Zum Inhalt der Seite

Days in Shibuya

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kaoru

Die Welt verändern? Unsinn.
 

Erst mit fünfzehn begriff ich, dass das nicht stimmte. Ich war immer davon überzeugt gewesen, dass es nicht möglich war, und es dauert fünfzehn Jahre, bis ich diese Meinung endlich änderte. Von dieser Veränderung will ich erzählen und am besten fange ich ganz am Anfang an. Als ich im April ’92 zum ersten Mal die öffentliche Oberschule von Shibuya betrat, lag mein fünfzehnter Geburtstag gerade mal eine Woche zurück. Als ich über den Schulhof lief, starrten mich knapp dreihundert Augenpaare neugierig und dümmlich zugleich an, lechzten danach zu erfahren, wer ich war, woher ich kam und was ich auf ihrem Schulhof zu suchen hatte.
 

Bis vor einer Woche hatte ich mit meinen Eltern noch in Nagano gelebt, aber nun hatte mein Vater einen besser bezahlten Job hier in Shibuya angenommen und wir mussten umziehen. Umzüge standen damals auf meiner Hassliste ganz oben. Auf Platz zwei stand Mathematik und auf Platz drei Brokkoli.
 

Wegen des Umzugs wurde ich eine Woche später als die anderen Neuen eingeschult. Die Schüler schienen bereits zu wittern, dass irgendetwas an mir anders war als an ihnen, als ich den Schulhof zum ersten Mal überquerte. Ich wusste, was sie tun würden. Sie würden sich auf mich stürzen wie eine Horde Hunde auf einen Knochen. Und mir Fragen stellen, warum ich jetzt erst kam, wo ich früher gewohnt hatte, warum wir jetzt nicht mehr dort wohnten und so weiter.
 

Ich reckte das Kinn hoch. Niemand sollte auch nur eine Sekunde lang denken, er könne mit mir umspringen, wie es ihm gerade passte. So wie gewisse minderbemittelte Vollidioten in Nagano es getan hatten. Aber konnte ich vielleicht was dafür, dass meine Mutter einen Bügeltick hatte und meine Schuluniform jeden Tag bügelte? Dass ich nie dreckige Schuhe hatte? Dass meine Bücher an den Ecken keine Knicke aufwiesen? Leider waren all das Dinge, die die anderen dazu reizten, mir stilvolle Namen wie Streber und Schleimer zu geben. Was ich übrigens nicht war. Weder das Eine noch das Andere traf zu. Wenn ich lernte, tat ich es meistens, weil meine Eltern mir sonst nicht erlaubten, meinem größten Hobby nachzugehen: Musik.
 

Mit acht Jahren habe ich angefangen. Damals sah ich die Band des großen Bruders von einem Freund von mir spielen und war begeistert. Danach lief ich zu meinen Eltern und bat sie, ein Instrument lernen zu dürfen, egal welches. Zuerst schlug ich Schlagzeug vor, weil man da so schön mit Krach machen konnte. Sie meinten aber, ein Schlagzeug sei ihnen zu teuer und empfahlen mir Blockflöte. Ich weigerte mich eine Blockflöte auch nur anzufassen. Dann einigten wir uns auf Gitarre und mein Vater fuhr mit mir in die Stadt, um mir eine Gitarre zu kaufen. Im Musikgeschäft sah ich dann zum ersten Mal in meinem Leben einen E-Bass und überredete meinen Vater einen solchen statt der Gitarre zu kaufen, da ich glaubte, er sei einfacher zu spielen, da er zwei Saiten weniger hatte. Ich merkte zwar schnell, dass ich mich geirrt hatte, aber auch, dass ich für die Musik geschaffen war. Meine Eltern erlaubten mir Unterricht an der Musikschule, aber nur unter der Bedingung, dass ich auch für die Schule lernte. Sollten sie sehen, dass meine Noten schlechter wurden, würden sie die Musikstunden abbrechen.
 

Ich denke, man kann schon ein bisschen Verständnis aufbringen, oder?
 

Ich war fest entschlossen jedem, der mir dumme Fragen stellen würde, genau das zu erzählen. Ich hasste es der so genannte Neue zu sein. Zwei hatte die Schule erst vor einer Woche begonnen, aber eine Woche reicht aus um Cliquen zu bilden. Meiner Meinung nach ist Clique nur ein anderes Wort für Mauer.

Die Blicke der Schüler verfolgten mich weiter, als ich die große Glastür am Eingang aufstieß und das Gebäude betrat. Ich glaubte, dass sie mich sogar durch das Glas hindurch beobachteten. Auf den großen und langen Korridoren der Schule fühlte ich mich ziemlich verloren. Die Wände waren in schlichtem weiß gehalten und sahen sehr neu und ordentlich aus. Keine Risse, keine Farbblasen, keine Staubfetzen in den Ecken. Wie oft die hier wohl Staub wischten? Die Türen waren aus hellem Eichenholz, ebenso die Fensterrahmen. Alles passte zusammen. Ich wunderte mich fast, dass die Flure nicht mit Teppich ausgelegt waren. Verglichen mit meiner alten Schule war das hier ein Palast…
 

Nachdem ich eine Weile die Korridore rauf und runter geirrt war, ahnte ich, dass ich mich verlaufen hatte. Woher sollte ich auch wissen, wo das Büro des Direktors war? In dem Brief, den sie mir geschickt hatten, hatte nur gestanden: Melde dich im Büro des Direktors, dort wirst du erfahren in welche Klasse du kommst. Keine Wegbeschreibung. Nicht mal ein Anhaltspunkt. Ich schaute auf meine Uhr: Noch hatte der Unterricht nicht begonnen. In wenigen Minuten würden die Flure sich mit Schülern füllen, die alle wussten, in welcher Klasse sie waren und wo der zugehörige Klassenraum war. Klar, ich könnte einen von ihnen fragen… Aber dann würden sie doch bestimmt denken Wie dumm, der weiß nicht mal wo der Direx sein Büro hat! Nein, darauf konnte ich auch verzichten. Ich schaute auf die Schilder an den Türen, in der Hoffnung, die Richtige durch Zufall zu finden. Ich fand heraus, dass ich bei den Chemieräumen war. Wie groß war diese Schule? Jeder Korridor sah gleich aus. Und hier sollte ich es die nächsten drei Jahre aushalten? Halleluja, was für eine Aussicht.
 

Ich steuerte die nächste Treppe an und ging nach unten, mit einem schrecklichen Gefühl von Unsicherheit und Leere im Kopf. Unten angekommen blieb ich stehen und schaute mich um. Links und rechts zweigten sich zwei vollkommen identische Flure ab, vor mir lag die Eingangshalle. Ich spielte schon mit dem Gedanken, einfach wieder zu gehen und dieser verfluchten Schule den Rücken zu kehren, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte. Ich fuhr herum. Hinter mir stand ein Typ und grinste mich schief an.
 

Er war ein bisschen größer als ich. Die Ärmel seines Hemds waren ausgefranst, die beiden obersten Knöpfe geöffnet und auf sein rechtes Hosenbein war irgendwas mit schwarzem Filzstift geschrieben. Seine schulterlangen Haare sahen aus als hätten sie noch nie eine Bürste gesehen und standen wild vom Kopf ab, aber das wirklich auffallende an ihnen waren die violetten Strähnen. Meine Mutter hätte mich umgebracht, wenn ich es gewagt hätte, so in die Schule zu kommen. Er war von der Sorte Mensch, die ich im Stillen immer bewundert hatte, weil sie so unabhängig waren. In Nagano hatte es auch eine Gruppe solcher Typen gegeben. Ich bezeichnete sie gern als Rebellen, die meisten nannten sie Freaks.
 

„Wir dürfen vor Unterrichtsbeginn nicht rein“, sagte er und grinste immer noch. „Dann solltest du lieber rausgehen“, erwiderte ich und grinste ebenfalls. Seine Mundwinkel zuckten. Aber er lachte nicht. „Darf ich fragen, was du hier verloren hast?“ „Ich hab das Büro vom Direktor gesucht“, erklärte ich und meine Gelassenheit verschwand wieder. Bestimmt hielt er mich jetzt für einen totalen Volltrottel. „Ahh, verstehe“, meinte er gedehnt und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, „du bist neu hier, grad mal ne Woche auf der Schule und schon ein Privatgespräch mit dem Direx!“ Er lachte. „Alle Achtung, das hab nicht mal ich geschafft.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab nichts verbrochen“, sagte ich, „ich soll mich da melden, damit ich weiß, in welche Klasse ich muss.“ „Achso…“, murmelte mein Gegenüber und hörte auf zu grinsen. „Treppe hoch, erster Gang links, dritte Tür rechts.“ Er klang etwas enttäuscht. Ich bedankte mich, drehte mich um und ging die Treppe hoch. „Hey, Kleiner!“, rief der Typ mich plötzlich zurück. „Ja?“ Er stand immer noch am Fuß der Treppe. „Sag ihm ruhig, dass Kaoru Niikura dir geholfen hat. Macht sich gut in meiner Akte. Bye!“ Er hob die Hand und ging dann in Richtung Ausgang. Was für ein seltsamer Typ, dachte ich, während ich die Treppe hoch eilte. Aber irgendwie… interessant.
 

Ich fand das Büro vom Direktor jetzt auf Anhieb und nachdem ich geklopft hatte, machte mir eine ältere Frau mit Nickelbrille, Klunkerohrringen und Haarknoten auf. „Warte hier“, befahl sie und deutete auf einen Stuhl. Ihre Stimme erinnerte mich an das schrille und laute Kläffen eines Chihuahuas. Ich nahm vorsichtig Platz und wartete. Nach einer Weile hörte ich einen Gong - der Unterricht hatte begonnen. Der Direktor ließ sich Zeit. Als er kam sprang ich auf, verbeugte mich kurz und nannte meinen Namen. „Ah, ja“, sagte er, „Hara Toshimasa. Hast du dich gut zu Recht gefunden?“ „Ja“, log ich und merkte, wie ich nervös wurde. Gleich würde ich zum ersten Mal meine neue Klasse sehen. Ich war ziemlich nervös. „Folge mir“, sagte der Direktor und wir liefen durch die halbe Schule, wie es mir vorkam, Treppe hoch, Treppe runter, Korridor links, Korridor rechts…
 

Endlich blieben wir vor einer Tür stehen, hinter der sich mein zukünftiges Klassenzimmer befand. Mein Herz klopfte wie blöd. Der Direktor klopfte an und kurz darauf öffnete sich die Tür. Ich stand jetzt einer knapp vierzigjährigen Frau gegenüber, die mich leicht abwertend musterte. Alles an ihr war ordentlich. Auf der Nase hatte sie eine Lesebrille und hinter dem rechten Ohr ein Stück Kreide. „Hara Toshimasa“, stellte der Direktor mich vor und wandte sich dann an mich. „Deine zukünftige Lehrerin, Frau Nakashima.“ „Hallo“, sagte ich schnell. „Du bist spät“, antwortete sie spitz, dann bedankte sie sich beim Direktor und zog mich in die Klasse. Wieder wurde ich angestarrt. Ich ließ schnell den Blick durch den Raum schweifen. Die Schüler hatten jeweils ein Heft vor sich liegen und waren anscheinend dabei gewesen, etwas zu schreiben. Einige hatten den Stift noch in der Hand. „Euer neuer Mitschüler“, sagte die Lehrerin. „Hara Toshimasa.“
 

Ein Raunen ging durch die Klasse, was wohl Hallo bedeuten sollte. „Hallo“, sagte ich. Das Interesse der Klasse legte sich wieder auf die Aufgabe. „Na gut“, sagte Frau Nakashima. „Setz dich da hinten neben Sasaki Hizuki. Wir wollen dann weiter machen.“ Ich setzte mich auf den einzigen freien Platz und kaum dass ich saß, sprach mein neuer Tischnachbar mich an. „Hey“, sagte er vertraulich. „Woher kommst du? Warum kommst du erst jetzt?“ „Umzug“, murmelte ich, während ich mein Heft und das Mathebuch aus meiner Tasche angelte. „Echt? Wo hast du früher gewohnt? Hast du schon alle Bücher? Wenn nicht, kannst du gern in meins mit reinschauen“, plapperte Sasaki in atemberaubendem Tempo. Ich ahnte, warum der einzige freie Platz neben ihm gewesen war. „Ah gut, du hast schon ein Buch“, sagte er sofort, als ich mein Mathebuch auf den Tisch legte. „Wie gefällt dir die Schule? Kennst du hier schon jemanden? Man, es wär schrecklich für mich, auf ne neue Schule zu kommen und keinen zu kennen. Soll ich dich nachher rumführen? Hast du schon die Auszeichnungslisten gesehen? Ich will unbedingt drauf kommen, du auch? Warst du schon mal auf einer Liste?“ „Äh…“, murmelte ich und fragte mich, wie jemand so schnell so viele Fragen stellen konnte. „Also nicht“, schlussfolgerte Sasaki. „Na ja macht nichts, kann ja nicht jeder schaffen. Was ist denn dein Lieblingsfach? Macht’s dir was aus wenn ich dich beim Vornamen nenne?“ „Ja“, sagte ich gereizt und schlug mein Buch auf. Sasaki sah aus, als hätte ich ihm eine rein gehauen. „Ruhe dahinten!“, rief Frau Nakashima in diesem Moment. „Oder ihr schreibt beide eine Zusatzaufgabe!“ Ich war noch nie so dankbar gewesen, ermahnt zu werden.
 

Als es zur großen Pause läutete, beeilte ich mich aus der Klasse zu kommen, damit Sasaki nicht auf die Idee kommen konnte, ich würde die Pause mit ihm verbringen wollen. Ich suchte mir einen einsamen Platz auf dem Schulhof und überlegte, was ich tun sollte. Früher hatte ich meine feste Gruppe gehabt, mit der ich in der Pause zusammen gewesen war, aber hier hatte ich niemanden. Ich hätte ein Buch nehmen und lesen können, aber dann wäre ich sofort wieder der Streber gewesen. Ich schlenderte also alleine über den Schulhof und hielt Ausschau nach den anderen aus meiner Klasse, aber dummerweise konnte ich mich nur an Hizuki wirklich gut erinnern. Ich blieb stehen, lehnte mich an einen Baum und tat so, als würde ich auf jemanden warten, damit niemand auf die Idee kam, ich wäre allein.
 

„Hey!“, sagte plötzlich eine Stimme hinter mir. Sie kam mir bekannt vor. Ich drehte mich um und hinter mir stand Kaoru Niikura, der mir vorhin den Weg zum Direktor gezeigt hatte. Neben ihm standen zwei weitere Gestalten, beide wiesen jeweils ähnliche Auffälligkeiten wie Kaoru auf. Der Eine war etwa so groß wie ich und hatte blond gefärbte Haare, seine Hose war an den Knien eingerissen und die Kappen seiner Schuhe waren schwarz bemalt. Der Andere hatte sich die Haare rot gefärbt und trug über der Uniform eine schwarze Jacke mit Buttons. Ich betrachtete sie. Einige zeigten Sprüche, aber die Meisten waren mit Bandlogos bedruckt. Ich erkannte unter anderem Buck-Tick und X, genau die Musik, die ich auch hörte. „Hey“, sagte ich lässig. Warum sprachen sie jemanden wie mich an? „Wieso stehst du hier alleine rum?“, fragte der Rothaarige. „Er kennt hier noch keinen“, erklärte Kaoru, bevor ich antworten konnte. „Hast du dem Direx eigentlich vorhin gesteckt, dass ich dir geholfen hab?“ Ich schüttelte den Kopf und Kaoru seufzte. „Schade“, murmelte er. „Na was soll’s.“ Ich antwortete nicht und überlegte, was sie wohl für einen Grund hatten, mich anzusprechen. Ich war das komplette Gegenteil von ihnen. Vielleicht brauchten sie Geld und wollten mich erpressen?!
 

„Erzähl doch mal“, meinte Kaoru vertraulich, legte mir einen Arm um die Schulter und drängte mich sanft aber bestimmt mit ihm mitzugehen. „Wo hast du früher gewohnt?“, fragte er. „Nagano“, erwiderte ich und versuchte mich zu befreien. Natürlich vergebens. Er war viel stärker als ich. Wir liefen quer über den Schulhof. Was für ein Start. Gerade mal einen Tag hier und ich geriet ausgerechnet an die rebellische Clique. Immer wieder sah ich, wie einzelne Schüler uns hinterher starrten, die Nase rümpften oder die Köpfe schüttelten. Wir waren in der Mitte des Hofs angekommen, als ein Lehrer Kaoru rief. „Niikura!!“, dröhnte eine scharfe Stimme über das Gelände. Kaoru ließ mich los, ging zu dem Lehrer und lächelte. „Herr Reiko“, sagte er höflich und verbeugte sich übertrieben. „Sie wollen mich sprechen?“ „Allerdings“, sagte der Lehrer. „Ich musste erfahren, dass Sie sich vor Schulbeginn erneut im Schulgebäude aufgehalten haben!“ „Richtig“, sagte Kaoru ohne mit der Wimper zu zucken. „Aber schauen Sie… Ich habe diesem neuen Schüler…“, er nahm mich am Arm und zerrte mich neben sich, „nur gezeigt, wo das Büro von Dr. Yatsumi ist. Es tut mir aufrichtig Leid, wenn ich damit gegen unsere Schulordnung verstoßen habe.“ „Das sollte es auch“, knurrte Herr Reiko. „Es wäre nämlich nicht das erste Mal!“ Dann wandte er sich an mich. „Stimmt das?“, schnarrte er. „Hat er dir den Weg gezeigt?“ Ich nickte hastig. „Schön“, er machte eine abweisende Geste. „Haut ab. Aber ich hab ein Auge auf Sie, Niikura.“ Kaoru verbeugte sich wieder viel zu übertrieben. „War mir eine Ehre…“, säuselte er und als Herr Reiko ein paar Meter weit weg war fügte er „Du kleinkarierter Pisser“, hinzu. Ich musste lachen und Kaoru lächelte selbstzufrieden. Wir gingen zu den anderen zurück, die ebenfalls breit grinsten. „Nur das Übliche“, meinte Kaoru abwehrend. „Kommt, die Pause geht nicht ewig.“ Wir setzten unsere Tour über den Schulhof fort, bogen um eine Ecke und befanden uns jetzt hinter dem Schulgebäude. Kaoru lehnte sich an die Backsteinmauer und krempelte die Ärmel seines Hemds hoch. Er hatte ziemlich kräftige Unterarme. „Hast du was dabei?“, fragte der Blonde und ich peilte überhaupt nichts mehr. „Klar“, Kaoru grinste in die Runde. Dann holte er eine Schachtel Zigaretten aus seiner Jackentasche, warf den beiden Anderen jeweils eine zu und steckte sich zuletzt selbst eine an. „Rauchst du?“, fragte er mich. Ich schüttelte den Kopf. Kaoru zuckte mit den Schultern und steckte die Kippen wieder ein. Ich fühlte mich schrecklich fehl am Platz und dachte die ganze Zeit, was wohl passieren würde, wenn ein Lehrer kam und uns hier rauchen sah. „Hey, Kleiner“, sagte der Rothaarige plötzlich. „Bleib cool, die Lehrer kommen nicht hierher.“ Ich nickte. „Wir wollten dich um nen Gefallen bitten“, ergänzte Kaoru und stieß den Rauch in Form von kleinen Ringen aus. Ich machte große Augen. „Was denn?“, stammelte ich total verdattert. „Du gehst doch in die Klasse von Sasaki Hizuki, oder?“ fragte Kaoru und ich nickte. Der Blonde zog einen zusammengefalteten Zettel aus seiner Jackentasche. „Gib ihm das, ja?“, sagte er und gab mir den Zettel. „Wieso macht ihr das nicht selbst?“, fragte ich. Der Rothaarige lachte trocken. „Weil Hizu die angenehme Angewohnheit hat, die Pause im Sekretariat zu verbringen und dieser verstaubten Sekretärin ihre Akten zu sortieren und so“, erklärte er und schnippte die Asche seiner Zigarette in die Richtung des Blonden. „Pass doch auf!“, rief dieser und der Rothaarige lachte. „OK“, sagte ich. „Ich kann’s ihm geben.“
 

„Danke Kleiner“, sagte Kaoru, trat seine Kippe aus und wandte sich zum Gehen. „Ach ja“, sagte er. „Erzähl uns morgen bitte wie er reagiert hat, ja?“ Ich nickte. „Und noch was“, Kaoru grinste mich wieder schief an. „Ich muss doch wissen, wer mir so brav geholfen hat. Wie heißt du?“ „ Hara Toshimasa.“ „Wir hörn voneinander“, sagte Kaoru und winkte dann seinen Freunden. Sie gingen auf den Schulhof zurück. Ich blieb stehen und wartete, bis sie weg waren, dann erst ging ich hinterher. Plötzlich wollte ich nicht, dass jemand mich noch mal mit ihnen sah. Als ich auf den Schulhof kam, konnte ich sie nirgends mehr entdecken, deshalb machte ich mir keine weiteren Gedanken über sie und ging mit den anderen Schülern rein.
 

Zu Beginn der nächsten Stunde gab ich Hizuki den Brief. Als er ihn öffnete, ärgerte ich mich plötzlich, dass ich ihn vorher nicht gelesen hatte.

Hizuki las den Brief, dann knüllte er das Papier zusammen und stopfte es in seine Hosentasche. „Was ist?“, fragte ich. Er machte sich nicht die Mühe mich anzusehen, als er anfing zu reden. „Wie kommst du an diesen Zettel?“ Es klang vorwurfsvoll. „Kaoru meinte ich soll ihn dir geben…“ „Super“, zischte er und knallte den Zettel vor mir auf den Tisch. „Dieser verdammte Arsch! Er nutzt Leute immer aus.“ „Wieso sollte er?“ „Weil das seine Art ist“, Hizuki seufzte und faltete den Zettel wieder zusammen. „Er will dich vielleicht gegen uns aufspielen, weil du neu bist. Hast du den Zettel gelesen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Gut“, murmelte Hizuki. „Dann brauchen wir nicht mehr drüber reden.“ Er drehte mir den Rücken zu.
 

Während der Stunde hörte ich kaum zu. Ob das wohl ein guter Start gewesen war…

Kurz bevor es zum Schulschluss läutete, sah ich, wie Hizuki den Brief noch einmal verknitterte und dann in den Papierkorb warf. Er verfehlte sein Ziel und blieb neben dem Papierkorb liegen. Ich tat so, als würde ich noch in meiner Tasche herumkramen, wartete bis er weg war, dann schnappte ich mir den Zettel und steckte ihn ein. Auf dem Nachhauseweg holte ich ihn wieder hervor, strich ihn etwas glatt und fing an zu lesen. Der Brief lautete:
 

Huhu, Hizu-chan!

Wie geht’s? Wir hoffen, dass du vom Akten sortieren keine Staublunge bekommen hast! Erinnerst du dich noch an uns? Wir haben uns aus den Augen verloren, als wir damals auf die Mittelschule kamen… Weißt du noch, was wir früher in der Grundschule immer gespielt haben? Wir haben dafür gesorgt, dass die großen, bösen Jungs dich in Ruhe lassen und du hast unsere Matheaufgaben gemacht. Uns hat das damals viel Spaß gemacht, dir nicht auch? Aber nun mal zum wirklichen Anlass, weshalb wir dir schreiben. Wir haben da von einem etwas unschönen Vorfall gehört, in den du dich hast verwickeln lassen, wirklich dumm, mein Freund, wirklich dumm! Und du wirst doch sicher nicht wollen, dass der liebe Herr Direktor davon erfährt, oder? Wir wollen dir einen Deal vorschlagen: Wir verlieren kein Wort über dich und du bist uns mal wieder in Mathe behilflich. Wenn du ablehnst, kannst du mit deinem ersten Tadel rechnen…

Liebe Grüße, deine Freunde

K. D. K.
 

Ich faltete den Brief wieder zusammen, ohne richtig zu wissen, was ich jetzt davon halten sollte. Anscheinend kannte Kaoru Hizuki von der Grundschule und hatte ihn damals gezwungen, ihm die Hausaufgaben zu machen. Aber was war das für ein Vorfall, in den Hizuki verwickelt worden war? Er sah eigentlich nicht aus, wie der Typ der irgendeinen Unsinn anrichtete. Als ich nach Hause kam, erzählte ich meiner Mutter nur kurz, dass die neue Schule ganz in Ordnung sei und zum Glück stellte sie keine Fragen. Dann ging ich in mein Zimmer um nachzudenken. Eigentlich wollte ich wieder mit Kaoru und den beiden anderen in der Pause zusammen stehen. Andererseits glaubte ich nicht, dass ich es auf Dauer aushalten würde, denn ich tickte vollkommen anders als sie.
 

Ich nahm meinen E-Bass, schloss den Verstärker an und fing an zu spielen. Aber nur fünf Minuten später riss meine Mutter die Tür auf und ich musste aufhören. Eine Nachbarin hatte sich beschwert. In unserem Haus in Nagano hatte ich im Keller immer ungestört spielen können und kein Nachbar hatte sich beschwert. „Mach deine Hausaufgaben“, sagte meine Mutter streng. „Du hast doch welche auf, oder?“ Ich nickte, seufzte und fing mit den Aufgaben an, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Diese Stadt machte mir einen gewaltigen Strich durch die Rechung… Ich hatte meine alten Freunde nicht mehr in meiner Nähe, ich wusste nicht, was ich mit wem unternehmen könnte und nicht mal in Ruhe spielen konnte ich, ohne dass die Nachbarn mir dazwischen funkten. Ich ahnte, dass mein Leben sich hier in Shibuya komplett verändern würde. Ob positiv oder negativ wusste ich nicht, aber das würde ich schon noch herausfinden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  _Domestic_Fucker_
2006-10-14T20:50:53+00:00 14.10.2006 22:50
Ui ui ui!!!
=^^=
*gespannt desu*
Wie geht's weiter, wie geht's weiter??
*neugier*
Schreib ganz schnell, hai?!!!?
*knuffs*
=^^=


Zurück