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Runaway

von

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New life has just begun

Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn ich könnte mich an kaum ein Detail der bisherigen Zugfahrt erinnern. Nachdem immer wieder die übliche Mischung aus grau und grün an meinen Augen vorbeigezogen war, hatte ich diese anscheinend geschlossen und war eingenickt. Jetzt spürte ich auf einmal kurz hinter einander einen festen Druck an meinem Oberarm. Es tat ziemlich weh. Doch ich beherrschte mich - wie ich es immer tat - und schrie nicht los. Anstatt dessen riss ich die Augen auf, drückte mich gleich darauf soweit ich nur konnte in die Ecke und machte mich klein. Im ersten Moment wusste ich gar nicht mehr, wo ich eigentlich war.

Hatte ich mich nur in einem Traum befunden? Lag ich etwa noch in meinem Bett und wurde gerade, wie immer, unsanft aus dem Schlaf gerissen?

Nur ganz langsam kam mein Geist dorthin, wo sich mein Körper schon die ganze Zeit über befand, nämlich in dem Zug, in welchen ich gestiegen war. Und ich wurde nicht von ihm geweckt, sondern von einem Schaffner, zu welchem ich nun aufblickte.

Der Mann – Mitte 40 würde ich sagen – schaute mich nicht wütend an, sondern eher besorgt, als er meinte: „Entschuldigen Sie, ich wollte nur ihre Fahrkarte sehen, wir hatten einen Personalwechsel…“

Zunächst blinzelte ich ihn noch ein wenig verwundert an, ehe ich merkte, wie mir langsam die Röte ins Gesicht stieg. Ich musste den armen Mann wirklich mit meiner seltsamen Reaktion ziemlich erschreckt haben, so wie dieser mich nun anblickte.

„Ach so… meine Fahrkarte… ja klar… Hab geschlafen…“, stammelte ich, und kramte dann schnell aus der vorderen Tasche meines Rucksacks die Karte heraus, welche ich dem Schaffner dann reichte. Dieser stempelte den Fahrschein ab, warf mir dann noch einen kurzen Blick zu, während diesem er anscheinend überlegte, ob er mich fragen sollte, ob alles in Ordnung sei. Dann entschied er sich aber wohl doch anders, und setzte seine Kontrollgang mit den Worten: „Personalwechsel,… ihre Fahrkarten bitte!“ fort.

Ich atmete zweimal tief durch und lehnte mich dann langsam wieder in meinem Sitz zurück. Gott sei dank war der Zug noch recht leer, und keiner sonst hatte meine komische Reaktion bemerkt. Hatte ich denn wirklich so tief geschlafen? Ich sollte mich besser etwas wach halten, nicht dass mir noch so etwas passieren konnte!

Ich rieb mir meinen rechten Oberarm. Die Stellen, an denen mich der Mann angestubst hatte, taten immer noch etwas weh, aber dafür konnte er ja nichts. Der Schaffner wusste ja nichts von den blauen Flecken, die sich unter dem Ärmel versteckten, und für die ein Anderer die Schuld trug…

Wieder lehnte ich meinen Kopf gegen die kühle Fensterscheibe und blickte nach draußen. Immer noch sauste an mir eine grau-grüne Masse vorbei, und dennoch hielt ich jetzt meine Augen mit Gewalt offen. Schlafen konnte ich mir einfach hier drin nicht mehr leisten…
 

Anscheinend hatte ich nicht nur sehr tief, sondern auch recht lange geschlafen, denn schon eine halbe Stunde später gab der Schaffner durch den Lautsprecher bekannt, dass wir nun den Kölner Hautbahnhof in wenigen Minuten erreichen würden.

Ich schaute noch einmal nach draußen. Das Wetter meinte es offenbar gut mit mir, denn hier schien etwas die Sonne und es gab keinen ekelhaften Nieselregen.

Nachdem ich meinen Rucksack wieder geschultert hatte, ging ich zu einem der Ausgänge des Zuges. Ausgerechnet dort stand auch der Schaffner, bereit zum Aussteigen. Ich versuchte so wenig Blickkontakt wie möglich zu halten, und starrte deshalb lieber auf den grauen, schon etwas schmutzigen Teppich zu meinen Füßen. Gleichwohl spürte ich den Blick des Mannes auf mir haften. Wenn er mir einen Gefallen tun wollte, sollte er jetzt nicht sein Gewissen für sich entdecken, und mich ausfragen. Am besten war es für uns beide, wenn er sich schon heute Abend nicht mehr an dieses seltsame Mädchen aus dem Zug nach Köln erinnern würde. Meine Gebete würden allen Anscheins nach ausnahmsweise erhört, und der Schaffner blieb genauso stumm wie ich.

Ich drückte auf den grün leuchtenden Knopf und die Türe vor mir öffnet sich langsam. Auch war ich die Erste, die ausstieg. Und bevor es sich der Mann noch einmal anderes überlegen konnte, war ich auch schon beim nächsten Abgang und eilte die Stufen hinunter. Unten angekommen blieb ich erst einmal stehen und blickte mich um. Schilder wiesen Reisenden den Weg. Nach rechts ging es zu den weiteren Gleisen. Wenn man links gehen würde,kam man letztendlich in der Bahnhofshalle an. Natürlich gab es für mich nur einen Weg. Doch ich zögerte das erste Mal seit heute Morgen. Eigentlich wusste ich gar nicht, wohin ich gehen sollte…

Und irgendwie begann ich mich etwas verloren zu fühlen. War es ein Fehler gewesen, einfach ohne einen festen Plan hierher zu fahren? Gab es denn eine Alternative?

Nein! Die gab es nicht, und würde es auch nicht geben… Das war eines der wenigen Dinge, die ich im Moment ganz sicher wusste. Egal, was ich hier aus meinem Leben machen würde, es war alles besser, als dort noch einen einzigen weiteren Tag zu bleiben!

Mein Entschluss stand fest, und das wiederum beflügelte mich erneut. Wieder kam dieses Kribbeln in meinem Bauch hoch. ‚Was soll’s!’, dachte ich bei mir, ‚Dann lebst du eben auf der Straße… Das schaffen andere auch… Und besser als dort wo du herkommst ist es allemal!’ Mein Blick flog nach links und im nächsten Moment ging ich raschen Schrittes den unterirdischen Gang entlang, der mich zur Bahnhofshalle brachte. Obwohl diese wirklich groß war, im Vergleich zu der kleinen in der ich noch vor ein paar Stunden gestanden hatte, ließ ich mich nicht durch die Lichter anziehen wie eine Motte. Mein Ziel war der Ausgang.

Endlich frische Luft atmen…! Endlich Freiheit spüren…!

Ich trat nach draußen und blinzelte etwas aufgrund des Lichtes, welches die Sonne auf den Platz vor mir warf. Man merkte, dass die Zeit schon fortgeschrittener war, denn nun tummelten sich schon einige Leute mehr hier draußen. Viele trugen Anzüge und eine Aktentasche mit sich herum, und sahen schrecklich wichtig damit aus – sie kamen sich allen Anscheins nach auch genau so vor… Geschäftig eilten sie die Stufen hinauf, oder hinunter und in den Bahnhof hinein. Ich dagegen schlenderte langsam über den Platz vor dem Bahnhof. Es dauerte nur wenige Minuten und ich kam mir auch schon als eine Art Außenseiterin vor. Doch damit konnte ich wirklich gut leben, war ich das doch schon immer gewesen!

In der Schule hatte mein Kleidungsstil nie wirklich zu dem der anderen, oder zu dem aus irgendwelchen Modezeitschriften gepasst. Ich trug am liebsten Jeans – je abgewetzter desto besser – und ein Tanktop oder ein T-Shirt. Eines meiner Lieblingskleidungsstücke war natürlich der graue Kapuzenpulli mit der weißen Aufschrift und der Bauchtasche. Das war wohl auch der Grund, warum ich diesen mitgenommen hatte, und fast alles andere zurück gelassen hatte…

Meine Füße hatten noch nie in Pumps oder Sandaletten oder dergleichen gesteckt. Turnschuhe taten es auch, und am besten waren natürlich meine schwarzen Chucks, die ich jetzt schon seit einem Jahr mein Eigen nannte!

Meine ziemlich kurzen, verwuschelten, dunkelbraunen Haare, welche ich ab und an rot gefärbt hatte, taten ihr übriges, damit ich von den Mädchen an meiner Schule schief von der Seite angesehen worden war. Tja, einen Jungen interessieren mit 16 Jahren meistens nicht mehr die Mädchen, mit denen man abhängen kann, sondern eher diejenigen, welche aussehen wie kleine Barbiepüppchen… Irgendwie ironisch, das Jungs irgendwann doch anfangen, mit Puppen zu spielen…
 

Ich beschloss mir zuerst einmal etwas zu essen zu kaufen. Gerade eben hatte sich mein Magen nämlich lautstark zu Wort gemeldet. Ich könnte es ihm nicht vergönnen, schließlich war das Frühstück ausgefallen, und langsam wurde es Zeit fürs Mittagessen. Ich kaufte mir an einer Bude einen Hotdog und ließ mich dann auf die Treppenstufen nieder, den wirklich beeindruckenden Dom in meinem Rücken. Mein Rucksack ruhte fest zwischen meinen Beinen. Ich würde sicherlich nicht so dumm sein, und mir diesen schon an meinem ersten Tag hier klauen lassen.

Als ich so an meinem Hotdog knabberte, bemerkte ich zunächst gar nicht, wie sich ein Schatten über mich legte. Ich maß dieser Tatsache auch noch keine große Bedeutung zu, als ich bemerkte, dass es um mich schattiger geworden war… Erst als eine tiefere Stimme in rauem Ton zu mir meinte: „Hey… was machst du denn da?“, blickte ich langsam auf. Vor mir stand ein Typ und blickte direkt auf mich hinunter. Schwarze Stiefel, zerrissene Hose, schwarzes T-Shirt und ehemals blonde, jetzt grün gefärbte Haare, welche auf einer Seite kaum mehr als 3 mm lang waren, auf der anderen dafür umso länger… Ich musterte den Kerl kurz. Ich schätzte ihn so auf 27 Jahre. Nicht wirklich alt, aber auch kein Teenager mehr.

Auch wenn ich ganz genau wusste, wann es Zeit war den Schwanz einzuziehen und zu verschwinden, erwiderte ich seinen Blick und meinte mit starker Stimme und einer Spur Stursinn: „Na, ich sitze hier…“

Dann wandte ich mich wieder meinem halben Hotdog zu, und tat so, als würde ich den Fremden keines Blickes mehr würdigen. Dennoch bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie ein Grinsen über seine Lippen huschte. Im Anschluss daran trat der Typ mir aus der Sonne und setzte sich neben mich auf die Stufen. Immer noch konzentrierte ich mich darauf, nicht zu ihm zu sehen, auch wenn mein Herz zu rasen anfing. Das Schlimme war, dass ich nicht wusste, was dieser Kerl vorhatte… Und eines hatte ich gelernt, dass man niemandem, und damit meine ich auch wirklich niemandem, vertrauen konnte, nicht einmal denen, die sich Eltern nannten…

Doch was mich echt verblüffte war, dass dieser Kerl neben mir einfach gar nichts machte. Er saß nur so da, neben mir, blickte ab und zu irgendwelchen Leuten hinterher, in den Himmel oder aus den Augenwinkeln zu mir. Wieder lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf mein Mittagessen.

Nach einer Weile hatte ich mein Essen beendet, blieb jedoch weiterhin sitzen und blickte nun auf den Platz zu meinen Füßen, welcher sich immer mehr mit Menschen zu füllen schien. Auf einmal hörte ich neben mir ein Klicken, und ohne es zu wollen, fuhr ich zusammen… Ich war eindeutig viel zu schreckhaft, und verfluchte mich dafür… Verstohlen blickte ich zu dem Typen neben mir, um herauszufinden, ob dieser etwas von meiner Reaktion mitbekommen hatte, doch als Antwort blies er nur den Rauch der Zigarette aus, welche er sich anscheinend mit einem Feuerzeug angezündet hatte. Dann hielt er mir die halb volle Schachtel mit einer heraus geklopften Zigarette unter die Nase. Ich kniff etwas meine Augen zusammen und betrachtete die Zigaretten. Dann nahm ich aber doch die mir angebotene Kippe an. Heimlich hatte ich auch schon öfter einmal eine geraucht. Das beruhigte einfach ungemein. Und war genau das Richtige nach einem Tag in der Hölle, wie er bei mir leider nur zu oft vorkam. Wieder dieses Klicken, als er sein Feuerzeug betätigte und meine Zigarette anzündete. Diesmal erschrak ich natürlich nicht, wusste ich doch nun, woher das Geräusch stammte.

„Ich heiße Marcus… Und wer bist du?“, wollte der Typ dann von mir wissen. Noch einmal beäugte ich ihn skeptisch. Doch was sollte der schon mit meinem Vornamen anfangen? Also erwiderte ich leise: „Ich heiße Mia…“

„Bist wohl neu hier, was Mia? Gerade erst angekommen?“, fragte Marcus dann weiter und nickte in Richtung der Bahnhofshalle. Dieser Typ war eindeutig viel zu neugierig und stellte verdammt noch mal zu viele Fragen.

„Kann sein…“, erwiderte ich deshalb nur mit einem Schulterzucken und nahm den zweiten Zug von der Zigarette. Wie wunderbar war es doch, wenn sich diese beruhigende Wirkung in meinem Körper ausbreitete. Langsam blies ich den Rauch zwischen meinen Lippen hervor.

„Nicht noch ein bisschen zu jung zum Rauchen?“, wieder Marcus... Ich nahm demonstrativ noch einen Zug und blies den Rauch in seine Richtung, als ich mich zu ihm umwandte. „Alt genug, um das selbst zu entscheiden…“, konterte ich nun mit kühlem Blick in seine Richtung. Noch eine Frage und ich würde aufstehen, und diesen Kerl hier alleine sitzen lassen. Was war er denn? Einer vom Jugendamt oder was?! Allmählich schien ein gewisses Misstrauen wieder in mir aufzusteigen.

„Dann weiß ich ja jetzt alles, was ich wissen muss…“, erwiderte Marcus aber nur knapp. Anscheinend hatte er meinen Blick richtig interpretiert, „Willkommen in Köln, Kleine!“ Nachdem er diese Worte gesagt hatte, nahm er einen letzten Zug von seiner Kippe, blies den Rauch nach vorne weg aus und ließ den Glimmstängel auf die Treppe fallen. Dann stand er auf, und zertrat die letzte Glut der Zigarette.

„Man sieht sich bestimmt mal wieder, Mia…“, meinte Marcus mit einem leichten Grinsen auf den Lippen, dann ging er die Stufen hinauf, und verschwand hinter dem Dom.

Ich wandte mich wieder dem Platz zu meinen Füßen zu. ‚Komischer Kerl’, dachte ich bei mir, tat es ihm dann aber nach ein bis zwei Minuten gleich und stand auf, trat meine Zigarette aus, und begab mich dann, nachdem ich meinen Rucksack um eine meiner Schulter gehängt hatte, nach oben zum Dom. Ich hatte mir vorgenommen erst einmal ein wenig die Stadt zu erkunden…



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