen! ^____^ Wie immer super! lese in den nächsten tagen weiter. ^^
Von:  CaptainHarlock
2005-03-21T23:27:52+00:00 22.03.2005 00:27
Und wieder ist es ein Chapter mehr, und ich bin einfach nur begeistert wie immer^^

see ya, Harlock


Zurück