Zum Inhalt der Seite

Runaway

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Getting away from all this...

Heute würde ich es endlich durchziehen… Ich konnte es noch gar nicht glauben, dass ich den ersten Schritt wirklich geschafft hatte… Mein Rucksack rutschte von einer meiner schmalen Schultern. Ich zog ihn wieder nach oben und ging weiter. Im Moment hatte ich noch kein konkretes Ziel, außer immer Weiterzugehen, einfach nur weit weg von hier. Die Sonne zeigte sich an diesem Tag bis jetzt kaum, weshalb einem nicht mal auffiel, dass sie langsam schon aufgegangen war. Eine Masse aus grauen Wolken verdeckte sie komplett. Mein Blick wandert vom Himmel auf meine Füße. Meine Chucks waren schon ziemlich abgewetzt, aber das störte mich eigentlich recht wenig… In der nächsten Zeit würden sie wohl noch mehr beansprucht werden und danach deutlich schlimmer aussehen…

Dann richtete sich mein Blick starr geradeaus die Straße entlang. Bald hatte ich den Bahnhof erreicht, mein erstes Ziel dieser Reise. Mal sehen, wohin es mich dann verschlagen würde… Irgendeine große Stadt, das wäre wohl das Beste. Dort kannte nicht jeder jeden, und man würde in der Masse von Menschen einfach nicht auffallen. Vielleicht würde ich ja in Köln landen, oder doch Berlin? Ich beschloss einfach den Zug zu nehmen, der als erstes hier weg fahren würde und mich in eine Großstadt brächte. Eigentlich hatte ich noch viel Zeit, aber man wusste ja nie, was das Schicksal für ein Unglückskind wie mich bereit hält…

Ich wollte mich nicht noch einmal umsehen… Bloß nicht zurückblicken… Meine Schritte wurden schneller. Wenn ich all das hier beenden wollte, dann müsste ich hier und heute damit anfangen. Das hatte ich mir doch fest vorgenommen. Doch wie immer gab es einen Teil von mir – ich nannte ihn immer meine schwache Seite -, welcher von mir verlangte, mich noch einmal umzudrehen. Und wenn ich diesem Drang nachgeben würde, so wusste ich, würde ich auch wieder zurückgehen. So war es schon etliche Male gewesen.

Aber heute sollte es anders sein… Heute würde ich mich nicht noch ein letztes Mal umsehen, um am Ende doch wieder reumütig vor der Haustüre zu stehen, und mich rein zu schleichen… Genau weil ich mich so gut kannte, hatte ich auch diesmal nicht noch meinen Schlüssel mitgenommen. Er lag in dem kleinen Kuvert, welches ich in meinem Zimmer zurückgelassen hatte… Eine Art Abschiedsbrief für meine Mutter. Denn egal, was passiert war, und was er mir alles angetan hatte, ihr gab ich dafür nur eine Teilschuld. Sie war die Einzige gewesen, die mich Jahre lang dort gehalten hatte. Doch jetzt reichten nicht einmal ihre geflüsterten, beruhigenden Worte aus, um mich aufzuhalten…
 

Ich betrat den Bahnhof, und zog mein dunkelgrünes Käppi tiefer ins Gesicht. Eigentlich kannten wir niemanden, der im Bahnhof arbeitete. Mein Glück sozusagen. Aber obwohl es noch sehr früh am Morgen war, wusste man nie, wer noch alles hier sein könnte. Und gesehen werden wollte ich auf keinen Fall. Schließlich sollten sie nicht gleich wissen, wo sie mich suchen müssten. Hoffentlich würden sie nicht einmal anfangen mich zu suchen. Aber Verstehen, das hatte noch nie zu einer seiner Eigenschaften gehört… Also erwartete ich dergleichen auch jetzt nicht.

Es war um diese Uhrzeit nur ein Schalter am Bahnhof besetzt, und eigentlich stand dort kein Mensch an. Es wäre also ein leichtes gewesen ein Ticket dort zu lösen. Dennoch wandte ich mich vom Schalter ab, und trat vor einen der großen roten Automaten. Noch nie hatte ich mich mit solch einem Ding befasst, aber es gibt ja immer ein erstes Mal! Mein Blick schweifte zunächst auf die Anzeigetafel. Der nächste Zug ging nur in den Nachbarort – so hatte ich mir meine Reise nicht vorgestellt. Als ich aber meine Augen weiter über die aufgelisteten Abfahrten gleiten ließ, wusste ich, wohin ich fahren würde...

Mein Blick heftete sich auf das Display des Automaten. Während ich darauf herum drückte, kaute ich auf meiner Unterkippe herum. Eine dumme Angewohnheit. Aber ich hatte das Gefühl, das mir das immer beim Nachdenken half.

Im Endeffekt muss ich sagen, dass diese Automaten einfach zu bedienen sind, als ich gedacht hatte. Ein paar Minuten Herumdrücken, und schon stand meine gewünschte Reiseverbindung auf dem Bildschirm. Ich kramte meine Geldbörse heraus, welche gefüllt war mit dem spärlichen Inhalt meiner Spardose. Es handelte sich nicht um viel, das stand fest, auch wenn ich den Inhalt in der Hektik nicht gezählt hatte. Meine Schätzungen beliefen sich auf um die 150 Euro. Wobei jetzt schon 40 Euro für mein Zugticket drauf gingen…

Der Automat druckte mir den Fahrschein und spuckte ihn schließlich in einen Schacht aus. Schnell nahm ich das Wechselgeld und die Karte und verstaute alles in meinem Rucksack. Mein Blick wanderte erneut auf die Anzeigetafel. Noch eine viertel Stunde, bis mein Zug losfahren würde. Ich blickte mich in der Eingangshalle des Bahnhofs um. Es war wirklich noch nicht sonderlich viel los, trotzdem hatte ich immer das Gefühl beobachtet zu werden. Na hoffentlich entwickelte ich jetzt nicht auch noch eine Zwangsneurose.

Mit den Händen in den Hosentaschen durchquerte ich die Halle. Mein Gefühl hatte sich wohl getäuscht, denn die Leute hier schienen nur mit ihren eigenen Dingen befasst zu sein. Eine Frau las in einem Buch, und blickte nur ab und an auf die Anzeigetafel. Ein junger Mann, um die 20 Jahre alt, ließ sich gerade ein Ticket aus dem Automaten, an dem eben noch ich gestanden hatte. Und ein alter Typ lag auf einer der Bänke und schnarchte leise vor sich hin.

Auf einmal kam mir hier drin alles viel zu stickig vor. Ich musste einfach raus… Also ging ich durch die Unterführung, die mich zu meinem Gleis – Gleis 4 – bringen sollte. Wieder oben angekommen, saugte ich zunächst die kühle und frische Morgenluft in meine Lungen ein. Fühlte sich so Freiheit an?

Langsam begann ein Hochgefühl in mir aufzusteigen. Im Moment machte es sich nur als Kribbeln im Bauch bemerkbar. Aber schon jetzt wusste ich, dass es sich noch besser anfühlen würde, wenn ich im Zug saß. Seinen Höhepunkt erwartete ich dann in der anderen Stadt, wenn ich diese endlich erreicht hatte!

Hier oben war noch niemand außer einer älteren Frau mit einem Stock, die auf einer der Bänke aus Metal saß. Ich ging in die entgegen gesetzte Richtung, lehnte mich an einen der Automaten, der hier herumstand und wartete. Wenigstens hielt mich mein Kapuzenpulli schön warm. Diesmal war der Herbst ziemlich früh gekommen, aber vielleicht schafften es ja noch die einen oder anderen Sonnenstrahlen zu uns herunter.
 

Mit quietschenden Bremsen hielt der Zug eine Viertelstunde später neben mir an. Der Schaffner stieg aus und nahm sich kurz darauf der älteren Dame an, die es nicht schaffte alleine den Zug zu betreten. Für mich dagegen waren die zwei kleinen Stufen kein Problem. Im Gegenteil: Als ich den Zug betrat, fühlte ich mich wirklich noch ein Stückchen besser. Ich wusste gar nicht mehr wirklich, wie sich das eigentlich anfühlte!

In einem noch recht leeren Abteil suchte ich mir ein gemütliches Plätzchen und lümmelte mich in den Stuhl. Mein Kopf ruhte an der kühlen Scheibe. Drinnen lief die Heizung auf Hochtouren. Über kurz oder lang würde es mir sicherlich ziemlich warm in dem Pulli werden. Aber ich war mir noch nicht sicher, ob ich ihn ausziehe würde… Wahrscheinlich nicht…

Dann endlich nahm der Zug Fahrt auf. Langsam rollte er aus dem Bahnhof hinaus in Richtung Köln. Auch jetzt zwang ich mich aus dem Fenster nach vorne zu blicken, und mich nicht noch einmal umzusehen… Ich musste mich jetzt auf meine Zukunft konzentrieren, auf das, was vor mir lag. Da war meine Vergangenheit mir nur im Weg, und es war das Beste, wenn ich sie so schnell wie nur möglich verdrängen würde. Vergessen würde wohl nie möglich sein, aber es half ja wenigstens, wenn man einfach nicht so oft daran dachte…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück