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Schneegestöber

[Creek]
von

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Ordnungsdienst

„Diiiiing Doooooong!!“

Kaum ertönte das schrille Signal der Schulglocke, stürmten die Schüler der 10. Klasse der South Park High auch schon aus dem Klassenraum, und Mister Garrisons verzweifelter Versuch, ihnen noch Hausaufgaben aufs Auge zu drücken, ging augenblicklich im Lärmen der Jugendlichen unter.
 

Die meisten unterhielten sich besorgt über den Schneesturm, der draußen schon seit der Mittagspause tobte. Schneestürme waren gerade zu dieser Jahreszeit in South Park keine Seltenheit, trotzdem hofften die Schüler wohl darauf, noch rechtzeitig mit dem Bus nach Hause gebracht werden zu können. Wieder andere scherzten und lachten absolut unbeeindruckt von der Situation miteinander, diskutierten ihre Wochenendpläne.

An einem Freitagnachmittag hielt es jedenfalls keinen einzigen jungen Menschen länger als irgendwie nötig in den stickigen und dreckigen Räumen der bestimmt asozialsten Schule in ganz Colorado.
 

Mister Garrison hatte bald einsehen müssen, dass sich, bis auf Wendy Testaburger, Leopold Stotch und Kyle Brovlowski, wohl niemand die Aufgaben von der Tafel abgeschrieben hatte. Aber er war mittlerweile abgehärtet. Er regte sich nicht länger über die Ignoranz seiner Schüler auf (zumindest versuchte er es), das würde ihn nur noch mehr seiner grauen Haare kosten, von denen er schon wenig genug besaß. Die letzten Verbliebenen beschützte er also hartnäckig.

Aber als vermeintliche Respektsperson hatte er noch eine andere Pflicht zu erfüllen, bevor er und Mister Zylinder, der vor einigen Monaten plötzlich wieder bei ihm aufgetaucht war, endlich ihr wohlverdientes Wochenende würden genießen können.

„Schön hier geblieben, Craig Tucker!“, rief er dem großen, schlanken Jungen mit der obligatorischen blau-gelben Mütze nach, der schon fast an der Tür angekommen war. Als dieser ihm nur, ohne sich umzudrehen, den Mittelfinger zeigte, lief der Lehrer ihm wutentbrannt ein paar Schritte hinterher und zog ihn am Kragen seines Kapuzenpullis zurück in den Klassenraum.

„Oh nein, diesmal kommst du mir nicht so einfach davon! Du und Tweak, ihr habt diese Woche Ordnungsdienst. Und du hast ihn die Arbeit schon die restlichen vier Tage der Woche allein machen lassen! Jetzt hilfst du gefälligst mit!“, kommentierte er streng.

Ein strafender Blick wurde Craig zugeworfen, den dieser nur mit einem gelangweilten Schulterzucken und Augenrollen kommentierte.
 

Er gehörte zu der Sorte Menschen, die sich einen feuchten Dreck um Autorität und Regeln scherten. Oftmals wurde er zur Schulleitung geschickt und er bekam ziemlich oft Nachsitzen aufgebrummt. Aber ihm war das alles ziemlich egal. Für ihn gehörte es eben zum Alltagsgeschehen dazu. Manche Dinge änderten sich eben nicht, ob Grundschule oder Highschool.

Sogar Mr. Garrison, ihr Grundschullehrer, war den Jugendlichen nicht erspart geblieben, weil die Highschool unter akutem Lehrermangel litt. Eigentlich nicht verwunderlich.

Wer wollte schon freiwillig in South Park leben und dann auch noch in der Schule mit dem wahrscheinlich schlechtesten Ruf landesweit unterrichten? Im Grunde genommen grenzte es an ein Wunder, dass es überhaupt Lehrkräfte an ihrer Schule gab.
 

Craig ergab sich diesmal in sein Schicksal und sah sich genervt im Raum um. In einiger Entfernung stand der sehr viel pflichtbewusstere Tweek, einen mülldeponiereifen Besen in der Hand. Der schien die Sache mit dem Ordnungsdienst um einiges ernster zu nehmen. Der blonde, schmächtige Junge zitterte kaum merklich. Er wurde immer noch von allen als Freak abgestempelt, dabei war sein Verhalten im Vergleich zu Grundschulzeiten durchaus erträglicher geworden. Immerhin hatte er den Glauben an diese lächerlichen Unterhosenwichtel aufgegeben und rannte nur noch maximal ein Mal in drei Monaten grundlos schreiend aus dem Klassenraum. Sein Zittern hatte er allerdings nur so lange halbwegs im Griff, wie er genügend Kaffee zur Verfügung hatte oder sich nicht bedroht fühlte.

Als Craig seinem Blick begegnete, schaute der Kleine hastig zur Seite, hob die Schultern in einer Abwehrhaltung an und... seine Wangen liefen plötzlich rot an. Craig zog überrascht eine Augenbraue in die Höhe.
 

„Also los jetzt, Craig, starr keine Löcher in die Luft. Du könntest zumindest die Tafel wischen!“, tönte die herrische Stimme des alten Sacks hinter ihm. Mister Garrison saß auf dem Pult und sah aus wie die terroristische Schwuchtel, die er nunmal war. Craig nervte der Anblick gehörig.

Er schlenderte auffällig langsam zum Waschbecken, fand keinem Schwamm und lehnte sich einfach neben dem stinkenden Becken gegen die Wand. Sollte Garrison doch wieder meckern, wenn er denn unbedingt wollte. Vorausgesetzt, er bemerkte überhaupt, dass Craig gerade wieder faulenzte. Mittlerweile blätterte ihr Lehrer nämlich wild in seinen Unterlagen. Weil es nichts spannenderes zu beobachten gab, haftete der Dunkelhaarige seinen Blick auf das kleine Häufchen Elend, das nur ein paar Meter von ihm entfernt gewissenhaft den Boden fegte.

Tweek hatte mittlerweile scheinbar gelernt, dass es erheblich dazu beitrug nicht gemobbt zu werden, wenn man sich Klamotten anzog, die nicht zu sehr aus dem Rahmen fielen, und vor allem: die auch vernünftig zugeknöpft waren. Heute trug er allerdings etwas ohne Knöpfe. Schwarze Schuhe, eine schwarze Röhrenjeans und ein blau-grün gestreifter Pullover, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte. Keine Accessoires, nichts auffälliges hatte er an sich.
 

Craig erinnerte sich mit einem Schmunzeln daran zurück, dass Tweek jahrelang mit falsch zugeknöpftem Hemd in die Schule gekommen war. Niemand hatte sich dazu erbarmt, ihn darauf hinzuweisen. Und seine Eltern scherten sich wahrscheinlich auch einen Scheißdreck um Tweek, wenn ihnen nicht mal das auffiel. Apropos Scheißdreck: Mister Garrison hatte wieder zu reden begonnen. Tweek sah nämlich in die Richtung des Alten, sehr aufmerksam und folgsam. Zum kotzen, dachte sich Craig daraufhin nur. Er wünschte sich, für diesen Moment seinen Gehörsinn abschalten zu können, aber sein Wunsch blieb unerfüllt.

„Also ihr zwei, nächste Woche Dienstag wird eine Vertreterin des Schulministeriums hier vorbeikommen und möchte sich ein Bild von unserer Schule machen. Wir Lehrer wurden dazu angehalten, dafür zu sorgen, dass die Klassenräume bis dahin aufgeräumt und picobello sind. Um auf Nummer sicher zu gehen, möchte ich, dass ihr beide heute das Putzen übernehmt. Montag könnte es schon zu spät sein.“

Craig beobachtete, wie Tweek nach diesen Worten nickte. Er selbst hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, Mister Garrison auch nur anzusehen, während er ihnen das erklärt hatte.

Tweek bemerkte plötzlich, dass er beobachtet wurde, sah schüchtern zurück und tapste von einem Bein aufs andere. Wahrscheinlich wünschte er sich nichts sehnlicher, als nicht länger angestarrt zu werden, aber seinem Mitschüler war das gerade relativ egal. War ja nicht so, als würde er etwas verbotenes tun.
 

„Ich werde jetzt zum Hausmeister gehen und ein paar Utensilien besorgen, damit ihr gleich vernünftig weiterarbeiten könnt.“ Wieder Mister Garrison.

„Und du! Jetzt steh nicht so untätig herum, sondern hilf deinem Mitschüler!“ Ah, das klang doch schon gereizter als die Ansage davor. An diesen Tonfall waren Craigs Ohren durchaus gewöhnt.

„Sie können mich mal...“, antwortete er ruhig. Sein Lehrer allerdings war weit davon entfernt, ruhig zu bleiben.

„Du wirst dir jetzt das Kehrblech nehmen und Tweak helfen! SOFORT!!“

Angesprochener bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Er konnte sehen, wie eine Ader auf Garrisons Stirn zu pochen anfing. Verschaffte ihm Genugtuung, diesen unwichtigen Penner so zu sehen.

„Habe ich mich unklar ausgedrückt?! Na los jetzt!“

„Nö. Keinen Bock.“

„Craig Tucker, ich werde dich heute schon noch dazu kriegen, dass du vor meinen Füßen den Boden schrubbst! Und wenn ich dir Nachsitzen bis Samstagmorgen aufdrücken muss!“

„Tss... darauf stehen Sie wohl, was?“, antwortete Craig, diesmal den Blick aus dem Fenster gerichtet. Was sollte er sich auch die Mühe machen, die alte Schreckschraube anzusehen?

Einen wohltuenden, allerdings viel zu kurzen Moment lang herrschte Schweigen.

„So etwas sagt man nicht zu einer Respektsperson! Und deine Unverantwortlichkeit ist absolut inakzeptabel!“, wetterte Garrison.

Craig zuckte nur mit den Schultern. Das war ihm ziemlich egal.

„Ich werde jetzt die Sachen vom Hausmeister holen und bis dahin tust du hier gefälligst was!“

Nach dieser Ansage stürmte Garrison aus dem Raum und knallte die alte Tür ins Schloss, dass die Angeln quietschten.

Ätzend, dieser Lehrer.

Aus den Augenwinkeln konnte der Schwarzhaarige sehen, wie Tweek verängstigt zusammenzuckte. Craig hatte das Knallen der Türe nicht mal ein zusätzliches Augenzwinkern abverlangt, aber Tweak schien ganz schön fertig zu sein.

Weil er nichts besseres zu tun hatte und keinesfalls vor hatte in diesem Drecksloch beim Saubermachen zu helfen, ging er mit schlürfenden Schritten hinüber zur Fensterbank, machte es sich darauf bequem und beobachtete von dort aus Tweek. Dieser warf ihm in unregelmäßigen Abständen ein paar flehende Blicke zu, die Craig signalisieren sollten, wie unwohl sich der Kleine deswegen fühlte, aber der Tucker-Junge dachte nicht einmal daran, sich dadurch von seiner Tätigkeit abbringen zu lassen. Tweek wandte ihm schließlich nach einem etwas länger anhaltendem Blickkontakt todesmutig den Rücken zu, wahrscheinlich in der Hoffnung, auf diese Weise weniger interessant zu wirken. Nicht, dass er das überhaupt für Craig gewesen wäre. Er hatte schlichtweg nichts zu tun. Wollte auch nichts zu tun haben.

Nach einer Weile wurde ihm Tweeks Rückenansicht aber tatsächlich zu langweilig und er schaute eine Weile lang aus dem Fenster. In einiger Entfernung sah er, wie sich die letzten Schüler in einen der gelben Busse drängten, unter ihnen auch Leute aus seiner Klasse. Vor allem die vier Vollidioten Kyle, Stan, Kenny und Cartman waren an ihren farbenfrohen Klamotten gut zu erkennen, selbst durch das immer heftiger werdende Schneetreiben hindurch. Gott, wie er diese Witzfiguren verachtete. Ihnen war es zu verdanken, dass schon so unglaublich viel unnötiger Mist in ihrem Städtchen passiert war.
 

Nachdem der Bus aus seinem Sichtfeld verschwunden war, ließ er sich von seinem Platz gleiten und schlenderte einen Moment später zu Tweek herüber. Er bemerkte, dass dieser scheinbar gar nicht glücklich darüber war und sich eingeschüchtert zwei kleine Schritte nach hinten bewegte, bis er gegen einen der Tische stieß. Die Unsicherheit des Blonden ignorierend baute Craig sich vor ihm auf. Er stand nur noch einen Schritt von dem Nervenbündel entfernt. Tweek sah aus, als würde er sich gleich in die Hose machen. Beinahe flehend sah er zu Craig auf.

Oh, und er war knallrot im Gesicht. Schon wieder?

„Bist du bald fertig?“, fragte ihn der Größere trocken und völlig unbeeindruckt.

„ N-gh... J-ja, eigentlich schon“, kam es zuckend und zitternd zurück. Tweek sah kurz in Craigs graue Augen und dann schnell auf seine Schuhspitzen.

„Gut. Dann bin ich mal weg.“

Tweek ruckte mit dem Kopf nach oben und schaute ziemlich verwirrt zu ihm hoch, traute sich aber nicht, irgendetwas dazu zu sagen. Er schien sich sowieso längst damit abgefunden zu haben, dass der Ordnungsdienst auch heute wieder alleine an ihm hängen bleiben würde.

Craig war das herzlich egal. Er schulterte seine Tasche und machte sich auf den Weg, erst nach rechts zur Treppe, dann den Gang links hinunter Richtung Ausgang. Endlich Wochenende. Schule war so unglaublich nervig. Er würde sich gleich zu Hause vor seine Konsole hocken und ein paar Zombies den Kopf wegballern, dachte er sich.

Nur blöd, dass ihm kurz vor dem Hauptausgang Mister Garrison, bewaffnet mit Putzeimern und Reinigungsmitteln, entgegen kam. Ups. Das hätte besser laufen können.

„CRAIG TUCKER! Ich fasse es nicht! Wer hat gesagt, dass du dich einfach aus dem Staub machen kannst?!“

„Was denn? Der Klassenraum ist schon längst blitzblank“, lautete seine sarkastische Antwort.

„Und ich wette, du hast nicht einen Finger dafür krumm gemacht!“

Wiedermal bekam der Alte nur ein Schulterzucken als Antwort. Craig war heute nicht wirklich zum reden zumute. Er konnte leider nicht verhindern, dass ihm Mister Garrison einen Moment später die Eimer und das ganze andere Zeug in die Arme drückte und ihn zurück zum Klassenraum bugsierte. Innerlich seufzend ließ Craig die Tortur über sich ergehen.
 

„Gah!“ Tweek Tweak zuckte überrascht zusammen, als er die beiden bemerkte. Die kleinen, zusammengekehrten Häufchen auf dem Boden schien er schon beseitigt zu haben, gerade war er dabei, die Tafel zu putzen. Wo auch immer er den Schwamm aufgetrieben hatte.

„Tweak, wieso hast du Tucker einfach so gehen lassen?“, fauchte Garrison.

„A-ah! I-ich... also... -ngh- wir waren doch eh fast fertig.“ Hilfesuchend sah er zu dem Jungen in der blau-gelben Mütze herüber. Von dem allerdings keine Hilfe zu erwarten war, der platzierte gerade die mitgebrachten Sachen auf dem Pult.

„Von wegen fast fertig! Erzähl mir nicht, dass Tucker dir auch nur ein kleines bisschen geholfen hat! Du solltest dir sowas nicht von anderen gefallen lassen!“, schnauzte Garrison weiter, und er half Tweek damit nicht im geringsten. Der dünne Junge fing nur immer heftiger an zu zittern.

„Uhm... a-also ich...“

„Du musst lernen, dich zu wehren! Einfach mal den Mund aufmachen, wenn andere dich herum schubsen!“

„A-aber...“, Tweek fing an seine Finger nervös in dem Stoff seines Pullovers zu vergraben.

„Bald ist die High School vorbei, und dann?! Du wirst in der Arbeitswelt mit deiner Einstellung wirklich nicht weit kommen."

Darauf versuchte Tweek gar nicht erst zu antworten. Leidend sah er vor sich auf den Boden.

"Was halten denn deine Eltern davon, dass du es zu nichts bringst?“, wetterte Garrison weiter.
 

Wow... bemerkte hier eigentlich sonst noch jemand, dass Mister Garrison soeben seine Wut über Craig an Tweek ausließ? Einen Moment lang ballte der Schwarzhaarige wütend seine Fäuste. Das sowas überhaupt Lehrer werden durfte. Aber eigentlich wunderte ihn an dieser Schule rein gar nichts mehr.

Craig hatte jedenfalls keine Lust darauf mit anzusehen, wie der Kaffeefreak gleich einen Heulkrampf bekommen würde, weil er mit den Kommentaren seines Lehrers nicht zurecht kam.

„Kann ich jetzt gehen?“, mischte er sich also ein.

Die beiden sahen ihn erschrocken an. Fast so, als hätten sie völlig vergessen, dass er da war. In Tweeks Blick meinte er sogar kurz sowas wie Dankbarkeit aufblitzen zu sehen.

„Oooh nein, du bleibst gefälligst hier!! Wie oft denn noch?!“ Mister Garrison war der erste, der zu seiner Stimme zurückfand. „Und du, Tweek, wirst ihm jetzt sagen, dass er dir gefälligst zu helfen hat!“

Tweek sah sehr danach aus, als würde er nichts lieber tun, als an ihnen vorbei aus dem Raum zu stürmen. Er schüttelte unmerklich den Kopf und zitterte hilflos vor sich hin.

„Na los!“, kam es von ihrem Lehrer, dem so langsam wirklich der letzte Geduldsfaden zu reißen schien, und der endlich Taten sehen wollte.

Tweek kaute auf seiner Unterlippe herum, warf einen verängstigten Blick zu Mister Garrison und schien sich im Anschluss dafür zu entscheiden, dass es durchaus sinnvoll wäre, ihren aufgebrachten Lehrer nicht noch weiter auf die Palme zu bringen. Er wandte sich an Craig, sah unglaublich schüchtern aus und schluckte einmal schwer, bevor er sich dann doch traute, den Mund aufzumachen:

„H-hilf... m-m-mir bitte – gah! - beim P-putzen, Craig.“ Er hatte den Kopf gesenkt, die Schultern hoch gezogen und ihn zwischen seinen blonden Ponysträhnen zu ihm aufgesehen, die Wangen verräterisch rot.

Craig kam nicht drum herum, seine Augen weiteten sich überrascht und einen Moment später zog er einen Mundwinkel in die Höhe. Das war ja schon fast niedlich. Ungefähr so wie seine Meerschweinchen zu Hause.

Er ließ sich aus diesem Grund sogar zu einer für Tucker-Verhältnisse freundlichen Antwort bewegen, um es seinem Gegenüber nicht noch schwieriger zu machen:

„Na, meinetwegen.“ Tweeks Gesichtsausdruck erhellte sich ein wenig, als er das hörte.

„Siehst du! War das jetzt etwa SO schwer?“, schnarrte Garrison triumphierend. Tweek zuckte zum bestimmt zwanzigsten Mal an diesem Tag heftig zusammen. Craig verdrehte nur genervt die Augen.

Die Hände in die Hüften gestemmt meldete sich die wandelnde Furie kurz darauf wieder zu Wort:

„Ihr werdet jetzt den Boden feucht wischen, die Regale und Schränke entstauben und dann das Waschbecken sauber machen. Ich hab noch was zu erledigen und werde euch die nächste halbe Stunde hier alleine lassen. Wenn ich wiederkomme, seid ihr hoffentlich fertig, dann dürft ihr auch gehen.“ Er kramte seine Sachen zusammen.

„Und ich erwarte, dass ihr BEIDE arbeitet“, fügte er mit einem scharfen Blick in Craigs Richtung hinzu.
 

Der alte Sack wandte sich um und machte Anstalten zu gehen. Er war schon fast an der Tür, als Craig sich ihm in den Weg stellte. Da gab es etwas, das wollte er nun doch noch loswerden.

„Mister Garrison – mal ganz im ernst: Diese Schule ist so unglaublich schmutzig und ekelhaft, dass es nicht viel bringen wird, diesen einen Raum hier sauber zu machen. Der South Park High ist nur noch mit einer Grundsanierung zu helfen. Und sie sollten davon absehen, Ihre Schüler so zu demütigen, wenn sie Ihren Job behalten wollen“, gewürzt mit dem Beigeschmack seines erhobenen Mittelfingers gab Craig seinem Lehrer diese Worte mit auf den Weg.

Der war ehrlich überrascht und hatte darauf auf die Schnelle scheinbar keine Antwort parat, schob sich verärgert an dem Schwarzhaarigen vorbei und zog die Tür zu. Im nächsten Moment hörte Craig, wie von außen abgeschlossen wurde.

„Jetzt arbeitet gefälligst! Ich bin in einer halben Stunde wieder da!“

War es überhaupt legal, seine Schüler nach Schulschluss in einem Raum einzusperren? Gott, hatte der Nerven... Craig überlegte sich gerade, ob es nicht vielleicht doch die Mühe wert wäre, Mister Garrison zu verklagen.

Warteschleife [Craig]

Craig fühlte sich so, als wäre er gestrandet. Als wäre sein Flugzeug zu den idyllischen Badeinseln kurz vor dem Zielort in Somalia abgestürzt. Kyle, Cartman und sogar Clyde waren schonmal dort gewesen, er kannte es aus ihren Erzählungen. Muss ein furchtbares Drecksloch gewesen sein. Clyde hatte wochenlang danach angefangen zu heulen, wenn jemand das Wort 'Somalia', oder noch schlimmer; 'Piraten', erwähnt hatte. War eine schwierige Zeit für ihn gewesen, zumal „Fluch der Karibik“ damals furchtbar in Mode gewesen war.

Tjah, und mal abgesehen davon, dass Craig wahrscheinlich nicht viel Gefallen an kitschigen Badeparadiesen finden würde, er fühlte sich, wie in einem heruntergekommenen Staat Afrikas ausgesetzt – also ziemlich beschissen. Da wäre ihm das Badeparadies dann doch lieber gewesen. Um es noch besser zu machen, war er in dieser Situation mit Tweeks Gegenwart 'gesegnet'.

Das war natürlich sarkastisch gemeint.

In einigen Metern Entfernung hatte Tweek damit begonnen, im Raum auf und ab zu gehen und dabei leise vor sich hin zu murmeln.

Craig massierte sich gerade unbemerkt die Schläfen. So.... anstrengend.....
 

Mister Garrison war nun schon 40 Minuten lang weg. Und nicht bloß 30, wie er anfangs gesagt hatte. Klar, das war alles andere als geil, es bedeutete schließlich, dass sie länger als erwartet hier festsaßen, und leider war dieser verquerte Lehrer der einzige, der die Tür aufschließen und sie in ihr wohlverdientes Wochenende entlassen konnte, aber konnte Tweek damit nicht besser umgehen?

Seine Nervosität war auf Dauer ansteckend, und darauf hatte der lässige Schwarzhaarige ganz und gar keine Lust. Er würde, um die Geschehnisse des heutigen Tages angemessen kompensieren zu können, mindestens 10 Stunden Call of Duty spielen, nahm er sich vor und seufzte leise. Wobei ein gezielter Schlag in die Magengrube seines Lehrers auch Wunder bewirken würde.
 

In den besagten 30 Minuten war Craig ausnahmsweise über seinen Schatten gesprungen und hatte Tweek immerhin ansatzweise beim Putzen geholfen. Er hatte Staub gewischt und Tweek alles andere überlassen – jedenfalls so lange, bis er ihn panisch über „Bakterien, Krankheitserreger und Reinigungsmittelallergien“ hatte fantasieren hören.

Um Tweek vorm Ausrasten und sich selber vor unnötigem Stress zu bewahren, hatte er im Anschluss seinen Stolz hinuntergeschluckt, dem verpeilten Blonden seine Hilfe angeboten und das Waschbecken sauber gemacht. Sporadisch. Und es war trotzdem ziemlich ekelhaft gewesen. Sein Drang, Mister Garrison als Abreibung eine zu verpassen, stieg immer weiter an.

Gab es denn keine Putzfrauen an dieser Schule? Wieso hatte er sie dazu verdammt, diesen Dreck hier zu beseitigen? Und wieso hatte er sie dazu gleich einsperren müssen? Klar, Craig hätte keine 5 Minuten bis zu seinem nächsten Fluchtversuch gewartet, nachdem Garrison davongerauscht war, aber trotzdem... das war sicher illegal und strafbar, was der alte Sack da getan hatte.
 

Nach nur 15 Minuten waren sie bereits mit allem fertig gewesen. Und wie Craig es sich schon hatte denken können, dieser abgewrackte Klassenraum sah trotzdem keinen Deut besser aus als vorher. Da müsste schon ein wenig mehr getan werden, als den Boden zu wischen.

Der ehemals wahrscheinlich dunkelbraune Holzbelag mit über Generationen festgetrampelten Kaugummis war nach wie vor verkratzt und kaputt. Die dunkelgrünen, ausgeblichenen Vorhänge hingen mehr schlecht als recht vor den Fenstern, waren mottenzerfressen und schimmelten an manchen Stellen vor sich hin, die Wände waren seit Jahren nicht mehr gestrichen worden und stattdessen nun mit vielen verschiedenfarbigen Dreckstreifen verziert, überwiegend allerdings braun, viele der Lampen flackerten, an der Decke klebten Papierkügelchen; insgesamt war die Atmosphäre schlichtweg zum Kotzen. Und dann wunderten sich die Erwachsenen, dass es mit Amerikas Jugend den Bach runter ging.

Die Schlampe vom Ministerium in ihren roten Stöckelschuhen würde nächsten Dienstag wahrscheinlich nur naserümpfend die Schließung der Schule beantragen. Zu retten gab es hier jedenfalls nichts mehr, Craigs Meinung nach.

Hoffentlich schlossen sie die Schule wirklich und er würde nie wieder hingehen müssen. Zwar stand sein Abschluss kurz bevor, aber auf die letzten paar Monate würde er trotzdem liebend gerne verzichten.
 

Aber nochmal zurück zum Zeitplan. Also, nach ca. 15 Minuten waren sie fertig gewesen. Tweek hatte mehrmals versucht, ziemlich verschüchtert ein Gespräch anzufangen, aber die andere Person im Raum hatte das bewusst ignoriert. Er wollte sich nicht unterhalten. Smalltalk war nicht sein Ding. Schon gar nicht mit Tweek.

Craig hatte sich auf die Fensterbank zurückgezogen, die so langsam zu seinem Lieblingsplatz wurde, während Tweek sich brav an seinen Platz gesetzt und Unmengen an Kaffee getrunken hatte. War interessant, ihm dabei zuzusehen, denn durch das schwarz-braune Zeug verschwand wie durch ein Wunder langsam ein Teil der Anspannung aus seiner Haltung.
 

Craig hatte wirklich schon lange nichts mehr mit Tweek zu tun gehabt. In der Grundschule waren sie sowas wie Freunde gewesen. Sie hatten ein paar Nachmittage zusammen verbracht, meistens noch in Begleitung von Token und Clyde, waren an Tweeks Geburtstag im Casa Bonita gewesen, sie hatten in der Kantine gemeinsam an einem Tisch gesessen, Tweek hatte die Hausaufgaben doppelt gemacht und Craig somit unterstützt, da er die umformulierte Kopie hatte haben dürfen, bis es eines Tages aufgeflogen war, und manchmal waren sie einfach zu zweit spazieren gegangen und hatten sich irgendwo in den Schnee geworfen, um auf dem Rücken liegend Wolkenraten zu spielen. Craig konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie lange diese Phase angedauert hatte. Wie lange waren sie befreundet gewesen? Ein paar Monate vielleicht? Oder sogar ein ganzes Jahr? Länger?

Irgendwann hatte Craig jedenfalls keine Lust mehr auf Tweek gehabt. Er hatte sich generell in sich selbst zurückgezogen und für einen ständig schreienden, zuckenden Neunjährigen mit einem Kaffeesuchtproblem war da einfach kein Platz mehr gewesen. Er hatte kontinuierlich das Maß an gemeinsamer Zeit reduziert und irgendwann waren sie sich dann wirklich fremd geworden, quasi ganz von alleine.
 

Craig hatte sich zu dieser Zeit ernsthafte Gedanken darüber machen müssen, wie scheiße die Welt doch war, wie unfassbar langweilig und ungerecht. Und darüber, dass plötzlich immer mehr Mädchen Liebesbriefe in seinen Spind steckten und ihm hinterher sahen. Das war eine komplizierte Mischung gewesen.

Eine Weile lang hatte der Schwarzhaarige es genossen, so beliebt zu sein, scheinbar war er ausgesprochen hübsch und begehrenswert, und er durfte sogar mit den „richtig coolen Kids“, also mit Kyle, Stan, Cartman und Kenny abhängen. Allerdings hatte der Moment, da es ihm mit diesen Idioten zu bunt wurde nicht lange auf sich warten lassen. Er entschied sich gegen den Ruhm und Rummel, und kehrte zu seinen pechschwarzen Gedanken zurück, bis er endlich alle damit vergrault hatte.

Clyde und Token waren allerdings wie durch ein Wunder nach wie vor seine Freunde. Die hatten sich nicht so leicht abschütteln lassen wie Tweek. In einigen seltenen Momenten war Craig dafür sogar dankbar. Selbst ein Einzelgänger wie er hatte es hin und wieder lieber, in einer Gruppe von Leuten zu stehen, sich in gewisser Weise beschützt zu fühlen, und nicht ganz alleine in irgendeiner Ecke zu hocken, von allen beobachtet und missbilligt. So wie Tweek zum Beispiel.

Gut, dass Craig keine sentimentale Pussy war, ansonsten hätte Tweek ihm wohl Leid getan. Aber er war auch einfach zu kompliziert.

Sicher, Craig hätte jederzeit ohne große Probleme wieder Kontakt zu dem Freak aufnehmen können, aber er hatte es einfach nicht gewollt. Er investierte einfach nicht gerne Energie in das Leben anderer Menschen – das überließ er lieber irgendwelchen Vollidioten, die sich Dankbarkeit dafür erhofften.
 

Mittlerweile war Garrison 43 Minuten weg. Und Tweek wurde zunehmend nervöser. Er saß jetzt wieder an seinem Pult, tippte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte, wippte abwechselnd mit den Beinen und rutschte auf seinem Stuhl hin und her.

Craig saß gechillt am Fenster, verkörperte ganz im Gegensatz zu dem blonden Nervenbündel wenige Meter entfernt die Ruhe selbst, und blickte hinaus. Vor einigen Minuten war eine einzelne Straßenlaterne draußen angegangen, die den vorher weiß-grauen Schnee nun in einem sanften Orange schimmern ließ. Craig mochte den Schnee. Er konnte ihm stundenlang dabei zusehen, wie er alles unter sich vergrub und die Welt so viel sauberer und weicher aussehen ließ. Außerdem war er so … gewöhnlich. Für South Park Verhältnisse jedenfalls. Das gefiel ihm, der Veränderungen nicht sonderlich leiden konnte, natürlich sehr.
 

Ein lautes Scheppern riss ihn aus seinen Gedanken.

Er sah sich hastig zu dem Blonden um, nur um festzustellen, dass dieser seine Thermoskanne zu Boden geworfen hatte. Schuldbewusst traf Tweeks Blick auf seinen.

„S-sorry, Craig. Ich... >nnh< b-b-bin ein wenig n...n-nervös“, brachte er stotternd hervor und griff nach seiner Flasche, platzierte sie sicher auf seinem Tisch. Er hielt sie mit beiden Händen umklammert und zitterte. Da Craig nicht sofort den Kopf wegdrehte, nutzte der Kleinere die Chance, ihn wieder anzusprechen.

„W-weißt du... w-w-warum Mister Garrison noch nicht wieder >Gah!< da ist? Er hat doch g-gesagt, er kommt n-nach einer halben Stunde zurück!“

Da, schon wieder ein Anflug von Smalltalk. Aber so langsam konnte er es sich nicht mehr leisten, Tweek zu ignorieren – es sei denn, er würde ihn heulen sehen wollen.

Trotzdem, Craig ließ sich Zeit mit seiner Antwort.

„Ich weiß auch nicht mehr als du. Könnte aber sein, dass er sich noch 'ne Weile mit dem Hausmeister vergnügt.“ Ja, irgendwie traute er das ihrem Lehrer zu. Dass er sie vergessen hatte. Einfach so. Weil ihn andere Dinge abgelenkt hatten. Das würde Craig aber nicht laut sagen. Er wollte Tweek jetzt nicht den Gnadenstoß versetzen, indem er ihm diesen Gedanken, ihr Lehrer hätte sie schlichtweg vergessen, einpflanzte.

Tweeks Augenbrauen wanderten nach dieser Ansage überrascht nach oben.

„Der Hausmeister? W-was ist denn mit dem?“

Tweek schien wohl gar nichts von dem Klatsch und Tratsch an ihrer Schule mitzubekommen?

„Der ist schwul, Tweek.“

„U-und?“

„Naaa... zähl doch mal eins und eins zusammen. Mister Garrison ist auch 'ne Schwuchtel. Vielleicht treiben sie's gerade in irgendeiner Besenkammer miteinander, was weiß denn ich.“

Als er das hörte, zuckte Tweek heftig zusammen, ganz so, als hätte Craig ihn persönlich beleidigt und nicht ihren verantwortungslosen Lehrer. Dabei war Schwuchtel längst nicht die schlimmste Beleidigung, die Craig sich für diesen ******** einfallen lassen könnte.

Waren es mittlerweile nicht sogar schon fast 50 Minuten, die er sie hier in diesem Raum eingesperrt hielt? Vielleicht hatte er ja eine kleine Kamera irgendwo angebracht und beobachtete sie nun genüsslich von seinem Wohnzimmersessel aus, eine Chipstüte in der Hand, und wartete seelenruhig darauf, dass Tweek durchdrehen würde und Craig sich damit herumschlagen musste. Oder er war tatsächlich beim Hausmeister „stecken“ geblieben, keine Ahnung. Am liebsten würde er keinen weiteren Gedanken mehr an den Arsch verschwenden.

Tweek sah aus wie ein geprügelter Hund, als er Craig nach einer gefühlten Ewigkeit leise flüsternd eine Antwort gab, mit der sein Gesprächspartner gar nicht mehr gerechnet hatte:

„Du... ähm... s-solltest nicht solche V-vorurteile h-haben. H-ho....h-h-homo... >gah!< h-“

Craig sah dem nervösen Jugendlichen einige Sekunden dabei zu, wie er verzweifelt versuchte, ein für ihn scheinbar peinliches Wort auszusprechen.

„Homosexuelle willst du sagen?“, half er schließlich monoton weiter. Tweek fummelte nervös mit seinen Fingern am Kragen seines Pullover herum und nickte schnell.

„J-ja... s-sie sind doch genauso Menschen w-wie d-du und ich. Ich finde >nngh< es nicht gut, s...so schlecht über sie zu reden.“

Jetzt war es an Craig, überrascht die Augenbrauen in die Höhe zu ziehen. Wow. Hätte er Tweek gar nicht zugetraut, sich für seine Verhältnisse so mutig für etwas einzusetzen.
 

Craig war nicht homophob, er hatte nur was gegen Mister Garrison. Verständlich, oder?

In einem geistig umnachteten Moment seines 17-jährigen Lebens hatte er sich sogar schonmal ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wie es wohl für ihn wäre, auf einen Jungen zu stehen. Er war zu dem Schluss gekommen, dass es vielleicht gar nicht mal so schlecht wäre, zumal Mädchen einfach nur schrecklich nervig waren:

Ruf mich dreimal am Tag an, Schatz; kauf mir neue Schuhe, Liebster; oh, diese Blumen sind aber hübsch; lädst du mich nächste Woche wieder zum Essen ein; sehe ich zu fett aus in diesem Kleid? Wie konnten die anderen Kerle das für ein paar Mal Sex in der Woche nur ertragen? Craig hatte es geschlagene zweieinhalb Wochen mit Bebe, seiner ersten und einzigen festen Freundin, ausgehalten, danach hatte er einen Schlussstrich gezogen. Beziehungen waren nichts für ihn.
 

„Nnnngh... i-ich d-d-denke aber, dass jeder seine e-eigene Meinung z-zu dem The- >ah!< -ma haben sollte...“, fügte Tweek plötzlich noch kleinlaut hinzu. „D-deshalb... mmmh.. i-ist es schon okay... s-sag einfach, w-was du willst!“ Wieder traute sich Tweek, den Mund aufzumachen, und Craig hatte auch dieses Mal nicht damit gerechnet, überhaupt noch etwas von ihm zu hören.

Der Kleine kam wohl nicht so gut damit zurecht, keine Antworten zu erhalten und versuchte jetzt zu kaschieren, was er eben gesagt hatte, dachte sich der Schwarzhaarige amüsiert.

Craig verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und sah wieder nach draußen.

„Schon okay, Tweek. Ich hab nichts gegen Schwule. Soll doch jeder lieben, wen er lieben will.“

Große Augen sahen ihn daraufhin strahlend an, und Craig meinte, aus den Augenwinkeln sowas wie ein Lächeln auf Tweeks Zügen zu sehen.

Gott, machte ihn diese Aussage jetzt wirklich so glücklich? Der Junge brauchte wirklich mehr Selbstbewusstsein. Aber dazu mangelte es ihm scheinbar an Zuspruch. Aus einem spontanen Impuls heraus entschied sich Craig dazu, ausnahmsweise mal freundlich zu sein und den Kleinen ein bisschen zu pushen. Nebenbei bemerkt, ihm war eigentlich noch immer nicht nach reden zumute.

„Es ist eine gute Sache, für das einzustehen, was man für richtig hält. Bleib dabei, okay?“, hörte er sich sagen.

Tweek sagte dazu erst mal nichts, tippte nur seine Fingerspitzen aneinander. Er schien aber auf jeden Fall antworten zu wollen, denn er sah ganz danach aus, als würde es hinter seiner Stirn gehörig rattern. Was kam denn jetzt?

„D-danke, Craig.“ Das war nach bestimmt 2 Minuten das einzige, was Tweek preisgab.

Und dafür hatte er jetzt so lange gebraucht?

Innerlich zuckte Craig mit den Schultern. Auch egal.

… Oder?

Er ließ seinen Blick auf Tweek ruhen, obwohl er mittlerweile genau wusste, dass das den Kleinen immer wieder aufs Neue aus dem Konzept brachte. Aber er wäre nicht der berühmte, gleichgültige Craig Tucker gewesen, wenn ihn das interessieren würde.
 

Tweek hatte noch recht kindliche Züge für einen Jungen in seinem Alter. Er hatte ganz runde Wangen, die nicht recht zu seiner sonst so hageren Gestalt passen wollten. Seine flachsfarbenen Haare standen strubbelig in alle Richtungen ab und unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. Welche Augenfarbe hatte er nochmal?, fragte sich Craig spontan.
 

Mit seinem Gestarre erreichte er unbeabsichtigt, dass Tweek plötzlich doch noch mehr Informationen preisgab, als er geplant hatte.

„N-naja, w-weißt du... >ack< d-deine Meinung... ähm.. bedeutet mi-ir recht viel.“

Huch?

„Wieso das?“, platzte es aus Craig heraus. Und das, wo er sich doch normalerweise immer Zeit mit seinen Antworten ließ, um seine desinteressierte Wesensart zu unterstreichen. Aber mit so einer Antwort hatte Craig nicht gerechnet. Tweek war scheinbar nicht mehr so berechenbar, wie er es in Erinnerung hatte.

Als Reaktion auf seine Frage zuckte der kleine Kaffeeliebhaber zusammen, kaute auf seiner Unterlippe herum und sagte dann leise:

„Du... b-bist nicht so oberfl- >ngh< oberflächlich wie die anderen Jungs... und m-machst dir mehr Gedanken über die Dinge. D-das finde ich... also...d-das finde i-ich toll a-a-an... >gah!< dir.“

Und wieder war Craig überrascht. Noch sehr viel überraschter als bei dem Mal davor. Er bemerkte, dass ihm ein wenig der Mund offen stand und er schloss ihn schnell, presste die Lippen aufeinander.

Das dachte Tweek also über ihn? Das war... nunja.... ein nettes Kompliment, so irgendwie. Aber befremdlich war es auch. Wie konnte der Außenseiter so etwas über ihn wissen? Craig war eigentlich davon überzeugt, nicht wie ein offenes Buch zu lesen zu sein.

Er sah Tweek dabei zu, wie dieser langsam aber sicher rote Wangen und Ohren bekam.

Und er spürte den Druck auf sich lasten, ihm antworten zu müssen. Allerdings war er sich nicht ganz sicher, was er darauf sagen wollte. Nach allseits bekannter Tucker-Manier hätte es etwas unfreundliches, abblockendes sein müssen, aber das brachte er gerade nicht übers Herz.

Wieder musste Craig daran denken, wie es gewesen war, als er mit diesem Chaoten befreundet gewesen war. Keine Zeit seines Lebens, die er sonderlich bereute, gestand er sich ein.

Der Schwarzhaarige zupfte an einer seiner Strähnen, die unter der Mütze hervorlugten und ihn im Nacken kitzelten, dann gab er sich einen Ruck und antwortete:

„Thanks. Ich wundere mich zwar, woher du diese hohe Meinung über mich hast und ob sie überhaupt gerechtfertigt ist“, er warf der kleinen roten Ampel vor sich einen möglichst freundlichen Blick zu, „aber jeder sollte seine eigene Meinung zu dem Thema haben, nicht?“ Damit griff er den Satz auf, den Tweek eben selbst noch gesagt hatte. Dass ließ den Kleineren erst mal peinlich berührt zu Boden blicken.

„S-sorry, dass i-i-ich sowas... peinliches gesagt habe!“, kam es von Tweek zurück, allerdings wirkte er nun sogar ein bisschen weniger nervös als vorher und ein kleines Lächeln zierte sein Gesicht.

„Macht nichts,“ antwortete Craig schlicht.

Gott, er war heute doch wirklich zu nett.
 

Es wurde Zeit, dass Mister Garrison endlich kam. Ein Blick auf seine schwarz-silberne Armbanduhr sagte ihm, dass sie nun schon seit einer geschlagenen Stunde auf ihn warteten. Das war viel zu lange! Draußen wurde es außerdem zunehmend dunkler und bald würde er nicht mal mehr sonderlich viel zu beobachten haben, wenn er aus dem Fenster sah.
 

Weitere 10 Minuten verstrichen, ohne dass Mister Garrison auftauchte. So langsam wurde das sogar Craig unheimlich. Es war Freitagnachmittag, beinahe 17Uhr und draußen tobte ein Schneesturm.

Hatte dieser Bastard die beiden Jungs wirklich vergessen und mussten sie jetzt das Wochenende hier verbringen oder was?!

Craig ließ einen aufmerksamen Blick durch den Raum schweifen und sah sich nach möglichen Fluchtwegen um. Das hätte er schon viel früher tun sollen.

Aus dem Fenster wollte er nicht springen, um hier endlich heraus zu kommen. Sie befanden sich nämlich im dritten Stock und auch wenn vor der Schule mittlerweile eine ordentliche Menge an Schnee lag, das würde ihm zwar einen gewissen Puffer bieten, aber bestimmt nicht vor gebrochenen Knochen bewahren.

Also würde er die Tür aufbrechen müssen. Obwohl das je nach dem nicht sonderlich einfach werden würde. Im Gegensatz zu der ansonsten uralten Ausstattung in diesem Raum wirkte die Türe wie vor wenigen Jahren neu montiert. Gab es in diesem Raum zufällig eine Brechstange?

Wieder ein Blick auf die Uhr. Er würde Mister Garrison noch genau 10 Minuten geben, danach war diese Tür passé, neu oder alt oder was-auch-immer.
 

Tweek war mittlerweile dazu übergegangen, quer durch den Raum zu tigern. Hin und wieder machte er vor der Türe Halt und klopfte, rief nach Mister Garrison oder versuchte, indem er an der Klinke zog, die Türe zu öffnen. Dabei warf er manchmal hilfesuchende Blicke Richtung Fensterbank. Craig konnte sehen, wie sehr die Situation dem Kaffejunkie zusetzte. Er wurde nervöser und nervöser.

Der Schwarzhaarige entschied sich, ein weiteres Mal über seinen Schatten zu springen und wieder ein wenig Smalltalk mit Tweek zu führen. Das würde ihn hoffentlich ablenken und vor dem Durchdrehen bewahren. Craig hatte nämlich irgendwie im Gefühl, dass Tweek kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren.

„Hey...“, damit startete er.

Tweek schreckte mit einem kurzen, spitzen Schrei, der Craig in den Ohren schmerzte, auf. Fuck! So eine hohe Stimmlage hatte Craig bisher nur Mädchen zugetraut.

„Tweek... komm mal wieder runter“, redete Craig auf ihn einund machte eine wegwerfende Handbewegung.

Tweek sah nur verängstigt zu ihm herüber.

Craig sah demonstrativ auf seine Uhr herunter und sagte dann:

„Wir haben jetzt 17Uhr. Lass uns noch 10 Minuten warten und dann -“

Aber weiter kam er nicht.
 

„WAAAAH!!!“ Tweek hatte angefangen, hysterisch zu schreien.

Von einem auf den anderen Moment war das Licht ausgegangen und plötzlich saßen sie in völliger Dunkelheit. Auch Craig hatte sich darüber ein erschreckt, doch seine Augen gewöhnten sich schnell an die neuen Lichtverhältnisse.

Glücklicherweise war da noch das orange Licht der Straßenlaterne, das das Zimmer so weit erhellte, dass man noch genügend Umrisse erkennen konnte.

Woran sich Craig aber nicht gewöhnen konnte, war das Geschreie von Tweek. Jetzt war es also so weit. Einer der berühmten Ausraster von Tweek Tweak, und er war live dabei. Der Junge war völlig außer sich und stolperte nach hinten, gegen die Tische und Stühle des Klassenraums, hin zum Lichtschalter. Als er ihn betätigte, ging das Licht aber leider nicht wieder an. Und Tweek wurde nur noch unsicherer und polterte aufgebracht durch den Klassenraum.

Craig rief ein paar Mal seinen Namen. Immer lauter. Doch der Blonde war viel zu sehr mit sich selbst und seiner wachsenden Panik beschäftigt.

Craig sprang von der Fensterbank und schritt unsicher zu ihm herüber. Er versuchte eine Hand auf Tweeks Schulter zu legen, allerdings schlug der Kleine sie sofort ängstlich weg und drückte sich völlig unbeholfen von Craig weg. Seine Augen huschten wild hin und her, außerdem gab er weiterhin undefinierbare Geräusche von sich.

„Tweek! Beruhig' dich! Hör auf zu schreien!“ Der Kleine schien ihn nicht hören zu wollen und in seinem weltfremden Panikzustand gefangen zu sein. Der nächste Annäherungsversuch von Craig war dann schon nicht mehr so zurückhaltend. Er griff nach Tweeks Oberarmen und packte kräftig zu. Wenn Worte schon nicht halfen, musste er eben handgreiflich werden!

Kaffeekanne [Tweek]

„GAAH! Tu mir bitte nicht weh!!“, jammerte Tweek und versuchte weiterhin verzweifelt, sich aus Craigs festem Griff zu lösen, seine Augen hatte er fest zusammengepresst, sein Körper war verkrampft und er hatte furchtbare Angst. Er wusste selbst, dass er gerade mehr als anstrengend war, und er tat das garantiert nicht freiwillig – unkontrolliert zu zucken, zu schreien und einfach nur seiner Panik ausgeliefert zu sein.

„Gah!!!“

Noch größer wurde seine Angst allerdings dadurch, dass er damit rechnete, Craig würde jeden Moment der Kragen platzen. Wenn dem Größeren dann die Hand ausrutschen würde, käme Tweek sicher nicht bloß mit einem blauen Auge davon. Oft genug hatte er aus sicherer Entfernung mit angesehen, wie der Tucker-Junge jemandem, der ihm nicht passte, die Leviten gelesen hatte - um es mal harmlos zu formulieren. Allein bei dem Gedanken daran, dass dasselbe gleich mit ihm passieren könnte, wurde Tweek schon schlecht.
 

Und tatsächlich, nur einige Sekunden später, Tweek war noch völlig mit sich und seinen rasenden Gedanken beschäftigt, spürte er, wie ihn etwas im Gesicht traf. Er zuckte heftig zusammen, wimmerte und...!

… bemerkte plötzlich, dass er gar keine Schmerzen verspürte.

Im Gegenteil, er wurde mit dem Gesicht gegen etwas warmes und weiches gepresst. Auch seine Oberarme hatten aufgehört zu schmerzen, er befand sich in keinem schraubstockartigem Griff mehr.

Als er verwundert die Augen aufschlug, sah er blau. Blau? Blau, wie... die Farbe von Craigs Pullover! Tweek blinzelte ein paar Mal verwirrt, bis er schließlich begriff: Er lag gerade im wahrsten Sinne des Wortes in Craigs Armen.

WAS ZUM-- ?!
 

Er wollte aufschreien, Craig zur Rede stellen, sich von im wegdrücken, am liebsten alles gleichzeitig, ...doch nichts geschah; er war wie paralysiert. Absolut unbrauchbar. Er spürte, wie seine Wangen zu glühen begannen. Sehr viel heftiger noch als all die Male zuvor, seit er mit Craig alleine war. Er... er lag gerade in Craigs Armen! Wie unendlich peinlich!! Und … schön zugleich, flüsterte eine unscheinbare Stimme in seinem Hinterkopf.

„Beruhig' dich, Tweek.“ Die Art, wie Craig diese Worte aussprach, ließ Tweeks Herz sehr viel schneller und lauter schlagen, als es das ohnehin schon tat. Ob Craig sein laut pochendes Herz hören konnte? Oder seinen hastigen, flachen Atem? Wahrscheinlich schon, denn um sie herum war es so unglaublich still.

„Alles wird wieder gut, okay?“

Doch trotz seines nun viel heftiger schlagenden Herzens – Tweeks Körper kam paradoxerweise zur Ruhe.

Seine Angst davor, hier in diesem Klassenraum einen grauenhaften Tod zu sterben, wurde von dem in seinem Inneren auflodernden Gefühl verdrängt, dass der sonst so distanzierte, desinteressierte Craig sich plötzlich geradezu liebevoll um ihn kümmerte.

So eine Situation wie diese hatte sich Tweek vielleicht in seinen kühnsten Teenager-Tagträumen einmal ausgemalt – aber die Tatsache, dass er gerade tatsächlich umarmt wurde, von seinem unerreichbaren Schwarm und vergangenem besten Freund Craig, diese utopische Information wollte nicht in seinen Kopf. Es war für ihn fast unmöglich, das als etwas reales zu begreifen.
 

Nach wenigen Sekunden war es dann auch schon vorbei. Der für seine Mittelfinger-Mentalität berühmte Zehntklässler zog sich zurück, vorsichtig und langsam. Die Wärme verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war. Tweek fühlte sich verlassen und enorm verwirrt. Nach wie vor war er allerdings unfähig, sich zu rühren, geschweige denn, etwas zu sagen. Er starrte Craig einfach nur aus großen Augen an, in der Hoffnung, das würde zur Lösung seines inneren Gefühlstumults beitragen.

Craig hatte die Augenbrauen zusammengezogen und sah Tweek prüfend ins Gesicht. Eine Weile starrten sich die beiden schweigend an.
 

„Alles ist gut, hörst du? Kein Grund, durchzudrehen.“

Der Blonde reagierte nicht auf Craigs Kommunikationsversuch, sondern starrte einfach weiter.

„Ich glaube, überall in der Schule gehen automatisch ab einer gewissen Zeit die Lichter aus, weil über's Wochenende Strom gespart werden soll. Oder es liegt am Schneesturm und der Strom ist kurzzeitig ausgefallen, das könnte auch der Grund sein. Zum Glück sehen wir noch genug.“

So wirklich wollten diese Worte nicht in brauchbare Informationen in Tweeks Kopf umgewandelt werden. Ihm fiel nur auf, dass Craig viel mehr und auch freundlicher redete als sonst. Tweek ertappte sich dabei, wie sein Blick an Craigs Lippen hängen blieb. Uuh.. das war nicht gut!!

„Geht's dir wieder besser?“

Tweek gab sich einen Ruck und nickte kaum merklich.

Es folgte ein weiterer sich wie Kaugummi in die Länge ziehender Moment des Schweigens, während dem Craig Tweek aufmerksam musterte. Der Kleine hatte sich jedoch mittlerweile entschieden, lieber auf seine nervös miteinander spielenden Finger herunter zu sehen, als in Craigs graue Augen. Noch einem Blickduell würde er nicht standhalten, wo er gerade wieder halbwegs zu sich selbst gefunden hatte. Und realisiert hatte, wie schrecklich peinlich dieser Moment war.
 

„Du hast dich beruhigt, oder?“, fragte Craig sicherheitshalber ein weiteres Mal nach.

Tweek nickte als Antwort erneut und versuchte, glaubhaft dabei auszusehen.

„Gut...“ Der Größere drehte sich von ihm weg und ging zu der nur wenige Schritte entfernten Tür.

„Ich werde jetzt diese beschissene Tür aufbrechen“, sagte Craig mit grimmiger Stimme, „das hätte ich schon viel eher tun sollen.“

Ohne auch nur einen Augenblick länger zu zögern, trat der Junge zwei Schritte zurück, spannte sich an und krachte dann mit etwas Anlauf und mit voller Kraft gegen das Brett, das ihnen den Weg hinaus in die Freiheit verwehrte. Die Tür erbebte unter dem Gewicht und es war ein lautes Knacken zu hören, aber sie gab nicht nach.

Craig ließ sich noch weitere 5 Mal gegen das widerspenstige Ding knallen. Danach rieb er sich den mittlerweile sicher schmerzenden Oberarm. Als er ihn kreisen ließ, hörte Tweek wieder ein Knacken, dem der Türe gar nicht mal so unähnlich. Er erschauderte, als ihm bewusst wurde, dass das Craigs Knochen gewesen sein mussten.

„Waah!! H-hast du d-d-dir den Arm gebrochen?!“, fiepste er erschrocken, doch sein ehemaliger Kindheitsfreund schenkte ihm daraufhin nur ein Kopfschütteln gepaart mit einem genervten Seufzen.

„Von sowas bricht man sich nicht den Arm“, erklärte er gereizt.

Im nächsten Anlauf versuchte der Schwarzhaarige, mit einigen kraftvollen Tritten gegen das dunkle Holz etwas zu erreichen. Aber selbst dadurch tat sich nicht viel.

„Dieses verdammte Scheißteil ist echt nicht ohne“, fluchte er nach etlichen gescheiterten Versuchen.

Craig atmete mittlerweile schwer, er schien wirklich seine ganze Energie aufzuwenden, aber es reichte einfach nicht. Diese Tür war so ausbruchssicher wie die einer Gefängniszelle.
 

Tweek stand nur unsicher am Rand. Er wusste, dass er dem Anderen keine Hilfe sein würde, unsportlich, wie er war. Also bot er sie Craig gar nicht erst an. Wahrscheinlich besaß er nicht einmal ein Viertel der Kraft von Craig. Er fühlte sich unnütz und fehl am Platz.
 

„Fuck“, entwich es Craig erschöpft und er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Er gab lange nicht auf und tat sein bestes, um diese verdammte Tür zu durchbrechen, aber es half nichts. Langsam aber sicher verloren seine Tritte und Rammversuche an Wucht. Nach einigen qualvollen Minuten schien er es aufzugeben. Aber er hatte eine neue Strategie.

Tweek beobachtete ihn dabei, wie er versuchte, die Tür an ihrer Klinke hoch und aus den Angeln zu heben, doch auch damit hatte er leider keinen Erfolg. Craig besah sich die Scharniere und fluchte vor sich hin, als er registrierte, dass sie einwandfrei verarbeitet waren und sich trotz all seiner Bemühungen einfach gar nichts tat.

Frustriert ließ sich Craig noch ein letztes Mal gegen die Türe fallen. Er keuchte schwer.

„Fuck. Fuck. FUCK!!“

Tweek sank das Herz in die Hose.

Und mit ihm sank seine Hoffnung darauf, hier jemals lebend heraus zu kommen. Er musste sich sehr zusammenreißen, nicht wieder in Panik zu geraten. Und das fiel ihm unglaublich schwer. Sie waren jetzt schon über eine Stunde in diesem Klassenraum im dritten Stock eingesperrt, und es gab nur diesen einen Ausgang, den sie aber ganz offensichtlich nicht nutzen konnten. Nur Mister Garrison hatte den Schlüssel, außer ihnen war niemand mehr in der Schule und...

„Tweek.“

Erschrocken fuhr er zusammen. Craig, der auf dem Boden und gegen die Tür gelehnt dasaß, hatte Tweek gerade noch rechtzeitig aus seinem sich langsam in Fahrt setzenden Gedankenkarussell herausgerissen.

„Raste jetzt nicht wieder aus, okay?“, hörte Tweek ihn als nächstes sagen. Er klang gereizt. Die Worte schmerzten ein wenig, aber sie waren leider berechtigt.

„N-nein, wird... w-wird nicht wieder vorkommen“, murmelte der Kleinere schuldbewusst, obwohl er das nicht wirklich selbst entscheiden konnte, so gerne er das auch gewollt hätte.

Craig sah ihn prüfend an. Nach einer Weile stand er auf, verzog kurz schmerzerfüllt das Gesicht und griff reflexartig an seinen linken Oberarm. Einen Augenblick später hatte er sich wieder im Griff und meinte dann, als wäre nichts gewesen, mit einem Kopfnicken in Richtung Fensterbank:

„Komm, wir machen es uns gemütlich.“

Im ersten Moment war Tweek etwas perplex wegen diesem Angebot, doch dann folgte er ihm schnell und machte es sich auf dem harten Stein so bequem, wie es unter den gegebenen Umständen möglich war. Auf der Fensterbank war es ziemlich kalt, aber immerhin etwas heller als im hinteren Teil des Klassenraums. Tweek zog seine Beine an seinen Oberkörper. Ob er sich seine Jacke holen sollte?

Unwillkürlich sah er zu Craig herüber und erntete einen unerwartet determinierten Blick.

„Gib mir ne kurze Pause. Danach reiße ich einen Flügel von der Tafel ab und brech damit die Tür auf.“

Tweek glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Was hatte Craig da vor? Er mochte ja stark sein, keine Frage, aber ob er wirklich die Tafel würde auseinandernehmen können? Daran glaubte der Blondschopf nicht. Nicht … ganz. Aber dafür glaubte er zu wissen, dass Craig das vor allem sagte, damit Tweek nicht so viel Angst hatte. Sein Herz machte daraufhin einen kleinen, glücklichen Hüpfer.

„O-okay. Danke, Craig.“ Der Schwarzhaarige ließ als Antwort nur ein leises Brummen hören und schaute demonstrativ aus dem Fenster.
 

In den nächsten, qualvoll langsam vergehenden Minuten, die sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlten, saßen sie sich schweigend auf der Fensterbank gegenüber. Tweek versuchte die ganze Zeit, an etwas positives zu denken und nicht wegen ihrer jetzigen Situation die Krise zu kriegen – ein wirklich schwieriges Unterfangen. Er versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass er nicht alleine war. Denn dann wäre er wirklich durchgedreht und hätte sich wahrscheinlich in seinem Wahn noch selbst aus dem Fenster gestürzt.

Dass er ausgerechnet mit Craig, den er nun schon so lange aus weiter Ferne beobachtet und bewundert hatte, in diesem Raum eingeschlossen war, war auf gewisse Weise wirklich ein Grund zur Freude. Wenn Tweek nicht so furchtbar nervös und psychisch am Ende gewesen wäre, wer weiß, vielleicht hätte er diese Situation sogar zu seinem Vorteil nutzen können? Vielleicht hätte er es irgendwie schaffen können, sich mit Craig zu unterhalten? Oder ihn sogar ein wenig anzuflirten? Innerlich schnaubte er verächtlich. Als ob. Er war schließlich Tweek Tweak.

Obwohl... er war noch immer stolz auf sich, dass er es zu Anfang dieses Desasters geschafft hatte, Craig gegenüber den Mund aufzumachen, als dieser Mister Garrison als Schwuchtel beschimpft hatte. Er hatte sich schon seit langer Zeit vorgenommen, dass er in solchen Situationen Courage beweisen müsste, und diesmal hatte er es tatsächlich geschafft. Und das ausgerechnet vor Craig.

Gut, das hatte restlos all einen Mut gekostet, definitiv. Für die nächsten paar Monate war davon jetzt sicher kein Krümelchen mehr übrig.
 

Sehnsüchtig sah er erst zu Craig, dann zu seiner Thermoskanne hinüber. Wenn er doch wenigstens Kaffee hätte. Das würde alles zumindest ein wenig erträglicher machen. Wie gerne würde er jetzt zu Hause in der Küche vor ihrem riesigen, luxuriösen Kaffeeautomaten stehen und sich eine Tasse starken, schwarzen Kaffee aufbrühen.

Plötzlich, fast wie aus dem Nichts, kam ihm eine Idee.

Nervös fingerte Tweek in seiner Hosentasche herum, bis er endlich sein Handy zu fassen bekam, ein uraltes Nokia mit Antenne. Er warf Craig einen flüchtigen Blick zu, doch der starrte abwesend aus dem Fenster, hinaus in den Schneesturm, scheinbar versunken in irgendwelchen Gedanken.

Wieso war ihnen das nicht schon früher eingefallen? Sie brauchten dringend Hilfe, und von Außen konnte man sicher mehr erreichen als von ihrer kleinen Zelle aus.

Tweek wählte hastig die Nummer seiner Mutter, drückte auf den grünen Hörer und hielt sich das Telefon mit zitternden Händen ans Ohr. Er wartete gespannt, doch kein Ton war zu hören. Als er nach circa 10 Sekunden auf das Display schaute, hatte sein Handy von alleine den Anruf abgebrochen. Tweek gab als nächstes die Nummer seines Vaters ein, hatte damit aber ebenfalls keinen Erfolg, also schrieb er seinen Eltern eine sms, aber selbst die konnte nicht abgesendet werden. Endlos lange blinke das „Senden“-Symbol auf, doch sonst tat sich nichts. Er öffnete sein Telefonbuch und wählte wahllos Nummern, selbst mit dem Notruf probierte er es, doch er hatte einfach keinen Empfang.

Entmutigt ließ er sein Telefon zurück in seine linke Hosentasche gleiten. Er schaute missmutig nach draußen. Bei dem weißen Gewusel war es eigentlich nicht verwunderlich, dass er niemanden erreichen konnte. Trotzdem bekam er Angst, als er realisierte, noch eine weitere Chance 'verspielt' zu haben, hier heute noch heraus zu kommen. So langsam glaubte er nämlich wirklich nicht mehr daran, dass Mister Garrison sie hier noch wie versprochen rausholen würde.
 

Außerdem war er sich nicht mal sicher, ob seinen Eltern auffallen würde, dass er fehlte. Wenn Tweek zu Hause war, dann saß er entweder alleine in seinem Zimmer oder stand kurzzeitig unten in der Küche, um sich einen Kaffee oder etwas zu Essen zu machen. Außerdem war die Familie Tweak nicht gerade das, was man 'ein Herz und eine Seele' nennen würde. Zwar wirkte es nach außen hin so, als würden sie sich liebevoll um ihren Sohn kümmern, aber in Wirklichkeit waren seine Eltern meist mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und hatten keine Zeit für ihren Sohn. Tweeks einfach nicht abflauen wollende Krankheit zehrte außerdem auch an ihren Nerven. Über die Jahre stand ihnen das ins Gesicht geschrieben. Tweek wünschte sich oft, dass er ihnen ein besserer Sohn sein könnte.
 

Der Blondschopf zitterte ein wenig, als er seinen Blick auf Craig richtete, und es kostete ihn viel Überwindung, den Schwarzhaarigen anzusprechen.

„S-sag mal, Cr-Craig. hast du >ngh< vielleicht Empfang auf deinem Handy? I-ich kann mit meinem... n-niemanden erreichen.“

Einige Sekunden verstrichen, in denen Tweek schon dachte, er hätte möglicherweise viel zu leise gesprochen, da Craig noch immer, ohne mit der Wimper zu zucken, aus dem Fenster schaute. Er wollte gerade erneut den Mund aufmachen, da richtete sich sein Gegenüber plötzlich auf.

Ruhig schlenderte Craig zu seiner Umhängetasche, wühlte darin herum, bis er sein Handy, ein schickes Smartphone, von dessen Besitz Tweek nur träumen konnte, zu Tage gefördert hatte. Er schaute auf das Display, tippte darauf herum und ließ sich wieder auf der Fensterbank nieder.

„Wendy verschiebt ihre Geburtstagsfeier um 1 Woche“, hörte Tweek ihn sagen. Darauf runzelte der Blonde nur verwundert sie Stirn.

„Und Clyde will sich Sportschuhe von mir leihen? Tss... ich hab doch selber nur das eine Paar.“

Tweek verstand nur noch Bahnhof. Einige Sekunden vergingen, während derer sich Craig weiterhin mit seinem Telefon beschäftigte, hin und wieder murmelte er etwas unverständliches. Tweek war verwirrt. Craig hatte wohl schon lange nicht mehr sein Postfach gecheckt..?

Tweek meinte sich zu erinnern, dass Wendy letzten Monat ihre Geburtstagsfeier geschmissen hatte. Nicht, dass er eingeladen gewesen wäre.

„Äh-ähm... h-hast du denn nun Empfang..?“, erkundigte sich Tweek nach einer gefühlten Ewigkeit mutig.

„Nope.“ Craig streckte sich und steckte das Handy in die Tasche seines blauen Pullis. „Das kannst du bei diesem Schneesturm echt vergessen.“

Er lächelte ihn sogar kurzzeitig schief an. Tweek zuckte als Reaktion nur zurück und sah ihn mit großen Augen an.

W-warum sagte er das so leichtfertig?! Wie konnte er nur!

Oh Gooott, sie waren wirklich verloren! Verloren! Was, wenn der Schneesturm tagelang nicht aufhören würde?! Sie hatten doch gar kein Essen hier! Mittlerweile nicht mal mehr Strom! Und keine T-Toilette!! Tweek spürte Ekel in sich aufsteigen. Würde er etwa... vor Craigs Augen das Waschbecken benutzen müssen?! Wie.. wie furchtbar. Er zitterte heftig.

„GAH!“

Er bemerkte nicht, dass Craig ihn nun schon eine ganze Weile lang aufmerksam und sogar ein wenig besorgt beobachtete.

„Bleib locker, Tweek.“

Doch Tweek konnte ihn nicht hören, zu sehr rasten seine Gedanken.

Das allerschlimmste war... Tweek warf einen Blick auf seine silberne Thermoskanne, die schwach das orange Licht der Straßenlaterne reflektierte, wie sie einsam auf seinem Tisch stand. Er schluckte hart. Sein heiß geliebter Kaffee.... er wusste genau, dass sich nur noch maximal 2 Tassen dieses für ihn lebenswichtigen Elixiers in der Kanne befanden. Und er musste nur eins und eins zusammenzählen, um zu wissen, dass das für keine weitere Nacht, für keine weiteren 24 Stunden, geschweige denn für ein ganzes Wochenende reichen würde!!! Und dieser Stress!!!!

Er atmete so gut er konnte tief ein und aus. Eine Gänsehaut breitete sich auf seiner Haut aus. Eigentlich hätte er in den vergangenen 3 Stunden schon längst 3 Kannen geleert, wenn er denn gekonnt hätte! Er würde...

„AHHH! I-ich will so nicht STERBEN!!“, schrie er unvermittelt los und vergrub seine Hände in den blonden Haaren, riss verzweifelt an ihnen.

„Neiiiin, nein, nein, NEIN!!“

Craig war einige Sekunden lang zu überfordert, um handeln zu können und starrte Tweek entgeistert an. So hatte er seinen Klassenkameraden schon seit Jahren nicht mehr gesehen – und jetzt war es schon das zweite Mal innerhalb so kurzer Zeit, dass er ihn in diesem Ausmaß durchdrehen sah.
 

„Tweek!“, er versuchte, die verkrampften Arme und Hände zu bändigen, mit denen sich der Kleine selbst Schmerzen zufügte, aber das stellte sich als schwieriger heraus als erwartet.

Tweek war wirklich am Ende. Er zuckte und schrie.

Craig rief noch ein paar Mal seinen Namen, schüttelte seine Schultern. Schließlich riss er ihn grob von seinem Platz auf der Fensterbank herunter und wusste sich nicht besser zu helfen, als den zitternden Körper ein weiteres Mal fest an sich zu pressen.

„Verdammt! Tweek, jetzt komm schon! Beruhige dich! Tweek!“

Tatsächlich kam das Nervenbündel in seinen Armen ein wenig zur Ruhe, nach etlichen, sich viel zu sehr in die Länge ziehenden Sekunden.

Craig fühlte, wie sich zwei dünne Arme um seinen Körper schlugen und Tweek sich fest an ihn drückte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Sooo... ich hoffe, dem ein oder anderen gefällt, was ich bisher geschrieben habe. :) Im nächsten Kapitel geht es dann auch etwas mehr um die zwei Hübschen, und Mister Garrison kommt nicht mehr ganz so oft vor, falls das gestört haben sollte! ;D
Kommentare und vor allem Kritik sind herzlich willkommen! >w<b Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  N-21
2016-02-09T22:06:01+00:00 09.02.2016 23:06
Ich will weiterlesen wieso schreibst du nicht weiter?>-<
Von:  MoonlightWhisper
2014-03-27T13:28:24+00:00 27.03.2014 14:28
Ich mag diese Idee und dieses Pairing wirklich gerne :)
Hoffentlich schreibst du weiter ^^
Von:  YuriUsagi
2013-09-25T19:14:42+00:00 25.09.2013 21:14
Yay! Endlich geht es weiter! Danke. ^^
Von:  Mako-chi
2013-04-14T19:11:25+00:00 14.04.2013 21:11
Weiter... Schreiben... Bitte... *_______* *sucht*
Von:  YuriUsagi
2013-04-12T20:23:30+00:00 12.04.2013 22:23
Och nee... immer, wenn es am spannendsten ist!! >_< Freu mich schon total aufs nächst Kapitel! Weiter so!

Von:  Klein_Ryu
2013-04-01T14:15:53+00:00 01.04.2013 16:15
juhu ein neues kapitel =D
bin ich echt die erste die n kommi hinterlässt? BUUH <.< hat viel mehr verdient ._.
naja auf jedenfall fand ichs super =D
ich finde du triffst craig richtig gut ^.^
höhö tweek setzt sich doch nur für schwule ein, weil er selbst schwul ist un auf craig steht, der schlingel =P ♥
hoffentlich kommt bald das nächste, ich freuu mich:)
LG
Von:  Klein_Ryu
2013-03-24T21:14:52+00:00 24.03.2013 22:14
mege toll :D
ich bin schon richtig gespannt wie es weiter geht & hoffentlich auch bald :D
CREEK FOREVER ♥
lg :)
Antwort von:  SaRiku
24.03.2013 22:17
Juhu!! :D Dankeschön! <3<3
Freut mich, dass dir die ff bis hierhin gefällt. Und es geht sogar tatsächlich sehr schnell weiter - hab eben das 2. Kapitel zur Freischatlung übergeben! x//D
Und ich bin auch für CREEK!!! >:D
Von:  Sternenschwester
2013-03-15T18:33:32+00:00 15.03.2013 19:33
beginnt ja mal zeimlich interessant, werde auf es soweit auf jeden Fall weiterverflogen.
lg, sternenschwester
Antwort von:  SaRiku
24.03.2013 22:19
Viiielen lieben Dank für deinen Kommentar! :3
Und wow, habe ich es tatsächlich geschafft, dass da etwas Spannung im ersten kapitel aufkommt? ;D Yay <3
Bis zum nächsten Kapitel! ^___~
Von:  Rikuchan
2013-03-13T19:38:25+00:00 13.03.2013 20:38
WAHAHA Ri-chan! XDDD
Tut mir Leid, ich hab die FF noch nicht gelesen, aber als ich eben in meinem ENS-Postfach die Mail gesehen habe, dass du eine geschrieben hast, dachte ich mir so "Ohhhh eine FF! Was wird wohl das Thema sein? No6? FF13? oder vielleicht was ganz anderes wovon ich gar nicht weiß dass du ein großer Fan davon bist?"
Tja, und jetzt ist es South Park. Also mich hast du schon vor der eigentlichen FF zum lachen gebracht XD
Ich werde sie auch noch lesen, keine Angst ;3~
Da bin ich ja mal gespannt... :D
Antwort von:  SaRiku
13.03.2013 20:43
Und DU bringst mich zum Lachen! xDDD Hah, wie geil.... ich hab noch nie einen Kommi zu etwas bekommen, dass der Kommentarschreiber noch nciht mal gelesen hat. ;D
Ähm... ja... es könnte allerdings sein, dass diese hier dich nicht zwingend zu South Park bekehren wird - ich schreibe zur Zeit noch an einer anderen, die da vielleicht eher das Potenzial zu besitzen dürfte. Schau also immer mal wieder rein, es könnte sich lohnen. (?)


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