Zum Inhalt der Seite

Bis du mein bist...

- edited version -
von
Koautor:  BloodyRubin

Vorwort zu diesem Kapitel:
Für alle, die sich fragen, woher Saladirs "Abendgarderobe" kommt:
https://www.youtube.com/watch?v=JW49iK-crwY bei 3:24 ^^ Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

In der Fremde

Er hätte nicht herkommen dürfen.

Diese Erkenntnis verfolgte Saladir schon seit einiger Zeit. Was hatte ihn nur dazu getrieben, ausgerechnet hier – an der Grenze – aufzutauchen? War es die Tatsache, dass sein Vater, der König der Lythari, schwer krank und er, der zweite Prinz, auf der Suche nach einem Heilmittel war? Einem, das vielleicht gar nicht mehr existierte? Vielleicht.

Dennoch spürte der junge Lythari, dass er in Lebensgefahr war, wenn man ihn hier entdeckte. Er musste komplett wahnsinnig sein. Wahnsinnig vor Verzweiflung und Sorge. Dass er inzwischen der Letzte war, der von seiner Eskorte noch lebte, half da auch nicht weiter.

Zu Beginn waren sie fünfzehn Leute gewesen, doch alle seine Kameraden waren entweder der unbarmherzigen Natur oder den Wesen von Kerui zum Opfer gefallen. Saladir erinnerte sich sehr genau an die Wüste, die sie durchquert hatten, wo zwei seiner Männer von einem Sandsturm einfach spurlos verschluckt worden waren. Einige Tage später hatten sie sich durch einen Dschungel gekämpft, wo sie von fleischfressenden Pflanzen angegriffen worden waren. Es war reines Glück gewesen, dass sie dort nur jenen Lythari verloren hatten, der sich schützend über Saladir geworfen hatte, als die Pflanze mit ihren Wurzeln nach ihm griff. Die Erinnerung an die Schmerzensschreie des Mannes, der im Inneren einer riesigen gelben Orchideenblüte allmählich verdaut wurde, hallte immer noch in den Ohren des jungen Prinzen wider.

Dieser Umstand und die unerwarteten Gefahren der Suche entbehrten nicht einer gewissen Ironie, denn eigentlich hätte er gar nicht mitreisen sollen. Doch als zweiter Prinz hatte Saladir es als seine Aufgabe angesehen, die Truppe anzuführen, obwohl ihn sein älterer Bruder Athavar und zuvor schon der gesamte Ministerrat davon hatten abhalten wollen. Kurz bevor die Männer aufgebrochen waren und Saladir angekündigt hatte, sie zu begleiten, war es deswegen zwischen den beiden Brüder zu einem heftigen Streit gekommen.

„Du kannst nicht gehen! Dein Platz ist hier an Vaters Seite, während ich als Kronprinz die Amtsgeschäfte für ihn übernehme.“

„Nein! Ich kann hier nicht herumsitzen und nichts tun!“

„Saladir...“

„Nein!“

„Deine Gesellschaft wird Vater Kraft geben, bis die Soldaten mit den Nachtrosen zurück sind...“

„Ich werde hier nicht tatenlos herumsitzen! Ich werde den Trupp anführen!“

Er schüttelte den Kopf, um die unangenehmen Gedanken zu verbannen. So geräuschlos wie möglich schlich der junge Elf weiter, nachdem er sich erneut umgeschaut hatte. Es war beinahe Mitternacht... eine Zeit die ihm, so glaubte er nun, nichts Gutes verheißen konnte. Der Wind frischte auf, und der Lythari blieb kurz stehen, um sich eine Strähne seiner hellblauen Haare aus dem Gesicht zu streichen, die inzwischen unangenehm lang geworden waren. Er durfte sich nicht ablenken lassen.

Saladir hatte fast acht Tage gebraucht, um die Stelle zu finden, an der er sich jetzt befand. Die Bergkette vor ihm zu erklimmen, war nicht das Problem gewesen. Das Problem ergab sich auf der anderen Seite, wo ein Abstieg nur in einer Lawine von Geröll endete, die ihn gnadenlos verschütten würde. Schon das versehentliche Lostreten kleinerer Kiesel einige Tage vorher hatte zu einem einschüchternden Resultat geführt, das der junge Elf nicht wiederholen wollte. Also hatte er gesucht, um eine Lösung zu finden, die ihn nicht das Leben kosten würde. Eine weniger steile, flacher abfallende Stelle, ein mit Bäumen bewachsener Abhang... irgendetwas, durch das er lebend auf der anderen Seite ankam, selbst wenn er abstürzen sollte. Saladir war nicht wählerisch und schließlich hatte Glück er gehabt: Vor ihm lag nun – hinter einer schmalen Felsspalte verborgen – ein Durchgang in das von Bergen regelrecht umschlossene Reich der Naralfir.

Die Naralfir waren Dämonen, die in ganz Kerui für ihre Grausamkeit und Blutrünstigkeit gefürchtet waren. Sie waren der Inbegriff für alles Böse und schreckten vor nichts zurück, um dies jedem zu beweisen, der ihr Missfallen erregte. Die Geschichtsbücher erzählten, dass ihr Reich entstanden war, als nach einem gewaltigen Erdbeben ein Vulkan explodiert war und das umliegende Land mit seiner Lava völlig bedeckt hatte. Unzählige Tausend waren bei dieser Katastrophe umgekommen – und seitdem galt das Land als verflucht. Die Naralfir hielten sich andere Rassen als Sklaven oder Nahrung, hieß es weiter, und ihre Magie war so dunkel, dass selbst die Gesetze der Natur von ihr aus den Angeln gehoben wurden. Außerdem war es bei ihnen Brauch, denjenigen zum König zu machen, der den herrschenden König umbrachte.

Schon seit Anbeginn der Zeit waren die Lythari und die Naralfir verfeindet, auch wenn der Grund für diese Feindschaft im Lauf der Geschichte verlorengegangen war. Von den Ministern und Generälen seines Vaters hatte Saladir gehört, dass es an der Grenze immer wieder zu Gefechten kam, bei denen Lytharis grausam hingemetzelt wurden. Wenn die Naralfir also ihn, einen Abkömmling der Herrscherlinie ihrer Erzfeinde, an der Grenze des Reiches erwischten, würde er auch sterben. Zumindest wenn er Glück hatte...

Der Lythari musterte die unscheinbare Felsspalte, durch die er sich quetschen musste. Keine Soldaten oder Wachtürme weit und breit… seltsam.

Die silbergrauen Augen Saladirs verengten sich. Fühlten sich die Dämonen dermaßen sicher, dass niemand freiwillig herkommen würde? Die gesamte Gegend, so weit er sehen konnte, war verlassen. Gras wuchs nur in kleinen, halbverdorrten Büscheln, die Bäume waren windschief und morsch. Kleine Käfer und Eidechsen huschten über den ausgetrockneten Boden. Dem Ängstlichen schien es, als habe selbst die Natur Furcht vor dem, was sich am anderen Ende des Tunnels verbarg.

Nun, in dem Punkt hatten die Naralfir Recht: Keiner, der noch ganz bei Trost war, wagte sich auch nur in die Nähe dieses unheiligen Ortes und seiner barbarischen Bewohner. Keiner... bis auf einen jungen Lythari, dem in seiner Ratlosigkeit nur noch der Feind Heilung für seinen Vater versprach.

Wenn Rarya wüsste, was er im Begriff war zu tun, hätte sie ihn vor Zorn über seinen Leichtsinn geschüttelt. Rarya... seine geliebte Rarya... Sie hatte ihn begleiten wollen, doch das hatte Saladir entschieden abgelehnt. Obwohl er zugeben musste, dass er die Dauer seiner Suche unterschätzt hatte, genauso wie die Gefahren, denen er begegnet war – hätte Rarya ihn in den letzten drei Monaten begleitet, hätte Saladir sich wohl kaum noch auf diese selbst auferlegte Aufgabe konzentrieren können...

Der Lythari streckte noch einmal schnell den Rücken durch, spannte die Muskeln an und atmete tief ein, dann presste er sich durch den schmalen Eingang...

... und atmete erleichtert auf, als er am anderen Ende der Felsspalte angekommen war. Das schroffe Gestein hatte ihm den Reisemantel an Schulter und Ärmeln zerrissen; kurz vor dem Ausgang hatte er sogar fürchten müssen, steckenzubleiben. Nun nahm er einen fauligen Geruch wahr, den er zuerst nicht zuordnen konnte. Als er einen Schritt nach vorn machte und es unter seinem Stiefel knacken hörte, erkannte er den Ursprung: Aas...

Er hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht angewidert aufzuschreien und den Brechreiz zu unterdrücken. Der Drang umzukehren wurde so stark, dass Saladir tatsächlich beinahe kehrtgemacht hätte. Der Wind fegte mit einem seltsam jaulenden Heulen über das Land und zerriss die dunklen Wolken in Fetzen, die wie Leichentücher über den blutroten Mond flatterten. Der größere Mond, der ein wenig mehr Licht hätte spenden können, blieb in einer Nacht wie dieser hinter seinem kleineren Bruder verborgen, als fürchte er sich, hinab auf die Erde zu schauen.

Saladir konnte es ihm nicht verübeln. Kein Nachtgetier und kein Vogel war zu hören und die Schatten, die das spärliche Licht noch zu erzeugen vermochte, wirkten wie Schatten aus der Unterwelt, die ein unheimliches Eigenleben führten.

Der Lythari schauderte und spürte seinen Herzschlag im Hals. Er konnte nur hoffen, dass er hier fand, wonach er suchte: Die Nachtrose. Sie war unglaublich selten und während seiner Odyssee durch Kerui hatte Saladir niemanden gefunden, der mehr als ein paar Gerüchte über sie gehört hatte, die teilweise sogar einander widersprachen.

Nur in einem Punkt hatten alle übereingestimmt, nämlich dem, dass die Nachtrose nur noch in dieser Gegend zu finden war. Ihre heilende Wirkung war legendär – was beinah zur völligen Ausrottung der Pflanze geführt hatte – und viele hatten auf der Suche nach ihr entweder ihren Verstand oder ihr Leben verloren. Doch nur sie würde das vollbringen, woran alle anderen Mittel gescheitert waren: Den alten König der Lythari zu heilen. Er musste überleben.

Die Felsspalte hinter sich lassend, drang Saladir immer weiter in das Reich der Naralfir vor. Links von ihm verlor sich die Landschaft in der Dunkelheit, was ihn vermuten ließ, dass es dort steil bergab ging. Vor ihm erstreckte sich eine trockene, felsige Steppe, die rechts in einen tiefen pechschwarzen Wald mündete und auf den jungen Elf furchteinflößend wirkte. Doch alles Zögern und Zaudern brachten nichts, und so schlich der heimliche Besucher langsam auf den Waldrand zu, während er immer wieder zögernd innehielt, sich umschaute und horchte. Dabei hatte er das Gefühl, man könnte ihn bereits meilenweit riechen, denn die matschigen Überreste an seinem Stiefel hatte Saladir nur notdürftig entfernen können, weil kein Fluss in der Nähe war. Anfassen wollte er den stinkenden Brei auf keinen Fall...

Jede Faser seines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Die Abgeschiedenheit und absolute Einsamkeit machten ihn immer nervöser und auch die Abwesenheit von Grenzposten bereitete ihm immer größere Sorgen. Wo waren sie? Hatten sie den Eindringling vielleicht schon entdeckt und beobachteten ihn jetzt, jederzeit bereit anzugreifen? Nein, dann wäre er schon tot. Aber der junge Prinz klammerte sich verzweifelt an die Hoffnung, dass er bald fand, wonach er suchte und unbemerkt umkehren konnte.

Es dauerte eine Weile, bis er den Waldrand erreicht hatte. Die Bäume schienen sich endlos in Richtung Himmel zu erstrecken. Saladir wagte es nicht, eine kleine Flamme zu entzünden, aus Angst entdeckt zu werden und verließ sich auf den unregelmäßig auftauchenden Mond, der diese tintengleiche Finsternis mit etwas Licht erhellte. Je weiter er voranschritt, desto dichter wurde der Wald, und oft musste er sein Schwert benutzen, um einen schmalen Weg durch Bäume und Gestrüpp zu schlagen. Das Rascheln der Blätter und das gelegentliche Knacken eines Astes trugen nicht gerade dazu bei, dass er sich beruhigte. Angespannt blickte der Lythari sich immer wieder um und befürchtete jeden Augenblick, von einer der Kreaturen, die in diesem Wald lebten, angefallen zu werden.

Seine Nervosität wuchs ins Unerträgliche, als ihm seine verlorenen Kameraden wieder in den Sinn kamen. Tonadier hatte am längsten von allen durchgehalten, doch nachdem ihm ein fliegendes Ungetüm die Brust durch die Rüstung bis auf den Knochen aufgerissen hatte, hatte Saladir auch auf die Begleitung seines Hauptmannes verzichten müssen.

„Bitte, Hoheit... Ihr dürft... nicht weiter“, hatte er keuchend gefleht und seine blutverschmierten Finger in Saladirs Oberarm gekrallt. „Ihr habt... es versucht und seid... gescheitert... Werft Euer Leben... nicht weg, sondern kehrt um... Helft eurem Bruder bei... der schweren Aufgabe, die... vor ihm liegt... Steht ihm bei.“

Die folgenden Worte waren Saladir schwergefallen, schienen sie ihm doch wie ein Verrat am Tod seiner Gefährten.

„Ich kann nicht umkehren, Hauptmann. Nicht so kurz vor dem Ziel.“

„Aber die Naralfir...“

„Ich werde keinem von ihnen lebend in die Hände fallen.“

„Königliche Hoheit... Das ist Wahnsinn...“

„Ich werde gehen, Tonadir. Ich bin aufgebrochen, um ein Heilmittel für meinen Vater zu finden und werde kurz vor dem Ziel meiner Suche nicht aufgeben...“

Flügelschlagen und ein dröhnendes Kreischen brachten Saladirs abschweifende Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Irgendetwas knackte unweit von ihm Gehölz, etwas Großes – doch in der Dunkelheit war nichts zu entdecken. Das Geräusch kam näher und das kurz darauf folgende Aufjaulen bescherte ihm eine Gänsehaut. Hektisch und fast blind stolperte der junge Prinz nach vorn, um dem zu entkommen, was auch immer da seine Fährte aufgenommen haben mochte. Doch gerade, als er begann, die Nerven zu verlieren, bemerkte er ein schwaches, rötliches Licht. Saladirs taumelnde Schritte wurden schneller. Eine Lichtung!

Wieder erscholl dieses schauerliche Kreischen, dieses Mal direkt hinter ihm. Der junge Lythari wirbelte herum und starrte kurz in zwei goldglühende Augen, dann stürzte das Wesen auf ihn herab. Von den Geschehnissen der Reise geprägt handelte Saladir rein instinktiv und warf sich gerade noch rechtzeitig zu Boden. Etwas zischte direkt über ihm durch die Luft. Er hob den Blick und erkannte eine dunkle Silhouette. Ein gewaltiger Uhu schlug drohend mit seinen Flügeln, wobei er ein enttäuschtes Kreischen von sich gab. Dann flog das Tier einen engen Bogen über die Lichtung und stürzte wieder auf Saladir herab. Doch ehe es diesen erreichte, krachte es zu Boden, überschlug sich und blieb schließlich reglos liegen.

Verblüfft und erschrocken taumelte der Lythari ein paar Schritte zurück, die Faust auf sein rasendes Herz gepresst. Hektisch schaute er sich um, bevor er mitten auf der Lichtung etwas entdeckte, das ihn erleichtert aufatmen lies: Blühende Nachtrosensträucher. Einen, zwei, fünf... viel mehr als er brauchte. Staunend trat Saladir näher. Er war am Ziel seiner Reise angekommen.

Nun verstand er auch, woher diese Blume ihren Namen hatte. Sie hatte das Aussehen einer pechschwarzen Rose, deren Blütenblätter nach innen hin blutrot wurden und in der Dunkelheit schwach leuchteten. Dass eine solche Schönheit in einem so finsteren Reich blühte, faszinierte den Lythari ungemein. Behutsam ging er neben einer der Nachtrosen in die Knie, zückte einen kleinen, scharfen Dolch und schnitt die Blüte vorsichtig am Stiel ab. Diese Prozedur wiederholte er noch bei zwei weiteren Rosen, ehe er den Dolch wieder zurücksteckte und seine Beute ehrfürchtig zwischen den Fingern drehte, um sie zu bewundern.

„Sieh an, sieh an, was haben wir denn da? Einen Eindringling, der glaubt, er könnte uns bestehlen“, ertönte hinter ihm eine Stimme, und Saladir riss sein Schwert mit der freien Hand aus der Scheide.

In Gefangenschaft

Er wirbelte herum und fand sich plötzlich umzingelt von fünf Gestalten, die mit geladenen Armbrüsten auf ihn zielten.

„Ein Mondelf. Du scheinst ja mit deinem Leben bereits abgeschlossen zu haben“, sagte jener hämisch, der bereits eben gesprochen hatte, und ein kaltes Lächeln trat in sein finsteres Gesicht.

„Ihr macht mir keine Angst“, erwiderte Saladir mit fester Stimme und mutiger, als er sich fühlte. „Ich bin Saladir, zweiter Sohn Rateshvars, des Königs der Lythari, und werde jeden von euch zur Hölle schicken, der es wagt, mir zu nahe zu kommen.“

„Ein Lügner ist er auch noch“, zischte ein anderer. „Wohin willst du den Pfeil haben? Kopf oder Herz?“

„Können wir ihn essen?“, fragte ein dritter.

„Wie schmeckt denn Mondelf, Kylaf?“

„Vergiss es Tradui, der stinkt. So was ess‘ ich nicht...“

„Ich will sein Schwert, wenn er tot ist!“

„Ich seinen Mantel!“

„Du spinnst wohl, Akal! Ich hab‘ mehr Anrecht darauf!“

„Ach, und wieso?“, widersprach dieser und stieß mit der Armbrust nach seinem neben ihm stehenden Gefährten.

„Akal, Fenach! Genug!“, erklang eine neue Stimme.

Aus dem Dunkel der Nacht erschien ein weiterer Mann, der einen flackernden Ball aus Feuer in der Hand hielt. Saladir erkannte sofort, dass dieser zwar ein Naralfir, aber anders als die restlichen Dämonen war: Kaum war seine Stimme erklungen, wichen die anderen ehrfürchtig ein wenig zur Seite, ohne dabei ihre Waffen zu senken. Saladir erkannte entsetzt, dass er offenbar in eine Falle getappt war.

Der Neuankömmling hatte längeres, purpurfarbenes Haar als der Rest seiner Begleiter, das ihm bis über die Schultern fiel. Sein fein geschnittenes Gesicht wurde wie bei den anderen von hellroten Augen dominiert und an seinen spitzen Ohren – die nur etwas kürzer als die eines Lythari waren – glänzten unzählige silberne Ringe. Im Gegensatz zu den knielangen, mit Pelz besetzten Ledermänteln der Umstehenden trug er einen langen, schwarzen Mantel aus einem Samt ähnlichem Stoff, auf den mit Silberfäden geheimnisvolle Muster gestickt waren, sowie schwarze Hosen und Stiefel. An seiner Seite hing ein kostbar aussehendes Langschwert. Außerdem war er der Einzige auf einem Kissard, einer abscheulichen Mischung aus Pferd und Eidechse.

Das kühle Lächeln im Gesicht dieses Naralfirs verhieß allerdings nichts Gutes. Alles in Saladir schrie danach, sofort wegzurennen und erst stehenzubleiben, wenn er seine sichere Heimat wieder erreicht hatte, doch er konnte sich nicht bewegen. Für scheinbar endlose Momente blickten sich die beiden Erzfeinde direkt in die Augen, dann stieg der Reiter ab und kam auf Saladir zu. Er tat es mit einer Selbstverständlichkeit, die ihresgleichen suchte, gerade so, als würde ihm das auf ihn gerichtete Schwert nicht das Geringste anhaben können. Direkt vor dem jungen Elf blieb er stehen und ließ seinen Blick über diesen wandern. Der Prinz fühlte sich wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.

„Was hat denn ein Prinz hier ganz allein verloren? Sollte ein solcher es nicht eigentlich besser wissen, als Feinden zu verraten, wer er ist? Falls es wirklich stimmt, natürlich.“

Die Stimme war nicht sehr tief, aber sie hatte etwas zutiefst Beunruhigendes an sich. Saladir schaffte es nicht, etwas zu antworten: Er war zu sehr in seiner Starre gefangen, als etwas anderes tun zu können, als haltlos zu zittern. Der Naralfir seufzte kopfschüttelnd, ehe er nach dem Lythari griff und dessen Hand mit den Rosenblüten nachdenklich musterte. Saladir fröstelte unter der Berührung.

„Du sagst vermutlich tatsächlich die Wahrheit“, riss ihn die Stimme des Naralfirs in die Wirklichkeit zurück. „Ein Ring mit dem königlichen Siegel – oder bist du nur ein sehr geschickter Dieb?“

Immer noch lag das kühle Lächeln auf seinen Lippen, doch nun wurde es breiter. Die Panik des Prinzen nahm zu. Mochte sein Verstand ihm auch befehlen, sofort zu flüchten – seine Füße schienen mit dem Boden verwachsen zu sein.

„Gut... Ich bin Azul, König der Naralfir. Sag‘ mir, kleiner Dieb... Was mache ich jetzt mit dir? Was denkst du, wird dein Vater, der "König", mir wohl im Austausch für dich geben?“

„I-ich we-weiß nicht... Was wo-wollt Ihr de-denn haben?“, stammelte Saladir heiser.

„Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe mehr Gold, Juwelen und Sklaven, als ich zählen kann... Aber ich bin sicher, mir wird noch etwas einfallen.“

Damit ließ Azul den Feuerball zum Schwert des Lytharis fliegen. Kaum hatte dieser die Klinge berührt, schmolz es und ließ nur einen unbrauchbaren Klumpen Metall zurück. Mit einem leisen Fluch ließ Saladir es fallen und schüttelte die verbrannte Hand, bevor er ungeschickt seine Feldflasche vom Gürtel zerrte und das Wasser daraus über die Handfläche goss. Der König der Naralfir hingegen drehte sich um, ging zu seinem Kissard und stieg auf.

„Nehmt ihn gefangen!“, befahl er noch und ritt davon.

Saladir versuchte gar nicht erst, sich zu wehren. Sein Dolch würde den Naralfir nichts anhaben können. Zudem waren sie in der Überzahl und bedrohten ihn noch immer mit ihren Armbrüsten. Widerstandslos ließ er zu, dass ihm die Nachtrosen, sein Reisegepäck und seine übrigen Waffen abgenommen wurden. Dann fesselten ihm die Soldaten die Hände hinter seinem Rücken und führten ihn hinaus aus dem Wald, einem unbekannten Schicksal entgegen...

Der Weg führte über eine endlos weite, grüne Ebene, an einem Fluss entlang, den die Händler den „Strom der Verdammten“ nannten, weil aufgewirbelter roter Lehm vom Grund das Wasser nach heftigen Regenfällen blutig erscheinen ließ. Es schmeckte ledrig, nach altem Gras und aufgeweichten Blättern, wenn Saladir die Gelegenheit bekam, etwas zu trinken... wofür er sich bäuchlings in das Gras am Ufer legen musste, weil die Naralfir sich weigerten, ihm etwas aus ihren Feldflaschen zu geben.

Der Boden selbst war karg, und unter einer dünnen Schicht Erde befand sich oft harter Fels, erkannte der Lythari, der die üppige Farbenpracht von Wildblumen und sanft im Wind rauschende Bäume gewohnt war, die so manches verborgene Plätzchen für vertrauliche Zweisamkeit boten. Im Reich der Naralfir gab es nichts als Gras und einschüchternd hohe Felsvorsprünge, die sich spitz zulaufend wie Zähne über das Land erhoben, als befände sich die kleine Gruppe im Rachen eines riesigen, toten Tieres. Mächtige Wolkenberge warfen oft dunkle Schatten auf den Boden wie vor einem Gewitter, gegen die sich die Sonne nur schwer durchsetzen konnte.

Den Naralfir in der Begleitung ihres Königs schien es nichts auszumachen, stumpfsinnig hinter diesem herzutrotten und dabei ein riesiges, allmählich stinkendes Ungetüm mit sich zu schleppen. Saladir hingegen war tagelange Fußmärsche nicht gewohnt. Ihm tat alles weh, nicht nur die Füße, sondern auch seine inzwischen tauben Hände und die überdehnten Schultern. Seine Handgelenke und Unterarme waren von den trockenen Lederbändern wundgescheuert, und seine Muskeln brannten von der verkrampften Schlafstellung, in die ihn die Fesselung zwang.

Saladirs Rücken hatte blaue Flecken von den Stößen mit den Armbrüsten der Männer, wenn er ihrer Meinung nach wieder zu langsam lief. Durch die Fetzen seines Reisemantels hindurch waren seine Oberarme zerschnitten und mit Blut verkrustet, weil er bereits mehrfach gestürzt und der Stoff dort gerissen war.

König Azul schien ihn vergessen zu haben, denn er schaute nach vorn, den Blick der roten Augen immer in die Ferne gerichtet. Hoch aufgerichtet saß er auf dem Kissard, und wenn der Saladir ihn nicht für jemanden hätte halten müssen, dem er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, hätte er seine edle Haltung bewundert. Frauen mussten sich darum reißen, das Bett dieses Mannes zu teilen... ein Bett, das ihm nachts in einem Zelt auf Fellen bereitet wurde, während Saladir ohne Decke und immer noch gefesselt mit dem nackten Boden vorlieb nehmen musste. Die scharfen Grashalme schnitten in sein Gesicht, und der Hunger hielt den Prinzen wach, bis ihn schließlich die pure Erschöpfung in einen kurzen Schlaf zwang...

Wieder bekam Saladir einen Tritt in den Rücken und taumelte, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Richtig, am Morgen bevor er in dieses verfluchte Reich gegangen war. Die Naralfir schleppten zwar den riesigen Vogelkadaver, den sie im Wald erlegt hatten, mit sich, aber Saladir war sich nicht sicher, ob als Wegzehrung oder als Jagdtrophäe. Ob sie ihn wohl eher verhungern lassen oder ihn zu Tode foltern würden? Der Lythari vermutete Letztes, auch als sein Magen vernehmlich knurrte.

„Majestät, der Dieb stinkt erbärmlich! Sollten wir ihn nicht wenigstens mal kurz ins Wasser schmeißen, bevor wir ankommen?“, fragte plötzlich einer der Jagdgesellschaft hinter ihm.

„Genau, sonst verpestet er das ganze Schloss!“, rief ein anderer, und Saladir spürte am Rucken seiner Fesseln, wie dieser die Arme nach oben riss.

Azul hielt blickte nur kurz nach hinten über seine Schulter.

„Warum sollte es mich interessieren, wie ein Dieb riecht, wenn er sowieso im Kerker landet?“, fragte er kalt, und Saladir zuckte zusammen.

„Na jaaa... der Wind weht grad‘ von vorne, und wir kriegen den ganzen Gestank ab, weil wir hinter Euch und ihm her laufen...“ Wieder bewegten sich die Fesseln, als der Sprecher heftig gestikulierte. „Das Ding riecht furchtbar nach Aas und auf unserem Weg liegt doch ein See, wo wir auch die Wasserflaschen auffüllen könnten...“

„Iiih, Akal. Du willst Wasser trinken, in dem ein Mondelf war? Du bist ja pervers!“

„Halt' die Schnauze, Fenach! Natürlich füll‘ ich die Flaschen vorher auf, du verblödeter Idiot!“

Saladir wagte es nicht, sich zu rühren. Auch als die beiden Soldaten anfingen, sich zu prügeln und Akal ihn nach hinten umriss, weil er seinen Gegenüber ansprang, ohne die Fesseln loszulassen. Der Schmerz des Aufpralls presste ihm die Luft aus den Lungen, doch er biss die Zähne zusammen. Er wusste nichts über den Herrscher der Naralfir, doch er wusste, dass er sich hier keine Schwächen erlauben durfte.

„Und wenn er wegläuft?“, hörte er Fenachs wutentbrannte Stimme. „Willst du ihn etwa dann wieder einfangen? Seine Majestät wird dich kaltmachen!“

„Der vollgeschissene Elf kommt sowieso nicht weit!“, entgegnete Akal fauchend. „Wo soll er denn hin?“

„Was weiß denn ich? Wir sollten ihm wenigstens die Achillessehnen durchschneiden!“

„Damit er im See absäuft? Oder willst du den Bastard den ganzen Rückweg lang tragen? Ist dir der Kauz auf den Kopf gefallen?“

Saladir lief es eiskalt den Rücken herunter, und er bemühte sich, sein Zittern zu unterdrücken, damit die Naralfir nicht merkten, wie viel Angst ihm ihre Worte machten. Besonders Akal und Fenach waren schlimmer als jedes Gerücht, das er bisher gehört hatte.

„Möchtest du ein Bad nehmen bevor wir ankommen, kleiner Dieb?“, war auf einmal Azuls Stimme trügerisch sanft zu hören.

Entsetzt und erschrocken riss Saladir den Kopf herum, und sein Blick traf auf rote Augen, deren Intensität ihn zu erstechen schien. Was sollte er darauf erwidern? War nicht jede Antwort ein Fehler? Wenn er sowieso sterben würde, war es doch egal, ob er schmutzig war oder nicht.

Aber der Gedanke an Wasser erschien ihm wie das Paradies: Die vor Dreck starrenden Kleider ausziehen, die brennenden Wunden kühlen und den Schmutz abwaschen... etwas trinken, in das nicht vorher jemand hineingespuckt hatte oder absichtlich Dreck aufgewirbelt hatte, der zwischen den Zähnen knirschte...

Azul lachte, als hätte er seine Gedanken gelesen, und Saladir verkniff sich eine bissige Bemerkung. Mit Fesseln würde er sicher nicht ins Wasser steigen: Die Naralfir würden ihn losmachen müssen. Ein See bot vielleicht eine Möglichkeit zur Flucht...

Im nächsten Moment krachte ein Stiefeltritt in seine Seite. Noch bevor dem jungen Elf klar wurde, wie ihm geschah, stürzte eiskaltes Wasser über ihm zusammen. Strampelnd und keuchend kam er nur mit Mühe wieder an die Oberfläche. Glücklicherweise war das Wasser nur so tief, dass es bis an seine Hüften reichte und er stehen konnte. Saladir hustete, während sein Herz vor Schreck raste.

„Ugrui, das war geil!“

„Aber jetzt sind deine Stiefel verseucht.“

Akal und Fenach hatten aufgehört sich zu streiten und starrten ihren Kameraden bewundernd an. Ugrui zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Wenigstens stinkt er jetzt nich‘ mehr“, sagte er nur und machte sich daran, an einer seichten Stelle die Wasserflaschen aufzufüllen.

„Kylaf, mach‘ ihm die Fesseln ab und hilf ihm!“, erklang Azuls Stimme, und Saladir sah, wie ein weiterer der Gruppe auf ihn zu kam.

Es war jener, der ihn hatte essen wollen, fiel ihm ein. Als er sah, wie der Naralfir ausholte und seine Fingernägel zu langen Krallen wurden, zog er den Kopf zwischen die Schultern und kniff die Augen zusammen. Gleich darauf spürte er, wie seine Arme an den Seiten herabfielen. Der Schmerz war höllisch als seine Muskeln nicht nur gegen das kalte Wasser, sondern auch gegen die ungewohnte Freiheit rebellierten.

„Soll ich dich auch noch ausziehen, oder schaffst du das alleine?“

„A-alleine“, stotterte Saladir, doch es dauerte eine Weile, bis es ihm gelang, die Knöpfe seines Mantels zu öffnen.

Langsam und frierend zog er sich aus und verfluchte Ugrui innerlich, als er seine zerschlissene Kleidung auf das trockene Ufer legen musste. Wenn er fertig damit war, sich und seine Wunden zu reinigen, würde er sie nass wieder anziehen müssen... Kylaf hingegen kletterte ans Ufer, als wäre nasse Kleidung kurz nach dem Winter nichts, worüber man sich Sorgen machen musste.

„Meine Fresse, so weiße Haut“, staunte er stattdessen. „Kein Wunder, dass man Lythari auch „Mondelfen“ nennt...“

„Ja, sein Arsch strahlt wie der große Mond!“, spottete Akal und hockte sich neben ihn.

„Er ist ja schon ein Hübscher... aber sein Gehänge ist nicht besonders groß. Gilt sowas bei den Mondelfen schon als Mann oder noch als Jüngling?"

Saladir wusste inzwischen auch, wie dieser Lythari hieß: Tradui. Er hatte in den Nächten immer die letzte Wache an seiner Seite gehalten.

„Ich will ihn immer noch essen“, entgegnete Kylaf. „Kurz angebraten mit Zitrone.“

„Alter, das ist ein Lythari, kein Fisch!“, kam es von Akal.

„Ich will ihn aber vorher noch ficken“, warf Tradui ein, der Saladir nicht aus den Augen ließ.

„Das ist echt ekelhaft“, meinte Fenach. „Selbst für deine Verhältnisse. Der hat doch nichts zu bieten.“

„Das hängt ganz davon ab, was man mit ihm machen will“, entgegnete Tradui, in dessen Gesicht man erkennen konnte, dass ihm bereits einige Ideen gekommen waren.

„Na klar, wenn Kylaf ihn gefressen hat, is' ja auch nix mehr von ihm übrig!“, entfuhr es Ugrui, und die Männer lachten.

Saladir gefror das Blut in den Adern – und das lag nicht am Wasser. Aber schlimmer als diese Sprüche waren die Blicke des Königs, die jeder seiner Bewegungen mit unergründlichem Gesichtsausdruck folgten und den Lythari genau musterten, als ob Azul sich jedes Detail seines Körpers genau einprägen wollte. Sie schienen über seine Haut zu streichen wie heißes Eisen... Schnell tauchte Saladir bis zu den Schultern in die eisigen Fluten und schwamm in tiefere Gefilde.

„Auch ohne Fesseln solltest du nicht versuchen zu fliehen, kleiner Dieb“, sagte Azul dunkel, während er gelassen von seinem Kissard abstieg.

Saladir biss sich auf die Lippen, bis er blutete, damit ihm keine bissige Bemerkung entschlüpfen konnte: Glaubten die Naralfir etwa, er wäre ein Idiot? Er mochte in der Mitte des Flusses schwimmen können und die Strömung mochte ihn mit sich treiben, aber die Pfeile der Armbrüste oder die Kälte des Wassers würden ihn töten, noch bevor er irgendwo eine sichere Stelle am Ufer erreicht hätte. Plötzlich horchte er auf.

Der Lythari drehte sich nach der Quelle des Geräusches um. Ugrui war fertig damit, die Wasserflaschen aufzufüllen und Tradui nun dabei, sich in den See zu erleichtern. Wieder lachten alle hämisch... bis auf Azul, dessen Blick gerade Steine zu schmelzen schien.

Im nächsten Augenblick trat der König seinem Soldaten mit aller Kraft in den Rücken. Der Unglückselige schrie kurz auf und stürzte mit einem lauten Klatschen in den Fluss. Völlig verblüfft beobachtete Saladir, wie der Kopf des Naralfir hustend wieder an die Oberfläche kam. Er musste ein Kichern unterdrücken und wandte sich ab, damit es keiner bemerkte.

Aber es war nicht schnell genug, denn Tradui hatte es gesehen. Einen Augenblick später war er bei Saladir und schlang seine Finger um dessen Hals.

„Du willst, dass ich in meiner eigenen Pisse ersaufe?“, zischte er und drückte den Lythari unter Wasser.

Doch schon im nächsten Moment lösten sich seine Finger und als Saladir wieder verstand, was sich vorging, war Azul neben ihm und drückte den Kopf des heftig strampelnden Naralfir unter Wasser. Hastig hervorgebrachte Worte der Entschuldigung trafen auf taube Ohren, als der König den Soldaten mit unbewegter Miene ertränkte.

Saladirs Verstand wurde leer vor Entsetzen: Er war noch nie einem Herrscher begegnet, der derartig mit seinem Volk umging, und für einen Lythari im Besonderen war ein solches Verhalten undenkbar. Wie konnte man seine eigenen Untertanen einem so qualvollen Tod aussetzen? Wie konnte man überhaupt jemanden so gnadenlos töten?

Akal und Fenach waren ihre Sprüche im Hals steckengeblieben. Kylaf beobachtete alle interessiert. Saladir blieb, wo er war.

„Du willst nicht, dass ich dich aus dem Wasser hole, kleiner Dieb. Also komm.“

Langsam stieg der Lythari mit zitternden Knien aus dem Wasser. Er wollte nach seiner Kleidung greifen, doch nach einem kurzen Befehl von Azul warf Ugrui ihm missmutig seinen eigenen Reisemantel zu.

„Danke“, murmelte Saladir und nickte mit einem kleinen erleichterten Lächeln in dessen Richtung.

Azuls Augen verengten sich gefährlich.

„Was?“, fauchte der immer noch schockierte Elf. „Ich habe meine gute Erziehung nicht vergessen, auch wenn ich ein Gefangener bin!“

„Bedankst du dich dann auch bei mir?“, fragte Azul, und in seine Augen trat ein belustigtes Funkeln.

„Wofür?“

„Ach, hätte ich dich Tradui überlassen sollen?“ Azuls Stimme bekam einen Unterton, der Saladir gar nicht gefiel. „Oder willst du Kylaf noch weiter in Versuchung führen mit Kleidung, die mehr enthüllt als verbirgt?“

Röte schoss in Saladirs Wangen und widerwillig musste er einsehen, dass ihm wohl keine andere Wahl blieb.

„Ich danke Euch für Eure Hilfe“, sagte er schließlich kühl und schlüpfte in den trockenen Mantel, doch Azul lachte nur.

„Warum denn nicht gleich so? Und jetzt weiter. Mit deinen Allüren hast du uns lange genug aufgehalten.“

„Lauft Ihr mal tagelang mit solchen Fesseln und den Tritten eures Gefolges, ohne etwas gegessen zu haben!“

Der Satz war heraus, bevor Saladir ihn zurückhalten konnte. Azul blickte kurz drein, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen, doch dann trat wieder das Glitzern in seine Augen. Schon wurden dem Lythari erneut die Arme nach hinten verschränkt und seine Hände gefesselt. Es war Akal, der ihn auf eine Handbewegung Azuls bäuchlings quer auf den Rücken des Reittieres warf wie eine Puppe.

„Ob es seinen Geschmack verdirbt, wenn er so durchgeschüttelt wird?“, überlegte Kylaf laut.

„Näh, der wird davon massiert wie gutes Rindfleisch!“, feixte Fenach.

„Hast du schon mal Lythari gegessen? Richtig zubereitet könnte er ein Festmahl abgeben.“

„Hinterschinken“, hörte man Ugrui leise.

Saladir wurde von so vielen Gefühlen überschwemmt, dass es ihm schwerfiel, diese einzuordnen. Da war die Angst vor den Naralfir und seinem zukünftigen Schicksal, die Verlegenheit über die Position, in die man ihn gezwungen hatte und die Scham über die Schande, dass sich seine Pläne als derart anmaßend, naiv und undurchführbar entpuppt hatten. Nie hatte er sich so wertlos gefühlt, so unbedeutend, unfähig... und so hilflos. Er zappelte, doch dann spürte er Azuls Hand auf seinem Rücken: Der König stieg auf und hielt den Lythari in Position. Ein kurzer Ruck an den Zügeln, und das Tier setzte sich schaukelnd in Bewegung.

Im Kerker

Es war bereits Nacht, als sich das trockene Gras unter den Hufen des Kissard in Pflastersteine verwandelte. Die Soldaten des Königs waren in einen raschen Laufschritt gefallen, wodurch der junge Lythari einsehen musste, dass er sie tatsächlich aufgehalten hatte. Fremde Naralfir näherten nun plötzlich mit Fackeln, und auch von seiner Position aus erkannte Saladir lange Kais aus grobem Holz, an denen kleine Boote vertäut waren. Der Fluss, in den man ihn heute Morgen geworfen hatte, war inzwischen zu einem breiten Strom geworden, dessen Brandung an nasse, schwarze Felsen klatschte.

Sie hatten die Hauptstadt erreicht, vermutete der Lythari, denn die Händler hatten berichtet, dass sich der Talkessel zum Meer hin öffnen würde und die Hauptstadt in einer Bucht an diesem lag. Auch der Geruch, der nun in der Luft hing, bestärkte diese Vermutung: Es roch nach gekochtem Essen, was seinen Magen wieder heftig zum Knurren brachte, sowie nach Salz, Seetang und Fisch... ungewohnt für einen, der in einer bewaldeten Hügellandschaft ausgewachsen war.

Das Meer auf der einen Seite und eine karge Ebene, die von einem riesigen Gebirge umschlossen war, auf der anderen: Saladir stellte fest, dass eine Flucht aus diesem Land sehr schwierig sein würde.

Stimmen ertönten. Der Gefangene hob mühsam den Kopf und erblickte mehrere Naralfir, die mit offensichtlicher Verwunderung auf ihn deuteten. Eine Traube aus Leuten hatte sich um sie gebildet, und Azul durchritt sie mit schweigender Selbstverständlichkeit, als begrüßten ihn seine Untertanen mit einem Spalier und hätten nur auf seine Rückkehr gewartet. Das Kissard drängte einfach jeden beiseite, der im Weg stand.

„Wer ist das, Euer Majestät?", fragte eine alt klingende Frauenstimme.

„Entweder ein Dieb oder eine Trophäe", antwortete Ugrui. „Das wird sich noch herausstellen."

„Mama, der Mann hat Haut, die aussieht wie Milch!"

Es war ein Kind, was da gesprochen hatte und genau dieses zog nun heftig an Saladirs Haar, als es unter Kylafs Arm hindurch schlüpfen konnte. Der Lythari biss die Zähne zusammen.

„Fass das nicht an!", rief die Mutter entsetzt, als Akal das Kleine auch schon zu fassen bekam und zurück in ihre Arme schleuderte. „Du wirst sonst krank!"

„Mama, das Haar ist ganz weich!", erzählte der Junge aufgeregt. „Wie die Federn von meinem Küken!"

„Ich hab' mir Lythari immer ganz anders vorgestellt...", hörte Saladir eine andere, diesmal männliche Stimme. „Irgendwie größer... und mit mehr Muskeln."

„Er ist viel zu hübsch für einen Mann!", zischte eine weitere Frauenstimme.

Saladirs Kopf wurde an seinen Haaren nach oben gerissen, bis er in die wütenden Augen einer Naralfir blickte, die – ihrer Aufmachung nach zu schließen – ganz offensichtlich eine Kurtisane sein musste. Ihr Gesicht war auffällig mit Kohlestift um die Augen und mit Karmin auf dem Mund bemalt, und an ihren Unterarmen blinkten zu viele Schmuckreifen, die weder zu ihren zahlreichen Halsketten, noch zu dem überlangen Ohrschmuck passten, der bis auf ein üppiges Dekolleté reichte. In den Augen des Lythari war das weder Eleganz noch Stil, doch vielleicht hatten die Naralfir auch hier andere Maßstäbe und die Frau war nur eine edle, reiche Dame...

Plötzlich ertönte ein schrilles Kreischen, und der Zug an Saladirs Haaren ließ schlagartig nach: Azul hatte ihr die Hand abgeschlagen, und silbern glitzernde Armreifen fielen klirrend zu Boden.

„Hat dieses Ding Euch etwa jetzt schon in seinen Bann geschlagen?", kreischte die Frau tränenüberströmt, während in Saladir das Entsetzen aufstieg wie eine Spinne, die sein Rückgrat hinauf krabbelte.

„Schnauze, du Schlampe!", fauchte Fenach die Frau an und stieß sie unter dem rauen Gelächter einiger Männer in die Menge zurück, in der sie verschwand.

Auf eine Handbewegung von Ugrui hin gingen Akal und Fenach nun voran durch das Volk, um eine schmale Gasse zu formen, während Kylaf und er die Nachhut bildeten. Saladir sah die Anspannung in ihren Gesichtern und spürte den Druck von Azuls Hand in seinem Rücken, der sehr fest geworden war. Er musste das Gesicht des Königs nicht sehen, um ahnen zu können, wie finster es aussehen musste, und der Gedanke an die eiskalte Miene bei Traduis Tod stieg in ihm auf wie eine dunkle Vorahnung.

Das Getuschel der Umstehenden verfolgte die Gruppe den ganzen Weg über durch die verwinkelten, steinernen Gassen der Stadt. Immer mehr Naralfir kamen hinzu und jeder schien etwas zu sagen oder Erwartungen an das weitere Schicksal des gefangenen Diebes zu haben. Saladir ließ den Kopf hängen, in einem vergeblichen Versuch, all die Beleidigungen und Morddrohungen auszublenden und Tränen der Wut zurückzuhalten. Immer schlimmere Vorstellungen nahmen in seinem Kopf Gestalt an, als sein Verstand ihn mit Schreckensbildern überflutete. Wäre er doch niemals hier hergekommen... Hätte er doch die Felsen als Schutzwall akzeptiert und niemals einen Fuß auf diesen verfluchten Boden gesetzt!

Es schien ewig zu dauern, bis das Gerede leiser wurde und sie die nächtliche Stadt sowie ihre Gerüche und Geräusche allmählich hinter sich ließen. Da erklang das ächzende Quietschen eines sich öffnenden Tores.

„Majestät. Ihr seid zurück", sagte jemand erleichtert, von dem Saladir vermutete, dass es der Haushofmeister sein musste.

„Ja. Die Jagd hat sich etwas hingezogen."

Azul stieg vom Kissard und zog Saladir ebenfalls auf die schmerzenden Füße. Ein alter, dünner Mann näherte sich ihnen und musterte den taumelnden Prinzen mit zusammengekniffenen Augen.

„Zusätzlich zu Fleisch bringt Ihr uns junges Elfengemüse mit..."

„Der fiel uns nebenbei in die Hände", warf Akal ein.

„Ja, genau!", pflichtete ihm Fenach bei und hielt dem Mann die inzwischen verwelkten Nachtrosen regelrecht unter die Nase. „Der wollte uns bestehlen!"

„Ich verstehe", sagte dieser, rieb sich über das Kinn und nickte langsam. „Ich habe da schon etwas gehört..."

„Bringt ihn in den Kerker, aber krümmt ihm kein Haar", unterbrach ihn Azul. „Löst die Fesseln, wenn ihr dort seid."

Damit ließ er Saladir in der Obhut seiner Dienerschaft zurück und ging durch ein eisenbeschlagenes Portal in das nur noch spärlich erleuchtete Schloss. Saladir vermutete deshalb, dass es bereits weit nach Mitternacht sein musste. Aber... Entsetzen ballte sich in seinem Magen zusammen wie eine schwere, schleimige Kugel... er sollte in den Kerker?!

„Ey, Bikur! Arbeit für dich!", rief Ugrui, und ein weiterer Naralfir erschien plötzlich aus dem Halbdunkel.

Saladir hob schüchtern den Kopf und wusste auf den ersten Blick, dass dies nur der Kerkermeister sein konnte: Der Körper des Gerufenen war riesig und so muskulös, dass es schon unwirklich aussah. Das Gesicht war von Narben entstellt und das hauptsächlich dunkle Haar der Naralfir fehlte ihm völlig. Nur beleuchtet vom flackernden, gelblichen Licht der Fackeln an den Schlossmauern wirkte er mehr als beängstigend... Es war die Art von Mann, vor dem man sich besser versteckt hielt und still war, um nicht seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Saladirs Knie wurden weich, während ihm das Herz bis zum Hals schlug.

„Verdammt, Ugrui! Brüll' hier nich' so rum!"

Er brach ab, als sein Blick auf den Lythari fiel, und seine ohnehin schon grobschlächtigen Züge verfinsterten sich noch mehr.

„Was will dieses Mondelfen-Viech denn hier?"

„Wer weiß schon, was im Kopf eines Mondelfen vorgeht...", antwortete der Gefragte.

Bikur spuckte auf den Boden und kam drohend näher. „Mit euch Dreckselfen habe ich noch eine Rechnung offen", knurrte er, riss Saladirs Kopf an dessen Haaren nach oben und holte aus, um den Lythari zu schlagen. „So ein Hübscher..."

Doch Ugrui hielt ihn auf. „Lass den Scheiß, verdammt. Der König hat grade befohlen, ihm nichts zu tun. Tradui hat er höchstpersönlich ertränkt, weil er Scheiße gebaut hat!"

„Dieses halbe Hemd hat mir gar nichts zu sagen."

„Nicht hier, verflucht!"

Ein verächtliches Schnauben folgte Ugruis Worten, doch der Kerkermeister schien ganz offensichtlich keinen besonderen Wert auf eine Bestrafung zu legen.

„Schön. Dann woll'n wir mal kucken, wo wir den unterbringen können."

Damit ergriff Bikur Saladir im Genick und schob ihn grob vor sich her über den Schlosshof und durch eine dicke, eisenbeschlagene Holztür fernab vom Eingang. Die Treppe dahinter führte scheinbar endlos in die Tiefe. Ein fauliger Geruch nach Blut, Fäkalien und nassem Gestein hing schwer in der Luft und raubte dem jungen Prinz fast den Atem. Es war fast völlig dunkel, lediglich einige wenige Fackeln erleuchteten grobe Wände und Gänge, die in regelmäßigen Abständen nach links und rechts abzweigten. Manche Zellen in diesen Gängen waren mit schwer aussehenden Türen verschlossen, andere dagegen nur mit Gitterstäben versehen, doch Saladir wagte es nicht, den Kopf zu heben und hineinzuschauen – aus Angst, was er dort vielleicht entdecken könnte. Aus einigen drangen Schreie oder Wimmern, sonst herrschte an diesem Ort eine bedrückende Stille, die über allem lag wie ein Grabtuch.

Wen es hierher verschlug, der sollte vergessen werden, fuhr es ihm durch den Kopf. War das auch sein Schicksal? Würde niemand erfahren, was aus ihm geworden war? Was würde aus ihm werden, wenn er hier blieb? Der Lythari strauchelte vor Entsetzen und wäre gefallen, doch Bikurs Pranke in seinem Nacken hielt ihn aufrecht. Je tiefer sie über weitere Treppen und Flure in das Gewölbe vordrangen, desto schwächer fühlte er sich.

Schließlich öffnete der Kerkermeister eine der Türen und nickte zufrieden. Die Scharniere quietschten genauso wie der Schlüssel, als er im Schloss gedreht wurde und trotz des Halbdunkels konnte Saladir sehen, wie massiv das Holz war, aus dem man sie gezimmert hatte. Eine kleine Luke auf Augenhöhe diente offenbar zum Ausspähen und eine etwas breitere ganz unten zum Füttern der Gefangenen.

„Hier is' sowas wie du am besten aufgehoben", knurrte Bikur.

Unsanft wurde Saladir in das winzige Verlies gestoßen, seine Fesseln zerschnitten und die Tür hinter ihm versperrt. Endlich wieder Bewegungsfreiheit... Er blickte sich um und seufzte. Weit oben gab es ein vergittertes Fenster, das wohl nur dazu da war, den Gestank, der in den Wänden hing, zu mildern oder die Eingekerkerten am Ersticken zu hindern. Ansonsten bestand der Raum nur aus schwarzem, stellenweise mit Moos bewachsenem Stein und in einer Ecke einem Eimer, der dem Geruch nach als Toilette diente. In die Wand auf der – von der Tür aus betrachtet – rechten Seite war eine Halterung für Fackeln angebracht und dicht neben ihr zwei Eisenringe eingelassen, an denen Ketten hingen, die nicht verrostet waren.

Saladir schauderte, als er das bemerkte: Entweder pflegte der Kerkermeister die Zellen oder es war noch nicht allzu lange her, dass dieses Loch einen anderen „Gast" beherbergt hatte. Welches Los diesen wohl getroffen hatte? Der Lythari wagte es nicht, darüber nachzudenken, genauso wenig wie über die Frage, warum Bikur die Luke oben in der Tür nicht geschlossen hatte, so dass ein wenig Fackelschein in das Verlies fiel.

Saladir setzte sich auf den Boden und starrte an die Decke. Ugruis Mantel half gegen die feuchte Luft und die Kälte ein wenig, doch sie schien sich bis in seine Knochen gefressen zu haben, so dass es ihm schwer fiel, nicht immer noch zu zittern. Er hatte einst davon gelesen, dass manche Leute zu zittern begannen, wenn Anspannung nachließ und dass Heiler diesen Zustand als „Schock" bezeichneten. Hatte auch er einen Schock und fror eigentlich gar nicht? Wenigstens war er nun jedenfalls dem schneidenden Wind nicht mehr ausgesetzt, der zu diesem Land zu gehören schien wie die Sterne zum Himmel...

Da hatte er sich ja ernstlich was eingebrockt, überlegte der junge Prinz dann. Er konnte nur hoffen, dass sein Vater irgendetwas besaß, das für Azul ausreichend und wertvoll genug war, um ihn gehen zu lassen. Saladir legte sich erschöpft auf die Seite und während er gedanklich abschweifte, schlief er ein.

Er erwachte schlagartig, als er ein Klappern von der Tür her hörte. Neugierig setzte er sich auf und bemerkte dann, wie ein Tablett mit einer Schüssel Suppe und einem Stück Brot darauf durch die untere Luke der Tür geschoben wurde. Sofort kroch er hin und machte sich über das Essen her. Die Suppe war scharf und dünnflüssig, das Brot alt und hart... aber beides zusammen machte wenigstens satt. Saladir zwang sich, langsam zu essen und sorgfältig zu kauen, denn wer wusste schon, wann er das nächste Mal wieder etwas bekam? Außerdem war er derart hungrig, dass ihm selbst verdorbene Speisen Recht gewesen wären...

So vergingen die Tage, wie der Lythari am Lichtwechsel in dem kleinen Fenster sehen konnte. Es blieb länger hell, und vermutlich wurde es draußen immer wärmer... doch in seiner Zelle spürte man davon nichts. Er hatte viel zu viel Zeit zum Nachdenken, und so wiederholte sich das letzte Gespräch mit seinem Bruder in seinem Kopf wieder und wieder. Athavar war erfüllt von Sorge und Wut über eine so unüberlegte Entscheidung gewesen, das verstand Saladir inzwischen.

„Du kannst nicht gehen! Dein Platz ist hier an Vaters Seite, während ich als Kronprinz die Amtsgeschäfte für ihn übernehme."

Er war auf und ab gegangen, hatte sich das blaue Haar zerzaust, weil auch ihm nichts einfiel, was sie, die Prinzen, noch hätten tun können, um das Leid ihres Vaters zu lindern.

„Nein! Ich kann hier nicht herumsitzen und nichts tun!"

Auch Athavar war nicht faul gewesen, denn es war seine Idee gewesen, überall nachzufragen, ob es Nachtrosen nur in Mythen oder tatsächlich gab. Aus einem der ältesten Bücher in der Schlossbibliothek hatte er einen Schimmer der Hoffnung geborgen.

„Saladir..."

„Nein!"

Saladir schüttelte den Kopf und zog Ugruis Mantel fester um sich. Athavar würde sich nun auch noch mit Sorgen um seinen Verbleib quälen müssen, denn da alle Männer gestorben waren, konnte niemand eine Nachricht überbringen. Sein Bruder hatte fast auf einen Schlag seine ganze Familie verloren, und es war niemand da, der ihm Trost spenden konnte. Saladir hätte in dieser Situation noch Rarya zum Trost gehabt, doch sein Bruder hatte die Last der Verantwortung geschultert und das Leben weitaus ernster genommen, als der Jüngere. Für eine Geliebte oder gar eine Braut war nur wenig Zeit gewesen.

„Deine Gesellschaft wird Vater Kraft geben, bis die Soldaten mit den Nachtrosen zurück sind..."

Damals... und das schien Jahre zurückzuliegen... hatte Saladir nicht verstanden, wie viel Trost und Kraft man aus der Anwesenheit einer geliebten Person ziehen konnte. Inzwischen hätte er viel dafür gegeben, nicht völlig allein im Reich der Feinde zu versauern. Um wieder heimkehren zu können...

„Ich werde hier nicht tatenlos herumsitzen! Ich werde den Trupp anführen!"

Er hatte nur an sich und sein Leid gedacht, und nicht einen Gedanken daran verschwendet, was sein Vater dabei fühlen mochte, wenn sein Sohn seinetwegen auf eine Reise ins Ungewisse aufbrach. Nun, da er selbst hier festgehalten wurde und nicht wusste, ob er jemals lebend dieses Verlies wieder verlassen würde, bereute Saladir seinen leichtsinnigen Aufbruch sehr. Bei dem Gedanken, dass er alle, die ihm lieb und teuer waren, vielleicht nie wiedersehen würde, zog sich etwas schmerzhaft in ihm zusammen.

Das Magenknurren, das dann folgte, riss den Lythari aus seinen Gedanken, und er schaute sich um. Die Schale mit dem Trinkwasser war bereits seit dem vergangenen Tag leer und seine Mahlzeiten schienen einen Zweck zu verfolgen, den er nicht verstand: An einem Tag war es so wenig, dass es seinen Hunger nur noch mehr schürte, am nächsten gar nichts außer Wasser – und manchmal dagegen so viel, dass es für mehr als einen reichte, sich aber durch die Feuchtigkeit in der Zelle nicht lagern ließ. Es war eine einfache Methode, die allerdings sehr gut funktionierte: Bei jedem Geräusch von draußen vor der Tür hoffte der junge Lythari auf Essen. Alles andere schien dann plötzlich nebensächlich.

Schritte und Schlüsselklirren waren von draußen zu hören, und Saladir kroch neben die Luke an der Tür. Erschrocken wich er zurück, als er erkannte, dass sich nicht die Luke, sondern die Tür selbst öffnete. Das spärliche Licht vom Flur ließ ihn die Augen geblendet zusammenkneifen.

Zuerst dachte er, es wäre vielleicht Azul, doch dann erkannte er den Kerkermeister. Was wollte der denn von ihm?

„Is' mir egal, was der König sagt. Er is' nich' da und kann dich nicht retten", knurrte der Naralfir, und Saladir wich instinktiv zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. „Ich hab' meinem Vater versprochen, jeden verfluchten Lythari so qualvoll wie möglich zu töten und nun hab' ich endlich mal wieder Gelegenheit, mein Versprechen zu halten."

Saladir bezweifelte stark, dass jemand ihn schreien hören würde, geschweige denn zu Hilfe eilen. Bikur zerrte ihn hoch auf die Füße, schlug zu, und die Wucht seines Schlages ließ den Kopf des Wehrlosen zur Seite fliegen. Noch ehe er etwas sagen konnte, traf ihn der nächste Schlag, dieses Mal in den Magen.

„Wieso hast du... das deinem Vater... versprochen?", versuchte Saladir kläglich das Schlimmste zu verhindern.

„Das geht dich einen Scheiß an!", brüllte Bikur. „Ihr Mondelfen glaubt wohl, euch gehört die Welt?"

Mit ungeheurer Wucht warf ihn der Kerkermeister an die Wand wie einen faulen Apfel. Ein Knirschen ertönte und der Lythari schrie gepeinigt auf. Durch den Aufprall hatte Bikur ihm die linke Schulter ausgekugelt. Er rollte sich schutzsuchend zusammen, als Tritte auf ihn einprasselten wie ein Steinschlag. Saladir hoffte inständig, dass sein Peiniger bald von ihm abließ, schmeckte Blut und Galle in seinem Mund und vermutete, dass er sich wohl nicht nur auf die Zunge gebissen hatte.

Einmal mehr riss Bikur ihn hoch, um ihn quer durch die Zelle zu schleudern und dann weiter auf ihn einzutreten. Ohne Rücksicht, ohne Gnade, ohne Ende...

„Was geht hier vor?", fragte plötzlich eine Stimme von der Tür her, und in ihrem Ton lag etwas, das dem Lythari trotz aller Schmerzen das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Er musste nicht die Augen öffnen, um zu wissen, dass der König der Naralfir in der Tür stand. Den eisigen, emotionslosen Ton hätte er überall und unter Tausenden wiedererkannt.

„Ich gebe diesem Vieh, was es verdient", zischte der Kerkermeister, hielt aber in seiner Tortur inne.

„Meine Befehle lauteten, ihn einzusperren, ihn aber nicht zu misshandeln. War ich so undeutlich?"

Saladir hörte ihn näherkommen. Erschöpft öffnete er die Augen, und sein wirr umherschweifender Blick begegnete den stechenden roten Augen des Königs. Die Wut, die Azul ausstrahlte, war fast greifbar. Urplötzlich wurden die Fingernägel des Naraflir zu Krallen und noch bevor der Kerkermeister irgendetwas tun konnte, stieß der König seine Hand in den Brustkorb seines Untergebenen. Blut spritzte, als Azul die Hand wieder zurückzog.

Als ihm klar wurde, dass er dem Kerkermeister das Herz herausgerissen hatte, wurde Saladir eiskalt. Der blutverschmierte Klumpen in der Hand des Naralfir zuckte, was bedeutete, dass das Herz noch schlug. Krachend fiel Bikurs Körper zu Boden, während Azul das Organ fallen ließ und mit seinem Stiefel darauf trat. Das Geräusch als es zerplatzte, war zu viel für den jungen Prinzen: Er übergab sich ächzend.

Wie auf ein geheimes Zeichen tauchten zwei weitere Naralfir in der Kerkertür auf.

„Bringt ihn weg, und beschafft mir einen neuen Kerkermeister."

Die beiden gehorchten stumm, ohne Fragen zu stellen. Azul selbst holte eine Fackel aus einer der Halterungen von draußen und steckte sie in die dafür vorgesehene Fassung neben den beiden Eisenringen. Stöhnend rappelte Saladir sich auf und lehnte sich erschöpft gegen die kalte Wand hinter ihm. Sie tat ihm gut, denn durch Bikurs Behandlung fühlte er sich erhitzt wie vom Fieber. Die Schmerzen in Brust, Magen und Schulter pochten wie ein zweites Herz, und jeder Atemzug sandte eine neue Schmerzwelle durch seinen Körper.

Der König der Naralfir hingegen verschloss die Tür hinter sich mit dem Schlüssel, den Bikur in seiner Rage fallen gelassen hatte, und setzte ein wölfisches Grinsen auf.

„Nun... Da diese leidige Kleinigkeit erledigt ist, gibt es etwas, das ich mit dir besprechen muss, kleiner Dieb..."

Ein verwerflicher Vorschlag

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Die Konsequenzen einer Entscheidung

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ein Tier im Käfig

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Zweifelhafte Methoden - aber ein gemeinsames Ziel

Saladir lag noch lange wie betäubt auf dem Boden, in sich zusammengekauert, während das Entsetzen nur langsam aus seinen verkrampften Gliedern wich. 

„Wenn ich dich nehmen will, nehme ich dich. Ich brauche dein Einverständnis dafür nicht.“

Sollte das nun sein Leben sein? Wirklich? Ein Prinz der Lythari, gezwungen in das Leben eines Lustsklaven, dessen Wohl abhängig davon war, welche Laune der König seiner Todfeinde hatte?

„Benehmt Euch und erzürnt König Azul nicht. Gebt ihm, wonach er verlangt.“

Was, wenn Azul seiner überdrüssig wurde? Würde er ihn nach Hause schicken? Saladir bezweifelte, so viel Glück zu haben. Vermutlich landete er dann bei einem anderen Naralfir...

„Der alte König wollte immer eine Lythari-Konkubine.“

Offenbar nicht nur der ehemalige König... auch der neue schien diese Vorliebe zu teilen. Die Vorstellung erfüllte den blauhaarigen Elf mit Entsetzen und ließ ihn vor Kälte zittern. Er zog die Beine noch enger an seinen Körper und merkte, wie die Überreste der vergangenen Stunden aus ihm herausliefen. Ächzend rappelte sich der junge Lythari auf und kauerte sich angewidert über den stinkenden Eimer, der seine Toilette war. Schmerzen durchzogen seinen missbrauchten Körper, und Dunkelheit umschloss ihn wie ein Mantel.

Ein winziger Teil in Saladir war froh, dass niemand sehen konnte, was er gerade tat... tun musste. Er kam sich vor, als litte er an einer widerwärtigen Krankheit, während er überdeutlich zu spüren glaubte, wie jeder Tropfen Azuls brennend und klebrig aus ihm herauslief. Sich so an einem Mann zu vergehen, als wäre er nur noch ein Gegenstand, in den man sich entleerte, wie in diesen Holzeimer... Saladir schüttelte sich vor Ekel.

Erst als er sicher war, dass nichts mehr von dem Naralfir in ihm war, kroch er in die gegenüberliegende Ecke, wickelte sich wieder in Ugruis Mantel und versuchte zu schlafen. Er war erschöpft und hungrig, aber der Gedanke an Essen ließ seinen Magen rebellieren. Er wünschte sich, er könnte sich zu Tode hungern, aber eine Stimme ihn ihm sagte, dass er das niemals durchhalten würde – und auch der König der Naralfir kannte sicher Mittel und Wege, das zu verhindern... Verflucht sollte er sein.

„Euer Majestät, ich muss Euch gratulieren. Je mehr ich von Eurem bezaubernden Land sehe, desto mehr erkenne ich, dass meine Entscheidung die richtige gewesen ist.“

Saladir und Athavar tauschten fragende Blicke, standen jedoch stumm hinter dem Thron ihres Vaters, als Herzog Luban sich schwungvoll verbeugte. Es war ein seltenes Ereignis für den jüngeren der Prinzen, an einer Audienz teilzuhaben – aber der Besuch eines Naralfir mit dem königlichem Siegel war ein wichtiges Ereignis, wenn es darum ging, eine Feindschaft zu beenden und ein Friedensbündnis zu schließen. Für einen Großteil des Hofstaats war es der erste „Dämon“, den sie zu Gesicht bekamen.

„Ich bin überrascht, dass Ihr einen solchen Gedanken hegt, Herzog Luban“, antwortete König Rateshvar. „Meine Berater wiesen mich allerdings darauf hin, dass eine Ehe zwischen einer Lythari und einem Naralfir bei Euch im Lande als Hochverrat gilt. Wie kann ich da ein Kind meines Volkes in Eure Hände geben?“

Herzog Luban schien Schwierigkeiten zu haben, sich auf das Gesagte zu konzentrieren. Immer wieder glitten seine Augen im Audienzsaal umher wie bei einem Kind, das sich nicht entscheiden konnte, welche Süßigkeiten es sich aussuchen sollte.

„Dieses Gesetz ist nicht mehr zeitgemäß, und mein Bestreben ist es, solche veralteten Bräuche abzuschaffen“, erwiderte er glatt. „Genauso wie es unsinnig ist, auf eine Feindschaft zu beharren, wegen der beide Seiten nur Nachteile haben und von der keiner mehr weiß, wie sie überhaupt entstand.“

„Ich bin sicher, in den Archiven lässt sich herausfinden, warum Lythari und Naralfir seit Generationen verfeindet sind!“, warf Athavar ein, doch Luban schenkte ihm nur ein listiges Lächeln.

„Es ist mir eine Freude und ein Vergnügen, dass Ihr das Wort an mich richtet, Königliche Hoheit. Aber mit den Archiven meint Ihr doch sicherlich nicht dieses Märchen, wo ein Prinz der Naralfir für eine Lythari-Prinzessin in den Krieg gegen einen mächtigen Magier zog, der ihn tötete und seinen Kopf an besagte Maid schickte?“

„Das ist kein Märchen!“, knurrte Athavar.

„Verzeiht, Königliche Hoheit. Dann meint Ihr die Legende der beiden Blutsbrüder, wo der Lythari seinen Freund, einen Naralfir, verriet und im Tal der Waldelfen dem Tod überließ?“

„Er hat ihn nicht verraten! Er wollte Hilfe holen, aber es war zu spät!“

Saladir stellte sich mit geballten Fäusten vor den Mann, der es wagte, sein Volk zu beleidigen, indem er die Geschehnisse der Vergangenheit verdrehte, bis alles wie eine Lüge klang. Das Lächeln Lubans wurde breiter, und sein vorher unsteter Blick konzentrierte sich nun völlig auf sein Gegenüber.

„Vielleicht ist es ja genau das, was die Feindschaft ausgelöst hat“, sagte er leise und samtweich. „Die Lythari, die glauben, immer im Recht zu sein und keine Fehler zu machen, während andere für sie sterben...“

Ein Schwall eiskaltes Wasser weckte Saladir unsanft aus diesem Traum, der aus den Tiefen seiner Erinnerung an die Oberfläche gebrochen war, als wäre das Geträumte nicht vor vierzehn Jahren, sondern erst gestern geschehen. Prustend schreckte er auf, rang hustend nach Luft – und blickte in dieselben roten Augen wie damals: die Herzog Lubans.

„Wie schön, dass man Euch endlich wachbekommt.“ Der Naralfir lächelte erfreut, als der junge Prinz sich von seinem Schreck erholt hatte. „Azul hat Euch schlafen lassen... aber ich muss zugeben, dass ich nach zwei Tagen doch allmählich etwas ungeduldig wurde.“

Der erste Impuls des jungen Prinzen war, zurückzuweichen und Abstand zwischen sich und den Anderen zu bringen, doch da er sich bereits in einer Ecke befand, hatte er sich selbst eingekesselt, als Luban sich vor ihn hinhockte und damit jede Fluchtmöglichkeit blockierte. Der nächste Gedanke Saladirs war, den Herzog als Geisel zu nehmen und mit ihm seine sichere Heimkehr zu erpressen, doch sein Gefühl sagte ihm, dass er nicht weit kommen würde. Luban mochte weniger gewalttätig sein als Azul, aber das bedeutete nicht, dass er deshalb weniger gefährlich war.

„Was... was führt Euch hierher?“, fragte er vorsichtig. 

„Nun ja...“ Wieder lächelte Luban wie jemand, dem das Lügen leichtfiel – aber mit diesem wirren, unsteten Blick, der Saladir seit jeher beunruhigt hatte. „Ich wollte mit Euch reden.“

„Worüber?“

„Ich weiß, wie Ihr hier heraus gelangen könnt.“

Die Sonne über dem Reich der Naralfir entschied sich just in diesem Augenblick, ihre Strahlen in Saladirs Verlies zu schicken, wo sie auf Lubans Kopf trafen. Saladir verschlug es für einen Moment die Sprache. Bekam er tatsächlich Hilfe?

„Das mag sein“, begann er dann vorsichtig, „aber ich bin sicher, dass Ihr nicht umsonst Euer Leben riskiert. Wenn misslingt, was immer Ihr vorhabt, werden wieder Leute sterben.“

„Dann wollt Ihr hierbleiben? Was hat Azul mit Euch angestellt – oder Ihr mit ihm?“

Lubans Blick und Lächeln veränderten sich auf erschreckende Weise: Von einem kühlen, scheinbar desinteressierten Ausdruck wurde seine Aura plötzlich so intensiv, dass sie den kleinen Raum auszufüllen schien und dem Gefangenen das Atmen schwer machte. Die hellroten Augen wurden dunkler und bekamen ein eigenartiges Glitzern, das Lächeln wurde zu einem breiten Zähnefletschen. Wieder wäre Saladir am liebsten zurückgewichen, und wieder war es nicht möglich. 

„Nichts!“, sagte er laut und stand auf, um diesem eindringlichen Blick zu entkommen. „Azul ist ein grausames Monster, das die üblen Gerüchte über die Naralfir allesamt bestätigt! Natürlich würde ich nichts lieber tun, als wieder von hier zu verschwinden!“

„Es gibt immer Möglichkeiten“, flüsterte Luban und erhob sich ebenfalls. „Unser König hat eine verhängnisvolle Schwäche für Euch entwickelt, wie mir scheint... und ich bin sicher, dass Ihr das wisst. Mich erinnert es an das Märchen über den König, der einen Floh über das Wohl seines Reiches und seiner Tochter stellte.“

Es musste wirklich sehr offensichtlich sein, überlegte der junge Prinz. Dennoch war der Preis für diese Schwäche für ihn eine Qual. Genau das hätte er Luban am liebsten ins Gesicht gesagt, aber im letzten Moment biss er sich auf die Lippen. Saladir verschränkte die Arme vor der Brust, als könnte er sich damit vor diesem seltsamen Mann schützen.

„Keine Antwort?“, fragte Luban und trat einige Schritte zurück, um die Halsfessel aufzuheben. „Wir beide haben dasselbe Ziel: Ihr wollt nach Hause, und ich will Euch loswerden.“

„Sagt mir, was ich tun muss!“, bat Saladir, den die Halsfessel in den Händen des Naralfir beunruhigte.

„Geht auf seine Forderungen ein“, antwortete Luban, die Augen auf den Metallring in seiner Hand geheftet. „Lügt, wenn es sein muss.“

„Da-das ist unmöglich!“ Saladir konnte nicht verhindern, dass Angst in seiner Stimme mitschwang. „Ihr wisst nicht, was er verlangt hat!“

„Das ist unwichtig.“ 

Die Stimme Lubans wurde so kalt, dass die Temperatur im Raum schlagartig zu sinken schien. Saladir riss die Augen auf bei der Ungeheuerlichkeit dieses Vorschlags. Das einzige, was er zustande brachte, war ein fassungsloses Kopfschütteln. Luban gab ein Geräusch des Missfallens von sich und bevor der junge Prinz reagieren konnte, bekam er die verhasste Halsfessel umgelegt.

„Ausziehen!“, befahl der Naralfir dann und als er die Weigerung in Saladirs Blick erkannte, fügte er nur hinzu: „Glaubt mir, Ihr wollt nicht, dass ich Gewalt anwende...“

Ein Schlag in die Magengrube ließ ihn vornüber kippen, und Luban nutzte die Gelegenheit, ihm das Leinenhemd über den Kopf zu ziehen, um es mit einer unwirschen Bewegung zur Seite zu werfen. Er griff in Saladirs Haare und zerrte ihn zur Wand, wo er die Fessel ähnlich wie Azul befestigte. Saladirs Arme wurden gespreizt und in Ketten gelegt, ebenso seine Beine. Erst dann verschwand eine von Lubans Händen in einer Tasche seiner Hose und brachte ein Stück Stoff sowie eine kleine rote Phiole zum Vorschein.

„Ich werde dafür sorgen, dass Ihr Azul gehorchen werdet“, murmelte der Herzog und kippte den Inhalt des kleinen Glasfläschchens über Saladirs Schulter, bevor er ihn mit dem Stofftuch überall auf dessen nackten Körper verteilte.

Dem Gefesselten war, als würde er mit flüssigem Feuer übergossen.

Saladir biss sich die Lippen blutig, um nicht vor Schmerz zu schreien. Sein Körper zuckte und bäumte sich auf, doch Luban fuhr unbeeindruckt mit seiner Aufgabe fort. Als er fertig war, hatte er sogar das Geschlecht des Lythari und dessen hintere Körperöffnung mit der Teufelsflüssigkeit eingerieben und blickte nun das Tuch an, als hätte es ihm mit Tollwut in die Hand gebissen.

„Ich werde es auf mich nehmen, diese Prozedur jeden Tag zu wiederholen, bis sich eine Besserung in Eurem Verhalten abzeichnet“, erklärte Luban. „Diese Mischung aus Bitterbeere und Rettichöl wird Euch selbst einen Lufthauch wie den Atem eines Drachen spüren lassen, aber keine körperlichen Spuren hinterlassen... Wie es nach dieser Zeit allerdings um Euren Verstand bestellt sein wird, kann ich nicht sagen.“

„Ihr seid ein Ungeheuer!“, keuchte Saladir, dem der Schmerz die Tränen in die Augen trieb.

„Ich tue, was nötig ist, um meine Ziele zu erreichen, Königliche Hoheit. Und dafür werdet Ihr mir Dank zollen, das verspreche ich Euch.“

Der junge Prinz konnte darüber nur den Kopf schütteln, was eine weitere Schmerzwelle über ihn hinwegbranden ließ.

„Ob ich mir damit allerdings die Mühe machen sollte?“, murmelte der Herzog halblaut und tippte mit dem ölgetränkten Lappen gegen Saladirs Geschlecht, woraufhin dieser schmerzerfüllt aufschrie. „So wie ich Azul einschätze, habt Ihr keinerlei Verwendung mehr dafür. Also könnte man es eigentlich einfach abschneiden...“

Dem jungen Prinz entfuhr ein schockiertes Wimmern. Was wollten sie ihm hier noch alles antun? War es nicht genug, dass sie ihn zum Spielzeug machten und ihm seine Würde raubten? Wollten sie in jetzt auch noch kastrieren? Angst überzog seinen Körper mit einer Gänsehaut, und sein eigener Schweiß fühlte sich an wie kochendes Wasser. Es kostete Saladir unendlich viel Mühe, sich nicht die Seele aus dem Leib zu schreien, sondern stillzuhalten, in der Hoffnung, nicht alles noch zu verschlimmern.

„Andererseits wäre es ärgerlich, wenn Ihr dabei verbluten würdet“, fuhr Luban fort. „Man müsste die Wunde ausbrennen... und das gibt hässliche Narben, die nicht zum Rest Eures Porzellankörpers passen. Ach, Ihr seid so perfekt, dass es mich aggressiv macht...“

 Mit diesen Worten drehte sich der Naralfir um und verließ die Zelle. Wieder allein versuchte Saladir, weder an die Worte Lubans zu denken, noch daran, wie sein Körper auf alles um ihn herum reagierte: Seine Füße schienen auf Nadeln zu stehen, und dieser Schmerz schoss bis in seinen Rücken, von wo er sich in alle Richtungen auszubreiten schien. Die gefesselte Position ließ nach einer Weile seine Arme taub werden und das daraus resultierende Kribbeln war, als würde  er von Feuerameisen überrannt. In kurzer Zeit tat dem Prinzen alles weh, auch Stellen, von denen er nicht gedacht hätte, dass sie solche Schmerzen verursachen konnten. Sein Gesicht brannte, weil die Luft, die er ausatmete, an seiner Nase vorbeiströmte. Sein Brustkorb war mit Schweiß bedeckt, der erkaltete und dadurch wie ein Stück Eis wirkte, das man ihm auf die nackte Haut legte. Sein Unterleib wurde zu einer schmerzhaft pulsierenden Masse, die zu brodeln und zu kochen schien, als würde er bei lebendigem Leibe verbrannt und gleichzeitig von unzähligen Nadeln durchbohrt. Jedes Gefühl, jede noch so kleine Bewegung verschwand in einer Spirale aus Schmerz, die den Prinzen immer tiefer mit sich zog, bis es weder Hunger noch Durst, weder Azul noch Luban gab. Nur Feuer, Schmerz und Qual.

Irgendwann schrie Saladir.

Niemand kam.

Er weinte, bettelte und flehte schließlich.

Doch er war allein.

Irgendwann wurde es Nacht um ihn. Eine Ohnmacht hatte gnädig ihren Mantel um den jungen Lythari gelegt und gönnte ihm eine Pause von seinem Martyrium... Ein Schwall eiskaltes Wasser weckte ihn einige Zeit später und als der Prinz die Augen öffnete, erblickte er Luban. Er wollte zurückweichen und zerrte dabei an seinen Ketten, wollte etwas sagen... doch seine Kehle war heiser vom Schreien.

„Wollen wir weitermachen?“, fragte Luban schließlich, nachdem Saladir ihn nur mit bis zum Hals klopfendem Herzen ansah und statt einer Antwort nur mit dem Kopf schütteln konnte.

Luban lachte nur. Erneut holte er eine Phiole aus seiner Tasche und verteilte ihren Inhalt auf Saladirs Haut. Die Schmerzensschreie des jungen Prinzen blieben stumm.

„Ich weiß, Ihr wollt, dass ich aufhöre, aber ich kenne den Starrsinn der Lythari.“ Luban öffnete die Kerkertür. „Euer Vater musste auch erst überzeugt werden.“

Saladir hätte zu gerne gewusst, was Luban damit meinte, aber der Schmerz überwältigte ihn erneut und verzweifelt riss er an seinen Ketten. Aber bis auf aufgescheuerte Handgelenke hatte er keinen Erfolg. Tränen tauchten sein Gesicht in ihre Nässe und brannten... Gelegentlich umfing den Gequälten wieder die Ohnmacht, wenn er wach war, umfing ihn der Schmerz. Niemals hätte sich Saladir träumen lassen, dass ihn etwas so in Furcht versetzen könnte, wie die regelmäßigen Besuche Lubans. Es schienen endlos viele Tage zu vergehen, bis er kam, ihm mit einem nassen Tuch das Gesicht abwischte und so aus einer weiteren Ohnmacht weckte. Er löste die Fesseln, und der junge Prinz fiel kraftlos in seine Arme.

Frisches Wasser rann lindernd seine Kehle hinunter. Stumm und bewegungslos ließ er es über sich ergehen, wie Luban ihn am ganzen Körper und mit angewidertem Gesicht mit dem Lappen abwusch. Welche neue Folter erwartete ihn nun?

„Azul wird Euch heute aufsuchen, also solltet Ihr Euch ein wenig herrichten“, erklärte er, als hätte er Saladirs Gedanken gelesen. „Sicherlich wollt Ihr auch etwas essen und trinken.“

Mühsam wandte der junge Prinz seinen Kopf zur Seite und erblickte einen Wasserkrug, eine dampfende Schüssel Suppe und etwas Brot auf einem hölzernen Tablett neben sich. Frisches, weißes Brot. Wann hatte er das letzte Mal solch einen Luxus genießen dürfen?

Als Luban fertig war, verließ er den Kerker wieder, und der Gequälte richtete sich mühsam auf. Langsam aß er die Suppe und kaute vorsichtig das weiche Brot... und spürte bald, wie seine Lebensgeister wieder zurückkehrten. Aber sein Magen rebellierte, als er Stiefelschritte näherkommen hörte, und er übergab sich hastig in seinen Eimer.

Niemand kam, und Saladir schalt sich innerlich als Schwächling, der er geworden war. Es konnte nicht sein, dass er zu dem wurde, was Azul in ihm sah! Wütend starrte er auf den stinkenden Brei, der seit Tagen nicht ausgeschüttet worden war. Die Suppe war dickflüssig und scharf, fade im Geschmack und von einer schmutzig grauen Farbe... aber das Brot war ein weicher Traum gewesen, um den es Saladir wirklich Leid tat.

Danach saß Saladir träge an die Wand gelehnt und fiel in einen angenehmen Halbschlaf, zufrieden über das Leinenhemd, das ihm wieder einen Hauch Würde verlieh und die Abwesenheit dieser überwältigenden Schmerzen, die selbst Azuls Gewalt wie Zärtlichkeit wirken ließen. Gerade, als er kurz davor war, wirklich einzuschlafen, klirrten Schlüssel im Schloss. Hektisch kauerte sich der junge Lythari zu einem Bündel zusammen, als Azul auch schon eintrat. War er schon immer so groß gewesen, dass er sich ducken musste, um sich nicht den Kopf am Türrahmen zu stoßen?

„Guten Abend, kleine Blume.“

Die verhasste Anrede ließ den jungen Lythari das Gesicht verziehen noch bevor er es merkte, und Azul brach in Gelächter aus. Amüsiert hockte er sich vor den jungen Prinzen und musterte ihn prüfend, plötzlich mit einem misstrauischen Ausdruck im Gesicht.

„Lass das“, flüsterte Saladir – zu mehr nicht imstande.

„Findest du mich so schlimm?“

„Nimmst du irgendwelche Rauschmittel, oder ist das dein Ernst? Du bist furchtbar – und das weißt du!“

Azul strich mit dem Finger über Saladirs Wange, und der junge Prinz zuckte unter der Berührung schmerzhaft zusammen. Das Öl abzuwaschen bedurfte offenbar mehr als eines feuchten Lappens.

„Etwas stimmt nicht“, stellte Azul dunkel fest, und Saladir überlegte, ob er ihm erzählen sollte, was Luban getan hatte.

Für seine Würde entschied er sich jedoch dagegen. Dass er nicht sprechen, sondern nur flüstern und krächzen konnte, war schlimm genug. Seine geschundenen Handgelenke verbarg er in den Falten des Leinenhemds. Doch seinem Gegenüber entging nichts, stellte Saladir fest, als Azuls Zeigefinger die pochende Vene fand, die den Herzschlag verriet.

„Da du nichts mehr besitzt außer deinem Leben, wäre ich vorsichtig, wen ich gegen mich aufbringe.“ Wie als unausgesprochene Drohung verweilte der Finger an Saladirs Hals. „Wer war noch hier, außer mir?“

In Gedanken an Tradui und Bikur wechselte Saladir das Thema.

„Kannst du nicht einfach an deinem riesigen Ego ersticken?“, zischte er.

Azul ließ wieder sein wölfisches Grinsen aufblitzen, das zu ihm zu gehören schien wie seine roten Augen und nahm seine Hand wieder fort.

„Ich bin sicher, dein Vater und dein Bruder sind genauso. Selbstvertrauen ist unerlässlich für einen Herrscher. Oder sollte ich mich etwa von meinen Untergebenen so manipulieren lassen wie von dir?“

„Mein Vater und mein Bruder sind bescheidene, gerechte Männer!“

„Bei dir vielleicht“, gab Azul ruhig zurück. „Aber auch sie kann man manipulieren, wenn man weiß, wie. Genauso wie du mich.“

„Wann soll ich das denn mal gemacht haben?“

„Ich behalte meine Geheimnisse für mich. Sollte ich dir denn tatsächlich so viel Macht in die Hände legen?“

Der junge Prinz runzelte die Stirn und blinzelte, als sich Kopfschmerzen ankündigten. Er hatte vergessen, wie anstrengend diese Gespräche waren.

„Ich bin doch jemand, der nur noch lebt, damit du deinen Spaß hast!“

„Du gibst also zu, dass du mir gehörst?“

In Azuls Augen blitzte Triumph auf, doch Saladir schüttelte der Kopf.

„Ich gebe gar nichts zu. Wer will denn schon ausgerechnet dir gehören?“

Azuls Ausdruck wurde verschlagen. „Es gibt neben Luban auch andere, die Interesse an dir bekundet haben.“

Schlagartig wurde es dem Lythari eiskalt. Brechreiz stieg in ihm auf, und er hielt sich hastig die Hand vor den Mund.

Der König war das Hauptproblem, wenn Saladir über seine Situation nachdachte. Der Herzog verschärfte das Problem nur, denn er schürte absichtlich eine Eifersucht, die sowohl ihn als auch Saladir das Leben kosten konnte. Luban pokerte ziemlich hoch...

„Welchen Nutzen hast du davon, mich hierzubehalten?“, versuchte Saladir es ein weiteres Mal, als er wieder ohne zu würgen sprechen konnte. „Ich werde mich dir sicher nicht unterordnen, und auch dein Hofstaat und dein Volk sind ebenfalls nicht glücklich damit, dass ich hier bin.“

Azul stand auf und als er sprach, klang seine Stimme kalt und schneidend. „Mein Volk überlasse mir. Das Einzige, worum du dich kümmern solltest, ist dein Überleben hier und mich deshalb bei Laune zu halten. Ich habe bereits einen König getötet, auf einen Prinzen kommt es nicht weiter an.“

Saladir ballte seine versteckten Hände zu Fäusten und kämpfte sich ebenfalls auf die Füße.

„Ich fürchte den Tod nicht“, erklärte er fest und zwang sich, in Azuls Augen zu blicken.

„Das bedeutet nur, dass du ihm noch nie nahe gewesen bist. Jeder, der ihm einmal von der Schippe gesprungen ist, schätzt das Leben. Egal, wie erbärmlich es scheinen mag.“

Wieder sagte Azul etwas, wodurch Saladir den Eindruck gewann, dass etwas mit diesem Mann nicht stimmte. Der Naralfir hatte manchmal Ansichten, die auf seltsame Weise sehr vernünftig klangen und ihn sehr an die Gespräche mit seinem Vater erinnerten, dessen Weisheit über die Landesgrenzen hinaus bekannt war.

„Willst du jetzt mit mir über den Tod philosophieren?“, fragte er zynisch.

„Ich genieße die Gespräche mit dir. Draußen herrschen Gier, Neid und Intrigen. Aber in dieser Zelle... sind Stille und Frieden. Manchmal würde ich wirklich gern mit dir tauschen.“

„Begleite mich in meine Heimat, und wir stecken dich in die tiefste Zelle, die wir finden können. Ganz nach Deinem Wunsch.“

Azul brach wieder in Gelächter aus, diesmal so sehr, dass es ihn schüttelte und in den Gewölben widerhallte. „Und meine Blume führt das Heer gegen die Naralfir, die dann als Invasoren kommen? Du weißt wirklich, wie du mich amüsierst. Eines verspreche ich dir: Dein Vater und dein Bruder werden ihren Soldaten nicht beim Sterben zusehen.“

Wieder beleidigte dieser Mann seine Rasse, seine Ehre und seine Familie. Aufgebracht ging Saladir zu seinem Eimer, und bevor er wusste, was er tat, warf er mit diesem nach Azul. Der wehrte das Geschoss ab, indem er es zertrümmerte... doch der stinkende Inhalt ergoss sich über den König.

Die Wahl zwischen zwei Übeln

Der nächste Schlag des Königs traf Saladirs Wange – so heftig, dass es dessen Kopf zur Seite schlug und der junge Lythari ein Knacken in seinem Kiefer hörte. Die Wucht ließ ihn sich einmal um die eigene Achse drehen, bevor er gegen die Wand der kleinen Zelle taumelte. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen hob er die Hand an die schmerzende Wange und starrte den Mann vor sich an, dessen Augen ihn fixierten, als wollten sie ihn verbrennen. Es war ein Blick, der Saladir alles andere vergessen ließ – den Schmerz in seinem Kiefer, seinen Zorn, der sich angesichts des Bevorstehenden in Luft auflöste – und der seinen Verstand mit nur einem Gedanken überflutete: Azul wird dich mit bloßen Händen in der Luft zerreißen, wie das Herz von Bikur... Als die Hand ein zweites Mal auf ihn zuschoss, kniff der blauhaarige Elf die Augen zu und krümmte sich zusammen.

Doch nichts davon geschah. Azul packte ihn am Genick und zerrte den Ängstlichen hinter sich her zur Tür. Der Fackelschein von draußen blendete Saladir, doch schon gleich darauf schabte Stein über Stein. Der König der Naralfir lenkte seinen Gefangenen durch scheinbar endlose, gleich aussehende Gänge, die so dunkel und gewunden waren, dass Saladir sich fragte, wie Azul darin nicht die Orientierung verlor. Mehrfach stolperte der junge Prinz in dieser ungastlichen Schwärze wenn es Treppen gab, die er hinaufsteigen musste... doch Azuls Griff in seinem Nacken verhinderte, dass er fiel. Wohin würde der König ihn jetzt bringen? Zu einem Schafott? Was hatte er vor? Saladirs Vorstellungskraft ließ ihn angesichts des erwarteten Grauens im Stich.

Plötzlich roch es nicht mehr nur nach Stein und Feuchtigkeit, sondern nach frischer Luft... in die sich der Duft von Wildblumen mischte. Auf eine Bewegung von Azuls linkem Arm hin verschob sich ein Teil der steinernen Wand vor ihnen, so dass Licht durch eine Öffnung auf den Gang brach. Geblendet hielt Saladir eine Hand vor seine Augen, während ihm ein erstauntes Keuchen entfuhr.

Doch Azul ließ ihm keine Zeit sich zu wundern, sondern öffnete eine weitere Tür und stieß ihn in einen ihm unbekannten Raum: Das Vorzimmer zu einem Bad.

Als der junge Prinz sich an das Licht gewöhnt hatte, erkannte er eine Handpumpe und Hocker aus dunklem, stark gemasertem Holz. Gegenüber davon, unter einem Fenster, stand eine kleine Kommode aus dem gleichen Holz, auf der verschiedene Tiegel und Flakons angeordnet waren. Direkt daneben lag ein Stapel weich aussehender Handtücher auf einem weiteren Hocker. Der Raum selbst war sehr klein – kaum größer als Saladirs Zelle – doch eine weitere Tür offenbarte einen Blick in ein prächtiges Badezimmer. Marmor verkleidete in beiden Räumen Wände und Boden und während der eine sehr schlicht wirkte – von seinen edlen Baumaterialien einmal abgesehen – konnte Saladir bereits durch den Türspalt sehen, dass in einer prächtigen Badewanne aus Marmor ein heißes Bad eingelassen war. Von dort kam der Duft von Wildblumen, von Klatschmohn und Kornblumen, Mhyrra und Seidenkraut. Es war wie ein Traum.

Ein nasser Lappen traf Saladirs Wange und holte ihn kalt und nass in die Gegenwart zurück.

„Ausziehen.“

Der junge Lythari blickte den König der Naralfir verwirrt an, der regungslos dastand und ihn scheinbar nicht aus den Augen gelassen hatte. Mit zitternden Händen gehorchte er und wollte sich Ugruis Mantel von den Schultern streifen...

„Nicht dich. Mich.“

Die kalte, ruhige Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Langsam näherte Saladir sich dem Naralfir und öffnete langsam die Knöpfe von Azuls schwarzem Oberteil, das wie ein samtener Mantel ein blutrotes Hemd verborgen hatte. Die Flüssigkeiten aus dem Eimer waren aus den langen violetten Haaren Azuls bis auf dessen Kleidung geflossen, wo sie die edlen Stoffe durchtränkt hatten. Der Gestank war so erbärmlich und gleichzeitig so aufdringlich, als wollte er sich in der Nase aller festsetzen und nie wieder verschwinden. Saladir schien es, als wollte er durch seine Haut in ihn eindringen und mit seiner Jauche sein Innerstes verseuchen. Der junge Lythari fragte sich, wie sein Gegenüber dabei so unbeeindruckt bleiben konnte, während er sich mit jedem Atemzug zu übergeben fürchtete.

Beide Oberteile fielen raschelnd zu Boden, wo Azul sie mit einem schnellen Fußtritt beiseite schleuderte.

„Weiter.“

Saladir blickte ihn fragend an, als Azul sich auch schon auf den freien Hocker setzte und ihm den rechten Fuß entgegenstreckte. Er gehorchte, und so landeten schwere dunkelbraune Lederstiefel auf dem Stoffhaufen. Der König erhob sich wieder.

„Den Rest auch noch, kleiner Dieb.“

Als ob er ihn im nächsten Moment wie eine wütende Giftschlange anspringen würde, griff Saladir nach Azuls Hosenbund, die silbergrauen Augen fest zugekniffen, das Gesicht abgewandt. Vor Angst und Anspannung zitterten seine Hände so heftig, dass er Mühe hatte, die Schnüre und Haken zu lösen, die das Kleidungstück an seinem Platz hielten. Seine Wangen brannten vor Scham, als er sich hinhocken musste, um Azul das schwarze Leder die Beine entlang nach unten zu streifen. Als er fertig war, setzte der Naralfir sich wieder auf den Hocker. Saladir runzelte die Stirn: Was kam jetzt?

Als hätte er seine Gedanken erraten, trat ein verschlagener Ausdruck in Azuls Gesicht.

„Handarbeit, kleiner Dieb. Niemand überschüttet mich mit kaltem Wasser.“

Der junge Prinz biss sich auf die Lippen. Er sollte diesen Mann waschen? Überall, wie ein Sklave? Niemals! Was würde wohl geschehen, wenn er der Aufforderung kein Gehör schenkte?

Noch während Saladir dieser Frage nachhing, ließ ihn ein Knall direkt neben ihm zusammenfahren. Azul hatte mit einer kleinen, hölzernen Schale nach ihm geworfen, die seinen Kopf nur um Zentimeter verfehlt hatte und an der Wand zerschellt war. Zwischen den Holzteilen lag ein Stück Seife. Eine Weigerung war wohl keine gute Idee...

Saladir hastete ins Nebenzimmer zur Badewanne und füllte den leeren Eimer mit warmem Wasser, den er mühsam in das kleine Zimmer zurückschleppte. Noch bevor Azul etwas sagen konnte, griff er nach einem der sauberen Tücher und begann mit vorsichtigen Strichen, die stinkende Brühe von ihm abzuwaschen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, und auch das nasse Tuch lag schließlich auf dem stinkenden Kleiderhaufen. Azul erhob sich und öffnete das kleine Fenster über der Kommode, bevor einer seiner Feuerbälle das stinkende Bündel in Asche verwandelte. Der Rauch brannte in Saladirs Augen, zog jedoch schnell ab.

Unschlüssig, was als nächstes passieren sollte, beobachtete ihn der junge Prinz. Mit einer Selbstverständlichkeit, die er bisher nur an Azul gesehen hatte und die durch dessen Nacktheit sogar eher betont als gemindert wurde, nahm der König der Naralfir den leeren Wassereimer, spülte ihn aus und füllte ihn an der Handpumpe höchstpersönlich mit neuem Wasser. Saladir beobachtete das Spiel der Muskeln unter der gebräunten Haut und fragte sich, welche Mühen und Kämpfe sie gestählt hatten... und woher die Narben auf Azuls Rücken kamen. Einige sahen wie Brandwunden aus, verteilt überall auf der Haut, doch am unteren Rücken waren weiße Linien, die sehr alt aussahen. Kurz überlegte er, Azul zu fragen, woher diese Verletzungen stammten – doch als dieser grinsend mit dem Wassereimer auf ihn zu kam, entschied er sich dagegen.

„Runter mit dem Hemd.“

„Was? Nein!“

„Das war keine Bitte.“

Azul hob den Wassereimer und goss ihn ohne weiteres Federlesen über Saladir aus. Dann ging er zurück und füllte den Eimer ein weiteres Mal. Der blauhaarige Elf kämpfte sich hastig aus dem nassen Leinenhemd und funkelte Azul wütend an. Dann kam der zweite Schwall, wieder direkt über seinen Kopf. Prustend wischte sich der junge Prinz das Wasser vom Gesicht.

„Du stinkst immer noch furchtbar. Von wem hast du "Nachtfolter" bekommen?“

Saladir starrte Azul mit offenem Mund an. Woher wusste der das schon wieder? Ihm selbst war nicht aufgefallen, dass Lubans Foltermittel einen so intensiv anhaftenden Geruch hatte, dass er durch einfaches Waschen nicht zu entfernen war.

„Dachtest du, mir wäre dein plötzlicher Gehorsam nicht aufgefallen, als du mich eben ausziehen solltest? Du hast ein schlechtes Gewissen, also: Wer war bei dir?“

Saladir konnte nicht antworten. Lubans zufrieden lächelndes Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf und gleichzeitig die Erinnerung an die unvorstellbaren Schmerzen, die er durch ihn erfahren hatte. Würde es Sinn machen, den Herzog an Azul zu verraten – oder zerstörte er damit jede Chance auf ein Entkommen?

„Antworte!“

Saladirs Gedanken drehten sich im Kreis. Was sollte er sagen? Was würde passieren, wenn er sich entschied? Einen von zwei sehr mächtigen Naralfir würde er sich mit seiner Antwort zum Feind machen...

„Du würdest mir sowieso nicht glauben. Was sollte es mir also bringen, dir zu antworten?“

„Das zu entscheiden, überlass' mir.“ Azul packte Saladir an den Schultern und schüttelte ihn. „Also? Wer war es?“

„Fass' mich nicht an!“, rief der junge Lythari panisch und gab Azul einen heftigen Stoß gegen die Brust.

Dieser stieß ein gereiztes Schnauben aus und warf sich den Lythari über die Schulter. Ohne dessen Zappeln zu beachten ging er in das angrenzende Badezimmer und stieg in das duftende Wasser in der Wanne. Erst als er saß, ließ er sein unwilliges Päckchen ebenfalls ins Wasser gleiten. Saladir biss die Zähne zusammen, als er so wieder viel zu eng mit dem Körper dieses Mannes in Berührung kam. Hastig rutschte er an das entgegengesetzte Ende, um möglichst viel Abstand zwischen sie zu bringen, zog die Knie unter das Kinn und umschlang sie mit den Armen.

„Wasch' dir das Zeug ab“, befahl Azul und lehnte sich zurück. Saladir holte tief Luft, ehe er untertauchte und die Wärme ihn umfing wie ein Kokon. Als er wieder auftauchte, fiel ihm das Grinsen auf den Lippen des Naralfir auf. Er biss sich wieder auf die Lippen und atmete einige Male tief durch.

„Darf ich die Seife haben?“

Azul reichte ihm wortlos das Gewünschte, und Saladir war froh, nach so langer Zeit endlich die Möglichkeit zu haben, das Vogelnest zu waschen, zu dem seine Haare geworden waren. Fast hätte er gelächelt, als ihm der weiche Schaum den Nacken hinunterlief – doch dann sah er, wie ihn sein Gegenüber mit einem zufriedenen Grinsen beobachtete und kniff die Lippen zusammen. Er nahm die Seife und schäumte sie zwischen den Händen auf, kroch umständlich auf seine Knie und drehte Azul den Rücken zu, bevor er sich überall einseifte. Das Mandelöl in der Seife machte seine Haut weich, wie er überrascht feststellte, während ihm der sanfte Geruch in die Nase stieg. Saladir erstaunte es, wie sich etwas so einfaches wie ein Bad mit warmem Wasser und Seife wie unermesslicher Luxus anfühlen konnte. War er wirklich so verwöhnt gewesen, wie der Mann ihm gegenüber es ihm immer unterstellt hatte? Der Gedanke, wieder in sein stinkendes Loch zurückkehren zu müssen, bereitete ihm plötzlich großes Unbehagen.

Als er fertig war und sich einmal komplett untergetaucht hatte, drehte der Lythari sich wieder um und beobachtete den Naralfir mit einer Mischung aus Unsicherheit, Angst und Trotz. Was hatte der König jetzt vor?

„Und jetzt sag' mir, wer dich mit der Brühe übergossen hat“, verlangte Azul ruhig.

Zu ruhig und mit einer Kälte in der Stimme, die Saladir frösteln ließ, trotz des heißen Wassers.

Saladir schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht...“, sagte er.

„Natürlich kannst du. Es ist ganz einfach. Ich will nur ein Wort: Einen Namen.“

Azuls Stimme wurde, wenn das möglich war, noch ruhiger und kälter. Mit einer schnellen Bewegung griff er nach dem angezogenen Knöchel des Lythari und zerrte diesen zu sich. Saladir verlor den Halt und kippte mit einem Aufschrei nach hinten um, doch kaum, dass er wieder aufrechtsaß, starrte er hustend und würgend vom verschluckten Wasser in Augen, in denen Wut ein Gühen entzündet hatte. Im nächsten Moment spürte Saladir eine Hand um seinen Hals, die ihn erneut unter Wasser drückte.

„Bist du sicher, dass du nicht antworten kannst?“, fragte Azul, nachdem er den Kopf seines Gefangenen wieder an die Luft gezogen hatte, um diesem einen kurzen Atemzug zu ermöglichen.

Saladir kam gar nicht dazu, ein weiteres Mal den Kopf zu schütteln, schon war er wieder unter Wasser. Das, was ihm vor Augenblicken noch wie eine Erlösung von seinen Qualen erschienen war, wurde nun eine weitere perfide Falle. Er zappelte und schlug um sich, doch seine Hände trafen ins Leere, bevor sie sich am Rand der Wanne festkrallten. Dass er um sich trat, führte schließlich nur dazu, dass Azul sich ein weiteres Mal über ihn beugte... genau zwischen seine Beine. Der Naralfir war hart, stellte Saladir beiläufig fest, als er einmal mehr atmen durfte, doch schon schlug wieder Badewasser über ihm zusammen.

Wie lange Azul das tat und wie oft, vergaß Saladir zu zählen, doch irgendwann hatte er keine Kraft mehr. Nicht zum Atmen, nicht zum Schreien oder zum Denken. Seine Hände umklammerten Azuls Schultern, seine Beine dessen Hüften... einfach, um nicht mehr Wasser schlucken zu müssen, das er schwallweise wieder erbrach, mit jedem Luftzug, den sich sein zitternder Körper im puren Überlebensinstinkt in die Lunge zwang.

„Wer hat dir "Nachtfolter" gegeben?“

Saladir hörte die Frage kaum und hustete nur. Sein Hals schmerzte inzwischen wieder, seine Brust brannte und beinahe wäre es dem jungen Prinzen lieber gewesen, wenn er nicht aus seinem Gefängnis gekommen wäre. Beinahe. Als Azul sich bewegte, fürchtete Saladir, erneut ertränkt zu werden und klammerte sich noch fester an ihn. Es war egal: Luban oder Azul, einer von beiden würde ihn umbringen, soviel stand fest. Und es würde kein sanfter Tod sein.

Aber Luban würde ihn vermutlich vorher noch in den Wahnsinn treiben.

„Du kannst mir drohen, so viel wie du willst, Azul“, flüsterte Saladir schließlich heiser, mehr zu sich selbst, als an den Naralfir gerichtet. „Du kannst mich nicht vor allen Naralfir beschützen, das hast du selbst gesagt. Ich werde sowieso elendig hier sterben, das habe ich jetzt begriffen.“

„Dann sag' mir, was ich hören will: Sag' dass du mir gehörst.“

Azuls Stimme war sanft geworden und fast wäre es ihm gelungen, den Lythari in die Arme zu schließen. Doch dieser wich an das gegenüberliegenede Ende der Badewanne zurück, einen verzweifelten Ausdruck im Gesicht.

„Aber verstehst du es denn nicht?“, schrie er rau. „Ich gehöre dir doch schon längst! Ich bin vollkommen von dir und deiner Laune abhängig! Wenn du mich nicht mehr willst, werde ich hier sterben!“

Für einen Moment sah man Überraschung über das Gesicht des Königs der Naralfir huschen, bevor ein Klopfen die Stimmung unterbrach. Azul erhob sich und ging in das kleine Vorzimmer, wo Saladir hören konnte, wie er sich mit gedämpfter Stimme unterhielt. Sie kam ihm vage bekannt vor: Der Heiler? Nur allzu schnell kehrte Azul zurück, nun in einen Bademantel gehüllt und einem kühlen, undurchdringlichen Ausdruck auf dem Gesicht.

„Meine Gäste sind eingetroffen und verlangen meine Aufmerksamkeit“, verkündete er. „Du wirst dich ankleiden und dann ebenfalls im Speisesaal einfinden. Haruim wird dir dabei helfen. Wende dich an ihn, er weiß Bescheid.“

Mit diesen Worten drehte Azul sich um und verließ den Raum. Es erklang das Rascheln von Kleidung, und Saladir sank fassungslos ins Wasser zurück. So traf ihn Haruim später an, als er nach einem Klopfen den Raum betrat und sein besorgter Gesichtsausdruck dem liebevollsten Lächeln Platz machte, was der junge Lythari seit langer Zeit gesehen hatte.

„Es freut mich zu sehen, dass Ihr wohlauf seid, Euer Hoheit“, begrüßte er Saladir und entfaltete ein schneeweißes Handtuch. „Kommt mit mir, damit wir Euch für die Abendveranstaltung herrichten können.“

Noch immer völlig verblüfft von der Wendung, die diese Situation genommen hatte, kam Saladir der Bitte stumm nach. Haruim wickelte ihn in das Handtuch und führte ihn aus dem Bad durch eine weitere Nebentür des Vorraums in ein kleines, aber luxuriös eingerichtetes Zimmer.

Die Pracht verschlug dem Prinzen den Atem: Goldene Verziehrungen an den Wänden, edelster Marmor auf dem Boden und eine riesige Fensterfront, die in einen sonnenbeschienenen Garten hinausführte. Aufwändige Stuckschnitzererein ließen die Zimmerdecke wie ein Blumenmeer aussehen und flauschige Teppiche mit eingewebten Goldfäden dämpften das Geräusch der Schritte. Eine zierliche Couchgarnitur aus weiß lackiertem Holz lud zum Verweilen und Plaudern ein – doch das riesige runde Bett, das mit Abstand den meisten Platz im Zimmer einnahm und durch seine rotvioletten Kissen und Decken zweifellos als Blickfang dienen sollte, trieb Saladir die Schamesröte in die Wangen. Genau dorthin führte Haruim ihn nun und entfaltete ein weiteres Bündel glänzenden Stoffs, das auf dem Überzug gelegen hatte.

Kopfschmuck wie ein Diadem aus weißen Diamanten, funkelnde Armereifen, eine Weste aus glänzendem Stoff und ein langer Rock aus dem gleichen Material kamen zum Vorschein. Frauenkleider... Saladir schüttlelte ungläubig den Kopf.

„Das werde ich nicht anziehen.“

Haruim zeigte sich unbeeindruckt. „Oh doch, das werdet Ihr. Andernfalls habe ich den Auftrag, Euch nackt nach unten zu bringen.“

„Niemals.“

Haruim ergriff die linke Hand Saladirs und streifte erst den Ärmel der Weste, dann die Armreifen über dessen Handgelenke.

„Ihr habt bereits erlebt, was passiert, wenn man den König verärgert. Warum wollt Ihr es unbedingt darauf anlegen?“

„Sich als Mann so herauszuputzen ist würdelos und demütigend.“

„Dann bevorzugt ihr jetzt doch Nacktheit? Meint ihr nicht, dass Eure lytharische Abstammung schon für genügend Aufsehen sorgen wird?“ Haruim griff nach Saladirs rechter Hand und schob ebenfalls Armereifen und Westenärmel darüber, gröber diesmal. „Was Ihr als Würde bezeichnet, hat hier keinen Wert. Ihr wart in Eurem Reich eine Respektsperson, aber es ist töricht, hier ebenfalls darauf zu beharren.“

„Wieso ist das töricht? Ich bin wirklich ein Prinz! Es ist nicht nur leeres Gerede oder eine Wahnvorstellung, falls du das glauben magst!“

Haruim fasste sich an die Stirn, als bekäme er Kopfschmerzen. Er holte tief Luft, dann sprach er ganz langsam, als erkläre er etwas einem Kind.

„Prinz Saladir, vergesst, wo Ihr herkommt. Passt Euch an, wenn Ihr überleben wollt. Verärgert den König nicht und zieht an, was er Euch bringen ließ. Ihr habt bereits mehrfach gesehen und erlebt, wozu er fähig ist. Stellt ihn nicht weiter auf die Probe.“

„Aber...“

Haruim hockte sich vor ihn und stopfte Saladirs Füße in das Kleidungsstück, das dieser zuerst für einen Rock gehalten hatte – sich aber nun als eine weit geschnittene Hose offenbarte. Es war etwas Erniedrigendes in dieser Geste, doch Saladir erkannte auch, dass es wohl schlimmer war, Haruim für etwas büßen zu lassen, wofür dieser gar nichts konnte.

„Kein "Aber". Wer überleben will, muss sich anpassen. Erst dann kann man darüber nachdenken, wie man es schafft, eine Situation zu seinen eigenen Gunsten zu verändern.“

„Ich soll mich also zum Lustknaben von Azul machen lassen?“, fauchte er, und Haruim schaute zur Seite, den Kiefer angespannt, als ob er nach Worten suchen müsste.

„Es gibt Schlimmeres, als dem König zu dienen“, antwortete er schließlich dumpf. „Überall existieren Leute, die bereits kleinste Vergehen sehr hart bestrafen. Auch unter den Elfen gibt es jene, für die Schönheit nur existiert, damit sie diese zerstören können...“ Der Waldelf zitterte, während er sprach, und so fiel es ihm schwer, die Hose an Saladirs Hüften zurechtzuziehen. „Der König könnte seine Drohungen wahrmachen. Bisher war er nämlich ausgesprochen nett zu Euch.“

Das half. Saladir hatte nicht die geringste Lust herauszufinden, was Azul mit Wurzelgemüse anstellen konnte und nackt durch die Stadt geschleift und zur Schau gestellt zu werden, erinnerte ihn zu sehr an seine Ankunft. Wie ein Sack Mehl über dem Rücken des Kissards zu hängen, während eine Naralfirhorde ihn begaffte... nein. Dann doch lieber eine Pluderhose, denn womöglich hatte der Heiler Recht, und man sollte einen Naralfir nicht unnötig provozieren – auch wenn ausgerechnet ihm das scheinbar sehr leicht gelang. Viel zu leicht...



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (7)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  LindenRathan
2019-04-05T00:20:36+00:00 05.04.2019 02:20
Die Geschichte gefällt mir sehr gut. Weiter so!
Antwort von:  Lady_Shanaee
05.04.2019 11:49
Vielen Dank für diesen Zuspruch! Wir werden uns weiterhin Mühe geben!
Von:  Coppelius
2019-03-09T11:47:58+00:00 09.03.2019 12:47
Hey :)

Ich habe deine FF gelesen und fand sie bis jetzt richtig gut :)
Ich möchte echt gerne wissen, wie es mit Saladir weitergeht :D

LG Coppelius
Antwort von:  Lady_Shanaee
09.03.2019 17:35
Vielen lieben Dank für Deine Zeilen,

es freut BloodyRubin und mich sehr, dass Dir unsere Überarbeitung gefällt. Wie es weitergeht, ist eigentlich klar, denn auch der Ursprungstext ist verlinkt - aber welche Details sich verändern, wird nicht verraten. (Leider vereinnahmt mich das echte Leben gerade zu sehr T^T)

Eines aber ist mir, Shanaee, wichtig: Diese Geschichte ist keine FF, also keine Fanfiktion. BloodyRubin könnte sie z.B. gegen Geld als Kindle bei Amazon veröffentlichen. Dieses "Bis du mein bist..." hier ist die Überarbeitung von einer Geschichte, die - im Gegensatz zu einer Fanfiktion - nicht auf einem Manga, Anime oder anderem Buch bzw. Film basiert. ^-^ Ich müsste diesen Text löschen, wenn BloodyRubin es so möchte, weil es eben nicht meiner ist, sondern ich nur daran mit- und überarbeite... soviel zu den Rechten an sogenannten Original Works.
Ich weiß, diese Erklärung wirkt ein bisschen von oben herab, aber ich hoffe, sie ist verständlich. Es erstaunt mich einfach immer wieder, wie viele Leute nicht zu wissen scheinen, was der Unterschied zwischen einer Fanfiktion und einem original Text ist (die Animexx liebevoll als "Eigene Serie" deklariert).

Dennoch bedanke ich mich stellvertretend auch für BloodyRubin, dass Du uns ein Feedback gegeben hast, und wir hoffen natürlich auch, dass Du uns gewogen bleibst! Bis zum nächsten Mal!

LG
Von:  Twelfth_Night
2018-02-25T00:41:44+00:00 25.02.2018 01:41
Meine werten Damen, auch in diesen editierten Kapitel macht sich eure gemeinsame Arbeit äußerst positiv bemerkbar, denn nicht nur dass alle Figuren deutlich mehr Charaktertiefe und Individualität erhalten haben, sondern auch mehr Interaktion ... Sehr schön! (◠‿◠✿)

Aber ... Mann oh Mann, diese vier Naralfir-Soldaten?! Ein richtiges Comedyquartett – so kommen mir diese "feinen Herren" vor. Bei einigen Szenen musste ich schon sehr schmunzeln. Der arme Hauptmann... (◔◡◔✿)
Antwort von:  Lady_Shanaee
28.02.2018 14:44
Ich habe keine Ahnung, wieso es so lustig geworden ist, denn die Soldaten sollten dem armen gefangenen Prinzen eigentlich Angst einjagen. >.<
Es ist auch nicht so, dass sie inkompetent wären, denn sonst hätten nicht sie ihren König begleitet, sondern andere. Aber irgendwie... ist das doch alles sehr aus dem Ruder gelaufen. Oder aber Akal und Fenach sind einfach ein "Baka"-Duo.
Antwort von:  Twelfth_Night
01.03.2018 00:03
Ich stelle mir das "Baka"-Duo jetzt so vor: (☆⊙∇⊙)爻(⊙∇⊙☆)
Antwort von:  Lady_Shanaee
05.03.2018 14:10
Aaah, die "Baka-Bros" TM... das gibt auch nochmal einen guten Titel für ein Spin-Off ab *lach*
Es ist wahrlich an der Zeit, sich auf das Wesentlliche zu besinnen, denn sonst ist das hier bald kein Dark Fantasy-Roman mehr sondern ein Schelmenroman *kicher*
Von:  Twelfth_Night
2018-02-25T00:38:21+00:00 25.02.2018 01:38
Für Dich, Mylady, fasst sich dieses scheue Reh einer Rezensentin wieder einmal ein Herz und hüpft aus dem dichten Unterholz der Anonymität. Doch diesmal richtet es die ersten Worte an die werte Hauptautorin BloodyRubin – Du, holde Lady, kommst später an die Reihe! (◕‿◡✿)

So... *räusper*
Wertes Fräulein BloodyRubin, zuerst einmal finde ich es bewundernswert, dass Du Dir die Mühe machst und die Zeit nimmst, Deine bereits beendete Geschichte zu überarbeiten, um kleinere Fehler (z.B. Rechtschreibung, Grammatik, Absätze), aber auch größere, die schwerer zu beheben sind (z.B. Logiklücken, Szenenfehler) auszumerzen.

Das verdient ein großes Lob und Respekt!

Oft genug gibt es Autoren, die zwar darum bitten, auf Fehler – egal welcher Art – aufmerksam gemacht zu werden, diese dann aber nicht korrigieren wollen. Selbst wenn es nur Kleinigkeiten sind.
Oder jene, die um Verbesserungsvorschläge bitten, diese aber dann gekränkt ablehnen, wenn man es tatsächlich wagt... Mit der Ausrede, es schränke sie in ihrer "Kreativität" ein, Vorschriften gemacht zu bekommen.
Erwähnenswert sind auch die, deren Geschichten beendet sind und deren Freunde und Fans schließlich alle kommentiert haben, woraufhin sie ihre eigenen Geschichten nie wieder lesen.
"Ich habe meine Kommentare." Frei nach dem Motto: Nach mir die Sintflut. "Was interesiert mich mein Geschreibsel von gestern..." oder gar "Mir doch egal! Ich bin ja kein (Profi-)Autor." Das sind Zeilen, die man leider heutzutage viel zu oft liest. Diese "Schreiberlinge" werten damit ihre eigene Arbeit ab. (¬_¬✿)

Also – Applaus für Dich! (◕ᴗ◕)//

Du hast Dich an eine Zusammenarbeit mit der von mir sehr geschätzten Lady_Shanaee gewagt. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es bestimmt anstrengend mit ihr ist. (◕ᴗ◕;✿) Aber es wird sicher nicht zu Deinem Schaden sein, denn das erste Kapitel (nun der Prolog) liest sich jedenfalls atmosphärisch dichter. Der tragische Held Saladir bekommt hier schon von Anfang an eine Persönlichkeit – etwas, das man im Ursprungstext erst viel zu spät erfährt. Auch sein Handeln wirkt nun logischer und nachvollziehbar.
Die Gegensätze zwischen der Welt der Lythari, aus der er stammt und jener der Naralfir, in die er nun gelangt, habt ihr beiden gemeinsam gut ausgearbeitet.
"Show, don't tell", rät man Autoren oft und gemeinsam gelingt es euch, die Welt von Kerui für den Leser – also mich (˶◕‿◕˶✿) – zum Leben zu erwecken.

Mein persönlicher Geschmack rät mir inzwischen, mich von "Herr/Sklave"-Beziehungen, aber auch jeder anderen Art von Partnerschaften, in der es ein hierarchisches, sexuelles Beziehungsverhältniss gibt, fernzuhalten. Das Machtgefälle innerhalb einer solchen Beziehung wird zu oft als Partnerschaft zweier gleichwertiger Liebender romantisiert: So wird der tyrannische "Herr" nett durch die hingebungsvolle Liebe zu seinem devoten "Sklaven", und verwechselt Gehorsam mit Liebe und Respekt... oder wenn der "Sklave" den "Herrn" dominert, weil er die eiskalte Fassade durchbricht und ein zartfühlendes Herz bloßlegt, das sich nur nach Liebe gesehnt hat? Nein.
Aber natürlich gibt es da auch noch die "Sklaven", die freudig das eigene Denken und ihre Persönlichkeit über Bord werfen, um einem Herrn zu dienen, der ihnen jede Individualität nimmt... weil er die drei magischen Worte gesagt hat.
Verstehen mich nicht falsch: Solch eine Konstellation kann reizvoll sein (wenn gekonnt) – meinen persönlichen Geschmack trifft es aber nur allzu selten. "Bis du mein bist..." sei anders, verriet mir die Lady, und deshalb schaute ich einmal in diese ungemein dunkle Darkfic. Nun bin ich sehr gespannt, wertes Fräulein, wie die Geschehnisse sich durch ihre Mitarbeit entwickeln werden. (◕‿◕✿)

Zu guter Letzt einige Worte an meine liebe Lady_Shanaee:
Teuerste, ich bewundere Dein edles Wesen, Deine Schreibkunst und kompetente Meinung über alle Maßen. Auch auf die Gefahr hin, dass Dich meine ernstgemeinten Worte in Verlegenheit bringen und Dich erröten lassen, bekenne ich mich öffentlich dazu. Denn sie sind wahr, und doch necke ich Dich gerne! '(^▼^)'↑

Deine demütige Dienerin,
die Kommentatorin aka Du weißt schon wer ♪:.(◡‿◡✿).:♪
Antwort von:  BloodyRubin
25.02.2018 23:01
Vielen, vielen lieben Dank. *blush*
Mir persönlich würde es besser gefallen, wenn ich auch bei meinen angefangenen Geschichten mal weiterkommen würde, aber naja...
Momentan macht es mir aber tatsächlich viel Spaß, mit Lady_Shanaee zu arbeiten. Und ja, das ist teilweise anstrengend, aber es hilft mir ja auch.
Das es sich jetzt schon besser liest, ist sehr erfreulich. Es wird noch einiges an Arbeit auf uns zukommen, aber wir kriegen das schon hin. ^^ Ich für meinen Teil arbeite sehr gerne mit der Lady zusammen. Sie ist sehr streng, aber weder eingebildet noch arrogant. Und ich hoffe sehr (und glaube auch daran), dass wir "Bis du mein bist..." zu einer richtig guten Fanfiction machen können.
Also nochmal vielen Dank und ganz liebe Grüße,
BloodyRubin
Antwort von:  Twelfth_Night
28.02.2018 23:53
Werte BloodyRubin, ich wollte Dich nicht in Verlegenheit bringen – dennoch erfreue ich mich an Deinen rosigen Wangen! Aber lass mich Dir ins Ohr flüstern: "Diese Geschichte, holdes Fräulein, ist niemals eine Fan-Geschichte, sondern ein Original-Werk. Dein höchsteigenes!".
Verzeiht mir, Fräulein, aber der Triebtäter in mir konnte sich – wegen so viel Liebreiz – nicht mehr beherrschen. ԅ(≖‿≖ԅ)


Zurück