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Von der Kunst, richtig zu sein

von

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Anruf

Als Nathan anrief, war er gerade mit putzen beschäftigt.

Ihm war vollkommen klar, dass es ein furchtbares Klischee war, dass er zu putzen begann, wenn er Angst hatte, aber, obwohl er wusste, was die psychologischen Hintergründe waren, konnte er nicht damit aufhören. Die wahrscheinlich bekannteste krankhafte Ausbildung dieses Phänomens war wohl der Waschzwang. Wenn Menschen Angst hatten und das Gefühl hatten, keine Kontrolle mehr über ihr Leben oder eine bestimmte Situation zu haben, begannen sie andere, kleinere Dinge zu kontrollieren. In einem komplexen Prozess aus passiver, positiver Verstärkung - wenn ich es tue passiert nichts (aber wenn ich es nicht tue, könnte etwas passieren) - und anderen psychologischen Faktoren, formte sich daraus dann die Psychose. Shinji würde es bei sich nicht unbedingt als Psychose bezeichnen, obwohl er fast wahnsinnig wurde, wenn er mit dem Putzen aufhörte.

Dennoch unterbrach er sein Tun, als er sein Handy hörte. In einem sehr unwahrscheinlichen Fall hätte das sein Chef sein können, weshalb er zu dem Gerät eilte und auf das Display sah. Eine Nummer die noch nicht benannt war... das konnte nur Nathan sein. Hatte er ihn denn immer noch nicht vergrault? Das durfte doch wirklich nicht wahr sein!

Ohne wirklich darüber nachzudenken, nahm er den Anruf an und knurrte ein 'Hi' in das Handy.

Das 'Hey' das erwidert wurde, klang brutal warmherzig. Warum zum Teufel war Nathan so geduldig mit ihm? Wenn ihn jemand so sehr abgewiesen hätte, hätte er ihn schon dreimal mit einem 'Fick dich' stehen lassen.

"Ich hab daheim noch ein paar Karten fürs nächste Basketball Spiel herumliegen. Hast du Lust mit zu kommen? Die Play-Offs haben angefangen, jetzt wird es ernst."

Basketball? Ernsthaft? Er war nie der größte Fan gewesen, aber er erinnerte sich gut an das eine Mal, als sie aus Spaß zu einem B-Liga Spiel ihrer Heimatstadt gegangen waren. Das war schon ziemlich cool gewesen.

Aber heute? Heute sah das ganz anders aus. Wenn Shinji sich jetzt vorstellte, sich in eine Halle mit hunderten, vielleicht tausenden verschwitzten und grölenden Menschen zu zwängen, bekam er Probleme zu atmen.

... mal ganz abgesehen davon, dass er sich dazu entschlossen hatte, Nathan auf Abstand zu halten.

"Ich hab keine Zeit, sorry." Das klang nicht halb so genervt und abweisend, wie er eigentlich gehofft hatte, aber es würde sicher reichen. Was sollte Nathan auch schon dagegen sagen?

"Hm...", kam es nachdenklich aus dem Handy. Shinji hielt die Luft an und hoffte, dass Nathan das einfach schlucken würde.

"Du weißt ja noch nicht einmal, wann das Spiel ist und sagst schon, dass du keine Zeit hast?"

Fuck! Er hatte gar nicht bemerkt, dass Nathan noch kein Datum genannt hatte.

"Shinji... was ist los?"

"Nichts", antwortete er automatisch, bevor er die Frage richtig verstanden hatte. Es war eine Standardantwort, denn natürlich war immer 'nichts', wenn man ihn das fragte. Sein verkatertes Hirn spulte einfach irgendwelche Protokolle ab, aber so kam er hier nicht weiter. Vielleicht ging es ja anders. Er wusste, er hätte einfach weiter stur und unfreundlich bleiben sollen, aber das kostete ihn so unglaublich viel Kraft.

"Sorry... ich bin... einfach kein besonders großer Fan von... so was..." Toll formuliert, wirklich! Vor allem, weil Nate jetzt ganz locker auch etwas anderes vorschlagen konnte.

"Wenn du mich nicht sehen willst, dann sag es mir."

Shinji presste die Lippen zusammen. Er wollte Nate ja nicht weh tun. Er wollte wirklich nicht, aber so konnte es einfach nicht weiter gehen.

Erschöpft lehnte er seine Stirn gegen eine Wand. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt, aber ihm lagen die Worte so unglaublich schwer im Magen.

"Aber wenn es nur daran liegt, dass du kein Fan von Basketball bist, geb ich die Karte wem anders. Ich hatte nur gedacht es wäre ganz cool, wenn wir zu zweit etwas unternehmen könnten, das vielleicht weniger feuchtfröhlich endet."

Plötzlich fragte sich Shinji, wer das Billard Match eigentlich gewonnen hatte, denn wenn Nathan der Sieger war, hätte er einfach auf der Wette bestehen können. Das tat er aber nicht. Warum? So fertig wie Shinji heute war, konnte er unmöglich gewonnen haben und selbst wenn, konnte er sich an seine Forderung nicht einmal erinnern. Er wollte aber auch nicht fragen. Feige wie er war, hoffte er einfach, dass sein ehemaliger Freund auch einen Filmriss hatte.

"Hör mal...", begann er dann aber, bevor das noch weiter so ging. Die Wand fühlte sich kühl auf seiner Haut an, die vor Stress völlig überhitzte. "Ich weiß nicht mehr was gestern Abend passiert ist. Aber da ich dich hier hab schlafen lassen... also... ich wollte nicht den falschen Eindruck erwecken. Es ist nett, dass du versuchst, die alte Freundschaft wieder aufleben zu lassen, aber ich denke nicht, dass das viel Sinn macht..."

Jetzt war es raus. Das hätte er schon viel früher sagen sollen, auch wenn es ihm so unsagbar schwer fiel. Er wollte niemandem weh tun. Er wusste doch selbst nur zu genau, wie sich das anfühlte.

Doch er hatte die Rechnung ohne Nate gemacht: "Mach dir nicht ins Hemd. Was ist schon dabei, wenn du einen Besoffenen bei dir pennen lässt? Wer weiß, ob ich den Weg zu mir noch gefunden hätte."

Shinji schlug seinen, sowieso schon schmerzenden Kopf, frustriert gegen die Wand. Das durfte doch wirklich nicht wahr sein!

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass du keinen Bock auf Basketball hast. Wenn du nicht mit mir zu den Play-Offs willst, dann schauen wir uns das Spiel eben bei dir an. Oder bei mir. Oder mittig in einer Sportbar. Komm schon! Du brauchst auch ein wenig Freizeit außerhalb der Arbeit. Also?"

Was sollte er denn noch machen? Jetzt hatte er es ihm schon direkt gesagt und Nathan gab immer noch nicht auf? Was war der Kerl? Grenzdebil?

"Das ist doch Schwachsinn!", knurrte er als Antwort. "So Karten sind teuer und schwer zu kriegen. Such dir wen mit dem du hin kannst, statt deine Zeit mit mir zu verschwenden."

Doch als Antwort bekam er erst einmal nur ein seufzen. Kein genervtes, eher ein angestrengtes, was klang wie: "Du bist echt ein Idiot."

"Ich will mit dir das Spiel sehen, Shinji. Wir können uns den Bauch vollschlagen und uns über die hysterischen Fans lustig machen. Mit wem könnte ich das sonst machen? Um die Karten brauchst du dir keine Gedanken machen, die hab ich selbst nur zufällig geschenkt bekommen. Wir können das also ganz gemütlich machen. Komm schon... Kumpel... lass mich nicht hängen. Muss ich wirklich erst betteln?"

Und da platzte Shinji der Kragen:

"Ja, aber warum denn!? Wir haben uns Ewigkeiten nicht gesehen und du willst mir ernsthaft erzählen, dass du mit niemandem lieber das Spiel sehen willst?"

Wenn er so darüber nachdachte, war das schon sehr merkwürdig. Warum versteifte sich Nathan so auf ihn? War da doch etwas im Busch? War das ein Trick? Hatte er sich doch geirrt? So gutmütig Nathan auch war, derart treudoof konnte nun wirklich niemand sein. "Verarschen kann ich mich selbst."

Eine lange Zeit war es still in der Leitung und er hoffte schon, Nathan hätte einfach aufgelegt. Doch Fehlanzeige.

"Du bist mir vielleicht einer."

Er verstand beim besten Willen nicht, wie Nathan immer noch an diesem Gespräch hier festhalten konnte. "Wir hatten gestern echt Spaß, genauso wie früher. Warum sollte ich meine Freizeit nicht mit dir verbringen wollen?"

Spaß? Sie? Nate mit ihm? Das konnte er kaum glauben. Er kannte sich. Klar war er durch den Alkohol lockerer gewesen, aber sie hatten nur Billard gespielt, mehr nicht. "Wenn ich die Wahl habe, entscheide ich mich immer für dich, Shinji."

Sofort ruckte sein Kopf von der Wand weg.

"Hältst du das für witzig!?" Eigentlich hatte er das ins Handy schreien wollen, aber der plötzliche Luftmangel und sein hämmerndes Herz, nahmen den Druck aus seiner Stimme. Wie konnte Nathan auch so was sagen? Und warum? Nur, damit er mit ihm dieses ätzende Spiel ansah? Das war doch krank! "Hör auf so einen Schwachsinn von dir zu geben!"

"Warum bist du so sauer?"

Das war doch wirklich die Höhe!

"Ich bin nicht...!" Er brach ab, weil er diese Lüge nicht aus sich heraus gepresst bekam. Stattdessen biss er die Zähne zusammen und zwang sich zur Ruhe, damit er nicht auch das letzte bisschen Verstand verlor.

"Ich will so was nicht hören, klar? Mal abgesehen davon, dass das nicht wahr sein kann, ist es... ist es..."

Widerlich, wollte er sagen, aber er bekam es nicht über die Lippen. Er wollte Nate nicht auf diese Weise weh tun. Er wollte ihm nicht vorwerfen ekelhaft zu sein, wenn er solche Empfindungen einem Mann gegenüber hatte. Es überschritt ja nicht einmal die Grenze, aber es kratzte so sehr an ihr, dass alle Warnsignale in seinem Kopf an gingen.

"Sag das gefälligst deiner zukünftigen Frau, aber nicht mir.", beendete er schließlich und ein müder Unterton klang mit seinen Worten mit.

"Ist schon klar", versicherte Nate ihm schnell, als wäre ihm erst jetzt aufgefallen, was er da eigentlich gesagt hatte. "Mach dir keinen Kopf. Ich grab doch nicht meinen ehemals besten Freund an. Ich meinte das ganz freundschaftlich."

Shinji wunderte sich ein wenig, wie Nathan gleich auf 'angraben' kam, denn das hatte er wirklich nicht gemeint. Ja, es war etwas, was man nicht zu einem Mann sagen sollte, aber selbst er hatte es noch knapp vor der Grenze zum Flirten eingeordnet. Dann aber wurde ihm bewusst, dass man in dem Zusammenhang seinen unvollständigen Satz auch als 'Ich bin nicht schwul' interpretieren konnte, was dann wiederum Sinn ergab. Das hatte er aber nicht gemeint. 'Ich bin nicht sauer', war das gewesen, was er hatte sagen wollen.

Er lehnte seinen Kopf wieder gegen die Wand und seufzte kraftlos.

"Ich kann das nicht, Nathan. Geh in eine Bar oder wo man auch immer Leute kennenlernt und sprich da den nächstbesten Kerl an. Ich bin sicher, er ist ein besserer Freund als ich. Mit mir verschwendest du nur deine Zeit." Er war einfach zu müde um noch zu verbergen, was er eigentlich dachte. Denn was sollte Nate schon mit ihm? Er war ein Einsiedler, ein Langweiler und ein Spinner mit so vielen Komplexen und Ängsten, dass er es kaum schaffte etwas anderes als seinen Alltag zu bewältigen. Und selbst das scheiterte regelmäßig, was sein ständig leerer Kühlschrank hervorragend demonstrierte.

"Ich geb dich nicht auf.", kam es leise aus dem Telefon. "Ich geb nicht so einfach meinen besten Freund auf." Und dann legte Nate auf.



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