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Nicht in Zuckerwattenhausen

von

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Grüner Apfel

„Haben Sie ihn schon angerufen?“ Frau Molls Stimme war so weich, dass sie fast zerfloss. Am Schreibtisch saß sie, mit einer Blümchenbluse und einer dick umrandeten Lesebrille auf der Nase und löste ein Kreuzworträtsel. Draußen dämmerte es bereits, und sie hatte die Westseite, von wo aus man zwischen den Tannen die untergehende Sonne mit den weichen Farben beobachten konnte.

Das Zimmer wurde erfüllt von der kräftigen Stimme Marlene Dietrichs, eine Platte, die sich in einem uraltem Plattenspieler drehte.

Vor der Kaserne, vor dem großen Tor…“, sang sie mit.

„Wen meinen Sie?“ Ich runzelte die Stirn.

„Na, Ihren Verehrer, diesen…Sandor!“, half sie mir auf die Sprünge.

„Sandro“, korrigierte ich. „Nun, ich habe ihm angerufen…“ Irgendwie verstand ich ihr Interesse daran nicht. Ihre Reaktion auf den sogenannten Liebesbrief, ja ihr ganzes Interesse an Sandro und mir war wirklich sehr merkwürdig. Für eine Frau ihres Alters.

„Und?“

„Ich weiß nicht“, sagte ich und versuchte meine Stimme so beiläufig wie nur möglich klingen zu lassen um das Thema nicht all zu vertiefen.

„Gott der Liebe mit vier Buchstaben“, murmelte sie in ihr Rätsel vertieft.

„Amor, glaube ich. Oder Eros? Kein Ahnung“, brummte ich. „Hier. Die Broschüre.“ Ich blätterte das Faltblatt auf und legte es neben ihr Kreuzworträtsel. „Da ist ein Stundenplan mit allen Freizeitaktivitäten, die es gibt. Wir haben noch viel mehr im Angebot außer Häkeln“, sagte ich nicht ohne Stolz.

„Er ist doch bestimmt ein netter Kerl, dem Brief nach zu urteilen. Oder etwa nicht?“, kam sie schon wieder auf das Thema Sandro zurück.

„Aber ich bin bereits vergeben. Beziehungsweise…war ich das bis gestern.“

„Daher weht also der Wind! Na, ich mache mir da keine großen Sorgen, ihr seid doch junge Leute!“, meinte sie dazu nur. „Ihr werdet das schon wieder einrenken.“

„Tja, seien Sie sich da nicht so sicher“, erwiderte ich darauf nur und versuchte meine Sorgenfalte zu verbergen.

„Nun, wenn es so ernst ist, dann sollten Sie sich überlegen, ob Sie an dem Streit wachsen können und Sie bei ihm bleiben oder dem anderen jungen Mann seine Gelegenheit geben. So oder so. Seien Sie froh, dass Sie nicht zu meiner Zeit gelebt haben.“

„Oh ja. Bin ich!“ War ich wirklich. Ich musste schlucken.

„So wie Gustl und Sepp“, sagte sie leise. „Sie sollen wirklich alle Gründe der Welt haben, Ihr Leben und die Liebe in vollen Zügen zu genießen, egal mit wem.“ Dann schaute sie in die Broschüre, las mit dem Finger die kleinen Buchstaben.

„Ohh! Ein Poesie- und Lyrik-Kurs? Werden da etwa Gedichte geschrieben?“

Ich nickte. „Genau. Dort kann man sich kreativ auf austoben, ohne Grenzen, und es sind schon richtig schöne Gedichte dort entstanden. Möchten Sie sich das mal anschauen?“

„Au ja“, rief sie und freute sich wie ein kleines Mädchen. „Melden Sie mich bitte gleich an!“
 

~
 

Bis zum Feierabend hatte ich darüber gegrübelt, ob ich Sandro besuchen sollte oder nicht. Marlene Molls warme Worte lagen mir in den Ohren. Während von David überhaupt nichts kam, keine Entschuldigung, nichts. Wie kann der nur so eiskalt sein.

Ich war also nach Hause, hatte gegessen, geduscht, etwas Eleganteres angezogen als sonst und konnte nicht leugnen, dass etwas Nervenkitzel vorhanden war. Schließlich wusste niemand, mit wem ich mich traf, und ich selbst wusste absolut nicht, wer oder was mich erwartete; ob Sandro es sich vielleicht anders überlegt hatte und gar nicht zuhause war. Außerdem war das ungute Gefühl vorhanden, dass mir jemand folgte, und andauernd hatte ich mich auf der Straße umgesehen. Doch das war wohl nur mein Gewissen, das mich verrückt machte.

Nach dem Klingeln wartete ich ab. Die Tür wurde mir mit dem Summer geöffnet, ich nahm die Treppen hoch in den dritten Stock und ein Thorin Eichenschild Verschnitt im Totenkopf-Pulli stand vor mir. Das war der Schlagzeuger aus Sandros Band!

Er betrachtete mich von oben nach unten, schien mich regelrecht zu scannen. Am liebsten hätte ich gesagt: Hab mich verklingelt! Und dann auf dem Absatz kehrt gemacht, bis nur noch eine Staubwolke blieb, wie in Cartoons, doch dazu war es jetzt wohl zu spät.

„Sandro weiß, dass ich komme. Ist er da?“, würgte ich mit trockenem Mund heraus.

Er grinste. „Klar. Komm mit. Aber die Schuhe bitte aus.“

Der kleine, fast quadratische Flur war biederer eingerichtet als ich es mir ausgemalt hatte; heller Teppichboden, eine Garderobe, ein Schuhschrank, darauf eine sehr deplatziert wirkende Topfpflanze und ein Boxsack, der in der Ecke herumhing.

Irgendwie war Tilmann fast darum zu beneiden, dass er mit Sandro eine Wohnung teilte; er verstand sich gut mit ihm, kannte seine Macken. Am liebsten würde ich ihn stundenlang über ihn ausquetschen.

„Ist Sandro so schüchtern, dass er nicht mal selbst die Tür aufmacht?“, fragte ich.

„Dominique, das hab ich gehört!“, schallte aus dem Wohnzimmer seine Stimme.

Dort war es nun schon viel persönlicher; mit viel Rot und Schwarz, einem Bücherregal und stapelweise Magazinen; eine Shisha entdeckte ich in der Ecke und ein Stoffbanner, der Sex and Drugs and Rock´n´Roll verkündete.

Auf der Couch saß Sandro vor dem Fernseher, auf dem der Bildschirm zweigeteilt war und den Pausenbildschirm eines Videospiels anzeigte. Ich erkannte ein uraltes Nintendo64-Spiel. Die Flasche, aus der er Wasser trank, setzte er jetzt ab und schaute mich an; ertappte mich, wie meine Augen auf den Tälern seines Rückens auf Wanderschaft gegangen waren. Sandros Tag fing wohl schon gut an, sobald er morgens in den Spiegel schaute.

„Na du“, begrüßte er mich, während ein Tropfen seinen Hals entlang bis zum weißen T-Shirt lief. „Schön, dass du hergefunden hast. Setz dich. Magst du was trinken?“

Ich schüttelte den Kopf, weil ich nicht wollte, dass er jetzt wieder aufstand, und nahm neben ihm Platz, Tilmann auf dem Ohrensessel. Feuerzeug und Tabak lagen auf dem Couchtisch neben Fernbedienungen und seinem Handy, und in der Mitte als gesunder Kontrast eine Schale mit grünen Äpfeln.

„So sieht also dein Alltag aus.“

„Ne, ganz sicher nicht. Heute hatte ich einen freien Tag. Dafür hab ich aber drei Stunden trainiert. Wie war es auf der Arbeit?“

„Ganz gut. Du hast übrigens zwei Verehrerinnen. Eine alte und eine junge.“

Er lachte. „Cool, dass du vorbeikommen konntest, zu dritt macht es sowieso mehr Spaß, nicht wahr, Tilmann?“

„Zu…dritt?“ Fragend schaute ich zwischen ihm und Tilmann hin und her.

„Wir haben aber nur zwei Controller“, warf diese ein.

„Was spielt ihr denn?“, erkundigte ich mich.

„007 Goldeneye im Multimodus, hat schon einige Jahre auf dem Buckel, aber Tilmann konnte auf dem Flohmarkt nicht dran vorbeigehen…“

„Hey, Retro ist geil, aber Original ist unschlagbar!“, funkte dieser dazwischen.

„Ja, ja. Ich bin jedenfalls Xenia und habe James schon sechs Mal gekillt“, klärte Sandro mich auf. „Hat er ja selbst gesagt, dass er drauf steht, von heißen Bräuten weggeblasen zu werden.“

„Hier! Mach Blacky fertig!“ Tilmann drückte mir seinen angewärmten grauen Controller in die Hand.

„Habt ihr nix Besseres zu tun?“

„Später vielleicht...Wann willst du eigentlich deine Seminararbeit anfangen, Tilmann?“

„Klappe, für Games muss man sich ab und zu auch Zeit nehmen!“

„Ab und zu ist aber nett umschrieben!“

„Und was studierst du?“, erkundigte ich mich beiläufig.

„Ich arbeite Vollzeit. Im Fitnessstudio.“

Das hätte er nicht sagen dürfen. Reflexartig musste ich den Bauch einziehen.

„Komm doch mal vorbei, es ist vom Altenheim aus gerade um die Ecke. Wir haben nagelneue Geräte und einen Wellnessbereich mit Sauna…“

Daher brachte er in seiner Mittagspause seinem Vater Süßigkeiten vorbei? Er schien ein anständiger Kerl zu sein, auch wenn er gerne einen auf Badboy machte. Vermutlich mochte er aber das Bild des unerschütterlichen Badboys lieber als den des sich sorgenden Sohnes, was ich gut verstehen konnte.

„Aber besser nicht, wenn Sandro arbeitet, tu dir das nicht an.“

„Mir ist das sowieso zu teuer…“, murmelte ich mehr zu mir selbst; Kochen war bereits ein teures Hobby.

„Tja, wer an seiner Fitness geizt, spart am falschen Ende. Nur ein trainierter Körper ist in der Lage, die Herausforderungen des Lebens zu meistern, und nebenbei ist man weniger anfällig für Krankheiten. Außerdem sieht es einfach gut aus.“

„Ich gehe joggen“, verteidigte ich mich.

„Wann warst du zuletzt?“ Ich musste zu lange überlegen und Sandro lachte.

„Erzähl mal. War das dein Traumberuf?“

„Und ob, für ihn gibt es nichts Schöneres, als zuzuschauen, wie Kerlen der Schweiß austritt.“ Tilmann kicherte.

„Genau. Ich hab da wirklich einen Job ergattert, von der jede Schwuchtel nur träumen kann! Hach, wenn ich da an meine Zeit in der Logistik zurückdenke!“ Sandro streckte sich, bereitete sich mental und körperlich auf unsere Spielrunde vor.

„Oder als Metzger“, fügte Tilmann mit einem Augenzwinkern hinzu. „Daher kommt wohl seine Affinität für Frischfleisch.“

Ich runzelte die Stirn, verwirrt von dieser Andeutung. „Du hast nicht wirklich als Metzger gearbeitet, oder?“

„Ich bin gelernter Metzger, ja, aber keine Angst, unsere Küchenmesser sind alle stumpf.“ Er flatterte hibbelig mit den Beinen, wie ein Schmetterling. „Drück jetzt mal auf Start. Und nimm es Tilmann nicht krumm, normalerweise hat er gute Manieren, aber irgendwie…“

Und schon begann das Spiel. Es war ungewohnt, und ich musste erst reinkommen. Auf jeden Fall wollte ich vermeiden, schon in den ersten fünf Minuten drauf zu gehen, und hatte den schleichenden Verdacht, dass Sandro mich aktiv vor dieser Peinlichkeit bewahrte. Wohingegen Tilmann mich in ein Gespräch über alte und aktuelle Games verwickelte.

Sandros Ellbogen bohrte sich in meine Seite, wie um mir zu signalisieren, dass er auch noch da war, und dass niemand anderes als er der VIP des Abends war. Wie könnte ich das vergessen.

„Ich finde dich, ich töte dich!“ Er grinste und rutschte auf der Couch noch ein Stückchen zu mir auf. „Hab ich dich!“

Kaum dass ich Xenia auf dem Bildschirm sah, floss auch schon Blut über meine Bildschirmhälfte und James ging zu Boden. Game over.

„Das habt ihr aber scharf gestellt, muss man da nicht normalerweise ballern was das Zeug hält?“

„One-Shot-Kill habe ich eingestellt, oder wie das heißt, Halt so realistisch wie es mit eben geht“, antwortete Tilmann.

Sandro alias Xenia steckte meine Waffe ein, während meine Spielfigur ins Nirwana verschwand. Ich startete neu, fest entschlossen auf Rache.

„Wenn ich demnächst im Altenheim Amok laufe, dann war das der Einfluss eurer Killerspiele.“

„Ach“, winkte er ab, „die Rentenkassen würden sich bei dir bedanken.“ Und an Tilmann gewandt: „Dominique gefällt übrigens die CD, und unser Auftritt auch.“

„Du spielst kein Instrument, oder?“

„Nein… ist das so offensichtlich?“

„Tilmann hat ein feines Näschen für sowas, mhh...“

Zwischen Hosenbund und Shirt, nur knapp oberhalb des Steißes, berührten mich Sandros Fingernägel, ließen mich erschaudern.

Aber ich wollte mich durch sein häppchenweises Heißmachen nicht ablenken lassen, denn ich war fest entschlossen, zu gewinnen. Und richtete die volle Konzentration auf unser Spiel. Auf unser Konsolenspiel.

Glasscheiben zersplitterten hinter mir. Oben stand Xenia und nahm mich ins Fadenkreuz. Ich sie ebenfalls, in Deckung gehend. In Sandros Bildschirmbereich verfolgte ich mit, wie der letzte Zentimeter von James’ breiter Schulter hinter der Mauer verschwand. Keiner von uns wagte es, sein Versteck zu verlassen. Aber genau das mussten wir tun, um unseren Mann-gegen-Mann-Kampf zu Ende zu bringen.

„Hast du Schiss?“, neckte mich Sandro.

„Hättest du wohl gerne.“ Ich sprang heraus und feuerte. Er auch. Ein Kreuzfeuer, in das sich besser niemand stellte, der schlau war. Doch ich hatte keinen Treffer eingesteckt. Die 3D-Landschaft verwirrte mich, und ich hatte Sandro aus den Augen verloren.

„Du bist so gut wie tot“, gab ich zurück.

„Dazu müsstest du mich aber erst einmal finden.“

Und das war keine leere Drohung. Die Waffe vollgeladen, jagte ich dem Punkt auf dem Kompass hinterher.

„Ich komm dir mal entgegen, bevor das noch zwei Stunden dauert“, neckte er mich. Nun, er hatte heute auch schon mehrere Stunden geübt im Gegensatz zu mir.

Und dann tauchte Xenia vor mir auf. Ich wich ihr aus und gab ihr Saures, doch sie war flink wie ein Wiesel. Kugeln zierten die Wände. Ich durfte nicht verlieren. Niemals. Nicht gegen Sandro.

„Los! Schieß!!“ rief Tilmann aufgekratzt, der mitfieberte wie ein Fußballfan, nur wusste ich nicht so recht für welche Mannschaft. Leichter gesagt als getan! Jegliche Hoffnung auf einen Sieg sah ich schwinden.

Doch irgendwie hatte ich Xenia dann doch getroffen. In diesem Spiel ging ich als Sieger hervor.

„Game Over!“, verkündete Tilmann.

Sandro legte den Controller aus der Hand, und begann meinen Rücken zu massieren. Ich hatte die vage Ahnung, dass er mich nur deswegen hatte gewinnen lassen, damit das Spiel endlich vorbei war.

„Weiter geht’s“, forderte Tilmann und schnappte sich den Controller. „Jetzt mal gegen mich!“

Sandro fragte mich, ob mir die Massage gefiel und ich bejahte.

Dann flüsterte er mir etwas Unanständiges ins Ohr. War das wirklich, der da zustimmte?

„Ich zeig Dominique mal eben Mephistopheles und Jabberwocky“, sagte Sandro laut, und erhob sich. Davor langte er noch in die Schale, um sich einen Apfel mitzunehmen.
 

Mich im Schlepptau, schloss er die Wohnzimmertür hinter uns, legte mir die Hände auf die Schultern und manövrierte mich den Flur entlang in sein Zimmer. Dort dimmte er die Helligkeit auf schummriges Licht.

„Mein Arbeitszimmer. Tilmann hat ein großes Zimmer, dafür habe ich zwei.“

Sein Heiligtum befand sich auf seinem Schreibtisch. Die rote E-Gitarre, mit der er im Kopfstand gespielt hatte, heute stumm und leblos. Daneben stauten sich wüst Zettel mit Gekritzel; ein Stapel Musikzeitschriften und irgendwo darunter schaute noch die Ecke eines Notebooks heraus. Ich hoffte, das Genie beherrschte das Chaos. Eine alte Schallplatte war zu einer Uhr umgebaut worden und hing über dem Schreibtisch.

„Mephistopheles ist die rote, Jabberwocky die schwarze“, klärte er mich auf, und deutete in die Ecke, wo eine schwarze E-Gitarre lehnte.

Doch das Interessanteste in diesem Zimmer waren die Wände: Nein, das waren keine komischen Fliesen. Das waren CDs der unterschiedlichsten Interpreten und Jahren dicht nebeneinande an die weiße Wand gekachelt. Nicht nach Namen oder Jahr, sondern irgendeiner geheimen Ordnung folgend, die sich mir nicht erschloss, Rock, Hardrock, Punkrock, Metal... Eine Art Bordüre bestehend aus CDs, die sich über drei Ecken erstreckte, nur einen Meter oben und unten freigelassen, unterbrochen vom Schrank, der Couch und einem in Gold gerahmten Schwarzweißfoto von Freddy Mercury.

„Fan von ihm?“

„Oh ja. Schon zu Lebzeiten eine Legende. Für eine signierte Platte habe ich mal ein halbes Monatsgehalt hingelegt.“

„Und die sind alle echt?“, hauchte ich und ließ den Blick rundum schweifen.

„Hast du etwa Zweifel?“, sagte Sandro nicht ohne Stolz. Hinter mir stand er, hatte sich unbemerkt seines T-Shirts entledigt und biss knirschend in den Apfel hinein. Fast mit Gewalt musste ich den Blick von seinem Körper wegziehen. So etwas sah ich nicht alle Tage. Er schien noch mehr CDs zu besitzen als ein gutsortierter Plattenladen – ein konsequenter Neinsager zu MP3s, zu Downloads…?

„Wie viele CDs besitzt du?“

„Über zweitausend auf jeden Fall, aber es ist eine Weile her, dass ich sie gezählt habe.“

Sandro trat dicht an mich ran und ich spürte seine Hitze.

„Freut mich dass dir meine Leidenschaft zusagt …“, erwiderte er, fest gegen mich gepresst, so dass ich seine tiefe Stimme in meiner eigenen Brust wiederhallen spürte, und das jagte mir eine Gänsehaut ein.

Wir waren allein, wir waren scharf aufeinander, und ich ließ es geschehen, dass er durch den Stoff hindurch an meiner Brustwarze spielte. Doch egal was geschah – ich war fest entschlossen, mein T-Shirt anzubehalten. Ich biss in den Apfel hinein, der sich unter meiner Nase befand. Sandros Zähne bohrten sich ebenfalls in das knackige Obst.

Weil Sandro beide Hände voll hatte, krochen meine Finger seine formvollendeten Bauchmuskeln hinab – war das ein Gefühl, noch nie hatte ich so einen durchtrainierten Körper berührt, höchstens auf Hochglanzmagazinen angestarrt – die Vertiefungen, Erhebungen über einen Streifen Haare zum Hosenbund. Knopf für Knopf öffnete ich die Jeans, und das Rascheln der Kleidung war verräterisch laut in dieser Stille.

Langsam dirigierte Sandro mich zu dem Ecksofa aus rostbraunem Leder, das schon ziemlich durchgelegen aussah.

Mein Gastgeber nahm den letzten Bissen und schmiss den Rest des Apfels gezielt durch die Klappe des Mülleimers.

„Bitte, setz dich doch.“ Ich tat es, etwas unsicher, und er nahm etwas aus einer Schublade. Seine Hose war immer noch offen, saß ihm aber so eng, dass sie nicht hinunter rutschte. In der Hand hielt er eine bunte Tube.

„Dominique?“, fragte er, als er im Schneidersitz neben mir Platz nahm, „darf ich dir die Füße massieren?“

„Meine Füße?“, fragte ich, als er sich auch schon meinen Unterschenkel sanft gepackt hatte und mich zu ihm drehte, und inspizierte den Aufdruck der Tube: 2 in 1 Massage-Gleitgel?!

„Du läufst doch ziemlich viel herum, den ganzen Tag im Altenheim. Leg dich auf den Rücken und lass dich verwöhnen.“ Ich tat es und Sandro zog meinen Socken aus, den er hinter sich warf, dann krempelte er mein Hosenbein bis zur Wade hoch. Oder versuchte es zumindest, denn meine Skinnyjeans war dafür eigentlich nicht gedacht – blöde, aber es war nun mal in Mode... Die Creme war zuerst kühl auf meiner Haut und reflexartig wollte ich meinen Fuß zurückziehen. Doch Sandro gelang es die Creme zu verstreichen. Fast bemerkte ich ein leichtes Zittern seiner Hände.

„Ist es gut?“

„Mh, ja…“, antwortete ich. Was er tat, tat wirklich wahnsinnig gut, und ich schloss die Augen und genoss den fruchtigen Duft und seine Berührungen, die Reize durch meinen ganzen Körper schickten.

„Sandro? Kann man bei euch ein Probetraining machen?“

„Klar. Du darfst dreimal trainieren, bevor du dich zu einer Mitgliedschaft entschließt und ich kann es dir nur empfehlen, ein Trainer leitet dich an den Geräten an und den darfst du mit Fragen löchern. Ich sag es dir vorab, wir sind kein billiges Studios, aber dafür bekommst du viel geboten.“

„Könntest du dieser Trainer sein?“

„Wenn du das willst.“

Viel zu schnell war die Creme eingezogen und er verlangte nach meinem anderen Fuß. Anstatt sich abzumühen, die Hose hochzukrempeln, zog er sie mir ganz aus und legte wieder von vorn los.

Mein Blick wurde dabei von seinem offenen Hosenstall eingefangen, der aussah, als hätte die Kraft seiner Männlichkeit die Knöpfe einfach gesprengt und präsentierte einen weißen, fast durchsichtigen Slip mit einer ordentlichen Beule. Langsam wanderte mein Blick höher seinen freien Oberkörper langsam hinauf, der ein Kunstwerk war – wie vom Teufel persönlich gemeißelt um zu verführen. Ich hielt es echt nicht mehr aus. Nicht, wenn er so vor mir saß… er machte mich viel zu rattig mit seinen geschickten Fingern, die zwischen meinen Zehen auf und ab glitten, glitschig vor Massagegel, was eine ganz bestimmt Assoziation in mir wachrief.

Meine Hand kroch unter meine Shorts, geradewegs dorthin, wo ich sie momentan nötig hatte, führte die gewohnten Bewegungen aus, um mir Erleichterung zu verschaffen.

Als ich die Augen öffnete, wechselte er zu einer knienden Position, packte meine beiden Fußgelenke mit je einer Hand und strich mit Fingerspitzen meine nackten Beine nach oben, kam meinem Schritt immer näher, und langsam checkte ich, was er vorhatte.

Sandro blickte zu mir auf, während er meiner Erektion die Freiheit schenkte, die kerzengerade aufragte. Er grinste und senkte wieder den Kopf, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Beim Kontakt mit seiner Zunge schrie ich spitz auf, mehr vor Überraschung als Schmerz.

„Na, na, ich habe nicht vor, dir wehzutun, Sweetie…Ich will dich bloß schmecken .“

Das hier war einfach komplett anders, oder anders ausgedrückt, viel besser, als ich es mir in den kühnsten Träumen ausgemalt hatte. Mein Schwanz. Sein Mund, mit dem er es schaffte, dass es sich anfühlte, als würde er vergoldet.

Und ich war einfach nur verwundert, darüber, wie leicht es mir fiel. Wie leicht es mir fiel, mich fallen zu lassen, alle Bedenken beiseite zu schieben und ihn einfach machen zu lassen und es zu genießen.
 

Und mit dem Orgasmus kam die Leere, eine beängstigende Leere in mir, als hätte man mich ausgehöhlt wie einen Halloweenkürbis.

Zwei Dinge wurden mir bewusst. Dass ich David so sehr liebte, dass es mich jetzt schon kaputt machte. Und zweitens, dass ich nie wieder glücklich werden würde, wenn wir uns nicht bald wieder versöhnten. Aber wie? Sollte ich ihm einen Brief schreiben? Würde er ihn überhaupt lesen?

Die penetrante Stille im Zimmer verstärkte mein Unwohlsein noch. Das hier hätte einfach nicht passieren dürfen, ich hätte es nicht tun dürfen.

Sandro lag mit dem Kopf auf meinem Bauch. Ruhig atmete er und wirkte, als wäre er im Einklang mit sich und der Welt. Den einen Arm hatte er so auf das Polster abgestützt, dass ich einen guten Blick auf sein Tattoo am Unterarm erhaschen konnte.

Mir fiel die Schrift auf der Gitarre auf, die verschnörkelten Buchstaben bildeten den Namen ANDRÉ.

„Wer ist André?“

Ein leichtes Zucken durchfuhr ihn, doch die Antwort blieb er mir schuldig. Mit der Fingerkuppe fuhr ich den Hals der tätowierten Gitarre entlang, und stutzte über die Unebenheit auf ihrem Hals. Das waren doch eindeutig Narben! Lange, gerade Narben dort, wo die Pulsadern waren.

„Hattest du das vor dem Tattoo schon?“

„Du meinst die Narben?“, meldete sich Sandro zu Wort und hob den Kopf. „Ja. Ich habe einen guten Tätowierer gefunden, der sie mir übermalt hat. Damit nicht jeder draufstarrt und sonst was denkt. Das Motiv hat übrigens Tilmann entworfen. Und der Tätowierer…du siehst es ja selbst. Eine Koryphäe – und zwar nicht nur im Stechen!“ Er verzog anzüglich die Mundwinkel.

Ich ließ seinen Arm los und plötzlich ekelte ich mich vor seinem Geruch und vor seinen Worten.

„Runter von mir jetzt, ich muss los. Morgen muss ich früh raus.“

„Ganz sicher? Prostatamassagen sind auch ein Spezialgebiet von mir.“

„Das glaube ich gerne.“

Sandro rollte sich von mir, um mir das Aufstehen zu ermöglichen, setzte sich breitbeinig hin und stützte die Ellbogen auf die Knie. Schnell las ich Socken und Hose auf und schlüpfte hinein.

„Wohnt ihr zusammen?“

Es war klar, dass er David und mich meinte. Tja, so leicht ließ er sich nicht abschütteln, er begleitete mich überall hin mit; ihm galt der erste Gedanke, wenn ich morgens erwachte und der letzte, bevor ich einschlief.

„Nein. Er wohnt im Studentenwohnheim und ich bei meiner Schwester am anderen Ende der Stadt.“

„Finde ich gut.“

Dass ich nicht allzu weit weg von ihm wohnte? Oder dass ich nicht mit David zusammenwohnte?

„Wie habt ihr euch kennen gelernt?“

„Durch einen Freund“, gab ich knapp zur Antwort.

„Wie alt bist du eigentlich?“

„Neunzehn.“

„Hach ja. Ich weiß noch, wie ich mit neunzehn gewesen war…“, sinnierte er.

„Ich kann es mir schon denken.“

„Komm gut heim.“

Jetzt lachte sich Sandro Zwei-Zimmer-Schwarzer sicher einen Ast, dass er dem nächsten Deppen seine Gitarren gezeigt hatte! Wozu war das nötig gewesen, das mit dem Tätowierer zu erwähnen? Um zu verdeutlichen, dass ich bloß ein x-beliebiges Glied einer endlosen Kette war?!

Nicht dass ich etwas Ernstes mit ihm im Sinn gehabt hätte. Blöd war nur, dass ich mir ausgerechnet bei ihm das geholt hatte, was ich bei David niemals bekommen würde.

Ich trat auf den Flur hinaus und haute die Tür zu. Beim Boxsack konnte ich nicht wiederstehen, er hing viel zu verlockend da herum. Ich ballte eine Faust und schlug so fest darauf wie ich konnte.

Beißender Schmerz pochte in meinen Fingerknöcheln, aber das hatte ich einfach verdient.



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