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Rübenfürst und Möhrenkönig

von

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Bauer werden ist nicht schwer...

I. Prolog: Bauer werden ist nicht schwer…
 

Um eines gleich mal klar zu stellen: Ich bin echt ein cooler Typ.
 

Bei so einer Behauptung überkommt Sie das eiskalte Würgen? Tja… als der liebe Gott die Menschen erschaffen hat, hat er sie nach cool und nicht cool sortiert. Dann hat er die Coolen in eine Kiste gestopft und den Rest in eine andere – deutlich größere. Als die Coolen dann so gen Erde hinab segelten, sangen sie: „Wir sind die Coolen… wir sind die Coolen…“
 

Kennen Sie das Lied? Nein? Dann saßen Sie wohl in der anderen Kiste…
 

Jetzt sind Sie beleidigt? Kannten den Witz noch nicht? Och… Taschentuch gefällig? Ich habe auch ein ganz Cooles für Sie…
 

Aber jetzt mal im Ernst: Ich hatte bisher ein Scheißglück. Bin mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund geboren worden. In Wirtschaftswunderzeiten hat mein lieber Großpapa den richtigen Riecher gehabt und hat ein Firmenimperium aufgebaut, das bis heute nur so klingelt. Babynahrung und –ausstattung, Schnuller und so… okay, das ist vielleicht nicht ganz so cool, aber das steht mir ja nicht auf die Stirn geschrieben. Der Laden brummt jedenfalls kräftig vor sich hin, verwaltet von kundigen Händen, die garantiert nicht die meinen sind. Nicht dass ich komplett planlos wäre, habe schließlich brav BWL studiert, aber ich kann mir wahrlich besseres vorstellen, als achtzig Stunden die Woche zu malochen. Muss ich auch nicht und meine Eltern, denen der Laden inzwischen gehört, auch nicht. Sicher, man muss den Überblick haben… aber wozu gibt es Berater, die sich, anders als ich, wirklich mit solchen Sachen auskennen und das faszinierender Weise sogar gerne tun? Vielleicht denken die auch nur an den Jahresbonus, wie auch immer. Mein Anteil waren bisher nur gelegentliche „Praktika“ in den familieneigenen Betrieben, aber ansonsten… Geld auszugeben ist schließlich auch eine verantwortungsvolle Aufgabe! Wo stünde die Wirtschaft, wenn nicht einige sich aufopfern würden, und den ganzen Luxus-Krempel konsumierten? Genau! Man denke an den Einzelhandel, den Vertrieb, die Werbebranche und so weiter – was wären die ohne Leute wie mich? Statt neidisch zu meckern sollte man mir mal lieber danken.
 

Bisher hielt sich die Begeisterung zwar in Grenzen, aber das Leben war schon nicht zu verachten, wie es war. Den größten Teil des Jahres residiere ich in meiner Bude, einem zweihundert Quadratmeter-Loft in der Hafencity der Hansestadt Hamburg. Zwei Ebenen, Industriedesign… Sie wissen schon. Vielleicht aus dem Fernsehen… Von dort aus lassen sich gut die Puppen tanzen lassen, auch wenn meine Puppen weniger Barbies als Kens sind. Das hat meine Eltern weniger erfreut von wegen Familientradition und so, aber wenn es sein muss, kann ich immer noch einen auf Ricky Martin machen, wir leben schließlich nicht in der Steinzeit. Allerdings ist mir aktuell ganz und gar nicht nach Baby-Freuden, auch wenn ich mein spaßiges Lotterleben gerade diesem Verlangen der Menschheit verdanke. Schön Kinderchen machen… und dann mit von Buch-Breilein füttern, mit von Buch-Schnullern und von Buch-Kuscheltierlein beglücken… und immer daran denken: Qualität hat ihren Preis! Sie wollen doch das Beste für ihr Kind? Wie soll es bitte eines Tages Nobelpreisträger in Quantenphysik, der erste türkischstämmige Bundeskanzler oder die nächste Marlene Dietrich werden, wenn Sie schon beim Grundsätzlichen sparen? Die Weichen werden früh gestellt…
 

Nun ja, wenn es mir in Hamburg zu öde wurde, konnte ich immer noch mein Luxus-Köfferchen packen und ein bisschen an die Cote D’Azur oder… halt irgendwohin, wo Leute meinen Kalibers eben auf Yachten feiern und Schampus schlürfen. Auf diese Weise habe ich die Jahre bisher gut hingebracht. Der Uniabschluss hat mich auch nicht gerade an die Grenzen meines Seins befördert, wozu gibt es Privatakademien, die bei der zahlenden Kundschaft nicht ganz so genau hin schauen. Ist ja nicht so, als müsste ich mich irgendwo bewerben… Und so schwer war das auch nicht, denken ist zwar langweilig, aber total verblödet bin ich auch nicht. Ja ja, grinsen Sie nur… das kratzt mich nicht die Bohne.
 

Alles in allem war das Leben gut zu mir. Es gibt ja auch solche unter uns, die sich irgendwann angefangen haben zu langweilen… diese Form des Lebens als hohl empfanden… und dann auf den Eso-Trip gegangen sind, Depressionen bekommen haben oder sich wohltätig eingesetzt… aber so ein wandelnder Krisenherd bin ich nicht. Umso unangenehmer ist die Tatsache, dass meine lieben Eltern meinen, dass es für mich an der Zeit sei „Erwachsen zu werden“.
 

Pfft… okay, ich werde dieses Jahr dreißig, aber man ist so jung, wie man sich fühlt! Und wozu zum Geier soll das gut sein? Erwachsen zu werden hört sich nicht gerade nach einer weiteren Variante von „Spaß“ an. Aber ich habe die dumpfe Befürchtung, dass es meinen Altvorderen dabei auch nicht gerade darum geht, mich zu amüsieren… Jedenfalls haben sie echt die harten Geschütze ausgepackt: Entweder ich komme in die Pötte, oder sie bereiten den Verkauf der Firma vor und vererben den Erlös… so ziemlich allen außer mir. Sie finden das witzig und voll verdient? Ich nicht, wie Sie sich wahrscheinlich vorstellen können. Aber immerhin habe ich damit ein Problem, dass Sie wohl niemals haben werden… Jetzt wollen Sie mich in den Arsch treten und solidarisieren sich insgeheim mit meinen Eltern? Die Welt ist voller Missgunst… Wo ist ihre moralische Überlegenheit denn jetzt hin?
 

Wie auch immer. Mein Sommerurlaub an der Copacabana ist jedenfalls gestrichen, stattdessen geht es nach Hessen. Ich weiß, nicht besonders mondän, aber das wird meine Tätigkeit dort wohl auch weniger werden. Ich habe ein festgesetztes Budget im Gepäck und für meine eigenen Bedürfnisse eine Art Taschengeldkonto, auf das monatlich eine derart erbärmliche Summe einfließt, dass ich keine Ahnung habe, wie ich dem drohenden Hungertod entrinnen soll. Mein Porsche muss hier bleiben, stattdessen haben sie mir einen Audi mit Allradantrieb verpasst – popelgrün und gebraucht! Ein Gebrauchtwagen! Das mir! Eltern können so grausam sein… Ich solle etwas Bescheidenheit und Bodenständigkeit lernen, man habe mich viel zu sehr verwöhnt… finde ich ja nicht, und außerdem: Das fällt denen jetzt ein? Wenn ihnen so viel daran gelegen gewesen wäre, hätten die mir ihre pädagogischen Wahnvorstellungen eventuell eher angedeihen lassen können. Ich bin fast dreißig nicht drei! Ich bin erwachsen! Na ja, nach ihrer Auffassung anscheinend nicht… und jetzt sind sie irgendwie auf den Trichter gekommen und erpressen mich kaltschnäuzig. Ob das ihren Zielen so zugutekommt…?
 

Jedenfalls: auf Wiedersehen, Jason von Buch, König des süßen Lotterlebens, hallo. Jason von Buch, Bauer. Hey… hören Sie auf! Ich habe auch Gefühle… ein paar immerhin…
 

Bevor Opa an die Spitze der Babykram-Bonzen aufgestiegen ist, war er ein stolzer hessischer Kleinbauer. Nachdem die Kassen angefangen hatten zu klingeln, hat Großvaterlein auf seine Abstammung geschissen, und auch Omi hatte besseres zu tun als Rüben zu ernten. Sie haben den Hof eiskalt vergammeln lassen, und auch meine Eltern hatten wenig Ambitionen, zu ihren Wurzeln zurück zu kehren. Das überlassen sie jetzt netterweise mir. Ein Jahr Zeit habe ich, diese jämmerliche, total vor die Hunde gegangene Parzelle wieder wirtschaftlich tragfähig zu machen. Ein Jahr hessische Pampa – auch gelegentlichen Urlaub hat man mir untersagt. Ich könne ja zum Ausspannen an den Baggersee fahren, wurde mir lakonisch erklärt. Eher sterbe ich! Doch… vielleicht gibt es am Baggersee ja doch etwas zum Baggern… so ein Grashalm kauender Landbursche oder so, der geheime Sehnsüchte in sich trägt, für die man ihn im heimatlichen Kuhkaff teeren und federn würde… oder wie lief das da? War ja immerhin noch Deutschland, aber ich muss gestehen, dass ich vom Landleben nicht die allerpräzisesten Vorstellungen habe. Aber nicht, dass das obendrein noch heißen würde, zwölf Monate lang nichts mehr vor die Flinte zu bekommen! Dann wäre ich wahrscheinlich irgendwann reif für einen Auftritt bei „Bauer sucht Mann“ oder so. Nicht, dass ich das sehen würde, aber in der Klatschpresse steht da so einiges drüber. Und die muss ich lesen, um auf dem neusten Stand zu bleiben, wo das Leben tobt, was gerade angesagt ist... Das würde ich vorerst wahrscheinlich auch nicht mehr so dringend brauchen. Stattdessen habe ich jetzt einen Stapel Landwirtschaftsmagazine auf dem Designertisch meines Lofts liegen. Ja, so etwas gibt es wirklich! Nicht das Loft, die Magazine… und Bücher über Bücher… Ach du Scheiße… Schon der Anblick löst bei mir komatöse Attacken aus, aber irgendwo muss ich ja anfangen. Vom Management eines Betriebes habe ich ja durchaus Ahnung, und auch ein Bauernhof ist streng genommen nichts anderes, aber da gibt es darüber hinaus so gruselige Sachen wie Pflanzen und Tiere und frische Luft und freien Himmel und Wetter… Oh weh, oh weh… Mir waren sogar die vom Innenarchitekten installierten Topfpflanzen binnen kürzester Zeit krepiert, und das einzige Tier, mit dem ich es je zu tun gehabt hatte, war keine Zuchtsau gewesen, sondern ein Hamster namens Van Gogh, der mich nicht hatte ausstehen können. Ich hatte meinen Finger fast eine halbe Stunde unter den Wasserhahn halten müssen, bis dieser blutrünstige Mini-Pitbull wieder locker gelassen hatte. Die einzige Narbe, die bis heute meinen wohlgeformten Körper verschandelt und mit der ich auch nicht gerade hausieren gehe.
 

Ich… ein Bauer! Was für eine Verschwendung… und da gibt es viele, die mir da zustimmen würden! Ich habe nicht nur Geld und Muße, um mich um mein Äußeres angemessen zu kümmern, sondern auch wirklich günstige Anlagen mitbekommen. Schwarzes Haar und blaue Augen… ich sehe echt heiß aus, da mögen Sie stänkern so viel Sie wollen! Aber jetzt würde ich mich von meiner Maniküre wohl vorerst verabschieden können. Eine dumpfe Ahnung sagt mir, dass man sich bei meinem neuen Aktionsgebiet zuweilen dreckige Fingernägel holen kann. Keine schöne Aussicht, aber andererseits sieht mich da hoffentlich niemand – von Bedeutung.
 

Shoppen war ich natürlich auch schon. Ich würde „praktische“ Klamotten brauchen, hatte meine Mutter mir verkündet. Wie ich dieses Wort hasse… Aber Prada hatte gerade eine Kollektion im Landhaus-Stil, das passte ja gut.
 

Okay… ich sitze echt in der Patsche. Ich habe absolut keinen Bock auf diese Sache und noch weniger Ahnung, das gebe ich ja zu. Aber… Totgeglaubte leben länger! Pass bloß auf, Bauernhof am Arsch der Heide, jetzt kommt Jason von Buch und macht klar Schiff, dass dir nur so die Ohren schlackern werden! Ich kann das nicht? Das werden wir ja sehen! Ich will mein Erbe! Amnesty International und der deutsche Dackelzüchterverein werden in die Röhre gucken! Finger weg von meiner Kohle! Ich kriege das hin, garantiert! Bin ich eben ein Jahr lang ein echt cooler Bauer – da dürfte die Messlatte ja auch nicht sonderlich hoch liegen. Ja… Sie werden schon sehen!
 

Aber trotzdem… ein bisschen zum Heulen ist mir schon. Zwölf endlose Monate gähnende Ödnis und der Umstand, etwas wirklich machen zu müssen… das ist so gar nicht meins. Tschüss, Loft, tschüss Party-Leben, tschüss alles, was das Leben gut macht…
 

Aber ich komme wieder! Wartet’s nur ab!

Der Möhrenkönig

II. Der Möhrenkönig
 

Ein wahrhaft himmlischer Sommertag zeichnete sich an den Ausläufern des deutschen Mittelgebirges ab. Es war kurz nach halb Zwölf, und Ragnar hatte den größten Teil seiner morgendlich anfallenden Arbeiten bereits erledigt. Der Tag eines Bauern begann früh, da war nichts mit ausschlafen, besonders wenn das eigene Herzblut an der Tätigkeit hing und man sie nicht komplett an irgendwelche Angestellten delegieren wollte. Er war schließlich nicht hierher gezogen, damit andere für ihn schufteten, das hatte er lange genug gehabt.
 

Sein Leben war nach vorgezeichneten Bahnen verlaufen, ein Arbeiterkind, das es zu etwas bringen sollte. Der Ehrgeiz seiner Eltern war lange Zeit auch sein eigener gewesen, aufwärts sollte es gehen. Der Erfolg seiner Mühen hatte ihn mit Stolz erfüllt, und die Freude seiner Eltern war ein zusätzlicher Lohn gewesen. Er war der erste in der Familie, der das Abitur bestanden und studiert hatte – nicht, da seine Vorfahren nicht fähig gewesen wären, sondern da ihre Abstammung immer wie ein Bremsklotz gewirkt hatte, es auch selber nicht zu wagen. Er war da anders gewesen. Er hatte es gewagt, und es war ihm auch gelungen. Er hatte Ingenieurswissenschaften studiert, hatte mit Eifer und Begabung einen ausgezeichneten Abschluss hingelegt und hatte rasch eine gut bezahlte Anstellung gefunden. Auch hier hatten sich Einsatz und Können ausgezahlt, in Windeseile war er aufgestiegen, Arbeit rund um die Uhr, es gab nichts anderes – bis auf seine Eltern. Entspannung nur, wenn unbedingt notwendig, um zu regenerieren und die eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Soziale Kontakte aus ähnlichen Motiven oder wenn es beruflich voran brachte. Er hatte gearbeitet wie ein Geisteskranker, immer nur vorwärts… Aber dummerweise war er keine Maschine, die man nur ab und an warten musste, damit sie weiter funktionierte, das hatte er dabei wohl aus den Augen verloren gehabt. Vor vier Jahren war es so weit gewesen. Wahrscheinlich war er bereits längst an der Grenze des Machbaren gewesen, als ihn der Unfalltod seiner Eltern endgültig in ein tiefes schwarzes Loch gestoßen hatte. Nichts war mehr von Bedeutung gewesen, neben dem Schmerz war da nur noch Leere gewesen… Ein klassisches Burn Out gepaart mit dem Schock des Verlustes hatte die Therapeutin ihm gesagt, zu der er sich schließlich völlig am Boden geschleppt hatte. Man hatte ihn auf Kur geschickt und dort hatte er die ganze Sache, sein Leben noch einmal von vorne bis hinten überdacht. Weitermachen wie zuvor konnte er schlichtweg nicht, obwohl sein Arbeitgeber das inständig gehofft hatte. Stattdessen hatte er sich irgendwann aufgerafft, um noch einmal neu anzufangen. Ganz anders, fernab von dem, was gewesen war. So völlig aus seiner Haut hatte er wohl auch dabei nicht gekonnt, denn was anfangs als Ausstiegs- und Rückzugplatz gedacht war, war inzwischen ein florierendes Unternehmen geworden. Er hatte sein Erspartes und sein Erbe zusammen gerafft und war auf ein erkleckliches Sümmchen gekommen, schließlich hatte er nie viel ausgegeben, dazu hatte er auch kaum die Zeit gehabt. Es war ihm eigentlich auch nie ums Geld gegangen, sondern eher um den Erfolg. Einer halbwegs spontanen Eingebung garniert mit einem ihm eigenen Hang zur Natur folgend hatte er ein verlassenes Gehöft im fernen Hessen erworben, es Schritt für Schritt auf Vordermann gebracht, an der Fernuniversität Kurse in Agrarwissenschaften belegt – und so war im Laufe der Zeit, aber dennoch recht flott aus einem Sammelsurium verwilderter Äcker ein gut laufender Biobauerhof geworden, und aus Ragnar Tannenberger, Ingenieur mit Diplom, Ragnar Tannenberger, Argrarökonom und – Möhrenkönig. So nannten ihn Geschäftspartner und Angestellte, auf die er inzwischen ob der Größe des bewirtschafteten Landes nicht mehr verzichten konnte, im Spaß – und sie hatten auch Recht damit. Er baute und züchtete Möhren – ökologisch korrekt angebaut und von ausgezeichneter Qualität, keine billigen, lieblos fabrizierten Futtermöhren. Der Markt für solche Lebensmittel wuchs und wuchs, und er selber hatte zu einer grundsätzlichen Zufriedenheit mit seinem Dasein gefunden. Das Leben mochte zwar manchmal komische Blüten treiben, aber hier war es schon gut.
 

Die Uhren tickten schon anders an diesem Ort, und wenn abends der letzte Arbeiter verschwunden war, kehrte eine Ruhe über dem Land ein, die mit nichts zu vergleichen war, das er zuvor gekannt und gelebt hatte. Außer seinem Hof gab es hier direkt benachbart nur noch einen weiteren, der sich in einem ähnlichen Zustand befand wie seiner, als er ihn erworben hatte. Er hatte bereits vorsichtig die Fühler danach ausgestreckt, obwohl eine innere Stimme ihn warnte, zu expandieren und erneut zum Arbeitstier zu mutieren, aber die Besitzerfamilie hatte abgelehnt. Nun gut, dann eben nicht. Was immer die damit anfangen wollten… aber gutes Land einfach so brach liegen zu lassen…?
 

Jetzt allerdings tat sich da was. Ein scheußlich grüner Audi rumpelte die Schotterpiste hinauf, passierte ihn und fuhr weiter zum verrammelte daliegenden Nachbargehöft. Neugierig spähte Ragnar dem Wagen hinterher. Dass sich hier einer blicken ließ, kam ausgesprochen selten vor. Ab und an kreuzte schon irgendwer auf, der anscheinend mal nach der Situation dort spähen sollte, aber danach geschah immer – rein gar nichts. War das so einer? Wahrscheinlich. Nach Makler sah das Auto jedenfalls nicht aus. Er folgte ihm mit den Blicken. Auf dem mit Kopfsteinpflaster befestigtem, überwuchertenm Platz vor dem ursprünglichen Wohnhaus hielt der Wagen, und ein Mann stieg aus. Zwischen den Bäumen hindurch konnte Ragnar erkennen, dass er recht groß zu sein schien, schwarzhaarig und in etwas gekleidet, was wie eine sündhaft teure Lederjacke aussah. Doch ein Makler?
 

Er stand auf und setzte sich in Bewegung. Es war besser, da mal nachzusehen, Vorsicht war besser als Nachsicht. Weit war es ja nicht, die Höfe hatten ursprünglich wohl zusammen gehört, bewirtschaftet von unterschiedlichen Zweigen derselben Familie, aber das war sehr lange her, wie er aus den Ausführungen eines lokalen Vertreters des Heimatvereins wusste. Auch die aktuellen Besitzer des Nachbarhofes waren erst später dazu gekommen.
 

Er trat heran und grüßte den Neuankömmling. „Guten Morgen!“ wünschte er ihm freundlich, obwohl es nach seinem Empfinden ein wenig spät dafür war.
 

Der andere fuhr herum, hatte ihn, obwohl er extra ein wenig gepoltert hatte, anscheinend nicht bemerkt.
 

„Moooo… Morgen!“ stammte der. Innerlich musste Ragnar bei seinem Anblick mit dem Kopf schütteln. Sein erster Verdacht war schon ganz richtig gewesen: Der war wirklich sprichwörtlich in Samt und Seide gehüllt. Wer, der noch alle Tassen im Schrank hatte, rannte hier so rum, als sei Hessen Land ein Catwalk in Mailand? Der war nicht einfach gut angezogen – der war aufgedonnert, als wolle er für ein Werbefoto posieren. Er kannte solche Typen von früher nur zu gut: Schnösel, das war ein eitler Schnösel, kein Zweifel. Ein reicher eitler Schnösel, auch wenn das Auto nicht so gut ins Bild passte. Ein reicher, eitler Schnösel, der haargenau wusste, dass er gut aussah, und das jedem mit Anlauf unter die Nase rieb. Nicht, dass er für solche Reize ganz unempfänglich war, aber nicht jeder auf Erden stand auf eine wandelnde Ken-Imitation.
 

„Ragnar Tannenberger!“ stellte er sich vor. „Mir gehört der Hof nebenan. Und Sie sind?“
 

Der andere fing sich wieder. „Ähm… von Buch. Jason von Buch – mir gehört… der hier, so wie es aussieht…“, erwiderte er und schüttelte ihm die Hand. Seine Fingernägel glänzten wie mit Seidenpapier poliert, am Handgelenk blitzt eine sauteure Uhr. Der hatte sein Lebtag noch nie ernsthaft irgendwo angepackt, so weich, wie seine Handfläche trotz des festen Griffes war, was zum Geier wollte der hier…? Schauen, ob er’s verkaufen konnte? Pleite von zu viel Botox-Behandlungen? Nein, die Stirn konnte er noch runzeln, vielleicht war das ja der neuste Schrei.
 

„Schön, Sie kennenzulernen“, erwiderte Ragnar höflich. „Sie schauen mal nach dem Rechten?“ wollte er wissen.
 

Der andere seufzte tief und verdrehte irgendwie komisch die Augen. „Wie man’s nimmt“, stöhnte er. „Ausgiebig, gewissermaßen… Ich wohne ab heute hier.“
 

„Aha. Äh… dann, willkommen, Nachbar!“ gab Ragnar nonchalant zurück, während sich in ihm ein Hauch von Fassungslosigkeit breit machte. Der da? Hier? In dem Haus? Hatte der auch eine Sinnkrise? So sah der allerdings irgendwie gar nicht aus…
 

„Danke!“ stöhnte das Modepüppchen in der Kerl-Version. „Sind sie ein Bauer?“
 

„Ich bewirtschafte den angrenzenden Hof, falls Sie das meinen. Insofern wohl: ja“, klärte Ragnar ihn auf.
 

„Und wie macht man das?“ wollte von Buch von ihm wissen und starrte ihn an, als sei er ein jonglierendes Eichhörnchen. Er hatte tiefblaue Augen, aber sein allgemeines Erscheinungsbild ließ vermuten, dass das eventuell auch nur Styling war, Kontaktlinsen oder so.
 

„Bauer sein?“ versicherte sich Ragnar dieser merkwürdigen Frage.
 

Von Buch nickte inständig, dass seine ondulierte Haarpracht nur so wogte. Der hatte sie echt nicht mehr alle beinander… Super, und der wollte sich jetzt hier breit machen! Das konnte ja was werden… Eigentlich hatte Ragnar den Umstand, keine direkten Nachbarn zu haben, nie sonderlich bedauert… da hatte er wohl Recht gehabt mit.
 

„Tja… man lebt auf dem Land und sieht zu, dass die Möhren gedeihen“, fasste er für die unterste Verständnisebene zusammen.
 

„Möhren? Sie sind im Möhren-Business?“ hakte von Buch nach.
 

„Exakt. Ich produziere Bio-Möhren“, klärte er ihn auf.
 

„Und das rechnet sich?“ wollte von Buch mit leicht staunender Miene wissen.
 

„Ja“, erwiderte Ragnar knapp. „Möhren-Business ist ein gutes Business… Schmecken gut, sind gesund und vielseitig…“
 

„Aha… sieh an…“, murmelte von Buch und beäugte das ziemlich runtergekommene Haus.
 

„Brauchen Sie vielleicht Hilfe?“ bot Ragnar sich gemäß der Basis-Regeln der Nachbarschaft an. „Der Weg nach hier oben ist ziemlich zugewuchert – ich könnte da einmal mit dem Trecker durch, damit der Möbelwagen und die Handwerker es leichter haben?“
 

Von Buch starrte ihn mit einem Ausdruck an, als wolle er gleich anfangen zu heulen. „Da kommt niemand“, presste er aber nur hervor.
 

„Was?“ fragte Ragnar verdattert. „Aber so ist das Haus doch…“
 

„Ich weiß!“ ächzte von Buch. „Da werde ich wohl etwas dran ändern müssen…“
 

„In der Tat“, stimmte Ragnar ihm zu und konzentrierte sich darauf, keine Miene zu verziehen. Eins war klar: der war nicht wirklich freiwillig hier. Der hatte garantiert irgendetwas verbockt, dass man ihn entweder hierhin abgeschoben hatte oder dass er hier auf Tauchstation gehen musste. Hoffentlich nichts Kriminelles.
 

Aber so wie er da gerade stand in seinen Luxus-Klamotten und mit tellergroßen Augen auf dem verwahrlosten Hof sah er fast ein wenig verloren aus. Wie ein prämierter Rassepudel, den man an einer Autobahnraststätte ausgesetzt hatte.
 

Der sollte jetzt echt hier wohnen? Oh weia…

Wie Jason von Buch Ikea überlebte

III. Wie Jason von Buch Ikea überlebte
 

Schande… Schande… Schande… Das war ja noch schlimmer, als er es befürchtet hatte. Das Haus: eine Bruchbude. Das Land darum: der Dschungel Borneos war im Vergleich dazu eine Bundesgartenshow. Der neue Nachbar: trug kein Gucci, sondern eine Latzhose, vermutlich von Walmart.
 

Grauenhaft! Okay, aus dem Nachbarn könnte man mit ein bisschen Geschmack was machen, sah wahrscheinlich ganz gut aus – wenn man auf Möhrenbauern stand! Da hatte er bisher Models in Feierlaune auf der Suche nach einem big spender deutlich vorgezogen, aber aktuell war ihm sowieso der Sinn nach Party ganz und gar vergangen.
 

Tannenberger mochte ein wenig älter sein als er, vielleicht so Mitte dreißig, hatte aschblondes Haar, das zu einem kurzen Ökobauern-Pferdeschwanz in bester Naturburschen-Art zusammen gefasst war, und graugrüne Augen. Auf dem Prada-Laufsteg zur von Jason erworbenen Kollektion hätte er sich in dem Aufzug eventuell gar nicht schlecht geschlagen -als Provokation, aber das hier war bitterernst gemeint. Und das hier war nicht New York, sondern Hessen, und auch nicht Frankfurt oder Kassel oder Göttingen – sondern der Arsch der Walachei. Hier sagten sich Fuchs und Hase sprichwörtlich gute Nacht. Hier gab es absolut gar nichts – nicht mal Strom und fließend Wasser, zumindest nicht in „seinem“ „Haus“…
 

Ach du heiliges Deutschland! Jason atmete tief durch und tat sein Bestes, den Drang zu hyperventilieren runterzuschlucken. Er würde hier nicht ausflippen wie das Klischeebild einer hysterischen Tunte! War er ja auch nicht… aber wahrscheinlich lauerte in jedem Menschen, gleichgültig welcher Orientierung, etwas, das gerne mal hysterisch kreischen wollte… Aber das half bedauerlicherweise gerade überhaupt nicht weiter.
 

Tannenberger hatte sich nach seiner kurzen Begrüßung wieder verabschiedet, wahrscheinlich musste er seinen Möhrchen gut zureden oder so, und ihm gesagt, dass er sich melden solle, falls er doch irgendwo Hilfe brauche. Er konnte sich schon vorstellen, was der sich gedacht hatte, als er ihn gesehen hatte… der hielt ihn für die totale Lusche, was das Leben hier anging, und damit hatte er höchstwahrscheinlich auch Recht. Noch. Auch wenn das alles hier bestenfalls zum Heulen war, und er hier überhaupt nicht hingehörte oder passte, würde er nicht den Schwanz einziehen – konnte er sich auch nicht erlauben. Da musste er jetzt wohl echt durch. Kurz wünschte er seine Eltern zur Hölle, nahm es dann aber hastig wieder zurück. Nein, er wünschte seinen Eltern nun ganz gewiss nichts Schlechtes, aber mussten sie ihm das hier echt antun? Müssen wohl nicht, aber sie taten es trotzdem. Mist.
 

Und diesen Saustall hier sollte er jetzt wieder auf Zack bringen? Hier funktionierte dann ja nicht mal die Klospülung! Er tapste durch die Finsternis des Hauses und tastete sich zu den Fenstern durch. Es war ein ziemlicher Akt, sie auf zu bekommen, teils waren sie völlig verzogen oder die Haken der Läden fest gerostet. Er holte sich einen blutenden Finger, hoffentlich bekam er jetzt keine Blutvergiftung… Das, was das hinein dringende Sommerlicht zeigt, war auch keine wahre Verbesserung. Das Haus war nach wie vor möbliert – ziemlich genau so, wie seine Großeltern es vor Jahrzehnten zurückgelassen hatten. Hier herrschte tiefste Nachkriegszeit – auf unterstem Niveau. Kein Wunder, dass seine Vorfahren hier nie wieder hin zurückgekehrt waren, das wäre er freiwillig unter Garantie auch nicht. Er hustete, von überall her stieg Staub auf. Er war sich sicher, Mäuse hämisch in den dunklen Ecken quieken zu hören. Hoffentlich waren die Decken nicht marode, und er krachte noch mit der ganzen wackeligen Bude in sein vorzeitiges Ende.
 

Die logische Konsequenz wäre, sich schleunigst ein Hotelzimmer zu suchen und den Laden hier erst einmal professionell auf Vordermann bringen zu lassen. Das Problem war nur: Er hatte hier gefälligst zu wohnen von Anfang an, so die Spielregeln. Nicht nur wäre alles zum Teufel, wenn man ihn beim Bescheißen erwischen würde, einen gewissen Reststolz besaß er doch auch noch. Nein, er würde es genauso machen, wie sie es haben wollten, da würden die sich schon noch wundern… Hoffentlich genauso wie er gerade, wie er dieser Katastrophe Herr werden sollte. Er hatte ein Budget für Einrichtungen und Reparaturen bekommen: fünftausend Euro, keinen Cent mehr. Damit kam er hier nicht weit. Den Rest würde er erwirtschaften müssen, doch von einem Plus war er Lichtjahre weit entfernt.
 

Das Fazit seiner ersten Begehung war dem ersten Eindruck entsprechend: Von den Möbeln taugte fast gar nichts mehr, das musste verschrottet und ersetzt werden, möglich bevor er mit irgendetwas versehentlich zusammenkrachte. Irgendwie konnte er gar kein Badezimmer ausmachen, seltsam. Er musste so oder so die Wasserwerke kontaktieren und einen Elektriker rufen, bevor man wagen konnte, hier irgendetwas wieder anzuschalten, was anscheinend sowieso nicht da war. Auch die Küche hatten es ziemlich hinter sich, da stand nur ein gusseiserner Ofen rum, oh Schreck. Zwar war es Sommer, aber an die Heizung musste er auch denken, denn eine solche war irgendwie auch unauffindbar. Und das hieß wahrscheinlich nicht, dass es hier eine Fußbodenheizung gab… Ansonsten gäbe es nur einen Kamin in dem Kabuff, das wohl das Wohnzimmer sein sollte. Die Scheiben waren einfachverglast, zum Teil gesprungen, die mussten auch erneuert werden. Und die Bausubstanz…? Isolierungen…?
 

Und das war nur das Haus… aber vorerst sein dringendstes Problem. Er musste hier heute Nacht schlafen, und außer ein paar Klamotten und persönlichen Gegenständen hatte er rein gar nichts mitnehmen dürfen.
 

Von einem leichten Kopfschmerz geplagt machte er sich innerlich eine Liste, dann sah er zu, sich in Bewegung zu setzen. Immerhin würde keiner seiner Bekannten ihm dort über den Weg laufen, wo er und seine paar Tacken jetzt das Überlebensnotwendigste beschaffen würden.
 

Drei Stunden später musste er zur Kenntnis nehmen, dass er sein Nobelshirt mit Hotdogsoße versaut hatte. Prompt fiel ihm das nächste Problem ein: keine Waschmaschine, kein Geld übrig für die Wäscherei. Ein weiterer Punkt auf der endlosen Liste der Tücken seines Schicksals. Aber immerhin konnte er jetzt bis an sein Lebensende einem schaudernden Publikum davon berichten, wie „Jason von Buch Ikea überlebte“. Nun gut… die Sachen waren ja nicht hässlich, jedenfalls so manches darunter… aber es war eben nicht gerade das, was sich so gehörte… Fast war er seinen Eltern wieder dankbar, dass sie ihm den Audi verpasst hatten, denn da hatte der ganze Krempel mit ein wenig Gewürge problemlos Platz gefunden. Wenn er heute nur noch ein einziges kreischendes Kind hören müsste, würde er eventuell doch noch einen Kollaps erleiden. Warum nannten gerade Eltern, die über die übelsten Brüllorgane verfügten, ihre Kinder eigentlich so gerne „Dschackelieeene?“. Gab’s den Namen überhaupt? Hatte diffuse Ähnlichkeiten mit dem eleganten französischen Jacqueline, aber das konnte doch eigentlich gar nicht sein? Egal, Hauptsache Dschackeliene wuchs mit von Buch-Babyprodukten heran… Auf jeden Fall hatte Ikea da sein Weltbild erweitert, auch wenn er darauf gut hätte verzichten können.
 

Er hatte ein Bett, eine Matratze, einen Kleiderschrank und eine Taschenlampe sowie ein paar schwedische Kekse, damit überlebte er bis Morgen früh, hoffte er. Nachttöpfe hatte es nicht gegeben, da würde er improvisieren müssen… ach, Elend.
 

Er parkte den Wagen vor dem Haus. Die Tür stand offen, so kamen Muff und Ratten besser hinaus, und eventuell war ja jemand so freundlich gewesen, die Möbel zu klauen. Leider war kein Einbrecher heutzutage so dämlich, wie’s aussah.
 

Seufzend stieg er aus und wuchtete seine Kartons aus dem Auto. Der Vorteil an Ikea war: man konnte die Möbel platzsparend transportieren, der Nachteil: man musste sie selber montieren. Kam ihm vor wie im Märchen, aber nicht umsonst spielten viele Märchen in dieser gottverlassenen Gegend Hessens. Drinnen zu montieren wäre eine dämliche Idee, dazu war es da zu düster. Also hier schrauben und dann rein geschleppt, das hatten schließlich schon ganz andere hin bekommen…
 

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Interessiert lugte Ragnar durch die Baumreihe. Von Buch stelzte auf seinen polierten Froschfotzenlederschuhen über seinen Hof und verzweifelte von Minute zu Minute mehr an etwas, das wie ein Ikea-Bett der günstigeren Sorte aussah. Irgendetwas in ihm wollte bei diesem Anblick laut losprusten. Nein, dieses verhinderte Männermodel da drüben hatte echt von Tuten und Blasen keine Ahnung. Okay… davon eventuell schon, aber nicht von der Montage eines Möbelstückes mit einem Inbusschlüssel. Und der wollte da echt wohnen? Das Haus war von oben bis unten sanierungsbedürftig, bestenfalls. Die einfachste Lösung wäre wahrscheinlich, es zu plätten und neu zu bauen, aber das wäre schon schade um das hübsche alte Gemäuer. Allerdings wirkte von Buch nicht danach, dass er hier seine Träume vom Landleben verwirklichen wollte.
 

Was zur Hölle wollte der hier? Okay, nach „wollen“ sah das eher nicht aus…
 

Oh Gott, was machte dieser Dämel denn jetzt… anders herum, du Idiot! Das war ja echt nicht zum Aushalten… Das sah er selbst aus fünfzig Metern Abstand ohne Blick auf die idiotensichere Ikea-Bauanleitung.
 

Es war kurz nach sechs, auf der Möhrenfarm war Feierabend, da konnte er ja seinen Pflichten als neuer Nachbar nachkommen…
 

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Okay… das Problem an Ikea war offensichtlich nicht nur, die Einkaufstour dorthin mit heilem Nervenkostüm zu überstehen, sondern diese gottverdammte Mega-Scheiße verfickt noch mal zusammen zu bekommen! Wie kriegte Dschackelieeenes Mutter das hin?! Aber die hatte wahrscheinlich Übung – statt eines Innenarchitekten…
 

Wo ist das verdammte, verkackte Loch?! Da muss doch ein Loch sein! Warum waren die Schrauben schon alle!? Meinte die Bedienungsanleitung doch die anderen?!
 

„Äh…ähm“, ließ ihn eine Stimme hochschrecken.
 

Möhren-Ragnar. Der wollte sich die Katastrophe wahrscheinlich aus der Nähe anschauen. Immerhin trug er nicht mehr diese Augenkrebs erregende Latzhose, sondern Jeans und T-Shirt. War wohl Feierabend, die Möhren schliefen schon.
 

„Guten Abend, Herr Nachbar!“ lächelte er ihn so verbindlich an, wie das mit zerkratzen, vom Inbusschlüssel malträtierten Fingern gerade noch so ging.
 

„Guten Abend… Öhm… probieren Sie das doch mal anders herum“, meinte Tannenberger und nickte in Richtung seines Werkes.
 

„Was?“ stutzte Jason und folgte seinem Blick.
 

„Das ist falsch rum…“, erklärte ihm Tannenberger seelenruhig. „So wird das nichts.“
 

„Das gehört so!“ protestierte Jason. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Jetzt klugscheißerte ihn dieser Landjunker auch noch voll!
 

„Nee… echt nicht“, bestand Tannenberger. Jason kniff die Lippen zusammen und starrte auf das, was sein demütigendes Bett werden sollte. Das passte alles hinten und vorne nicht… aber anders herum… Arg, der hatte Recht.
 

„Scheiße!“ verlor er leicht die Kontenance.
 

„Hören Sie… geht mich ja wirklich nichts an, was Sie hier treiben, aber… Sie scheinen etwas… äh… ungeübt? zu sein…“, machte Tannenberger weiter und grub dabei ungeniert seine Hände in die Hosentaschen seiner Billigjeans.
 

Jason knirschte mit den Zähnen. „Vielen Dank! Aber… ich kriege das schon hin! Habe mich nur ein wenig… vertan.“
 

„Kein Ding“, nickte ihm der andere freundlich zu, dass ihm etwas die Galle hochstieg. Er war nicht zu blöd hierfür! Er konnte das! Seit wann war er so empfindlich…? Seit er in dieser Jauchegrube hier festsaß wahrscheinlich… und er war gerade erst angekommen… Seine Nerven lagen wohl leicht blank.
 

„Schon gut“, nuschelte er. „Mache das nur zum ersten Mal…“
 

Tannenberger kommentierte das netterweise nicht weiter, sondern nickte nur verhalten. „Ach ja“, sagte er, sich bereits wieder zum Gehen drehend, „solange ihr Wasseranschluss noch nicht funktioniert – hat das Haus eigentlich einen? - in meiner Scheune ist eine Dusche, die die Arbeiter auch nutzen, mit Warmwasser. Tun Sie sich keinen Zwang an. Und machen Sie nachts besser doch Türen und Fenster im Untergeschoss zu – wegen der Wölfe… Guten Abend noch!“
 

Entgeistert starrte Jason ihm nach. Der verarschte ihn doch? Hier gab’s doch keine Wölfe mehr? Oder hatten irgendwelche Umweltapostel die hier wieder ausgewildert? Die kamen doch nicht ins Haus!
 

Oder…?

Ein Nachbar mit Dachschaden

IV. Ein Nachbar mit Dachschaden
 

Okay… das war etwas fies gewesen… aber so schrecklich verführerisch… Jeder andere hier hätte bei seinen Worten schallend gelacht, aber Ragnar war sich im Nachhinein nicht ganz sicher, ob von Buch ihm das nicht tatsächlich abgenommen hatte. Seine Familie mütterlicherseits stammte ursprünglich aus Friesland, wo auch sein Name herrührte, und da war man auf seinen trockenen Humor recht stolz. Von Buch hatte aber nicht wirklich gelacht…
 

Lag der jetzt in seinem schief montierten Bettchen in seiner finsteren Bruchbude und nässte ein, weil er sich von gierigen Fangzahnträgern eingekesselt wähnte…? Aber der war doch kein Kleinkind, wer bitte fiel denn auf so etwas rein? Ein Dummkopf…? Ein Stadtmensch? Ein weltfremder Designerklamotten-Junkie?
 

Oh oh…
 

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Jason war sich ziemlich sicher, spontan ertaubt zu sein. Sollte ja vorkommen in Stresssituationen… War er wirklich so ein Weichei? Deprimierender Weise fühlte er sich gerade so. Dabei war er auf sein männliches Auftreten immer so stolz gewesen… ein wenig verwegen… geheimnisvoll… aber hier galt wohl: außen hui, innen pfui.
 

Oder warum hörte er hier gar nichts?
 

Waren das die Wölfe…? Quatsch, dieser dämliche Möhren-Heini hatte ihn sauber verarscht, dachte wohl, die doofe Stadtmaus vor der Nase zu haben, die er bauerschlaue Landmaus ein wenig verkohlen konnte. Er war keine Maus… aber warum war das hier so still?
 

Er rappelte sich hoch und tastete nach der Taschenlampe. Weiter als bis ins „Wohnzimmer“ hatte er es vorerst nicht geschafft. Das Bett im Halbdunklen allein die enge Treppe hoch zu würgen… besser nicht. Sonst würde er kein Opfer imaginärer Wölfe, sondern der Ratten, wenn er bei der Aktion ausrutschte und sich den Schädel einschlug. Außerdem war das Obergeschoss auch wenig vertrauenerweckend…
 

Als er die Füße aus dem Bett schwang und aufstand, knirschte der Dielenboden unter ihm. Okay… war er also doch nicht taub… Er ging hinüber zum geschlossenen Fenster und blickte hinaus. Da war… nichts. Nichts, außer einem überwachsenen Hang und einer halb hinter Wolken verborgenen Mondsichel. Er öffnete das Fenster, frische Nachtluft strömte hinein – und kein Rudel hungriger Wölfe. Ansonsten… Ruhe. Die Welt schlief. Irgendwo weiter weg schrie ein Nachtvogel. Das war’s. Nein, er war nicht ertaubt, die Welt war verstummt.
 

Jason fühle, wie eine Gänsehaut über seinen Rücken kroch. Angst war das nicht… irgendetwas anderes… wo war er hier bloß rein geraten? Wo war das Rauschen der Stadt? Die Lichter? Irgendein Anzeichen von Zivilisation?
 

Nicht hier auf jeden Fall. Hier war nur das da… und er. Und, etwa fünfzig Meter entfernt, ein Öko-Mohrrüben-Magnat namens Ragnar Tannenberger. Mit dem würde er es wohl oder übel aushalten müssen – und der mit ihm, zumindest für ein Jahr.
 

Und dann erzählte der ihm irgendwelche verkackten Schauermärchen! Das Hilfsangebot war ja sehr nett, auch wenn er sich auf diese Dusche im ländlichen Stil nicht gerade freute. Aber ansonsten würden ihn selbst die Wölfe bald zum Kotzen finden, auf diese Art der Sicherheit konnte er definitiv verzichten. Wirklich, sehr freundlich alles, auch wenn er sich dabei fühlen mochte wie der letzte Depp, aber in den hier erforderlichen Tätigkeiten war er nun mal nicht gerade geschult, da durfte er sich wahrscheinlich nicht über Gebühr anstellen, aber… Wölfe… na warte…
 

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„Hallo Nachbar!“ grüßte Ragnar den Neuzugang im Vorübergehen. Von Buch wurstelte ziemlich verloren an einem schief hängenden Fensterladen herum. Von der Schotterpiste, die von hier aus in Richtung der Felder führte, war es nicht weit bis zum Treiben des Möchtegern-Jungbauerns, der anscheinend gerade dabei war, die Fenster notdürftig wieder auf Zack zu bringen. Aber ohne Werkzeug würde er da nicht weit kommen… aber das war dessen Bier, das dürfte dem hoffentlich selber aufgehen, wenn er hier bestehen wollte.
 

„Morgen!“ grüßte von Buch ihn mit einer Heiterkeit zurück, die Ragnar doch ein wenig überraschte. „Ein wundervoller Tag!“ jubilierte er, wandte sich ihm direkt zu, strahlte und strich sich eine seiner kokett ondulierten schwarzen Strähnen hinters Ohr. „Die Schwingungen hier – einfach wunderbar!“
 

„Schwingungen?“ fragte Ragnar ziemlich irritiert.
 

„Ach…“, winkte von Buch strahlend ab. Seine Zähne waren wie aus einer Zahnpasta-Reklame – da hatte irgendein Arzt wahrscheinlich ein hübsches Sümmchen mit verdient… „Sie wissen schon…“
 

„Äh…?“ stammelte Ragnar nun wirklich etwas wirre.
 

Von Buch schaute sich um, als könne sie hier jemand Falsches belauschen, dann flüsterte er verschwörerisch: „Die kosmische Energie!“ als sei das jedem sofort sonnenklar.
 

„Ach ja…?“ stotterte Ragnar. Oh Gott! Das war deutlich schlimmer, als er es befürchtet hatte! Das war kein bloßer Luftikus, den irgendwer oder er selbst aus irgendwelchen ansatzweise logischen Gründen hierher befördert hatte – der war ernsthaft bekloppt! Sowas kam in den besten Familien vor… und jetzt hing der ihm an der Backe… und er hatte nicht mal einen Zaun, geschweige denn eine Selbstschussanlage!
 

„Deswegen wachsen die Möhren hier auch so gut!“ verriet ihm von Buch. „Die fühlen es auch… Rüben sind da auch sehr sensibel…“
 

Ragnar konnte ihn nur anstarren. Nein… bitte nicht…! Oder… oder… verarschte der ihn?!
 

„Deshalb“, gestand ihm von Buch unverdrossen, „musste ich meinem Leben eine andere Richtung geben. Ich habe es einfach irgendwann gewusst… eine… Erleuchtung, genau! Irgendwann werden „sie“ kommen! Mohrrüben sind fantastische Indikatoren, da haben Sie weise gewählt. Sobald ich den Laden hier klar habe, werde ich auch mal sehen… Ich will Ihnen ja keine Konkurrenz vor der eigenen Haustür machen, da bin ich solidarisch, man muss ja auch solange über die Runden kommen, bis es soweit ist… aber Rüben… Zuckerrüben… oder vielleicht Rettiche? Wäre das okay?“
 

„Von mir aus!“ keuchte Ragnar. Nein, der meinte das ernst! Der war verrückt! Der war kein verwöhnter Schönling – okay, das wohl auch den Klamotten nach – der hatte in erster Linie ein Rad ab! Kosmische Strahlung! Außerirdische?! Und das ihm! Er war ein unter die Agrarökonomen gegangener Ingenieur, er hasste solchen Blödsinn! Hoffentlich versagte der da auf ganzer Linie bei seinen Sanierungsmaßnahmen und trollte sich wieder – gab bestimmt auch anderorts klasse Schwingungen!
 

„Deswegen habe ich auch keine Angst vor den Wölfen, wissen Sie… Ich habe Kräfte! Haben „sie“ mir verliehen! Ist auch in den Möhren, daher sind die so gesund! Wenn die Graupelze kommen – rufen Sie mich nur! Ich werde sie rompirutisieren!“ schwor von Buch voll Enthusiasmus.
 

„Sie werden die: Was???“ ächzte Ragnar. Er hatte das Gefühl, der andere würde ihn mit Dauerfeuer unter Beschuss nehmen. Einem Dauerfeuer aus lauter kleinen Irrsinns-Kügelchen.
 

„Pssst!“ brachte ihn von Buch zum Schweigen. „Sonst hören sie uns noch… die „anderen“… Sie wissen schon! Und ich bin mir nicht sicher, ob ich schon stark genug bin, um die auch zu rompirutisieren… Vielleicht könnten wir ja zusammen üben? Ich kann die Möhren bei Nacht singen hören… sie flüstern zu mir… Es steckt viel Kraft, viel Weisheit in den Möhren!“
 

„Auf gar keinen Fall!“ stieß Ragnar entsetzt hervor.
 

Von Buch zog ein trauriges Gesicht. „Wie schade… Ich dachte, wir seien voll auf einer Wellenlänge… wie füreinander geschaffen… Sie mit ihren imaginären Wölfen… und ich mit den imaginären Aliens…“, trauerte er demonstrativ.
 

„Sie haben mich verscheißert!“ entflammte in Ragnar das Licht der Erkenntnis.
 

„Können diese Augen lügen?“ lächelte von Buch und sah ihn aus blauen Kulleraugen an, die nicht so ganz in sein männliches, von einem leichten Bartschatten pittoresk betontes Gesicht zu passen schienen – und da wohl auch nicht wirklich hin gehörten. Eins musste er dem lassen – der war wirklich gut. So leicht verarschte man ihn nicht. Lag auch mit daran, dass er diesem auf Hochglanz polierten Trottel, der aus sehr ominösen Gründen in diesem ruinösen Haus herumhing, wahrscheinlich so Einiges zugetraut hätte, selbst das. Selber schuld.
 

„Hier gibt es Wölfe!“ bestand er stur.
 

„Klar, die warten nur darauf, bei mir einzumarschieren, sicher. Vielleicht bin ich an diesem Ort gelinde gesagt deplatziert, aber völlig blöde bin ich nicht!“ stellte von Buch klar und schaute wieder normal aus der Wäsche.
 

„Schon gut. Tut mir echt leid. Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen“, entschuldigte sich Ragnar.
 

„Angst?“ erwiderte von Buch beleidigt. „Nix da. Aber ich merke schon, wenn man mir krumm kommt. Ich komme auch nicht aus dem Lummerland. Und ich bin auch nicht gerade freiwillig hier.“
 

„Was treiben Sie denn hier überhaupt?“ erkundigte sich Ragnar, die Chance nutzend, seiner Neugierde nachzugeben.
 

„Wurde zwangsverdonnert“, erklärte von Buch kurz angebunden. „Wenn ich es nicht schaffe, diesen jämmerlichen Laden mit minimalen Mitteln innerhalb eines Jahres wieder flott zu bekommen, dann kann ich meinem Erbe hinterher winken. Und selbiges besteht keinesfalls bloß aus diesem Kackhof hier.“
 

Ragnar pfiff durch die Zähne. Also daher wehte der Wind… das war in der Tat ein verwöhntes Schnösel-Söhnchen, hatte er doch Recht gehabt! Das geschah dem nur Recht, musste der sich doch glatt die Finger mal dreckig machen. Wenn er daran dachte, wie er sich abgerackert hatte… und wie andere das taten, um über die Runden zu kommen. Und der latschte hier in seiner Gala-Garderobe über den Acker, obwohl das wahrscheinlich nicht mal seine Gala-Garderobe war. Für das Geld, das der am Leibe trug, konnte man in Afrika wahrscheinlich ganze Dörfer vorm Hungertod retten… aber da sollte er selber auch besser still sein, ein Beispiel an sozialem Engagement war er nun auch nicht gerade. Aber wer auch immer von Buch diese Aufgabe gestellt hatte, dem war nur zu gratulieren. Das konnte dem nur guttun – aber warum ausgerechnet vor seiner Haustür?! Arbeit konnte etwas sehr Erfüllendes sein, wenn man darüber nicht alles andere aus den Augen verlor – aber musste von Buch das ausgerechnet Tür an Tür von ihm erfahren? Vielleicht fiel er auch auf die Fresse… aber eigentlich wünschte ihm Ragnar das nicht… Er konnte schon verschmerzen, dass von Buch ihm Paroli geboten hatte. Aber warum musste der das alles ausgerechnet hier treiben! Eine innere Stimme flüsterte Ragnar, dass das eventuell Einfluss auf sein ruhiges Alltagsleben haben könnte, und darauf konnte er eigentlich gut verzichten.
 

„Na, dann mal viel Erfolg…“, purzelte aus ihm heraus. „Es ist Regen angesagt – ist Ihr Dach eigentlich dicht? Wie auch immer, eventuell helfen dann ja doch die Aliens, die haben ja eine Schwäche für Leute mit Dachschaden. Ich drücke ganz fest die Daumen!“
 

„Dankeschön!“ freute sich von Buch falsch. „Oh… war das ein Hase? Sah irgendwie hungrig aus…“

Lord Rotz auf Schonkost

V. Lord Rotz auf Schonkost
 

Okay… so viel zum Thema Nachbarschaft. Aber wer austeilen konnte, musste auch einstecken können. Er wusste selbst, dass er hier so gut hinpasste wie ein Weihnachtsbaum nach Mekka, aber das durfte leider kein Hinderungsgrund sein. Im Kunst- und Werkunterricht in der Schule war er früher immer gut gewesen, leider lag das auch schon zehn Jahre zurück, und er hatte absolut keine Übung. Das würde er wohl ändern müssen, wenn er dieser Bruchbude nicht wehrlos zum Opfer fallen wollte, denn Handwerker im großen Stile waren im Budget vorerst nicht drin. Und bevor er sich darauf konzentrieren konnte, hier irgendetwas zu erwirtschaften, brauchte er erst mal grundlegende Dinge wie funktionierende Sanitäranlagen, eine Küche – er konnte nicht kochen, aber das wäre wohl auch so ein Punkt auf der Liste – und ein dichtes Dach…
 

Tannenberger hatte natürlich Recht gehabt, es goss wie aus Kübeln, und überall tropfte es enervierend. Da wäre ihm das Geheul eines Wolfsrudels vor der Tür fast lieber gewesen. Er fühlte sich wie eine Figur aus einem Charles Dickens-Roman – leider war er ob seiner Herkunft die totale Fehlbesetzung. Als Schüler hatte er ganz gerne gelesen, es nach dem Abi aber lieber bleiben gelassen. In reiche-Erben-Kreisen galt sowas als viel zu nerdig. Wirtschaftsmagazine, Stilfibeln, okay, aber doch keine anspruchsvolle Literatur, das war für die Eierköppe, zu denen man ja nun nicht gehörte. Aber da ihn hier eh einer sah und er wahrscheinlich viel Zeit totzuschlagen haben würde, zunächst ohne Fernseher, wäre das eventuell eine Option. Er könnte natürlich auch nach Kassel fahren, um einen draufmachen – aber mit seinem klammen Geldbeutel? Und Kassel? Nur, wenn er kurz vorm Durchdrehen stand, er hatte auch seinen Stolz.
 

Still und heimlich war er in die Scheune des Möhrenbauern geschlichen, um den Muff von sich abzuspülen. Angebot war Angebot, ein Hoch auf den lieben Nachbarn! Wenn er da an das Bad in seinem Loft dachte… das sollte er vorerst besser lassen. So wenig daran denken wie irgend möglich hieß zunächst die Devise, sonst würde er sich solche Wunschträume noch dauerhaft abschminken müssen statt nur für zwölf Monate, weil er am eigenen Koller scheitern würde. Sein aktuelles „Zuhause“ hatte nur einen antiken Donnerbalken und eine verrostete Pumpe hinter dem Wohngebäude zu bieten, hatte er entsetzt feststellen müssen. Er hatte eine Mission… wie James Bond in etwa… also Augen zu und durch, wie auch immer... Aber es war schon ein seltsames Gefühl, stoppelig und stinkig unter einem kleckerigen Wasserstrahl in einer muffigen Scheune zu stehen. Von dem ganzen Gewürge heute taten ihm Muskeln fürchterlich weh, von deren Existenz er zuvor gar nichts geahnt hatte. Er hatte ja gedacht, dank Fitnessstudio und gelegentlichem Personal Trainer gut in Form zu sein – aber das betraf offensichtlich wirklich nur die Form. Er ging echt am Stock, hoffentlich gewöhnte man sich daran. Am schlimmsten taten ihm die Hände weh, das Halten von Champagnergläsern war wirklich eine Scheiß-Vorbereitung für sowas. Er bekam garantiert obermännliche Schwielen – juhu…
 

Während er völlig groggi zum Beat des tropfenden Wassers auf der billigen Matratze im Dunklen lag, erschuf sein Hirn Listen. Bohrmaschine… Hammer… er brauchte echt Werkzeug! Wie krank… aber… naja, etwas zu hämmern… gab Schlimmeres. Hoffentlich. Und wie zum Geier sollte er diese Äcker wieder klar bekommen! Die waren total zu gewachsen! Da standen Bäume drauf! Große Bäume, die Jahrzehnte Zeit gehabt hatten, obendrein noch jede Menge Wurzeln zu bilden! Die konnte er wohl kaum alle eigenhändig umhauen und ausbuddeln. Ach ja… eine Axt und ein Spaten wären wohl auch nicht schlecht… Wie fällte man einen Baum?! Und was sollte er überhaupt anbauen?! Okay… so Einheitszeug brachte nichts, das war schon klar, vor allem nicht auf so kleinen Anbauflächen, da hatte der liebe Nachbar schon Recht. Bio-Möhren liefen gut… Bio sowieso… und wenn er höchstpersönlich hier rum schuftete, was bitte war mehr „bio“. Was war das gewesen… Rüben…? Rüben… Rüben…Rüben… Zuckerüben waren Scheiße, total unlukrativ, das hatte er schon raus – es sei denn, man brannte sie zu etwas Hochprozentigem… Er hatte Chemieleistungskurs gehabt… obwohl sich das mit der “Leistung“ bei ihm arg im Rahmen gehalten hatte… wie war das noch gewesen…?
 

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Eins musste Ragnar dem Beknackten von nebenan lassen: Er hatte echt Dampf. Wie ein Irrer zimmerte er an seinem krummen Haus herum – ziemlich planlos zwar, aber unverdrossen, und er wurde besser. Der totale Depp war er wohl nicht, obwohl er mit seinen Fitness-Studio-Workout-Handschuhen beim Werkeln ziemlich danach aussah.
 

Zwei Wochen waren seit dessen Ankunft verronnen, und der hämmerte und hämmerte. Wenn Ragnar in sein Blickfeld geriet, was sich nicht wirklich vermeiden ließ und warum auch, er lebte und arbeitete schließlich auch hier, grüßte ihn von Buch mit fast unterwürfiger Freundlichkeit, die etwas Linkes an sich hatte. Nein, ein reines blödes Modepüppchen war der nicht – wahrscheinlich eher Modell hedonistische Schlange. Allerdings sah er bestechend bescheuert aus, wenn er in seinen Laufsteg-Klamotten den Heimwerker hinlegte. Immerhin hatte er mittlerweile Strom, wie das Dröhnen seines neuen Werkzeugs verhieß. Ragnars Angestellte hatten auch nicht schlecht gestaunt und ihm spontan den Spitznamen „Lord Rotz“ verliehen, was wahrscheinlich recht gut traf. Sie waren einfache Leute, und jemand, der zum Fensterputzen Schuhe trug, die sie ihr ganzes Monatsgehalt gekostet hätten, stand nicht besonders hoch in ihrem Kurs, da konnte von Buch grinsen, wie er wollte. Der aufdringliche „Prada“-Print unter seiner Fußsohle hatte ihn verraten… was kroch der auch so dämlich auf dem Hof herum bei der Sanierung der ausgehakten Fensterläden.
 

Aber es wurde… zumindest von außen begann das Haus wieder halbwegs bewohnt auszusehen, auch wenn es zu von Buch passte wie ein rosa Ballerina-Schuh zu Rambo.
 

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Na bitte, ging doch, dem Buch „Heimwerken für Dummies“ sei Dank, das er sich in weiser Voraussicht besorgt hatte. Das erste Stockwerk war noch immer nicht recht bewohnbar dank des undichten Daches, aber immerhin hatte er jetzt Licht und nicht mehr klemmende, Zugluft einlassende Fenster, und es war halbwegs sauber. Ansonsten hatte er sich mit einer Aushilfs-Klobrille aus dem Baumarkt am Plumpsklo versucht, aber das war keine besonders erquickliche Erfahrung gewesen. Vorerst musste das wohl reichen, besser als jedes Mal hinter einen Baum flitzen zu müssen, davon wurde der Hof ja auch nicht gerade anheimelnder. Er war schließlich kein Köter, der sein Revier markierte. Er wollte gar nicht wissen, was da unten in der Klogrube seit Jahrzehnten lauerte und ihn bei Gelegenheit sonst wohin zu beißen gedachte. Und spätestens nach dem zweiten Gang hatte er viele Fans in Form von sommerlichen Schmeißfliegen gewonnen. Toll, endlich wurde er wieder umschwärmt, war ja fast wie in Cannes bei einer After Show-Party… Duschen musste er nach wie vor beim Möhrenkönig, sein Haus hatte nie einen Wasseranschluss gehabt, und einen neuen verlegen zu lassen würde kosten... Dank Ebay würde er bald stolzer Besitzer einer Second-Hand Mikrowelle sein, musste er nicht mehr bloß Äpfel und schnödes Brot vom Dorfkrämer nagen, der auch fünf Kilometer weit weg war. Hoffentlich hielt sein Stromanschluss das aus. Jason seufzte. Er kaufte bei Ebay… unter dem Nick „Lord Rotz“ – so nannten die von Nebenan ihn doch, er war schließlich nicht taub – und auch dafür musste er in den nächsten Ort, hier gab es keinen Internetanschluss. Nun gut, aus deren Perspektive war er auch Lord Rotz. Lord Rotz auf Schonkost sozusagen. Er kaufte bei Ebay… er schenkte sich das erneute Seufzen. Rumheulen brachte nichts, immer fröhlich weiter gemacht. So ähnlich mussten sich die frühen europäischen Siedler in Nordamerika gefühlt haben – die Existenz der Wildnis abgetrotzt! Nur noch elfeinhalb Monate, volle Kraft voraus! Das sah hier doch schon ansatzweise besser aus , wobei seine Ansprüche in den letzten Wochen auf Radikaldiät gewesen waren wie sonst er vorm Strandurlaub.
 

Und abends waren die Schmerzen inzwischen Routine, man gewöhnte sich also wirklich… oder er begann abzuhärten. Wenn er noch zwei Wochen so weiter werkelte, würde der Laden ansatzweise okay sein – für 1955... Die Frage war nur: was dann? Der Sommer war schon fortgeschritten, auch wenn die Felder nicht total verwildert gewesen wären, wäre ziemlich Ebbe mit Anbau… Kohle musste her. Er überschlug die Finanzlage. Wie viel hatte er auf dem Konto, mit dem er investieren durfte? Nicht die Welt… reichte nicht für ein Gebiss aus Platin, aber für ziemlich viele… Rüben…
 

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Es war Samstagnachmittag, die Dinge gingen ihren Gang. Die Arbeiter waren ins Wochenende abgedampft, nur die Notfallcrew würde morgen kurz vorbei kommen, es gab immer etwas zu tun – die Mohrrüben hatten kein Wochenende, wollten gegossen und gehegt werden. Ein Klingeln der Türglocke störte seinen wohlverdienten Feierabend. Barfuß schlurfte Ragnar gen Tür, spähte durch den Spion der Eingangstür und staunte nicht schlecht. Da stand sein heißgeliebter Herr Nachbar, herausgeputzt, als wolle er zum Wiener Opernball, zumindest nach seinem Empfinden.
 

„Huhu!“ flötete sein ungebetener Besucher durch die Tür.
 

Nach der Alien-Geschichte hatten sie nicht mehr geplaudert, sondern sich irgendwie auf eine friedvolle Koexistenz geeinigt, indem sie sich einfach in Ruhe ließen. Jetzt grinste ihn von Buch mit seinen gestylten Zähnen an, als sei Ragnar ein Eskimo und solle ihm einen Kühlschrank abkaufen. Seufzend öffnete er die Tür. Samstagabend war für ihn eine Zeit der Ruhe, Entspannung, er schaute seine Lieblingsfilme auf DVD oder vergnügte sich mit technischen Zeichnungen, die er nach wie vor liebte anzufertigen, obwohl er nichts mehr professionell konstruierte, höchstens zum Spaß. Anders als von Buch trug er nur eine gammelige Jogginghose, aber das war ja wohl sein Bier. Apropos Bier… das wollte er eigentlich auch in Ruhe genießen. Stattdessen stand diese Designer-Biene vor seiner Tür und brummte falsch verführerisch.
 

„Guten Abend, Herr von Buch“, grüßte er ihn. „Was kann ich für Sie tun?“
 

„Ich habe einen Vorschlag… nein, ein Angebot an Sie, werter Herr Nachbar!“ strahlte von Buch und grinste dabei so breit, dass er sich wahrscheinlich fast selber verschluckte.
 

„Ich habe Feierabend…“, wehrte sich Ragnar.
 

„Super, ich feiere gerne!“ informierte ihn von Buch und flutschte rotzfrech an ihm vorbei nach drinnen, eh er sich recht besinnen konnte.
 

Der Anzug, den er trug, war dunkelblau und ließ seine Augen nur so leuchten. Er sah echt aus wie so ein verfluchter Dressman, allerdings war er das offensichtlich keinesfalls. Mit Genugtuung sah Ragnar, wie von Buch sein Interieur völlig verdaddert musterte.
 

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Scheiße… wo war er denn hier gelandet? Wo waren die Spitzendeckchen und die Geweihe? Das sollte ein Bauerhaus sein? Von außen: ja – von innen: war hier auch sein Innenarchitekt zu Gange gewesen? Das Haus war komplett entkernt, mehrere Ebene hingen, von dezenten Pfeilern getragen und mit Metalltreppen verbunden, in unterschiedlichen Höhen und ersetzten die Zimmer. Die Möbel waren ein Mischmasch aus reduziert und extravagant, ohne grell oder verspielt zu sein. Das war definitiv das abgefahrenste Zuhause, das er je zu sehen bekommen hatte, und er war ganz schon herumgekommen. Und der Hauseigentümer stand nun ihn wenig begeistert musternd vor ihm. Er war barfuß und trug lediglich eine schlabberige graue Sporthose. Man sah ihm die körperliche Arbeit auf sehr vorteilhafte Weise an. Sein sonst zu seinem Pferdeschwanz gebundenes Haar war offen und bildete eine etwas über kinnlange Mähne um sein misstrauisch guckendes Gesicht. Die graublauen Augen starrten ihn auch nicht gerade herzlich an. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen. „Wow!“ sagte er beeindruckt. „Das ist echt eine abgefahrene Hütte! Wer hat das denn alles entworfen?“
 

„Ich“, sagte Tannenberger nur etwas unterkühlt.
 

„Was… Sie? Ich dachte, Sie seien Möhrenbauer?“ plapperte Jason perplex.
 

„Ich war mal Ingenieur… das hier… ist ein Hobby von mir. Möhren sind nicht immer abendfüllend“, murmelte der andere.
 

„Ich bin platt“, gestand er. „Ingenieur? Was machen Sie dann hier?“
 

„Burn out. Brauchte was anderes“, informierte ihn Tannenberger knapp.
 

„Okay….“, überbrückte Jason mit etwas spitzen Lippen. Burn out war etwas, das ihm nie gedroht hatte… Aber das hier brachte ihn in der Tat leicht aus dem Konzept. Der da war also keinesfalls das geborene Landei, der hatte auch so seine Geschichte… und war weder geschmacksverirrt noch total blöde… Aber trug das definitiv nicht nach außen.
 

„Wo Sie schon mal da sind“, seufzte Tannenberger. „Bier?“
 

„Ja, gerne“, nickte Jason. Mochte er eigentlich eh lieber als Schampus, aber nur P. Diddy durfte so etwas offen zugeben…
 

Tannenberger schlurfte in seine offene Küche, dann reichte er ihm eine Flasche und nickte Richtung Couch. „Couch“ war gut, das Ding war aus geschwungenem Holz mit ein paar Kissen darauf – topschick. Selbstgemacht?! Er war so ein Anfänger… Aber hierbei nicht!
 

Tannenberger fläzte sich in den passenden Sessel ihm gegenüber und sagte: „Nun, was ist? Wollen Sie mir ihr schwingendes Grundstück andrehen oder was?“
 

Jason straffte sich und lächelte geübt weiter. „Weit gefehlt!“ erwiderte er. „Hier bin ich, und hier bleibe ich – zumindest das eine Jahr. Nein… ich möchte unsere nachbarschaftlichen Beziehungen auf wirtschaftlicher Ebene intensivieren!“
 

„Ach ja“, sagte Tannenberger reserviert. „Und was wollen Sie von mir?“
 

„Ihre Mohrrüben!“ strahlte Jason.

Tannenbergers Rübenfürst

VI. Tannenbergers Rübenfürst
 

„Meine Mohrrüben?“ erwiderte Ragnar verwundert. Himmel, war der Kerl aus dem Ei gepellt. Der zupfte sich garantiert die Augenbrauen und epilierte sich die Beine… War nie sein Fall gewesen. Erstens piekte das wahrscheinlich abscheulich und war eine erbärmliche Zeitverschwendung inklusive hanebüchener Verrenkungen. Zweitens hatte es eher mit richtigen Kerlen, das galt auch für ihn selbst – obwohl, Marke androgyn war der da auch nicht gerade. Der war nur irgendwie zu künstlich für sein Empfinden, zu glatt, zu bewusst attraktiv, zu standarisiert. Wie ein Hochglanzfoto aus einem Modemagazin irgendwie.
 

„Genau!“ bestätigte von Buch, als wolle er ihm ein „U“ verkaufen wie in der Sesamstraße.
 

„Was zur Hölle wollen Sie mit meinen Mohrrüben?“ fragte er verdutzt.
 

„Veredeln“, klärte von Buch ihn auf. „Ich zahle über Marktpreis….“, lockte er.
 

Das war natürlich nicht ganz uninteressant… aber wie wollte der das bitte bewerkstelligen? „Ach ja, und… wollen Sie sie in Gold gießen, „Gucci“ darauf stempeln und dann für das tausendfache verhökern?“ bohrte Ragnar.
 

„Was denken Sie denn für Sachen… Nein, Möhrenschnaps: ökologisch, trendy, extravagant!“ erklärte ihm von Buch allen Ernstes.
 

„Da waren mir die Aliens fast lieber! Wer soll das denn kaufen?!“ fragte Ragnar entgeistert.
 

Von Buch lächelte spitzbübisch, als habe er das vor dem Spiegel trainiert. Vielleicht hatte er das auch. „Ich habe Kontakte“, meinte er nur.
 

In Ragnars Hirn ratterte es, wahrscheinlich konnte er es einfach nicht lassen. „Okay…“, sagte er schließlich. „Sie kriegen die Möhren. Aber ich will dafür kein Geld – sondern eine Gewinnbeteiligung!“ Wenn der gerade anfing, brauchte der nicht viele Möhren… aber das war diesen geringen Einsatz mehr als wert, das war so durchgedreht, dass es entweder klappte – oder auf jeden Fall Unterhaltungswert haben würde.
 

„Dann will ich Ihren Namen!“ pokerte von Buch höher.
 

„Vielen Dank für den Antrag… Aber ich bleibe lieber Junggeselle…“, bremste er ihn aus.
 

Von Buch verdrehte die Augen. „Für den Schnaps! Von Buch geht nicht – das ist der Babybrei, da kommt Möhrenschnaps nicht so gut. So ein Fake-Name ist immer dubios. Aber „Tannenbergers Original“ – das rockt! In handgemachten Eichenfässern gelagert, von Großpapa selbst tagtäglich liebevoll kontrolliert… blabla…“
 

„Sie sind das mit dem Babybrei?!“ staunte Ragnar. Wenn die glücklichen Eltern der Kundschaft wüssten, was mit ihrem Investierten passiert war… Spielzeug für ein ewiges Kind?
 

„Ja... nicht direkt, aber ich bin der Erbe – wenn ich das hier nicht verbocke. Also, was ist? Bereit vom Möhren-Business ins Möhrenschnaps-Business aufzusteigen?“ blieb von Buch auf Kurs.
 

„Mmm… okay, warum nicht. Wie wollen sie das überhaupt brennen?“ wollte Ragnar wissen, den die Sache zunehmend zu faszinieren begann, obwohl er nicht recht zu fassen bekam warum überhaupt.
 

„Rustikal in Heimarbeit. Ich mache das juristisch klar und besorgte die Utensilien – wozu habe ich eine Scheune und Beziehungen zur Nahrungsmittelbranche. Budget für Investitionen habe ich auch, nicht astronomisch viel, aber für den Anfang dürfte es reichen. Notfalls muss ich wen mit Rang und Titel anheuern, aber vielleicht geht das auch so. Das Land urbar zu machen schaffe ich in einem Jahr nie im Leben, so dass es ertragreich wird, nur wenn ich mehr Geld ranschaffe, aber das hier müsste gehen, ist schließlich auch „Landwirtschaft“. Total öko sozusagen – oder haben Sie Skrupel?“
 

„Nö…“, gestand Ragnar. „Wir drehen das ja nicht Grundschulkindern an, sondern entwerfen eine Marke… wie „Jack Daniels“ oder so?“
 

„Genau!“ nickte von Buch, dass eine Haarpracht nur so wogte. „Der hat auch mal klein angefangen. „Tannenbergers“ kommt auch echt gut… rustikal, urdeutsch…“
 

„He!“ protestierte Ragnar.
 

„Schon gut. Hier sieht es auch nicht gerade „urdeutsch“ aus – ist nur die Marke – Partner!“ freute sich von Buch.
 

Das war echt ein Frettchen… aber kein langweiliges. Die paar Möhren waren den Spaß echt wert zu sehen, was der jetzt anstellte. Trendmarke „Tannenbergers“ – ja, ja, träum weiter.
 

Von Buch grinste schon wieder wie das Flaggschiff einer Bleaching-Zahncreme. Das war nie im Leben echt, dagegen sah selbst Tom Cruise völlig natürlich aus. „Ich seh’s schon vor mir… „Tannenbergers“ – der Fürst unter den Rüben… „Tannenbergers Rübenfürst“!“ schwärmte von Buch und streckte den Arm mit der Bierflasche aus. Ragnar prostete ihm zu.
 

„Ich bin Jason, Partner!“ blitzte er.
 

„Ragnar“, murmelte er selber.
 

Diesen Jason hätte kein Wal fressen können, ohne Magenprobleme zu bekommen als habe er ein Stück parfümierte Seife verdrückt… aber vielleicht hatte er deshalb seinen Namensvetter auch wieder ausgekotzt. Was für ein glattpolierter Typ! Viel Spaß mit meinen Möhren… „Partner“…
 

Wer brauchte schon einen Fernseher, dem so etwas geboten wurde?
 

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Na, das war ja gut gelaufen, Tannenberger hatte angebissen!
 

Jason fühlte sich äußerst beschwingt, als er in der Abenddämmerung zu seinem Haus zurück lief. Das hier hatte ihm keiner vorgesetzt, das hatte er ganz alleine ausgeheckt! Er war keine Niete…
 

Er würde ein Mohrrübenschnapsimperium errichten, ha ha… Sein Opa hatte ähnliches schließlich auch von hier aus geschafft. Nachbar Ragnar war ja Gott sei Dank kooperativ gewesen, mit dem saß er direkt an der Quelle. Da durften keine Schrott-Möhren rein, nur die handverlesenen Spitzenprodukte, die der da drüben produzierte…
 

Okay, dann würde er halbwegs aus der Versenkung auftauchen müssen, um seine Kontakte spielen lassen zu können… bisher ahnte ja keiner von seinen Kumpanen etwas von seinem Schicksal. Und so sehr interessierte es sie auch nicht, wie die Anrufliste auf seinem Handy verriet, wenn er bei seinen Touren von hier weg denn mal Empfang hatte. Er hatte behauptet, seine Eltern hätten ihn geschäftlich verdonnert, und die glaubten jetzt, dass es sich bei ihm einstweilen ausgepartyt hatte, da er sich auf die Übernahme des Babykram-Imperiums vorbereitete… jemand, der ernsthaft zu arbeiten drohte, war ja per se sehr suspekt… Wenn die wüssten… Taten sie aber nicht. Kein Arsch wusste, dass er lebte wie in der Steinzeit, jede Münze drei Mal umdrehte, und mit einem Ökobauern mit Bier auf die Schnapsbrennerei anstieß.
 

Okay wie ging das… erst vergären lassen… so eine Art Möhrenmost… brennen… er brauchte eine Destille… und Platz…
 

Was war eigentlich in der Scheune? Hatte er sich bisher nicht getraut, hinein zu schauen, um nicht den nächsten Anfall bekommen zu müssen. Auf den ersten Blick sah sie deutlich besser erhalten aus als das Wohnhaus. Hoffentlich nicht total vollgemüllt… oder voller Kuhmumien oder so…
 

Aber jetzt war er guter Dinge… mal sehen…
 

Das Dämmerlicht verriet es ihm, als es ihm gelungen war, das baufällige Tor aufzustemmen. Fast hätte er gelacht.
 

Ein Porsche! Oder vielmehr… ein Porsche-Trecker aus den Fünfzigern…
 

Konnte er endlich wieder Porsche fahren, ganz wie er es ersehnt hatte…
 

Da wollte ihn doch echt wer verarschen. Aber ab jetzt wurde zurück gearscht.

Möhr me, baby!

VII. Möhr me, baby!
 

Gloria Gaynor war in seiner Scheune… Wie war die denn da hin geraten? Und seit wann war die ein Kerl?
 

„It took all the stength I had not to fall apart… Kept trying hard to mend the Pieces of my broken purse… And I spent oh so many nights… Just feeling sorry for myself. I used to cry… But now I hold my head up high… I’ve got all my life to live… I’ve got all my Möhrenschnaps to give… And I’ll become steinreich! Yeah! I will survive!” dröhnte ein warmer Bariton zum Plätschern der Dusche.
 

Irgendwo zwischen Entgeisterung und Faszination, wie man so nur so schräg drauf sein konnte, steckte Ragnar die Nase durch das angelehnte Tor. Sein Waschbesuch stand offensichtlich bestens gelaunt unter dem prasselnden Strahl der offenen Dusche am anderen Ende der Scheune und schrubbte sich ab. Es war kurz nach neun, die Arbeiter waren nach Hause gegangen, doch die Abendsonne reckte noch immer ihre Fühler durch die verschmutzten Fenster ins Innere des Gebäudes. Jason war von Kopf bis Fuß in Gucci, Prada oder weiß der Geier was gehüllt und seifte sich wohlgemut mit etwas sehr angenehm und teuer Duftenden ein, die bereit gestellte Billig-Waschlotion verschmähend. Klar… der hatte wohl kaum eine Waschmaschine für seine Dreckwäsche… offensichtlich löste er das Problem jetzt so. Und dabei sang… und tanzte er.
 

Oh mein Gott! So etwas hatte diese Scheune bis dato wirklich nicht zu Gesicht bekommen. Er auch nicht. Jason gab seine vermöhrte Version des Discoklassikers zum Besten und machte dabei auch noch einen auf John Travolta! In diesen Disziplinen schien er echt fit zu sein, aber dennoch war diese Methode, seine Klamotten zu reinigen nicht nur extravagant, sondern auch selten dämlich. Wollte der sein Zeug direkt am Leibe trocknen oder wie? Nein, wollte er nicht…
 

Jason intonierte irgendetwas, dessen Refrain auf „Gimme möhr! Gimme möhr! Gimme möhr!“ hinaus lief, und begann in bester Discohasen-Manier die frisch abgespülten Kleidungsstücke von sich zu puhlen. Eigentlich wäre das reichlich Anlass für eine heftige Fremdschäm-Attacke, wenn das, was da in Sicht kam, nicht ausgesprochen fantasieanregend gewesen wäre. Oh Gott… der hoppelte wahrscheinlich ansonsten täglich durch irgendein Fitness-Programm, um seinen Luxuskörper in Form zu bringen. War ihm definitiv gelungen. Ragnar mochte zwar sein Leben bisher nicht gerade dem exzessiven Feiern gewidmet haben, aber an ihm war auf jeden Fall noch alles dran, das ab und an versorgt werden wollte. Wenn es ihn juckte – ab nach Kassel, auch da gab es Orte… oder per Internetbörse ein Date abgemacht, das weniger aus Essen bei Kerzenschein als aus einer schnellen Nummer im Hotel bestand… nach Beziehungskäse war ihm irgendwie nie richtig gewesen, er war anderweitig beschäftigt gewesen, und auch jetzt war das Leben gut, ohne dass ihm wer ständig auf den Keks dabei ging… Aber Jason von und zu Buch und Rübenfürst in spe war schon die Steigerung von knackig. Immer noch arg an Barbies Ken erinnernd – hups, Hose war weg… nein, definitiv doch kein Ken… Was für ein Knackarsch! Himmel…! Immer noch irgendwie künstlich, so poliert, epiliert, parfümiert… aber mit steigender Nacktheit relativierte sich Ragnars Bedürfnis zu spotten arg, da andere Hirnregionen in Aktion traten… Brustmuskeln… Waschbrettbauch… genau definierte Lendenmuskulatur…
 

Innerlich schlug Ragnar mit einem imaginären Dreschflegel auf sich ein. Er war kurz davor, stumpf zu sabbern wie der allerletzte Bauer, der es ganz dringend nötig hatte. Okay… war echt mal wieder an der Zeit… Er würde sich garantiert nicht an diesem durchgedrehten Zuckerpüppchen mit der linken Klappe vergreifen, der jetzt nicht nur sein Nachbar, sondern auch sein „Geschäftspartner“ war. Mit dem musste er es auf Dauer aushalten. Eventuell war der gar nicht schwul, obwohl ein Instinkt in ihm das vehement verneinte. Bloß die Finger weg, sonst lief dieser Blödsinn hier noch total aus dem Ruder…
 

Jason hopste immer noch, mittlerweile splitterfasernackt, unter der Dusche rum, und gab „Möhr me up, before you go- go“ zum Besten. Der Typ war echt eine Marke… gerissen irgendwie, aber dennoch auch wie ein spielender Junge. Mit dem Ernst des Lebens kannte der sich null aus, das verlieh ihm wahrscheinlich diese Leichtigkeit und dieses Brechreiz erregende Selbstbewusstsein. Das und die Tatsache, dass er echt scharf war – nicht bloß eingebildet.
 

Vorsichtig machte Ragnar die Biege, bevor Everybodys Darling ihn noch bemerkte, das wäre gewiss nicht so praktisch in Hinsicht auf den lieben Frieden. Da gab es so einen Postboten aus einem Kaff nördlich von Kassel, mit dem er schon häufiger… war wohl an der Zeit, diese „Bekanntschaft“ zu erneuern.
 

„I’m the Möhrman!“ sang Jason hemmungslos und hätte dafür wahrscheinlich einen Tritt in seinen äußerst appetitlichen Allerwertesten mehr als verdient.
 

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Zwei Fliegen mit einer Klappe – er war ja so genial! Jetzt nur noch den Krempel mit den neu erworbenen Wäscheklammern hinterm Haus an der Leine aufgehängt, die er zwischen Hintertür und Plumpsklo montiert hatte – voila! Er war ja so eine gute Hausfrau… Aber solange ihn Ragnar nicht mit der Mistgabel vom Grundstück jagte, würde er sich garantiert nicht mithilfe seiner eigenen rostigen Pumpe waschen. Die gute Nachricht war gewesen: es gab Wasserleitungen, die bis zu Ragnars Hof führten und solche, die einst der Bewässerung seiner eigenen Felder gedient hatten, doch lange außer Betrieb waren. Die schlechte Nachricht war gewesen, dass die keinesfalls bis zu seinem Haus gingen – es gab schlichtweg kein Fließendwasser in seiner Prachtvilla, bis er sich die Installation leisten konnte. Und das konnte noch dauern… Gott sei Dank war Sommer, doch der währte nicht ewig. Würde ihm schon etwas einfallen. Notfalls besorgte er sich einen Berner Sennenhund-Mischling aus dem Tierheim und nutzte den als Wärmedecke. Aber der fraß ihm dann wahrscheinlich die Haare vom Kopf… Ihm würde gewiss noch etwas einfallen, was auch immer. Er war ja keine von diesen chronisch deprimierten Heulsusen, für die das Glas ständig halb leer war. So manches hier war Oberscheiße – aber was sollte es… so war das eben gerade, musste man eben versuchen, es so positiv zu sehen, wie es ging. Immer in Relation, dann ging’s auch aufwärts… und dann: Ab nach Hause und in sein normales Leben.
 

Dank der familiären Kontakte zur Lebensmittelbranche war es gar nicht so schwer gewesen, vom Zollamt eine Lizenz zu bekommen. Die dachten wahrscheinlich, die renommierte Firma von Buch wolle nur expandieren… Wenn die wüssten… Würde schon keiner kontrollieren kommen… so schnell… Musste ja auch nur ein paar Monate gut gehen…
 

Aber derweil: Anschaffungen mussten gemacht werden. Er musste sich schlau machen in Hinsicht auf die Finessen der Herstellung… ein Label musste designt werden… Flaschen her… Vertrieb… Mann-oh-Mann… auf ins Gefecht!

Blaumann - nein danke!

VIII. Blaumann – nein danke!
 

„Sag mal, Partner…“, richtete sich Jason schließlich an ihn, nachdem er ihn gefühlt dreißig Jahre am folgenden Freitagabend mit Möhrenschnapsfantasien vollgelabert hatte. Ein „Geschäftsmeeting“ a la Jason von Buch… armes zu erbendes Firmenimperium… arme Topmanger… aber, okay, die mussten einem vielleicht dann doch nicht leidtun… „Kannst du eigentlich zeichnen?“
 

„Äh… ja“, schreckte Ragnar hoch und stellte fest, dass sein Bier leer war. Tragisch, aber der Kühlschrankinhalt mochte die Trauer rasch lindern. Er stand auf und meinte: „Zeichnen gehörte mit zu meinem ehemaligen Beruf. Eher am Computer… aber ich arbeite aus Spaß auch gern per Hand…“
 

„Super!“ lobte ihn Jason und schenkte ihm die volle Pracht seines Reklame-Lächelns. Nach seinem Duschstrip erschien er Ragnar wieder „normal“ – für seine Verhältnisse, aber so sonderlich gut kannte er den Typen ja auch nicht. Das würde sich vermutlich in den nächsten Monaten ändern, denn Jason schien ziemlich unverdrossen und keinesfalls kurz vor der Flucht. Der war anscheinend durchaus zäher, als seine liebenden Eltern wahrscheinlich auf dem Plan gehabt hatten – aber eventuell hatten sie das doch, wollten es nur endlich aus ihm heraus schütteln. Und Jason drückte sich nicht und haderte auch nicht jammernd herum – ein Punkt für ihn. Dank des Postboten, der in der Tat zweimal geklingelt hatte, fühlte sich Ragnar auch wieder ausgeglichen. Was so ein Nümmerchen bewirken konnte… da sah man gleich wieder klar nach und wurde nicht von einem singenden, strippenden Ken aus dem Konzept gebracht. Aber Ken strippte auch gerade nicht, sondern süppelte sein Bier und schmiedete mit Feuereifer Pläne.
 

„Wir brauchen ein Logo! Etiketten-Design!“ äußerte Jason schwungvoll und nahm freudig die nächste Flasche entgegen. Seine Frisur hatte inzwischen etwas an Form verloren, der hatte jetzt leider keinen In-Stylisten mehr in Reichweite… Vielleicht sollte er ihm schon mal ein Zopfgummi leihen… Sein eigener Haarschnitt war auch der Faulheit geschuldet, obwohl er ihm – nach Aussage seiner gelegentlichen Bettgefährten – stand. Praktisch. Der Piraten-Bauer-Look war gewiss total trendy… zumindest hier. Auch Jasons Maniküre war total im Arsch, aber er wirkte nicht depressiv. Immerhin. Wenn er Ragnar damit auf den Ohren gelegen hätte, hätte er ihn eventuell doch mit der Plattschaufel erlegen müssen.
 

„In welche Richtung soll’s denn gehen?“ fragte Ragnar und ließ sich wieder in seinen selbstgebauten Sessel fallen. Er entwarf ja gerne Dinge abends nach Zapfenstreich… also warum nicht. Ein Werbegrafiker war er jedoch nicht – genauso wenig wie Jason ein professioneller Schnapsbrenner… das passte ja gut…
 

„Es muss witzig sein! Die Klischees vom Urdeutschen verscheißernd! Überzeichnend… so was!“ forderte Jason.
 

„Mmm… das macht Sinn“, musste Ragnar zugeben. „Und wem willst du die Plörre – so sie denn nicht toxisch wird – andrehen?“
 

„Wird sie nicht! Sie wird geil!“ behauptete Jason einfach ohne einen Funken Zweifel. Mann… so eine Nervensäge… war der denn noch nie auf die Fresse gefallen?! Anscheinend nicht… „Ich habe Verbindungen! St. Topez! Sorrent! Berlin! Wo immer du willst… erst der europäische Markt… dann…“
 

„Ja ja, Rübenfürst und Möhrenkönig werden die Weltherrschaft an ich reißen“, spottete Ragnar.
 

Aber Jason war anscheinend nicht leicht zu kränken – oder aus dem Konzept zu bringen. „Wart’s nur ab!“ bestand er. „Wir rocken! Aber total!“
 

„Wann kommt überhaupt die Destille?“ versuchte ihn Ragnar auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Warum tat er das eigentlich…? Weil es irgendwie genauso witzig wie irre war…? Weil hier draußen mal was los war, das ihn eigentlich nicht wirklich nervte… nur die oberste Schicht, aber darunter…? Weil das Karriere-Gen in ihm einfach zuschnappen musste, weil immer die Chance bestand…? Okay… was hatte er schon zu verlieren… ein paar Möhren… mit Jason sah das etwas anders aus… Aber das war dessen Ding, er machte bloß ein bisschen mit.
 

„Übermorgen… die Möhren müssen an den Start! Geht bald los. Äh… kennst du dich mit Traktoren aus?“ wollte Jason wissen und überschlug wohlig seine langen Beine, so dass der Prada-Stempel unter seiner Sohle in den Raum glänzte.
 

„Öh… so ein wenig… wieso…?“ wollte Ragnar wissen. Der sprang echt hin und her wie vom Wahnsinn gebissen mit seinen Ideen…
 

„Ich habe einen Oldtimer-Porsche-Traktor in der Scheune gefunden. Der muss da raus, die Destille braucht Platz und das Scheunendach hält ja noch – anders als das des Haues… Aber den kann man doch garantiert verscheuern an irgendeinen beknackten Liebhaber oder so? Ein bisschen auf Zack gebracht… und vielleicht springt was raus für das Schnapsprojekt – oder ein Klo mit Abzug und eine Dusche oder so…“, grübelte Jason.
 

Okay… damit hatte er wahrscheinlich nicht völlig unrecht…
 

„Mal sehen… Sag mal, Jason“, meinte Ragnar. „Dein Haus ist aktuell echt noch die totale Bruchbude, obwohl du schon ordentlich was bewirkt hast, muss ich ja zugeben, aber... Und du bist – offenbar – ziemlich pleite aktuell. Was machst du eigentlich mit deinen Klamotten, wenn des Tages Arbeit ihre Spuren hinterlassen hat?“ Das wusste er ja sehr wohl… mal sehen, wie Jason das Thema so betrachtete…
 

„Wasche ich per Hand“, erklärte Jason und lächelte ihn an. Ob dieses Lächeln festgewachsen war? Und - ja… so konnte man das wohl auch sehen…
 

„Hör zu. Ich gebe zu, ich bin nicht der geselligste Mensch, aber du kannst gerne hier im Keller die Waschmaschine benutzen, okay? Musst nur Bescheid sagen, dass ich schauen kann, wann es passt“, bot Ragnar an.
 

„Danke!“ freute sich Jason ohne falsche Scham. „Aber… mein Kram… ich glaube, so richtig maschinentauglich ist das Meiste nicht…? Haben die Verkäufer immer drauf hingewiesen… habe ich nur nicht so drauf geachtet, sonst ging ja immer alles in die Reinigung… hätte ich wohl mal besser, oder?“ Ein ziemlich ratloser Blick aus dunkelblauen Augen traf Ragnar. Weise erkannt, mein Lieber…
 

„Wie wär’s“, setzte er an. „Du kaufst dir etwas… Praktisches?“
 

Jason rümpfte die Nase. „Hab ich doch… Landlife-Collection von Prada… extra für hier…“, protestierte er.
 

„Auf Gefahr hin, dein Weltbild zu zertrümmern: Das! Ist! Nicht! Praktisch! Du willst ein Möhrenschnapsimperium errichten und deinen Hof in Ordnung bringen? Das nennt man Arbeit. Und zwar körperliche Arbeit zu nicht geringem Teil. Du siehst nicht nur total bescheuert aus, wenn du hier in deinen Label-Klamotten herum wurstelst, die sind völlig ungeeignet obendrein! Oder bist du so ein eitles Prinzchen…?“ verpasste Ragnar ihm gnadenlos. Aber Jason konnte das ab – und musste das abkönnen, ein Sensibelchen errichtete weder Schnapsimperium noch Bauernhof.
 

Jetzt lächelte Jason nicht mehr, sondern schaute kurz beleidigt aus seiner feinen Wäsche. Dann fing er sich rasch wieder und seufzte: „Was dann? Karohemd und Latzhose? Gnade!“
 

„Das ist völlig piepsegal, wie du dabei aussiehst! Das hier ist nicht die Cote d’Azur! Du willst hier was aufbauen, dann pack’s an. Und zwar richtig, nicht als habe man dich verpflanzt. Ich war auch mal wer anders… immer im Anzug und so… Aber hier nicht. Wir sind hessische Kleinbauern – mit Weltmachtsfantasien vielleicht -, obwohl das wohl bei uns beiden in jeder Hinsicht nicht von Anfang an in der Lebensplanung vorkam. Du bist doch schon gut dabei… aber versuche… dich etwas anzupassen?“ empfahl Ragnar.
 

„Den Umständen – oder der Tatsache, dass man mich „Lord Rotz“ nennt?“ entgegnete Jason geradeaus.
 

„Beidem… ein wenig… zumindest für ein Jahr… ist das hier deine Welt… Ist vielleicht auch eine Chance, das Leben ein wenig anders kennen zu lernen?“ schlug Ragnar vor.
 

Jason sah gen Boden. „Ich will hier nicht sein“, sagte er schließlich. „Das bin so gar nicht… ich. Und ich… ich will auch niemand anderes sein als bisher, ich will zurück…“
 

„Aber jetzt bist du hier…“, wies Ragnar ihn hin. „Probiere es doch ein wenig…?“
 

Jason straffte sich. „Mich anzupassen? Okay, das mit dem praktischen Aspekt kapiere ich ja etwas… Aber ich… ich… ich bin eben kein „praktischer“ Mensch… wahrscheinlich… und ich will…“
 

„Warum trägst du den teuren Krempel?“ ließ Ragnar nicht locker und legte ungeniert die Füße auf den Tisch. Er war Bauer… er durfte das…
 

„Es… alle…“, brabbelte Jason.
 

„Genau. Und hier tragen alle Klamotten, die ihrer Tätigkeit und ihrem Budget auch gemäß sind. Deinen Prada-Scheiß sehen sie bestenfalls als Spleenigkeit, ansonsten als Hohn oder Herablassung. Zieh ihn an… wenn du den Schnaps an entsprechender Stelle vermarkten willst – und schone ihn dafür. Für das Werkeln am Haus etwas anderes?“
 

„Ich bin zu pleite für etwas anderes. Das Haus… ich war sogar schon bei Aldi… und Ebay… und… ich hab nichts anderes“, stöhnte Jason und grub die langen Finger in sein Haar.
 

Ragnar überlegte kurz. „Wie wäre es… du verkaufst was? Wie den Traktor… was du eben nicht brauchst… auch über Ebay… und davon besorgst du dir Alltagskram?“ spann er weiter.
 

Jason blickte ihn an. Er grinste nicht, sondern schien nachzudenken. Sah er vielleicht so… in Wirklichkeit aus? Nicht dieses Gestellte… ob ihm das überhaupt klar war…? So sah er normal aus… zwar ein wenig angeduselt vom Bier wie er auch, sonst hätte seine Zunge wahrscheinlich auch nicht so locker gesessen… aber so war er nicht Ken, das war ein Gewinn.
 

„Ach, weißt du“, meinte Jason schließlich. „Ich tue ja mein Bestes… aber das hier ist ein ganz schöner Kulturschock.“
 

„Kann ich mir vorstellen… aber du hältst dich!“ baute Ragnar ihn auf und konnte ein Lächeln auch nicht ganz unterdrücken. Jason war schon ganz schön schräg… aber irgendwie auch ziemlich tapfer und direkt, das mochte er an anderen Menschen nach all der Heuchelei, die ihn einst am Job so gestresst hatte – abgesehen von der Überdosis, die er sich verpasst hatte. Uns seine Möhren… die waren auch geradeaus, selbst die schiefste unter ihnen… Irgendwie hatte das schon etwas Sympathisches. Ein totales Weichei war Jason immerhin nicht.
 

Okay… er hatte ein wenig einen sitzen, aber diese Gesellschaft war schon durchaus nicht völlig grauenhaft. Immerhin war sein Nachbar kein lahmer Spießbürger, der ihn zum Grillen mit der Familie nötigte, das war doch durchaus was…
 

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Ragnar war schon… so eine Type. Der redete echt Tacheles. Ungewohnt… in der Szene hatte man immer das eine gesagt und das andere gemeint, zumindest die, die dort etwas hatten an Land ziehen wollen. Da er zu denen gehört hatte, die da „an Land“ gezogen werden sollten – was er jedoch keinesfalls vorgehabt hatte – hatte er sich da nicht so verstellen müssen, dennoch… Aber Ragnar hatte schon Recht… Schnaps herzustellen oder Fenster zu streichen in einer Lederjacke, die fast dreitausend Euro gekostet hatte – und ihm perfekt stand – war wahrscheinlich irgendwie ziemlich dämlich und in den Augen der hiesigen Bevölkerung total pervers, falls die das ahnen sollten… War ein spontaner Kauf gewesen, der ihn damals nicht gejuckt hatte, aber hier hatte er monatlich nicht ansatzweise so viel. Ein Brötchen bei Aldi kostete… seine Jacke waren viele Brötchen… Das waren wohl die Basisregeln des Wirtschaftslebens in der Praxis, die Theorie war ihm ja durchaus geläufig. Das Familienunternehmen lief ja auch so, aber da hatte er bisher nur am Ende der Kette stehen müssen, um einzustreichen. Jetzt stand er am Anfang…
 

Ökonomisch denken, genau!
 

Okay, die Meinung von Ragnars Arbeitern ging ihm etwas am Arsch vorbei – aber es war gewiss nicht blöde, sich hier nicht unnötig Feinde zu machen, indem man auftrat wie ein degenerierter Despot. War er schließlich nicht. Wen kommandierte er schon rum – außer sich selbst? Er war der Boss und der unter Tarif bezahlte Arbeiter in einer Person… multiple Persönlichkeit mal anders. Und wer war Ragnar dann? Der Investor? Der Firmenaufsichtsrat? Der Wirtschaftsberater? Eigentlich konnte er sich Ragnar nicht in so einer Position vorstellen, zumindest nicht rein optisch. Der in einem Anzug? Wie… schräg. Hatte er aber behauptet, so etwas einst getragen zu haben. Gewiss nicht in Kombination mit dieser Frisur. Der sah ein bisschen aus wie Störtebeker aus einem seiner Kinderbücher, fand Jason.
 

Aber nix war mit Blaumann für ihn! Eine Jeans… T-Shirt… gab ja auch verträglichere Marken in günstiger, oder? Oder zumindest irgendwie neutral und ohne krebserregende Containerpestizide!
 

Gab’s da nicht auch so Ketten? So wie Ikea?
 

Hirn, streng dich an – wo bekam der Rest der Menschheit noch mal Klamotten her? Hatten diese Läden überhaupt Namen? Bestimmt. Reklame… genau… da kannte er doch was… gab’s das auch in Kassel?
 

Mmm… Ragnar fragen…

Sonntagsruhe

IX. Sonntagsruhe
 

Sonntag… wundervolles Sommerwetter… die Möhren waren versorgt, und Ragnar hatte es sich im Garten hinter dem Haus bequem gemacht, das Zeichenbrett auf dem Verandatisch, und entwarf gemütlich Möhrenschnapslogos. Die Grundstücke waren hier nur durch einen völlig verrotteten Maschendrahtzaun voneinander getrennt, den zu erneuern sich Ragnar bisher nicht bemüßigt gefühlt hatte. Wozu auch, dahinter begann sowieso nur das Chaos. Aber auch hier zeigten sich erste Ergebnisse Jasons Wüterei. Das baufällige Plumpsklo war notdürftig geflickt und offensichtlich wieder in Betrieb – armer von Buch-Luxuspopo… die Pumpe entrostet, an einer Wäscheleine hingen Socken, die es gewiss nicht im Dreierpack zu kaufen gegeben hatte. Jason hatte die Fläche, die einst die Veranda seines Hauses gewesen sein musste, freigekämpft, und schickte sich anscheinend an, selbige auch zu nutzen. Nun gut, störte ja auch nicht weiter, solange er da blieb, und ihn jetzt nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit vollquasselte. Mal war das ja ganz witzig – aber ständig? Doch Jason kannte offensichtlich seine Grenzen, das war angenehm. Stattdessen stolzierte er versunken in einem Bademantel, der jeden Rapper neidisch gemacht hätte, auf das kleine Stücken halbwegs gebändigter Fläche, breitete ohne nach links und rechts zu gucken ein Handtuch aus, legte etwas ab, das wie ein Stapel aus irgendwelchen Magazinen gekrönt von einer Wasserflasche und Sonnenmilch aussah, und zog sich aus. Nackt wäre ja so eine Sache gewesen… auch nicht die am sehnlichsten erwartete, nicht was die Qualität sondern mögliche darauf folgende Unbedachtheiten anging – aber auf das hier war Ragnar überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Er hörte mehr als er es merkte, dass ihm der Stift aus der Hand fiel.
 

Jason hatte sich offensichtlich in seine Sonnenkluft geschmissen. Ragnar konnte das… Teil sogar identifizieren. Beim letzten Routinebesuch beim Zahnarzt hatte eine Zeitschrift mit einem Artikel über Männerbademode im Wartezimmer ausgelegen, den er recht interessiert studiert hatte. Unter „für Mutige“ war dieses Modell abgebildet gewesen. Was da eher hätte stehen sollen, wäre „für Leute, die sowieso nichts verschandeln kann, keinerlei Schamgefühl oder Selbstachtung besitzen, einen besonderen Hang für schrägen Humor haben und in jedem Fall dreihundert Euro für vier Quadratzentimeter Stoff mit Logo-Zeichen zu löhnen bereit sind“ gewesen. Irgendetwas, wenn nicht alles, schien auf Jason zuzutreffen.
 

Der trug allen Ernstes einen Tanga. Mit Leopardenmuster. In Himmelblau. Als sei das das Normalste der Welt. Ragnar bekam eine Gänsehaut, die er nicht wirklich ergründen konnte. War das der Schock? Welcher klar denkende Mensch trug denn sowas! Wollte der ihn in den Wahnsinn treiben? Nicht absichtlich… der schien ihn gar nicht bemerkt zu haben, saß er doch unter der Woche eigentlich nie hier. Und Jason pflegte immer freudig zu grüßen, wenn er seiner ansichtig wurde. Welche Form von Wahnsinn wäre das dann? Die Art, bei der das Stilempfinden um den Gnadenschuss bettelte? Hatte er sehr wohl, auch wenn das für Arbeitskluft kaum das Kriterium war – oder zumindest genug davon, um Leopardentangas zum Kotzen zu finden. Oder die Art von Wahnsinn, die sich einstellte, wenn ein extrem gut gebauter Typ fast nackt vor einem rumsprang, und kein Postbote in Reichweite war? Oh Scheiße… Jason tat ihm nicht mal den Gefallen, sich einfach lang hinzulegen und damit hinter den Büschen außer Sichtweite zu geraten, nein er zückte seine Sonnencreme und begann sich, leise irgendetwas summend, einzuschmieren. Offensichtlich hatte er panische Angst davor, sich den Arsch zu verbrennen.
 

Ruckartig schloss Ragnar die Augen. Scheiße… Was war mit ihm los? Okay, so etwas war er nicht gewohnt – wer war das schon, der nicht Hotelier auf Malle war? Und eigentlich war dieser alberne Schlüpfer nicht die Bohne sexy, genauso wenig wie ein Möchtegern-Ken. Leider stimmte das wohl nur in der Theorie. Teile seines Organismus, die nicht so sehr fürs Theoretische zu haben waren, sahen das irgendwie ganz anders. Das musste aufhören, ganz flott, das hier war nicht die gelegentliche Hotelnummer, sondern sein durchgeknallter Nachbar und Möhrenschnapspartner, Teil seines Alltags, da hatte das nichts zu suchen! Er mochte es, allein zu sein, und aus ein wenig Abstand ertrug man auch Jason oder mochte ihn vielleicht auch ein kleines Bisschen – aber mit dieser Ausgewogenheit wäre es ganz schnell vorbei, wenn er anfing, den da drüben chronisch gierig anzusabbern – oder gar an den wohlgepflegten Hintern zu grabschen. Oder an andere vielversprechende Stellen. Und der das eventuell gar nicht so übel fand… bloß nicht! Nicht im eigenen Nest! Als Hoteldate… gerne, wenn auch ziemlich ungewohnt. Aber so nicht! Hier war dann nichts mit wieder nach Hause und Ruhe… viel zu dicht dran. Was musste diese Mistkrücke so derart ungehemmt sein! Okay, der wusste nicht, dass er einen Zuschauer hatte, auch das andere Mal unter der Dusche nicht, aber das konnte sich rasch ändern. Und offensichtlich war Jason nicht besonders schamhaft. Oder war das nur, weil die Büchse teuer und „in“ gewesen war? Elender Konsumtrottel… Da hatte es doch gewiss Zivilisierteres gegeben, das auch den Kriterien entsprach! Das Ding musste Jason in der Tat irgendwie angesprochen haben… oh Graus… Warum nur, warum?
 

So lief das nicht. Jason musste dringend wieder etwas anziehen und wieder aussehen… wie Jason. Genau.
 

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Eine Sommerbrise auf der Haut… Augen zu und einfach die dazugehörige Yacht imaginieren… Kam er doch noch dazu, seine Neuerwerbung einzuweihen… Hier sah ihn auch niemand, der sich an dem Luxusfummel stören könnte – außer den Insekten, aber das war ja wohl ziemlich schnuppe. Ziemlich gewagt das Ding, aber dennoch hatte er nicht widerstehen können. War ja originell, total beworben und trendy – und wenn jemand das tragen konnte, dann ja wohl er! Wer lachte, war bloß neidisch… Und wer würde schon lachen bei seinem Anblick… richtig ernst gemeint wohl nur eine Lesbe, bei den anderen wäre unter dem Geläster immer auch der Neid oder die Gier… Und auch eine lachende Lesbe würde er überstehen, hatte die eben auch was davon… Außerdem wurde man schön braun so, ohne einen auf FFK machen zu müssen wie so ein Öko… Und die Krabbeltiere hatten nicht ganz problemlos Zutritt zu prekären Stellen…
 

Richtig bequem war es nicht hier auf dem Boden, aber es ging. Sonntagsruhe… Oder wie Ragnar gesagt hatte: Feierabend! Diese kleine Auszeit hatte er sich echt verdient nach der ganzen Schufterei. Wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben… fühlte sich zumindest so an. Tat irgendwie gut. Lektion kapiert, ja ja… dennoch scheiß-anstrengend… ohne würde er das Rumliegen auch tapfer ertragen können…
 

„Jason?“ kam eine inzwischen vertraute Stimme irgendwo von rechts.
 

Er blieb einfach liegen und antwortete mit einem langgezogenen: „Jaaa… Was’n los… Ich sonne mich… Feierabend… und so…“
 

„Was ist dann mit dem Traktor? Jetzt hätte ich Zeit?“ beharrte Ragnar aus der Ferne. Wo steckte der eigentlich? Rief der aus seinem Haus durch die Hintertür oder wie? Proll… Ansonsten wollte der doch auch immer alles vorher abmachen, war wohl nicht so der spontane Typ.
 

„Wenn’s sein muss…“, seufzte Jason. Traktor hatte Vorrang… leider. Hartes Schicksal. Blöder Möhren-Tyrann.
 

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Da hing er also, der Herr Nachbar, Möhrenkönig, Ökobauer, Geschäftspartner… mit den Füßen in der Luft, während er im Inneren des Traktors herum wühlte. Ein Hoch auf die Welt der technisch Versierten! Und lediglich das Fahrgestell des Traktors war sanierungsbedürftig, Ragnars definitiv nicht, stellte Jason mit einem freudigen Lächeln fest. Wenn ihn die Zeit hier bisher eines gelehrt hatte, dann war es, dass man besser nahm, was man kriegen konnte, ohne sich wegen dem, was man gerade nicht hatte, ins Hemd zu machen. Würde schon alles wieder… die Models oder heimlich schwulen Teenie-Stars wuchsen ja immer brav nach… Anfangs hatte er diesen völlig unmodischen Pferdeschwanz und die Arbeitsklamotten Ragnars ja als ziemlich abschreckend empfunden, aber jetzt, selber von der letzten Münze in H & M- Sommerschlussverkauf gekleidet, musste er mal ganz ruhig sein. Nein, der Herr Biobauer war schon ein steiler Zahn, körperliche Arbeit war anscheinend wirklich gut für die Figur. Und dieses scharf geschnittene Gesicht mit den geschwungenen Brauen und der geraden Nase… extragant, aber wirklich nicht zu verachten. Allerdings schlug sein Gaydar hier gar nicht an, welch Tragik… gucken konnte man aber doch? Ragnar gehörte auch wirklich nicht zu der Art von Typen, auf die er spezialisiert war. Schon allein der Umstand, dass er seinem nichtsahnenden Nachbarn und Geschäftspartner gerade lüstern auf den Arsch schielte, machte wohl deutlich, dass er es echt nötig hatte. Die ganze Plackerei der vergangenen Wochen hatten da weder Zeit noch sonderlich Energie übrig gelassen. Mehr als sich fix mit schmerzenden Pfoten einen runter zu holen war nicht drin gewesen, bevor er komatös eingeschlummert war. Ragnar würde wahrscheinlich der Schlag treffen, wenn er wüsste, dass er ihm gerade mental ziemlich an die Wäsche ging. Schmale Hüften… breites Kreuz… okay, älter als seine sonstigen Häppchen, aber auf eine andere Art ziemlich appetitlich… nicht so ein hochgestrampelter Bubi, der sich was von ihm erhofft, sei es ein Leben in Saus und Braus, Kontakte oder den nächsten Drink… ne, Ragnar war ein Kerl und wollte ihm rein gar nichts aus der Nase schleimen. Auch Anerkennung seines Stils und Aussehens sah anders aus… Stattdessen half der ihm, aber anscheinend auch aus einer kräftigen Tendenz zur Bastelleidenschaft heraus…? Vielleicht sollte er besser das Internet bemühen… irgendetwas zum Ficken gab es doch garantiert auch hier im Umkreis von hundert Meilen? Aber er hatte wenig Hoffnung, dass hier irgendwelche angetüdelten Models in Reichweite waren. Und selbst wenn… er brauchte niemanden, der ihn eventuell bloßstellen konnte… Auch hier hieß es wohl: kleine Brötchen backen und damit so zufrieden zu sein, wie‘s ging.
 

Ragnar tauchte wieder auf und grinste ihn zufrieden an. „Die Kiste ist zwar marode… aber echt selten, glaube ich, habe da etwas recherchiert… freu dich schon mal auf dein neues Klo!“ verkündete er.
 

Diese Botschaft war Jason gerade willkommener als jeder Fick der Welt.

Keine Post für Ragnar

Kapitel 8a. (Reihenfolge ist hier verrutscht, daher hier als Nachtrag, versuche ich zu richten, tut mir echt leid, wollte Euch nichts vorenthalten.)^^
 

X. Keine Post für Ragnar
 

Entspannt streckte Jason sich. Lief doch alles wunderbar. Nicht nur war der Traktor poliert und im Rahmen des Möglichen, was nicht besonders atemberaubend war zugegebenermaßen, auf Zack gebracht und bereits bei Ebay eingestellt – genauso wie seine Lederjacke… - sondern die Destille war da, es konnte los gehen. Erst mal in kleinen Dosen, aber um den Betrieb nach und nach zu erweitern war ja ordentlich Platz in der Scheune. Das Gerümpel hatte er auf dem Hof aufgetürmt neben den zu verschrottenden Uralt-Möbeln aus dem Wohnhaus, aber es ging – eventuell gab es für das ein oder andere doch noch einen Liebhaber, der auf solche „Antiquitäten“ stand. Dann fix die Mindestsicherheitsstandarts umgesetzt – für eine Brennerei wie seine, für die man aktuell noch eine Lupe brauchte, um sie erkennen zu können, war das recht überschaubar gewesen, aber doch aus Gründen vielfältiger Vorsicht nötig. Das Problem vom Sonntag hatte er auch gelöst bekommen – ab in den Internetshop der zehn Kilometer entfernt liegenden Klein“stadt“, ein bisschen gewühlt – und schwups, was gefunden. Niedliches Kerlchen… ein Postbote, na sowas… machte offensichtlich stramme Waden die Tätigkeit… die Telefonnummer hatte er, da sage mal noch einer, deutsche Beamte seien unnütz, faul und chronisch mieslaunig… in ihrer Freizeit jedenfalls nicht. Da konnte man durchaus drauf zurückkommen… im wahrsten Sinne des Wortes…
 

Ragnars Möhren standen startbereit in mehreren Kisten in der Ecke, los ging der Spaß…
 

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Was für eine Woche… Erst war der Postbote bereits verplant gewesen, als es auf ihn angekommen wäre, dann war das Alternativprogramm nicht nur ausschließlich im Dunklen erträglich, sondern auch total lahm gewesen. Besser als nichts, es ging ja nur um den schnellen Schuss… aber statt eines Stück Kuchens eine Scheibe trockenen Weizentoasts zu bekommen war schon irgendwie enttäuschend. Dann hatte Jason immer noch diese impertinent gute Laune – immerhin behielt er dabei die Klamotten an, der Vergleich zu seinem Toast wäre sonst noch deprimierender ausgefallen – und begann wie wild, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen und ackerte dabei wie er in seinen schlimmsten Zeiten. Doch dennoch wirkte er wie im Sommerurlaub – dem ging echt der richtige Ernst ab, diesem Prada-Kasper, daher verdaute der das so gut. Noch… hatte ja gerade erst angefangen. Jason erinnerte ihn irgendwie an die Grille aus der Fabel… die, die statt für die Zukunft zu sorgen, sich immer nur am Tag, der da war, erfreut hatte und dann ohne Vorräte dagestanden hatte, als der Winter gekommen war. Aber wie war das ausgegangen? Die mit den Vorräten hatten Erbarmen gehabt und sich dann ihrerseits über den sorglosen Spaßmacher gefreut. Er war aber keine Ameise oder so… und Jason auch keine Grille, der machte auf seine Art ernst, bloß erschien die Ragnar irgendwie gar nicht so…
 

Und jetzt ließ der Möhren vergären, um daraus Alkohol zu gewinnen… Himmel, wo war er da bloß rein geraten? War er gar nicht – Jason war seinerseits hier rein geraten, wo er seine friedvolle Existenz hatte. Und er selber hatte sich auf diesen sonnigen Chaoten eingelassen. Hoffentlich jagte der sich nicht noch in die Luft. Aber nein… Jason hatte ihm ja ausführlichst berichtet, das Technische wusste der schon… aber ob das wirklich so hin haute…? Aufhalten konnte er ihn wohl kaum, ohne ihn zu fesseln und zu knebeln, also… immer schön das Beste hoffen für das Gelingen von „Tannenberges Rübenfürst“… So ein beschissener Name… wo gab er sich da gerade für her… Und was war, wenn das noch klappte? War er dann für jedermann der Rübenfürst?! Ne, das war wohl eher Jason, auf dessen Mist war das ja gewachsen…
 

Er gab den Arbeitern Anweisungen, dann lief er hinüber zur Scheune des Nachbargehöfts, wo Jason damit beschäftigt war, Möhrenmansch für die Vergärung zu fabrizieren. Auf Jasons Gesicht stand ein begeistertes Lächeln, der freute sich wie ein Schneekönig über sein Möhrenmassaker.
 

„Na, Partner, alles klar?“ fragte er ihn.
 

Jason nickte und wies stolz auf sein Werk. Sah wirklich gar nicht mal so übel aus, aber Jason war wahrscheinlich mit dem gelegentlichen Anblick von Fertigungsanlagen aufgewachsen – naja, wie man’s nahm, zumindest in die Höhe – und hatte irgendwo halbseiden BWL studiert, wenn er seine Elegien richtig verstanden hatte. Diese Maßnahmen schienen allerdings nicht wirklich gegriffen zu haben… aber immerhin das Technische und Organisatorische schien Jason auf den ersten Blick hin im Griff zu haben. Der Vertrag über die Möhrenlieferungen und Gewinnbeteiligung, den er Ragnar vorgesetzt hatte, war jedenfalls einwandfrei gewesen, das hatte er prüfen lassen, wenn auch eher aus Neugierde. Er sah sich beim Anblick von Jasons Scheunendestille jedenfalls noch nicht als künftiger Möhrenschnapsmilliardär, da war er wohl etwas pessimistischer als Jason. Aber diese Art von Pessimismus nannte man wohl eher Realismus…
 

„Ja, alles super!“ schwärmte Jason. „Die Expansion ist nur eine Frage der Zeit!“
 

„Sicher… was kommt als nächstes… Möhrenwein? Möhrlot sozusagen?“ konnte sich Ragnar nicht ganz verkneifen zu sagen.
 

„Ja!“ nickte Jason. „Und dann… Champagner: Möhret Chardon! Oder Möhrsecco!“ griff er den Gedanken auf.
 

„Du verscheißerst mich doch schon wieder“, musste Ragnar feststellen. Irgendwie fiel er immer wieder auf Jason rein… so unbedarft, wie er meist erschien, war er keineswegs… Oder sah er selbst ihn nur durch die Brille der eigenen Klischees? Wenn er ehrlich war, musste er wohl zugeben, dass er einen Typen wie Jason schlichtweg noch nie von Näherem kennengelernt hatte… und die waren wahrscheinlich sowieso eher auf die Außensicht hin konstruiert…? Aber da war doch noch mehr… Jason war kein Abziehbildchen, sondern ein Mensch… auch wenn er etwas hohl wirken mochte… war er das wirklich? Tat er nur so? Schwer zu sagen. Vielleicht gar beides? Hatte seinen Lebensstil angenommen und hatte dabei Teile von sich verkümmern lassen? Eventuell… warum hätten seine Eltern ihn sonst hierher schicken sollen… und warum schlug er sich sonst so wacker…? Aber wenn… was war dann noch dran an Jason von Buch – außer gelegentlich zu wenig Textilien?
 

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Da staunte Ragnar nicht schlecht… Jason klopfte sich selbst innerlich auf die Schulter. Hätte der wohl nicht gedacht. Er konnte schon… wenn er wollte anscheinend. Echt eine ziemlich neue Erfahrung, aber eine gute. Und er wollte das hier hinbekommen. Nicht nur die Aufgabe seiner Eltern… sondern auch die Sache mit dem Möhrenschnaps. Etwas… machen, entstehen lassen, er… So musste sich dereinst sein geschäftstüchtiger Opa gefühlt haben und dessen Gene steckten auch in ihm. Der hatte auch hier weg gewollt – eine weitere Gemeinsamkeit…
 

Okay, bisher war noch nichts da außer der Anlage, einem Haufen zur Gärung angesetzter Manschmöhren und einem Logo. Ragnar hatte eine extrem cool aussehende Comicmöhre mit Pfeife und Mistgabel bewaffnet gezeichnet, die Schrift in pseudo-altertümlich gesetzt, ausgezeichnet… der war echt nicht übel… Zwar so ganz anders als sein übliches Umfeld – aber schon mehr als erträglich. Irgendwie diffus interessant. Wie kam man auf den Trichter, hier freiwillig hin zu ziehen und sich dann auch noch der Möhrenzieherei zu widmen? Und dann dieses Haus mit seinem irren Design? Burn out? Kannte er nur aus den Medien… Das ging wahrscheinlich wirklich über seinen Horizont. Meist wirkte Ragnar eher zurückhaltend – bis irgendwelche trockenen Fiesheiten aus ihm heraus purzelten. Das war… fordernd, aber auch unterhaltsam irgendwie. Das war nicht die Art der Konversation, die er sonst getrieben hatte… Und er machte hier mit, irgendwie neugierig musste er wohl schon sein, denn das war nicht die Gier eines Allesabgrabschers, die kannte er nur zu gut. Bauer… und Ingenieur… ländlicher Look… und Innendesign… Pferdeschwanz… und… lecker unter diesem Gammellook… Irgendwie ganz schön anders auf jeden Fall. Und er grub ihn nicht an – auch nicht gerade gewöhnlich, aber vielleicht stand der doch eher auf Frauen, Schafe oder Mohrrüben… sollte ja vorkommen. Schade eigentlich. Aber es gab ja noch die Bundespost…
 

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Jasons Möhrenmaische war nach seiner Ansicht, der Ragnar durchaus zustimmen musste, ein voller Erfolg gewesen. Inzwischen stank es im ganzen Areal ziemlich danach, während Jason fleißig mit der eigentlichen Destillation begann. Eigentlich hätte er sich währenddessen einfach dem üblichen Tagesgeschehen widmen können, aber immer wieder trieb es Ragnar in die Scheune, um den Stand der Dinge in Augenschein zu nehmen. Jason hatte gewisse Ähnlichkeiten mit einem verrückten Wissenschaftler aus einem mit Schönlingen besetzten Hollywood-Film, während er wüst vor sich hin hantierte. Davon ging es zwar auch nicht schneller, aber Jason konnte es anscheinend dennoch nicht lassen, ständig zu kontrollieren, zu regulieren oder irgendwas zu polieren – und zwar nicht sich selbst. Der hatte anscheinend so etwas wie das erste runners high und rotierte wie ein Eichhörnchen auf Speed. Aber ein bisschen hatte es ihn auch gepackt, dass er sich dieses wirre Szenario ständig reinziehen musste. Irgendwie war Jason da ein wenig ansteckend…
 

Und in seinen neuen Normalo-Klamotten sah er nach Ragnars Empfinden auch deutlich erträglicher aus. Nicht bloß erträglich… Warum war dieser dämliche Postbote neuerdings ständig verplant? Er hatte keinen Bock auf Toast…

Out of Lackaffenhausen

XI. Out of Lackaffenhausen
 

Mit einer theatralisch anmutenden Geste stellte Jason feierlich die Flasche vor ihm auf dem Wohnzimmertisch ab.
 

„Das ist sie: die allererste Flasche „Tannenbergers Rübenfürst“!“ verkündete Jason voll Andacht. Die Flasche stammte aus dem Altglas, das Etikett war mit dem Heimrechner gedruckt und mit Alleskleber angepappt, das würde alles noch etwas professioneller zu lösen sein, aber garantiert hatte Jason da schon Pläne…
 

Ragnar nickte anerkennend und applaudierte brav. Dieses „Meeting“ war ziemlich spontan zustande gekommen. Es war Samstagabend, eigentlich hatte sich Ragnar bereits seinen Feierabendbierchen und seinen neu erworbenen „Muppet Show“-DVDs gewidmet, aber der Rübenfürst hatte kein Erbarmen gekannt und war mit dem gerade vollendeten Meisterwerk bei ihm einmarschiert. Bisher tagte ihre Geschäftsrunde regelmäßig bei Ragnar, Jasons Daheim mangelte es nach dessen Auskunft für dergleichen leider nach wie vor an Basisausstattung wie Sitzmöbeln, Tischen und kaltem Bier aus einem Kühlschrank… Das glaubte Ragnar ihm auch unbesehen, die heiligen Hallen der Bruchbude von Buch hatte er bisher noch nicht von innen gesehen, dazu hatte ja auch kein Anlass bestanden. Soweit er es hatte verfolgen können, verfügte Jason lediglich über eine Basisausstattung an Ikea-Möbeln und Second Hand-Kram via Ebay. Ragnar konnte sich lebhaft vorstellen, dass das in Jasons ursprünglichem Daheim wohl recht anders aussah. Einstmals hatte er für Typen wie ihn Extravaganzen mit entworfen, mit denen die sich gegenseitig auszustechen gesucht hatten, ohne sie wirklich begreifen und würdigen zu können… Hauptsache teuer und von den Kritikern gelobt. Na ja, eventuell würde das Jason nach seiner Exkursion ins Landleben ein wenig anders sehen. Aber eigentlich verhieß seine Anwesenheit hier jetzt auch Interessantes nach Arbeitsschluss...
 

„Na, dann wollen wir mal. Wo hast du Gläser?“ fragte Jason und sah sich suchend um.
 

„Du… willst das jetzt… echt trinken?“ fragte Ragnar vorsichtig und sah ihn schon erblinden.
 

„Nicht nur ich – du auch!“ stellte Jason klar, lächelte ihn gnadenlos platt und begann ungefragt in seinen Küchenschränken zu wühlen, bis er fündig wurde. „Und keine Angst… das Zeug ist völlig okay! Nur in dem Rahmen ungesund, wie das ein zünftiger Schnaps eben ist. Hat fünfundvierzig Prozent, vielleicht ein bisschen mehr, also Vorsicht! Oder bist du spontan unter die Abstinenzler gegangen – in dem Fall schreddere ich dir gerne ein wenig Biomöhrensaft. Obwohl das wahrscheinlich wirklich pervers wäre…“
 

Ragnar seufzte. „Okay… gib her. Sind wir eben unsere eigenen Versuchskarnickel, ehe wir den Kram auf irgendwen loslassen und deshalb noch in den Knast wandern. Oh weh…“, konnte er es sich nicht ganz verkneifen. So absolut geheuer war es ihm nicht, was dieser unter die Schnapsbrenner gegangene Luftikus da fabriziert hatte… aber mitgegangen, mitgehangen… und Jason hatte die Sache durchaus richtig angepackt… Er würde es überleben, unbeschadet… ganz bestimmt!
 

„Das muss noch offiziell durch die Prüfung und zugelassen werden, klar – aber ich bürge für die Qualität mit meinem… äh deinem… guten Namen!“ beteuerte Jason und goss großzügig ein. Er reichte Ragnar sein Glas, dann prostete er ihm zu und sagte: „Auf die Geburt einer legendären Marke! Prost, Partner!“
 

„Prost“, konnte Ragnar nur erwidern, riss sich zusammen und kippte die Eigenfabrikation in sich. Die brannte nicht schlecht – aber ein Zucken stellte sich nicht ein. Dass sie einen sonderlichen Eigengeschmack gehabt hätte, konnte man nun nicht behaupten – aber Wodka schmeckte schließlich auch nicht nach Kartoffeln. Und es sollte ja niemand den Kram kaufen, weil er Sehnsucht nach dem Geschmack einer knackigen Möhre verspürte…
 

„Hola!“ kommentierte Jason und knallte sein Glas auf den Tisch, „der hat’s in sich!“ Ohne abzuwarten füllte er ihnen einfach nach. „Das Leben ist schon gut!“ behauptete er.
 

„Du bist echt… unglaublich“, konnte Ragnar darauf nur erwidern.
 

„Wieso das denn?“ wunderte sich Jason. „Ob das auch mit Sekt und Aperol schmeckt…?“ grübelte er weiter und schien innerlich bereits diverse Möhrenschnaps-Trend-Cocktails zu kreieren.
 

„Man müsste doch meinen, dass du hier von einem Heulkrampf, Nervenzusammenbruch, Weltzweifel in den nächsten poltern müsstest – aber nada! Stattdessen machst du… sowas! Und lobst auch noch das Leben!“ meinte Ragnar, dessen Verständnisrahmen das in der Tat sprengte, und spätestens der zweite Schnaps auf die vorangegangenen Biere drohte die neugierige Zunge etwas zu lösen.
 

Jason legte leicht nachdenklich den Kopf zur Seite und schleckte sich selbstzufrieden den Rest des Schnapses von der Oberlippe. Wenn er nicht gerade grinste, stand diese ganz leicht vor, dass es ihm einen ekelhaft sexy Schmollmund a la Jonathan Rhys Meyers verpasst – das Leben war anscheinend eher ungerecht. „Was bringt es zu heulen? Da versaue ich höchstens alles… Aber ehrlich gesagt, hätte ich es mir hier echt schlimmer vorgestellt. Okay… das Haus, die Felder… das ist schon alles total im Arsch, aber… Ich meine… mit jedem Handschlag, den ich hier tue, wird ein bisschen mehr daraus. Und ich werde es schaffen! Weiß nicht, wieso ich das glaube… aber so ist es! Auch wenn ich dafür in eine Grube kacken muss, meine Klamotten verkaufen und mir die Finger blutig wursteln… ich kann das! Wenn ich muss, dann muss ich eben, und dann mach ich das auch… Okay, ich musste bisher nie… aber… geht schon. Und siehe: erst war hier gar nichts, und jetzt ist hier Schnaps!“
 

„Du bist echt nicht gerade der depressive Typ“, musste Ragnar ihm zugestehen. Sein Glas war schon wieder voll? Na gut, einer noch…
 

„Nö, wohl nicht“, gestand Jason. „Mir ging’s bisher immer prima. Ich kenne Leute, die dennoch die Krise bekommen haben, obwohl sie doch alles hatten. Kapiere ich ehrlich gesagt nicht ganz… Finde ich irgendwie… undankbar.“
 

„Na ja – eventuell ist ihnen aufgegangen, dass es mehr im Leben geben muss als ein Luxus-Lotterleben…?“ wies ihn Ragnar dezent hin.
 

Jason zuckte mit den Schultern. „Nur weil man Kohle hat, ist man ja nicht dazu gezwungen, so zu leben oder? Man kann auch bescheiden wohnen, dreihundert Semester Philosophie studieren, und es nicht an die große Glocke hängen, da gibt es auch nicht wenige von, von denen hört und sieht man nur selten etwas. Nee… sich dazu zu entscheiden und dann rum zu jammern… das finde ich… ach nee.“
 

„Du hast das also aus Überzeugung gemacht?“ bohrte Ragnar, obwohl er sich die Sache so ganz konkret eigentlich nicht vorstellen konnte. So ein Yacht-Luxushotel-Party-Leben oder wie?
 

„Jein… hat sich angeboten… und ich habe wohl gut reingepasst. Hat ja sonst auch keiner etwas anderes von mir verlangt… nicht wirklich jedenfalls… Und jetzt bin ich eben hier… und es muss halt gehen… obwohl die bloß diesen Traktor kaufen sollen, ich will endlich ein zivilisiertes Scheißhaus – als Landbewohner darf man das doch so sagen? - und fließend Wasser! Davon träume ich inzwischen sogar manchmal nachts! Was ist eigentlich mit dir? Du hast doch anscheinend auch den Koller bekommen bei dem, was du früher gemacht hast?“ wollte er wissen und streckte sich wohlig aus.
 

„Mmm“, murmelte Ragnar. „Eigentlich habe ich es gerne gemacht… war der totale Work-o-holic… aber ich habe es total übertrieben, bis es gar nichts anderes mehr gab außer der Arbeit und meinen Eltern… und dann sind die gestorben… und ich bin zusammen geklappt.“
 

„Scheiße, das tut mir leid“, bedauerte ihn Jason aufrichtig und kippte noch einen. „Vor sowas ist man nie sicher… Und dann… wolltest du plötzlich Möhrenbauer werden oder was? Wie kommt man denn da drauf?!“
 

„Äh… so direkt nicht!“ korrigierte ihn Ragnar und nahm sich auch nach. Was sollte es… wo sie schon dabei waren… Morgen war ja Sonntag und er nicht dreizehn… „Ich musste nur raus und irgendwie… was ganz anderes machen. Ich habe mich einfach umgesehen und bin dann über den Hof hier gestolpert, den es ob seines rotten Zustandes gerade ziemlich günstig gab. Und dann… hat sich so ergeben… habe eben nach den Lücken gesucht, und Bio-Möhren waren da eine gute Wahl, die wachsen hier auch bestens. Am Anfang habe ich das Meiste allein gemacht so wie du jetzt, die körperliche Arbeit hat gut getan… und dann ist die Sache irgendwie so gewachsen… Aber ich muss aufpassen, es nicht wieder zu übertreiben, doch die Tätigkeit hier, unabhängig zu sein – das ist auch immer mit ein Ausgleich.“
 

„Aha“, überlegte Jason. „Ja, ist irgendwie nicht schlecht, was zu machen. Inzwischen geht es auch… die Schmerzen werden weniger… ich glaube, ich kriege doch keinen Buckel…“
 

Ragnar fühlte ein Prusten in sich aufsteigen. Ein buckeliger Jason von Buch… oh weia…
 

„Hey… so witzig ist das auch nicht!“ protestierte Jason, aber er grinste auch etwas schnapsselig.
 

„Wie du schon sagtest: Man muss halt mit dem klar kommen, was man hat… das gilt wohl auch für den Humor“, schnaufte Ragnar.
 

„Für den wohl auch…“, nickte Jason ernst.
 

„Für so ein schnapsbrennendes, daueroptimistisches Schnösel-Söhnchen auf Abwegen bist du ganz okay“, gestand Ragnar ihm zu.
 

„Du auch – für einen Aussteiger-Ingenieur auf dem Möhren-, aber nicht auf dem Modetrip…“, erwiderte Jason das Kompliment.
 

„Pffft… leg dich doch gehackt mit deinen Fummeln…“, empfahl Ragnar leutselig.
 

„Pfft… leg du dich doch gehackt mit deinem Pferdeschwänzchen“, lächelte Jason voll überzeugender Herzlichkeit.
 

„Unterschätze nicht den Pferdeschwanz!“ rüffelte ihn Ragnar gut gelaunt. Der Schnaps hatte die Stimmung definitiv gelockert.
 

Jasons Grinsen bekam plötzlich einen ganz anderen Unterton: „Würde ich nie tun… Pferdeschwänze zu unterschätzen…“
 

„Äh, was?“ kam Ragnar wieder etwas zu sich.
 

„Karl Lagerfeld trägt schließlich auch einen!“ nickte Jason ganz ernsthaft.
 

Ach so… Ragnar hatte fast geglaubt, dass Jasons laut geäußerte Assoziationen irgendwie nicht ganz so harmloser Qualität gewesen waren… lag wahrscheinlich daran, dass seine eigenen das zuweilen wohl auch nicht waren.
 

„Siehst du! Wer ist hier trendy…?!“ ärgerte ihn Ragnar ein bisschen.
 

„Du… in der hessischen Provinz. Ich… überall sonst“, informiere ihn Jason kichernd und widmete sich seinem fünften Schnaps. Ragnar zog nach. Irgendwie war es gemütlich hier… mal eine andere Form von Entspannung als die DVDs und die Zeichnungen… einfach nur rumhängen, labern… und saufen. Das war ewig her, dass er so etwas getan hatte, vor dem Abi in seiner spätpubertären Phase, bevor er kapiert hatte, dass von nichts nichts kam. Aber Jason war da das wandelnde Gegenbeispiel… vielleicht wirkte er deshalb so entspannend? Oder war das der Suff? Nee… er pichelte ja nicht zum ersten Mal einen über den Durst, das war schon irgendwie Jason.
 

„In Lackaffenhausen vielleicht…“, gestand er ihm zu.
 

„Genau! Aber um Lackaffenhausen dreht sich nun mal die Welt… zumindest die jener, die Zeit und Möglichkeit haben, sich in Zeitschriften oder Fernsehen damit zu beschäftigen. Schau dir doch nur das gängige Unterhaltungsprogramm der westlichen Welt an… Wo wollen die Leute leben, was wollen sie sein? Die Protagonisten eines in Cannes mit Preisen überhäuften skandinavischen Kunstfilms über die mannigfaltigen Möglichkeiten von Depressionskrankheiten in Verbund mit verschwiegenen Familiendramen – selten so gut geschlafen übrigens…? Eher nicht. Es mag viele geben, die zetern und kritteln und das Haar in der Suppe suchen und blabla… aber Fakt ist: In Lackaffenhausen ist es definitiv schöner als in Pleiteunddepressivkaff. Kann sein, dass das nicht gerade die intellektuellste Form des Daseins ist, aber da scheiße ich drauf!“ dozierte Jason gestikulierend.
 

„Nu bistu aber nichmehr in Lackaffenhausen“, wagte Ragnar mit schwerer werdender Stimme anzumerken.
 

„Da will ich aber wieder hin! Und werde ich auch. Und derweil bin ich eben der hiesige Landlackaffe. Gib’s zu – so ganz öde findest du das auch nicht“, durschaute ihn Jason.
 

„Öh… stimmt schon… aber schon nbisschen skurril…“, gab Ragnar zu bedenken.
 

„Ach, von meiner Warte aus betrachtet bist du das auch, das können wir wohl beide durchaus ab“, beschloss Jason, kurz davor endgültig in Herumlümmelhaltung zu versinken.
 

„Aber… ich weiß nich… gibt doch noch mehr als Lackaffenhausen und Pleiteunddrepressivkaff… oder…?“ grübelte Ragnar.
 

„Wasn?“ fragte Jason jetzt auch zunehmend angeheitert.
 

„Weiß nich… das hier… irgendwas… weißichauchnich…“, murmelte Ragnar und musste sich eingestehen, jetzt endgültig besoffen zu sein. Gut, dass er einfach nur auf die Seite kippen musste.

Selbstversuchung

XII. Selbstversuchung
 

Jason kam nicht umhin, ziemlich lull und lall in sich hinein zu giggeln. Himmel… so platt war er schon ewig nicht gewesen. Dank seines Party-Lebens war er nicht ganz ungeübt, aber auch da musste man aufpassen, es nicht total zu übertreiben und dann peinlich aufzufallen. Ein gewisses Grundtraining war da nicht ohne Nutzen, aber in den letzten Wochen war er etwas aus der Übung geraten. So schlimm wie Ragnar hatte es ihn dennoch nicht erwischt, der lag jetzt nämlich ziemlich längsseits über die Lehnen seines Sessels gestreckt und schnarchte wohlig. Bequem konnte das nicht sein.
 

Im Schlaf schien die Anspannung aus Ragnars Zügen gewichen zu sein, die da irgendwie immer latent zu lauern schien, jetzt sah er einfach nur aus wie ein friedlich pofender Pirat nach einem Grog zu viel. Hatte echt was, der Gute – und dann vermoderte der hier… welch Verlust für die Menschheit. Aber auch vorher schien der nicht viel Ahnung davon gehabt zu haben, wie man Spaß hat. Immer nur arbeiten… das konnte ja nicht gut gehen, dazu musste man nun gewiss kein Professor der Psychologie sein, um das zu ahnen. Auch seine Großeltern hatten es drauf gehabt, das mit Fleiß, Geschick und Willen eingenommene Geld auch für die angenehmen Seiten des Lebens wieder auszugeben, allerdings nicht so ganz in dem Maße wie er… als Belohnung, nicht als Dauerzustand wohl? Na ja, jetzt ackerte er ja auch, da konnte er sich auch belohnen – mit dem Ergebnis seiner Mühen: der ersten Flasche Tannenberges Rübenfürst und einem Besäufnis der Führungsebene des Unternehmens…
 

Ragnars Hemd war etwas hochgerutscht und bot einen netten Ausblick auf seinen Bauchnabel nebst Umgebung… lecker… um das zu würdigen musste er nicht total voll sein, das sah auch eine Hete auf Cola… Wie tief bedauerlich, dass Ragnar ihn anscheinend so gar nicht zu schätzen schien… musste also wieder dieser niedliche Postbote herhalten. Der war offensichtlich ganz hin und weg von ihm – wer wäre das nicht, er sah schließlich nicht bloß hammergeil aus, sondern wusste auch, wie man sich zwischen den Laken richtig gut amüsierte. Aber lieber nicht übertreiben, sonst wollte der noch „mehr“ – oh Graus! Und er wollte definitiv keinen auf Liebesglück mit einem hessischen Provinzbeamten machen. Auch nicht mit einem umjubelten Popsternchen. Spaß – immer gern – aber sowas… wozu in drei Teufels Namen? Er war schwul, er war reich – oder würde es wieder sein – warum zum Geier sollte er sich aus irgendwelchen spießigen Gründen selber knebeln? Er hatte dergleichen ja des häufigeren mit verfolgen dürfen, und es war immer aufs Selbe hinaus gelaufen: auf gar nichts – außer Zank und Streit und Heulerei. Okay, bei seinen Eltern und Großeltern nicht, aber bei denen war es ja auch nicht bloß um Spaß gegangen rund um die Uhr. Das war echt was anderes – und nicht das, was er war. Vielleicht wenn er alt und trottelig wurde… aber derweil… gab es den Käfer von der Post und Ragnars unfreiwilligen Bauchstrip, eventuell auch noch den ein oder anderen knackigen Provinzler, das würde sich zeigen.
 

Wie auch immer… das Meeting war wohl beendet…
 

„Ragnar!“ rief er. Soweit konnte er noch denken, dass es eventuell recht förderlich für das Wohlbefinden seines Nachbarn sein könnte, wenn er nicht die ganze Nacht so verrenkt pennte. Der rührte sich kein Stück. Etwas wankend kam Jason auf die Füße. „Ragnar! Hey, Mister Möhrenkönig – aufgewacht! Und dann ab ins Bauern-Bettchen…“
 

Ragnar murmelte unwirsch irgendetwas und schien nach einem nicht existenten Kissen zu greifen. Jason eierte etwas näher und erwischte mit größtmöglicher Konzentration Ragnars Schulter, um ein wenig unkoordiniert daran zu ruckeln.
 

„Aufwachen! Raaagnaaar! Augen auf!“ forderte er.
 

Ragnar zuckte zusammen, ruderte etwas mit den Armen, dann landete eine Hand auf Jasons Hintern. Sonderlich schocken tat ihn das nun nicht, außerdem war es im Augenblick ganz gewiss kein besonders zielgerichteter Griff gewesen. Ragnar öffnete zwinkernd die Augen, während seine Hand anscheinend herauszufinden suchte, worauf sie da gelandet war, wenn schon nicht auf seinem Kuschelkissen. „Wasn…?“ brabbelte er.
 

„Meine linke Arschbacke – darf ich vorstellen? Arschbacke: das ist Ragnar – Ragnar: das ist Jason von Buchs Hinterteil!“ machte er die beiden offiziell bekannt, von seinem eigenen besoffenen Kichern geschüttelt.
 

„Hups!“ entfuhr Ragnar, der ihn abrupt wieder losließ. „Tschuldigung…“
 

„Kein Ding – mein Arsch ist keiner von der schüchternen Fraktion, der verkraftet auch den völlig breiten Tatscher eines Rübenbauern… Und jetzt hoch mit dir, sonst bist morgen du das mit dem Buckel. Schaffst du es allein hoch ins Bett? Nicht dass ich da gerade eine Hilfe wäre…“, fragte Jason und hielt sich sicherheitshalber an einem der die oberen Etagen haltenden Pfeiler fest.
 

Wankend kam Ragnar wieder auf die Füße. „Geht schon…“, murmelte er. „Oh Mann… das Zeug hat’s echt in sich…“
 

„Du sagst es… Dann hau dich mal aufs Ohr… Und immer dran denken: dieser Abend markiert eine Wende auf dem Schpi… Spirituosenmarkt!“ empfahl Jason, winkte und schlingerte gen Haustür.
 

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Oh Gott!!! Aua!!! Wasser…
 

Stöhnend raffte Ragnar sich hoch. Es war kurz vor elf Uhr am Sonntag, so lange hatte er ewig nicht mehr gepennt. Na gut, er war zur gewohnten Zeit aufgewacht, und hatte dann lieber die Bettdecke wieder über sich gezerrt. Sehr vernünftiger Entschluss, aber… unzureichend. Oh weh! Die Weltpremiere von Tannenbergers Rübenfürst – nie wieder dieses Zeug! Das war ja schlimmer als Tequila! Er war echt keine harten Sachen mehr gewohnt…
 

Ächzend ging er die Treppe hinunter Richtung Bad und hielt den Kopf unter den Wasserhahn, was etwas Klarheit brachte. Sie hatten gesoffen… und geredet. Oh weh… Kloschüssel…!!! Was hatte er gestern gegessen? Fischfilet… dumme Idee… halbverdaut roch das nicht besser…
 

Er schloss die Augen und versuchte den Abend zusammen zu puzzeln. Jason… zumindest aufrecht unter seiner gelackten Fassade, kein Jammerknochen… sie hatten geredet… und dann… hatte er ihm auf den Arsch getatscht?! Okay, das war nun wirklich keine Absicht gewesen, nicht mal unterschwellig! Nicht im Entferntesten! Wirklich nicht! Aber Jasons Kehrseite… über diesen langen trainierten Beinen… Wie groß mochte Jason sein? Ein fünfundachtzig? Er selber war ganz knapp über eins achtzig, aber Jason war ein klein bisschen größer als er, wenn er auch einen Tick schmaler, aber auch nicht viel. Kräftemäßig dürften sie sich wenig nehmen. Dennoch waren sie in vielen Dingen unterschiedlich. Jason war ein verwöhntes Söhnchen, wenn auch durchaus flexibler und tatkräftiger als gedacht – er ein Arbeiterkind, das den Aufstieg geschafft hatte – und einen hohen Preis gezahlt hatte. Okay… er war inzwischen weit entfernt davon, arm zu sein, aber in den meisten Dingen war er bescheiden und viel Arbeit steckte dahinter, Labels waren ihm piepsegal, sein Luxus war eher seinem Erfindungsdrang geschuldet. Aber dennoch… irgendwie kamen sie miteinander klar. Er mochte ihn seltsamer Weise, gerade weil er so großspurig und naiv, so energiegeladen und abgebrüht, so geradeaus und hintenherum zugleich war… irgendwie in sich gegensätzlich, dennoch passend. Jason war mehr als sein Klischee, gerade da er so entschlossen dahinter stand…
 

Oh Gott… hatte er ihm tatsächlich auf den Hintern gegrabscht? Oder war das nur Einbildung? Nein… Das war echt ein Versehen gewesen… und Jason hatte es völlig cool weggesteckt, aber entweder war er von Grund aus lässig, auch total hinüber gewesen – oder eben auch schwul. War er das? In Zeiten der Metrosexualität war das nicht gerade leicht zu entscheiden. Jason polierte sich gern auf, aber steckte Notfalls auch Massenware weg – aber das war nun wirklich kein Kriterium. Auch Christiano Ronaldo war diese String-Badehose zuzutrauen – das war also auch kein Argument. Mann… was für ein hinreißend schöner Arsch! Nicht zu groß, nicht zu klein, ebenmäßig, wohlgerundet, oberknackig… Er war nun gewiss kein reiner Arsch-Fetischist, obwohl er die Position des Top zumeist bevorzugte, aber Jasons Kehrseite in Kombination mit den Formen seines auch ansonsten zwar polierten, aber arg männlichen Körpers… das hatte sich eingebrannt. Oh Mist…
 

Jason war niemand Anonymes! Aber sobald die Übelkeit sich gelegt haben würde, wäre es leider wieder glasklar: Jason von Buch war heiß. Das hatte keinesfalls sein klar denkender Verstand beschlossen, sondern… der Rest. Er hätte nie im Leben gedacht, dass er je auf… sowas anspringen würde. Pradahose und Stingtanga… bah! Aber es war eher das, was darin steckte… diese Grashüpfer-Energie… lustig und entspannt… aber dennoch zielstrebig und findig… weltfremd und klarsehend… völlig irre…
 

Aber das durfte nicht sein! Nicht so nah an ihm dran. Auch jetzt trennten sie nicht mal fünfzig Meter von Bett zu Bett. Sex war Sex… das hatte den Rest nicht zu tangieren! Eine strenge Abgrenzung war da vonnöten… das vermischte man nicht. So etwas war absolut tödlich!
 

Was zum Geier war mit ihm los? War es, weil er, was diese Sachen anging, bisher auch eher pragmatisch vorgegangen war? Wenn‘s sein musste, dann musste es eben sein… und fertig, zurück zur Arbeit, zurück ins normale Leben. Kein Grund, da ein Wahnsinns-Tam Tam drum zu machen. Aber Jasons Hauptlebensinhalt schien leider bisher unter anderem daraus bestanden zu haben, gut auszusehen - und das gebührend zu genießen. Das war nicht einfach nur vom Himmel gefallen, dahinter steckte Aufwand und Willen. So etwas hatte er noch nie so direkt und ständig vor der Nase gehabt. Keine Chance, dem ernsthaft auszuweichen. Aus Entfernung – okay – aber dahin hatte es ihn nie gezogen. Viel zu kapriziös, eitel und… Na ja, das war Jason auch. Aber nicht nur. Am Anfang hatte er ihn ja genau durch diese Brille gesehen, doch das hatte er nach und nach etwas revidieren müssen… und was heraus gekommen war, war leider der Gedanke, dass ein der Logik wenig zugängliche Teil seiner Selbst Jason von Buch nicht nur begann irgendwie zu mögen, sondern ihn genauso scharf zu finden wie der sich vermutlich auch selbst.
 

Oh weh… er fühlte sich wie der Esel, dem die sprichwörtliche Möhre vorgehalten wurde, die der jedoch nie erreichen durfte, damit der Laden lief. Und letzteres hatte Priorität. Noch so viele Monate… Was würde überhaupt passieren, wenn Jason scheiterte? Würde er dann auf immer und ewig hier bleiben müssen?! Oh Gott! Wenn er selber so langlebig sein sollte wie seine Großeltern und ihn nicht vorher irgendetwas erwischte, hieße das schlimmstenfalls gut sechzig Jahre: living next door to Jason! Nein… da ging seine Fantasie nur mit ihm durch… ganz ruhig… Wasser und eine Kopfschmertablette besorgen und zurück ins Bett. Seine Hormone tanzten ja nicht immer Tango, er würde schon abhärten und sich wieder einkriegen. Aber Jasons Hintern in seiner Hand…
 

Verdammter Mist.

Katerstimmung

XIII. Katerstimmung
 

Er hatte sich wahrlich schon einmal fitter gefühlt – aber auch schon deutlich schlechter. Der Rübenfürst knallte wie nichts Gutes – aber in diesem Falle war das etwas Gutes. Jason gähnte ausgiebig, linste auf seine Armbanduhr, die auf der zum Nachttisch umfunktionierten Möhrenkiste lag, genehmigte sich einen tiefen Schluck aus der dort strategisch aufgestellten Wasserflasche und drehte sich auf die andere Seite. Nach dem Erfolg von gestern konnte er es sich heute erlauben, einem Sonntag gemäß schön auszuschlafen, bis sich auch das letzte Ziehen aus seiner Birne verzogen hätte. Früher… also vor den paar erbärmlichen Wochen, die er jetzt hier bereits herum hing… war das der Normalzustand gewesen. Das Leben begann frühesten Mittags und ging bis tief in die Nacht. Das Wort „Frühstück“ hatte in seinem Vokabular nicht existiert. Jetzt war es fast wie einst… mit dem Unterschied, dass er einsam und allein in seinem klapperigen Bettchen unter billiger Bettwäsche lag. Sein „Zuhause“ bestand nach wie vor nur aus dem Erdgeschoss. Er hatte sich mal erkundigt, was eine Dachreparatur so kostete, das war unerfreulich gewesen. Selbst die Rohstoffe… aber irgendwann würde er sich noch darum kümmern müssen, bevor es draußen richtig ungemütlich wurde. Derweil mussten ein paar Eimer unter den schlimmsten Löchern reichen. Sein Bett stand im „Wohnzimmer“, das jetzt zwar sauber war, aber bestenfalls spärlich möbliert. Es war… rustikal, und er hatte es selber gemacht – na ja, kein Wunder, dass er nie Ambitionen verspürt hatte, Innenarchitekt zu werden.
 

Er kuschelte sich tiefer ins Kissen. Nein, der Rübenfürst war genießbar, das war ein ganz normaler Kater, den er da hatte, prima. Experiment geglückt. Am Montag würde er sich richtig reinknien. Aber heute… pennen… vielleicht ein bisschen sonnen, wenn es wieder ging… er hatte sich einen Krimi aus der Dorfbücherei geliehen, eventuell war ihm auch nach dem Experiment „lesen“… und vielleicht… heute Abend… als Belohnung…
 

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Gegen Nachmittag ging es Ragnar dank Schmerztabletten, reichlich Wasser und, sobald sein Magen sich wieder beruhigt hatte, einem rustikalen Omelette wieder recht annehmbar. Er lümmelte auf der Couch und drehte das von der „Rübenfürst“-Flasche gepuhlt Etikett zwischen den Fingern. Die Flasche selbst hatte er schaudernd entsorgt. Rübenfürst… Was hatte er da auf die Menschheit losgelassen…?
 

Er schlurfte zur Verandatür und schloss sofort wieder gequält die Augen. Jason schien auch wieder fit zu sein, und streckte sich gerade wohlig auf seiner Terrasse gen Sonnenschein aus. Diese Leoparden-Perversion war wieder im Einsatz – an Stelle der Leoparden würde er wegen Rufmordes klagen. Draußen zu sitzen war demzufolge gestrichen. Nicht noch eine Dosis Jason – und auf gar keinen Fall so eine. Aber den ganzen Tag hier drin rum zu hocken, weil der da seine quasi-Nudistenshow abziehen musste? Nein danke. Er könnte… einen Ausflug machen, genau. Nördlich von Kassel wurde gerade ein hochinteressantes Gebäude für einen Computerteilehersteller errichtet, Architektur vom Feinsten, kreativ und nüchtern… hatte er sich sowieso längst anschauen wollen. Außerdem wäre es da nur ein Katzensprung… Ragnar kam in Bewegung, schnappte sich seine Kamera, zog sich etwas Straßentaugliches über und sah zu, Land zu gewinnen, weit weg von diesem knappbehosten Irren.
 

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„Du bist soooo der Oberkracher!“ schwärmte Monsieur Postbote – Manuel hieß er, wenn Jason sich recht entsann, aber wen interessierte das - und streichelte andächtig über seine Brust.
 

„Ich weiß“, gab Jason ihm recht. Stimmte ja auch. Aber allmählich wurde der Typ echt zu klebrig… hatte schon so eine Andeutung von rosa Herzchen in den Augen… wurde echt Zeit, Land zu gewinnen. Schade eigentlich, der Typ war echt schnuckelig, im Bett brauchbar – und ziemlich praktisch verfügbar. Und er hatte es nicht mal auf seine Kohle abgesehen, von der wusste der nichts, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass Jason nicht im Traum daran dachte, ihre Bekanntschaft jenseits der Horizontalen zu vertiefen. Aber zumindest klang so das Wochenende würdig aus, bevor es morgen wieder an die Arbeit ging. Eigentlich konnte er es kaum erwarten… was hatten immer alle mit dem Montag? Okay, konnte ja auch nicht jeder den Traumberuf selbständiger Schnapsbrenner haben… aber er hätte auch Rosettenmeerschweinchen, die durch brennende Reifen springen konnten, gezüchtet, wenn das erfolgversprechend gewesen wäre – es ging nicht um das Produkt, sondern irgendwie eher um die Sache an sich… Obwohl… Meerschweinchen… was kostete wohl ein Meerschweinchen…? Aufzucht? Vertrieb? Fraßen die nicht auch Möhren? Essbar waren die doch auch?
 

Ein harsches Klingeln holte ihn wieder zurück aus dem Land der konfusen Geschäftsideen. Manuel seufzte und verdrehte entschuldigend die Augen. Widerwillig löste er sich. „Keine Ahnung wer das ist“, stöhnte er. „Moment… bin gleich wieder bei dir… du bist echt der Wahnsinn!“
 

„Ich weiß“, wiederholte Jason routiniert, lächelte brav, und widmete sich wieder seinen Plänen. Mmm… wie anpacken… sobald die Produktion lief… ein paar Anrufe… aber ohne Promotion ging das nicht…
 

„Hey…“, erdete ihn Manuel erneut mit einem verruchten Grinsen auf dem Gesicht. „Da steht was Nettes vor der Tür… Lust auf nen Dreier?“
 

Das machte Jason in der Tat wieder munter. Der Postbote hatte Geschmack – sah man ja an ihm – also könnte da wirklich etwas Leckeres im Anmarsch sein. Er grinste. „Aber immer!“ nickte er erfreut.
 

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Freude schöner Götterfunken, war dieser dämliche Manuel endlich mal verfügbar. Statt anzurufen hatte er einfach spontan geklingelt, als er mit den Wundern der Architektur fertig gewesen war. Hoffentlich hatte sich Jason derweil den Knackarsch gründlich versengt! Aber eine Dosis Postbote würde das schon wieder ins Lot bringen…

Hase und Igel

Oh! Gott! Nein!!!!
 

Das konnte doch echt nicht wahr sein! Er fühlte sich wie der Hase aus der Fabel – und der Igel war bereits da. Und offenbar bereits schon mal durch die Ziellinie gegangen. Irgendwer da oben über den Wolken musste ihn abgrundtief hassen. Er war hier, um den unangebrachten, seine schöne Ruhe gefährdenden Druck, verursacht durch den dämlichen exhibitionistischen Jason loszuwerden – und was bekam er zu Gesicht?!
 

Jason, der sich nackt breitbeinig im Postbotenbett lümmelte und vom Licht aus dem Flur geblendet blinzelte, während seine leicht verschwitzte Haut über seinen wohlgeformten Muskeln spielte! Manuel grinste ihn vielsagend an – aber das konnte der sauber vergessen! Das war also der Grund, warum der in letzter Zeit so schwer zu greifen gewesen war!
 

Dieser verdammte Grinse-Ken!
 

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„Hey…“, grüßte Jason den Neuankömmling in seiner einladensten, dunklen Stimmlage. Das reichte meistens völlig in Kombination mit seinem Anblick…
 

Aber der Typ rührte sich kein Stück, während seine eigenen Augen im Licht Fokus gewannen. Dann plumpste ihm das Lächeln aus dem Gesicht, und er glotze nur noch blöde. „Was machst du denn hier?“ fragte er wirre.
 

„Theoretisch wohl dasselbe wie du!“ fuhr Ragnar ihn an. „Und – ich sollte das fragen! Warum liegst du nicht in deinem Augenkrebs erzeugenden Arschkneifer auf der Terrasse!?“
 

„Das wurde auf die Dauer unbequem – und langsam zu kühl. Zu deiner Information: das Ding ist von Dolce und Gabbana! Und wenn ich das anhabe, kriegt niemand Augenkrebs! Gib’s ruhig zu…“, haute ihm Jason um die Ohren und fand sein Grinsen über. Er klappte die Beine wieder zusammen, aber er dachte gar nicht daran, sich schamhaft zu verhüllen. Sieh an, sieh an… war der liebe Ragnar doch kein Schafeficker…
 

„Ihr kennt euch?“ fragte Manuel etwas ratlos dazwischen, der sich die Situation wohl auch anders ausgemalt hatte.
 

Ragnar schnaufte: „Könnte man so sagen!“
 

„Okay… vertragt euch… und dann legen wir los?“ schlug Manuel vor.
 

„Vergiss es!“ fuhr Ragnar ihn an. Alles bloß nicht das… oh Gott, Jason war echt… aber nein! Nein! Nein! Nein! Nicht vor der eigenen Haustür!
 

„Du bist echt nicht gerade locker“, stellte Jason fest.
 

Ragnar schloss die Augen. Ein Kopfschmerz zog heran, aber nicht derselbe wie am Morgen – dennoch mit derselben Ursache: zu viel Rübenfürst. „Das hat damit nichts zu tun! Aber wir sind keine Internetbekanntschaft. Wir müssen ständig miteinander auskommen, verstehst du? Jeden verdammten Tag. Wir hängen uns sowieso total auf der Pelle – willst du das ins totale Chaos stürzen?“
 

„Seid ihr Kollegen oder was?“ wollte der Postbote wissen.
 

„Sowas in der Richtung“, antwortete Ragnar ihm diffus.
 

„Nein… aber ehrlich gesagt, verstehe ich das Problem nicht recht?“ meinte Jason.
 

Ragnar atmete tief durch. „Wäre es eventuell akzeptabel für dich, wenn wir das ohne Publikum klären würden?“ fragte er bestimmt.
 

Jason seufzte. „Na gut… meinetwegen. Dann eben kein Dreier, sondern ein Gespräch unter vier Augen, juhu… Egal, ich hatte ja schon meinen Spaß….“ Er grinste und zwinkerte anzüglich mit den Augen, Manuel erwiderte die Gesten.
 

Rangar fühlte einen weiß brennenden Ball aus irgendetwas in sich aufsteigen und verzog den Mund.
 

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Ragnars Kombi gurkte in Sichtweite vor ihm über die kurvige Landstraße die Hügel entlang. Mann… was hatte der bloß… War der so ein Spießer? War er doch offensichtlich auch schwul. Wie auch immer, er würde es wohl erfahren…
 

Ragnar parkte ziemlich rasant auf seinem Hof. Während Jason noch ausstieg, rauschte der andere bereits auf ihn zu.
 

„Äh… ich dachte…“, stammelte er.
 

„Nachbarschafts-Gegenbesuch!“ verkündete Ragnar. „Ich habe keine Angst vor Ratten – vielen Dank für die Einladung!“
 

„Öh… gerne“, gab Jason sich vorerst geschlagen. „Aber ich habe kein Bier im Kühlschrank… oder einen Kühlschrank…“
 

„Findet sich schon etwas anderes, das ich im Ausgleich schnorren kann – ohne Alkoholanteil! Bloß nicht schon wieder!“ gab sich Ragnar optimistisch und schritt resolut gen frisch gestrichener Haustür.
 

„Ich hätte ein paar Kekse?“ bot Jason höflich an.
 

„Das rangiert bei mir kurz unter Trüffelleberpastete“, behauptete Ragnar, während Jason mit seinem antiquierten Schlüssel die Haustür öffnete.
 

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Naja… das hier war echt eine Bruchbude… ordentlich und sauber, aber auch ziemlich armselig… War echt ein Wunder, wie Luxus-Jason das so gut verkraftete… Aber er hatte ihm die Zauberformel ja verraten.
 

Jason bot ihm eine seiner eigenen Möhrenlieferkisten als Sitzmöbel an und offerierte ihm ein paar Supermarkt-Haferkekse direkt aus der Packung. Dann ließ er sich ihm gegenüber auf die Kante seines Ikea-Bettes fallen.
 

Er sah ihn aufmerksam an und grinste mal nicht. „Also, was ist los?“ wollte er wissen. „Du bist ja anscheinend auch schwul – aber… ja, was ist los?!“
 

Ragnar atmete tief durch, griff sich einen Keks und nagte daran. „Hör zu, Jason“, sagte er schließlich. „Ich regele solche Dinge… auf Distanz, verstehst du? Nicht zu Hause. Nicht so nah dran. Das will ich nicht.“
 

„Aha“, erwiderte Jason recht ratlos. „Jedem das seine?“
 

„Genau… also… Wir sind Nachbarn, Geschäftspartner und… bei dieser Ebene sollte es bleiben“, machte er ihm deutlich.
 

„Okay…“, erwiderte Jason langsam. „Das willst du echt? Den Postboten kannst du übrigens gerne zurück haben…“
 

„Der ist kein Putenschenkel! Und das ist nicht der Punkt. Sowas hat mitten in meinem Leben… keinen Platz“, stellte Ragnar klar.
 

Jason sah ihn an, als sähe er jetzt schließlich doch Aliens. „Und du hältst mich für einen komischen Typen…“, sagte er schließlich.
 

Ragnar senkte den Kopf. „Gute Nacht, Jason“, sagte er schließlich und erhob sich.
 

„Gute Nacht“, murmelte Jason, während er ihm mit einem ziemlich merkwürdigen Gesichtsausdruck nachsah, den Ragnar so bisher noch nie an ihm bemerkt hatte und der ein nicht weniger seltsames Gefühl in ihm wachrief.

Als er über das Kopfsteinpflaster hinüber zu seinem Haus stapfte, sah er zu, sich hoch aufzurecken und tief durchzuatmen. Alles ist wieder in Ordnung… hämmerte er sich ein. Problem gelöst. Die Fronten waren klar, ein für allemal. Und das war doch gut so… oder?

Ein ehrlicher Bürger

XV. Ein ehrlicher Bürger
 

Jason zwinkerte.
 

Was war das eben bitte gewesen?
 

Der war schwul – und stand nicht auf ihn?!
 

Nee… der hatte seinen Tanga gut erinnert. Hatte er gar nicht mitbekommen, dass Ragnar da irgendwo gewesen war. Das war es nicht… Das war so eine Ragnar-Lebensphilosophie. Work-o-holic, Burn out und Trauer, Möhrenbauer… der hatte keine Ahnung von Spaß. Hielt der wahrscheinlich für eine Krankheit oder Schwäche oder nur für ein ab und an fälliges Bedürfnis wie Pinkeln.
 

Armer Ragnar… so sexy… und so planlos. Das war nun definitiv etwas, von dem er mehr Ahnung hatte als der liebe Herr Nachbar. Warum zum Geier kam der auf den Trichter, dass ein wenig lockere Matratzengymnastik irgendwie hinderlich sein könnte für das, was sie hier taten? Sie redeten, lieferten sich Schlagabtausche, tranken, werkelten – wo wäre da der Unterschied?
 

Ging ihm irgendwie gar nicht ins Hirn. Da müsste eher er sich anstellen, denn all die anderen Dinge hatte er in dieser Qualität und Kombination noch nie mit jemandem getan. Ragnar war schon voll in Ordnung – und heiß… Wenn der mal das Zöpfchen lösen würde und den wilden Rübenbauer-Piraten raus ließe…
 

Außerdem wäre das doch ziemlich praktisch? Würde enorm Zeit und Aufwand – und Spritkosten – sparen?
 

Der hatte es doch auch mit dieser wilden Nummer von der Post getrieben – verklemmt konnte er eigentlich nicht sein?
 

Was sollte der Quatsch?
 

Wer hatte ihm schon je widerstehen können…? Richtig: keiner, der einen Mann im Bette auch zu schätzen wusste.
 

Ragnar garantiert auch nicht…
 

Und den bei seinen Möhren und wirren Ideen vergammeln zu lassen… das wäre kriminell! Und er war doch ein ehrlicher Bürger…
 

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Ein wenig mulmig war Ragnar am nächsten Tag schon. Das Gespräch hatte die Fronten eigentlich klar gemacht, und Jason hatte, wenn auch anscheinend kopfschüttelnd, seinen Argumenten zugehört, aber dennoch ließ sich nicht ganz wegleugnen, dass die Aussicht auf mehr als bloß nachbarschaftlichen Verkehr mit dem Herrn Schnapsbrenner einige weniger rational denkende Partien seines Hirns nach wie vor reizte. Doch die Sache hatte ja auch den Sinn, sich selber einen Maulkorb zu verpassen. Nein, kein selbstbewusst schlampig und nackt in den Federn lungernder Jason für ihn, ganz und gar nicht, sonst wär’s aus mit dem Frieden seines Heims. Fünfzig Meter von Bett zu Bett, hunderte von Tagen, abertausende von Stunden… nein, das ging nicht. Der wäre am nächsten Tag nicht einfach weg, er selber wäre auch kaum in der Lage, Land zu gewinnen und in seinen normalen Alltag zurück zu flutschen – Jason wäre auch am nächsten Morgen noch da. Und was dann? Nein. Sex war Sex, Leben war Leben.
 

Aber der Postbote war auch gestrichen. Wie könnte er den jetzt noch anfassen, wenn er ständig argwöhnen müsste, dass irgendetwas von Jason noch immer an dem klebte? Wenn der auch noch imaginäre Vergleiche zwischen ihnen beiden ziehen würde? Das, was von Jason zu sehen gewesen war, war auch recht vielversprechend gewesen, und Manuel hatte auch hochbeglückt gewirkt… Nein, bloß nicht!
 

Toll, noch mehr Toast, und das jetzt. Vielleicht sollte er doch besser mal wieder nach Kassel und vor Ort Fleischbeschau betreiben? War zwar nervig, aber besser als so…
 

Drüben in der Scheune war Jason bereits zu seinem hochprozentigen Tagewerk übergegangen. Fehlten eigentlich nur noch ein paar Fledermäuse, die seine Alchimistenküche umflatterten… aber nach Graf Zahl oder Dr. Frankenstein sah Jason nun wirklich nicht aus. Leider.
 

Verdammt, das war wohl wie im Kindergarten… man wollte immer das Spielzeug, das man nicht haben konnte. Aber Jason war kein Spielzeug, ganz und gar nicht – sondern sein verdammter Nachbar!!!
 

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Jason gab sein Bestes so zu tun, als sei seine ganze Konzentration auf das per Hand-Abfüllen der ersten größeren Ladung des Schnapses gerichtet. Zunächst mussten es Standard-Flaschen tun, für ein eigenes Design war keine Kohle da. Aber auch das konnte man als gewollt traditionell verkaufen, hoffte er. Für die Etiketten hatte er eine kleine Druckerei in Kassel engagiert, die recht zivile Preise nahm. Das und die Versieglungsmaschine für die Flaschen hatten einen weiteren Batzen von seinem Investitionskonto gefressen. Viel war nicht mehr da, mit dem Marketing würde er sich etwas überlegen müssen. Aber jeder hatte mal klein angefangen.
 

Dennoch musste er innerlich grinsen. Ragnar, Ragnar… was immer du redest, du hast längst Blut geleckt. Du bist scharf auf mich wie nur was. Ich sehe es in deiner Haltung, deinem Gesichtsausdruck, egal wie sehr du es zu verschleiern suchst – darin bin ich der Meister. Und was mich angeht… Ich würde gerne mal nachprüfen, ob auch du brennst wie deine Möhren, wenn ich sie in die Finger kriege… Du bist echt ein Trottel. Aber auch ein Landei mochte schmecken, wenn man es flambierte… vor allem so ein gut gebautes, ausgesprochen männliches Landei… so einen Typen hatte er noch nie gehabt… aber er war sich ziemlich sicher, dass das eventuell ein Versäumnis sein könnte. Solche Kaliber wie Ragnar gab es nicht auf den Yachten von St. Tropez… ja, ja, der Zauber des Landlebens…
 

Und jetzt stand Ragnar da drüben im Licht des Scheunentors, die Hände tief in den Taschen vergraben, und tat sein Bestes, total neutral interessiert an dem zu wirken, was er da gerade tat.
 

„Geht ja gut voran“, meinte er schließlich.
 

„Ja, wirklich“, nickte Jason und grinste ihn falsch an – sonst dachte der noch, irgendetwas sei faul. War es ja auch nicht – bis darauf, dass er nicht im Traume daran dachte, Ragnars zölibatären Wahnsinn zu akzeptieren. Die schmalen Hüften in den verwaschenen Jeans, die breite Brust, die Bartstoppeln… haben, ich will den haben… Und was er wollte, das bekam er… entweder schob man es ihm in den Arsch – gerne auch mal wortwörtlich – oder er schnappte es sich selbst. Das hier war wohl eher ein Fall von Punkt zwei. Und was sollte der Käse – Sex war Sex, und Leben war Leben. Das schloss sich doch keinesfalls aus.
 

„Und wie soll das laufen mit dem Vertrieb?“ wollte Ragnar wissen und schaute ein wenig skeptisch, aber das schien so eine Masche von ihm zu sein.
 

„Werde ich wohl auch per Hand machen müssen… werde rumtelefonieren, ich kenne ja überall Leute, Party-Veranstalter, Hoteliers, Models, die eh lieber kalorienarme Dichtmacher zu sich nehmen… und wenn ich Glück habe, habe ich ab nächste Woche sogar einen Festnetzanschluss für meine „Firmenzentrale“. Mein Handy hat hier eh keinen Empfang und mein Budget reicht nicht für internationale Anrufe per Mobiltelefon… Naja, das passt ja“, erklärte er und sah zu, sich ein wenig fotogen zu strecken.
 

„Na, dann kann ja gar nichts mehr schiefgehen“, murmelte Ragnar und zog dabei irgendwie komisch die rechte Augenbraue nach oben.
 

……….

Ruhe vor dem Sturm… nächstes Mal schreitet Jason zur Tat. Wie gut Ragnar das wohl verkraftet…?

Bauern haben niemals frei

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Morgen...

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Optimistisch realistisch

XV. Optimistisch realistisch
 

„Habe ich dich richtig verstanden?“ wiederholte Jason mehr als fassungslos. „Du willst nicht mehr vögeln? Weil du lieber deine Ruhe haben möchtest? Ich habe mir ja schon wirklich viel blödsinniges Gelaber angehört in meinem Leben – kennst zu das Männermodel aus dieser Aftershave-Reklame mit den Schafen? - aber du übertriffst gerade alles!“
 

„Tut mir leid, Jason“, erwiderte Ragnar bestimmt, auch wenn Teile von ihm strikt dagegen waren, aber die waren auch nicht fürs Denken verantwortlich. „Das eben… war genial, will ich gar nicht leugnen. Aber jetzt ist es nach zwölf… Ich brauche bei so etwas… Distanz, habe ich dir doch gesagt. Und die haben wir nicht, nicht privat, nicht beruflich. Lass es dabei bewenden. Und – bitte! – versuche das auch zu respektieren.“
 

Jason blähte die Wangen und ließ dann die Luft langsam weichen. „Hat dir schon einer mal gesagt, dass du ein Idiot bist? Vermutlich… wem nicht… Oder bist du nicht mehr scharf auf mich…?“
 

Ragnar schwieg betreten.
 

„Na also“, meinte Jason. „Willst du unter die Mönche gehen? Oder bei jedem Stich denken, dass du lieber wen anderes hättest – nämlich mich?“
 

„Woher nimmst du bloß dieses verschissene Selbstbewusstsein!“ ärgerte sich Ragnar.
 

Jason grinste. „Hey… ich bin gut! Spaß zu haben war immer mein… öhm… meine Berufung. Aber das hier eben – das war der Obergau. Und ich will mehr davon. Und du auch. Also, bitte Ragnar, erspare uns das Drama! Wir sind doch nicht siebzehn! Wir ziehen unser Ding durch – und wir ficken, dass die Wände wackeln, zumindest meine, die sind ziemlich marode. Sei doch kein blöder Spießer!“
 

„Ich bin kein Spießer!“ wehrte sich Ragnar. „Ich will nur eine klare Trennung!“
 

„Das lässt sich aber nicht trennen!“ sagte Jason und tigerte durch Ragnars Wohnzimmer Richtung Küche. Ragnar hatte ihn hinter sich her geschleift, um… die Sache zu klären. Gleich anpacken, nicht auf die lange Bank schieben. Schließlich war doch schon „Morgen“. „Jedenfalls nicht… so“, fuhr Jason fort und bediente sich grübelnd am Mineralwasser. „Nicht wenn wir so scharf auf einander sind. Und ich gehe hier nicht weg! Und du auch nicht! Was du da willst… ist sinnlose Scheiße. Glaubst du echt, dass du das aushältst? Niemals, glaube mir, ich kriege dich rum, wenn ich das will – und ich will! Und du mich auch… Du willst einen status quo? Okay…. Auch wenn das total bescheuert ist. Aber jeder hat so seinen eigenen Wahnsinn. Mein Vorschlag zur Güte: Wir ficken. Aber wenn dir eine Trennung hach-so-wichtig ist: Von Montag bis Freitag bin ich dein Nachbar, Geschäftspartner, was auch immer. Aber dann… ist Feierabend mit der Grütze. Ist das akzeptabel?“
 

Ragnar nahm einen tiefen Schluck aus seiner Wasserflasche. „Ja…“, sagte er langsam, etwas geschlagen, aber dennoch irgendwie beglückt. „Das ist akzeptabel. So kann ich trennen… Aber ich kann dir widerstehen! Du bist nicht die Antwort auf alle Gebete! Also bitte keine Unterstellungen!“
 

„Kannst du nicht, wenn ich es darauf anlege“, grinste Jason ungeniert. „Aber… noch ist ja Sonntag, großzügig interpretiert… solange man noch nicht schlafen gegangen ist, zählt das nicht. Musst du also auch gar nicht. Wie wäre es, du lauscht mal am Boden, ob die Möhren auch wachsen und streckst dabei den Hintern hoch…?“
 

„Der brennt noch etwas“, murmelte Ragnar.
 

„Och… soll ich pusten?“ bot Jason liebenswürdig an und stellte das Wasserglas schwungvoll ab.
 

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Montagmorgen. Halb sechs. Die Sonne stand bereits niedrig am Himmel. Er hatte verpennt. Naja… es war ein Wunder, dass er überhaupt dazu gekommen war, noch ein Auge zu zubekommen. Er war völlig übernächtigt, Muskeln, die man bei der Arbeit weniger beanspruchte, taten ihm weh, auch sein Allerheiligstes kündete von vermehrtem Verkehrsaufkommen.
 

Neben ihm lag ein nacktes Model, alle Viere von sich gestreckt, bäuchlings auf den Laken und schnarchte leise. Sie waren irgendwann einfach umgekippt. Na ganz toll, er wachte nie neben seinen Bettgefährten auf, sondern gewann Land oder schmiss sie raus aus dem Stundenhotel. Nach Hause nahm er nie einen mit. Aber das hier war jetzt… tja… der liebe Herr Nachbar, sein platonischer Spießgeselle von Montag bis Freitag. Ganz super. Worauf hatte er sich da schon wieder eingelassen? Aber dieser dämliche Jason hatte schon Recht, wenn der ihm mit eindeutigen Absichten von früh bis spät auflauern würde, das würde auf jeden Fall irgendwie katastrophal enden. Insofern… einen Versuch war es wert. Blieb ihm wohl kaum etwas anderes übrig. Er armes Opfer. Jason war da… ein… Querdenker… mit Hang zu kreativen Lösungen… oder so…
 

Ganz wohl war Ragnar dennoch nicht bei der Sache. Er beugte sich rüber und ruckelte Jason an der Schulter. „Aufstehen!“ befahl er.
 

„Mmm… ach ja… viel Spaß damit…“, murmelte Jason und drohte, sich auf die Seite zu rollen.
 

„Nichts da!“ machte er ihm klar. „Auf geht’s zur Arbeit. Ich habe eh schon total verpennt – und der Rübenfürst brennt sich auch nicht von alleine!“
 

Jason drehte den Kopf und öffnete zwinkernd die Augen. Sein Haar stand pittoresk verwusselt in alle Richtungen. Da trug er wohl die Schuld dran. Jason gähnte herzhaft, streckte sich, dann krabbelte er gehorsam hoch. „Na gut, na gut“, murmelte er. „Wie schön, dass wir keine Jobs haben, bei denen man den ganzen Tag sitzen muss… aua… naja, dann mal auf ins Gefecht… Wo sind meine Klamotten hin…?“
 

Ragnar blickte sich um. „Überall“, seufzte er, stand auf und angelte nach Jasons an der Deckenlampe baumelnder Designerwerbefläche, die wohl seine Unterhose darstellen sollte. Die hatte er wohl nicht verscherbeln können – aber auch für so etwas gab es eigentlich Liebhaber… Jason nahm sie dankbar lächelnd entgegen und war so nett, sich zu bedecken. An ihm klebte so Einiges, das an die Aktivitäten der letzten Nacht erinnerte und eine Scheunendusche nahelegte. Aber wenn Jason sich in diesem Zustand vor der Nase der Arbeiter abschrubbte, würden die wohl kaum an einen Zufall denken, wenn er hier gleich raus spazieren sollte. Das musste jetzt auch wirklich nicht sein, dass jede Tratschtante im Umkreis von tausend Meilen Futter bekam – und seine Angestellten Einblicke in sein Intimleben.
 

Schließlich war Montag. Bis Freitag war Sendepause. Eventuell würde sich sein Körper bis dahin ja auch wieder so weit erholt haben, dass er das auch zu schätzen wissen würde.
 

„Du kannst noch duschen hier“, murmelte Ragnar und begann, sich seine Arbeitsklamotten herauszulegen.
 

„Danke! Eine richtige Dusche, yeah! Himmel, was für eine Sauerei… Mache ich. Auf geht’s, Partner! Schaffe, schaffe, Möhrle baue! Auf dass sie sich in fette Kröten verwandeln mögen! Reinste Magie!“ feuerte sie Jason grinsend an und trabte Richtung Bad.
 

…………….
 

Was für ein blöder Deal… Okay, momentan war er bedient, so dass sich der Frust in Grenzen hielt, aber das würde sich vermutlich bald legen. Und dann hieß es warten… bis Freitag… Doch lieber noch eine Runde Manuel? Ne… das Thema war durch. Wahrscheinlich würde der jetzt auch noch mit blöden Fragen zu der merkwürdigen Szene, deren Zeuge er geworden war, nerven. Was Neues suchen? Ach… was sollte es. Er arbeitete, das schlauchte doch genug, um bis Freitag durchzuhalten. Den Stress konnte er sich sparen. Natürlich könnte er Ragnar demonstrieren, wie weit er mit seinen dämlichen Grundsätzen kam, wenn er richtig angegangen wurde, aber sonst machte der noch mehr Blödsinn und die Küche blieb tatsächlich kalt. Und er wollte auch keinen Ersatzfick – zumindest nicht soooo dringend – sondern diesen bezopften Vulkan. Ragnar mochte zwar mindestens zehn Jahre älter sein als seine sonstigen Betthupferl, aber die Landluft und die Möhren hielten anscheinend frischer als Dauerdiät und Koks. Da hatte er vorsorglich immer die Nase heraus gehalten – wozu auch? Er war auch so der Hammer, das musste er sich wohl kaum mit Hilfe chemischer Substanzen vorgaukeln. Wenn er ganz ehrlich war, war er vom Alter her deutlich eher an Ragnar dran, als an seinen gewöhnlichen Leckerlis – aber das hatte bei seinem Geldbeutel und Aussehen nie eine Rolle gespielt. Aber Ragnar war… aufregender, genau. Etwas Neues. Auch. Aber vor allen Dingen… megascharf.
 

Dann mal fleißig Schnaps brennen, so fern war das Wochenende nun auch wieder nicht… oder doch…
 

Ach verdammt! Leute mit Prinzipien waren schon echt zum Kotzen!
 

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Da ging er hin… dieser elende Terrorist. Schleifte gerade eine Palette mit Flaschen mithilfe des von ihm geliehenen Transportwägelchens über das Kopfsteinpflaster seines Hofs, dass es nur so dängelte. So müde hatte er sich an einem Montag schon ewig nicht mehr gefühlt. Das war keine Nummer gewesen, sondern eine Zweimannorgie. Jede verfluchte Pore von Jason hatte „Spaß! Spaß! Spaß!“ gebrüllt, ob er oben oder unten gelegen hatte oder was auch immer. Der hatte überhaupt keine Skrupel, was wahrscheinlich die Voraussetzung für richtig guten Sex war. Und sie waren sich nicht Spur ins Gehege gekommen, sondern… was auch immer… aber immer das, was sie gewollt hatten… und gewollt… und gewollt. Die Schmerzen, die er jetzt hatte, waren redlich verdient. Er war so ein braver Bauer.
 

Aber… Jason hatte es akzeptiert, die Konditionen sogar selber definiert. Auch hier: findig und anpassungsfähig, ohne lange um den heißen Brei herum zu reden. Dennoch ließ es sich nicht leugnen: Er hatte Jason an der Backe, noch mehr als zuvor. Und nicht nur an der in seinem Gesicht…
 

Doch… gut… gut… jetzt war erst mal Ruhe. Arbeitswoche. Der machte Schnaps, er kümmerte sich um den Anbau und den regulären Vertrieb, alles Paletti.
 

Und der mochte zwar grinsen und schuften wie gehabt, ein wenig fertig sah Jason auch aus, wie tröstlich. Wenn Jason nach dieser Nacht obendrein auch noch das blühende Leben gewesen wäre, hätte Ragnar ihn wohl doch noch an die Wand klatschen müssen. Aber Jason war auch nicht achtzehn, schon lange nicht mehr. Ein bisschen indiskretes Bohren hatte zutage gefördert, dass er die stolzen Dreißig erreicht hatte, also nur ein paar Jahre jünger als er selber war. Er mochte ein Kindskopf in einigen Belangen sein, aber zumindest physisch lag seine Kindheit doch eine ganze Weile zurück. Und das war Ragnar nur recht. Bubis waren nie sein Fall gewesen, außerdem war das Gequatschte von Leuten, die gerade eben der Pubertät entronnen waren, für Ragnar gleichbedeutend mit Ohrenkrebs. Nein, Jason war nicht pubertär und eigentlich auch nicht wirklich kindisch, Naivität konnte man ihm nun auch nicht unterstellen, er war schlichtweg ein Optimist, wie er im Lehrbuch stand, der vom Schicksal bisher auch noch nie etwas präsentiert bekommen hatte, das ihn dazu hätte bewegen können, das zu relativieren. Ragnar vermutete auch, dass das Schicksal sich bei so einer Zielsetzung besser warm anziehen sollte. Nicht dass er Jason Übles gewünscht hätte, doch man wusste nun mal nie, was da kommen mochte. Das Leben war leider in jedem Fall tödlich, da ließ sich nichts daran rütteln, aber wahrscheinlich hatte man eine deutlich angenehmere Zeit bis dann, wenn man so war wie Jason. Er musste an sich selbst denken, an die Zeit, da ihm jede Sekunde wie blanker, leerer Hohn erschienen war, völlig überfordert von allem, plötzlich allein und dafür verantwortlich, seine Eltern zu Grabe zu tragen. Doch auch er war immer noch da, nicht so ein Springfloh wie Jason, war er auch nie gewesen, aber die positive Art seines Multifunktions-Nachbars war da nicht bloß enervierend, sondern auch ein wenig faszinierend, vielleicht auch ein bisschen inspirierend. Er wollte nun gewiss nicht Jason der Zweite werden, bloß nicht, aber das Leben wurde auch nicht schlechter, wenn man ab und an die Dinge auch mal durch Jasons Brille sah.
 

Hier saß er also seit Jahr und Tag, weit ab vom Schuss in der hessischen Provinz, die jetzt seine Heimat war, hatte sich ein neues Leben geschaffen, hatte so seine Routinen und Interessen, doch ab und an ließ sich auch nicht verhindern, dass ungebeten und unverhofft etwas von außen zu einem kam. Und nicht immer war es oberschrecklich. Jason war nicht oberschrecklich. Aber ihr Arrangement… war schon etwas schräg, das musste er zugeben. Ein Kompromiss… doch anders ging das wohl kaum. Nicht von seiner Warte aus betrachtet. So war er eben. Leben war Leben, und Sex war Sex, wenn schon keine räumliche Trennung möglich war, dann wenigstens eine zeitliche. Das war vernünftig, ganz gewiss, hoffentlich klappte das so. Aber warum auch nicht? So war es jetzt eben, basta.
 

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Seufzend blickte Jason in den rahmenlosen, mannshohen Spiegel, den es als Restposten für knapp zehn Euro bei Ikea gegeben hatte. Er hatte ihn an die freie Küchenwand gelehnt, wo wahrscheinlich ein Frühstückstisch hingehörte, so dass das Licht von außen günstig einfiel, um sich betrachten zu können. Gut sah er aus… und oberscheiße, wenn man mal die bisher gängigen Kriterien berücksichtigten, aber die hatte es ausgezählt. Also nur gut. Genau… machte rein gar nichts, dass er von der Schufterei unregelmäßig gebräunt war und begonnen hatte, anstelle der Blasen an den Händen Schwielen zu bekommen. Schwielen waren doch gut, bedeuteten sie weniger Schmerzen. Auch bildete er sich ein, dass seine Muskulatur noch nie so gut in Schuss gewesen war, aber vielleicht lag das daran, dass er sie ständig irgendwie bemerkte, während er schleppte, hantierte, destillierte, reparierte… Doch das Fehlen seines üblichen Programmes machte sich an anderen Ecken inzwischen ziemlich bemerkbar. Himmel, was war das für eine beschissene Tätigkeit, sich selbst die Fußnägel zu schneiden. Die Hoffnung an seine Fingernägel hatte er sowieso längst abgeschrieben, da war kein Blumentopf mehr mit zu gewinnen. Das einzige Ziel hieß hier noch: so kurz wie möglich, um nicht chronisch Tonnen von Dreck damit einzusammeln. Auch das Fehlen der regelmäßigen professionellen Heißwachshaarentfernung hatte Ärgernis mit sich gebracht. Er hatte sich mit seinem normalen Rasierer daran versucht mit dem demütigenden Ergebnis, dass es ihn an einigen prekären Stellen seines Körpers infolge der Stoppeln fürchterlich zu jucken begonnen hatte. Heißwachs oder Enthaarungscreme gab es auch in der Drogerie zu kaufen, aber das würde auf Dauer endlos Geld verschlingen, das er aktuell nicht hatte, außerdem war er abends meist viel zu alle, um sich auch noch damit abzuplagen und zu verrenken. Und das auch noch ohne fließend Wasser. Und in Ragnars Scheune… nee… irgendwo hatte er auch so seine Grenzen. Sah er eben nicht so aus, als wolle er gleich für Armani-Badehosen über den Laufsteg stolzieren, das tat er schließlich auch nicht. Fand er sich eben für eine Weile damit ab, dass ein Mann mit Dreißig in den seltensten Fällen aussah wie ein vierzehnjähriger Teenager in Hinsicht auf Körperbehaarung, wenn man dem nicht akribisch nachhalf. Irgendwie zweifelte er auch daran, dass Ragnar das irgendwie kratzen würde, wenn er ihm keine auf Hochglanz polierte, gerupfte Brust vor die Nase hielt. Und ganz ehrlich… bei Ragnar störte es ihn selbst schließlich auch nicht. Früher… früher wäre das gar nicht gegangen… aber… nun, hier galten eben andere Spielregeln. Hessen-Land-Spielregeln. Eigentlich war es sogar ganz sexy, dass Ragnar aussah wie… wie ein Mann eben. Und jemand, der besseres zu tun hatte, als sich ständig die Härchen auszupfen zu lassen. Ach weh, hatte der ihn jetzt mit seinem Landeicharme schon infiziert? Und selbst wenn… jetzt war eben jetzt. War doch praktisch, wenn das so war, schließlich waren die Alternativen… nun, keine wirklichen Alternativen. Da konnte er sich wahrscheinlich einfach mal eine Scheibe von abschneiden, zumindest für eine Weile, solange er eben hier war und Ragnar und er scharf aufeinander waren.
 

Er seufzte, drehte sich um, warf einen letzten Blick auf seine blanke Kehrseite – nein, die konnte nun wirklich nichts verschandeln – dann beugte er sich hinab zur pittoresken Plastikkiste, in der er mangels Mobiliar aktuell seine Vorräte hortete. Der per Klammer zu befestigende Griff stellte sicher, dass ihm die Mäuse, die er hier nachts fröhlich rascheln hörte, nicht alles wegfraßen. Einmal hatte er sie bis jetzt sogar schon live gesehen, wie sie im Halbdunkel des Abends fröhlich respektlos quer durch sein Wohnzimmer geschossen waren. Immerhin keine Ratten, die ihn selber anzunagen drohten, wenn er pennte. Was gab’s denn heute Abend Schönes? Belegte Brote waren raus, der Aufschnitt gammelte ihm bei dem Wetter schneller weg, als er ihn verputzen konnte. Tütensuppe a la Mikrowelle? Nicht schon wieder… aber immerhin konnte selbst er so etwas „kochen“. Was hätte er jetzt gegeben für ein Rumpsteak in Rotweinsoße… aber das war völlig außer Reichweite. Eine Dose Ravioli und einen Apfel zum Dessert? Das hörte sich recht verlockend an. Die Dose hatte einen integrierten Nipsel, so dass man sie ohne Dosenöffner aufbekam, den er ja auch nicht hatte. War bestimmt weder besonders gesund – aber dafür gab es dann eben den Apfel – noch figurbewusst – aber dafür gab es jetzt eben die Plackerei. Nun gut, gebongt.
 

Ragnar hatte ihm Bescheid gesagt, dass auf seinen Traktor geboten wurde, der hatte ja auch einen Internetanschluss. Aber die Auktion lief noch ein paar Wochen, vielleicht würde da noch mehr zusammenkommen. Während sich die Ravioli zum sanften Brummen der Mirkrowelle um die eigene Achse drehten, grübelte er nach. Oh Mann… er hätte so gerne ein Klo, eine Dusche, eine richtige Badewanne gar… mit Warmwasser! Aber realistisch betrachtet hatte er noch ganz andere Sorgen. Realistisch… Ragnar war da wohl ein wenig ansteckend, aber wo er Recht hatte, hatte er Recht. Der Rübenfürst hatte zunächst Priorität, nicht dass er sich hier ein gemütliches Zuhause bastelte, denn er wollte ja nun gewiss nicht für alle Zeiten bleiben. Sein Investitionsbudget war fast aufgebraucht, und er brauchte Geld fürs Marketing. Er konnte hier ja nicht mal weg, um den Kram selbst an den Mann und die Frau zu bringen, so die Knebelbedingungen seiner Eltern. Eine komplette Installation von Sanitäranlagen im Haus würde kräftig kosten, es gab ja bisher nicht mal einen Raum dafür. Und was war mit dem Dach? Aber Wasser bis zur Scheune… das tat viel dringender Not, außerdem gab es da zumindest schon Leitungen, wenn auch außer Funktion und sanierungsbedürftig. Also… eventuell eine eigene Scheunendusche? Da konnte er auch einfach weiter rüber dackeln. Und im Winter? Einer der uralten, völlig verrosteten Kochtöpfe seiner Großeltern als Nachttöpfchen…? Oh Gott! Das mochte zwar auch nicht die Qualität seines Allerwertesten mindern, die seines Wohlbefindens aber sehr wohl. Eine kurze Vision seines Marmorklos daheim blitzte vor seinem inneren Auge auf, bevor er es schleunigst niederknüppelte. Bloß nicht vergleichen, das brachte rein gar nichts – außer Frust. Und Frust konnte er nun echt nicht gebrauchen.
 

Die Mikrowelle piepte, und er zog den dampfenden, „neuen“ Ebay-Teller heraus. Wieder machten sich seine neu erworbenen Anfänger-Schwielen bemerkbar, so verbrannte er sich immerhin nicht völlig die Flossen. Der Mist war offensichtlich doch nicht mikrowellengeeignet, oh Wonne. Keuchend stellte er sein Tellerchen auf dem Boden ab und ließ sich hinterher plumpsen. Sein Magen knurrte gnadenlos, aber auf der Zunge hatte er nun doch keine Schwielen. Er pustete auf allen Vieren hockend, dann klaubte er sein Näpfchen nebst leicht verbogener Gabel wieder auf, ging hinüber ins Wohnzimmer, stellte es auf der Möhrenkiste ab, kniete sich davor und wünschte sich selbst einen guten Appetit. Himmel, war das rustikal. Demnächst wuchs ihm noch über Nacht ein Holzfällerhemd aus Flanell. Das würde er dann aber doch entfernen müssen, koste es, was es wolle!
 

Er reckte sich, verpasste seinen Tischsitten einen Tritt, schließlich saß er nicht im Designer-Anzug an einer edel gedeckten Tafel, sondern nackt vor einer Möhrenkiste, und machte sich über sein Abendbrot her.
 

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Ragnar lag auf der Seite inmitten seines selbst aus Eisenstangen gebauten Bettes und starrte in die Dunkelheit seines Hauses. Es war still hier, nur durch das angelehnte Fenster kamen Laute. Tiere, die durch den Garten krochen, hoppelten oder flogen – und Jason, der Richtung Plumpsklo stolperte. Auch das Geräusch war ihm mittlerweile vertraut. Er fühlte sich ein wenig schlampig. Einige Teile seiner selbst meldeten auch jetzt noch eine kürzlich stattgefundene Überlastung, er war hundemüde und hatte es auch schlichtweg vergessen, das Bett wieder neu zu beziehen. Und jetzt bekamen ihn keine zehn Pferde noch einmal hoch. War ja auch Blödsinn, wozu auch, er pennte schließlich nicht in einer Grube voll verwesender Tigerscheiße, sondern in seinem Bettchen, das aber heute ziemlich merkwürdig roch. Nicht schlecht, aber sehr ungewohnt. Es roch nach Sex, der hier bis dahin noch nie stattgefunden hatte – na ja, zumindest nicht mit einer anderen Person – und nach Jason. Obwohl sein Akku definitiv leer war für heute, zuckte etwas in ihm, als er zurückdachte. Er lehnte dankend ab, was ihm bisher ausgesprochen selten untergekommen war, wenn er allein im Bette gelegen hatte. Aber sonst würde er noch Blasen bekommen, und das nicht an der Hand. Außerdem brauchte er seine Energien für das kommende Wochenende… und wenn das immer so lief mit Jason, dann würden das reichliche Energien sein. Eventuell sollte er sich den einen oder anderen Proteinshake brauen? Ach Quatsch, das war ja kein Wettbewerb… und so… so reichte das völlig, bloß nicht auch noch dopen!
 

Er zog das Kopfkissen an sich, auf dem Jason irgendwann in der letzten Nacht eingeschlafen war. Wonach roch das nur… wonach roch das nur…? War das irgendein Aftershave? Ein Shampoo? Nein… es roch nicht künstlich, sondern nach Mensch. Es roch nach Jason. Und es roch verdammt gut. Er erinnerte sich, seine Nase in Jasons etwa außer Form geratenem Schopf gehabt zu haben, an seinem Hals… da hatte es genauso gerochen. Irgendwie… nach Leben, nach Mann, nach Freude, die auf alles schiss. Er hielt inne und erstarrte beinahe. Was tat er denn da gerade? Schnupperte an einem Kopfkissen wie so ein Volltrottel. Er war wohl wirklich noch etwas gaga von diesem Festival der vergangenen Nacht.

Hohle Nüsse

XIX. Hohle Nüsse
 

Und noch eine… und noch eine… Jason zählte akribisch die fertiggestellten Flaschen, die er eine nach der anderen in die Kartons lud, die Ragnar ihm netterweise überlassen hatte. Beeindruckend viele waren es nicht, aber irgendwie war es ihm ein Bedürfnis, zumindest diese erste Fuhre so herzurichten, als gingen sie wirklich in den Vertrieb. Doch das würde noch dauern. Die Qualitätsprüfung lief noch, hoffentlich ging da alles glatt, dann musste er sich um die Vermarktung kümmern und genug in peto haben, um liefern zu können. Seufzend musterte er sein Werk. So viel Arbeit… so wenig Produkt. Mochte viel aussehen, war es aber nicht. Wenn er da daran dachte, was die Fertigungsanlagen seiner Eltern in derselben Zeit aushusteten… Aber das hier war echte Handarbeit. Seine Handarbeit. Sein Werk. Ob es Ragnar genauso ging mit seinen Möhren? Wahrscheinlich. Letztlich war es wohl egal, was man fabrizierte, Hauptsache, man tat es eben. Wahrscheinlich war auch ein afghanischer Mohnbauer stolz auf sein Werk und identifizierte sich irgendwie damit. Aber er war kein afghanischer Mohnbauer, sondern ein deutscher Rübenschnapsbrenner, der eventuell auf der Abschussliste der Anonymen Alkoholiker stehen mochte, aber nicht auf der Ächtungsliste der Uno. Immerhin.
 

Er stemmte die Hände in die Seiten und reckte sich. Er kam voran. Aber blöderweise hielt die Zeit auch nicht still. Warum nur hatten seine Eltern ihn nicht in die Tropen abschieben können, wo einem nicht der Winter im Nacken saß? Oder schon der Herbst mit seinem Regen… Aber da saßen einem dann Vogelspinnen und Tropenkrankheiten im Nacken, auch nicht schön… und Zuckerrohrschnaps gab es ja schon. Er war hier, und er packte es an, genau. Eigentlich konnten sie sich nicht beschweren, er weicheite hier nun wirklich nicht vor sich hin. Es musste nur noch alles klappen, also weitergemacht! Und bloß keine Schlappheiten!
 

„Jason?“ holte ihn irgendwann später eine Stimme wieder auf den Teppich. Er schüttelte etwas benommen den Kopf und stellte die gerade fertiggestellte Flasche zur Seite. Ragnar stand gerade mal zwei Meter von ihm entfernt von ihm unter dem im Standby blinkenden Feuermelder, den er hatte installieren lassen, um zumindest so halbwegs den Richtlinien zu entsprechen, das schöne Geld. Er hatte ihn gar nicht kommen gehört. Ragnar trug Jeans und ein schlichtes blaues T-Shirt, seine übliche Feierabendtracht.
 

„Was denn?“ fragte er ihn etwas konfus aus seiner Tätigkeit gerissen.
 

„Es ist fast halb neun – meinst du nicht, dass es für heute reicht?“ fragte Ragnar und musterte interessiert die von ihm entlang der Wand gestapelten Kisten.
 

„Oh“, erwiderte Jason etwas überrascht. „Echt? Oh…“
 

„Sieht doch schon gut aus“, lobte Ragnar und spazierte an den deprimierend wenigen Kartons entlang.
 

„Ach ja“, seufzte Jason. „Ist schon einiges. Aber ob das langen wird…? Man kann nichts verkaufen, das man nicht hat. Verknapptes Angebot kann zwar manchmal von Vorteil sein, aber bei einer Marktetablierung… wir bringen ja keine neue Birkin-Bag auf den Markt.“
 

„Birkin…? Ich kenne nur Birken-Sandalen...“, kommentierte Ragnar. „Sind echt bequem…“, ärgerte er ihn ein bisschen.
 

„Verschone mich bloß!“ wehrte Jason und ließ sich auf eine umgedrehte leere Möhrenkiste fallen. „Damit köderst du mich nicht. Auch „praktisch“ hat seine Grenzen. Und ich habe dich bisher auch noch nie mit diesem eleganten Schuhwerk über die Äcker hopsen sehen!“
 

„Okay… ich gestehe, die sind mir auch zu hart. Außerdem hopse ich auch nicht über die Äcker“, stellte Ragnar klar, zog eine der Flaschen aus einem offenen Karton und drehte sie langsam zwischen den Fingern.
 

„Okay… dann war das heute Morgen wohl doch einen hessischer Riesenhase, der dir deine Klamotten von der Leine geklaut hat“, gab Jason zu.
 

„Ich hatte einen Stein im Schuh!“ rechtfertigte sich Ragnar, konnte sich ein Grinsen jedoch nicht ganz verkneifen. „Sieht echt gut aus“, pries er die Flasche. „Sehr professionell – da ahnt man echt nicht, wo’s herkommt…“
 

„Gott bewahre! Das darf echt keiner rauskriegen!“ stöhnte Jason. „Ansonsten saufen die das Zeug nur, um den Schluckauf wieder loszuwerden, den sie sich beim Lachen über mich hier zugezogen haben!“
 

„Wäre doch auch eine Verkaufsstrategie… und auch äußerst günstig“, legte Ragnar ihm freudig nahe.
 

„Pffft!“ grummelte Jason nur und streckte die müden Beine von sich.
 

„Aber ehrlich, Jason“, wurde Ragnar wieder ernst. „Übertreib es nicht bei allem Elan. Denk an das, das mir passiert ist. Es gibt auch ein „zu viel“. Ich weiß, dass man sich da richtig rein steigern kann, und dann ist es auch das Allergrößte, aber… pass auf, okay? Vielleicht sehe ich da auch Gespenster, du machst das schließlich nicht seit Jahren so wie ich damals… aber wenn ich das so mitkriege, da bin ich dann vielleicht etwas übervorsichtig?“
 

„Äh… danke“, murmelte Jason. „Soll ja echt nicht der Dauerzustand sein. Aber… ich muss das ja hinbekommen. Und es gibt so irre viel zu tun. Solange ich es mache… ist es schon gut. Und am Wochenende ist Pause. Versprochen…“
 

Ragnar verzog irgendwie merkwürdig das Gesicht und schlug die Augen nieder. „Okay…“, erwiderte er nur leise, dann stellte er die Flasche wieder ab und wünschte ihm noch einen guten Abend.
 

Jason blieb auf seiner Kiste sitzen. Guter Abend… tja, das hieß Waschen, Mikrowellenmampf, ein paar Hausarbeiten, vielleicht noch ein wenig seinen Krimi lesen und dann ab in die Heia lange vor Mitternacht. So toll war das nicht. Aber eventuell hatte Ragnar Recht, vielleicht brauchte er wirklich einen Ausgleich. Ihm fiel da auch prompt etwas ein, aber das wollte ja bis Freitagabend nicht. Ach, dieser Blödmann. Erst gab der ihm gute Ratschläge, dann drehte er das Schloss an seinem hirnverbrannten Keuschheitsgürtel noch einmal um. Nicht dass ihm jetzt gerade der Sinn nach wilder Akrobatik gestanden hätte, aber der Appetit kam ja zuweilen beim Essen. Und es konnte ja auch so ziemlich erfreulich sein. Er hätte nichts dagegen gehabt, die harmlose Bergwiese zu geben, über die der Vulkan gnadenlos hinweg explodierte. Außerdem war Ragnars Bett bequemer als seins.
 

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Der Donnerstag brachte einen lauen Spätsommerabend. Die Tür zur Terrasse stand offen, Ragnar lümmelte auf seiner Couch, knabberte Bananenchips, die er heiß und innig liebte, und genoss ein paar Feierabend-Muppet Show-Folgen. Seine Eltern und er hatten die Sendung in seiner Kindheit immer gemeinsam gesehen. Mittlerweile hatte er auch keine panische Angst mehr vor dem die Nachrichten verlesenden Kahlkopfadler mit den dicken Augenbrauen. Aktuell tanzte ein paar Hühner Cancan, während Fozzi-Bär sang. Er giggelte vergnügt in sich hinein. Es war fast wie früher, aber statt seiner Familie war nur noch die Erinnerung da. So war das eben. Aber dennoch konnte man die schönen Seiten der Vergangenheit ja ab und an mal aufleben lassen, ohne davon gleich schwermütig werden zu müssen. Und wer wurde schon schwermütig von der Muppet Show? Eben.
 

Miss Piggy war gerade damit beschäftigt, Kermit den Frosch mit einem Boxhieb von der Bühne zu putzen, als draußen ein Geräusch erklang. Zunächst gelang es ihm, es halbwegs zu ignorieren, dann gewann es langsam nervtötende Qualität. Er rappelte sich hoch und trat durch die Tür in den Garten. Im späten Licht entdeckte er Jason jenseits des Zauns, wie er mit einem Gerät, das sich nach kurzem Grübeln als völlig antiquierter mechanischer Rasenmäher entpuppte, herumfuhrwerkte. Er seufzte und trat hinüber an den Zaun.
 

„Jason… was treibst du da?“ fragte er so ruhig wie möglich.
 

„Ich…“, murmelte Jason und spähte etwas vage zu ihm hinüber, „wollte mal schauen, ob es noch funktioniert… Der Garten sieht echt scheiße aus und mir war noch danach. Aber ich glaube, die Schneiden haben es hinter sich…“
 

Ragnar nickte betont und meinte: „Wäre zu vermuten. Das Ding lag jahrzehntelang rum. Qualitätsprodukt hin oder her – aber die Garantie dürfte abgelaufen sein. Genauso wie die Lebensdauer.“
 

„Ja, vermutlich“, gestand Jason etwas zerknirscht und musterte etwas trauernd das Gerät.
 

„Ich würde dir ja meinen Rasenmäher anbieten – aber diese Wildnis überlebt der auch nicht. Wahrscheinlich müsste man erst ein paar Bäume umhauen und dann mit einer Sense durch, aber… Jason, das… du willst hier doch nicht die Bundesgartenshow abhalten? Mach das lieber im Frühling, da ist es viel leichter. Und… warum machst du es dir nicht einfach gemütlich zum Feierabend?“ fragte er.
 

Jason starrte ihn an, dann seufzte er tief durch. „Ich versuche nur“, meinte er, „was du gesagt hast. Ausgleich, genau. Da dachte ich… vielleicht ist gärtnern ja gut?“
 

„Du hast doch den ganzen Tag geschuftet!“ widersprach ihm Ragnar über den Zaun hinweg. „Hau dich doch auf die Couch und… äh…“, unterbrach er sich, als er seinen Denkfehler bemerkte.
 

„Genau“, nickte Jason düster. „Was ein würdiges Entspannungsprogramm angeht, tun sich hier so ein paar Probleme auf. Inzwischen fange ich wohl an, ein wenig abzuhärten und falle nicht so früh ins Bett wie bisher. Vielleicht zehn Minuten später… nun ja. Leider kenne ich mich null damit aus, wie man sich ohne Kohle und… einige andere Dinge… entspannt. Ich musste mich ja auch noch nie entspannen. Höchstens von der letzten Party. Aber das war irgendwie seltsamerweise ganz anders. Ich Dummkopf habe einfach vergessen bei Abfahrt in Hamburg meinen Jacuzzi und mein Heimkino einzupacken. Oh… nein, das lag wohl daran, dass die nicht ins Auto gepasst haben und leider auch nicht auf der Liste der Dinge standen, die ich mitnehmen durfte. Wie auch immer… ich versuche es. Lesen ist schon ganz okay, aber das kann’s doch auch nicht sein…“
 

„Wieso?“ fragte Ragnar. „Lesen ist doch ganz nett. Was liest du denn?“
 

„So einen Krimi über so einen Forensiker, der auf einer einsamen Insel festhängt, während dort einer nach dem anderen abgeschlachtet wird… Aber lesen ist irgendwie ein wenig wie… vollgequatscht zu werden, ohne antworten zu können. Manchmal auch ganz okay, aber den ganzen Abend…“, erklärte Jason und tippte ein wenig traurig mit der Fußspitze gegen den ruinösen Mäher.
 

Ragnar musterte ihn. „Du langweilst dich“, stellte er fest.
 

„Du dich nicht?“ wunderte sich Jason. „Du hängst hier doch auch ewig und einst alleine rum.“
 

„Ich habe Hobbys… das Zeichnen, das Bauen am Haus, Filme… und ich bin nicht so der Gesellschafts-Mensch. Dein Party-Kram… das wäre echt gar nichts für mich gewesen“, meinte Ragnar kopfschüttelnd.
 

„Muss ja nicht… aber immer so allein…?“ zweifelte Jason aufrichtig.
 

Ragnar lächelte ein wenig schief. „Man kann auch unter vielen Menschen einsam sein. Was ist denn mit deinen… Freunden? Den Leuten, mit denen du sonst immer gefeiert hast?“
 

Jason zuckte mit den Schultern. „Was die angeht… wenn man weg ist, ist man weg. Aus den Augen, aus dem Sinn, so funktioniert das da. Das wundert mich nicht die Spur. Wenn ich wieder auftauche, gibt es ein großes Hallo, aber solange nicht… dann eben nicht. Ist ja nicht so, als würde ich das anders halten.“
 

„Und du erzähle mir noch etwas über Einsamkeit“, spottete Ragnar. „Ich kann gar nicht glauben, dass… dass du echt so… so oberflächlich bist…“
 

Jason lächelte leicht. „Nicht ich. Aber das Leben, das ich lebe. Das ist der Preis, das sind die Spielregeln. Damit muss man leben. Man kann sich immer einreden, dass der Rasen in Nachbars Garten grüner ist – in unserem Falle stimmt das gerade allerdings wortwörtlich – aber letztlich ist er’s nicht. Ich habe so viele Dummschwätzer erlebt, die auf Tiefgang pochten – aber letztendlich waren sie hohle Nüsse, ganz wie der Rest. Nur verlogener. Da kann man wenigstens konsequent sein und nicht so tun als ob.“
 

„Du… du bist also eine hohle Nuss, weil du denkst, mehr gäbe es sowieso nicht und alle anderen würden sich nur etwas vor machen?“ stotterte Ragnar verdattert.
 

„Oh, als hohle Nuss kann man viel Spaß haben. Wahrscheinlich nur als hohle Nuss. Und das ist definitiv besser als darüber zu jammern, wie scheiße das Leben ist. Das meinte ich neulich… Und… ich will gar nicht ausschließen, dass es durchaus auch mehr gibt. Aber das ist so selten, da kannst du ein Pfefferkorn in der Sahara suchen gehen. Ich kenne so viele Leute, die hach-so-wichtig sind. Aber wer hat mich hierher verfrachtet? Meine Eltern“, erläuterte er.
 

„Äh… ja? Weil… weil du wahrscheinlich das Unternehmen…“, versuchte Ragnar zusammen zu fassen.
 

Jason lächelte nur. Er lächelte, er grinste nicht, und war so wirklich Jason. „Sicher, das auch“, sagte er. „Aber das ist nicht der springende Punkt, warum sie mich so übel erpressen und warum ich diesen ganzen Budenzauber hier mache, statt sie zu verklagen. Sie haben sich mein ganzes Leben lang den Arsch aufgerissen, damit es mir gut geht, haben mir sonst was ermöglicht und nachgesehen – rate mal, warum? Und jetzt treten sie mich in den Arsch, damit ich endlich mal in die Gänge komme und eben nicht bloß eine hohle Nuss bin, weil sie’s eben nicht glauben, dass ich das bin – rate mal warum?“
 

„Öhm… weil sie dich lieben?“ traf Ragnar ins Schwarze.
 

„Genau“, bestätigte Jason. „Sie sind das Pfefferkorn. Aber… ich weiß nicht, ob sie Recht haben. Ich glaube es nicht. Aber das hier… das tue ich auch deshalb, weil sie es eben glauben müssen, damit es ihnen gut geht. Vielleicht befördern sie mich wirklich vor die Tür, wenn ich das hier vermassele. Aber… ich kenne meine Eltern. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie mich wirklich in die Gosse treten würden. Firma ade, vielleicht – vielleicht wäre das auch besser so für die Firma, aber das Hungertuch… eher nicht. Aus denselben Gründen, wie das hier. Sie glauben wirklich, dass ich das kann, wenn ich wirklich muss. Und ich muss das können, für sie, aber auch um endlich wieder eine hohle Nuss sein zu können!“
 

„Äh…“, merkte Ragnar an. „Ist das nicht ein Widerspruch? Sie wollen doch gerade, wenn ich dich Recht verstanden habe, dass du keine hohle Nuss mehr bist!“
 

„Für sie – nicht. Für den Rest der Welt, die für mich auch nur hohle Nüsse sind – mit hohem Unterhaltungswert – schon“, erklärte Jason und stützte sich gemütlich auf seinem Mäher ab.
 

„Und was ist mit mir?“ wollte Ragnar wissen und legte seine Finger in das Muster des verbogenen Maschendrahtzauns. „Bin ich demnach auch eine hohle Nuss?“
 

Jason lachte leise. „Ja… und nein. Jeder ist eine hohle Nuss irgendwie – du auch. Aber du… du bist schon ganz schön merkwürdig mit deinem Eremitendasein jenseits des hohle Nussiversums… Wahrscheinlich bist du eher wie eine Walnuss. Die sehen leer gefressen und wieder zusammen geklebt genauso aus wie mit Füllung. Keine Ahnung. Ist wahrscheinlich eine Frage der Einstellung. Fühlst du dich wie eine hohle Nuss?“
 

„Mmm“, grübelte Ragnar leicht beleidigt, „eigentlich nicht. Und wenn, dann bin ich meine eigene hohle Nuss. Vielleicht sitze ich drinnen in meiner Nuss, und es geht mir bestens. Ging’s mir immer. Naja, meist. Dazu habe ich nie andere Nüsse gebraucht!“
 

Jason beäugte ihn äußerst kritisch. „Bis auf die Augenblicke, in der die völlig hohle Nuss in dir die Sau raus lassen wollte…?“
 

„Ja! Aber so ist die Natur…“, grummelte Ragnar erwischt.
 

„Meine Rede… hohle Nüsse haben Spaß auch mit vollen Nüssen“, lachte Jason. „Oh… entschuldige… ist ja noch Donnerstag. Und… was ist denn eigentlich mit deinen Eltern…?“
 

„Wie meinst du das?“ fragte Ragnar alarmiert.
 

„Hast du dich da auch nie blicken lassen, weil du in deiner Walnuss solo-Party gefeiert hast?“ bohrte Jason gnadenlos.
 

„Nein! Nein…“, entfuhr Ragnar. „Ich… wir… wir… standen uns sehr nahe… und…“
 

„Verstehe“, unterbrach ihn Jason fast sanft. „Vielleicht ist das bei Eltern und Kindern leichter. Nicht immer. Das Pfefferkorn meine ich...“
 

„Ja, wahrscheinlich“, murmelte Ragnar erleichtert, dass Jason so elegant den Kurs gewechselt hatte. Warum… redete er eigentlich mit ihm darüber? Er hatte nie mit jemandem darüber geredet, nicht wirklich, außer mit seiner Psychiaterin, aber das war etwas Professionelles gewesen. „Früher…“, sagte er langsam, „habe ich es bedauert. Schwul zu sein, meine ich. Nicht wegen… sondern wegen der Kindersache. Ich hätte gerne welche gehabt. Aber man kann eben nicht alles haben.“
 

„Man kann doch trotzdem Kinder haben“, wunderte sich Jason. „Okay… ist schwieriger… aber nicht unmöglich. Wenn du partout willst…?“
 

„Ich will nicht „partout“. Ist schon okay so. Ist eben nur schade. Vielleicht wegen deiner Pfefferkorn-Theorie. Das haut einem eventuell auf Synapsen, die nicht zum hohle Nuss-Sein passen. Und… deine Weltsicht in allen Ehren – wie kann man aufgrund von Pessimismus nur so optimistisch sein?! – vielleicht ist es dennoch nicht so. Vielleicht hast du dich da bloß verrannt? Ich meine… es gibt doch noch andere Sachen, oder? Loyalität! Mitleid! Freundschaft! Oder so… Oder denkst du, das ist alles nur Betrug?“ wollte er wissen.
 

„Musst du gerade sagen“, erwiderte Jason nicht unfreundlich. „Warum hängst du dann hier so einsam rum, wenn das alles da draußen wartet? Nein… vielleicht gibt es das. Vielleicht hatte ich da bisher nur Pech – und vielleicht bin ich da selbst auch nicht unschuldig dran. Aber, ganz ehrlich, da bist wohl eher du der Optimist. Ich bewege mich mein Leben lang unter Menschen, vielen Menschen, war immer gesellig, bin viel herum gekommen. Aber das, was du meinst, ist selten. So selten, dass fast nicht existent. Die meisten bilden es sich nur ein, um dann bei der ersten Versuchung zu versagen. Und dann ist das Geschrei groß. Das ist erbärmlich. Aber… ich war mal auf Malta, so eine Yachttour durchs Mittelmeer… wir waren Essen abends, so eine Spelunke in Valetta mit urtümlichem Charme, um mit der „Kultur“ auf Tuchfühlung zu gehen und ordentlich zu prassen… da saßen so zwei in der Ecke. Eine Oma und ein Opa. Ich war ziemlich breit und habe mich zu ihnen gesetzt, sie vollgequatscht, aber sie fanden das wohl lustig und haben mitgemacht. Sie feierten gerade ihren fünfzigsten Hochzeitstag. Fünfzig Jahre! Ich konnte es gar nicht fassen, und das habe ich ihnen auch gesagt. Sie haben mich herzlich ausgelacht. Und dann haben sie erzählt. Okay, vielleicht haben sie mich auch belogen, wer weiß, aber sie wirkten nicht so. Was sie alles gemacht und erlebt haben. Lauter… Kleinscheiß, aber für sie war es wichtig. Auch totaler Horror, ihre Kinder, zwei Stück, sind beide schon vor ihnen gestorben… aber trotzdem… sie haben Stein und Bein geschworen, dass ihnen nichts Besseres hätte passieren können als der andere. Und genauso haben sie ausgesehen in diesem Moment. Okay… vielleicht waren sie auch besoffen… oder ich so sehr, dass ich es ihnen abgenommen habe. Aber das ist das einzige verkackte Beispiel, das mir da einfällt. Die beiden waren das Pfefferkorn jenseits der Blutsverwandtschaft, die ja auch nicht zwingend etwas garantiert.“
 

„Deine Eltern nicht?“ fragte Ragnar.
 

„Doch… ein bisschen… aber da… man weiß nie, was kommt. Vielleicht bleibt es so, wie es ist, vielleicht auch nicht. Aber die beiden… die waren fertig. Am Ende. Beide uralt. Und das war ihr Fazit. Trotz allem… nichts Besseres. Vielleicht waren sie für alle anderen hohle Nüsse, aber füreinander nicht. Aber ansonsten… all die um mich herum… ich bin ja so verliebt… in den… in die… ja… nein… doch nicht… ewige Treue… und dann zwei Wochen später der Betrug… das kann man sich doch echt sparen!“ schloss Jason.
 

„Willst du denn dein Pfefferkorn nicht finden?“ fragte Ragnar stirnrunzelnd.
 

Jason wiegte den Kopf. „Das gibt es nicht für jeden. Schau dir doch an, wie die allermeisten Beziehungen laufen! Und wie gesagt… man müsste die Sahara umgraben und sieben. Und dabei verrinnt das Leben. Da lebe ich lieber hier, jetzt, und genieße die Dinge! Seien es Scampi bei einem Fünfsterne-Koch oder Ravioli aus der Dose! Seien es VIP- Partys oder schrotte Rasenmäher!“
 

„Oder coole Typen oder ich“, führte Ragnar den Gedanken weiter.
 

Jason schreckte auf und sah ihn an. „Nein!“ widersprach er vehement. „Ich gebe zu, dass ich, bevor ich hier angekommen bin, dich wahrscheinlich nicht mit dem Arsch angeguckt hätte – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber wenn ich ehrlich bin, und ich bin ehrlich, das zumindest kann mir keiner ernsthaft vorwerfen, dem ich keinen Rübenschnaps andrehen will, bist du echt das Schärfste, das mir je untergekommen ist. Oder übergekommen. Oder wie auch immer. Weiß der Geier, warum! Vielleicht, weil hier die übliche Regeln und Kriterien nicht gelten… oder einfach, weil du eben eine Nusssorte bist, die ich so nicht kenne! Du bist älter als ich, du willst nichts von mir, nicht meine Kohle oder meine Kontakte, und du hast Haare auf der Brust. Und nicht nur da… trotzdem… Mann-o-Mann! Ich schwöre dir, das letzten Sonntag, das war echt der Sex meines Lebens!“
 

„Öhm“, versuchte Ragnar ihn zu bremsen. „Ja das… war echt krass…“
 

„Siehst du!“ folgerte Jason. „So übel ist es nicht, mal die hohle Nuss raus zulassen! Dazu sind hohle Nüsse am besten geeignet: Spaß haben!“
 

Ragnar legte den Kopf in den Nacken und begann zu lachen.
 

„Was ist denn nun los?“ wunderte sich Jason.
 

„Weißt du was?“ stieß Ragnar hervor. „Du hast es also kultiviert, eine hohle Nuss zu sein. Und gerade deshalb… bist du keine. Du paradoxer Vollspinner!“
 

„Hey, Mann!“ beharrte Jason. „Ich bin eine hohle Nuss! Total! Ich bin sogar zu hohl, um mich beim Lesen zu „entspannen“.“
 

„Nein… du bist bloß zu wild auf Taten. Und du magst es, anders als ich, nicht, allein zu sein. Du bist eine… nein, keine Nuss… eine Knallbohne. Diese Dinger, die früher immer im Yps-Heft beilagen… wo so Insektenlarven drin waren, die in der Wärme der Hand angefangen haben zu springen… kennst du die noch?“ fragte Ragnar.
 

Jason nickte. „Klar… aber ich war noch zu klein… ich habe sie aufgefressen…“
 

„Igitt! Das nenne ich wahren Forschergeist…“, lachte Ragnar weiter. „Aber ich muss dich echt enttäuschen… Man ist keine hohle Nuss, wenn man das aufgrund solcher Gedankengänge ums Verrecken seien will. Dann ist man ein Hedonist. Oscar Wilde reloaded. Und dessen Rechnung ist nicht aufgegangen…“
 

„Ach ja… man hat ihn wegen „Sodomie“ verknackt, und er ist an der Syphilis verreckt, das habe ich – wahrscheinlich als einziges – im Englischunterricht mitbekommen außer der Sprache. Aber das Schicksal droht einem heutzutage weniger“, stellte Jason richtig.
 

„Stimmt“, beruhigte sich Ragnar wieder und nahm seine Finger aus dem Zaun. „Aber dennoch… echt Jason, du bist echt ein Fall für sich. Aber… wenn dir so nach Spaß ist… und du nicht allein sein kannst, ohne dem Arbeitswahn anheim zu fallen, dann komm rein.“
 

„Ist doch erst Donnerstag… oder…?“ fragte Jason leicht lauernd und spähte hinüber zur Terrassentür.
 

„Ist es“, bestätigte Ragnar und zog ein wenig die Schultern zusammen. „Magst du Johnny Cash?“
 

Jason sah ihn etwas verwirrt an, dann sang er: „Ich habe einen Ring um meine Eier… und das tut weh… Oh, so sehr, oh weia…“
 

„Okay, ich sehe, du bist ein echter Kenner…“, grinste Ragnar. „Und die Muppet Show?“
 

„Ich habe Angst vor dem Kahlkopfadler gehabt…“, gestand Jason.
 

„Ich auch. Aber der kommt in der Folge nicht vor. Wie wäre es… Johnny Cash bei der Muppet Show? Du darfst auch ein Bier schnorren. Das wäre doch spaßig?“ lockte Ragnar.
 

„Total!“ lächelte Jason erfreut und schob den kaputten Mäher an die Hauswand. „Aber was ist mit deiner hochgeschätzten Einsamkeit?“
 

„Ach… Wir können doch auch zu zweit allein sein beim DVD-Gucken?“ bog sich Ragnar die Dinge zurecht.
 

„Genialer Plan!“ lobte ihn Jason und kam angetrabt.

Baggersee statt St. Tropez

XX. Baggersee statt St. Tropez
 

Die Rücklichter des Autos des letzten Arbeiters verschwanden in der Ferne. Ragnar stützte sich auf der Schaufel auf, mit der er an diesem Tag draußen auf den Feldern bei der Ernte geholfen hatte. Er war nicht der Typ von Agrarökonom, der sich derweil die Füße pedikürte, er wollte mit anpacken, war schließlich sein Hof. Und jetzt kam sein Nachbar heran geschlendert, betont beiläufig, aber er hatte sich aufgemöbelt in dem Rahmen, von dem er wusste, dass Ragnar ihn zu schätzen wusste. Der hatte durchaus, wenn er wollte, einen siebten Sinn für so etwas. Nichts war mit Leopardentanga, stattdessen Sneakers, perfekt geschnittene Normalo-Jeans und ein tiefblaues T-Shirt, das ein bisschen tiefer als notwendig ausgeschnitten war und seine Augen nur so zum Strahlen brachte. Dieses lebendige Dunkelblau war einfach… zum Anbeißen, wenn man außerdem noch in Betracht zog, was für eine – vielleicht etwas verquere – aber intelligente und willensstarke Persönlichkeit dahinter lauerte. Je mehr er seinen Ken-artigen Anstrich mangels Schönheitssalon und Friseur verlor, desto attraktiver schien er zu werden. Ragnar mochte seine etwas aus dem Ruder gelaufene Frisur und die Andeutung von Brusthaar, die Jason mittlerweile anscheinend schicksalsergeben hervorlugen ließ. Und da war garantiert noch mehr… Nein, er wollte keinen androgynen Jüngling oder jemanden, der sich daraufhin stylte, er wollte er nun einmal einen Mann. Es mochte Leute mit anderen Präferenzen geben, aber er wusste eher Männer zu schätzen, die auch danach aussahen.
 

Jason trat neben ihn, grinste, aber nicht auf seine übliche Art, und sagte: „Hallo… die hohle Nuss meldet sich zum Dienst…“
 

„Ich weiß pünktliche Mitarbeiter zu schätzen“, grinste Ragnar zurück. „Aber ich habe den ganzen Tag gebuddelt. Ich bin dreckig und verschwitzt. Lass mich kurz duschen…“
 

Jason sah ihn kurz schief an. „Nö“, sagte er nonchalant. „Ich will dreckigen und verschwitzten Sex. Jetzt. Nein… eigentlich seit Mittwoch. Aber jetzt ist ja endlich Freitag. Und, wie das Schicksal so will: Du bist dreckig und verschwitzt… perfekt, meine Gebete wurden erhört!“
 

Fast wider Willen musste Ragnar lachen und wandte sich zu ihm um. „Was ist mit deinen parfümierten Standard?“
 

„Auf den scheiße ich. Der ist nicht hier. Gott sei Dank! Und selbst wenn… wäre der abgemeldet. Was ich jetzt will, ist ein echter Rübenbauer! Ich entdecke gerade die perverse Seite an mir… komm her… komm her, du Stinktier!“ erwiderte Jason, wanderte um ihn herum und baute sich vor ihm auf. Seine abartig erotische Oberlippe zitterte leicht. „Sie sind alle weg… küss mich…. Küss mich endlich, verdammt!“ forderte er.
 

Den Gefallen tat Ragnar ihm gerne, Oh Himmel… es war genau wie letzte Woche… seine Lippen waren so unfassbar weich… und hart… irgendwie wechselte das im Sekundentakt… und seine Zunge… wie einer dieser elektrischen Aale, nur ohne die Schmerzen… und seine Hände auf seinem Rücken und seiner Kehrseite… fordernd… einschmeichelnd… fast scheu… dann wieder atemberaubend dominant… Der hatte es echt perfekt drauf, spielte auf seinem Nervenkostüm, aber dieses Mal auf die angenehme Art… aber so, wie Jason keuchte, er auch auf seinem.
 

„Du schmeckst so gut…“, flüsterte Jason heiser an seinem Hals, dann leckte er über die empfindsame Haut seiner Kehle, seines Nackens, dann hinauf über seine Stoppeln zurück zu seinem Mund, wo sie sich zu einem weiteren sinnesvernebelnden Kuss fanden. Jasons Schenkel drängte zwischen seine Beine, rieb sich an seinem brüllend zum Leben erwachenden Schritt. Die Schaufel war längst rumpelnd hintenüber gekippt, und alles an Ragnar war auf ihn fokussiert. Diesen Duft, diesen geschmeidigen, wilden, drängenden Körper, die Süße dieses Mundes, alles… alles… alles…
 

„Zu dir oder zu mir?“ gluckste Jason.
 

Er löste sich kurz. „Nichts gegen dein mondänes Zuhause… aber ich stimme dennoch für… zu mir!“
 

„Die Mäuse werden enttäuscht sein“, seufzte Jason, aber er ließ sich mehr als willig fort ziehen. Kaum drinnen hetzten sie die Stiege zur Ebene mit dem Bett hinauf – das war nun mal bequemer als der Küchentresen oder die Couch oder der Audi, sie hatten ja die Wahl, jedenfalls rein theoretisch, dann knallten sie erneut aufeinander und kippten federnd, ohne sich voneinander lösen zu können auf Ragnars Matratze. Jasons Finger suchten das Zopfgummi, lösten es und pfefferten es in den Raum.
 

„Ich mag dich… wild!“ stieß er hervor und krallte seine Hand in Ragnars Schopf.
 

„Ist mir noch gar nicht aufgefallen“, seufzte Ragnar ironisch und griff nun seinerseits in Jasons Haar. „Du hast so etwas von schwarzen Haaren… und das bei deinem Typ… hast gar nichts Südländisches sonst…“
 

„Bedanke dich bei meiner Mama, nach der komme ich. Anscheinend auch bei meiner Vorliebe für Männer…“, grinste Jason auf original-Jason Art und schwang sich auf ihn. Seine Hüften rieben provozierend über ihn. „Was haben wir denn da“, freute er sich fast diebisch. „Einen – fast – jungfräulichen Landjunker…“
 

„Ich bin kein Junker! Und von „jungfräulich“ auch meilenweit entfernt!“ stellte Ragnar klar und konnte die Finger nicht von Jasons wiegenden Hüften lassen.
 

„Was echten Spaß angeht… sowas von. Das war doch für dich immer nur Triebbefriedigung, oder? Hat es nicht mal unter deine Hobbys geschafft. Wenn’s sein musste, dann okay, sehr nett, aber dann weiter im Programm…“, durchschaute ihn Jason hammerhart.
 

„Was?! Hat Manuel etwa gelästert?“ empörte sich Ragnar.
 

„Wer weiß. Mir gegenüber jedenfalls nicht. Nein… Alter… ich bin doch nicht blöde. So schwer zu durchschauen bist du da auch nicht. Deine ganze Leier… Sex… Leben. Sex ist Leben! Wann bitte fühlt man sich lebendiger? Worum geht es denn sonst beim Sex? Bei den Heten auch ums Leben erschaffen, aber deshalb steigen auch bei denen nur Minderheiten wirklich miteinander ins Bett. Leben erleben! Es fühlen! Darum geht es! Wirklich da sein! Es ist erstaunlich… man berührt hier… tut das und jenes… bei jedem anders… und dann… dann… ist das Leben… für ein paar Sekunden nur, auch wenn es sich anders anfühlen mag… absolut. Man ist wirklich da. Alles ist wundervoll, sonst gibt es nichts. Alles ist ewig und unantastbar… für einen Moment. Man ist der König der Welt! Aber das geht nur, wenn es stimmt… wenn das Begehren stimmt, der Augenblick… und ich begehre dich und habe auf diesen Augenblick gewartet… Wie wär’s: Ich nehme dich und du nimmst mich?“ schlug er atemlos vor.
 

„Okay. Wer denn zuerst?“ keuchte Ragnar und bäumte sich auf, ihm entgegen.
 

„Beides zugleich!“ lachte Jason wie im Rausch und langte nach seinen Hemdknöpfen, liebkoste seine Brust, zwickte verspielt in seine Nippel, dass ihm Hören und Sehen verging.
 

Spätestens als der andere auf ihm aufsattelte, wurde ihm klar, was er damit gemeint haben mochte. Aber dann zerstob jeder Gedanke und es gab nur noch das Jetzt.
 

……………….
 

„Jason?“ flüsterte Ragnar in seinem Haar.
 

„Mmm?“ murmelte Jason auf eine gute Art und Weise geschafft und langte nach seiner Schulter.
 

„Ernsthafte Frage meinerseits“, verkündete Ragnar. „Ist das hier… so gut für dich wie für mich?“
 

„Weiß nicht“, nuschelte er. „Wenn du mit „gut“ „besser als alles, das ich bisher gekannt habe“ meinst, dann ja. Und mir mangelt es da nicht an Erfahrung. Und dir garantiert auch nicht. Aber es ist echt der Wahnsinn. Der beste Darkroom-Aufriss ever.“
 

„Haha“, dämpfte ihn Ragnar und wühlte weiterhin durch sein verschwitztes Haar, als suche er dort irgendetwas. Aber das hier hatte nichts Anbiederndes, keine aufmerksamkeitsgeile Zärtlichkeit, einfach nur… Ragnar. „Aber ich schnall es einfach nicht. Wieso? Ich meine… ich mache das schließlich nicht zum ersten Mal! Warum? Warum ist das so… unglaublich geil – und bekomme jetzt bitte keinen Eitelkeitsanfall, sonst trete statt lecke ich deine Eier…“
 

„Unter den Bedingungen… echt… Ragnar“, erwiderte er und drückte seine Nase genüsslich in die Kerbe zwischen Ragnars Brustmuskeln. „Kein Plan. Aber wir beide… wir lassen es echt krachen. Das ist echt… Rock’n’roll. Den kann man auch nicht erklären, nur fühlen. Oder Techno… aber, seien wir ehrlich, wir sind beide nicht wirklich Generation Love Parade. Und die Neunziger blenden wir da geschmackstechnisch lieber aus, ich sage nur „Ice ice, baby“. Tun wir einfach so, als gehörten wir zu den Coolen. Das ist sowieso meine Spezialität.“
 

„Du bist nicht cool?“ zog ihn Ragnar auf.
 

Jason stütze sein Kinn auf Ragnars Brustbein auf und sah zu ihm auf. „Natürlich. Cool ist nur der, der weiß, wie er Hase läuft. Wer ernsthaft glaubt, cool zu sein, ist es niemals. Man muss bluffen. Ihnen den Wind aus den Segeln nehmen, dreist sein – sie glauben es. Kein Arsch ist cool. Aber sie wollen es gerne glauben, dass das möglich sei. Aber hier… hier.. muss ich das nicht sein, das würdest du mir sowieso nicht abnehmen.“
 

„Nein… wohl nicht. Und wenn, dann wärest du nicht hier“, lächelte Ragnar und griff nach seinem Gesicht, eine merkwürdige Geste, aber irgendwie angenehm.
 

„Glaube ich sofort“, erwiderte er. „Nur wer wirklich nicht cool sein will, ist es dann in aller Augen!“
 

„Das ist seine Sandale!“ kicherte Ragnar.
 

„Life of Brian!“ schaltete Jason und lachte mit. „Scheiße… den Film kennst du?“
 

„Natürlich kenne ich den! Genauso wie die Muppet Show! Jason... ich bin nicht Jahrgang 1998…“, erinnerte ihn Ragnar.
 

„Das hat eindeutig Vorzüge“, musste Jason gestehen. „Sag mal… kennst du noch den Glücksbärchi-Film…?“
 

„Oh Gott!“ outete sich Ragnar. „Da schäme ich mich heute noch für, darin geheult zu haben!“
 

Jason musste erneut lachen und fühlte sich merkwürdig frei. Er ließ seinen Zeigefinger um Ragnars Bauchnabel kreisen und meinte: „Genug mit Nostalgie. Wie wäre es mit ein bisschen Hier und Jetzt…?“
 

………………………………..
 

Samstagmorgen. Ragnar musste kurz hoch, die Arbeiter koordinieren, aber heute erlaubte er sich den Luxus, den Boss doch ein wenig raus kehren zu lassen, um dann wieder gen daheim abzudampfen. Sie machten das schließlich nicht das erste Mal, die Sache lief – und Möhrenpflege war auch nicht Quantenphysik. Er schnappte sich eine Packung Aufbackbrötchen aus dem Kühlschrank und beförderte sie in den Herd. Kaum drang der Duft aus dem Ofen, waren schon Jasons nackte Sohlen auf den Metallstiegen zu hören.
 

„Himmel… Essen… aus dem Ofen…“, schwärmte er mit noch halb geschlossenen Augen. „Heirate mich… bitte, bitte, sofort…“
 

„Vergiss es, du Gierhals“, lachte Ragnar. „So leicht bin ich nicht zu kriegen! Zieh dir was an, und dann gibt es Frühstück!“
 

Jason murmelte irgendetwas, das sich nach „Möhren-Tyrann“ anhörte, aber er überhörte es geflissentlich.
 

Ein paar Minuten später steckte Jason wieder in seinen Klamotten und machte sich freudestrahlend über ein schlichtes Rührei mit Speck her, das er ihm serviert hatte. „Essen!“ schwärmte er. „Richtiges Essen! Warm! Gebraten! Ich erneuere meinen Heiratsantrag! Jeden Morgen das hier und du hast mich in der Tasche!“
 

„Quatschkopf!“ lachte Ragnar und langte selber zu. „Und… der ganze Samstag liegt vor uns… hier auf dem Hof läuft alles… was… was wollen wir machen?“
 

„Machen?“ schmatzte Jason uns sah ihn aus seinen warmen blauen Augen an. „Machen ist immer gut! Was kann man hier denn so machen?“
 

„Das Wetter ist super… Ich wollte schwimmen gehen?“ schlug Ragnar spontan vor.
 

„Ich kann gut schwimmen!“ behauptete Jason und tippte mit vollem Munde auf seine breiten Schultern.
 

„Aber… nix Pool… See“, wies Ragnar ihn hin.
 

Jason setzte sich auf. „Ade, St. Tropez. Juchee, Baggersee“, dichtete er.
 

„Nein, nein“, korrigierte ihn Ragnar. „Das ist ein natürlicher See. Vierzig Minuten von hier. Du willst mit?“
 

„Klar!“ strahlte Jason mit einem Fitzel Ei an der Unterlippe. „Immer her mit den Wundern Hessens!“
 

„Aber… Jason“, bremste ihn Ragnar. „Nicht in dieser Leoparden-Perversität!“
 

Jason verzog schmollend seine gottbegnadete Oberlippe. „Aber das ist Dolce…“, protestierte er.
 

„Das weiß hier kein Schwein zu würdigen!“ stellte Ragnar klar. „Wie du schon sagtest: nix St. Tropez! Zieh dir etwas Ziviles an!“
 

„Habe ich nicht… nach Spießbürgers Vorstellungen“, muffelte Jason.
 

„Okay… ich weiß, du bist pleite, aber ich nicht. Wir müssen eh durch die Innenstadt, da besorgen wir dir kurz was Verkraftbares. Wenn du wieder bei Kasse bist, kannst du dich gerne mit etwas revanchieren, das ich jenseits des Vollsuffs niemals anziehen würde – okay?!“
 

„Okay… aber nur unter der Bedingung, dass du es trotzdem anziehst!“ forderte Jason breit grinsend.
 

„Nun gut. Ein Mal. Aber dafür bist du jetzt und heute brav?“ bohrte Ragnar.
 

„Na gut, na gut…“, gab Jason klein bei. „Ich werde artig sein, heiliges Pfadfinderehrenwort!“
 

………………….
 

Der Untergrund war ganz schön pieksig , auch durch das Handtuch hindurch, aber dennoch… nicht schlecht. Der See lag in einer Talsenke, füllte sie fast vollständig aus und war bis zum Ufer vom Wald umringt. Die Luft war frisch, ohne dass es einen fröstelte, und trug ab und an Salven von Pommesduft vom Kiosk dieses „Freibades“ heran. Überall zwischen den Bäumen hatten die Leute in gebührendem Abstand zueinander ihre Lager aufgeschlagen, Kinder quietschten, Erwachsene unterhielten sich oder taten ihr Bestes, einfach nur alle Viere von sich zu strecken. Es war nicht gerade das Deck einer Yacht vor St. Tropez, das hatte Ragnar die Lage schon richtig eingeschätzt, aber es hatte durchaus auch Unterhaltungswert. Jason setzte sich seine Sonnenbrille auf die Nase und spähte interessiert um sich. Mann, das Kind da drüben brauchte doch gar keinen Schwimmreifen, so fett, wie das war, schwomm das ganz von alleine oben. Einigen war es einfach gegeben. Ragnar neben ihm wurstelte in seinem no name-Rucksack herum, kramte eine Tageszeitung heraus, dann legte er sich seufzend lang, den Kopf auf sein zusammengeknülltes T-Shirt gestützt. Er äugte hinauf. Da oben zwischen den Blättern lauerten garantiert Horden hungriger Zecken, die Natur hatte eben so ihre Tücken. Aber er war ja geimpft, also keine Panik – was musste er auch so lecker sein… Er tat es Ragnar gleich, faltete die Hände vor dem Bauch und ließ einfach mal eine Runde Dösen zu.
 

Die Mittagszeit war schon verronnen, als er wieder zu sich kam. Ragnar neben ihm war die Zeitung auf die Nase gefallen, als auch er weggepennt war. Naja, die Nacht hatten sie ja auch nicht so wirklich zum Schlafen genutzt. Er streckte sich und gähnte ausgiebig, dann setzte er sich auf und ließ den Blick über das Wasser gleiten. Im Uferbereich planschten Kinder, weiter draußen vergnügten sich Leute auf Tretboten. Ragnar räusperte sich und kam auch wieder zu sich. Jason drehte sich kurz zu ihm um und begann zu lachen.
 

„Was?“ fragte Ragnar etwas knurrig.
 

„Du hast Druckerschwärze an der Nase. Oder eher Nase an der Druckerschwärze, wenn man die Mengenverhältnisse berücksichtigt“, lachte Jason ihn aus.
 

Ragnar schielte etwas unfotogen, dann begann er sich mit einem unterdrückten Fluch auf den Lippen die Nase zu schrubben.
 

„So ist es viel besser, einfach gleichmäßig verteilen… so schnell kann man braun werden…“, ermunterte ihn Jason amüsiert. Ragnar sah jetzt in der Tat aus wie ein spontan erblindeter Rugby-Spieler, der sich an seiner Kriegsbemalung versucht hatte.
 

„Ach, Mist!“ schimpfte Ragnar.
 

„Ja… Zeitung bildet… Dreckkrusten auf der Fresse, wenn man sie als Schmusedecke nutzt…“, spottete Jason und fischte ein Papiertaschentuch aus seiner Tasche. „Komm her zu Onkel Jason… der macht dich wieder blitzeblank… tut auch gar nicht weh…“
 

„Kommt da der Babykram-Mogul in dir durch?“ stöhnte Ragnar und hielt brav still, während er das Schlimmste beseitigte.
 

„Vielleicht“, erwiderte Jason schulterzuckend. „So… jetzt siehst du nicht mehr aus wie ein politisch unkorrektes Kindergartenkind, das als „Mohr“ verkleidet zum Fasching geht.“
 

„Bin ich als Kindergartenkind! Und damals hießen die Dinger auch noch Negerküsse und nicht Antiapartheitsbaissairs!“ informierte ihn Ragnar.
 

„Psst… sonst kommt noch der Verfassungsschutz und sackt dich ein! Aber apropos Verstoß gegen die guten Sitten: Ich will auch so ein Tretboot!“ forderte er und wies hinüber zum See.
 

Ragnar prustete leicht. „Wieder so ein Anpassungs-Salto? Statt Yacht eben Tretboot? Oder wie?“ fragte er und kniete sich hin.
 

„Genau… Dieser Tümpel ist jetzt mein Tümpel. Und wenn das so ist…“, setzte er an.
 

„Schon kapiert“, seufzte Ragnar. „Immer in die Vollen. Tretboot… oh Gott… du hast echt keine Hemmungen…“
 

Jason grinste etwas anzüglich und nickte.
 

„Na gut, na gut… Aber ich warne dich… da sind Fische im Wasser…“, sagte Ragnar und stand auf.
 

Jason folgte ihm und räumte sein Gepäck zusammen. „Ich bin nicht zimperlich… Ich hatte mal eine Fischpediküre“, erzählte er.
 

„Eine – was?!“ hakte Ragnar verwirrt nach. „Hast du dir die Schuppen polieren lassen?“
 

„Pfft… Nein… da knabbern einem so Minifische die Hornfetzen von der Sohle. Hinterher hat man Füße wie ein Engel oder so“, erklärte er.
 

„Igitt…“, bemerkte Ragnar naserümpfend.
 

„Wer ist hier zimperlich?“ zog ihn Jason auf.
 

………………….
 

Irgendetwas in Ragnar summte zufrieden vor sich hin, obwohl ihm durchaus klar war, dass dieser Tag ziemlich merkwürdig war. Eigentlich konnte er sich an einen Tag wie diesen in seinem bisherigen Leben nicht erinnern, wenn er von seiner Kinder- und Jugendzeit mal absah. Einfach so in den Tag hinein leben, dies und das und jenes zu tun, mal sinnvoll, mal auch weniger, aber es eben einfach zu machen, während man sich über alles Mögliche unterhielt. Sie hatten ein paar Runden über den See gedreht, waren ein wenig geschwommen, hatten sich eine Ladung Pommes gegönnt, und es war einfach… entspannend gewesen. Er wollte nichts von Jason, Jason nichts von ihm, da blieb wohl einfach die Muße, im Augenblick zu verweilen, ohne dass Gesellschaft nervte. Jason wollte ihm nichts andrehen oder ihn für irgendetwas einspannen zwischen den Zeilen. Wenn Jason etwas wollte, dann war er durchaus eindeutiger, nicht so hintenherum. Das war… angenehm irgendwie. Genau wie dieser Tag. Dennoch wunderte er sich ein wenig über sich selbst. Ihr Wochenenddeal… da ging es schließlich um Sex. Aber kein Mensch konnte zweieinhalb Tage non stop vögeln, da musste man in der Zwischenzeit doch etwas machen… Okay, man könnte sich solange auch verdrücken, aber wenn der andere nun mal schon da war… oder so…
 

„Im gratis Freilicht-Kino in Kassel läuft in einer Stunde „Ritter der Kokosnuss“, informierte ihn Jason vom Beifahrersitz aus.
 

„Den habe ich auch auf DVD… Außerdem: Woher weißt du das denn?“ fragte Ragnar ihn.
 

„Es ist Sommer… scheiß auf das Pantoffelkino! Und: das stand in der Zeitung. In dem Teil, den du nicht „gelesen“ hast, weil er nach oben wies…“, erklärte ihm Jason.
 

„Mmm…“, murmelte Ragnar.
 

„Na komm schon… die heilige Handgranate von Antiochia! Das Killer-Karnickel! Bringt mir ein Gebüsch! Der trojanische Hase! Das Schloss von Aaaaarg! Und das nicht bloß in der Flimmerkiste!“ lockte ihn Jason.
 

Erschrocken schnaufte Ragnar auf, als ein Auto von rechts knapp vor ihnen auf die Landstraße einbog, dass er fast eine Vollbremsung hinlegen musste. Zum Dank wurde er auch noch angehupt. „Leck mich doch am Arsch!“ brüllte er zwischen Wut und Schock.
 

„Das würde ich dann übernehmen, wenn du mit ins Kino kommst“, bot Jason deutlich ruhiger als er an, auch wenn er ebenfalls ziemlich nach Luft schnappte. „So eine Scheiße wie die hier… und schon ist man weg vom Fenster. Sind wir aber nicht. Sondern wir sind immer noch da, also Schwamm drüber, ab ins Kino und dann bekommt dein Arsch das volle Programm. Deal?“
 

„Deal“, ließ sich Ragnar bei der Aussicht breitschlagen. Außerdem… bei so einer Sache wie der eben hier hatte es damals seine Eltern erwischt. Dass sie schuldlos gewesen waren, hatte ihnen auch nichts gebracht. Jasons Pläne… nun, waren wohl besser, als sich den Rest des Abends darüber aufzuregen. Das Kennzeichen hatte er sich trotzdem gemerkt. Dieser Rowdy konnte was erleben.

Möhrengeil

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Denken ist doof

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ein Hoch auf Danny Thompson

XXIII. Ein Hoch auf Danny Thompson
 

Ragnar stand vor dem Spiegel, der über seinem Waschbecken angebracht war, und sah sich selbst beim Zähneputzen zu. Irgendwie hatte er das Gefühl, in jenem Zustand der Trunkenheit zu verweilen, in dem man üblicherweise meinte, der genialste Olympiasieger-Philosophieprofessor-Don Juan auf Erden zu sein. Dann trank man noch einen – und kotzte. Würde es bald soweit sein? Würde Jason ihn zum Kotzen bringen, weil kein Mensch so viel Jason auf Dauer ertragen konnte? Aber er war kein normaler Mensch, sondern ein Olympiasieger-Philosophieprofessor-Don Juan … Und er fühlte sich auch nicht wie ein Suffkopp, sondern zum Monstermöhrenausreißen fit. Er bildete sich ein, dass seine Sinne irgendwie schärfer waren als sonst. Er noch nie so gut ausgesehen hatte. Noch nie so klar hatte sehen können, obwohl er eigentlich gar nichts sah – außer der eigenen Visage im Spiegel, die zu nicht geringem Teil mit schäumender, tropfender Zahnpasta eingesaut war. Noch nie so gut geschlafen. Noch nie so tief eingeatmet. Noch nie so… irgendwie so ziemlich alles.
 

Es war amtlich: Er war wirklich bekloppt geworden. Und das war nicht mal schlimm. Wer würde das schon bemerken? Oder wen würde das stören? Jason? Nein, Jason war doch auch bekloppt. Aber total.
 

Lag das an dieser Überdosis Sex, die seine Hormone derart durcheinander tanzen ließ, dass er irgendwie dauereuphorisch war? Ach, das war doch egal, völlig egal, total Banane, absolut Mega-Wurst, völlig Möhre…. Er schwebte eine Handbreit über dem Acker, brodelte vor Energie und Tatendrang, es ging ihm gerade einfach abartig gut, basta. Auch wenn das der Flug vor dem Totalabsturz sein sollte – immerhin wäre er dann einmal geflogen.
 

Jetzt ging es erst mal an die Arbeit, schnöder Alltag im Tango-Rhythmus und dann, wenn der letzte Arbeiter Land gewonnen haben würde, dann wäre noch einiges in Jasons Prachtvilla zu erledigen, messen, grübeln, entwerfen, den stolzen Hauseigentümer herum scheuchen… dem weiter das Kochen beibringen… vielleicht noch eine Folge Muppet Show, aber das garantiert erst, wenn ihre Körper sich aneinander ausgetobt haben würden. Vorerst. Eigentlich müsste er total müde sein. War er aber nicht. Nach der ganzen Akrobatik schien er irgendwie besser schlafen zu können, kürzer, aber erholsamer. Und wenn er nachts dann doch mal aufwachte, dann roch es so gut und dann war da die Wärme des anderen Körpers, der sich erst in den Morgenstunden vor dem Auftauchen des ersten Angestellten wieder nach daheim verkrümelte. Jason hatte kein Wort darüber verloren, weder über sein Bleiben noch über sein Gehen, und das war ihm hoch anzurechnen.
 

Ragnar spuckte die Zahnpasta aus und gurgelte nach. Dann blickte er sich erneut im Spiegel an. Er mochte es sich in seinem Dusel nur einbilden, aber er fand, dass er gut aussah. Besser als sonst. Was hatte Jason gesagt? Er sähe besser aus, wenn er lächelte? Nun, jetzt lächelte er wie ein grenzdebiler Affe. Aber genaugenommen waren Menschen ja auch nichts anderes.
 

……………………..
 

„Ragnar!“ prustete Jason und schoss um die Ecke. Geistesgegenwärtig schaffte der andere noch einen Sprung zur Seite, ehe er ihn in seinem Feuereifer über den Haufen rannte.
 

„Himmel!“ keuchte Ragnar. „Wie ist dir denn? Hier gibt’s keine Designerhöschen for free – nur mich!“
 

Jason grinste und schnappte nach Luft. „Dich nehme ich auch herzlich gern – for free. Auch wenn du kein Logo hast. Nein, ganz im Ernst: gute Nachrichten!“ verkündete er frohgemut. Es war kurz nach Mittag, und er hielt sich brav daran, nur Ragnars „Kumpel“ und „Geschäftspartner“ zu sein – und nicht der Typ, der ihm heute Nacht eindrucksvoll demonstriert hatte, dass ein Mund nicht nur zum Reden da war. Aber sein siebter Sinn sagte ihm, dass Ragnar nun gewiss nicht der Sinn danach stand, vor versammelter Mannschaft zwangsgeoutet zu werden. War ja auch seine Sache. Jason persönlich war es ziemlich gleichgültig, was ein paar Landarbeiter von ihm hielten – aber Ragnar war deren Boss, da sollte der das eben halten, wie er wollte. Nicht sein Bier.
 

Ragnar stand neben seiner Scheune neben einer Fuhre Möhrenkisten, die irgendeine Spedition wohl gleich abholen sollte, um die Kinder groß, die Männer gesund und die Frauen dünn zu machen. Oder so ähnlich.
 

„Na, was denn?“ fragte Ragnar interessiert und strich sich eine seinem Zopfgummi entkommene Strähne hinter das Ohr.
 

Jason baute sich mit stolzgeschwellter Brust vor ihm auf und hielt ihm ein aus einer Zeitschrift ausgerissenes Bild vor die Nase. „Nicht was!“ erwiderte er. „Wer!“
 

Ragnar nahm ihm das Papier ab und musterte etwas irritiert das Bild. „Danny Thompson?“ fragte er immer noch recht verwundert.
 

Jason nickte eifrig. „Haargenau! Good old Danny! Sieht er nicht super aus?“
 

„Äh… ja…?“ nickte Ragnar ziemlich verhalten. „Und das sagst du mir, weil…?“
 

Jason grinste beglückt: „Weil er ja gesagt hat! Deshalb!“
 

Ragnar starrte ihn recht ungläubig an. „Jetzt komme ich nicht mehr mit“, gestand er. „Ja? Wozu? Willst du den heiraten oder was?“
 

„Ach, Mann!“ protestierte Jason und knuffte ihn fast mitleidig gegen die Schulter. „Blödmann! Heiraten… pfft! Nein! Was weißt du über Danny Thompson?“
 

„Äh“, grübelte Ragnar. „Ist so ein amerikanischer Schnulzensänger, oder? So einer, in dessen Konzerten Teenagermädels rumkreischen, und ihre Omis derweil ein feuchtes Höschen bekommen, während die Mama bereits unterm Kittel bestrapst am Bühneneingang lauert?“
 

„Man könnte fast meinen, du seist dabei gewesen“, ärgerte ihn Jason. „Aber das Leben ist fies und gemein. Dir kann ich’s ja sagen – dich fragt eh keiner, und es dürfte dir auch schnuppe sein: Die Ladys können sich da noch so ins Zeug legen, der liebe Danny hat andere Interessen.“
 

„Aha – und was ist mit der Blondine mit den dicken Möpsen da neben ihm?“ bohrte Ragnar und nahm das Bild wieder in Augenschein.
 

„Ach, das ist Fiffy. Sie ist eine von diesen Frauen, die eigentlich nichts können außer sich zu stylen, aber dafür berühmt sind – und sich an diese Berühmtheit mit der Zähigkeit eines arktischen Pilzes krallen. Das ist ein Deal. Steht wahrscheinlich sogar in ihrem Vertrag, wann sie sich mit viel Rambazamba wieder öffentlichkeitstauglich trennen, nachdem sie einen auf große Liebe gemacht haben. Eigentlich unnötig – wenn nicht böse Zungen immer wieder behaupten würden, Danny sei schwul… Ist er auch nicht… kein Stück… der ist nur aus Versehen immer wieder so doof ausgerutscht, dass er auf meinem Schwanz gelandet ist, dieser Tollpatsch…“, spottete Jason.
 

„Du hattest was mit dem?!“ fragte Ragnar entgeistert.
 

„Wie man‘s nimmt. Ich habe ihn ab und an gefickt. Und die Schnauze gehalten darüber. Habe ihm sogar seinen letzten Deal vermittelt. Diese Castingshow-Moderatorin, Paula Medora – totale Lesbe, aber das passte auch nicht ins Image – na ja. Auf jeden Fall habe ich noch was gut bei ihm“, erklärte Jason. „Ich hatte ihn heute Morgen an der Strippe – und er wird brav Rübenfürst saufen. Dann, wenn die Kameras klicken. Völlig gratis und umsonst. Eine bessere – und günstigere – Publicity können wir uns echt nicht wünschen! Okay, Danny wollte natürlich schon wissen, was es mit der Sache auf sich hat, da musste ich ein bisschen mit der Sprache rausrücken. Aber auf Danny ist Verlass. Eine Hand wäscht da die andere. Das wird super!“ strahlte er.
 

„Juhu“, erwiderte Ragnar etwas weniger enthusiastisch als erwartet und schielte noch mal auf das Bild, bevor er es an Jason zurückgab. Der Kerl sah echt ziemlich gut aus. Vom Modell her etwas wie Jason, als er hier ankam, auch so super gestylt mit gebleachten Zähnen und perfekt geschnittenem Haar und einem Dauergrinsen im Gesicht. Anders als Jason war er blond und blauäugig, aber das ging fast unter unter der Fassade.
 

„Okay, Partner, dein Einsatz ist gefragt – Danny lässt nächstes Wochenende eine Sause in Paris steigen. Mit Presse. Und einer Kiste Rübenfürst. Das Zeug muss bis dahin stilecht dorthin geliefert werden. Irgendwelche Ideen?“ bat Jason, immer noch ziemlich aufgeregt.
 

Ragnar seufzte. „Sicher. Suchen wir eine passende Spedition. Keine Sorge, dein Schnulzengott-Ex-Stecher bekommt das Zeug termingerecht.“
 

Jason rümpfte nur die Nase und lachte leise: „Der hat gar nichts bei mir gestochen. Passiv wie nur was. Ist ja auch egal. Hauptsache er trinkt jetzt den Rübenfürsten!“
 

„Ja, ein Hoch auf Danny Thompson“, erwidere Ragnar schwach.
 

……………….
 

Ragnar spähte neben sich auf die Matratze. Jason schlief tief und fest, die langen Gliedmaßen entspannt ausgebreitet, und lächelte noch immer beglückt. Irgendetwas in Ragnar konnte es nicht recht fassen. Danny Thompson? Jason war mit diesem Superstar im Bett gewesen? Der Typ, den Frauen – und höchstwahrscheinlich auch nicht wenige Männer – aus aller Welt anheulten wie die Werwölfe den Mond? Und Jason hatte den gefickt? Und briet sich mehr oder weniger ein Ei darauf?
 

Ihm war ja klar gewesen, dass Jason sich unter den Reichen und Schönen herumgetrieben hatte – aber so konkret hatte er es dann doch nicht vor Augen gehabt. Danny Thompson! Er selbst war ja auch nicht blind, der Kerl sah schon wirklich oberklasse aus, auch wenn er von solcher Musik Weinkrämpfe bekam – und das nicht vor Rührung. Und jetzt lag Jason hier. Neben ihm. In seinem Haus, in seinem Bett, die Fingerspitzen an seinem Oberarm. Statt Super-Danny fickte er jetzt Rüben-Ragnar. Und er wirkte nicht so, als würde ihn das sonderlich betrüben. Aber so war Jason eben, machte immer das Beste draus, wenn kein Danny in Reichweite war, dann …
 

Ragnar verpasste sich innerlich einen Tritt. Der Weg, den seine Gedanken da beschritten, gefiel ihm nicht. Vor allen Dingen: es stimmte nicht. Nicht, was dahinter zu lauern schien. Er war nicht Danny Thompson. Und das war keinesfalls schlecht. Er wusste nicht, was es war, aber in Jasons verrücktem Kopf rangierte er nicht unter Danny Thompson. Auch nicht auf gleicher Augenhöhe. Sondern darüber. Irgendetwas in ihm war sich dessen ganz sicher. Jason war nicht weniger voran gestolpert als er. Irgendwohin. Gemeinsam. Das war wirklich nicht nur Ficken. Was auch immer. Aber der Jason, der da gerade neben ihm lag, das war nicht der Danny Thompson-Jason. Das war einfach nur Jason. Und davon durfte dieser Frauenbelüger von Danny nicht mal träumen.

Blödsinn for Beginners

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Blödsinn für Fortgeschrittene

XXV. Blödsinn für Fortgeschrittene
 

Erschöpft fiel Ragnar ins Bett. Soviel zum Thema Blödsinn. Er war echt wahnsinnig geworden! Ein bisschen … aber mehr als genug! Heute hatte er definitiv seine Blödsinns-Jungfräulichkeit verloren an einen Blödsinns-Casanova. Jetzt war er kein Blödsinns-Anfänger mehr, sondern bereits in der Liga für Fortgeschrittene dank dieses Meisters.
 

Sie hatten Rübenfürst gesoffen, der mittlerweile sogar wieder geschmeckt hatte. Jason hatte darauf bestanden, schließlich war das der Gegenstand ihrer Feierlaune. Rübenfürst in Cola, wie pervers, aber das war ab irgendeinem Zeitpunkt auch egal gewesen. Wahrscheinlich um ein Uhr mittags herum. Im Park von Schloss Wilhelmshöhe. Die Parkverwaltung hatte sie irgendwann erwischt und rausgeschmissen, aber nicht bevor Jason in einen der Barockbrunnen gesprungen war und gedroht hatte zu strippen. Und da war es schon egal gewesen. Er hatte sein Meerschweinchen ausgiebigst betrauert, Jason seinen bissigen Hamster. Sie hatten gelacht und gekichert über ihren Erfolg. Pläne geschmiedet. In ihren besoffenen Träumen gehörte der Schnapsmarkt weltweit bereits ihnen. Sie waren im Kino gewesen, aber hatten nichts vom Film mitbekommen, da sie in der letzten Reihe des völlig leeren Kinos – wer ging da bei diesem Wetter schon in die Nachmittagsvorstellung? – geknutscht hatten wie die … Blöden eben. Und danach fröhlich weiter gemacht. Mehr gesoffen, mehr geredet, mehr aneinander geklebt. Ein Typ im Bus hatte sie dumm angemacht, aber das war ihnen so etwas von scheißegal gewesen, dass sie ihn nicht mal richtig beachtet hatten in ihrem Dusel. Und dann …
 

Ragnar schielte an sich herunter. Nein, das war nicht der Suff. Das war wirklich da. Wirklich und wahrhaftig. Das hatte er Jason, diesem Wahnsinnigen, zu verdanken. Und sich selbst. Sich selbst beim Blödsinnmachen. Selbst schuld. Warum hatte er das überhaupt mitgemacht? Weil er besoffen gewesen war. Vom Rübenfürsten. Aber noch viel mehr von Jason.
 

„Ich muss kotzen!“ verkündete Jason galant, sprang aus dem Bett auf und polterte hinab gen Bad. Hoffentlich hatte er sich dabei nichts gebrochen. Ihm war auch ein wenig danach, sein Innerstes nach außen zu kehren – aber der Besuch hatte Vortritt. Von unten drangen höchst animierende Würgegeräusch hinauf. Ragnar konzentrierte sich, so gut es ging. Nie wieder Rübenfürst! Hatte er das nicht schon mal beschlossen? Menschen waren schnell vergessene Idioten. Und er war ein Mensch … Wäre aus taktischen Gründen wahrscheinlich besser, es Jason gleichzutun. Abwarten, das Bad war ja gerade besetzt … ganz ruhig …
 

Oh Himmel! Was hatte er da getan! Er zupfte und starrte hinab. Es war kein Totenkopf … kein fremdländischer Schriftzug, der für Glück oder Reichtum oder einen drei Meter langen Schwanz stand … sondern … sondern … oh Scheiße!!! Ragnar presste sich die Hände vors Gesicht. Irgendwie spielte die Welt verrückt. Er spielte verrückt. Ein Teil von ihm wollte sich in die Anstalt einweisen lassen. Ein anderer grinste konsequent weiter blöde und fühlte sich wie ein Schuljunge, der einen frechen Streich gespielt hatte. Aber er war nun einmal vom Alter her eher zwei Schuljungen … und als Schuljunge hätte er so etwas niemals getan!
 

„Du bist dran!“ keuchte Jason von unten verhalten.
 

Es war wohl besser, das Angebot anzunehmen.
 

…………………………….
 

Der Wecker piepte uneinsichtig.
 

Jason blinzelte. Er hatte es nicht rechtzeitig raus geschafft, sondern wie im Koma geschlafen. Aua.
 

„Oh Gott!“ krächzte Ragnar neben ihm. „Verdammte Kacke! Ich bin tot!“
 

„Tot sein tut nicht so weh – hoffe ich“, murmelte Jason. Ihm war flau und ein böser Zwerg hieb unverdrossen mit einem Holzhammer auf seine Schläfen ein.
 

„Scheiße … nicht mal das!“ ächzte Ragnar. „Kacke … die Rüben.“
 

„Überleben auch mal einen Tag ohne dich!“ schloss Jason. „Aber ich … ich muss raus … die Nachfragen … oh Scheiße …“
 

Ragnar wühlte sich halbherzig aus den Kissen und sah ihn ziemlich gerädert an. „Du armer, armer, armer Mensch!“ bedauerte er ihn. „So viel zum Thema Blödsinn!“
 

„Hat doch Spaß gebracht!“ protestierte Jason.
 

„Ja, sicher – aber jetzt nicht mehr. Ich bin zu alt für so eine Scheiße!“ grollte Ragnar.
 

„Quatsch. Dafür ist niemand zu alt!“ wies ihn Jason zurecht.
 

„Mein Kopf behauptet gerade anderes. Verzeih, aber: Scheiß-Rübenfürst! Und … Scheiße! Was haben wir getan!?“ regte sich Ragnar schwächlich auf.
 

Jason spähte an sich hinunter. „Oh, Kacke!“ stöhnte er. „Wessen Idee war das noch mal?“
 

„Deine!“ donnerte ihm Ragnar entgegen.
 

„Das Motiv war aber deine Idee!“ setzte sich Jason erinnernd zur Wehr und lugte unter das Pflaster. Dann konnte er nicht anders, als trotz des Katzenjammers zu lachen. „Oh Mann, Ragnar!“ stöhnte er. „Ich bezahl uns die Laser-Behandlung, sobald ich wieder bei Kasse bin. Versprochen!“ Dann prustete er erneut auf.
 

Ragnar krabbelte mit schmerzverzerrter Miene auf seine Unterarme. „Demzufolge halluziniere ich nicht? Das ist echt passiert?“
 

„Nicht passiert“, korrigierte ihn Jason sanft. „Wir haben Blödsinn gemacht. Aber richtig. Und es hat Spaß gemacht. Aber jetzt …“
 

„Haben wir beide ein beschissenes Mini-Möhren-Tattoo auf der Hüfte! Das Rübenfürst-Logo!“ schloss Ragnar und kippte wieder hintenüber. „Tut mir leid, aber das muss ich erst mal verdauen. Und dann sage ich den Arbeitern, dass sie heute ohne mich auskommen müssen, weil Herr Tannenberger krank danieder liegt. Das mit dem „hirnkrank“ unterschlage ich allerdings. Und dann kippe ich wieder in die Federn. Viel Spaß beim Marketing, aber auf mich darfst du heute verzichten. Das muss ich wirklich erst mal verkraften. Oh Schande … wo bin ich hier bloß rein geraten?!“
 

Jason rollte sich so gut es ging zur Seite. Auch sein Schädel schmerzte, auch er hätte bei helllichtem Tage gut auf die dämliche Hautzier verzichten können. Aber … getan war eben getan. Und der Tag an sich, mit diesem lachenden, spielenden, der Freude nachgebenden Ragnar war einfach wundervoll gewesen. Dieses fette Tier in seiner Brust schnurrte trotz des Dusels und des Kopfschmerzes unverdrossen weiter. „In mich … so manches Mal“, klärte er ihn auf. „Und … Ragnar“, sagte er zögernd und strich dem etwas gequält Blickendem eine seiner Strähnen aus dem Gesicht. „Ich bereue es nicht. Kein Stück. Auch wenn in meinem Hirn gerade eine Axt steckt – ich fühle mich gut. Weil du Ragnar bist … du dämlicher, spaßbefreiter Idiot … aber du kannst es doch … du kannst es … und auch wenn du schmollen magst wegen der Möhre … das ist doch … irgendwie … witzig …“
 

„Deinen Humor möchte ich haben!“ schnappte Ragnar, obwohl sein sich der Berührung entgegen streckender Körper verriet. Keine Lust, dazu waren sie beide zu lädiert, aber …
 

„Hast du doch“, flüsterte Jason und streichelte ihn, die Geste intuitiv begreifend. „Manchmal. Manchmal bist du genauso blöd wie ich.“
 

………………………………………………………..
 

Jason schnaufte. Es lief … es lief … es kamen Bestellungen rein. Mehr, als er bedienen konnte, aber das war gut. Mangel machte den Rübenfürsten nur umso begehrenswerter. Und er pokerte hoch und gewann trotz Brummschädels. Der Rübenfürst war gefälligst etwas Besonderes! Dank der Positionierung konnte er frech werden – und kam damit durch. Wenn die wüssten, dass er nicht aus einem chromblitzenden Büro zu ihnen sprach, sondern aus seiner kärglich möblierten, von Baustaub bedeckten Hinterwäldlerküche, in der es nicht mal einen Tisch gab, sondern lediglich eine Möhrenkiste und ein Ebay-Telefon zweifelhafter Machart. Wussten sie aber nicht. Danny hatte ihm wirklich einen Riesengefallen getan. Dafür verdiente er mindestens einen Fick der Extraklasse. Sobald er hier weg sein würde und wieder da, wo er hingehörte. Zu Danny und anderen Dannys – nicht hier.
 

Aber ein Gedanke tippelte uneingeladen in seinen strapazierten Schädel: Und was war mit Ragnar? Ragnar war nicht Danny. Und erst recht nicht einer der Dannys. Ragnar war … Ragnar. Der irgendwie leicht nach Pfeffer schmeckte. Aber er selbst gehörte hier nicht hin! Er war kein Bauer, nicht wirklich. Aber egal, solange er hier war … Aber Ragnar … Ragnar würde immer hier sein. Sein warmer Körper, seine voll Lebenslust glitzernden Augen, sein trockener Humor und sein dämliches Pferdeschwänzchen, das eine wilde Haarfülle bändigte … und hier gehörte Ragnar hin. Aber … wenn er ihn so ansah … selbst bockig und verkatert … da schnurrte es in ihm und schnurrte und schnurrte und wollte lachen und berühren und reden und trösten und in Ragnars erlahmte Seele Leben bringen.
 

Jason schloss die Augen. ‚Pfefferkorn‘, dachte er. Die Illusion des Pfefferkorns. Es konnte nicht sein … nicht wirklich … dazu musste man sich doch viel besser kennen? Aber dennoch … es schmeckte ein bisschen so … sein Hirn hatte wohl einen Kurzschluss erlitten, denn es behauptete gegen den Restalkohol, gegen jedes besseres Wissen: Herzlich Willkommen im Idioten-Land – du bist verknallt. In diesen verkorksten Idioten. Glückwunsch, mein Lieber, da schaust du, was? Tja, da bringen dich deine Theorien wohl nicht ernsthaft weiter. Du hast es drauf ankommen lassen – und da hast du den Salat. Kein Pfefferkorn, aber Hormonausschüttung vom Feinsten, die dir das einreden will.
 

Oder?
 

Hatte Ragnar wohl doch recht gehabt mit seinem Distanz-Gesabbel. Aber egal, jetzt war der Drops gelutscht.
 

Das war nun in seiner Lebensplanung so irgendwie gar nicht vorgesehen. Erst recht nicht hier. Und irgendwie hatte er ja auch gar keine Planung. Wozu auch, wenn es einem doch meist ausgesprochen gut gegangen war? Aber er hatte noch nie wirklich mit seinem Schicksal gehadert. Selbst nicht mit dieser Sache hier, die seine Eltern ihm aufs Auge gedrückt hatten. Er kannte den Grund. Nicht Bösartigkeit, sondern Hoffnung und Vertrauen in ihn, wenn auch auf eine merkwürdige Art. Sie waren keine Despoten, ansonsten wäre er wohl auch kaum der, der er jetzt war. Und er liebte sie auch. Seine Eltern. Momentan war vereinbarte Funkstille. Noch. Sie hatten versprochen, sich zu melden. Und das würden sie auch. Beizeiten. Aber mit Gewissheit. Weihnachten bestimmt nicht ohne sie, nie ohne sie.
 

Und er … sein Inneres wusste es. Und er war nicht so verblendet oder zu verbohrt, um es nicht begreifen zu können. Er hatte sich verliebt. War ja nicht so, als ob er das Gefühl nicht kennen würde. Als er eine Junge gewesen war, ein ganz junger Mann … da hatte es das gegeben. Hatte zu nichts geführt. War nur die Illusion eines Heranwachsenden gewesen, der die Welt noch nicht gekannt hatte. Und die Welt hatte jenseits dessen so viel zu bieten gehabt: so viel Amüsement, so viel Ablenkung, da war es leicht gewesen, diesem lauernden Schwachsinn auszuweichen. Aber hier war nichts mit ausweichen, das hatte er selbst so gedreht. Und es amüsierte auch, lenkte auch ab, aber … Sein Herz krampfte dennoch wie das eines Sechzehnjährigen ohne Plan, wenn er an Ragnar dachte. Aber jetzt hatte er einen Plan! Wie konnte er dennoch …?
 

Wie auch immer. Jetzt war es so. Die Modalitäten hatten sich geändert. Rückwärts ging es nie im Leben, sondern immer nur voran, auch wenn man nie wissen konnte, wohin die Reise ging. Mal sehen. Aber gekniffen wurde nicht. Dazu fühlte es sich auch viel zu abartig gut an.
 

…………………………………
 

Ragnar starrte fassungslos in das Gesicht des Anderen. Dunkelblaue Augen sahen ihn ruhig ohne einen Anflug von Schalk an. Es war Montagabend, sie hatten sich seit ihres verkaterten Abschiedes nicht gesehen. Das war nur ein paar Stunden her, aber für ihre Verhältnisse in letzter Zeit ziemlich lang.
 

Er hatte sich erholt und sich dann gebeutelt ein wenig an die Buchführung gemacht, während seine Gedanken um ihren letzten Exzess und um das dusselige Bildchen an seiner Hüfte gekreist waren, das immer noch ziemlich wund brannte. Und um dieses Gefühl …
 

Und jetzt stand Jason vor ihm und hatte es einfach kaltschnäuzig ausgesprochen. Und er hatte verflucht Recht. Und er wusste es, er wusste es, er wusste es einfach! Jason hatte Recht. Es stimmte. Kein Zweifel möglich.
 

Das, was Jason ihm da gerade gesagt hatte, das traf auch auf ihn zu. Dieses Unvernünftige, diese Betörte, dieses Verlangen, dieses Haben-wollen, diese Geben-wollen, dieses zum Himmel schreiende Glück, diese Sehnsucht, diese Leichtigkeit, diese …
 

Er war sich sicher, dass sein Mund gerade vor Fassungslosigkeit aufstand wie das Scheunentor zur Erntezeit.
 

„Was sagst du?“ fragte Jason leise, aber dennoch nicht so wie ein Mann, der sich auf eine Abfuhr gefasst machte. Und das musste er auch nicht.
 

„Jason“, brachte er nur heraus und starrte ihn zwinkernd an. „Was hast du mit mir angestellt?“
 

Jason lächelte nur auf diese Art und Weise, die ihn völlig fertig machte. „Dir Spaß gebracht?“ flüsterte er.
 

„Ja, das hast du“, gestand Ragnar und seufzte.
 

„Aber?“ bohrte Jason und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
 

„Ich weiß nicht!“ stammelte Ragnar etwas gelähmt. „Ich weiß es nicht. Aber … aber … oh Gott, Jason …?“
 

„Hast du Schiss?“ bohrte Jason, ohne sich zu regen, ihn einfach weiter anblickend.
 

Ragnar schluckte. „Nein“, murmelte er. „Und ja.“
 

„Wovor?“ wollte Jason wissen.
 

„Ich … ich weiß es nicht“, gestand Ragnar.
 

„Geht mir ähnlich. Ist doch auch egal! Sag es trotzdem!“ forderte Jason unverdrossen. „Sag es! Und glaube nicht, du könntest mir etwas vormachen. Wenn ich mich mit einem auskenne, dann mit Lügnern.“
 

„Ich …“, würgte Ragnar hervor. Warum war das nur so schwer? Warum fiel ihm das nur so schwer, wenn alles in ihm sich so leicht anfühlte? Jason hatte es gesagt. Einfach so. Aber er war nicht Jason. „Ich …“, brabbelte er. „Du bist so … ich …“
 

„Ja?“ fragte Jason geduldig, dass Ragnar sich fragte, wer hier eigentlich der Kindskopf war. Jason hatte hier Schneid bewiesen. Das konnte er doch auch? „Ich … mag dich auch …“
 

Jason schnaubte nur amüsiert und ließ nicht locker, stattdessen flocht er seine Arme um Ragnars Rücken und zog ihn an sich, ihn direkt ansehend bis ihre Nasen sich berührten. „Netter Versuch“, meinte er. „Weiter!“
 

„Ich weiß nicht! Ich fühle mich plötzlich wieder wie ein Teenager mit dir!“ platzte es aus Ragnar heraus. „So leicht … alles scheint möglich, total verrückt … so …“
 

Jasons Nase stupste gegen seine. „Du bist schließlich kein Greis“, meinte er. „Ein Greis würde mich wohl kaum im Bett so fertig machen. Du hast gehört, was ich gesagt habe. Jetzt und hier ist es so. Für mich. Und für dich?“
 

„Ja …“, hörte Ragnar sich stammeln. „Aber … du wirst gehen. Früher oder später. Du willst hier nicht sein. Verstehe ich. Aber hier und jetzt, da ist es wirklich egal, oder? In diesem Augenblick … da fühle ich es auch. Und das ist so dumm, denn ich will das doch eigentlich gar nicht! Aber … aber … ich fühle … das … dieses Ding … noch mehr Blödsinn. Aber gerade, Jason, du wirrer Idiot, da ist mir auch irgendwie dezent nach Pfeffer.“
 

Jasons lange Arme schlossen sich um ihn und wiegten ihn sanft, während er sich merkwürdig benommen fühlte. „Ist wirklich egal“, flüsterte er. „Niemand weiß, was Morgen ist. Es gibt nur das Jetzt. Morgen schon könnte uns ein Blumenkasten auf den Schädel knallen. Oder vielmehr das Dach von meinem Haus, das ist definitiv wahrscheinlicher. Und das hier ist gerade so gut! Weißt du, ich habe ein fettes, kleines Tier in meiner Brust, das immer wieder schnurrt: Ragnar … Ragnar … Ragnar … Das ist das Leben. Wir leben nicht gestern. Nicht übermorgen. Sondern hier. Und hier, da halluziniere ich ein wenig von Pfefferkörnern … bin ich wohl doch nicht immun gegen, verdammt.“
 

Ragnar hob den Kopf. Winzige regenbogenfarbende Löwen in seinen Körper brüllten irrsinnig vor Glück. Beknackte Viecher. Er verstand sich selbst gar nicht mehr. „Ich anscheinend auch nicht. Und was jetzt?“ fragte er ratlos.
 

„Gar nichts. Einfach nur sein. Okay?“ schlug Jason vor, die Hände um seinen Nacken, lächelnd.
 

„Okay“, erwiderte Ragnar planlos und schlang die Arme um den Anderen, grub seine Nase in dessen Nacken und ließ es einfach nur zu. Einfach nur sein. Nicht Nachbar, nicht Kumpel, nicht Geschäftspartner - sondern Geliebter. Und: Jason hatte es zuerst gesagt! Aber das machte ihn fast noch wahnsinniger. Er war wohl wirklich verknallt in ihn, diesen duftende, energiegeladenen Blödmann. Warum auch immer.
 

Aber es war wieder da.
 

Seit langer, langer Zeit.

Hier und Jetzt

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Weihnachtsdämmerung

XXVII. Weihnachtsdämmerung
 

Der Rübenfürst lief glänzend. Dank dieses – verfickten – Danny Thompson. Ragnar verzog keine Miene. Der Typ half ihnen auf durchaus großzügige Art. Er musste das nicht tun. Dennoch - zur Hölle mit dem Kerl! Weg … weg … von Jason … seiner sanften Haut, seinen harten Muskeln, seinen leidenschaftlichem Lippen, seinem lustvollem Körper … weg da, weg, du verlogener Schnulzengott von meinem Jason …
 

Er kniff die Lippen zusammen. Er war so scheiß eifersüchtig – und er hatte weder Grund noch Rechtfertigung dafür. Der Typ war nicht hier. Und sie hatten sich rein gar nichts versprochen. Jasons Vergangenheit ging ihn nichts an genauso wie Jason seine. Er war nun auch kein Asket gewesen. Aber Jason ständige Loblieder auf Danny gingen ihm trotzdem gehörig auf den Zeiger.
 

Aber das hier war so schon verblüffend anders. Das hier war Sex mit Liebe oder eben diesem merkwürdigen, völlig irrationalen Gewürz. Ob es nur Pfeffer war oder nur Paprika und irgend so etwas Unaussprechliches aus dem Asia-Shop. Und er wollte einfach nicht, dass dieser dämliche Danny jemals wieder auch nur einen Hauch von dem bekam, das er von Jason bekam. Hatte er das schon? Oder niemals? Das war einmal. Sein Jason, seiner, sein Nachbar, sein Rübenfürst, sein wunderschöner, quirliger, dummer, kluger Jason … seine volle, hohle Nuss …
 

Noch nie in seinem Leben war er so verrückt nach einem Mann gewesen. Niemals. Der September zog ins Land, der November … und sie waren immer noch sie … völlig irre nacheinander. Der Trecker war für knapp 15.000 Euro weggegangen, aber auch der Rübenfürst brachte langsam Profit. Jason dachte über eine professionelle Werbekampagne und eine weitere Expansion im Fertigungsbereich nach … in seine Arme gekuschelt, so strahlend aus seinen warmen, dunkelblauen Augen in die Welt schauend. Sein Haus war immer noch rott, aber hier war es warm, so warm … und inzwischen war es auch egal … die Arbeiter wussten es, aber die Bezahlung war besser als etwaige Vorurteile, keiner wagte krumme Touren, und wenn doch – Tschüss. Er war der Boss hier. Und er hatte die Arme um den seiner bescheidenen Meinung nach schönsten Mann auf Erden geschlungen, der zufrieden irgendwelche Verkaufsstatistiken vor sich hin brummte.
 

„Das wird schon!“, murmelte er das, was Jason hören wollte. Es war irgendwie unglaublich, wie vertraut das klang. Oder auch unheimlich.
 

Jason kuschelte sich an ihn und murmelte schläfrig. „Klar. Die Sache läuft. Wird schon … wird schon … Spätestens bis Weihnachten sollte es richtig gut aussehen …“
 

„Sonst verhaut dich der Weihnachtsmann?“, rätselte Ragnar.
 

„Eventuell. Also wenn du dir so eine Mütze und einen roten Lackstring anziehen solltest, darfst du mich auch gerne ein bisschen verhauen. Ich bin sonst eigentlich nicht der absolute Fan von so etwas, aber das wäre es mir wert“, grinste Jason.
 

Ragnar schielte demonstrativ in Richtung von Jasons Hintern. „Ich denke darüber nach. Manchmal kannst du nämlich ganz schön nervig sein, da könnte ich doch in Versuchung kommen“, stellte er nicht ganz ernst gemeint in Aussicht.
 

„Ich habe eh noch einen bei dir gut wegen der Badehose. Glaube ja nicht, das hätte ich vergessen“, erinnerte ihn Jason. Das war auch nicht zu hoffen gewesen. „Aber ehrlich gesagt ist es nicht der Weihnachtsmann, den ich Ende Dezember hier erwarte – weder den echten noch den in der Ragnar-Version – sondern vielmehr diejenigen, die in Wirklichkeit Zeit meines Lebens die Geschenke unter den Baum geräumt haben.“
 

Ragnar wurde hellhörig. „Deine Eltern kommen vorbei?“, fragte er.
 

Jason seufzte. „So ist es“, bestätigte er. „Einerseits freue ich mich schon, sie zu sehen – andererseits geht mir da auch ein bisschen der Arsch auf Grundeis. Wir hatten Funkstille vereinbart – oder sie wurde mir verdonnert, um ehrlich zu sein, damit ich das erst einmal ganz alleine in Angriff nehme, damit klar komme und so. Mich einfinde. Auf eigenen Beinen stehe. Blablub. Aber wir feiern jedes Jahr Weihnachten zusammen, und da ich hier ja nicht weg darf, werden sie kommen. Weiß der Geier, wie das gehen soll! Ich meine - soll ich ihnen ein Thermozelt kaufen? Denn ich habe irgendwie nicht das Gefühl, dass meinem Haus bis dahin Attribute wie ein dichtes Dach, eine Heizung und ein nutzbares Obergeschoss aufweisen wird. Wir haben echt viel geschafft. Aber selbst, wenn ich von dem, was bisher reingekommen ist, was abknapse, was in Hinsicht auf die Geschäftsentwicklung eine blöde Idee wäre, wird das nie im Leben was bis dahin.“
 

„Hey, das können sie doch auch nicht erwarten, oder? Bis Ende deines Jahres hast du Zeit, den Laden in Schuss zu bringen, jetzt ist nicht mal Halbzeit. Im Ort ist eine kleine Pension, kostet nicht viel, ist ja auch nicht die Strandpromenade von Cannes, bring sie doch da unter. Oder ist das unter ihrer Würde?“, fragte Ragnar und machte sich daran, Jasons zerzauste Strähnen zu sortieren.
 

„Nein, sie sind zwar steinreich, aber das können sie ab. Ich kann das hier schließlich auch ab. Mit dem Haus und so meine ich, nicht das Haarekraulen. Das kann ich mehr als nur ab. Gute Idee, ich rufe da Morgen gleich mal an, um zu reservieren. Und dann … oh weh … bewirten … Geschenke … Baum … oh weia …“, grübelte Jason.
 

„Ihr feiert so traditionell?“, wollte Ragnar wissen.
 

Jason nickte. „Familienweihnachten eben. Inklusive Kirchgang, ganz bigott nur Weihnachten, aber na ja. Gans … Baumschmuck … oh, oh … und wo zum Geier …?“
 

„Na ja, das Wohnzimmer kriegen wir bis dahin wieder halbwegs flott. Wenn wir es abriegeln, dürfte der Kamin genug heizen, dass das geht“, meinte Ragnar.
 

„Ja … aber ich habe weder Tisch noch Stühle … auf geht’s zu Ikea … und wo kriege ich so einen Vogel her? Partyservice? Mmm …“, biss sich Jason fest. „Blöd … haben wir früher immer selbst gemacht. Ein Mal im Jahr mit vereinten Kräften, die Köchin hatte frei. Gott sei Dank ist mein Vater da halbwegs tauglich, meine Mutter und ich waren da immer ziemlich unfähig. Aber dank dir bin ich ja besser geworden. Doch gleich eine Gans …“
 

„Ach, so schwer ist das nicht. Kriegst du schon hin. Das haben schon ganz andere hinbekommen. Und notfalls … helfe ich dir ein bisschen, okay?“, bot Ragnar an.
 

Jasons Augen gewannen Fokus und richteten sich hinauf zu ihm. „Was ist überhaupt mit dir?“, fragte er. „Was machst du Weihnachten?“
 

Ragnar zuckte nur mit den Schultern. „Was soll ich schon machen? Mit der Religion hab ich’s nicht so, und meine Familie ist tot. Ich besauf mich und schau fern? Oder sehe fern und besauf mich? Aber nicht mit Rübenfürst … Mal sehen.“
 

Jason ruckelte sich herum und musterte ihn weiterhin prüfend. „Das ist aber Scheiße“, konstatierte er.
 

„Ist nicht gerade Silvester in Disney-World, aber ist schon okay“, wehrte Ragnar ab.
 

„Nein!“, erwiderte Jason stur und setzte sich auf. „Das ist wirklich Scheiße! Kommt nicht in Frage!“
 

„Was?“ fragte Ragnar amüsiert. „Und wie soll das gehen? Schreibst du einen Brief an den Weihnachtsmann und der holt mich dann ab und feiert mit mir im Zuckerwatteland?“
 

Jason knufft ihn in die Seite. „Nicht doch, du Quatschbirne. Ich lade dich ein. Du hockst hier nicht allein saufend rum, vergiss es!“
 

„Jason, ich bin nicht drei! Und auf eurer Familienweihnacht habe ich nun wirklich nichts verloren!“, protestierte er.
 

„Pfft, wer da was verloren hat, das entscheide ja wohl ich. Ich bin schließlich der Gastgeber. Und du bietest mir obendrein noch deine Hilfe an. Ohne dich wäre hier sowieso ziemlich Ebbe. Und außerdem würdest du mir Weihnachten versauen, wenn du dich querstellst!“, behauptete er erhobenen Hauptes.
 

„Das ist Erpressung! Das ist echt nett gemeint, Jason, wirklich, danke, aber was soll ich denn da mit deinen Eltern?“, wand sich Ragnar.
 

„Du bist mein Geschäftspartner, mein Nachbar und mein Pfefferfussel. Das langt ja wohl. Und keine Angst, sie beißen nicht“, blieb Jason hart.
 

Jetzt setzte sich auch Ragnar auf. „Was? Du willst mich deinen Eltern vorstellen?!“, fragte er etwas entgeistert. Das war ihm in seinem ganzen Leben nicht untergekommen.
 

Jason legte kurz den Kopf schräg, erlaubte sich den Luxus drei Sekunden des Nachdenkens, dann sagte er: „Ja, warum nicht? Ist ja nichts Hochoffizielles, keine Panik! Aber ich feiere garantiert nicht freudig mit meinen Eltern, während du hier nebenan einsam und allein rumhockst! Mir egal, ob du da rum zickst! Du kommst gefälligst! Basta!“
 

„Nein, Jason, ich…“, wehrte sich Ragnar.
 

„Nein!“ fuhr ihn Jason an. Seine Augen blitzten wild entschlossen.
 

„Aber…“
 

„Nein!“
 

„Jetzt hör doch mal…“
 

Jason legte sich die Hände auf die Ohren, streckte ihm die Zunge raus und meinte: „Ich denke gar nicht dran! Notfalls renne ich bis Weihnachten so rum! Nein! Nein! Nein!“
 

„Das ist Kindergartenniveau!“, protestierte Ragnar, musste aber irgendwie doch lachen.
 

„Mir egal!“, schmollte Jason falsch und grinste.
 

„Du hörst mich ja doch!“, überführte ihn Ragnar.
 

„Ich kann Lippenlesen“, kommentierte Jason eiskalt. „Aber ich lese nur das, was mir passt, beim Rest beharre ich auf Taubheit. Kommst du Weihnachten?“
 

„Jason …“
 

„Kommst! Du! Weihnachten!“
 

„Also wirklich …“
 

„Bittebittebitte … sonst bin ich ganz dolle traurig … und versaue die Gans …“, wechselte Jason rotzfrech die Strategie.
 

„Du setzt doch echt immer deinen Kopf durch, du …“, verzweifelte Ragnar.
 

Jason nickte selbstzufrieden und senkte wieder die Hände. „Komm schon, Ragnar“, meinte er plötzlich sehr sanft. „Ich weiß, dass das etwas gruselig klingt – aber so sind sie nicht! Sie sind okay, und sie haben garantiert gar nichts gegen deine Anwesenheit. Sie kommen schließlich auch, um zu sehen, wie ich hier lebe. Du störst absolut nicht. Wenn du kommst. Wenn du weg bleibst und hier Trübsal bläst, dann störst du. Aber total. Dann verbrenne ich die Gans zu einem Brikett, fackel den Weihnachtsbaum ab und flehe besoffen meine Eltern um ein paar Prada-Latschen an! Willst du das? Sag schon: Willst du das? Willst du mit dieser Schuld leben? Und weswegen? Weil du Frust schieben willst? Nein, nein, nein! Nix da! Es wird nicht gefrustet! Du kannst mit deiner Familie nicht zusammen sein, und irgendwie hast du es geschafft genauso wenige echte Freunde zu haben wie ich. Aber wir beide … wir sind doch Freunde? Oder so? Sonst würde es mich wohl auch nicht so stören, dass du diese Scheiß-Weihnacht vor Augen hast! Da bin ich Spießer, aber total! Der Geist der künftigen Weihnacht bekommt dich nicht in die Finger – nicht dass ich dir Geiz unterstellen würde. Und dann ist da auch noch diese Pfeffer-Sache … Kein Weihnachten ohne Ragnar! Übrigens: Ich würde mich sehr über ein paar Armani-Socken freuen! Ein paar Calvin Klein Unterhosen wären auch super, die gibt es selbst im Dreierpack … ein paar Eierwärmer wären auch toll, denn wenn du mal weg bist, wer wärmt mir dann die Eier …?“
 

„Du … Idiot“, erwiderte Ragnar kopfschüttelnd. „Du wirst keine Ruhe geben deswegen, nicht wahr?“
 

„No way“, bestätigte Jason freudig.
 

Ragnar seufzte. Das war schon echt ziemlich gruselig. Aber das … statt alleine rumzuhängen … so scharf war er da nun wirklich auch nicht drauf … aber Jasons Eltern … aber Weihnachten … aber Jason würde nicht aufhören zu nerven … aber was sollte er da … aber …
 

„Okay, das wäre dann ja geklärt“, beschloss Jason, dass Ragnar sich beinahe verschluckte. „Das kriegen wir schon gewuppt. Nächstes Problem: Ich muss echt mal zum Friseur, sonst laufen wir hier demnächst im Partnerlook rum und zanken uns um die Zopfgummis. Das muss echt nicht sein.“
 

„Öh, wenn du meinst. Ich mag deine Haare ja. Mal sehen was „Ritas Haarsalon“ daraus macht. Vielleicht sollte ich vorher ein Foto schießen, damit ich dich so in Erinnerung behalte“, zog er ihn auf.
 

„Ha ha“, grummelte Jason. „Ritas Haarsalon … nicht gerade Udo Walz … aber wahrscheinlich etwas preisgünstiger. Ich will ja auch nichts Großartiges, nur Spitzen schneiden und so …“
 

„Wenn’s nur das ist, das kriege ich auch noch hin“, meinte Ragnar.
 

Jason sah ihn verdutzt an wie jemand, der gerade erst auf den Gedanken kam, dass man so etwas durchaus auch daheim erledigen konnte. Ragnar sah zu, seine zuckenden Mundwinkel unter Kontrolle zu behalten.
 

„Ich war in meinem ganzen Leben noch nie beim Friseur. Zeit- und Geldverschwendung“, verkündete er.
 

„Das erklärt einiges“, folgerte Jason. „Aber ich mag deinen Pferdeschwanz. Da wäre so manches Pferd drauf neidisch, garantiert. Länger … nee … aber so ist das schon gut. Das schnippelst du selbst?“
 

Ragnar nickte. „Ja, mit ein bisschen Übung geht das. Immer maximal auf Schulterlänge mit zwei Spiegeln. Deine Schneewittchen-Frisur kriege ich auch hin, vielleicht nicht wie Udo Walz – wer zum Geier ist das? – aber du wirst dir keinen Sack über den Kopf ziehen müssen. Also, was ist?“
 

Jason schien das kurz mit sich durchzudiskutieren, dann sagte er, wenn auch etwas zögerlich: „Okay. Einen Versuch ist es wert. Auch wenn es schiefgehen sollte, hier sieht mich ja niemand. Aber dein Zopf sieht ja auch gerade aus … Passt schon … Okay … Okay … Dann mach mal.“
 

„Was – jetzt?“, wunderte sich Ragnar, als Jason resolut auf die Beine kam.
 

„Warum nicht? Oder hast du noch eine dringende Verabredung mit den Möhren? Los, Friseurmeister Tannenberger, ich lege mein Schicksal in Ihre Hände!“, bot Jason sich an.
 

„Na gut, du bekloppter Springfrosch. Aber halt brav still – und die Klappe, ich muss mich konzentrieren“, empfahl Ragnar.
 

……………………………
 

Es wäre witzig, wenn es nicht so … intim wäre.
 

Jason saß artig auf einem Stuhl, der auf einer Rübenkiste stand, rundum mit einer alten Decke verhüllt und hielt eisern still. Er selbst schnippelte. Ein wenig tat es ihm leid. Diese schönen, schwarzen Haare … aber er machte ja auch keinen Kahlschlag. Trotzdem schade drum, aber wenn Jason sich so wohler fühlte, bitteschön.
 

Er musterte kritisch sein Werk, korrigierte, dann drückte er Jason einen Kuss auf den Scheitel.
 

„Fertig“, verkündete er.
 

Jason linste zu ihm hinauf, lächelte, schüttelte sich, dann sprang er, die Decke von sich werfend, auf und raste zum Spiegel. Beäugte sich kritisch. „Nicht übel“, sagte er schließlich.
 

„Und ganz umsonst“, ergänzte Ragnar und betrachtete die schwarzen Haarbüschel, die nun seinen Wohnzimmerboden zierten. Ohne nachzudenken bückte er sich und schnappte sich eine besonders schöne Strähne. Die war echt zu schade für den Staubsauger. Verstohlen löste er sein Zopfgummi, schlang es darum und verstaute seine Beute in der Hosentasche. Warum auch immer.
 

Jason kam beglückt strahlend wieder aus dem Badezimmer stolziert, sich ziemlich eitel durch den neuen Haarschnitt streichend. „Danke, Mann!“, sagte er. „Viel besser! Ich sehe echt geil aus!“
 

„Wann nicht?“, unkte Ragnar, aber Jason war da ironieresistent.
 

„Auch wieder wahr. Dann eben bloß geiler“, lenkte er ein. „In Relation betrachtet. Ich meine … Haare, Haare, überall! Brusthaar … echt …“
 

„Du bist dreißig, nicht neun. Und ein Mann, kein Nacktmolch. Und, keine Panik, du siehst nicht aus wie der Yeti. Und ich find’s geil. Denn – oh Schock! – ich stehe auf Männer!“, grinste Ragnar.
 

„Was!“, fuhr Jason auf. „Du Sau! Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich nicht jede Nacht in den letzten Monaten mit dir geschlafen! Konnte ich ja nicht ahnen, dass du schwul bist!“
 

Ragnar wurde von einem Lachkrampf niedergestreckt. „Ja, da habe ich dich eiskalt gelinkt. Ätsch. Jetzt wird die Prinzessin auf ihrem weißen Ross aber sehr enttäuscht von dir sein.“
 

Jason grinste. „Toll. Du hast es mir versaut. Ganz großes Kino. Aber Angelina Jolie war mir sowieso immer schon viel zu verrückt. Und ich sammele lieber Briefmarken als Kinder. Brad wäre ja nicht so das Problem. Muss ich mich wohl mit meinem Schicksal abfinden. Komm her, du Mörchenprinz, küss mich … ach Quatsch, fick mich, das wäre besser… da wache ich auch garantiert bei auf …“

Jason piept Danny

XXVIII. Jason piept Danny
 

Das Leben war wirklich verflucht gut. Ganz merkwürdig. Aber … alle Kleinigkeiten. Jasons Haus war inzwischen eine reine Baustelle, um es für Weihnachten flott zu bekommen, und Jason war irgendwie zu ihm hinüber diffundiert. Zahnbürste im Badezimmer, gemeinsam frühstücken, die Wäsche erledigen … okay, das war übergangsweise, aber dennoch höchst erstaunlich. Es störte ihn nicht. Und Jason anscheinend auch nicht, der auch immer allein gelebt hatte. In seinem schicken Loft in der Hamburger Hafencity, hörte sich architektonisch sehr interessant an. Wer wusste es, vielleicht würde Jason ihn ja mal einladen der alten Zeiten wegen. Dann würden sie reden, lachen - und eventuell ein wenig poppen. Und er würde endlich Jasons Marmorklo persönlich kennenlernen … Irgendwann …
 

Aber jetzt waren sie hier. Arbeiteten, quatschten, amüsierten sich über allen möglichen Kleinscheiß und ließen die Bettpfosten krachen. Echt nichts Besonderes. Kam ihm trotzdem so vor. Pfefferkorn-Wahnsinn eben. Gott sei Dank ging es Jason ja auch nicht anders. Beruhigend. Und es war schon definitiv von Vorteil, sich einfach nur zur Seite rollen zu müssen, um einen willigen Körper vorzufinden, statt das Kopfkino zur Armgymnastik zu starten. Und sie vögelten immer noch wie die Besengten – oder wie eine Affenhorde auf Speed. Okay, sie waren Typen, aber das war auch nicht die allerbeste Ausrede für alles. War einfach so. Sie waren so schrecklich hammermegascharf aufeinander. Sein Hintern hatte sich auch akklimatisiert. Der war das bisher nicht gewohnt gewesen, dass das Fifty-fifty lief. Aber nichts dagegen. Beides geil. Zumindest mit Jason. Und so einige andere Sachen auch. Jason hatte wirklich einen begnadeten Mund, da musste er sich ranhalten, wenn er sich angemessen revanchieren wollte. Und das wollte er … Jason schmeckte so gut … überall …
 

Aber aktuell lag diese begnadete Sexbombe selig schnarchend in seinen Armen. Und er fühlte nichts als eine fast schmerzhafte Woge der Zärtlichkeit. Verrückter Kerl, herrlich verrückter Kerl … und hier … auch nicht einsam. Genau wie er. Sie waren zusammen irgendwie, nicht wirklich in Worte fassbar, aber … sie. Sie beide. Sein süßer Jason …
 

Okay, objektiv betrachtet war Jason gewiss nicht süß. Er war echt nicht der niedliche Typ. Sexy, sicher, aber keine Verwechslungsgefahr mit irgendwelchen Disney-Figuren. Aber für ihn war er es trotzdem. War doch egal warum, Hirnverneblung eben.
 

Und mit ihm im Arm schlief er so gut … einfach nur schlafen, auch wenn ihm der Arm dabei abstarb … da war dann einfach nichts anderes mehr, keine Geschäftszahlen, keine toten Eltern, nur er, das Bett und Jason … und sein verrückt gewordenes Herz, das flüsterte: Nimm alles, was du kannst. Du weißt, er wird gehen. Alles im Leben geht vorbei. Kein Sinn darin, darüber zu hadern. Aber genieße es, solange es dauert, ohne an das Ende zu denken … Er tat sein Bestes.
 

Jasons Körper in seinen Armen zuckte plötzlich, dass er sich fürchterlich erschrak. Jason fuhr hoch. „Wo seid ihr?“, schrie er plötzlich in den Raum.
 

Entgeistert und mit klopfendem Herzen sah Ragnar zu ihm auf. Jason wirkte trotz offener Augen nicht wach. „Ich bin da“, flüsterte er. „Ich bin da.“
 

Jason schluckte. Dann klappte er einfach wieder zurück, kuschelte sich an ihn und verfiel wieder in Tiefschlaf.
 

Was zum Teufel war das denn gewesen? Ein Albtraum? Vermutlich. Aber was hatte Jason gesucht? Er wusste es. Nicht aus Gründen der Vernunft, er wusste es einfach. Gelaber und Pseudo-Philosophie hin und her, sie wollten beide nicht alleine sein. Nicht wirklich. Waren sie aber beide aus Überzeugung und eventuell auch Unfähigkeit. Okay, Jason hatte immerhin noch seine Eltern. Er hatte gar nichts. Nur Jason. Gemeinsamkeit machte verletzbar. Wer war das schon wert? Als die Nachricht gekommen war … der Unfall … das hatte sich angefühlt, als risse ihm jemand mit glühenden Zangen das noch zuckende Herz aus dem Leib, ohne ihn wenigstens dadurch gnädig sterben zu lassen. Aber auch vorher … nicht weh tun … daher … besser nicht … Es gab so viel Anderes … der Job … Er war ein Feigling. Immer gewesen. Aber gerade nicht, Jason begriff … aber sie kannten beide die Spielregeln. Das machte es leichter. War schon okay. Nicht für immer. Aber jetzt … so nah … so schön …
 

Er drückte das Gesicht in Jasons Nacken. „Ich habe dich lieb, du Torfkopp“, murmelte er.
 

Jason brummelte irgendetwas. Eine Hand tastete nach seiner. So gut.
 

……………………………
 

„Okay!“, verkündete Jason aufgeregt. „Nikolaus. Ich hoffe, du hast den Schokololli bemerkt, bevor du in deine Latschen gestiegen bist.“
 

„Habe ich, danke“, bemerkte Ragnar trocken. „Ansonsten hätte ich jetzt wahrscheinlich schwarze Füße.“
 

„Och, mit Schokolade dran würde ich die ganz pervers ablecken“, zwinkerte Jason. „Und danke für die Socken!“
 

„Immer gern. Ein Paar Socken für dreißig Euro! Du bist wirklich pervers! Aber wenn’s dich so freut …“
 

„Tut es!“, lachte Jason. „Ich bin ein verwöhntes Luxussöhnchen auf Entzug, schon vergessen? Die Socken sind für mich wie der nächste Schuss eines Heroin-Junkies! Danke, you made my day!“ Er wackelte demonstrativ mit den Zehen, während er sich auf der Couch fläzte. Er klopfte neben sich. „Komm her, mein Socken-Dealer, es geht gleich los. Live-Interview mit Danny aus London, hoffentlich erwähnt er den Rübenfürsten. Oder lässt ihn irgendwo gut sichtbar im Raum stehen. Wie auch immer. Komm her.“
 

„Na gut“, grummelte Ragnar und ließ sich neben ihn fallen. „Schauen wir uns halt Super-Danny an …“
 

Jason reichte ihm eine Schale mit Zimtsternen. Irgendwie fiel er nie durch irgendwelche affektierten Diät-Attacken auf. Aber so, wie sie ranklotzten, war das auch nicht wirklich nötig. Er philosophierte auch nie über Kalorien. Gene, Erziehung, was auch immer, jedenfalls war er bisher damit nie verfettet. Und Jason auch nicht.
 

Super-Danny … möge er verrecken … nicht Jason anfassen … weg da … scheiß Eifersucht… Schön brav gute Miene machen, genau, wäre sonst auch echt peinlich. London war ganz schön weit weg.
 

Jason knusperte genüsslich seinen Zimtstern und schlang ihm dann den Arm um die Schultern. Der Ansager brabbelte irgendetwas von Superstar und Schwarm aller Frauen. Damit war Danny gemeint. Erstick an deinem falschen Gesülze … du bist schwul, du verlogener Hering …
 

Okay, ganz fair war das nicht. Als schwuler Ingenieur oder Rübenbauer hatte man es da wohl schon leichter. Danny hatte allerdings auch keiner gezwungen, einen auf Hetero-Schmachthengst zu machen. Es mochte karriereförderlich sein, aber er log. Und das hatte Gründe. Genau wie bei so vielen Spitzensportlern, Politikern, Grundschullehrern, was auch immer. Scheiß-Angst. Und völlig unbegründet war sie ja nun nicht. Aber was wäre, wenn sie alle mal auspacken würden …? Schwule Weltrevolution …? Träum weiter, Ragnar. Vielleicht Schritt für Schritt … Es gab Kämpfer, Mutige, die der Masse zeigten, dass sie völlig normal waren. Aber er selbst musste auch still sein, er hatte ja auch immer gekniffen. Nicht wild gelogen, aber er hatte geschwiegen. War kein Stück besser als Danny, nur in der Hessen-Land-Version. Scheiß Danny Thompson!
 

Jason mümmelte derweil einen weiteren Zimtstern. Der war nie in der Bredouille gewesen. Aber Jason hatte auch nie eine Karriere hinlegen müssen oder wollen. Er war der Alleinerbe eines riesigen Konzerns. Das schien ihn allerdings auch nie tiefgreifend geschockt zu haben. Er war echt mit einem goldenen Löffel im Maul geboren und seine Eltern drohten wegen seines Partylebens, nicht wegen seiner Sexualität mit Enterbung. Immerhin.
 

Auf dem Bildschirm erschien Danny Thompson. Er war top gedresst, eins A frisiert und zeigte seine Grübchen.
 

Arschloch.
 

„Huhu, Danny!“, sagte Jason und winkte dem Fernsehbild zu.
 

Wie auf Signal lächelte Danny. Dann schnappte er sich eine Flasche und trank gierig daraus. Rübenfürst. Juhu …?
 

„Was zum Geier …?“, schnappte Jason. Okay, das hatte er wohl nicht halluziniert. Danny Thompson soff bei einem hochoffiziellen Fernsehinterview, das international live übertragen wurde, Rübenfürst aus der Flasche. Und Rübenfürst knallte wie nur was, das wussten er und sein Tattoo nur zu gut. Oh oh …
 

Er griff nach Jasons Hand, die merkwürdig schlaff blieb.
 

„Hey … Leute … huhu …“, gurgelte Danny und kippte nach.
 

„Was treibt der Idiot!“, regte sich Jason auf. Ha ha, jetzt war er nicht mehr Super-Danny, sondern Idioten-Danny … Okay, Schnauze halten, war ja auch sein Schnaps – und sein Freund, wie auch immer.
 

„Hallo Danny“, sagte der Reporter neutral. „Die Trennung von Fiffy macht Ihnen ja sehr zu schaffen …“
 

Danny kringelte sich fröhlich. „Fiffy … diese künstlich bekrallte Schnalle ... nee … nein danke … mag ich nicht …“, lallte er. „Die hatte … Titten … mag ich auch nicht …“
 

„Ach du Scheiße!“, keuchte Jason.
 

„Der Trennungsschmerz geht Ihnen gerade sehr nahe“, versuchte der Reporter die Situation zu retten.
 

Danny lachte sich kaputt. „Trennungsscherz, von wegen. Pah! Ich scheiße auf Fiffy. Und ihre Titten. Denn ich bin schwuuuuuuuuuuuul!!! Schwi… scha… scho… schwul…. Schwul, schwul, schwul … Nougatstecher, Sie wissen schon. Obwohl ich mich doch lieber von gut bestückten Kerlen *piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeep*!“ Irgendwer war so geistesgegenwärtig gewesen, auf den Zensurknopf zu hämmern. Aber die Botschaft war schon klar.
 

Ragnar war nach Lachen. Jason eher nicht. Danny hielt das Rübenfürst-Etikett fröhlich in die Kamera, während er weiter soff. Sein Pressesprecher zerrte an ihm, aber er erwies sich als wenig kooperativ. „Und wisst ihr, wem ich das zu verdanken habe?“, verkündete er. „Jason von Buch! Ja, von den von Buchs, Babykost und so!“
 

„Oh Gott!!!“, stöhnte Jason. „Halt’s Maul! Um Gottes Willen, halt die Klappe, Danny!“
 

Aber er wurde nicht erhört. „Hey, Jason!“, grüßte ihn Danny fröhlich. „Danke für den*piiiieeep* und den Schnaps. Rübenfürst ist echt geil! Genau wie du, du *piiieep*! Du hast es echt rauf. Machst dein Ding. Brennst deinen Schnaps in der Pampa, weil deine Eltern dich für eine Knalltüte halten! Bist du aber nicht! Du bist so ein heißer *piiiiiep!* und so einer geiler *piiiieeep!“ Wünsche dir alles Gute! Rübenfürst ist geil, und ich bin schwul… tja, das war dann wohl die Massage… Rübenfürst ist krass schwul … lecker … ohne Rübenfürst wäre ich wohl gerade nicht so schwul … Egal … Danke, schwuler Jason von Buch!“
 

Danny räkelte sich, versuchte, den Zuschauern zuprostend, schwankend auf die Beine zu kommen, hielt verblüfft inne, rülpste ohrenbetäubend, versuchte zu reden und erbrach sich in einem wilden Schwall quer über den Bildschirm. Der Laut, der dabei über seine Lippen kam, hörte sich wie „Jason von Buaaaaaaaaaarrrrrrch!“
 

Das Bild wurde unterbrochen.
 

„Aha, Rübenfürst ist schwul … genau wie Danny Thompson. Was für Neuigkeiten!“ erregte sich ein milchgesichtiger, offensichtlich völlig perplexer Reporter. „Aber jetzt wissen wir wenigstens, was Danny Thompson heute zu Mittag gegessen hat! Doch wer ist Jason von Buch …?“
 

„Kacke!“, stieß Jason entsetzt hervor. „Dieser Vollidiot! Was zum Geier hat den geritten?!“
 

„Du anscheinend. Und der Rübenfürst. Ich sage nur: Tattoo. Alkohol ist nun mal nicht so gut für das Denkvermögen – und für die Verdauung“, erinnerte ihn Ragnar. „Und hey, man kann deinen Namen kotzen! Ich dachte, dass ginge nur mit ‚Jörg‘ oder ‚Ulf‘!“
 

„Kacke! Kackkackekacke!!!“, tobte Jason. „Scheiß Danny! Was musste der so viel davon saufen und sich gleichzeitig outen, der Idiot! Und vor allen Dingen: mich erwähnen! Was meinst du, wie schwierig es war, nie in den Fokus der Klatschpresse zu geraten!“
 

„Hammerhart. Armer Jason“, kommentierte Ragnar.
 

„Ja, mach dich nur lustig - aber was bedeutet das für den Rübenfürsten! Nix ist mehr mit Manager-Drink! Schwuchtel-Gesöff, das ist er nun!“, kochte Jason.
 

„Besser als nichts“, kommentierte Ragnar nur trocken. „Und streng genommen ist es ein Schwuchtel-Wasser. Ersonnen und fabriziert vom schwulen Jason von Buaaaaarrrrch …“
 

„Ha ha! Aber das ist nicht der Punkt! Das Image ist der Grund! Die Community weltweit wird vielleicht Applaus klatschen – aber wie viele von denen servieren schon sauteuren Rübenschnaps? Und blöder Weise ist die Mehrheit der Menschen nicht schwul! Überraschung! Das betrifft leider, leider auch den größten Teil des Klientels, die nun garantiert nicht mehr mit einem Gläschen Rübenfürsten auf die feindliche Übernahme anstößt! Oder auf ihr neues Handicap! Oder auf die Geburt ihres Enkels!“, schäumte Jason.
 

„Aber was ist mit Dannys Fans, das sind doch Größtenteils Frauen, die haben nicht so Angst, dass ihnen vom Rübenfürsten der Schwanz abfällt“, versuchte es Ragnar auf der argumentativen Ebene.
 

Jason schnaubte, sprang vom Sofa auf und begann durch den Raum zu tigern. „Ja, ich wette die sind mir höchstverbunden, dass ich ihren feuchten Traum in den Suff und ins Outing getrieben habe! Okay, nicht alle, aber garantiert genug! Und die werden klein Hans-Günther zum Achtzehnten auch kein Fläschchen davon schenken, darauf darfst du Gift nehmen!“
 

„Ach, Jason. Vielleicht ist das gar nicht so wild: Immerhin kennt jetzt wahrscheinlich jeder den Rübenfürsten …“, blieb Ragnar am Ball.
 

„Ja!“, ächzte Jason. „Und mich auch! Als den, der Danny Thompson ausgiebig gepiiiiiept hat! Oder genauer: ausgiebig den Piiieeep in den Piieeep gepiieeept hat! Rate mal, was jetzt passiert?“
 

„Äh … man verleiht dir einen Orden …?“, kapitulierte Ragnar vor Jasons Getobe.
 

Jason legte den Kopf in den Nacken und lachte unheiter. „Nein. Die werden versuchen, sich auf mich zu stürzen. Ich muss sofort zu Hause Bescheid sagen, falls sie es nicht schon mitbekommen haben. Unsere Anwälte und Pressesprecher müssen losgejagt werden. Und ich muss mich mit Dannys Entourage in Verbindung setzen, dass die ihn knebeln, damit der ja nicht noch ausplaudert, wo genau ich stecke! Sonst bricht hier ab Morgen die Hölle los! Dann bin ich in den *Piep* *gepiept* – aber nicht auf die gute Art! Und danach werden wir sehen … was dann noch steht … Scheiße! Scheiße! Scheiße!“
 

Er stöhnte laut und ließ sich wieder neben Ragnar aufs Sofa fallen. So von der Rolle hatte er ihn noch nie erlebt. Aber Jason war ja wahrscheinlich zuvor auch noch nie so hinter dem Erfolg seiner Mühen her gewesen – oder hatte überhaupt irgendwelche Mühen unternommen. Die Aussicht, einer Invasion von Paparazzi zum Opfer zu fallen behagte Ragnar auch ganz und gar nicht. Doch das mit dem Rübenfürsten war auch nicht gut. Da musste er Jason schon Recht geben: Scheiß-Danny.
 

„Ich wusste es doch“, murmelte Jason. „Das Leben ist nur gut, wenn man nichts Großartiges will und nichts braucht und alles hat und den Rest ausblendet. Ich dachte, dass sei auch so. Kompliziert ist scheiße! Tiefgründig ist scheiße!“
 

Ragnar fasste ihn an der Schulter und zwang ihn, ihn anzusehen. „Scheiße hin oder her – du kriegst das wieder hin. Daran zweifle ich nicht. Denn leider, leider bist du nicht so hohl, wie du gerne wärst. Tut mir echt leid für dich. Aber du bekommst deinen Arsch hoch und kriegst das gebacken. Garantiert!“
 

Jason seufzte, schloss die Augen und grinste etwas gequält. „Du musst nur an dich glauben? Danke, damit wäre ich wieder auf Linie, das ist echt das Maximum an Philosophie, das ich aktuell verkrafte. Vielleicht noch eine große Packung Eis und eine Wolldecke? Kuschelige Socken habe ich ja bereits. Ach ne, ich muss ja telefonieren. Schleunigst. Und wenn Danny wieder munter ist, kriegt er erst einmal eine Verfügung unter die Nase, dass er die Fresse zu halten hat! Das wird ihn bestimmt erheitern!“
 

„Na, siehst du, geht doch! Brave hohle Nuss! Aber, was mich bei der Sache gerade etwas wundert …?“, setzte Ragnar an.
 

„Was?“, erwiderte Jason etwas schwächlich.
 

„Wenn du so gerne mit den Reichen und Schönen gefeiert hast, warum dann dieser Presse-Hass? Ich meine, die meisten tun es doch gerade deshalb?“, fragte Ragnar.
 

„Schau dich mal um“, sagte Jason.
 

Ragnar gehorchte verwirrt. „Was … ich sehe nichts …?“, musste er gestehen.
 

„Genau“, erklärte Jason. „Kein Luigi, Manfred, Bronzo oder sonst wer.“
 

„Häh?“, erwiderte Ragnar verständnislos.
 

„Presse ist nervig, wer lässt sich schon gerne zerpflücken? Ich habe gefeiert, um zu feiern, nicht um Titelblätter zu zieren. Aber das war nicht der springende Punkt. Die Firma meiner Eltern ist weltweit an zweiter Stelle im Bereich der Babynahrung und Babyartikel. China inklusive. Hast du eine Vorstellung davon, was ‚stinkreich‘ eigentlich bedeutet?“, fragte Jason und robbte in eine etwas bequemere Haltung auf dem Sofa.
 

„Dumpf … bei irgendeinem Arztbesuch mal etwas von gelesen… George Clooney hat ganz schön was auf dem Konto …“, gab Ragnar zu.
 

„Dessen Kontostand sind Peanuts gegen das, was meine Familie erwirtschaftet und umsetzt“, fuhr Jason fort. „Mein „Luxusleben“ haben meine Eltern aus der Portokasse finanziert. Das war nicht mehr als ein bescheidenes Taschengeld, wahrscheinlich auch verbunden mit der Hoffnung, dass ich auf dem Teppich bleibe. Also, was meinst du, was passieren würde, wenn ich einen auf It-Girl machen würde?“
 

„Wenig Spaß, viel Stress?“, tippte Ragnar.
 

„Im besten Falle. Schlimmstenfalls einen Sack über den Kopf und einen Kurztripp in ein unterirdisches Verließ, wo man mir Fingerkuppen als Zahlungsaufforderung absäbeln würde, wenn nicht ständig Luigi, Manfred und Bronzo auf mich aufpassen würden. Solange mich kein Arsch einordnen kann, ist die Gefahr da deutlich geringer. Und ich habe keinen Bock auf Luigi, Manfred und Bronzo – zumindest nicht so – also habe ich immer darauf geachtet. Immer diskret. Nie in erster Reihe. Keine Namensnennung. Auch das Loft in Hamburg – Popelkram im Vergleich zu dem, was ich hätte machen können. Aber zumindest in diesem Punkt war ich mit meinen Eltern einer Meinung. Schon aus reinem Eigennutz. Um so leben zu wollen war ich dann doch nicht eitel – oder dämlich – genug. Außerdem: musste ich ja nicht! Ich habe damit ja nicht meinen Lebensunterhalt verdient! Das – habe – ich mit dem Rübenfürsten!“, kam Jason wieder auf den Punkt.
 

Ragnar musterte ihn. Er musste zugeben, dass er Jasons Hintergrund immer und gerade in letzter Zeit ziemlich ausgeblendet hatte. Jason war für ihn der mit der Bruchbude nebenan, nicht der mit dem Riesenerbe. Oder gar mehr. Oh Gott! Aber objektiv betrachtet war es natürlich nicht gerade überraschend, dass Familie von Buch den Geldspeicher voll hatte. Aber stinkreich-Jason in seiner stinkreich-Welt hatte er nie kennengelernt, ersteren nur in der entwurzelten und zwangsverdonnerten Pudel-Version, letztere gar nicht. Er kannte nur „seinen“ Jason, der nur eingebildeter Weise „seiner“ war – und von dem er eine ganze Menge nicht wusste. Jason ja auch nicht über ihn, sie beide hatten ihre Leben gelebt, sehr verschiedene Leben, bis sie schließlich beide irgendwie hier gelandet waren.
 

Auf seiner Couch, Hand in Hand.
 

Jason straffte sich wieder und atmete tief durch. „Okay!“, beschloss er. „Auf geht’s! Genug geheult!“
 

Okay, da war er ja wieder, ob sein oder nicht: Jason.

Countdown

XXIX. Countdown
 

Die nächsten Tage vergingen dennoch in atemloser Aktivität. Jason telefonierte und telefonierte, während er weiterhin die Destille in Betrieb behielt, koste es, was es wolle. So war er wohl eben, er ließ nicht locker, egal wie widrig die Dinge gerade schienen. Das zeichnete einen echten Optimisten aus. Grinsen, wenn alles glatt lief, konnte das jeder. Erst wenn die Sache aus dem Lot geriet, zeigte sich das wahre Gesicht. Ragnar selbst konnte wenig tun, die Fäden des Schnapsgeschäftes liefen nun einmal in Jasons Händen zusammen.
 

Jason Befürchtungen bestätigten sich zumindest, was das Image des Schnapses anging. Bestellungen wurden storniert, nichts Neues kam mehr rein und das mitten im Weihnachtsgeschäft, und das geflügelte Wort „einen Rübenfürst schmachten“ machte in Anspielung auf Danny-Schnulzengotts Gala-Auftritt rasend die Runde. Leider war das gleichbedeutend mit „eine Pizza ins Klo lächeln“ nur mit deutlich hämischeren Untertönen. Danny wurde ziemlich zerfetzt, von den einen, da er gelogen hatte, von den anderen, da er schwul sei. Mitleid bekam er nur wenig. Aber das war aktuell nicht ihr Problem und so innig war Jason diesem Typen ja Gott sei Dank nie verbunden gewesen.
 

Jason hatte derweil noch ganz andere Sorgen. Seine Eltern waren alles andere als amüsiert, dass er ihren blütenweißen Namen in dieser Geschichte hatte auftauchen lassen. Nach Jason hingenuschelten Aussagen ihm gegenüber rotierten die Anwälte. Die von Buchschen Sprecher bedrohten die Presse, hoch bezahlte Babybrei-Anzeigen zurück zu ziehen, falls sie etwas durchsickern ließen. Trotz aller Finesse und aller Vorsicht tauchten Schnappschüsse von Jason im Internet auf, auch wenn sie nichts beweisen mochten – aber wer brauchte schon Beweise? Doch gemessen an den Umständen hielt sich der Schaden noch im Rahmen. Vor ihrer Haustür standen keine Trailer, kein Blitzlichthagel ging auf sie hernieder, die Klatschpresse schrieb nichts – und die Leser vergaßen hoffentlich schnell. War doch egal, wer Jason von Buch war, solange er diffus blieb, es ging schließlich um Danny. Eine trügerische Ruhe schien sie zu umgeben, auch wenn draußen ein Orkan toben mochte. Jason schritt entschlossen dahin. Er lächelte wenig in diesen Tagen, auch wenn sein Lachen nicht wirklich erstorben war. Aber es hagelte plötzlich ziemlich auf ihn ein. Und Ragnar wusste nur zu gut, dass diese Sache Dinge berührte, die Jason dann doch nicht so egal waren wie Fiffy, die Alibi-Braut. Aber er stand aufrecht, seine Brauen runzelten sich konzentriert und das Jungenhafte, Verspielte in ihm schien zu ruhen. Wenn er abends ins Bett sackte war er entweder so wild, dass es fast weh tat, oder so passiv, dass es ganz und gar Ragnar überlassen war, ihn zu entspannen und seinen Geist für kurze Zeit verfliegen zu lassen, bevor der Schlummer kam. Aber erst im Schlaf war es wie immer, auch wenn das immer nur viel zu kurz war. Jason so warm in seinen Armen, so duftend, so wie es sein sollte.
 

Ragnar musste an die Bilder und Videos denken, die das Internet ausgespuckt hatte. Zumindest das hatte er tun können, dieses Material zu sichten, auch wenn der gesamte von Buch-Stab daran sein mochte. Aber die waren nicht hier. Sie riefen an, klar, aber er … er machte auch etwas. Irgendetwas. Er fühlte sich merkwürdig hilflos, und das hasste er aus tiefster Seele.
 

Aber er musste schon schlucken. Einige Bilder waren älter, Jason in seinen frühen Zwanzigern, ein Abbild jugendlichen Übermuts und Elans, auch wenn er nie vorne stand, sobald die Kameras geklickt hatten. Jason schemenhaft beim Tanzen in irgendeiner unglaublich teuren Discothek. Jason in feuchtfröhlicher Runde zwischen lauter Berühmtheiten und Halbberühmtheiten, blitzender Charme, doch nichts dahinter. Aber das stimmte nicht, das sah die Kamera bloß nicht. Oder hatte das Jason damals selbst noch nicht gesehen?
 

Jason war schon ein hinreißend schöner Mann, gerade wenn er sich nicht verstellte. Die Figur, die Haare, die Augen unter den gerade dunkel Augenbrauen … aber vor allem dieser Mund mit seiner hinreißenden Oberlippe, ein wenig arrogant und unglaublich sinnlich. Wie er selbst aussah, konnte er nicht beurteilen. Aber Jason fand ihn attraktiv und auch zuvor hatte ihn nie einer abgelehnt, mit dem er sich zu eindeutigen Zwecken getroffen hatte, das musste schon okay sein. Er fand sich auch okay, aber überzogene Eitelkeit war nie sein Ding gewesen.
 

Aber es war schon komisch. Jason war der Hammer. Jason war steinreich. Jason war verrückt. Jason war auch alles andere.
 

Auf dem Hof war zu dieser Jahreszeit wenig zu tun, da widmete er sich inzwischen den größten Teil seiner Zeit dem Projekt von Buch-Familien-Weihnacht, bei der er selbst ja auch zugegen sein sollte. Ein paar Mal war er schon daran gewesen, sich aus der Sache rauszureden, doch Jason schien einen Siebten Sinn dafür zu haben und stellte sich stur. Aus der Nummer kam er nicht raus, ohne den sowieso schon gestressten Jason völlig auf die Palme zu bringen. Und das wollte er ja nun nicht. Aber dennoch … Jasons Eltern … da hatte er doch wirklich nichts zu suchen … Okay, Jason und er teilten jetzt schon seit einer Weile Tisch und Bett, wie man so sagte, aber das war nur ein Provisorium, bis das Haus in Ordnung war und würde früher oder später enden. Trotz ihrer Zuneigungsbekundungen, sie hatten sich keine Versprechungen gemacht. Einerseits war das erleichternd, sie waren schließlich nicht in einem Film für zwölfjährige Mädchen, andererseits war es nur … das Hier und Jetzt. Aber mehr gab es nun einmal nicht, da hatte Jason wohl schon Recht. Und es war doch gut.
 

Trotzdem würde Jason ihn seinen Eltern vorstellen. Da kannte er keine Gnade. Aus Mitleid? Nein, dem hätte er nie nachgegeben. Aber auch garantiert nicht, um ihnen seinen Verlobten vorzustellen. Eher aus einem Impuls heraus. Wenn Jason etwas stank, dann machte er etwas, das war ja löblich – aber das …?
 

Wie auch immer, da musste er jetzt durch.
 

………………………………
 

„Was … was ist das denn?“, fragte Jason.
 

„Eine Axt“, erklärte Ragnar und beförderte das Gerät in den Fußraum seines Pickups.
 

„Du willst die Gans selbst erledigen? Darf ich Wetten abschließen? Geiler Hahn gegen fette Henne?“, grinste Jason.
 

„Schön, dass du das so siehst, du Tierfreund. Nein, die ist für den Baum!“, korrigierte Ragnar.
 

Jason blieb der Mund offen stehen. „Du willst den selbst fällen? Damit?“, Er starrte auf die Axt.
 

„Wenn du den mit TNT fällen willst, muss ich dich warnen: Das sieht dann nicht mehr so festlich aus“, griente Ragnar und startete den Wagen.
 

„Öh … kann man die nicht irgendwo fertig kaufen?“, protestierte Jason halbherzig.
 

„Klar“, bestätigte Ragnar. „Aber ich habe mit meinen Eltern früher immer so den Baum geholt, als sie noch gelebt haben. Ich beschränkter Dorftrottel kenne das nur so. Der Baum wird selbst gefällt. Ende der Durchsage.“
 

„Okay, okay“, stöhnte Jason. „Besser als die Gans immerhin.“
 

„Du sagst es. Schon in Weihnachtsstimmung?“, fragte Ragnar, während er den Wagen die malerisch verschneiten Hänge entlang steuerte.
 

„Geht so“, murmelte Jason. „Die schlimmste Katastrophe ist abgewendet. Ich ziere nicht das Titelbild sämtlicher Klatschpostillen, immerhin. Aber dem Rübenfürsten geht’s gerade nicht so gut. Gott sei Dank ist zumindest ein bisschen etwas weg gegangen und das Geld vom Traktor… tja. Allerdings habe ich schon mal in einer Nacht mehr versoffen, als aktuell auf meinem Konto ist. Aber was soll’s. Ist ja Weihnachten. Ich vertage das Kotzen auf danach. Schadenbegrenzung ist gelaufen. Danach werde ich weiter sehen … oh Mann … Scheiße, ich habe auch keinen Schmuck für den Baum …“
 

„Aber ich“, erwiderte Ragnar. „Von früher … habe ich alles noch auf dem Speicher. Lametta, selbst gebastelte Strohsterne, Kerzenhalter, ein Ständer für den Baum, Kugeln … alles.“
 

Jason musste lächeln. Aber ein wenig traurig war es doch. Ragnar mit seinen Eltern. Strohsterne bastelnd. Wenn ihm das geschähe … oh nein … „Würdest du die ausborgen?“, fragte er höflich.
 

„So war’s gedacht. Dazu sind sie schließlich da. Okay, folgender Plan: erst zu Ikea für den Tisch, die Stühle, die Kerzen und so, dann der Baum, dann die Gans und die restlichen Fressalien. Wie sieht es mit Keksen aus?“
 

„Kekse…?“
 

„Kein Weihnachten ohne selbstgemachte Kekse! Zumindest kein … richtiges. Früher … immer …“
 

„Okay, okay!“, gab Jason sofort nach. „Ist ja auch dein Weihnachten! Ich habe das zwar noch nie getan, aber backen wir Kekse! Man lernt ja nie aus! Und zur Gans?“
 

„Rotkohl und Kartoffeln? Ganz klassisch?“ schlug Ragnar vor.
 

„Ich kann schon froh sein, wenn ich „klassisch“ hinbekomme“, murmelte Jason.
 

„Ich bin ja auch noch da. Und als Bauer bin ich auf Hausmannskost abonniert“, grinste Ragnar.
 

„Ich bin aber keine Hausmannskost “, korrigierte Jason deutlich besser gelaunt.
 

„Nein, du Trüffelleberpastete. Was schenkst du eigentlich deinen Eltern?“, wollte Ragnar wissen.
 

Jason seufzte. „Eine Geschenkkiste Rübenfürst. Auch wenn das inzwischen vielleicht nicht mehr so angebracht sein sollte.“
 

„Quatsch!“, unterbrach ihn Ragnar. „Sie wollten, dass du etwas auf die Beine stellst und das hast du. Das mit Thompson war ja nicht absehbar. Sie sollten schon stolz auf dich sein! Was sollte ich …?“
 

Jason winkte ab. „Musst du nicht. Aber wenn du sonst ein schlechtes Gewissen bekommst: eine gute Zigarre für meinen Vater, ein schicke Topfpflanze für meine Mutter. Sie züchtet Rosen. Da kann ich dir helfen – aber mach dir keine Gedanken. Geht wenn nur um die Geste.“
 

„Sag mal, Jason“, fragte er, während er in einer riesigen Blechlawine dem Ikea-Schild folgte. „Was willst du deinen Eltern eigentlich sagen, wenn ich zu eurem Weihnachten auftauche?“
 

Jason musterte ihn kurz nachdenklich. Dann lächelte er, dass sich irgendetwas in Ragnar zusammen zog. „Ich sag ihnen, dass du mein Freund bist. Bist du doch auch, oder? Muss doch so sein, wie wir aufeinander hängen, ohne uns auf den Keks zu gehen. Du bist mein Geschäftspartner, mein Nachbar, aber vor allem mein Freund. Du hilfst mir. Ich helfe dir. Ich finde dich pfefferig, du mich auch. Und ich will aktuell echt keinen anderen. Ich bin … ich bin glücklich. Trotz all der Danny-Scheiße. Ich weiß, dass du da bist, ohne es zu müssen wie die Anwälte und Pressesprecher oder es auf die Art und Weise zu wollen wie die Nachwuchsmodels und Nachwuchssternchen. Ist zwar ein bisschen komisch, aber das bist du ja auch. Und ich wohl auch. Ich belüge meine Eltern nicht.“
 

Ragnar schluckte, während er die Parkplatzlage auf dem überfüllten IKEA-Parkplatz im Auge behielt. „Du bist mein Freund?“, vergewisserte er sich. „Und stellst mich deinen Eltern vor?“
 

„Ja“, erwiderte Jason unbefangen. „Ist eben so. Jetzt. Jetzt eben. Ich meine, was treiben wir hier? Du bist so … Ich bin froh. Froh, wenn ich neben dir aufwache, auch wenn du kuschelst, nachdem du Knoblauchbrote gefuttert hast. Mir egal. Ich freue mich trotzdem, dass du da bist. Und deutet wohl arg darauf hin, dass ich dich wohl nicht bloß ficken will?“
 

Ragnar konnte sich ein breites Lächeln auch nicht verkneifen. „Ich mag dich auch, wenn du stinkst“, erwiderte er.
 

„Ich stinke nie!“, protestierte Jason.
 

„Das glaubst du“, ärgerte ihn Ragnar und fand endlich eine Parklücke, indem er jemandem eiskalt die Vorfahrt nahm.
 

„Macho! Geil!“, kommentierte Jason und hechelte demonstrativ, bevor er wieder anfing zu lachen.
 

Ragnar stoppte den Wagen und griff nach Jasons Wangen. Küsste ihn. Die Proll-Familie von Gegenüber quietschte entsetzt. Aber das würde er auch, wenn er sie wäre und so etwas Wunderschönes verfolgen müsste, während er selbst drei missratene Blagen großziehen müsste.
 

„Mmm …“, murmelte Jason. „Ragnar …“
 

Schon allein dieses tiefe Gurren … da fühlte er sich wie eine schwule Taube …
 

Jason löste sich und sah ihn etwas entspannter an, als er es in den letzten Tagen gewesen war. „Los geht’s!“, forderte er. „Aber ich will nen Hotdog …“
 

„Kriegst du“, beruhigte ihn Ragnar. „Alles, was du willst … Baby …“
 

„Pfft!“
 

„Du hast angefangen.“
 

…………………………………….
 

Kekse! Die ersten selbstgebackenen seines Lebens. Aber das hatte Spaß gebracht! Schon allein der Teig … darin herum zu pampen… und dann die lustigen Ausstechformen aus Ragnars Kindheit … Lebkuchenmann und Engel und Weihnachtsmann und Stern… Und der Zuckerguss! Man konnte den per Hand einfärben! Wahnsinn!
 

Der Baum war auch super. Sie hatten ihn gemeinsam unter spielerischem Gezänk ausgesucht. Jetzt prangte er in seinem halbwegs möblierten, renovierten und polierten Wohnzimmer im Weihnachtsbaumständer von Ragnars Großeltern behangen mit dem Schmuck von Ragnars Eltern. Alle tot. Aber Ragnar nicht. Ragnar lachte über seinen pinken Keks-Weihnachtmann, auf dem er gerade „Liebesperlen“ an prekärer Stelle verteilte. Er hatte immer gedacht, Liebesperlen seien – wortwörtlich – für den Arsch. Aber, oh Wunder, das stimmte gar nicht. Er lernte echt dazu.
 

Er hatte einen leichten Zuckerschock vom Teigformauslecken. Aber das schon okay. Bei all der Bewegung setzte das schon nicht an – und außerdem … den Löffel in Ragnars Hand abzulecken … und dann ihn abzulecken … das konnte doch nicht dick machen …
 

„Mmmmaaarrrgh …“, murmelte Ragnar in seinen Armen. Er küsste seine nackte Schulter. Fühlte sich wohl. Nein, das war wirklich viel mehr als Sex. Das war Sich-wohl-Fühlen. Durch und durch. Jeder Knochen, jede Faser, einfach … so ... gut … zuhause … entspannt … begehrt … geliebt …
 

In seinem Kopf summten schnulzige Melodien aus den Sechzigern. „Liebe dich, Ragnar“, murmelte er.
 

„Liebe dich, Jason“, erwiderte Ragnar und flocht seine Finger vertrauensvoll in seine, ohne die Augen zu öffnen.
 

Dieses schnurrende Etwas in ihm breitete sich gemütlich in seinem Brustkorb aus. Das waren keine hingesagten Worte. Seit Ewigkeiten hatte er sie vermieden, nachdem ihm klar geworden war, was sie bedeuteten. Aber hier waren sie wahr. Sein Herz wuchs auf Erdtrabantengröße, wenn er an Ragnar dachte oder – noch besser – ihn hörte, roch, spürte … alle Sinne. Die Nase in diesem kitzelnden langen Haar … die Hände auf diesem muskulösen Körper … die Augen in Ragnars … und wenn es nur beim Zähneputzen war. Und sie putzten gemeinsam Zähne.
 

Einsamer Ragnar. Einsamer Jason. Sie hatten nicht gelitten, aber das hier … war kein Vergleich.
 

Er rollte sich herum, drückte sein Gesicht gegen Ragnar und summte: „Frohe Weihnachten, meine wilde Möhre.“
 

Ohne die Augen zu öffnen lachte Ragnar: „Frohe Weihnachten, mein irrer Schnapsprinz.“
 

Sie ließen das unkommentiert, küssten sich lieber. Konzentrierte sich auf das Gefühl. Ein langer Tag stand ihnen bevor.
 

Seine Eltern würden um vier Uhr da sein. Jetzt war es acht.
 

Viel Zeit – und wenig.

Eine schöne Bescherung

XXX. Eine schöne Bescherung
 

„Was riecht hier so komisch?“
 

„Die Gans ist okay, die muss so riechen.“
 

„Wie sehe ich aus?“
 

„Wie der perfekte Sohn.“
 

„Du verarscht mich …“
 

„Nur rudimentär. Aber mir gefällt der Mittelscheitel …“
 

„Was? Wo? Ach so! Scherzkeks! Ziehst du dir auch noch was Anderes an …?“
 

„Nein. Ich dachte die Schürze steht mir so gut, die lasse ich an. Sortier mal die Plätzchen auf die Silberplatte von meiner Oma da drüben um. Ich koche Rotkohl – und das werde ich garantiert nicht im Feiertags-Frack tun!“
 

„Du hast einen Frack?!“
 

„Nein! Einen meiner alten Geschäftsanzüge. Reg dich nicht auf. Ich bin keine echter Barbaren-Bauer! Ist von Boss, falls dich das vorm Herzkasper retten sollte. Was ist mit Dir?“
 

„Dior… aber vorletzte Saison … Hab ich nicht verkauft, falls ich doch noch mal so etwas brauche.“
 

„Vorletzte Saison! Wie kannst du nur!“
 

„Verarsch mich nur.“
 

„Immer wieder gern. Aber du siehst toll aus.“
 

„Ich weiß …“
 

„Und das weiß ich …“
 

„Check! Geschäftserfolge?“
 

„Darnieder dank Thompson.“
 

„Haus?“
 

„Bauruine, aber gut verschleiert.“
 

„Essen?“
 

„Lecker!“
 

„Baum?“
 

„Perfekt!“
 

„Wir?“
 

„Wir eben …“
 

„Das muss wohl reichen …“
 

………………………
 

Das, was sich da die holperige Auffahrt hochgequält hatte, war kein BMW. Kein Mercedes. Kein Porsche. Es war ein limitierter Aston Martin. Jasons Eltern waren James Bond. Juche …
 

Schluckend stand Ragnar auf dem verschneiten Hof, den sie sorgsam freigeräumt hatten. Er fühlte sich wie Rumpelstilzchen im Gewand des Prinzen. Ihm fröstelte. Jason streckte die Hand aus und umfasste seine. Sie war kalt, aber wärmte dennoch.
 

Sie sprachen kein Wort.
 

Die Luxus-Limousine hielt. Ein uniformierter Mann trat aus der Fahrertür, eilte nach hinten. Ein bestrumpftes Frauenbein kam in Sicht. Gestützt vom Fahrer erhob sich eine elegante Gestalt. Sie zupfte ihren Rock zurecht, während der Chauffeur die Vordertür öffnete.
 

Ragnar starrte die Frau an. Sie war sehr hübsch. Alter und Frau hin und her. Aber er war sich sicher, noch nie eine derart perfekt gekleidete Frau gesehen zu haben. Sie sah aus wie eine Porzellanpuppe. Und sie sah aus wie Jason. Der Mann, der sich jetzt vom Beifahrersitz aus erhob, tat das auch irgendwie, wenn auch nicht auf die Puppenart. Die hoch gewachsene Figur, das neugierige Lächeln … aber seine Schönheit hatte Jason definitiv von seiner grazilen Mutter, die selbst auf ihren hohen Ansätzen noch mindestens einen Kopf kleiner war als ihr Mann. Zumindest dem Wuchs nach schien Jason nach seinem Vater zu gehen.
 

Jason neben ihm strahlte, ließ seine Hand los und eilte voran.
 

„Mama!“, stieß er hervor, während er die zierliche Frau umspann und wiegte.
 

„Papa!“ Der Mann trat hinzu, schlang seine Arme um die beiden und drückte sie. Kein Zweifel, das war keine aalglatte Reichen-Familie, sie liebten einander aufrichtig. Sein eigenes Herz schmerzte bei diesem Anblick.
 

Jason richtete sich auf, fand seinen Blick, lächelte mit geröteten Wangen und wandte sich zu ihm um.
 

Er wies auf ihn und winkte ihn zeitgleich heran. „Mama, Papa, darf ich vorstellen, Ragnar Tannenberger. Mein Freund.“
 

Ragnar strauchelte vorwärts. Er hatte damit gerechnet, aber jetzt war es so schrecklich real.
 

„Freund?“, fragte Jasons Mutter und sah ihn mit riesengroßen Jason-Augen an. Ihr Mund stand leicht offen. Ihr Mann starrte ihn auch völlig verdattert an, dann schien er sich ruckartig wieder zu fangen, ließ Frau und Sohn los und trat auf ihn.
 

„Ich bin Immanuel!“, stellte er sich rasant vor und grinste ganz wie sein Sohn.
 

„Ragnar!“, erwiderte er und schüttelte ihm die Hand. Murmelte irgendetwas von Freude und Weihnachten.
 

„Caroline!“, stellte sich jetzt auch Jasons Mutter strahlend vor, die am Arm ihres Sohnes zu ihnen getreten war. Ein perfekter Lippenstift. Farbe, Auftrag… einfach perfekt.
 

Ragnar räusperte sich. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen!“, besann er sich auf seine guten Manieren. „Willkommen!“
 

„Die Freude ist ganz auf unserer Seite!“, erwiderte Caroline und sah auch ganz danach aus. Sie streckte den Kopf und griff nach dem Arm ihres Mannes. Die von Buch–Eltern musterten eingehend die Umgebung. Da war nichts Herablassendes, nur Neugierde.
 

„Da wären wir also! Dann …!“, sagte Jason. „Kommt!“
 

Caroline löste sich von ihrem Gatten und hängte sich wie selbstverständlich an Ragnars Arm. „Entschuldigen Sie!“, sagte sie in verblüffend ähnlichem Tonfall zu Jasons. „Meine Absätze …“ Waren zehn Meter hoch und nicht richtig geeignet für vereistes Kopfsteinpflaster. Ragnar hielt sie, so gut, wie er konnte. Sie wog ja nicht viel.
 

„Sie sind Jasons Freund?“, wisperte sie in sein Ohr und starrte ihn an. „Freund-Freund?“
 

„Ja …“, erwiderte er ziemlich lahm.
 

Sie strahlte, als habe man in ihrem Inneren eine tausend Watt Glühbirne angeknipst. Auch ihre Grübchen waren wie Jasons. „Wie schön!“, seufzte sie, als würde ihr eine zenterschwere Last von den Schultern fallen. „Endlich!“
 

Ihm wurde etwas mulmig. „Schön, dass sie da sind“, murmelte er nur etwas stumpf.
 

„Ja! Schön, dass wir hier sind!“, lächelte sie und reckte den Hals. „Oh, so sieht es also aus … Ich war seit meiner frühsten Kindheit nicht mehr hier …“
 

„Jason hat wirklich viel geleistet. Das alles war … arg verfallen“, lobte er vorsichtig.
 

„Und Sie sind …?“, fragte sie vorsichtig.
 

„Jasons Nachbar. Ich baue Mohrrüben an“, erwiderte er aufrichtig. „Aber von Haus aus bin ich Ingenieur. Ich habe mich hier … neu orientiert.“
 

„Ingenieur?!“, wiederholte sie schwungvoll und sah ihn groß an.
 

„Ja … Bauingenieur … aber ich … ich musste etwas ändern. Nichts Kriminelles, bin nicht gefeuert worden, keine Angst. Aber … meine Eltern sind ums Leben gekommen … da habe ich alles noch mal neu überdacht“, platzte er etwas konfus heraus. Irgendetwas hatte sie an sich, dass er plötzlich plapperte wie ein Papagei, obwohl es nun ganz und gar nicht seine Art war, Wildfremden seine Lebensgeschichte aufs Ohr zu drücken. Aber diese weiblichen Jason-Augen flüsterten irgendwie: „Los! Erzählen! Erzählen! Ich will alles wissen! Du bist großartig! Der tollste Typ auf Erden!“ Das schien irgendwie erblich zu sein, wenn Jason so guckte, war mit seinem Hirn auch immer ziemlich Ebbe.
 

„Oh!“ Sie drückte seinen Oberarm. „Wie schrecklich! Das tut mir so leid! Aber es ist schön, dass Sie da sind. Dass sie Jasons Freund sind! Oh mein Gott! Halten sie mich gerne für egoistisch, aber das ist es nicht! Ich will, dass Jason nicht alleine ist. Dass er jemanden hat! Und bisher … aber jetzt …?“ Sie sah ihn so schrecklich hoffnungsvoll an.
 

Aber er konnte ihr nichts garantieren. Das hier war etwas zwischen Jason und ihm. Zwischen dem Hier und Jetzt und elterlichen Erwartungen. Da hatten sie nur eine Stimme drin. Das konnte er ihr wohl kaum so sagen. Wollte er auch nicht. Es war schließlich Weihnachten. Doch so, wie das hier aussah, hatte man ihn bereits zum künftigen Schwiegersohn gekürt. Fünf Minuten nach Ankunft. Oh weia.
 

Jason und sein Vater liefen leise plaudern hinter ihnen her, während der Chauffeur den Wagen auf dem Hof parkte. Musste der jetzt die ganze Zeit warten? Weihnachten? Das wollte er mal nicht hoffen. Es war komisch, er fühlte sich so fremd, aber doch zugehörig. Vielleicht, weil er seine eigene Familie so sehr vermisste.
 

Oh Mama … oh Papa … jetzt mit euch vor dem Weihnachtsbaum sitzen zu können …
 

Dieses Jahr gab es jedoch wieder einen Weihnachtsbaum, zum ersten Mal, seit sie gestorben waren. Und er hatte ihn selbst geschmückt. Aber nicht alleine, sondern mit Jason, der sich darüber gefreut und Faxen gemacht hatte wie ein Kleinkind. Er liebte ihn so sehr … zärtlich … wild … Wie war das bloß passiert? Aber Weihnachten war doch das Fest der Liebe, und dieses Mal konnte er es wieder feiern, denn er liebte ja wieder. Ganz anders als einst, gewiss, Jason war ja nicht seine Eltern.
 

Er drehte sich halb zu ihm um. Jasons Wangen waren gerötet, er lachte vor Freude, dass seine Eltern da waren. Dafür verliebte er sich glatt noch mal in ihn. Er lächelte ihn an. Jason lächelte zurück. Er sah wundervoll aus in seinem Edelanzug.
 

Vor seinem Haus trat Jason vor, öffnete die Tür und ließ alle ein.
 

„Oh Jason!“, schwärmte Caroline. „Was für ein wunderschöner Baum! Wo hast du den Schmuck her!“
 

„Ragnar“, erwiderte Jason und verwies auf ihn.
 

Die von Buchs lächelten ihn so begeistert an, als sei er für das Leuchten der Sterne am Firmament verantwortlich.
 

„Gerne doch“, murmelte er etwas bedröbbelt und half Caroline aus dem Mantel.
 

„Keks?“, bot Jason nonchalant an.
 

„Oh, pinke Zimtsterne!“, staunte Jasons Mutter. „Wo hast du die denn her?“
 

„Selbstgebacken!“, verkündete Jason stolz.
 

Seine Eltern starrten ihn fassungslos an.
 

„Ragnar hat geholfen“, lenkte Jason ein.
 

Naja, wie man‘s nahm. Eigentlich hatte Jason nur den Teig ausgestochen, die Schüssel ausgeleckt und die Kekse angemalt wie beim Kindergeburtstag. Es hatte sich auch angefühlt wie beim Kindergeburtstag bis darauf, dass Jasons ihm anschließend die Reste über den Schritt gekippt hatte und dann dort auf eine Art und Weise weggeschleckt hatte, die ganz gewiss nicht kindertauglich gewesen war.
 

Jasons Vater schnappte sich einen. „Unglaublich!“ meinte er, aber Ragnar beschlich das Gefühl, dass damit nicht nur die Kekse gemeint waren.
 

„Wirklich!“ bestätigte Jasons Mutter, während ihre Augen zwischen dem Keks in Immanuels Hand, Ragnar und dem weihnachtlich hergerichtetem Wohnzimmer hin und her flitzten. Sie hatten sich auch wirklich Mühe gegeben. Sein Speicher hatte ja so einiges zu bieten gehabt, den Rest verdankten sie Ikea. Der Kamin flackerte und verbreitete angenehme Wärme, der billige Tisch war mit dem Porzellan von Ragnars Großmutter gedeckt, Jasons Bett war mit einer Überdecke zum Sofa umfunktioniert worden, zwei Sessel aus Ragnars Beständen ergänzten das Ensemble. Das Ganze war wirklich ziemlich zusammen geschustert, aber wirkte durchaus nicht ungemütlich.
 

„Nun“, kam Ragnars Vater wieder halbwegs zu sich. „Wie … wie hast du geplant?“
 

Jason reckte sich und verkündete: „Das Essen dauert noch ein bisschen, aber dann kann es losgehen. Die Kirche müssen wir auf danach vertagen, tut mir leid, aber sonst sengt uns der Braten weg. Und es wäre blöd, wenn einer deswegen allein zu Hause bleiben müsste.“ Ein weiterer Punkt, bei dem Jason auf stur geschaltet hatte. Er würde heute nicht allein sein, keine Chance, damit hatte sich Ragnar schon abgefunden. „Tja, und dann gibt es die Bescherung, und wir feiern hier ein bisschen?“
 

„Sicher Schatz“, nickte Caroline. „Aber … Braten …?“
 

„Der gart drüben in meiner Küche“, erklärte Ragnar hastig.
 

„Oh“, meinte Immanuel. „Danke!“
 

„Ja, wirklich, Ragnar, danke!“, lobpreiste ihn jetzt auch Jason und strahlte ihn mit seinen Eltern um die Wette an. „Ohne dich wäre das hier gar nicht möglich. Nicht ansatzweise!“
 

„Ist das Ihr … äh dein Geschirr?“, fragte Caroline und beäugte den Tisch.
 

„Ja, von meiner Großmutter“, setzte Ragnar an, wurde aber sofort wieder unterbrochen.
 

„Und der Baumständer, der Schmuck, die Sessel, die Renovierungen, die Keksformen und, und, und!“, pries ihn Jason unverdrossen, trat zu ihm, schlang ihm den Arm um die Schultern und drückte ihm zu allem Überfluss noch einen Kuss auf die Wange. „Danke, Ragnar!“
 

„Es ist wunderschön!“, jubelte Caroline. Aber ihre Augen klebten genau wie die ihres Mannes auf ihnen beiden.
 

Ragnar war etwas schwindelig. Irgendwie wurde er gerade völlig überbucht, aber ganz anders als ein Billig-Flieger nach Mallorca. Er wusste nicht wirklich, was er davon halten sollte. Kurz horchte er in sich hinein. Er war geplättet, aber nicht panisch oder peinlich berührt oder so. Irgendwie komisch aufgeregt. Aber das passte doch zu Weihnachten, oder? Was für eine Bescherung …
 

Jasons Vater begann plötzlich noch breiter zu grinsen. „Einen Programmpunkt müssen wir zum Teil aber vorziehen“, meinte er.
 

„Was denn?“, fragte Jason verwirrt.
 

Jetzt grinste auch seine Mutter. „Dein Geschenk kann leider nicht bis nach dem Essen und dem Kirchgang warten.“
 

„Aha?“, erwiderte Jason ratlos.
 

Jasons Vater wirkte so, als lache er sich innerlich gerade ein bisschen kaputt. „Nun, mein Sohn, wir dachten, wir erfüllen dir endlich den Wunsch, den du doch so häufig geäußert hast.“
 

„Ein Maserati?“, vermutete Jason hoffnungsvoll.
 

„Nein, kein Spielzeug!“, wurde er abgebügelt.
 

Schade, dachte Ragnar wehmütig, doch etwas fassungslos über Jasons Wunsch. Mit einem Maserati wäre er auch gerne mal gefahren. Oder Jason auf einem flachgelegt. War bestimmt besser als auf einem Audi. Obwohl … wenn er da an das erste Mal dachte, da er Jason gevögelt hatte, war er sich da nicht sicher. Den Versuch wäre es allerdings wert.
 

„Nein, Liebling“, griente Jasons Mutter. „Etwas, das du dir immer und immer wieder gewünscht hast. Und das viel besser für dich ist als noch ein Auto!“
 

Noch ein Auto? Wie viele Autos hatte Jason bitteschön? Davon hatte er bisher nichts gewusst. Hatte Jason garantiert mal wieder weggeblendet, da nicht in Reichweite.
 

„Mama …?“, horchte Jason etwas alarmiert auf.
 

„Nun, Jason!“, blieb sein Vater auf Kurs. „Trotz der Querelen in letzter Zeit hast du doch durchaus ordentlich etwas auf die Beine gestellt. Glaube nicht, dass würden wir nicht würdigen. Wir freuen uns wirklich, dass du so viel Engagement, Pflichtgefühl und Verantwortung aufbringst, daher finden wir, dass es wohl jetzt an der Zeit ist.“
 

Ragnar war kurz davor los zu prusten. Eltern … ja, so war das eben, egal, wie alt man selbst sein mochte. Jason sah gerade wirklich aus wie ein Fünfjähriger, ein sehr männlicher, gut gebauter und gekleideter Fünfjähriger, aber sein Gesichtsausdruck passte.
 

„Danke … äh … Was …?“, stammelte er.
 

Jasons Vater trat ans Fenster und schien dem dort wartenden Chauffeur ein Signal zu geben.
 

„Was ist eigentlich mit dem Chauffeur?“, wagte Ragnar zu fragen.
 

„Herr Takur ist Hindu, und er nimmt das Feiertagsgeld, das wir natürlich dennoch zahlen, gerne mit“, erklärte Caroline. „Aber keine Angst, er hat nachher frei, muss uns nur dann abholen, wenn wir uns melden. Danke übrigens für die Pensionsunterkunft. Ganz charmant!“ Das meinte sie ehrlich. Nun gut.
 

„Das hat Jason gebucht“, murmelte Ragnar. Jetzt anzumerken, dass das seine Idee gewesen sei, hätte wahrscheinlich einen weiteren Lobessturm ausgelöst. Er musste sich vom Letzten noch erholen. Aber schön, dass er für alles Gute hier verantwortlich gemacht wurde.
 

Immanuel flitzte zur Tür, unterhielt sich kurz, dann trat er wieder ins Wohnzimmer.
 

Jasons Augen wurden kugelrund, als er gewahr wurde, was sein Vater da anschleppte. Ragnars auch. Er war so fassungslos, dass er noch nicht mal lachen konnte. Das war auch gut so, denn ansonsten wäre er in Gefahr gelaufen, sich postwendend totzulachen.
 

„Oh Gott!“, stöhnte Jason entgeistert.
 

„Wolltest du doch immer haben. Aber wir hatten Bedenken. Nun, jetzt nicht mehr. Frohe Weihnachten, Jason!“, wünschte ihm sein Vater und drückte ihn das winzige, zitternde Bündel weißen Fells in die Arme.
 

Jason griff mit offenem Mund danach. „Was … was … was …?“, stotterte er.
 

„Darf ich vorstellen“, sagte Caroline wohlgemut. „Maude Murielle Anastassia von Kastanienbusch-Wildweide.“
 

Ragnar fühlte, wie er begann zu hyperventilieren. Gleich … gleich …
 

„Was ist das denn für eine Sorte?“, krächzte Jason und starrte ungläubig seine Gabe an.
 

„Rasse, Schatz. Bei Hunden gibt es keine Labels und Sorten“, korrigierte ihn seine Mutter sanft. „Sie ist ein Zwergpudel.“
 

Okay. Das war‘s. Unhöflich oder nicht.
 

Ragnar polterte aus dem Raum, stieß an der Haustür beinahe mit dem Chauffeur zusammen, der anscheinend gerade das Hundezubehör lieferte, und ließ sich ohne Rücksicht auf Verluste auf den eiskalten Hausstein fallen. Sein Körper wurde geschüttelt, als würde ihn jemand mit Elektroschocks traktieren. So ähnlich war das ja auch. Das tat richtiggehend weh. Aber er konnte wirklich nicht mehr. Ein Zwergpudel!!!
 

Armer Jason. Bekam er mit dreißig Jahren als Anerkennung seines endlich wachsenden Verantwortungsgefühls den Hund geschenkt, den er sich als Kind immer gewünscht hatte. Pädagogik war etwas wirklich, wirklich Böses. Stattdessen hatten sie ihm einst diesen fiesen Hamster van Gogh geschenkt, der Jason so übel gebissen hatte. Da war dieses Viehzeug da drin deutlich ungefährlicher, so wie das aussah. Das hätte der Hamster vermutlich alle gemacht. Und er hatte auch Zweifel, ob Jason sich freiwillig gerade diese „Sorte“ ans Bein gebunden hätte.
 

Ein schneeweißer Rassepudel!!! Ein adliger Zwergpudelwelpe!!! Mit einem oberbekloppten Zuchtnamen!!!
 

„Geht es Ihnen gut?“, fragte der Chauffeur ihn besorgt.
 

Ein erneutes irres Kichern stieg in ihm auf. „Alles wunderbar!“, schnaufte er, während ihm die Lachtränen übers Gesicht liefen.
 

Er wusste, dass das gemein war, aber er konnte einfach nicht anders. Jason, sein Jason … hatte völlig Recht gehabt, ihn zu diesem Weihnachtsfest zu nötigen. Das hier hätte er um keinen Preis der Welt verpassen wollen!



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Kommentare zu dieser Fanfic (65)
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Von:  Marubis
2013-08-03T23:40:53+00:00 04.08.2013 01:40
hibbel
*Finger aneinander stippse*
duhu...
wann geht es denn weiter?
es ist ja bald schon 1 Jahr her
*schock*
dabei warte ich so sehnsüchtig
ich hoffe das du bald wieder Lust am posten findest und weiter machst!!
LG Maru
Von:  chaos-kao
2012-10-10T22:25:53+00:00 11.10.2012 00:25
Nicht nur Ragnar lacht gerade Tränen :D Einfach zu genial diese Vorstellung xD Und Jasons Eltern sind echt lieb und süß :)
Freu mich schon drauf zu erfahren, was es sonst noch so an Geschenken geben wird ^^

Lg
Kao
Von:  Kaya
2012-10-02T18:57:17+00:00 02.10.2012 20:57
Ich mag Zwergpudel, aber das *zu Ragnar geht und mitprustet*
Und ich LIEEEEEEBE seine Eltern. Die sind ja mal wirklich goldig
Von:  chaos-kao
2012-09-19T21:02:18+00:00 19.09.2012 23:02
Die beiden sind einfach zu süß zusammen ^^ Und ich bin froh, dass Jason das Schlimmste wohl noch abwenden konnte. Aber trotzdem sehr schade, dass der Schnaps jetzt geächtet wird :(
Und ich freu mich schon auf die Eltern :D
Lg
Kao
Von:  Kaya
2012-09-19T08:12:59+00:00 19.09.2012 10:12
Fein, einfach nur fein. Ich bin froh, dass sie ihren Beziehungsstatus geklärt haben und ich freu mich wirklichd rauf, wenn die Eltern aufschlagen.

Von:  Marubis
2012-08-27T16:03:03+00:00 27.08.2012 18:03
jaaaaaaaaaa
es geht weiter
aber oh man was geht mit Danny ab?
armer Jason
hoffe er bekommt es gerade gebogen
die beiden sind gerade so süß und glücklich
hoffe du schreibst gaaaaaaaaaaaaaaaanz schnell weiter
Von:  chaos-kao
2012-08-26T17:12:32+00:00 26.08.2012 19:12
Wahhhhh, wie geil! *___* Ich freu mich total, dass du wieder etwas hoch geladen hast, danke schön! *Keks fütter*

Diese Entwicklung war auch mal wieder unerwartet. Aber war ja klar, dass es nicht ohne Schwierigkeiten sein wird. Aber ich bin mir sicher, dass die beiden das schaffen werden - und Danny auf Rübenfürst ist trotz allem amüsant. Musste ziemlich lachen bei seinem Auftritt ^^

Freu mich schon auf das nächste Kapitel und hoffe sehr, dass ich darauf nicht ganz so lange warten muss :)

Lg
Kao
Von:  Shunya
2012-05-27T15:08:24+00:00 27.05.2012 17:08
Das ist irgendwie richtig niedlich, wie eifersüchtig Ragnar auf diesen Thompson ist. XD lol

Yay, das wird doch ein Spaß, Jason, sein Ragnar und seine Eltern. ;P
Und dann auch noch in dem kaputten Haus, das wird herrlich kalt.
Ich finds einfach nur genial, dass Jason so sehr darauf besteht, dass Ragnar auf jeden Fall mit ihm feiern soll.

Haha, Ragnar soll ihm die Haare schneiden. Ich muss vor ner Weile das erste Mal meiner Mum die Spitzen schneiden. Da war ich schon am hoffen und bangen, dass ich net zu viel abschneide. XD lol

Bin schon gespannt, ob das Fest was wird und wie die Eltern so sind. ;D
Von:  Shunya
2012-05-27T14:28:15+00:00 27.05.2012 16:28
Oha, aber wenn Günther rausfindet, dass zwischen den Beiden was läuft, kriegen die sicherlich Schwierigkeiten, immerhin sind die Leute aufm Dorf nicht so tolerant. O.o
Das wäre echt mies! ;P
Aber ich glaube kaum, dass Jason und Ragnar sich davon unterkriegen lassen würden.

Haha, wollen sie einen Traktor loswerden, verkaufen sie ihn bei ebay. ;P
Echt genial!!!!

Oh mann, die beiden hats echt getroffen, so verknallt wie die sind. Irgendwie süß, wie sich Ragnar und Jason nacheinander verzehren. :D

Die Sexszene hast du toll beschrieben. O///O Man hat richtig mitgefiebert, als Ragnar endlich mal gesagt hatte, dass er Jason liebt. Das geht runter wie Öl. Hahahaha... XD lol
Von:  Shunya
2012-05-18T18:05:41+00:00 18.05.2012 20:05
Wow, das haben die Beiden aber ne Menge idiotischen Kram angestellt. Wieso nur bin ich nicht drauf gekommen, was sie für ein Tatoo haben? Das hätte doch so offensichtlich sein müssen. XD lol

Das die jetzt einen Kater haben, kann man sich denken. Die haben ja ordentlich was in sich reingekippt. ;P
Selber schuld, wenns ihnen dann so mies geht.

Tja, jetzt hat Jason den Salat. Was Ragnar die ganze Zeit befürchtet hatte, ist endlich mal eingetroffen und Klein-Jason hat Flugzeuge im Bauch. XD lol

Yay, endlich haben sie mal Klartext miteinander geredet. Immerhin sind sie ja schon eine ganze Weile, wie die Raubkaten, umeinander herumgeschlichen. Da wirds ja auch mal so langsam Zeit, mit den sexy Bauern. ;P


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