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Rübenfürst und Möhrenkönig

von

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Optimistisch realistisch

XV. Optimistisch realistisch
 

„Habe ich dich richtig verstanden?“ wiederholte Jason mehr als fassungslos. „Du willst nicht mehr vögeln? Weil du lieber deine Ruhe haben möchtest? Ich habe mir ja schon wirklich viel blödsinniges Gelaber angehört in meinem Leben – kennst zu das Männermodel aus dieser Aftershave-Reklame mit den Schafen? - aber du übertriffst gerade alles!“
 

„Tut mir leid, Jason“, erwiderte Ragnar bestimmt, auch wenn Teile von ihm strikt dagegen waren, aber die waren auch nicht fürs Denken verantwortlich. „Das eben… war genial, will ich gar nicht leugnen. Aber jetzt ist es nach zwölf… Ich brauche bei so etwas… Distanz, habe ich dir doch gesagt. Und die haben wir nicht, nicht privat, nicht beruflich. Lass es dabei bewenden. Und – bitte! – versuche das auch zu respektieren.“
 

Jason blähte die Wangen und ließ dann die Luft langsam weichen. „Hat dir schon einer mal gesagt, dass du ein Idiot bist? Vermutlich… wem nicht… Oder bist du nicht mehr scharf auf mich…?“
 

Ragnar schwieg betreten.
 

„Na also“, meinte Jason. „Willst du unter die Mönche gehen? Oder bei jedem Stich denken, dass du lieber wen anderes hättest – nämlich mich?“
 

„Woher nimmst du bloß dieses verschissene Selbstbewusstsein!“ ärgerte sich Ragnar.
 

Jason grinste. „Hey… ich bin gut! Spaß zu haben war immer mein… öhm… meine Berufung. Aber das hier eben – das war der Obergau. Und ich will mehr davon. Und du auch. Also, bitte Ragnar, erspare uns das Drama! Wir sind doch nicht siebzehn! Wir ziehen unser Ding durch – und wir ficken, dass die Wände wackeln, zumindest meine, die sind ziemlich marode. Sei doch kein blöder Spießer!“
 

„Ich bin kein Spießer!“ wehrte sich Ragnar. „Ich will nur eine klare Trennung!“
 

„Das lässt sich aber nicht trennen!“ sagte Jason und tigerte durch Ragnars Wohnzimmer Richtung Küche. Ragnar hatte ihn hinter sich her geschleift, um… die Sache zu klären. Gleich anpacken, nicht auf die lange Bank schieben. Schließlich war doch schon „Morgen“. „Jedenfalls nicht… so“, fuhr Jason fort und bediente sich grübelnd am Mineralwasser. „Nicht wenn wir so scharf auf einander sind. Und ich gehe hier nicht weg! Und du auch nicht! Was du da willst… ist sinnlose Scheiße. Glaubst du echt, dass du das aushältst? Niemals, glaube mir, ich kriege dich rum, wenn ich das will – und ich will! Und du mich auch… Du willst einen status quo? Okay…. Auch wenn das total bescheuert ist. Aber jeder hat so seinen eigenen Wahnsinn. Mein Vorschlag zur Güte: Wir ficken. Aber wenn dir eine Trennung hach-so-wichtig ist: Von Montag bis Freitag bin ich dein Nachbar, Geschäftspartner, was auch immer. Aber dann… ist Feierabend mit der Grütze. Ist das akzeptabel?“
 

Ragnar nahm einen tiefen Schluck aus seiner Wasserflasche. „Ja…“, sagte er langsam, etwas geschlagen, aber dennoch irgendwie beglückt. „Das ist akzeptabel. So kann ich trennen… Aber ich kann dir widerstehen! Du bist nicht die Antwort auf alle Gebete! Also bitte keine Unterstellungen!“
 

„Kannst du nicht, wenn ich es darauf anlege“, grinste Jason ungeniert. „Aber… noch ist ja Sonntag, großzügig interpretiert… solange man noch nicht schlafen gegangen ist, zählt das nicht. Musst du also auch gar nicht. Wie wäre es, du lauscht mal am Boden, ob die Möhren auch wachsen und streckst dabei den Hintern hoch…?“
 

„Der brennt noch etwas“, murmelte Ragnar.
 

„Och… soll ich pusten?“ bot Jason liebenswürdig an und stellte das Wasserglas schwungvoll ab.
 

………………………..
 

Montagmorgen. Halb sechs. Die Sonne stand bereits niedrig am Himmel. Er hatte verpennt. Naja… es war ein Wunder, dass er überhaupt dazu gekommen war, noch ein Auge zu zubekommen. Er war völlig übernächtigt, Muskeln, die man bei der Arbeit weniger beanspruchte, taten ihm weh, auch sein Allerheiligstes kündete von vermehrtem Verkehrsaufkommen.
 

Neben ihm lag ein nacktes Model, alle Viere von sich gestreckt, bäuchlings auf den Laken und schnarchte leise. Sie waren irgendwann einfach umgekippt. Na ganz toll, er wachte nie neben seinen Bettgefährten auf, sondern gewann Land oder schmiss sie raus aus dem Stundenhotel. Nach Hause nahm er nie einen mit. Aber das hier war jetzt… tja… der liebe Herr Nachbar, sein platonischer Spießgeselle von Montag bis Freitag. Ganz super. Worauf hatte er sich da schon wieder eingelassen? Aber dieser dämliche Jason hatte schon Recht, wenn der ihm mit eindeutigen Absichten von früh bis spät auflauern würde, das würde auf jeden Fall irgendwie katastrophal enden. Insofern… einen Versuch war es wert. Blieb ihm wohl kaum etwas anderes übrig. Er armes Opfer. Jason war da… ein… Querdenker… mit Hang zu kreativen Lösungen… oder so…
 

Ganz wohl war Ragnar dennoch nicht bei der Sache. Er beugte sich rüber und ruckelte Jason an der Schulter. „Aufstehen!“ befahl er.
 

„Mmm… ach ja… viel Spaß damit…“, murmelte Jason und drohte, sich auf die Seite zu rollen.
 

„Nichts da!“ machte er ihm klar. „Auf geht’s zur Arbeit. Ich habe eh schon total verpennt – und der Rübenfürst brennt sich auch nicht von alleine!“
 

Jason drehte den Kopf und öffnete zwinkernd die Augen. Sein Haar stand pittoresk verwusselt in alle Richtungen. Da trug er wohl die Schuld dran. Jason gähnte herzhaft, streckte sich, dann krabbelte er gehorsam hoch. „Na gut, na gut“, murmelte er. „Wie schön, dass wir keine Jobs haben, bei denen man den ganzen Tag sitzen muss… aua… naja, dann mal auf ins Gefecht… Wo sind meine Klamotten hin…?“
 

Ragnar blickte sich um. „Überall“, seufzte er, stand auf und angelte nach Jasons an der Deckenlampe baumelnder Designerwerbefläche, die wohl seine Unterhose darstellen sollte. Die hatte er wohl nicht verscherbeln können – aber auch für so etwas gab es eigentlich Liebhaber… Jason nahm sie dankbar lächelnd entgegen und war so nett, sich zu bedecken. An ihm klebte so Einiges, das an die Aktivitäten der letzten Nacht erinnerte und eine Scheunendusche nahelegte. Aber wenn Jason sich in diesem Zustand vor der Nase der Arbeiter abschrubbte, würden die wohl kaum an einen Zufall denken, wenn er hier gleich raus spazieren sollte. Das musste jetzt auch wirklich nicht sein, dass jede Tratschtante im Umkreis von tausend Meilen Futter bekam – und seine Angestellten Einblicke in sein Intimleben.
 

Schließlich war Montag. Bis Freitag war Sendepause. Eventuell würde sich sein Körper bis dahin ja auch wieder so weit erholt haben, dass er das auch zu schätzen wissen würde.
 

„Du kannst noch duschen hier“, murmelte Ragnar und begann, sich seine Arbeitsklamotten herauszulegen.
 

„Danke! Eine richtige Dusche, yeah! Himmel, was für eine Sauerei… Mache ich. Auf geht’s, Partner! Schaffe, schaffe, Möhrle baue! Auf dass sie sich in fette Kröten verwandeln mögen! Reinste Magie!“ feuerte sie Jason grinsend an und trabte Richtung Bad.
 

…………….
 

Was für ein blöder Deal… Okay, momentan war er bedient, so dass sich der Frust in Grenzen hielt, aber das würde sich vermutlich bald legen. Und dann hieß es warten… bis Freitag… Doch lieber noch eine Runde Manuel? Ne… das Thema war durch. Wahrscheinlich würde der jetzt auch noch mit blöden Fragen zu der merkwürdigen Szene, deren Zeuge er geworden war, nerven. Was Neues suchen? Ach… was sollte es. Er arbeitete, das schlauchte doch genug, um bis Freitag durchzuhalten. Den Stress konnte er sich sparen. Natürlich könnte er Ragnar demonstrieren, wie weit er mit seinen dämlichen Grundsätzen kam, wenn er richtig angegangen wurde, aber sonst machte der noch mehr Blödsinn und die Küche blieb tatsächlich kalt. Und er wollte auch keinen Ersatzfick – zumindest nicht soooo dringend – sondern diesen bezopften Vulkan. Ragnar mochte zwar mindestens zehn Jahre älter sein als seine sonstigen Betthupferl, aber die Landluft und die Möhren hielten anscheinend frischer als Dauerdiät und Koks. Da hatte er vorsorglich immer die Nase heraus gehalten – wozu auch? Er war auch so der Hammer, das musste er sich wohl kaum mit Hilfe chemischer Substanzen vorgaukeln. Wenn er ganz ehrlich war, war er vom Alter her deutlich eher an Ragnar dran, als an seinen gewöhnlichen Leckerlis – aber das hatte bei seinem Geldbeutel und Aussehen nie eine Rolle gespielt. Aber Ragnar war… aufregender, genau. Etwas Neues. Auch. Aber vor allen Dingen… megascharf.
 

Dann mal fleißig Schnaps brennen, so fern war das Wochenende nun auch wieder nicht… oder doch…
 

Ach verdammt! Leute mit Prinzipien waren schon echt zum Kotzen!
 

…………………………
 

Da ging er hin… dieser elende Terrorist. Schleifte gerade eine Palette mit Flaschen mithilfe des von ihm geliehenen Transportwägelchens über das Kopfsteinpflaster seines Hofs, dass es nur so dängelte. So müde hatte er sich an einem Montag schon ewig nicht mehr gefühlt. Das war keine Nummer gewesen, sondern eine Zweimannorgie. Jede verfluchte Pore von Jason hatte „Spaß! Spaß! Spaß!“ gebrüllt, ob er oben oder unten gelegen hatte oder was auch immer. Der hatte überhaupt keine Skrupel, was wahrscheinlich die Voraussetzung für richtig guten Sex war. Und sie waren sich nicht Spur ins Gehege gekommen, sondern… was auch immer… aber immer das, was sie gewollt hatten… und gewollt… und gewollt. Die Schmerzen, die er jetzt hatte, waren redlich verdient. Er war so ein braver Bauer.
 

Aber… Jason hatte es akzeptiert, die Konditionen sogar selber definiert. Auch hier: findig und anpassungsfähig, ohne lange um den heißen Brei herum zu reden. Dennoch ließ es sich nicht leugnen: Er hatte Jason an der Backe, noch mehr als zuvor. Und nicht nur an der in seinem Gesicht…
 

Doch… gut… gut… jetzt war erst mal Ruhe. Arbeitswoche. Der machte Schnaps, er kümmerte sich um den Anbau und den regulären Vertrieb, alles Paletti.
 

Und der mochte zwar grinsen und schuften wie gehabt, ein wenig fertig sah Jason auch aus, wie tröstlich. Wenn Jason nach dieser Nacht obendrein auch noch das blühende Leben gewesen wäre, hätte Ragnar ihn wohl doch noch an die Wand klatschen müssen. Aber Jason war auch nicht achtzehn, schon lange nicht mehr. Ein bisschen indiskretes Bohren hatte zutage gefördert, dass er die stolzen Dreißig erreicht hatte, also nur ein paar Jahre jünger als er selber war. Er mochte ein Kindskopf in einigen Belangen sein, aber zumindest physisch lag seine Kindheit doch eine ganze Weile zurück. Und das war Ragnar nur recht. Bubis waren nie sein Fall gewesen, außerdem war das Gequatschte von Leuten, die gerade eben der Pubertät entronnen waren, für Ragnar gleichbedeutend mit Ohrenkrebs. Nein, Jason war nicht pubertär und eigentlich auch nicht wirklich kindisch, Naivität konnte man ihm nun auch nicht unterstellen, er war schlichtweg ein Optimist, wie er im Lehrbuch stand, der vom Schicksal bisher auch noch nie etwas präsentiert bekommen hatte, das ihn dazu hätte bewegen können, das zu relativieren. Ragnar vermutete auch, dass das Schicksal sich bei so einer Zielsetzung besser warm anziehen sollte. Nicht dass er Jason Übles gewünscht hätte, doch man wusste nun mal nie, was da kommen mochte. Das Leben war leider in jedem Fall tödlich, da ließ sich nichts daran rütteln, aber wahrscheinlich hatte man eine deutlich angenehmere Zeit bis dann, wenn man so war wie Jason. Er musste an sich selbst denken, an die Zeit, da ihm jede Sekunde wie blanker, leerer Hohn erschienen war, völlig überfordert von allem, plötzlich allein und dafür verantwortlich, seine Eltern zu Grabe zu tragen. Doch auch er war immer noch da, nicht so ein Springfloh wie Jason, war er auch nie gewesen, aber die positive Art seines Multifunktions-Nachbars war da nicht bloß enervierend, sondern auch ein wenig faszinierend, vielleicht auch ein bisschen inspirierend. Er wollte nun gewiss nicht Jason der Zweite werden, bloß nicht, aber das Leben wurde auch nicht schlechter, wenn man ab und an die Dinge auch mal durch Jasons Brille sah.
 

Hier saß er also seit Jahr und Tag, weit ab vom Schuss in der hessischen Provinz, die jetzt seine Heimat war, hatte sich ein neues Leben geschaffen, hatte so seine Routinen und Interessen, doch ab und an ließ sich auch nicht verhindern, dass ungebeten und unverhofft etwas von außen zu einem kam. Und nicht immer war es oberschrecklich. Jason war nicht oberschrecklich. Aber ihr Arrangement… war schon etwas schräg, das musste er zugeben. Ein Kompromiss… doch anders ging das wohl kaum. Nicht von seiner Warte aus betrachtet. So war er eben. Leben war Leben, und Sex war Sex, wenn schon keine räumliche Trennung möglich war, dann wenigstens eine zeitliche. Das war vernünftig, ganz gewiss, hoffentlich klappte das so. Aber warum auch nicht? So war es jetzt eben, basta.
 

…………………………………..
 

Seufzend blickte Jason in den rahmenlosen, mannshohen Spiegel, den es als Restposten für knapp zehn Euro bei Ikea gegeben hatte. Er hatte ihn an die freie Küchenwand gelehnt, wo wahrscheinlich ein Frühstückstisch hingehörte, so dass das Licht von außen günstig einfiel, um sich betrachten zu können. Gut sah er aus… und oberscheiße, wenn man mal die bisher gängigen Kriterien berücksichtigten, aber die hatte es ausgezählt. Also nur gut. Genau… machte rein gar nichts, dass er von der Schufterei unregelmäßig gebräunt war und begonnen hatte, anstelle der Blasen an den Händen Schwielen zu bekommen. Schwielen waren doch gut, bedeuteten sie weniger Schmerzen. Auch bildete er sich ein, dass seine Muskulatur noch nie so gut in Schuss gewesen war, aber vielleicht lag das daran, dass er sie ständig irgendwie bemerkte, während er schleppte, hantierte, destillierte, reparierte… Doch das Fehlen seines üblichen Programmes machte sich an anderen Ecken inzwischen ziemlich bemerkbar. Himmel, was war das für eine beschissene Tätigkeit, sich selbst die Fußnägel zu schneiden. Die Hoffnung an seine Fingernägel hatte er sowieso längst abgeschrieben, da war kein Blumentopf mehr mit zu gewinnen. Das einzige Ziel hieß hier noch: so kurz wie möglich, um nicht chronisch Tonnen von Dreck damit einzusammeln. Auch das Fehlen der regelmäßigen professionellen Heißwachshaarentfernung hatte Ärgernis mit sich gebracht. Er hatte sich mit seinem normalen Rasierer daran versucht mit dem demütigenden Ergebnis, dass es ihn an einigen prekären Stellen seines Körpers infolge der Stoppeln fürchterlich zu jucken begonnen hatte. Heißwachs oder Enthaarungscreme gab es auch in der Drogerie zu kaufen, aber das würde auf Dauer endlos Geld verschlingen, das er aktuell nicht hatte, außerdem war er abends meist viel zu alle, um sich auch noch damit abzuplagen und zu verrenken. Und das auch noch ohne fließend Wasser. Und in Ragnars Scheune… nee… irgendwo hatte er auch so seine Grenzen. Sah er eben nicht so aus, als wolle er gleich für Armani-Badehosen über den Laufsteg stolzieren, das tat er schließlich auch nicht. Fand er sich eben für eine Weile damit ab, dass ein Mann mit Dreißig in den seltensten Fällen aussah wie ein vierzehnjähriger Teenager in Hinsicht auf Körperbehaarung, wenn man dem nicht akribisch nachhalf. Irgendwie zweifelte er auch daran, dass Ragnar das irgendwie kratzen würde, wenn er ihm keine auf Hochglanz polierte, gerupfte Brust vor die Nase hielt. Und ganz ehrlich… bei Ragnar störte es ihn selbst schließlich auch nicht. Früher… früher wäre das gar nicht gegangen… aber… nun, hier galten eben andere Spielregeln. Hessen-Land-Spielregeln. Eigentlich war es sogar ganz sexy, dass Ragnar aussah wie… wie ein Mann eben. Und jemand, der besseres zu tun hatte, als sich ständig die Härchen auszupfen zu lassen. Ach weh, hatte der ihn jetzt mit seinem Landeicharme schon infiziert? Und selbst wenn… jetzt war eben jetzt. War doch praktisch, wenn das so war, schließlich waren die Alternativen… nun, keine wirklichen Alternativen. Da konnte er sich wahrscheinlich einfach mal eine Scheibe von abschneiden, zumindest für eine Weile, solange er eben hier war und Ragnar und er scharf aufeinander waren.
 

Er seufzte, drehte sich um, warf einen letzten Blick auf seine blanke Kehrseite – nein, die konnte nun wirklich nichts verschandeln – dann beugte er sich hinab zur pittoresken Plastikkiste, in der er mangels Mobiliar aktuell seine Vorräte hortete. Der per Klammer zu befestigende Griff stellte sicher, dass ihm die Mäuse, die er hier nachts fröhlich rascheln hörte, nicht alles wegfraßen. Einmal hatte er sie bis jetzt sogar schon live gesehen, wie sie im Halbdunkel des Abends fröhlich respektlos quer durch sein Wohnzimmer geschossen waren. Immerhin keine Ratten, die ihn selber anzunagen drohten, wenn er pennte. Was gab’s denn heute Abend Schönes? Belegte Brote waren raus, der Aufschnitt gammelte ihm bei dem Wetter schneller weg, als er ihn verputzen konnte. Tütensuppe a la Mikrowelle? Nicht schon wieder… aber immerhin konnte selbst er so etwas „kochen“. Was hätte er jetzt gegeben für ein Rumpsteak in Rotweinsoße… aber das war völlig außer Reichweite. Eine Dose Ravioli und einen Apfel zum Dessert? Das hörte sich recht verlockend an. Die Dose hatte einen integrierten Nipsel, so dass man sie ohne Dosenöffner aufbekam, den er ja auch nicht hatte. War bestimmt weder besonders gesund – aber dafür gab es dann eben den Apfel – noch figurbewusst – aber dafür gab es jetzt eben die Plackerei. Nun gut, gebongt.
 

Ragnar hatte ihm Bescheid gesagt, dass auf seinen Traktor geboten wurde, der hatte ja auch einen Internetanschluss. Aber die Auktion lief noch ein paar Wochen, vielleicht würde da noch mehr zusammenkommen. Während sich die Ravioli zum sanften Brummen der Mirkrowelle um die eigene Achse drehten, grübelte er nach. Oh Mann… er hätte so gerne ein Klo, eine Dusche, eine richtige Badewanne gar… mit Warmwasser! Aber realistisch betrachtet hatte er noch ganz andere Sorgen. Realistisch… Ragnar war da wohl ein wenig ansteckend, aber wo er Recht hatte, hatte er Recht. Der Rübenfürst hatte zunächst Priorität, nicht dass er sich hier ein gemütliches Zuhause bastelte, denn er wollte ja nun gewiss nicht für alle Zeiten bleiben. Sein Investitionsbudget war fast aufgebraucht, und er brauchte Geld fürs Marketing. Er konnte hier ja nicht mal weg, um den Kram selbst an den Mann und die Frau zu bringen, so die Knebelbedingungen seiner Eltern. Eine komplette Installation von Sanitäranlagen im Haus würde kräftig kosten, es gab ja bisher nicht mal einen Raum dafür. Und was war mit dem Dach? Aber Wasser bis zur Scheune… das tat viel dringender Not, außerdem gab es da zumindest schon Leitungen, wenn auch außer Funktion und sanierungsbedürftig. Also… eventuell eine eigene Scheunendusche? Da konnte er auch einfach weiter rüber dackeln. Und im Winter? Einer der uralten, völlig verrosteten Kochtöpfe seiner Großeltern als Nachttöpfchen…? Oh Gott! Das mochte zwar auch nicht die Qualität seines Allerwertesten mindern, die seines Wohlbefindens aber sehr wohl. Eine kurze Vision seines Marmorklos daheim blitzte vor seinem inneren Auge auf, bevor er es schleunigst niederknüppelte. Bloß nicht vergleichen, das brachte rein gar nichts – außer Frust. Und Frust konnte er nun echt nicht gebrauchen.
 

Die Mikrowelle piepte, und er zog den dampfenden, „neuen“ Ebay-Teller heraus. Wieder machten sich seine neu erworbenen Anfänger-Schwielen bemerkbar, so verbrannte er sich immerhin nicht völlig die Flossen. Der Mist war offensichtlich doch nicht mikrowellengeeignet, oh Wonne. Keuchend stellte er sein Tellerchen auf dem Boden ab und ließ sich hinterher plumpsen. Sein Magen knurrte gnadenlos, aber auf der Zunge hatte er nun doch keine Schwielen. Er pustete auf allen Vieren hockend, dann klaubte er sein Näpfchen nebst leicht verbogener Gabel wieder auf, ging hinüber ins Wohnzimmer, stellte es auf der Möhrenkiste ab, kniete sich davor und wünschte sich selbst einen guten Appetit. Himmel, war das rustikal. Demnächst wuchs ihm noch über Nacht ein Holzfällerhemd aus Flanell. Das würde er dann aber doch entfernen müssen, koste es, was es wolle!
 

Er reckte sich, verpasste seinen Tischsitten einen Tritt, schließlich saß er nicht im Designer-Anzug an einer edel gedeckten Tafel, sondern nackt vor einer Möhrenkiste, und machte sich über sein Abendbrot her.
 

…………………………………….
 

Ragnar lag auf der Seite inmitten seines selbst aus Eisenstangen gebauten Bettes und starrte in die Dunkelheit seines Hauses. Es war still hier, nur durch das angelehnte Fenster kamen Laute. Tiere, die durch den Garten krochen, hoppelten oder flogen – und Jason, der Richtung Plumpsklo stolperte. Auch das Geräusch war ihm mittlerweile vertraut. Er fühlte sich ein wenig schlampig. Einige Teile seiner selbst meldeten auch jetzt noch eine kürzlich stattgefundene Überlastung, er war hundemüde und hatte es auch schlichtweg vergessen, das Bett wieder neu zu beziehen. Und jetzt bekamen ihn keine zehn Pferde noch einmal hoch. War ja auch Blödsinn, wozu auch, er pennte schließlich nicht in einer Grube voll verwesender Tigerscheiße, sondern in seinem Bettchen, das aber heute ziemlich merkwürdig roch. Nicht schlecht, aber sehr ungewohnt. Es roch nach Sex, der hier bis dahin noch nie stattgefunden hatte – na ja, zumindest nicht mit einer anderen Person – und nach Jason. Obwohl sein Akku definitiv leer war für heute, zuckte etwas in ihm, als er zurückdachte. Er lehnte dankend ab, was ihm bisher ausgesprochen selten untergekommen war, wenn er allein im Bette gelegen hatte. Aber sonst würde er noch Blasen bekommen, und das nicht an der Hand. Außerdem brauchte er seine Energien für das kommende Wochenende… und wenn das immer so lief mit Jason, dann würden das reichliche Energien sein. Eventuell sollte er sich den einen oder anderen Proteinshake brauen? Ach Quatsch, das war ja kein Wettbewerb… und so… so reichte das völlig, bloß nicht auch noch dopen!
 

Er zog das Kopfkissen an sich, auf dem Jason irgendwann in der letzten Nacht eingeschlafen war. Wonach roch das nur… wonach roch das nur…? War das irgendein Aftershave? Ein Shampoo? Nein… es roch nicht künstlich, sondern nach Mensch. Es roch nach Jason. Und es roch verdammt gut. Er erinnerte sich, seine Nase in Jasons etwa außer Form geratenem Schopf gehabt zu haben, an seinem Hals… da hatte es genauso gerochen. Irgendwie… nach Leben, nach Mann, nach Freude, die auf alles schiss. Er hielt inne und erstarrte beinahe. Was tat er denn da gerade? Schnupperte an einem Kopfkissen wie so ein Volltrottel. Er war wohl wirklich noch etwas gaga von diesem Festival der vergangenen Nacht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Fye-chan
2011-11-30T21:15:45+00:00 30.11.2011 22:15
Man man man... Ragnar :D Das ist einfach zu gut!
Nein! - Doch! - Nein! - Doch! - Nein?! - DOCH! ... okaaaay... *g*
Hach, ich liebe Jasons direkte Art! Und ja, ein Selbstbewusstsein wie kein Zweiter, aber ich muss sagen, ich glaube ihm auf's Wort, dass Ragnar keine Chance hätte, würde sich sein Partner in den Kopf setzen ihn auch in der Woche haben zu wollen. Und ja, das gefällt mir ausgesprochen gut!
Ich bin wieder sehr erstaunt und begeistert über deine Charaktervielfalt in deinen Geschichten. Sehr sehr gut, wie das alles immer zusammenpasst und sich zusammenfügt :)
Immer schön weiter so und ich warte unendlich gespannt auf die Fortsetzung :P :)
GlG, Fye
Von:  Shunya
2011-11-30T01:37:45+00:00 30.11.2011 02:37
Haha! Jetzt hat er sich doch breitschlagen lassen, der Biobauer. ;P
Okay, jetzt bin ich echt baff. Der Jason ist doch wesentlich älter, als angenommen. O.o" *totalerstaunt*
Der ist ja nicht besser als ne Frau, über 25 rückt auch keine mit ihrem wahren Alter raus. XD lol
Die Dinge durch Jasons Brille betrachten? Etwas rosarot? Muahahahaah...
Ui, Jason mutiert langsam von der Stadtdomina in ein Landei, tja, aus mit der Pediküre und Maniküre. Wird zeit, dass er endlich ein Mann wird!!!
Hm, wenn Jason probleme bei der Sanierung hat, kann er doch einfach Ragnar fragen, der kennt sich doch sicher mit so etwas aus, oder?
Der letzte Absatz war echt süß, kann man sich so richtig bildlich vorstellen, wie Ragnar seine Nase in dem Kopfkissen versteckt und an Jason denkt. Niedlich. owo


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