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Anime Evolution: Erweitert

Zweite Staffel
von

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Episode zwei

1.

„Wie sehen Ihre Ergebnisse aus, Kommandante Winslow?“, fragte der General knapp.

Shawn Winslow, ein hoch gewachsener Mann mit rasierten Schläfen und schwarzem Stoppelschnitt, warf dem argentinischen Offizier einen ernsten Blick zu. „Wir haben neunzehn Tonnen Helium3, zweihundert Tonnen Eisenerz und eine Tonne Gold erbeutet.“

General Basicá dachte darüber einen Moment lang nach. „Gut. Wir kaufen diese Waren zum üblichen Preis. Wie aber sieht es mit den anderen Projekten aus?“

Winslow dachte nicht daran, hier und heute zurück zu stecken. Oder dies jemals zu tun. „Es gab Schwierigkeiten. Ihre Leute im Tower haben gute Arbeit geleistet, als sie den Abflug des LMR-Kuriers verzögerten. Leider stellte er sich als John Takei heraus, ein junger Mecha-Krieger, der sehr schnell von sich reden gemacht hat.“

„Sie haben ihn doch sicherlich mit Ihrer vollen Kompanie angegriffen, Kommandante Winslow?“

„Es… erschien mir nicht notwendig, mehr einzusetzen als neun meiner Daishis. Das hat sich als Fehlkalkulation erwiesen, vor allem nachdem die in Aldrin stationierten Hekatoncheiren Takei mit einer Kompanie zu Hilfe kamen. Zu dieser Zeit hatten wir aber schon vier Verluste.

Sie sehen, dieser Takei ist ein guter Pilot und trifft die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit.“

Der General erhob sich und begann um den Konferenztisch herum zu wandern.

„Kommandante. Wie Sie wissen, begibt sich mein Land in eine sehr exponierte Stellung, wenn es Sie und Ihr fünf Schiffe unterstützt. Der UEMF-Geheimdienst schnüffelt bereits im vollen Rahmen seiner Möglichkeiten in unseren Militärbasen. Natürlich finden sie nichts, aber ich würde diesen unwürdigen Zustand gerne beendet sehen.“

Der General deutete auf eine große Weltkarte. Die in die UEMF integrierten Länder waren blau markiert, die anderen grün. Winslow fiel auf, dass über vierzig Länder grün waren, vor allem ehemalige Drittweltländer. Aber auch relativ reiche Staaten wie Argentinien und Zaire waren dabei. „Sehen Sie sich das an. Sehen Sie sich das sehr genau an. Wir stehen auf einem relativ verlorenen Posten. Diese Länder, die in der United Earth Mecha Force organisiert sind, erobern gerade den Weltraum. Sie plündern die Bodenschätze des Mondes und des Mars. Und erste Erkundungsflüge sind sogar schon zu Jupiter, Saturn und Uranus unterwegs, um neue Rohstoffe, neue Energiequellen zu finden.

Wir finden, es ist nicht akzeptabel, dass wir derart ausgeschlossen werden. Es kann nicht sein, dass wir für eine eigene Eroberung des Weltalls nach der Pfeife der UEMF tanzen müssen.“
 

Der General setzte sich wieder. „Argentinien strebt eine eigene Rolle im Weltall an. Argentinien beansprucht die Führungsrolle in der Anti-UEMF-Koalition und kann diesen untermauern, wenn es eigene Firmen auf dem Mond hätte. Mein Land wäre es, das diese zurückgelassenen, benachteiligten Länder ins All hinaus führt und endlich das Monopol der UEMF bricht. Doch damit das gelingt, müssen wir in der Lage sein, uns militärisch zu widersetzen. Wir brauchen Mechas, je mehr desto besser. Wir brauchen ausgebildete Piloten. Und wir brauchen unsere eigene Raumflotte.

Kommandante Winslow, versetzen Sie uns in die Lage, die modernsten Mechas der UEMF nachzubauen und eine Streitmacht aufzustellen, welche die UEMF nicht einfach beiseite tun kann. Wenn unsere Vernichtung ihre eigene Vernichtung bedeutet, ist mein Ziel erreicht, und niemand wird Argentinien und seine Verbündeten dann noch daran hindern, ins Weltall vorzustoßen.“

Winslow enthielt sich einer Antwort und versuchte mit keinem Muskel zu zucken. Der General meinte es ernst, todernst.

„Wir unterstützen Ihre Flotte. Wir geben Ihnen einen sicheren Hafen. Wir versorgen Sie mit Vorräten und Munition. Und wir kaufen auf, was immer Sie uns bringen zu einem, wie ich finde, sehr fairen Preis. Sie erhalten die Gelegenheit zur Rache und mein Volk die Chance, an der Eroberung des Weltraums teil zu nehmen, ohne von der UEMF gegängelt zu werden.“
 

Der General schlug die Akte auf, die vor ihm lag. „Sie hatten vorgehabt, einen experimentellen Antrieb namens Booster zu erobern, als Sie auf Takei trafen. Dieser Booster soll Geschwindigkeit und Reichweite eines Mechas erhöhen. Genau das Richtige für Langstreckenmissionen. Ihn und seine Pläne zu erobern ist ein Ziel, das wir dringend erreichen müssen.“

„Das sehe ich auch so. Wenn wir die UEMF dazu zwingen können, wieder bei null anzufangen, während wir den Booster bereits in Serie produzieren, haben wir einen Riesenvorsprung vor ihnen.“

„Ich sehe, wir verstehen uns“, brummte der General.

„Da gibt es nur ein Problem. John Takei. Er ist ohne Zweifel einer der besten Mecha-Piloten der UEMF. Solange er Luna Mecha Research beschützt, hat nur ein Kommandounternehmen mit Infanterie Aussicht auf Erfolg“, gab Winslow zu bedenken.

„Hm. Haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, dass dieser Takei womöglich der untergetauchte Akira Otomo ist?“, warf der General ein.

„Natürlich. Wer würde das nicht, wenn Otomo so plötzlich verschwindet wie Takei auftaucht? Einfacher kann man eins und eins nicht zusammen zählen. Vor allem, da die Erfahrung von Takei so groß ist, dass er am Mars-Feldzug teilgenommen haben muß.“

„Und? Was ist das Ergebnis der Analysen?“

„Nun, wie Sie wissen, entwickelt jeder Mecha-Pilot eine Art Verhaltensmuster. Einen Bewegungsablauf, der so individuell wie die Haarfarbe ist.

Takei und Otomo haben einen sehr ähnlichen Stil, was den Verdacht nahe liegt, dass Otomo diesen Mann direkt ausgebildet haben muß. Aber sie sind nicht identisch. Otomo schaltet seine Gegner aus, tötet sie. Er ist ein Teufel im Kampf und zeigt keine Gnade, solange ihm etwas gefährlich werden kann.

Aber Takei… Takei ist weich. Er vernichtet einen Mecha nach dem anderen. Aber er tötet nicht. Dennoch darf man ihn nicht unterschätzen.“

„So? Ist das so?“, fragte Basicá ernst. „Nun. Dann werde ich mich um diesen Takei kümmern. Das wäre alles für heute. Die Bezahlung erfolgt wie üblich. Guten Tag, Kommandante Winslow.“

Shawn nickte, salutierte knapp und verließ das Büro im Regierungspalast von Buenos Aires wieder.
 

Draußen erwartete ihn Ryan, sein Zweiter Offizier. „Und? Wie ist es gelaufen?“

„Besser als erwartet, Ollie. Wir kommen bald in die Lage, uns diesen Booster zu holen. Basicá will sich um das lästige Problem mit Takei kümmern.“

„Kümmern?“ Der Offizier zog die Stirn kraus. „Du meinst, sie erschießen ihn oder so was?“

„Und wenn schon! Das kann uns doch egal sein, oder? Ein UEMF-Scheißer weniger, der uns Sorgen macht. Unser Weg ist noch lang. Wir sollten dankbar sein für jeden, der uns nicht mehr aufhalten kann.“

Ryan nickte. „Im Prinzip schon, aber… Schon gut, Skipper.“

Winslow sah zu Boden. Etwas mehr Widerspruch wäre ihm lieber gewesen. Sehr viel lieber…
 

2.

Das war es also, ging es mir durch den Kopf, während die Fähre ARTEMIS verließ und nun auf OLYMP zu hielt. Wir hatten erste Prototypen der Booster fertig gekriegt und begannen sie nun zu verteilen. Wir, das waren ich, Yamagata und Jackson sowie ein weiterer Techniker aus Jacksons Stab, den ich nie hatte kennen lernen wollen. Ich kannte nicht mal seinen Namen und das war mir bei dem unsympathischen Kerl auch ganz Recht.

Einen mussten wir noch bei den Hekatoncheiren auf OLYMP abliefern. Bei der Gelegenheit nahm ich mir vor, mich von der Gruppe abzusetzen und Megumi zu suchen und zu finden. Wenn ich mit ihr redete – falls sie überhaupt noch mit mir sprach – wollte ich ihr alles erklären. Oder wenigstens das Versprechen geben, dass ich fast dazu bereit war, wieder zu kommen. Zurück zu ihr. Zurück zu meinen Freunden.

Kurz dachte ich an den Abend, den ich mit Mako und Joan verbracht hatte. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Der halbe Abend hatte aus Vorwürfen bestanden, aber sie hatten nicht verheimlichen können, wie sehr sie mich mochten. Und ich hatte auch nicht gerade auf das Gegenteil hin gearbeitet.

Stattdessen hatte ich ihnen meine Seele offenbart, meine tiefe, innere Zerrissenheit offen gelegt und ihren Rat verlangt. Und nun war ich wirklich auf einem guten Weg, auf einem wirklich guten Weg. Ich war weit genug, um Megumi endlich wieder unter die Augen zu treten. Und ich freute mich darauf. Ich freute mich wirklich darauf.
 

„John, kommen Sie doch bitte vorne zu uns ins Cockpit“, erklang eine Lautsprecherstimme. Ich erhob mich langsam. „Scheiß Service. Erst servieren sie nicht mal Kaffee und dann holen sie einen noch nicht mal selbst nach vorne. Ich fliege nie wieder mit einem so miesen Charterflug“, scherzte ich.

„Wenn du was wegen dem Kaffee gesagt hättest…“, bot Jackson an und hob seine Thermokanne. Alles in allem war er kein schlechter Kerl. Ich schüttelte den Kopf. „Deinen Geschmack kenne ich. Statt Wasser hast du doch wieder Schnaps genommen, oder?“

„Nicht mehr als sonst auch, John“, erwiderte der Teamleiter grinsend.

Ich ging ein paar Schritte und wandte mich wieder um. „Ai-chan, Frederic, kann ich euch eine Zeitlang alleine lassen?“

Missmutig starrte Jackson zur ehemals im Sold der Kronosier stehenden Technikerin herüber. „Ja, ja, ich lass sie ja in Ruhe. Nun mach dir nicht immer so viele Sorgen, Herr Strahlemann. Nicht mal Akira Otomo hat sich um die Kronosianer-Söldner solche Sorgen gemacht wie du.“

Ich nickte grinsend und setzte meinen Weg fort.
 

Wir benutzten ein reguläres Transportshuttle mit Platz für einen Mecha. Diese Shuttles waren raumflugtauglich und wurden für Kurierflüge und Terminwaren verwendet. In unserem Fall mit den zerlegten Booster-Prototypen.

Als ich nach vorne ins Cockpit trat, empfingen mich die besorgten Gesichter der beiden russischen Piloten.

Das war das Schöne an der UEMF. Es waren so viele Staaten mit Soldaten und Personal in ihr vertreten, dass kein Land eine Homogenität aufbauen konnte. Und wenn zwei Landsleute wirklich mal nebeneinander dienten, dann war es wirklich und wahrhaftig Zufall.

„John, wir haben ein Problem.“

„Was gibt es denn, Natasha?“, fragte ich und sah auf ihre Instrumente. Dann checkte ich die Bildschirme. „Kann es sein, dass du dich etwas verflogen hast?“

Juri Sergejowitsch Andropow, ihr Co-Pilot schüttelte den Kopf. „Das waren wir nicht. Das war der Autopilot. Als wir über dem südatlantischen Rücken waren, hat Natasha den Auto angeschaltet. Wir sollten jetzt gerade die kalifornische Küste überfliegen. Eigentlich.“

„Und stattdessen überfliegen wir Kolumbien. Das ist ernst. Lässt er sich abschalten?“

„Nein, haben wir schon versucht. Wenn wir so weiter fliegen, dann trägt uns der Kurs über Chile hinaus und dann über dreitausend Kilometer endlose Wasserwüste des Südpazifiks, bevor wir die Antarktis streifen. Wir kommen dann an der australischen Westküste wieder hoch und… Na, solange der Autopilot kein Sinkmanöver initiiert, kann die UEMF uns über Australien abfangen und zum OLYMP schleppen.“

„Geht unser Funk noch?“, fragte ich ernst.

„Er hat ein paar Macken, aber wir haben eine bolivische Bodenstation in der Leitung. Die Argentinier haben sich auch schon gemeldet“, sagte Juri ernst. „Wir haben sie gebeten, unseren Notruf an die UEMF weiter zu melden.“

„Dann können wir also nur eines machen. Warten bis wir in Reichweite der UEMF kommen.

Die sollten mittlerweile gemerkt haben, dass wir nicht auf Kurs sind. Vielleicht schicken sie ein paar Hawks“, murmelte ich nachdenklich.
 

„Argentina Space Control, Argentina Space Control. LMR Flight Zero-One-Zero, Sie erhalten Überflugerlaubnis auf Ihrem bisherigen Kurs. Wir wissen, dass Sie nicht selbst manövrieren können. Wollen Sie Ihren Kurs weiter verfolgen oder sollen wir ein Shuttle hoch schicken um Sie einzusammeln?“

Ich drängte mich nach vorne. „Argentina Space Control, hier Luna Mecha Research Zero-One-Zero. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis und die angebotene Hilfe, aber unser Kurs bringt uns mittelfristig in Reichweite des OLYMP. Wir kommen klar.“

„Verstanden, LMR Zero-One-Zero. Argentina Space Control Ende und aus.“

„Für Argentinier waren die aber reichlich umgänglich. Ich dachte schon, die wollen uns mit Raketen drohen“, murmelte ich leise. „Ich gehe wieder nach hinten. Wenn was ist, ruft mich, ja?“

„Ist gut, John. Das Gröbste haben wir ja nun überstanden und… Moment, was ist das denn? John, sieh mal auf die Ortungsanzeige.“

„Was? Das ist ein Daishi Bravo. Siebzehn Kilometer hinter uns, schnell näher kommend! Natasha, raus aus dem Pilotensitz!“

„Moment mal, John, du bist Mecha-Pilot. Ein Shuttle zu fliegen ist etwas vollkommen anderes!“

„Willst du mit mir diskutieren?“

„Nein“, gestand die Pilotin und erhob sich.

„Juri, Natasha, Ihr reißt mir den Autopiloten aus der Konsole raus. Egal wie, aber es muss schnell gehen. Danach geht Ihr nach hinten. Die sollen sich alle anschnallen. Und Ihr auch. Und falls Ihr Druckanzüge habt, zieht die an, klar?“

Neben mir stoben elektrische Funken, als Juri mit Brachialgewalt auf die vorstehende Konsole des Autopiloten trat. Beim dritten Tritt brach sie ab. Danach griffen er und Natasha zu und rissen, bis auch das letzte Kabel zersprang.

Übergangslos fühlte ich das Shuttle in meinem Griff trudeln, bevor ich die Mühle abfing. „Vierzehn Kilometer. Ich glaube nicht, dass der Daishi zufällig auf einem Verfolgerkurs ist. Sobald er zu feuern beginnt, gehe ich runter. Und Ihr seht zu, dass Ihr euch endlich anschnallt!“

Die beiden Russen nickten und verschwanden im Frachtraum.
 

„Mayday, Mayday, Luna Mecha Research Flight Zero-One-Zero bittet um Unterstützung. Wir werden von einem nicht markierten Daishi Beta verfolgt, der kein Transpondersignal ausstrahlt. Ich deklariere ihn als feindlich, ich wiederhole, als feindlich. Wir haben den Autopiloten gewaltsam entfernt und sind begrenzt manövrierfähig.“

„Hier Argentina Space Control, bestätigen Sie angreifenden Daishi Beta.“

„Definitiv bestätigt.“ Ich warf einen schnellen Blick auf die Anzeigen. Neun Kilometer. Bei acht konnte er das Feuer mit den Raketen eröffnen. Und dieses Shuttle ließ sich in etwa so gut steuern wie ein mit Luft gefüllter Ballon unter Wasser.

„Hören Sie, LMR Zero-One-Zero, drehen Sie auf eins acht null bei und sinken sie auf zwei null Klicks ab. Wir schicken Ihnen eine Staffel Mirage der Bundesluftstreitkräfte zur Unterstützung. Rendezvous ist der Rio de la Plata, zweihundert Klicks Stromaufwärts. Sie erreichen diesen Punkt in neun Minuten!“

„Verstanden, Argentina Space Control. Und danke für eure Hilfe.“

„Das hättet Ihr schon viel früher haben können. Viel Glück jetzt.“

„Danke. LMR Zero-One-Zero Ende und aus.“
 

Acht Kilometer. Die Warnanlage begann aufzuheulen und informierte mich über anfliegende Raketen. Ich drückte das Shuttle nach unten. „Ob angeschnallt oder nicht, ich muss jetzt anfangen“, hauchte ich.

Der Kollisionsalarm ging nun ebenfalls los und informierte mich darüber, dass die vorderste Rakete nur noch zwei Klicks entfernt war. Das Shuttle löste die Gegenmaßnahmen automatisch aus, während es durch die Mesosphäre gen Erdoberfläche fiel.

Unter mir erstreckte sich nun der Amazonas, während die dichter werdende Atmosphäre das Bild auf zwei Monitoren in Flammenglut verschwinden ließ.

„Verdammt!“, fluchte ich. Sekunden später explodierte die erste Rakete im Triebwerk.
 

3.

„Sie haben was?“, brüllte Eikichi Otomo und sah den argentinischen Luftwaffenoffizier auf seinem Monitor entsetzt an.

„Wir haben sie leider verloren. Der angreifende Daishi hat genügend Raketen abgefeuert, um das Shuttle dreimal aus dem Orbit zu putzen, aber es wurde nur beschädigt, nicht vernichtet. Vierhundert Kilometer vor dem Rendezvouspunkt mit einer Staffel Atmosphäregebundener Jäger stürzte das Shuttle schließlich ab. Wir vermuten es auf argentinischen Boden, irgendwo in den Uferstreifen des Rio de la Plata.

Der angreifende Daishi Beta hat sich jedenfalls zurückgezogen und nicht nachgesucht. Hören Sie, Commander Otomo, ich habe die Staffel bereits angewiesen, nach dem Shuttle Ausschau zu halten. Außerdem habe ich Patrouillenboote in der Region informiert sowie sämtliche zivile Einrichtungen, die über ein Funkgerät verfügen. Wir tun unser Bestes, um Ihre Leute zu finden.“

Eikichi starrte den Monitor an. Für einen Moment war er versucht, sich schwer auf dem Schreibtisch abzustützen, dem Mann tief in die Augen zu sehen und ihm mit eiskalter Stimme zu sagen: „Mein Sohn war an Bord. Wehe Ihnen, wenn er verletzt wurde!“

Stattdessen nickte er nur. „Wir danken für Ihre Bemühungen. Können wir uns mit eigenen Kräften an der Suche beteiligen?“

„Nun, solange diese Kräfte nicht militärisch sind, soll ich Ihnen vom Verteidigungsministerium ausrichten, dürfen Sie jederzeit eigene Leute in die Region entsenden.“

„Danke. Ich melde mich dazu, Major Fernandez.“

„Gern geschehen. Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie, Commander Otomo.“

„Nun, das Shuttle wurde nicht zerstört. Das sind wohl die besten Nachrichten, die ich heute erwarten kann“, räumte Eikichi ein. Dann schaltete er ab.
 

Wütend brütete Eikichi Otomo über seinen Gedanken, bevor er den Videokanal erneut aktivierte. „Karl, Megumi trainiert doch in deinem Hangar, oder? Schick sie bitte sofort rauf zu mir. Und mach eine Mission fertig, die für eine Dschungeloperation geeignet ist. Ach, und frag die Franzosen, ob sie uns einen Zug Fremdenlegion für eine zweite Operation, die parallel laufen soll, ausleihen.“

Der weißhaarige Techniker sah seinen Vorgesetzten über die Videoverbindung erstaunt an. „Alles klar bei dir, Eikichi?“

„Akira wurde über Argentinien mit einem Shuttle abgeschossen“, gestand Commander Otomo leise.

Karl erstarrte. Dann wandte er sich nach hinten und brüllte: „MEGUMI!“

**

„Ich sterbe!“, japste Yamagata und betrachtete ihre blutverschmierten Hände, während ich langsam den Metalldorn aus ihrem Körper zog. „Takei-sama, ich sterbe. Bitte sag meiner Mutter, dass… Bitte sag ihr, dass…“

Ihre blutigen Hände legten sich auf meine. In ihren Augen stand pure Panik.

„Keine Angst. Du stirbst nicht, Ai-chan“, antwortete ich und strich ihr mit der Linken über die schweißverklebten Stirnhaare.

Misstrauisch sah sie mich an. „Nicht? Aber der Dorn! Er hat mich einmal durchbohrt und…“

„Ach der“, meinte ich und winkte ab. „Halb so wild. Hat eine Niere getroffen und deine Wirbelsäule touchiert. Außerdem wurden dein Dünndarm und der Dickdarm glatt perforiert. Ist ne ganz schöne Sauerei.“

„Also sterbe ich doch“, beharrte sie ängstlich.

„Nein, du stirbst nicht, Ai-chan. Aber wenn du möchtest, leihe ich dir gerne eine Pistole, falls du auf Nummer sicher gehen willst.“

„Takei-sama, ich bin alt genug für die Wahrheit. Lüge mich bitte nicht an!“, rief sie und fuhr hoch.

„Na, da ist ja schon wieder einer gut bei Kräften“, kommentierte Juri, während er seine ohnmächtige Kameradin aus dem Wrack des Shuttles hervor zog.

„Der Blutverlust macht mir Sorgen. Ansonsten habe ich aber alles im Griff“, antwortete ich.

„Das ist gut. Dann kannst du gleich mit Natasha weiter machen. Ihr linker Unterschenkel. Offener Bruch.“

Ich nickte dem Piloten zu. „Leg sie dort hin. Was machen Frederic und sein Techniker?“

„Der Techniker ist tot. Genickbruch. Da kannst sogar du nichts mehr machen. Aber Jackson hat sich lediglich den Kopf angestoßen. Ziemlich hart, doch nicht hart genug.“

„Gut“, kommentierte ich und widmete mich dem offenen Bruch. Meine Hände verschwanden im weißen Glanz meines KIs. Damit berührte ich die Wunde.

Natasha erwachte bei der Berührung und schrie auf. Juri tat sein Bestes, um sie fest zu halten, aber die Schmerzen waren enorm und verliehen der Russin Riesenkräfte.

„Halt still, verdammt. Das ist schwierig!“, blaffte ich.

„KI? Ist das KI?“, rief Yamagata aufgeregt. Sie betrachtete ihren Bauch. In ihrem Overall klaffte ein breites Loch, aber ihr Bauch schien unversehrt zu sein.

„Ach so ist das. Du hast mich mit deinem KI geheilt. Deswegen warst du dir so sicher, dass ich nicht sterbe, Takei-sama.“

„Nicht aufstehen“, ermahnte ich die Technikerin. „Ich kann deine Wunden heilen, aber nicht den Blutverlust ausgleichen.“

Neben mir begann Natasha leise zu wimmern. „Ist ja gut, Tasha. Hast es ja gleich geschafft“, sagte ich sanft zu ihr.
 

Jackson kam raus und starrte in die Runde. Er musterte Yamagata, wollte etwas sagen, aber dann schluckte er den Ärger herunter. „Ich sehe nach, was an Notfallausrüstung an Bord ist“, sagte er lauter als nötig und ging wieder ins Shuttle.

„Geht es wieder?“, fragte ich Natasha.

Die Russin nickte. „Die Schmerzen sind fast weg.“

„Das ist gut. Juri, bei dir alles in Ordnung?“

„Ich bin unverletzt. Abgesehen von meinem Stolz als Pilot“, erwiderte er leise. „Dass ein Grünschnabel wie du mich von meinem Sitz vertreibt und das Shuttle auch noch fast in einem Stück runter bringt…“

„Ich sage doch immer, ich bin besser als Akira Otomo“, scherzte ich.

„Akira Otomo ist Mecha-Pilot. Ich bezweifle, dass er Ahnung von Aerodynamik und der komplexen Steuerung eines Shuttles hat. Ein Punkt für dich, John.“ Er grinste mich an.

„Danke.“
 

Jackson kam wieder und warf zwei Erste Hilfe-Kästen auf den Boden. Danach folgten zwei lange Messer, eine Pistole, zwei Schachteln Munition, eine Signalpistole mit drei Reserveschüssen sowie acht Pakete mit Notrationen.

Kurz ging mein Blick über die nahe Umgebung. Unsere sehr heiße und waghalsige Landung hatte eine kleine Schneise in den Urwald gebrannt. Sie war elf Meter breit und dreihundert lang. Es war unwahrscheinlich, dass sie aus der Luft übersehen werden konnte.

Aber es war eine Menge Glück und meine Meisterschaft im beherrschen des KI gewesen, die uns trotz allem sicher herunter gebracht hatte.

„Wo sind wir hier überhaupt?“, fragte Jackson übergangslos. „Ich meine, abgesehen davon, dass wir in Südamerika sind?“

„Als ich die Anzeigen das letzte Mal eingesehen habe, waren wir über Brasilien. Kann aber auch schon Paraguay oder Argentinien sein“, murmelte ich. „Irgendwo in der Nähe des Rio Paraguay.“
 

„Was ist überhaupt passiert?“, wollte Frederic wissen. „Die beiden haben uns irgendetwas von einem angreifenden Daishi erzählt. Mucken die Kronosier etwa wieder?“

„Nein, nicht die Kronosier. Der Daishi kann von wer weiß wo her gekommen sein. Die UEMF hat vorletztes Jahr über fünfhundert von ihnen weltweit zu Dumpingpreisen verkauft, um Platz für unsere eigenen Modelle zu schaffen. Scheint so, als wären sie nicht besonders sorgfältig in der Auswahl der Kunden gewesen.“

„Soll das etwa heißen, Chuck ist gestorben, und wir wissen nicht einmal, wer ihn auf dem Gewissen hat?“, blaffte der Techniker wütend.

„Ich neige nicht dazu, vorschnell zu urteilen. Aber es deutet doch einiges auf die Marodeure hin“, murmelte ich leise. „Obwohl diese Vorgehensweise überhaupt nicht zu ihnen passt. Sie hätten versucht, unsere Fracht zu klauen. Das bedeutet, sie wären schon längst hier…“ Übergangslos erhob ich mich und schnappte mir beide Messer. Danach ging ich in den Frachtraum.

Ich weitete mein KI aus und ließ die Klingen davon erfassen, bevor ich mit den Klingen das Innenleben unserer Prototypen ausweidete.

„John, was machst du da?“, wollte Jackson entrüstet wissen. „Die Arbeit, die Arbeit von Monaten…“

„Es sind doch nur Prototypen. Wir haben noch mehr davon. Aber diese hier werden niemandem mehr etwas nützen.“ Ich sah den Techniker an. „Der Booster darf nicht in die falschen Hände fallen, Frederic.“

Einen Moment zögerte der Amerikaner, dann nickte er endlich. „Wenn du das Zeug nach draußen schaffen kannst, ich kann aus dem Antrieb ein paar leicht brennbare Chemikalien abzapfen. Damit können wir die Elektronik rösten.“

„Und nebenbei eine Rauchwolke machen, die noch in hundert Meilen zu sehen ist. Sehr gut“, lobte ich und begann damit, die Einzelteile zu verkleinern.

Draußen schichtete ich die Einzelteile aufeinander. Kurz darauf kam der Techniker mit einer Schale zurück. Viermal ging er diesen Weg, bis seiner Meinung nach genügend auf die Einzelteile vergossen worden war.
 

„Zurücktreten“, wies ich die anderen an. Dann griff ich in meine Oberarmtasche und zog ein Zippo-Feuerzeug hervor. Ich entzündete es, ging auf Abstand und warf es auf den Haufen.

„Wow!“, rief ich, als die Stichflamme beinahe meine Augenbrauen ansengte. „Was ist das denn für ein Teufelszeug?“

„Raketentreibstoff von den Abwehrmaßnahmen“, informierte Fred mich grinsend. „Ist schön heiß, oder?“

„Ja, verdammt heiß. Warnst du mich bitte nächstes Mal vor?“

„Wie das denn? Meinst du ich hatte eine Ahnung, wie groß das Feuer sein würde?“

„Da es deine Idee war – ja“, konterte ich.

„Wenn Ihr mit eurem Zerstörungswerk fertig seid“, rief Natasha, „dann könnten wir doch mal alle zusammen kommen und darüber nachdenken, was nun zu tun ist.“
 

Wir gingen ein paar Schritte Abseits. Der Qualm des Feuers schmeckte furchtbar, aber eine tiefdunkle Rauchwolke stieg gen Himmel, auf Meilen zu sehen.

„Also, laut meinem Chronometer haben wir hier vier Uhr Nachmittags. Es ist Spätherbst, also haben wir noch etwa zwei bis drei Stunden Sonnenlicht. Irgendwelche Ideen?“, fragte Natasha.

„Wir wissen nicht, wo wir sind und wir haben keine Möglichkeiten, den Dschungel sicher zu durchqueren. Das Beste wäre hier zu bleiben und auf Rettungsmannschaften zu warten“, sagte ich ernst. „Sollte allerdings der Daishi noch mal zurückkommen oder ein paar seiner Freunde, dann müssen wir hier ganz schnell die Biege machen.“

„Du denkst, wir werden erneut angegriffen, John?“, fragte Juri ernst.

„Ich halte es für möglich, dass man uns den Rest geben will. Welchen Zweck macht es sonst, uns abzuschießen?“, erwiderte ich ernst.

„Ja, aber… Warum? Okay, wir haben eine neue Technologie an Bord gehabt. Doch was bringt es für einen Sinn, die zu vernichten? Und erzähl mir nicht, dass unser Absturz das Ergebnis eines missglückten Enterversuchs ist.“

„Nun, anscheinend waren sie gar nicht hinter den Prototypen her. Tut mir Leid, wenn ich jetzt etwas arrogant klinge, aber vielleicht wollten sie mich.“

Erstaunte Blicke trafen mich. „Dich? John, in aller Freundschaft, aber…“

„Nein, nein, nein, John hat Recht. Denkt doch mal nach. Wer ist der beste Pilot in der Firma? John Takei. Wer fliegt die meisten unserer Versuche und testet sie auf Herz und Nieren? John Takei. Wer hat neulich erst einen Überfall der Marodeure vereitelt? John Takei.“

„Hör auf, Tasha, hör auf. Ich werde ja noch rot“, scherzte ich.

„Ist mal wieder typisch. Du stehst mal wieder im Rampenlicht. Aber musstest du uns mit auf die Bühne zerren? Mit einer Statistenrolle wäre ich auch zufrieden gewesen“, scherzte Frederic. „Zumindest Chuck wäre es gewesen.“

Ich nickte bedrückt.
 

„Ist es dann noch klug, hier zu bleiben? Ich meine, wollen wir wirklich fünfzig - fünfzig darauf wetten, wer uns finden wird?“ Yamagata sah mich an. „Sollten wir uns dann nicht besser ein Versteck in der Nähe aussuchen und sehen, wer als erster ankommt? Retter oder Feinde?“

Langsam hob ich beide Arme und zeigte die leeren Innenflächen. „Ich glaube, Ai-chan, das hat sich gerade erledigt.“

Auch die anderen erhoben sich, folgten meinem Beispiel.

Kurz darauf brachen unrasierte Männer aus dem umliegenden Gebüsch, in den Händen einen wilden Mix aus modernen Heckler&Koch-Sturmgewehren, alten AK47 und der guten alten M16.

Sie waren zu zwölft und bevor ich mich versah, hatten sie uns umzingelt. Unwillkürlich spannte ich mich an. Wenn sie unseren beiden Frauen was tun würden, dann…

„Der Anführer! Wer ist der Anführer?“, blaffte einer von ihnen. Er hielt eine moderne Heckler-Waffe auf uns gerichtet.

„Hier. Ich bin der Anführer“, sagte ich laut und ernst.

Der Mann trat an mich heran. „Hier ist es nicht sicher. Kommen Sie, kommen Sie. Zwei Hubschrauber mit Fallschirmspringern sind hierher unterwegs. Sie haben Befehl, Sie und Ihre Leute zu töten. Kommen Sie. Wir verbinden Ihre Augen und bringen Sie in unser Versteck!“

Ich sah ihm in die Augen. Zweifellos spielte dieser Mann sein eigenes Spiel. Aber hier zu verschwinden passte zu meinen eigenen Plänen. Ich nickte.

„Gut. Dann bildet eine Reihe. Wir verbinden jetzt Eure Augen. Jedem wird ein Mann zugeteilt, auf dessen Schulter Ihr eine Hand legt. Folgt den Anweisungen dieses Mannes.“

Wieder nickte ich. Dann sorgte ich dafür, dass ich ans Ende der Kolonne kam.

„Sei unbesorgt, Ai-chan. Uns passiert nichts.“

„Was mit mir passiert ist mir egal. Aber du, Takei-sama…“, flüsterte sie und sah mich aus großen Augen an.

Ich tätschelte ihren Kopf. „Sei unbesorgt. Ich bin besser als Blue Lightning, schon vergessen?“

„Irgendwann“, prophezeite Fred wütend, „irgendwann kriegt Otomo mit, was du hier dauernd für einen Mist erzählst. Und dann kommt er und tritt dich kräftig in den Arsch, weißt du das, John?“

„Sicher“, erwiderte ich grinsend. „Irgendwann.“

„Los jetzt, los. Wir müssen hier weg.“

„Wartet. Was ist mit Chuck?“, rief Natasha.

„Tot. Der Mann ist tot. Wir können ihn nicht mitnehmen. Los jetzt. Es ist höchste Zeit.“
 

Wir gingen los, nachdem meine Augen verbunden waren. Kurz darauf liefen wir für mindestens einen Kilometer. Als hinter mir das charakteristische Zischen einer vollen Raketensalve erklang, blickte ich automatisch zurück. Durch die Binde sah ich nichts, aber in meinem Kopf setzte sich ein gutes Bild zusammen. Die beiden Hubschrauber waren angekommen und hatten begonnen, auf den Absturzort zu feuern. Wären wir geblieben… Der Gedanke ließ mich erschauern.

„Takei-sama?“, fragte Yamagata ängstlich.

„Es ist alles in Ordnung, Ai-chan. Ich bin hier.“

Ich bekam einen freundlichen Hieb in die Seite, ausgeführt mit einer flachen Hand. „Gute Stamina. Kann laufen und reden. Guter Soldat.“

Ich grinste schief. „Der Beste.“

**

„Akira. Oh mein Gott, Akira!“, flüsterte Megumi, als sie sich die vollkommen verbrannte Lichtung näher ansah. Grimmige Fallschirmjäger der Argentinier sicherten das verkohlte Wrack, während Mediziner des argentinischen Heeres einen toten Körper aus dem Shuttle holten. Megumi wandte sich um und legte die Arme eng um ihre Dienstuniform. Es war nicht Akira, das stand bereits fest. Aber wo war er dann? Wo war er dann?

„Ich habe mit den Argentiniern geredet“, sagte Mamoru Hatake leise, als er zu Megumi zurückkehrte. „Sie sagen, der Daishi, der das Shuttle abgeschossen hat, wäre später wieder hier her gekommen, und hätte alles mit seinen Raketen verwüstet. In der Tat sieht das hier nach weitflächigem Raketenbeschuss aus. Soweit so gut.“

Die junge Frau wandte sich dem Freund zu. „Aber?“

Mamoru grinste breit. „Du kennst mich ziemlich gut. Aber wenn man sich die Bodenfurchen ansieht und die Muster der Verbrennungen, dann sieht es beinahe so aus, als hätte der Daishi für den Raketenbeschuss die Position gewechselt…“

„Oder es waren zwei Daishis, die gefeuert haben.“ Megumi sah zu den argentinischen Hubschraubern herüber. „Oder was auch immer.“

„Jedenfalls“, begann Mamoru wieder, „sagen die Offiziere, dass sie hier in der Region mit Guerilla zu kämpfen haben. Milizen von Indianerstämmen aus der Region, die von Paraguay und Brasilien aus eingewandert sind und nun Land fordern. Sie halten es für möglich, dass diese Milizen unsere Leute entführt haben, um Druck auf die Regierung auszuüben.“

Megumis Herz begann schneller zu schlagen. „Du meinst, sie sind jetzt Geiseln?“

„Die Möglichkeit ist nicht auszuschließen. Und wenn das der Fall ist, haben wir ein Problem. Das Ufergebiet des Rio Paraguay ist sehr weiträumig und in dieser Region unübersichtlich. Ich meine, der Urwald des Amazonas ist gleich um die Ecke. Tausend Meilen im Süden sähe die Sache anders aus. Riesige, ebene Pampa-Grasflächen, Montag schon sehen können, wer Sonntag zu Besuch kommt… Aber das hier…“

„Wir können sie also nur unter großen Mühen selbst finden“, zog Megumi ihr Resumée. „Ansonsten müssen wir uns auf die Argentinier verlassen. Oder darauf warten, dass Forderungen gestellt werden. Was für ein Scheiß!“
 

„Colonel Uno?“, fragte einer der Offiziere. „Die Dämmerung setzt ein. Wenn Sie Ihren Mann noch fortschaffen wollen, sollten Sie es bald tun. In einer Viertelstunde sieht man hier die Hand vor Augen nicht.“

„Danke, Captain. Wenn Sie nichts dagegen haben, kommen wir mit nach Buenos Aires und setzen unsere Suche morgen früh fort.“

Der Mann zuckte mit den Achseln. „Tun Sie sich keinen Zwang an. Die Bundesregierung hat ihre volle Kooperation zugesichert. Ich bin sicher, wir finden in einer lauschigen Kaserne einen Platz für Sie und den Major.“

„Ich danke Ihnen, Captain. Major Hatake, Aufbruch. Wir fliegen mit unserem Shuttle nach Buenos Aires.“

„Ma´am“, sagte Mamoru und salutierte zackig.
 

Megumi sah sich noch einmal um, während die Leiche des UEMF-Mannes an Bord geschafft wurde. Wenn sie Akira wäre, wohin wäre sie gegangen? Hätte sie sich freiwillig vom Absturzort entfernt? Nun, das hing von den Umständen ab. Aber auf jeden Fall hätte sie eine geheime Nachricht hinterlassen, wo sie zu finden war. Dass Akira das nicht getan hatte, konnte nur bedeuten, dass er es selbst nicht wusste.

„Akira“, hauchte sie leise. „Wie kannst du mir das antun? Erst tauchst du wieder in meinem Leben auf, und dann verschwindest du? Bitte, sei gesund. Sei gesund.“

***

„Admiral auf der Brücke!“ Die anwesenden Offiziere und Mannschaften erhoben sich. „Weitermachen“, befahl Sakura Ino und rauschte wie ein abgeschossener Torpedo in die Hauptzentrale der AURORA. „Bericht.“

„Ma´am. Die Versiegelungsarbeiten sind abgeschlossen. Die Arbeit an den Manöverdüsen ist beendet. Die Werften können jederzeit ihre Arbeit aufnehmen. Wir warten eigentlich nur noch auf die Schiffe der Begleitflotte und die ersten Freiwilligen.“

Sakura setzte sich auf den für sie vorgesehenen Platz. Sie würde das Oberkommando über die gesamte Operation erhalten. Das eigentliche Kommando über die AURORA würde ein Kapitän führen. Der Beste, den die Menschheit derzeit hatte. Sein Platz war weiter vorne, bei der Taktik-Abteilung.
 

„Kapitän auf der Brücke!“

Sakura erhob sich und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit einem spöttischen Grinsen erwartete sie den neuen Kapitän der AURORA. „Verlaufen?“

Der übergewichtige Mann legte eine Hand in den Nacken und lachte verlegen. „Verzeihung, Sakura-chan. Aber in diesem riesigen Mistding kann man sich wirklich verlaufen.“

Sakura lächelte still. Seit der Zweiten Marskampagne, in der der ehemalige Tokioter Motorradrocker die LOS ANGELES geführt hatte, vertraute sie ihm. Dieses Vertrauen hatte darin gegipfelt, dass sie Tetsu Genda sogar für das Kommando der AURORA vorgeschlagen hatte. Sie zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass damit das Ende der Talente dieses ungewöhnlichen Mannes noch nicht erreicht war.

Es war nicht gerade so, als wäre Tetsu ein Genie. Aber er war ein harter Arbeiter, und wenn er ein Ziel sah, das er erreichen konnte, schuftete er sich regelrecht tot.

„Nehmen Sie Ihren Posten ein, Kapitän. Wir werden in den nächsten acht Wochen Übungen fahren, bis die Mannschaft der AURORA und die Crews der Begleitmannschaften unsere Namen verfluchen.“

Tetsu grinste abfällig. „Na und? Irgendwann werden sie erkennen, dass es genau diese Extraanstrengung war, die sie in die Lage versetzt hat, ihre eigenen Leben zu retten.“

Der schwerfällig wirkende Mann nahm seinen Platz ein. Und sprach beinahe jeden Anwesenden in der Zentrale mit Namen und Rang an, egal ob er das Namensschild erkennen konnte oder nicht. Ja, er hatte in der Tat verborgene Talente.
 

„Nachrichten aus Argentinien, Ma´am“, sagte ihr Adjutant ernst. „Es scheint so, als hätte man Ihren Cousin immer noch nicht gefunden.“

„Nun, Akira ist zäh. Solange sie ihn nicht in einem schwarzen Sack ausfliegen, habe ich keine Angst um ihn.“ Sie sah ihren Adjutanten an. „Philip, wann treffen die ersten Siedler ein?“

„Genau nach Plan. In zwei Tagen werden die ersten Generalvertreter namhafter Firmen die Produktionsstätten ihrer Konzerne an Bord in Betrieb nehmen und mit dem Vertrieb beginnen.

Die ersten Zivilisten treffen in der Woche darauf ein. Es wird Sie freuen zu hören, dass die Plätze an Bord bereits jetzt doppelt überzeichnet sind.“

„Na, dann sollten wir Aktien raus geben und keine Arbeitsplätze mit Wohnungen anbieten“, schmunzelte Sakura.

Sie wandte sich wieder um und ließ ihren Blick durch die Zentrale schweifen. Dieser Platz, dieser Ort würde für mindestens ein Jahr ihr neues Zuhause werden.

„Noch etwas, Ma´am. Wir haben eine Anfrage auf bevorzugte Behandlung entgegen genommen. Eine Gruppe Menschen hat sich auf Sie berufen und verlangt, geschlossen aufgenommen zu werden.“

Sakura nahm die dargebotene Akte entgegen und blätterte sie schnell durch. Ihr Grinsen wurde dabei immer breiter. Als sie das Dokument wieder zuklappte und zurückgab, sagte sie: „Na, dann richten Sie doch mal Miss Joan Reilley aus, dass ich für die Frau, die mit meinem kleinen Bruder zusammen ist, keine Extrawurst brate.“

Der Mann salutierte. „Jawohl, Ma´am.“

„Philip, nicht so hastig. Aber für den Popstar Joan Reilley und ihre Band schon.“

Der Mann lächelte erleichtert. „Gute Entscheidung. Ich bin großer Joan Reilley-Fan.“

„Ich auch“, erwiderte die Admiralin. „Ich auch.“
 

4.

Als die Augenbinden wieder abgenommen wurden, befanden wir uns auf trockenem Grund. Ich musste nicht an mir herab sehen um zu wissen, dass sich der Schlamm meterdick auf meinen Schuhen abgelegt hatte. Meine Uniform selbst starrte vor Schmutz und Schlamm. Außerdem störte die vorwitzige kleine Vogelspinne, die mir nun schon seit einer halben Stunde auf der Schulter hockte. Einer der Männer hatte es witzig gefunden, sie mir aufzusetzen.

Vorsichtig griff ich zwischen Vorderkörper und Hinterleib zu und brachte die Riesenspinne zum nächsten Dickicht.

„Takei-sama, du bist aber mutig. Ich hätte ja nur geschrien, was die Lungen hergeben“, staunte Yamagata.

Ich versteckte meine zitternden Hände hinter meinem Rücken und lächelte sie an. „Nun, das arme Tier kann ja nichts dafür, dass es für einen derben Scherz her halten musste.“
 

Der Anführer der Gruppe trat an mich heran. „Dies ist unser Camp. Tief im Dschungel, gut abgeschirmt gegen Entdeckungen von oben. Hier seid ihr sicher. Ihr könnt eure Leute rufen, aber heute nicht mehr. Kommt, kommt, wir bringen euch unter.“

„Danke“, sagte ich.

„Schon gut. Wir machen es ja nicht umsonst. Ihr habt die Raketen gehört. Ihr wisst jetzt, wie die Argentinier sind. Außerdem könnt Ihr uns sicher Medikamente und Ausrüstung überlassen.“

„Solange es Nichtmilitärische Ausrüstung ist, sicher“, sagte ich ernst, während ich dem Offizier folgte. Unter den Bäumen standen nur wenige Hütten. Licht war kaum zu sehen. Wir selbst fanden unseren Weg nur, weil der Offizier mit zwei seiner Leute den Boden ableuchtete.
 

Und dann… Standen wir plötzlich in einer riesigen Halle.

„Ja, da soll mich doch…“, rief Yuri, als er durch die sich mehrfach überlappenden schwarzen Folienbahnen trat.

Ich pfiff anerkennend. Was wir zu sehen bekamen, war wirklich nicht von schlechten Eltern.

„Diese Halle“, fragte ich unseren Führer. „Ein alter Tempel?“

Der Mann grinste mich an. „Ihr Amerikaner. Warum muss bei euch jeder Gigantbau im Dschungel automatisch ein alter Tempel sein? Nein, das ist ein Überbleibsel aus dem Krieg mit den Kronosiern. Für den Fall eines Angriffs sollten hier Mechas stationiert werden. Aber die UEMF hat nie welche geschickt.“

„Argentinien wurde auch nie angegriffen“, wandte ich ein.

„Das hat das Militär noch schlechter verdaut“, erwiderte der Offizier. „Jedenfalls, wir verwenden die Hallen nun. Im Hintergrund sind Waschgelegenheiten und Schlafplätze. Es reicht für alle. Und warmes Essen gibt es auch. Sie dürfen sich bedienen, heißt das.“

Ich blieb kurz stehen und musterte den Mann. „Warum sind Sie so nett zu uns?“

Der Mann lachte mich an. „Wir sind Toba. Das macht uns beide zu Verbündeten.“

„Wir sind Toba?“

„Nein. Ich und meine Leute, wir sind Toba. Das heißt, unsere Vorfahren waren es. Bis die Argentinier sie beinahe ausgerottet haben. Und nun versuchen sie es wieder. Deshalb sind wir Verbündete.“

„Die UEMF mischt sich aber nicht in interne Angelegenheiten ein“, warf ich ein. „Ich kann Ihnen nichts versprechen.“

„Wir planen keinen Angriffskrieg. Wir wollen nur hier wo wir leben in Ruhe gelassen werden. Dazu brauchen wir keine Waffen. Nur ein wenig Ignoranz der Argentinier. Kommen Sie, kommen Sie, ich zeige Ihnen mehr.“
 

Ich wollte dem Mann gerade folgen, als mein Blick nach Rechts driftete, als würde ein Eisenspan von einem Magnet angezogen werden. Langsam ging ich in diese Richtung, erkannte eine riesige schwarze Plane, die gut zehn Meter in die Höhe ragte.

Ich hob die Plane an, kletterte unter sie und pfiff erneut. „Düster wie in einem Bärenarsch.“

Der Offizier lachte und gab einen spanisch klingenden Befehl. Kurz darauf summte ein Elektromotor, und die Plane wurde eingeholt.

„Ich ahnte es. Ein Daishi Beta“, stellte ich fachmännisch fest.

„Du bist Pilot? Wie Akira Otomo?“, fragte mich ein anderer Mann. „Den haben wir gefunden. Sauber gemacht. Die Elektronik repariert. Aber keiner kann ihn steuern.“

„Ich bin Pilot. Der Allerbeste“, sagte ich mit Überzeugung in der Stimme. „Darf ich?“

Ohne eine Antwort abzuwarten kletterte ich ins offene Cockpit. Unwillkürlich assoziierte ich meine Umgebung mit Primus. Auch er war ein Daishi Beta gewesen.

Der Computer mit der KI erwachte zum Leben. „Synchronisation?“

Ich nickte. „Warum nicht. Ich bin John Takei, Testpilot. Gleiche meine Hirnwellenmuster ab. Ich bin ab sofort dein primärer Benutzer.“

„Ich bestätige. Synchronisation erfolgt. Benutzer John Takei ist hundert Prozent tauglich. Ich erwarte Ihre Befehle.“

„Geh wieder schlafen. Vielleicht gebe ich dir morgen einen Namen“, schmunzelte ich.

„Was haben Sie gemacht? Von uns hat noch keiner mit der Künstlichen Intelligenz gesprochen!“, rief der Offizier aufgeregt.

„Wie ist eigentlich Ihr Name?“, fragte ich gerade heraus.

„José. Nennen Sie mich José. Mehr zu wissen kann schlecht für uns werden.“

„Nun, mein Freund, wie ich erwähnte, bin ich Mecha-Pilot. Ich habe mit Daishis eine hohe Synchronität. Wahrscheinlich die Höchste, die jemals gemessen wurde. Der Daishi hat das sofort erkannt.“

„Können… Können Sie meine Leute auf ihm ausbilden?“, fragte der Offizier vorsichtig.

„Vielleicht“, sagte ich. Immerhin wollte ich den Mann nicht vergrätzen.

José musterte mich nachdenklich. „Morgen. Kommen Sie, kommen Sie jetzt. Waschen Sie sich, essen Sie etwas. Und schlafen Sie.“

Ich lachte leise. „In der Reihenfolge?“

„In der Reihenfolge.“

***

Als die Granate explodierte, war ich sofort hellwach. Automatisch begann ich zu sprinten und bevor ich mich versah, hatte ich den Daishi Beta erreicht. Was war los? Was passierte? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich beim ersten Waffenlärm reagiert hatte.

Yamagata grinste mich aus dem Cockpit an. „Moment noch, Takei-sama. Die Waffensynchronisation hat gelitten. Und du willst doch geradeaus schießen, oder?“

Fred kam von hinten und wischte sich die öligen Finger ab. „Ich habe gerade die Ausstoßöffnungen der Triebwerke durchgesehen. Junge, an dem Ding war aber ein halbes Leben keiner mehr dran.“ Als er meinen erstaunten Blick bemerkte sagte er: „Wir konnten nicht schlafen. Da haben wir in Allerherrgottsfrühe eben ein wenig am Daishi rum gefummelt.“

„Ach so.“
 

José kam in die Halle gelaufen. „Übel. Sehr übel“, sagte er. „Wir wurden entdeckt. Wir werden angegriffen. Wir evakuieren die Siedlung. Es gab schon die ersten Verletzten. Wir müssen weg sein, bevor sie die Hubschrauber rufen.“

„Wir können den Daishi mitnehmen“, verkündete Yamagata fröhlich.

Dem Toba fielen bei diesen Worten fast die Augen raus. „Was?“

„Ja“, fiel nun auch Jackson ein, „wir haben ihn soweit wieder hergerichtet. Das Meiste haben eure Leute schon geleistet, Respekt dafür. Aber hier und da musste doch ein Fachmann ran.“

Yamagata sprang aus dem Cockpit. „So, Takei-sama. Es gehört ganz und gar dir.“

Ich wechselte einen schnellen Blick mit José. „Wie weit sind sie noch entfernt?“

„In zehn Minuten sind sie mit Jeeps in der Siedlung. Ihre Mörser erreichen uns schon.“

Wie zur Bestätigung hörten wir wieder Explosionen.

Ich schwang mich ins Cockpit und schnallte mich an. Für einen kleinen Kampf in Erdnähe würde ich wohl kaum einen Druckanzug brauchen. Allerdings würde mir der fehlende Helm und die damit fehlende Synchronisationsverbesserung zu schaffen machen.

„Guten Morgen. Bist du bereit?“

„Sie haben mir einen Namen versprochen, John Takei“, sagte die Künstliche Intelligenz.

Kurz dachte ich nach. „Nennen wir dich Blue, bis mir was Besseres einfällt.“
 

Vor uns öffnete sich das Hangartor. Ich setzte Blue in Bewegung und schritt langsam hinaus. Neben mir bemerkte ich meine beiden russischen Kollegen, die erst entsetzt herauf sahen, dann aber beide Daumen hoben. Ihr Grinsen als fies zu bezeichnen wäre eine Untertreibung gewesen.

Als wir den Hangar verlassen hatten, fragte ich: „Wie sieht es aus, Blue? Irgendwelche Feindaktivitäten?“

„Aktive Mörser einen Kilometer voraus. Große Lichtung. Hinter uns bewegen sich Menschen zu Fuß und mit Jeeps in den Wald. Rund um uns gehen in Erdlöchern Soldaten in Stellung.“

„Soldaten in Erdlöchern als freundlich deklarieren. Zivilisten und Jeeps hinter uns neutral.“

„Ja, Sir.“

„Es sollen Jeeps auf die Siedlung zu kommen. Versuche sie zu erfassen und gib Meldung, sobald es dir gelungen ist. Hat dieser Mecha Waffen?“

„Nur die Raketen. Sechzig Schuss. Eine externe Waffe wurde in der näheren Umgebung nicht gefunden.“

„Mist.“ Ich hatte ja nicht gerade eine Artemis-Lanze erwartet, aber irgend etwas scharfes, spitzes, gefährliches wäre mir schon Recht gewesen.

„Da kommen die Jeeps, Sir!“, meldete Blue.

Ich suchte kurz und fand sie. Fünf Stück, die mit feuernden MG-Aufbauten in die Siedlung fuhren.

Ich setzte Blue in Bewegung und versenkte seinen linken Fuß vor dem ersten Jeep kraftvoll in der Erde.

Die Besatzung sah erst ungläubig auf den riesigen Metallfuß, dann auf das dazugehörige Bein. Als sie entdeckten was noch dazu gehörte, sprangen die Soldaten ab und hetzten in den Wald zurück. Die hinteren beiden Jeeps wendeten und fuhren zurück. Die anderen beiden wurden ebenfalls aufgegeben.

„José“, rief ich über Außenlautsprecher, „noch Bedarf an drei kaum gebrauchten Allradfahrzeugen?“

„Aber immer doch!“, antwortete der Mann lachend.
 

Neben mir explodierte eine Mörsergranate. „Ach ja, die sind ja auch noch da.“ Ich ließ Blue steigen. Anschließend nahmen wir Kurs auf die Mörserstellungen. Als ich knapp davor landete, war die Erschütterung so groß, dass bei den Mörsern kein Mann mehr auf den Beinen stand. „Geht!“, rief ich den Soldaten zu. Die meisten hatten nichts eiligeres, als meinem Befehl nach zu kommen. Genüsslich zertrat ich die Mörser.

„Es macht wirklich Spaß, der größte Junge auf dem Schulhof zu sein!“

„Kampfhubschrauber“, warnte Blue. Ich checkte die Anzeigen und erhob mich in die Luft. „Na wartet, ich und Blue können auch fliegen. Wie viele?“

„Drei Zweisitzer. Wahrscheinlich amerikanische Apache.“

„Keine Bedrohung für den besten Piloten der Welt!“, rief ich übermütig.

***

„Ma´am, ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass unsere Scouts in der Nacht das Versteck der Entführer aufgespürt haben.“

Megumis Herz schien wieder rasen zu wollen. „Die Geiseln! Geht es ihnen gut?“

„Wir konnten das Camp leider nicht erobern. Die Guerillas verfügen über einen aktiven Daishi Beta. Er hat unseren Angriff im Alleingang zurückgeschlagen.“

Megumis Augen verengten sich zu Schlitzen. „Ein Daishi? Damit habe ich während des Krieges meinen Hangar tapeziert. Genehmigen Sie mir die Einfuhr von Lady Death und in einem halben Tag gehört das Camp Ihnen.“

„Das wurde bereits diskutiert, Colonel Uno. Aber die Bundesregierung verbittet sich die Einmischung in unsere internen Angelegenheiten. Sie wird kein UEMF-Material auf unserem Staatsgebiet dulden.“

Megumi ließ den Kopf hängen. Akira war in Gefahr, und sie sollte nichts tun können?

„Allerdings, Colonel“, begann der Offizier wieder, „wenn Sie mit einem Daishi Gamma zurechtkommen würden…“
 

5.

Ich fühlte mich gut, wirklich gut. Im Moment hielt ich den Apache an der Schnauze fest, während ich mit der freien Mecha-Hand den Schwanz abbrach. Damit schlug ich den Hauptrotor ab und setzte das Wrack neben mir zu Boden. Pilot und Waffenoffizier verließen den zerstörten Helikopter so schnell sie ihre Beine tragen konnten.

„Yiihaaaaa! Das hast du gut gemacht!“, erklang Josés Stimme über Funk. „Jetzt trauen sich die Argentinier gar nicht mehr hierher und wir können in Ruhe verschwinden!“

„Ich wäre mir da nicht so sicher“, brummte ich, als Blue Zielerfassungslaser anzeigte. Kurz darauf meldete er den Abschuss von Sidewinder-Raketen. Ein Kampfjet hatte aus einer Distanz von über vier Kilometer auf mich geschossen.

Ich lächelte verächtlich. Gemächlich ging ich in die Hocke, riss dem zerstörten Apache beide Kufen ab. Ja, die Dinger waren brauchbar.

Alles was ich nun noch tun musste war warten. Und auf meine Reflexe zu vertrauen.
 

Die Raketen, die wir für die Mechas verwendeten, hatten nur begrenzte Steuerfähigkeiten und waren relativ klein. Deshalb reichten sie nur für geringe Entfernungen in einer Atmosphäre.

Ihr Hauptziel war es, als Schwarm zu treffen und als Schwarm Schaden zu verursachen.

Die Dinger, die da gerade auf mich zukamen aber wurden über Kilometer ins Ziel gesteuert. Jede einzelne wog hundert Kilo und war über zwei Meter lang. Hier sollte eine Rakete genügen, um ein feindliches Flugzeug abzuschießen. Entsprechend gering war die Anzahl der Raketen, die ein modernes Jagdflugzeug aufnehmen konnte.

„Jetzt!“, ging es mir durch den Kopf. Beinahe automatisch riss ich die Arme auseinander, die Kufen in den Händen. Ich erwischte die als Paar abgefeuerten Sidewinder voll. Einer wurde gegen den getarnten Hangar geschleudert, wo er explodierte. Der andere taumelte, stürzte in den Dschungel und ging dort hoch.

„Wie weit seid Ihr mit der Evakuierung?“, fragte ich.

„Noch drei Minuten, und wir sind alle unterwegs. Dann musst du noch zehn Minuten unseren Rückzug decken, El Magnifico.“

„Du kriegst deine dreizehn Minuten, José“, versprach ich ernst. El Magnifico. Das klang gut. Ich nahm mir vor, ihn beizeiten zu fragen, was es bedeutete.

**

„Entschuldigen Sie, Colonel, aber dieser ältere Druckanzug ist das Einzige, was wir Ihnen anbieten können. Wir sind nicht darauf ausgelegt, im Verbund mit Mechas zu arbeiten.“

„Schon in Ordnung, Captain. Wurde der Daishi Gamma durchgecheckt?“

Der Luftwaffenoffizier nickte. „Sie können sofort starten. Wir haben eine Karte eingespeist, die Sie direkt ans Ziel bringen wird. Bitte vergessen Sie nicht, Sie müssen lediglich den Daishi Beta beschäftigen. Meine Fallschirmjäger befreien die Geiseln.“

„Vielleicht wäre es einfacher, wenn wir auf die Forderungen der Guerillas warten“, merkte Mamoru Hatake leise an.

Der Luftwaffenoffizier fuhr herum. „Nun, Major Hatake, ich denke auch, das wäre eine gute Idee. Aber Colonel Uno besteht ja auf diesem Einsatz.“

„Lassen Sie mich mit ihr alleine. Vielleicht kann ich sie überreden.“ Mamoru sah dem Mann in die Augen. „Bitte.“

„Schon verstanden. Sie haben fünf Minuten, um den Start zu verhindern. Viel Glück. Diese Frau hat einen starken Willen.“
 

„Was hast du für mich?“, fragte Megumi.

„Die Franzosen schicken uns dreißig Mann mit Dschungelkampferfahrung. Sie werden gerade von Hubschraubern in Position gebracht. Genau hier, du kannst sie jederzeit abrufen. Sie hören auf dein Kommando.

Und der OLYMP hat eine Fregatte über Argentinien geparkt. An Bord ist Doitsu mit vier Sparrows, sechs Hawks und zwei Eagles. Sie können binnen einer halben Stunde überall sein, wo du sie brauchst. Du siehst, du bist nicht alleine.“

„Danke, Mamo-chan“, sagte sie und setzte den Helm auf.

„Moment, warte mal.“ Mamoru beugte sich vor und half die Helmanschlüsse mit dem Mecha zu verbinden. „So geht das. Jedenfalls, auch wenn es nicht so aussieht, wir haben hier mitten in ein Wespennest gestochen. Ich habe noch keine Beweise, aber ich bin sicher, die Argentinier sind am Absturz des Shuttles nicht ganz unschuldig. Ich glaube, sie haben da jemanden auf dem Kieker, einen gewissen John Takei, Amerikanojapaner. Testpilot für Mechas bei Luna Mecha Research. Soll angeblich einer der Besten sein. War aber, soweit ich das erkennen konnte, nicht mit auf dem Mars.“ Mamoru zuckte mit den Achseln. „Könnte glatt Akira in Tarnidentität sein.“

Megumi warf ihm einen zweideutigen Blick zu.

Mamoru begann zu prusten. „Ach komm, das ist doch nicht dein Ernst. Wie viele Klischees will er denn noch bedienen?“

„Das ist mir egal. Solange er heute Abend noch lebt. Dann kann ich ihm wenigstens ohne Gewissensbisse den Hosenboden stramm ziehen“, brummte sie ärgerlich. „Okay, warum wollen die Argentinier John Takei töten?“

Mamoru dachte kurz nach. „Ich habe mit Daisuke gesprochen. Er sitzt ja mit seinem Bataillon, den Kottos, in Aldrin auf dem Mond. Er meinte, vor ein paar Tagen hätten die Marodeure versucht, einen LMR-Piloten um seine Fracht zu erleichtern, einen experimentellen Booster. Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, glaube ich nicht, dass Daisuke nicht herausgefunden hat, wer John Takei ist. Und dann hat der Kerl die Frechheit und lügt mir noch ins Gesicht. Unglaublich.“

„Mamo-chan“, ermahnte Megumi den Freund schmunzelnd.

„Jedenfalls hat John Takei vier von neun angreifenden Daishis ausgeschaltet, bevor Daisukes Hotel-Kompanie eintraf und die Angreifer verscheuchte.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Marodeure keinen weiteren Angriff wagen, solange LMR über einen derart vorzüglichen Piloten verfügt.“

Mamoru kratzte sich am Haaransatz. „Ich habe Daisuke natürlich gesagt, dass die Marodeure vielleicht wissen, dass Takei nicht auf dem Mond ist und nun in Armstrong angreifen könnten.

Er hat eine komplette Kompanie Hawks nach Armstrong verlegt. Unter größter Geheimhaltung, natürlich. Falls die Marodeure kommen, werden sie sich wünschen, John Takei würde sie empfangen.“

„Gute Arbeit wie immer, Mamo-chan. Ach, du hast übrigens noch drei Tage Zeit, bis du deine Bewerbung für die AURORA abgeben musst. Du kommst doch mit, oder?“

Der Infanterist und Geheimdienstoffizier sah betreten zu Boden. „Ich… ich weiß nicht.“

„Ach komm, ohne dich wird das doch kein Spaß. Und Akira wird auch mitfliegen. Falls ich heute etwas von ihm übrig lasse.“

Megumi zwinkerte dem Freund zu und schloss die Luke des Daishi Gamma.
 

Hastig lief Mamoru zur Seite, um dem startenden Mecha nicht im Weg zu sein. Der Luftwaffenoffizier empfing ihn grinsend. „Hat wohl nicht geklappt, Herr Major?“

„Nein, hat nicht geklappt. Sie ist eine ungewöhnliche Frau mit einem sehr starken Willen. Sie war nicht umsonst drei Jahre lang der Champion der Erdverteidigung.“

„Diese Formulierung hat mich immer gewundert. Wieso war? Wurde Colonel Uno schlechter?“

Mamoru grinste schief. „Nein, es kam jemand der besser war als sie. Viel besser.“

***

Megumi ließ den Gamma in zweitausend Meter Höhe gen Süden rasen. Die Instrumente waren etwas anders angeordnet als in ihrer Lady Death, doch generell bereitete es ihr kein Problem, sich zurecht zu finden. Nicht einmal die Synchronisation hatte Probleme bereitet.

„Okay, ich habe einen Namen für dich“, informierte sie die Künstliche Intelligenz des Daishi. „Du heißt Chibi.“

„Chibi. Ist das japanisch?“, fragte die KI.

„Ja. Das ist ein Kosewort. Es bedeutet niedlich oder klein auf eine süße Art. Wir setzen es gerne vor die Namen von Kleinkindern.“

„Ich muss Sie darüber informieren, Colonel, dass ich ein Daishi Gamma bin, und kein Kleinkind“, protestierte die KI.

„Aber süß bist du doch, oder?“, erwiderte Megumi nonchalant und beendete damit die Diskussion. „Wann erreichen wir unser Ziel?“

„Sieben Minuten, Ma´am.“

„Gut. Gibt es Nachrichten vom Daishi Beta?“

„Er hat soeben drei Apache Kampfhubschrauber vernichtet. Und im Moment versucht er, einen Mirage-Kampfjet abzufangen.“

„Was sagt die Infanterie vor Ort, kommen sie bis ins Lager durch?“

„Negativ, Colonel. Das Lager wurde geräumt, die Insassen verlegen durch den Dschungel. Sie würden die Guerilla ja verfolgen. Aber sie haben dem Daishi Beta nichts entgegen zu setzen. Wir können nur darüber spekulieren, wie es den UEMF-Angehörigen geht.“

„Wehe, du lässt dich töten, Akira“, blaffte Megumi zornig. „Dann erwecke ich dich wieder zum Leben und töte dich selbst noch mal!“

***

Ich stieg mit meinen Mecha auf anderthalb Kilometer Höhe. Die Jet blieb außerhalb meiner Reichweite, feuerte aber ein zweites Paar Raketen auf mich ab. Auch die erwiesen sich als nutzlos. Seelenruhig hielt ich meine Position. Und hoffte dabei, dass der Kampfpilot die Nerven verlor und mich direkt angriff.

Als Blue die Annäherung der Jet meldete, huschte ein Grinsen über mein Gesicht. Ich hatte ihn entnervt. Der Mann griff an.

Wieder feuerte er Raketen, und als er nahe genug war, auch die Bordwaffen. Auf diesen Moment hatte ich gewartet. Ich tauchte unter der Spur der Leuchtspurgeschosse hinweg, kam sofort wieder hoch und war nun hinter der Jet, einer französischen Mirage. Sofort öffnete ich die Raketenwerfer und feuerte eine volle Salve aus zehn Raketen auf meinen Gegner.

Acht erfassten das Ziel, von denen fielen aber drei auf Gegenmaßnahmen herein. Die anderen trafen und verteilten die Wucht ihrer Explosionen auf die linke Tragfläche und das Heck.

Nun war ich mit Blue selbst heran. Die Raketen hatten ihn nur ablenken sollen, damit ich die eigentliche Waffe anbringen konnte – mich.

Ich ließ Blue die Tragfläche umklammern, dann sauste die andere Hand des Mechas herab und traf die Panzerung. Mit zwei schnellen Hieben hatte ich den Flügel durchschlagen. Die gleiche Prozedur verfolgte ich etwas höher. Wieder schlug ich ein Loch hinein.

Nun schien der Pilot zu ahnen, was ich vor hatte und versuchte meinen Daishi mit einem gewagten Manöver abzuschütteln. Zu diesem Zeitpunkt aber war die Struktur des Flügels bereits zu beschädigt. Das Gewaltmanöver kostete seinen Preis, der Flügel riss ab. Ich ließ ihn los und sah fasziniert dabei zu, wie er gen Boden segelte.
 

Vor mir begann die Jet zu taumeln und stürzte ab. Ich eilte hinterher, umklammerte den Kampfjet und stabilisierte seinen Kurs.

Pilot und Waffenoffizier nutzten die unverhoffte Gelegenheit, um sauber auszusteigen. Kurz darauf ließ ich die Jet in den Dschungel stürzen.

Ich war zufrieden mit mir, sehr zufrieden.

„Annäherungsalarm“, meldete Blue. „Ein Daishi Gamma nähert sich schnell von Süden.“

Unwillkürlich sah ich auf. „Wie weit entfernt?“

„Fünf Kilometer. Kommt schnell näher.“

„Sehr gut. Mir begann schon langweilig zu werden.“

***

Megumi kam schnell in Reichweite der gegnerischen Einheit. Sie eröffnete den Angriff bereits aus Maximaldistanz für die Raketen, denn sie wollte hier so schnell es ging fertig werden, damit die Suche nach Akira endlich voran gehen konnte.

Von der Zehnersalve erfassten sieben den Daishi. Fünf wischte der Beta mit seinem Raketenabwehrsystem aus der Luft und lediglich zwei trafen.

„Das dauert wohl doch länger“, brummte Megumi unwillig und brachte das A5 Sniper in Schussposition. Wenn die Kronosier eines gut gemacht hatten, dann diese Mecha-Waffe. Gut ausbalanciert, sehr treffsicher. Es war keine Artemis-Lanze, aber dennoch durchschlagkräftig.

„Na dann zeig mir mal dein hässliches Gesicht.“ Beinahe stimmte es sie fröhlich, dass der Kampf noch ein wenig andauerte. Es war schon viel zu lange her, dass sie den Adrenalinschub einer echten Schlacht erlebt hatte.

Sie visierte den gegnerischen Mecha-Piloten an und feuerte eine Serie von fünf Schuss in schneller Folge ab. Der erste war dazu ausersehen gewesen, ihn zu treffen. Die anderen vier sollten ihn erwischen, wenn er auswich – falls er dafür überhaupt ein Talent hatte.

Tatsächlich wich der Beta nach Rechts aus und damit mitten hinein in den nächsten Schuss. Das kam eben davon, wenn man Amateure die Arbeit von Profis machen ließ.

Megumi lächelte kalt… Und spürte ihre Gesichtszüge erstarren, als der Beta dem Schuss entging. „Er ist gut“, hauchte sie und drückte ihren Gamma tiefer, Richtung Erdboden, um aus der Deckung des Waldes einen neuen Versuch zu wagen.

***

„Ach, bitte. Soll das etwa alles gewesen sein?“, murmelte ich fast ein wenig beleidigt. Raketenbeschuss auf Maximaldistanz. Wo war da die Herausforderung? Die beiden Raketen, die auf mich und Blue zuhielten, wischte ich mit den kräftigen Händen des Daishi beiseite. Sie explodierten links und rechts von mir, ohne Schäden anzurichten.

„Zoom mir den Gegner mal ran“, hauchte ich.

Blue tat wie geheißen und ich besah mir den Gamma genauer. Und bekam noch mit, wie die Waffe in seinen Händen, ein kronosischer Sniper wohlgemerkt, einmal kurz anruckte. Meine Reflexe übernahmen sofort und ließen Blue nach links driften, noch während ich drei weitere Rucke dieser Art erkannte. Dieser Mistkerl schoss eine Serie! Egal in welche Richtung ich mich wenden würde, eine Kugel würde meinen Mecha treffen… Wenn ich ein normaler Mecha-Pilot gewesen wäre. So aber riss ich den Beta aus der Schussbahn des heran rasenden Projektils. „Interessant. Scheint so, als hätte der da richtiges Scharfschützentraining absolviert. José, wie weit seid Ihr?“

„Wir sind weg. Du kannst auch verschwinden, El Magnifico.“

„Ich bin hier leider noch ein wenig beschäftigt. Sei so gut und bring meine Leute für mich in Sicherheit, ja? Ich werde später nachkommen.“

„Sei vorsichtig. Je länger du brauchst, desto mehr Verstärkung können die Argentinier heran bringen“, ermahnte mich der Toba.

„Das hast du gut erkannt, José“, erwiderte ich und sah dabei zu, wie der Gamma sich fallen ließ, dem Erdboden entgegen. Anscheinend wollte er sich einen guten Platz für seinen Sniper suchen.

„Oh nein, nicht mit mir, Schätzchen!“, blaffte ich und feuerte eine volle Raketensalve ab.

Den Deckschatten des Angriffs nutzte ich für eine Attacke.

***

Megumi sah die ankommenden Raketen schon lange bevor Chibi sie warnte. Ihre Augen erfassten die Spitzen der Kondensstreifen beinahe sofort. Der Computer richtete das Raketenabwehrsystem daran aus und begann zu feuern.

Drei Raketen entkamen dem Beschuss. Verdammt, das kronosische System war reichlich schwerfällig. Sie gab Schub auf die Manöverdüsen und glitt zwischen den letzten drei Raketen durch, die harmlos unter ihr im Wald explodierten.

Ihren Fehler erkannte sie erst, als sie instinktiv einen Arm hoch riss, um den Schlag mit der Hubschrauberkufe abzuwehren. „Was zum…?“

Der Beta war heran gekommen, hatte die Explosionen der eigenen Raketen als Tarnschirm genutzt. Und nun wollte er in den Clinch mit ihr.

Megumi setzte die Mündung ihrer Waffe auf dem gegnerischen Cockit auf. „Habe ich dich, du unvorsichtiger…“

Weiter kam sie nicht, denn der Beta ergriff den Lauf ihrer Waffe, riss diese mit sich und schleuderte sie mitsamt des Gammas über sich hinweg.

Megumi war überrascht. Sie hätte nicht zögern dürfen. Wenn sie einen zweiten Versuch bekam, schwor sie sich, würde sie zuerst feuern. Und dann würde sie ihn auffordern, sich zu ergeben.

**

Für einen winzigen Moment war ich überrascht. Ich hatte mich dem Gamma blitzschnell genähert, ihn attackiert. Und sofort danach hatte sich der gegnerische Pilot gefangen und setzte mir die Mündung seines Snipers auf die Cockpitpanzerung. Hatte der Kerl Eis in den Adern?

Wieder übernahm meine lange Erfahrung – ich ergriff die Waffe mit beiden Händen und schleuderte den Daishi über mich hinweg.

Ein schwieriges, aber sicher kein unmögliches Manöver

Dennoch ging fast sofort danach ein Ruck durch den Mecha. Blue markierte mir einen glatten Durchschuss in der linken Beindüse.

Ich warf mich herum, aber da war mein Gegner schon wieder heran, legte auf meinen Sensorkopf an und drückte ab.

Doch das hatte ich voraus gesehen. Ich ließ Blue sacken, hielt aber direkt auf den Gamma zu. Dann stieg ich auf, kreuzte beide Arme vor der Brust und als ich den Gamma passierte, zog ich sie auseinander. Das Snipergewehr wurde getroffen und fiel langsam in den Dschungel hinab.

„Tja, wären das hier Herkules-Schwerter und keine Hubschrauberkufen gewesen, wärst du jetzt tot“, bemerkte ich grinsend. Ich warf meine Maschine herum, erwartete einen Konterangriff. Aber der kam nicht. Der Gamma verharrte reglos in der Luft.

Ich fintierte, ließ Blue wieder fallen und wollte von halbrechts zustoßen. Aber auch das löste keine Reaktion aus.

„Was ist los? Keine Lust mehr?“, rief ich über Lautsprecher.

**

Megumi fühlte sich, als würde sie unter eiskaltes Wasser gedrückt werden. Dieser Angriff, diese Pose… Sie kannte sie genau! Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie der Hawk Blue Lightning einen Angriff auf einen Pulk Daishi Alpha flog, dabei die Herkules-Klingen gekreuzt hielt - und dann drastisch auseinander riss, mit dem Ergebnis, dass zwei Wracks mehr im Weltall herum taumelten.

Konnte das wahr sein? Ihre Augen suchten den Daishi, der sie umtanzte und gegen sie fintierte. Hatten diese verdammten Argentinier sie dazu gebracht, gegen den Mann zu kämpfen den sie eigentlich hatte retten wollen?

„Was ist los? Keine Lust mehr?“, hörte sie über Außenlautsprecher.

Ihr Herz machte einen Sprung, drohte ihr fast in der Brust zu platzen.

„AKIRA!“ Sie warf ihren Mecha herum, trieb ihn auf den Beta nieder und umklammerte die Maschine mit ihrem Gamma.

„Megumi?“, kam die ungläubige Antwort. „MEGUMI?“

„Akira“, schluchzte sie. „Ich habe dich so vermisst.“

„Können wir das erörtern, sobald wir nicht mehr mit acht Metern pro Sekunde in die Tiefe stürzen?“, fragte er.

**

Als der Daishi Gamma auf der Lichtung vor mir landete, gingen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Was war ich doch für ein Idiot. Ich hätte ihren unverwechselbaren Kampfstil erkennen sollen. Ihre Eloquenz, ihr Geschick, dass dem Mecha – egal welchem Modell – die Eleganz eines lebenden Menschen verlieh. Und was hatte ich stattdessen gemacht? Okay, ich hatte ihr Leben nicht direkt gefährdet. Aber wenn ich angegriffen hätte, während sie bewegungslos verharrt hatte – nicht auszudenken, was dann gewesen wäre.

Ihr Cockpit ging auf und sie kletterte hervor.

Für einen Moment kämpfte ich den übermächtigen Impuls nieder, mein eigenes Cockpit zu schließen und abzuhauen, weil ich mich immer noch nicht dazu bereit fühlte, ihr unter die Augen zu treten. Aber das war eine schlechte Idee. Sie hatte einen Gamma – und keine Skrupel, auf mich zu schießen.

Langsam schnallte ich mich ab und kletterte ebenfalls hervor.
 

Megumi nahm ihren Helm ab, warf ihn achtlos beiseite. Dann lag sie mir auch schon in den Armen. „Akira!“

Ich drückte sie an mich, genoss ihren Geruch, ihre Wärme, den zarten Klang ihrer Stimme.

Warum hatte ich Idiot nur so lange darauf verzichtet? Warum hatte ich sie nur so mies behandelt? War ein fast blindes Auge wirklich eine Rechtfertigung dafür? „Megumi“, hauchte ich. „Megumi, ich habe dich so vermisst.“

Sie sah mich an, in mein gesundes und mein weißes Auge. Ich dachte für einen Moment, sie würde etwas sagen wollen. Aber dann verschloss sie meinen Mund lediglich mit einem langen Kuss.

Ich glaubte überzuquellen vor Glück und Zufriedenheit. Und ich wollte mich nie wieder von diesem Flecken fort bewegen. Geschweige denn jemals wieder meine Arme öffnen.

Wie lange wir dort so standen konnte ich nicht sagen. Aber mein Grinsen musste wirklich peinlich ausgesehen haben, wenn sogar meine Megumi bei diesem Anblick lachen musste.

Sie legte den Kopf auf meine Brust und begann übergangslos zu weinen. Auch bei mir begannen die Tränen zu fließen. Mir wurde nur zu schwer bewusst, was ich uns beiden angetan hatte.

„Wenn ich diesen Luftwaffenoffizier in die Finger kriege“, murmelte sie leise und drückte sich noch ein wenig enger an mich. „Bringt mich dazu, auf meinen eigenen Freund zu schießen.“

Ich sah sie verblüfft an. „Du glaubst doch nicht etwa, dass die wussten, dass John Takei den Daishi Beta steuert?“

„Wovon träumst du eigentlich nachts?“, warf sie mir vor. „Genau das glaube ich. Denk doch mal nach. Wenn Mamoru richtig recherchiert hat, haben die Argentinier das Wrack des Shuttles mit Raketen beschossen, oder?“

Ich nickte. „Das ist richtig.“

„Gut. Also waren sie nicht hinter der Fracht her. Das Wertvollste an Bord aber war John Takei, der Top-Pilot der LMR. Stunden später haben die Guerilla plötzlich einen Daishi Beta, der außerdem von einem erfahrenen Piloten gesteuert wird. Eins und eins macht… Na?“

„Der Versuch, einen Top-Piloten durch einen anderen Top-Piloten ausschalten zu lassen. In dem Gamma hättest du mir theoretisch überlegen sein sollen“, murmelte ich leise.

„Was mir gerade einfällt. Hast du das Ding wirklich ohne Helm und Druckanzug geflogen?“, fragte sie und sah mich aus großen Augen an.

Verdammt, wie hatte sie eigentlich noch hübscher werden können?

„Ich liebe dich“, hauchte ich und gab ihr einen langen Kuss.

„Lenke nicht vom Thema ab“, warf sie mir lächelnd vor, machte aber keine Anstalten, den Kuss zu unterbrechen.

Ich seufzte schwer. „Es war halt kein Helm verfügbar.“

Megumi sah mich an, dann schüttelte sie den Kopf. „Das gibt es doch gar nicht. Da mache ich mir anderthalb Jahre lang Sorgen um diesen Mann und hoffe, dass er etwas Sinnvolles tut.

Und was macht er? Er macht John Takei zum besten Piloten der gesamten Erde. Besser als ich in einem Daishi Gamma mit Helm, besser als der legendäre Blue Lightning.“

In mir zerbrach etwas. Es war mir, als würde eine Glasphiole in tausend Scherben zerspringen. Es war kein Schmerz, nein, eher so als würde etwas passieren, was schon lange überfällig gewesen war. Besser als Blue Lightning. Ich hatte John so weit gekriegt, dass er einen besseren Ruf hatte als meine eigentliche Identität.

Ein Wohlgefühl ging mir durch Mark und Bein. Zusammen mit dem Gefühl, mein Mädchen im Arm zu halten wurde ich von meinen Emotionen beinahe weg geschwemmt.

Ich spürte, nun war ich wieder bereit, um in mein Leben zurückzukehren.
 

„Also, was machen wir jetzt?“, fragte Megumi gerade heraus. „Ich nehme an, das mit der Guerilla, die dich und die anderen gefangen genommen hat, war übertrieben?“

Ich nickte. „Wir sind Gäste. Oder glaubst du, die hätten mich sonst in ihren einzigen Mecha gelassen?“

„Verstehe. Also haben argentinische Hubschrauber euch beschossen. Und argentinische Truppen haben euer Lager angegriffen. Und es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn es ein Argentinier gewesen war, der den Daishi gesteuert hat, der euch vom Himmel geholt hat. Ich glaube, ich stehe auf der falschen Seite“, fasste sie zusammen.

Sie löste sich von mir und sammelte ihren Helm wieder auf. „Oberste Priorität hat nun sicherlich die Rettung der Kollegen von John Takei, oder? Anschließend sollten wir deine Gastgeber noch eine Zeitlang beschützen, bis sie untertauchen können. Und dann geht es ab nach Hause.“

Ich schüttelte den Kopf, trat neben sie und legte ihre eine Hand auf die Schulter. „Nein, Megumi. Ich werde vorher noch einmal zum Mond zurückkehren. Viele wichtige Projekte für Projekt Troja stehen kurz vor dem Abschluss, und ich will es aus erster Hand sehen.“

Megumi ließ den Kopf hängen. „Ich hatte mich aber schon drauf gefreut, dass du nach Hause kommst.“

Ich schmunzelte. „Es hat niemand gesagt, dass du mich nicht begleiten darfst, Megumi. Immerhin haben es jetzt nicht nur die Marodeure auf mich abgesehen. Da kann ich jede Hilfe brauchen, die ich kriegen kann.“

Sie sah mich wieder an und strahlte. „Na, das gefällt mir doch gleich viel besser. Also, steigen wir wieder in unsere Mechas und…“
 

Übergangslos sprintete ich los, passierte Megumi, ergriff dabei ihre linke Hand und zog sie mit mir. So schnell ich konnte, mit der jungen Frau im Schlepp, lief ich in den nahen Wald hinein. Hinter uns erklangen Explosionen, zwei, vier, acht, zwölf. Dann erklang der typische Überschallknall von zwei Kampfjets, die das Gelände überflogen. Eine Hitzewelle brandete über uns hinweg und ich konnte riechen, wie mein Haar zu schmoren begann.

Aber ich stoppte nicht, lief weiter, immer weiter.

„Napalm?“, rief Megumi entsetzt, sah aber nicht zurück, sondern konzentrierte sich voll auf ihren Weg. Ich schlug einen Haken und rannte nun im rechten Winkel zu unserem bisherigen Kurs. Wir waren noch keine hundert Meter weit gekommen, als hinter uns wieder eine Serie Explosionen erklangen und wieder Hitze über uns hinweg brandete. Diesmal war ein Irrtum ausgeschlossen. Meine Haare verschmorten in der Hitze.

Plötzlich verlor ich den Boden unter den Füßen und stürzte in die Tiefe. Ich fiel vier, fünf Meter, bevor eine Schräge aus Erde mich langsam abbremste, während es noch einmal zehn Meter bergab ging. Megumi stürzte auf mich und atemlos blieben wir eine Zeitlang liegen.

„Alles in Ordnung?“, fragte ich sie.

Die Elite-Pilotin nickte und nahm ihren Helm ab. Ich ergriff das Ding und warf es weit fort.

„Zieh dich aus!“, rief ich und begann mich aus meiner Uniformjacke zu schälen.

„Was, bitte? Willst du etwa hier…“

„Sie haben uns über deinen Helm wahrscheinlich belauscht. Und ich könnte es ihnen nicht einmal verdenken, wenn sie einen Peilsender im Anzug eingebaut haben.“

Mehr Worte bedurften es nicht. Megumi öffnete die Verschlüsse ihres Anzugs und legte ihn ab. Auch ihn warf ich weit weg.

Dann reichte ich ihr meine Jacke. „Tut mir Leid, mehr kann ich dir nicht anbieten.“

Mein Blick ging über ihren Körper. Sie trug nur noch Unterwäsche. Und die stand ihr wirklich gut. Kurz dachte ich daran, dass es das Risiko wert wäre.

„Idiot“, ermahnte ich mich selbst.

Megumi wurde rot, während sie meine Jacke anzog und schloss. „I-ich habe nur ganz kurz dran gedacht. Seit wann kannst du Gedanken lesen?“

Entsetzt sah ich sie an. „Du auch?“

Wir wechselten einen schnellen Blick, voller Verheißung und voller Versprechungen.
 

Ich erhob mich und stellte mich mit dem Rücken zu Megumi. „Hüpf auf. Ich habe leider keine Schuhe für dich und die Stiefel des Druckanzugs sollten wir besser nicht benutzen. Ich will nicht, dass du hier in irgendetwas Gefährliches trittst, und wir müssen hier so schnell wie möglich weg.“

„Aber sind wir nicht schneller, wenn ich auch laufe?“, fragte Megumi während sie mir auf den Rücken kletterte.

Ich ließ meine Haare von meinem KI aufleuchten. Meine Beine fühlten sich plötzlich ganz leicht an und das Gewicht meiner Freundin war nicht viel mehr als das einer Feder. „Vertrau mir, Schatz“, hauchte ich ihr zu und lief los.
 

6.

„Major Hatake, es tut mir Leid, aber ich überbringe schlechte Nachrichten. Colonel Uno wurde im Kampf gegen den Beta besiegt. Sie ist abgestürzt, wir konnten bisher noch nicht zu ihr vordringen. Ihr Gegner wurde während des Kampfes aber schwer angeschlagen. Eine wartende Staffel Jagdbomber hat ihn dann sofort unter Feuer genommen.“

„So, so, Captain“, murmelte Mamoru und stellte sich so, damit der Argentinier nicht sehen konnte, wie er heimlich die Sicherung seiner Dienstwaffe löste.

„Kommen Sie, kommen Sie, der General will Sie sehen und die weiteren Dinge besprechen. Kommen Sie, Major Hatake.“

„Bin schon dabei!“, rief Mamoru, riss seine Waffe hervor und schoss aus allernächster Nähe auf den verdutzten Offizier.

Dies war das Zeichen für die sechs Infanteristen, die um die nächste Ecke auf den UEMF-Offizier gelauert hatten, um anzugreifen.

Mamoru erschoss zwei von ihnen und verletzte einen dritten schwer. Dann ergriff er die Flucht durch den großen Hangar, aus dem Megumi gestartet war. Er entledigte sich seiner Jacke und seiner Dienstmütze, warf beides in eine Ecke und nahm danach die Außenmauer der Kaserne in Angriff. Er überwand sie, sprang vier Meter in die Tiefe und kam gut auf. Sehr schön. Einen verletzten Knöchel hätte er sich in seiner Situation auch kaum leisten können.

Er lief weiter, auf die Innenstadt zu. Mit der Linken löste er die Krawatte und warf sie fort, die Rechte öffnete das Hemd. Nun hatte er nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem strengen Offizier der UEMF, der mit Colonel Uno hier angekommen war.

Mamoru nahm eine Seitengasse, dann noch eine, bevor er sich in Allerseelenruhe an den Straßentisch eines Cafés setzte und einen Espresso bestellte.

Aus der linken Brusttasche zog er seine Sonnenbrille hervor, setzte sie auf und lehnte sich zurück. Zwei vorüber schlendernden Frauen zwinkerte er zu und erntete dafür ein leises Kichern.
 

Als der Espresso kam, zog Mamoru sein Handy hervor, wählte eine geheime Nummer und sagte nur ein einziges Wort: „Wespennest.“

Danach deaktivierte er es wieder und schaltete es ganz aus. Er würde es still und heimlich in irgendeinem Abfallbehälter entsorgen, damit es ihm nicht gefährlich werden konnte.

Mit dem Codewort, an eine Geheimdienstzelle hier in Buenos Aires gerichtet, hatte er nicht nur das Scheitern der ganzen Mission erklärt, er hatte auch mitgeteilt, dass die offiziellen Stellen der Argentinier durchwegs als feindlich anzusehen waren.

Sein nächster Schritt musste nun sein, das Land zu verlassen. Oder an einem sicheren Ort unterzutauchen. Sein Training als Geheimdienstoffizier übernahm nun das Kommando.

Konnte er sich einer Zelle des UEMF-Geheimdienstes anschließen? Die Kontaktmöglichkeiten hatte er ja. Oder doch lieber fliehen? In seinem Portemonnaie steckte genügend Barvermögen, um notfalls bis nach Japan zu kommen.

Aber das war nicht seine Mission. Er hatte auf Megumi aufpassen sollen, während sie Akira hatte retten sollen. War diese Mission nun gescheitert?

„Megumi“, hauchte er und trank einen Schluck von seinem Getränk, „wehe du lebst wirklich nicht mehr. Akira würde mir die Hölle heiß machen.“

Er trank aus, legte einen großzügigen Betrag auf den Tisch und stand auf. Während er dahin schlenderte, warf er heimlich sein Handy in einen Mülleimer.
 

7.

„Ich muss los!“, rief Kitsune und kämpfte verbissen gegen die Kraft von Yoshi und Yohko an.

„Warte, warte, warte! Warum willst du unbedingt nach Argentinien?“, wollte Yoshi wissen. Er hatte seine Kraft schon mit seinem KI verstärkt, aber dieser Dämon brachte ihn tatsächlich an seine Grenzen.

„Megumi ist in Gefahr, ich spüre es genau!“

Diese Information erschrak Yoshi und seine Freundin derart, dass sie beide los ließen. „Ist das sicher?“, rief Yoshi bestürzt.

In diesem Moment klingelten sein und Yohkos Handy. Beide nahmen an, hörten konzentriert zu und nickten dann. Sie sahen sich an, nickten wieder und ergriffen jeder eine Hand der Fuchsdämonin, um sie hinter sich her zu ziehen.

„Einsatzbefehl. Wir müssen nach Südamerika. Megumi ist verschwunden.“

„Nicht nur das“, merkte Yohko an. „Unser Rumtreiber ist auch wieder aufgetaucht. Und steckt natürlich wieder mal in den dicksten Schwierigkeiten.“
 

„Ich bin wieder da!“, rief Akari fröhlich. Und registrierte verwundert, wie die drei an ihr vorbei hasteten.

„Schuhe brauchst du gar nicht erst ausziehen. Du kommst auch mit“, sagte Yoshi ernst.

Akari legte ihre Schultasche ab und folgte den dreien nach draußen. Dort fuhr gerade eine Limousine der UEMF vor. „Ja, aber… Aber… Wohin?“

„Wir holen Megumi-chan und Akira-chan nach Hause“, verkündete Kitsune fröhlich.

„Warum sagt Ihr das denn nicht gleich?“, rief Akari aufgeregt.

**

„Es ist nicht deine Schuld“, hauchte Mable Shawn ins Ohr. „Es ist absolut nicht deine Schuld.“

Der Anführer der Marodeure besah sich die Bilder, welche ihnen aufbereitet von einem Hubschrauber der Luftwaffe übermittelt wurden. Verbrannter Urwald, zwei Daishis, die vollkommen verkohlt und von großer Hitze deformiert wie Mahnmale in den Himmel ragten. Und Dutzende Soldaten der Fallschirmjäger, die das Areal sicherten und in kleinen Gruppen in den Wald eindrangen.

„Das sage ich mir auch immer. Aber so was habe ich nicht gewollt.“ Seine Faust sauste nieder und landete schwer auf der Konsole vor sich. „Verdammt. Wir wollen doch nur so leben, wie wir es gerne wünschen. Ohne die UEMF und ihre Bevormundung. Ohne den einen Herrn gegen den nächsten einzutauschen.“

„Du vergisst unsere Rache an der UEMF“, warf Oliver Ryan ein.

„Rache?“, erwiderte Winslow. „Mit fünf Schiffen? Wenn du Selbstmordgelüste hast und auf jede Plattform ein Schiff abstürzen lässt vielleicht. Aber Rache…“

Shawn legte seinen Kopf auf beide Hände. „Nachdenken, los, nachdenken. Diese Situation ist unvorteilhaft, aber nutzbar. Das derzeitige Top-As der UEMF, Megumi Uno wird im Wald vermisst, angeblich getötet von einem Rebellen in einem Daishi Beta. Das aber wird John Takei gewesen sein. Mit ein wenig Glück haben sie die Angriffe mit dem Napalm nicht überlebt. Arh, was denke ich denn da? Mit Glück müssen sie gerade überlebt haben!“

Shawn sah wieder auf. „Unser Plan war zu hochtrabend. Mit Hilfe der Staaten, die nicht zur UEMF gehören einen eigenen Block zu formen, der zu eigenen Regeln das Weltall erobert, das war eine gute Idee, bis wir den Fehler machten, Politik zu betreiben. Bis die Argentinier sich diese Idee zu Eigen machten. Bis sie versuchten, daraus eine Vormachtstellung für ihr Land zu erarbeiten. Was sind wir denn jetzt noch? Bestenfalls Handlanger für sie! Und dafür opfern wir gute Leute und gefährden die Leben anderer guter Leute.“

„Es ist ja nicht gerade so, als gäbe es noch ein Zurück für uns“, warf Ryan ein,

Shawn Winslow nickte schwer. „Nein, das gibt es nicht. Also, zwei Top-Piloten sind gerade dabei durch den Dschungel zu kriechen. Die Argentinier sind am spielen mit ihnen und LMR in Armstrong ist relativ ungeschützt. Holen wir uns den Booster und die Baupläne. Und dann sollten wir uns mal ernsthaft mit China unterhalten!“

**

Eikichi Otomo musterte den Ausdruck in seiner Hand. Er beschrieb recht genau die Lage in der neuesten Krisenregion. Er wusste, ein falscher Schritt, eine Blöße oder auch nur der Ansatz einer Gelegenheit, und irgendjemand würde ihm in den Nacken springen.

Argentinien, ein hoch industrialisiertes Land, wagte nun also den Aufstand. Da es auf der Südhalbkugel lag, war es von den Angriffen der Kronosier weitestgehend geschützt gewesen. Es war deshalb niemals besonders stark in die UEMF integriert worden. Im Nachhinein war dies ein Fehler.

Laut dem Dossier in seiner Hand dienten zur Zeit lediglich vierhundertsiebzig Soldaten mit argentinischem Pass in der UEMF. Zu wenig, um in diesem Land eine tiefere Bindung mit der Verteidigungsfront aufzubauen.

Und selbst die geriet ins Wanken. Solange er seine Hand darauf hatte, wie die Güter von Mars und Mond in der Welt verkauft wurden, konnte er sie einigermaßen gerecht verteilen. Aber falls eines der Länder gierig wurde, die USA zum Beispiel, die bereits heute ein Viertel des Helium3 vom Mond für die Energiegewinnung verbrauchten, dann blieben ihm womöglich nur wenige Tage, bis die Koalition zerbrach.

Und mittelfristig würde dies dazu führen, dass sie wieder angreifbar wurden. Angreifbar für die Naguad.

„Abschaffen. Man sollte alle Staaten der Erde abschaffen“, knurrte Eikichi wütend.

Wespennest. Mamoru Hatake, der Sohn eines sehr guten Freundes von ihm, hatte Megumi-chan begleitet und in der Untersuchung unterstützt. Wenn der Sohn von Tate sagte, dass Argentinien als feindlich zu betrachten war, zweifelte er keine Sekunde daran, dass Mamoru Recht hatte.

Und zu allem Überfluss waren nun auch noch Megumi und Akira im Urwald verschwunden.

Eikichi nahm sein Telefon zu Hand. „Otomo hier. Besprechung in meinem Büro für den gesamten Stab in fünf Minuten. Die Direktoren sollen sich schon mal Gedanken wegen Argentinien machen. Üben wir zuviel Druck aus, müssen wir militärisch intervenieren. Üben wir zuwenig Druck aus, tanzen uns diese Tangofuzzies auf der Nase herum. Ach, und geben Sie Captain Ataka Bescheid. Er kann nach eigenem Ermessen mit seiner gemischten Kompanie eingreifen.“

Eikichi schaltete das Telefon wieder ab. Zuwenig Druck würden die Argentinier auf keinen Fall erhalten. Nicht mit einem besorgten Doitsu Ataka im Orbit, der nur zu bereit war, jederzeit einzugreifen, um seine Freunde zu beschützen.

„Hoffentlich war das nicht schon zuviel Druck“, murmelte Eikichi Otomo.

**

„Takei-sama“, hauchte Yamagata und sah nach Süden, wo dichte Rauchschwaden über dem Dschungel lagen.

„Dem geht es gut“, sagte Jackson, ergriff ihre Hände und zog sie mit. „Akira ist ein zäher Bursche. Der hat schon viel schlimmere Sachen überlebt.“

„Ja, aber hat er das überlebt?“, fragte die Japanerin mit Tränen in den Augen. „Akira?“

Fred Jackson brach in lautes Gelächter aus, als er die weit aufgerissenen Augen der jungen Technikerin sah. „Sag mal, bist du blind oder tust du nur so? Du bist doch nicht auf die gefärbten Haare und die Augenklappe reingefallen? Etwa doch?“

„Weiter, weiter, zum reden ist später noch Zeit“, drängte José sie voran.

„Du bist wirklich drauf reingefallen?“, hakte Fred nach.

„Äh“, machte sie und wurde rot. „Akira?“

„Akira Otomo. Der beste Mecha-Pilot, den die Menschheit hat. Übrigens auch der erste Mecha-Pilot. Hat euch Kronosiern von Anfang an ganz schön was eingeschenkt“, kommentierte Fred grinsend. „Und glaub mir, wenn er nicht aus so einer Situation wieder rauskommt, wer dann?“

„Was ist denn los? Warum kommt Ihr nicht nach?“, fragte Juri und trat zu den beiden heran. Kurz entschlossen half er Jackson beim ziehen der Technikerin.

„Ach, sie hat nur gerade herausgefunden, dass John Takei nur eine Tarnidentität war.“

Juri grinste breit. „Hat sie also tatsächlich Colonel Otomo erkannt?“

„Was? Du weißt es auch?“, klagte die Technikerin erschrocken.

Juri zuckte die Achseln. „Gleiche Größe, Wunde am rechten Auge, wo er bei diesem Attentat verletzt wurde, exzellenter Mecha-Pilot. Mädchen, ich wäre schwer enttäuscht gewesen, wenn er nicht Akira Otomo gewesen wäre. Aber halt die Klappe deswegen. Wir haben eine Regel bei LMR. Wer es herausfindet, der gibt es nicht weiter. Akira hat uns alle beschützt. Nun sind wir an der Reihe.“

„AAAH!“, rief Yamagata aufgeregt.

Die beiden Männer sahen sie erschrocken an. „Was hast du denn, Ai-chan?“, fragte Juri, unwillkürlich in Akiras Ansprache für die junge Frau fallend.

„Seine Freundin! Dann ist seine Freundin ja niemand anderes als Megumi Uno!“

„Das stimmt“, brummte Juri amüsiert. „Dieser verdammte Glückspilz.“

„So habe ich das nicht gemeint“, beschwerte sich Yamagata.

„Gut so. Sonst hätten wir uns noch Sorgen um dich machen müssen“, erwiderte Jackson zwinkernd. Er wechselte einen schnellen Blick mit Juri und wieder begannen beide zu ziehen.

„Otomo-sama“, hauchte Yamagata und starrte auf die Rauchwolken.
 

Epilog:

Es war stockdunkle Nacht. Ich wusste nicht, wie weit wir gelaufen waren, aber es mussten ein paar Kilometer gewesen sein, denn ich roch die Brände und das Napalm nicht mehr. Megumi und ich wagten es nicht, ein Feuer anzumachen, wir konnten zu schnell die falsche Fraktion anlocken. Außerdem wimmelte es rund um uns von kleinen Raubinsekten, Schlangen, Giftspinnen und bissigen Säugern. Alles in allem eine sehr ungemütliche Ecke, gerade für eine Rast.

Aber dennoch konnte ich mir keinen besseren Platz auf der Welt vorstellen. Nicht solange Megumi bei mir war.

Wir lagen auf der weichen Erde; meine KI-Energie hielt die meisten Schmarotzer auf Abstand. Nur die Mosquitos hatten mit meiner schwach glimmenden Aura kein Problem.

„Akira?“, fragte sie leise. Ich ließ meinen Blick über ihren Körper gleiten, der fast im Schatten verborgen war, obwohl sie direkt neben mir lag. Sie war tatsächlich noch ein kleines Stück gewachsen, ging es mir durch den Kopf.

„Akira?“, fragte sie wieder.

„Ja, Schatz?“

„Bist du jetzt drüber hinweg?“

„Du meinst über den Gedanken, ob ich ein Mörder bin? Nein. Das werde ich wohl nie schaffen“, murmelte ich leise. „Denn egal ob Soldat oder nicht. Jeder den ich töte bleibt ein Toter.“

„Oh“, machte Megumi leise und enttäuscht.

„Aber ich habe dafür ein neues Verständnis entwickelt, dass ich als John Takei kultiviert habe. Ich verstehe nun besser, was ich tue. Warum ich es tue. Ich meine, okay, manchmal war ich in der Vergangenheit gezwungen zu töten. Aber ich habe mich damit arrangiert. Ab und zu muss es einfach sein.

Dennoch habe ich, gerade ich, die herausragende Fähigkeit nicht töten zu müssen. Also gebe ich mein Bestes, jetzt und in Zukunft. Ich muss nicht in jedem Kampf töten.“

Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter. „Dann ist es ja gut. Dann kommst du also wirklich bald wieder nach Hause.“
 

„Akira?“, fragte sie nach einiger Zeit wieder.

„Ja, Schatz?“

„Dein Auge. Warum hast du Dai-Kuzo-sama oder Kitsune-chan nicht darum gebeten, es zu heilen?“

„Oh. Das haben sie und auch Okame-kun schon von sich aus angeboten“, murmelte ich leise. „Aber ich habe es abgelehnt.“

„Hä? Warum das denn?“, fragte sie erstaunt.

„Erstens, weil es mich daran erinnert, dass ausgerechnet ich nicht unverwundbar bin. Ein Mann der seine Arroganz nicht im Griff hat, ist so gut wie tot.

Und zweitens… Dai-Kuzo-sama hat mir auf dem Mars bereits das Leben geschenkt. Es… Es ist einfach vermessen, immer und immer wieder von ihr zu verlangen, für mich da zu sein. Vielleicht später einmal.“

„Oh.“
 

Megumis Magen begann zu knurren. Ich lachte dazu leise und fragte: „Soll ich uns nicht doch eine herrlich saftige Schlange fangen, die wir dann essen können, Megumi?“

Ihre Hände krallten sich in meinen Hemdkragen. „Unterstehe dich, mich hier auch nur eine Sekunde alleine zu lassen.“

Ich gab ihr einen Kuss. „Natürlich nicht.“

„Das Thema gefällt mir“, hauchte sie und küsste mich ebenfalls…



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Carnidia
2007-09-29T07:36:26+00:00 29.09.2007 09:36
Ich tät ja gern weiterlesen, aber ich muss los =>.<=
Familienfeste sind lääästig XD
Du musst aufpassen, dass dein Hauptchara nicht zur Mary Sue mutiert *find*
Das mit der Spinne war grad so an der Grenze. Ich persönlich hab zwar kein Problem mit Spinnen, aber einfach so ne Vogelspinne anzulangen würd ich mich jetzt nicht trauen. Zumindest nicht ohne einmal nachzufragen, ob das ungefährlich ist. ^.^°
Es fällt ihm manchmal schon gscheit (vorsicht Bayer!;) leicht, sich aus allen schwierigen Situationen heraus zu winden. Da ist es ab und zu schon vorhersehbar, wie er es schafft. ;)
Ich als Frau fänd es zum Beispiel schon mal cool, wenn ihm von Megumi im Kampf mit den Mecha der Hintern versohlt wird, kann ja nicht sein, dass er der einzige ist, der sich in den letzten Jahren weiterentwickelt hat ... ^.^
... auf der anderen Seite ist Perry Rhodan auch eine Erfolgsstory und da kommen Frauen nur vor, wenn sie sich kurz darauf in einen der Helden verlieben und heiraten oder sterben. (zumindest bis Buch 36, weiter bin ich noch nicht gekommen) XD
Am Besten hat mir an dem Kapi die Beschreibung der AURORA gefallen. Weiß nicht, aber das war das Kapitel von dem man am ehesten das Gefühl hatte, dass es zum Fortschreiten der Story am meisten Bedeutung hat. Ich mochte es irgendwie. ^.^°
Von: abgemeldet
2007-02-13T14:15:55+00:00 13.02.2007 15:15
Ok, auch in diesem Kapi: ERSTE. ^____-

wie immer. super spannend und recht lustig, wenn es nicht gerade actiongeladen ist.


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