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Die Karten legt das Schicksal

von

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Ein eröffnetes Verfahren

Um kurz nach halb sieben war ich bei den Simpsons und klingelte an der Tür. Wie konnte ich nur die Zeit vergessen? Das passierte mir sonst nie. Gott sei Dank, waren die Straßen nicht all zu voll gewesen. Ich blickte auf den ordentlich geschnitten Rosenstrauch neben der Treppe und klingelte augenblicklich, als ich oben vor der großen Doppeltür stand. Sofort öffnete sich die Tür und ich sah Mrs. Simpson entschuldigend an. Ihre rotblonden Haare hatte sie streng nach hinten gekämmt und auf ihren Wangen war eine Menge Rouge zu erkennen. „Tut mir leid. Ich hätte besser auf die Zeit achten sollen“, entschuldigte ich mich bei ihr. Sie nickte und wirkte tatsächlich etwas schlecht gelaunt. Verstehen, konnte ich sie durchaus.

„Ja, eigentlich ist es ja nicht schlimm, aber wir sind heute Abend auch noch verabredet und der Babysitter wird gleich da sein“, meinte sie und blieb höflich. Ich verstand jedoch, dass es sie ärgerte. Vermutlich waren sie jetzt wegen mir in Zeitdruck gekommen. Vielleicht hatte es auch wieder Streit mit ihrem Mann gegeben. Doch natürlich fragte ich nicht nach. „Tut mir jedenfalls leid. Es kommt nicht wieder vor“, sagte ich und sah hinter der Frau meine Tochter. Sie lächelte und griff nach ihren Schuhen. „Hallo Dad“, rief sie und fröhlich winkte sie. Ich war froh, dass Mrs. Simpson Madeline wohl nichts gesagt hatte. Höflich trat Taylors Mutter beiseite, sodass ich zu meiner Kleinen konnte. Ich griff nach ihrem pinkfarbenen Anorak und hockte mir vor ihr hin.

Schnell half ich ihr beim Schuhe anziehen und zog ihr die Jacke über. „Ich hatte total viel Spaß“, plapperte sie fröhlich. Ich sagte ihr, dass ich mich für sie freue und schnell verließen wir das Haus der Familie. Höflich verabschiedeten wir uns und Madeline winkte fröhlich von meiner Schulter.

Während der Fahrt nach Hause redete sie wie ein Wasserfall. Sie hatten viel gespielt und sich einmal sogar kurz gestritten. Warum verstand ich nicht, doch es interessierte mich gerade auch nicht so, dass ich nachhakte. Ich hielt für Madeline bei McDonalds und kaufte ihr noch ein Happy Meal. Ich wollte nicht nur für sie kochen, ich hatte schließlich schon gegessen. Es lohnte sich nicht, nur für sie etwas zuzubereiten. Sie freute sich über ihre dritte Einhornfigur und am Abend saßen wir beide in der Badewanne.

Ich badete nicht oft mit ihr. Eigentlich ging ich lieber duschen. Einmal, als Madeline im Kindergarten erzählte, dass sie mit mir baden war, waren einige Eltern entsetzt gewesen. Ich als Mann könne nicht mit meiner Tochter baden gehen. Totaler Schwachsinn. Als ich dann hörte, dass sie meinten, dass man dies nicht mache, da sie ein Mädchen und ich ein Mann sei, habe ich nur verständnislos den Kopf geschüttelt. Es war eines der dämlichsten Argumente, welche ich je gehört hatte. Selbst bei Gericht hörte ich wenig so sinnloses. Egal, ob ich schwul war oder hetero, sie war mein Kind. Und wenn ich sie je interessant finden sollte, würde ich mich sofort kastrieren lassen. Doch diese komischen Mütter regten sich damals immer weiter auf. Madeline könne sich doch keinen nackten Mann anschauen.

Als ich den Damen erklärte, dass Madeline den Unterschied zwischen Jungs und Mädchen kannte, hatte ich erneut den Award für den schlechten Vaters des Tages gewonnen. Madeline wusste, dass sie eine Scheide hatte und ich, als Mann, einen Penis. Wofür man die Sachen alles benutzen konnte, musste ich ihr doch nicht erklären. Allerdings war es vielleicht einfach üblicher, dass Mütter mit ihren Kindern badeten.

Ich genoss die Zeit heute mit ihr. Schnell wusch ich ihr und mir die Haare, bevor ich Sachen zum Spielen in die Badewanne legte. Wir spielten mit einigen ihrer Spielzeuge und ich ärgerte sie, als ich ihr mit der Quietscheente ins Gesicht spritzte. Ich ließ eine Plastikfigur untertauchen und Madeline „rettete“ mir so das Leben. Sie bespritzte mich mit Wasser und ich lachte auf. Ja, die Gute Laune schien einfach den Tag über anzuhalten.

„Daddy, hast du dir weh getan?“, fragte sie, als sie mich erneut mit etwas Wasser vollspritzte. Sie deutete auf mich und ich folgte ihrem Finger und sah leichte rote Kratzspuren auf meiner Brust. „Oh. Ja“, meinte ich, strich darüber und ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf meine Lippen, „Da hab ich mich wohl zu feste gekratzt.“ Kurz grinste ich süffisant, als ich an den Sex dachte. Ja, der war gut, auch besser, als der mit Alex. Doch schnell riss mich Madeline mit ihrer Stimme aus meinen Gedanke.

Sie nickte und fragte mit ihrer niedlichen Kinderstimme: „Muss ich jetzt pusten, damit es nicht weh tut?“ Herzhaft lachte ich auf und griff mit meinen langen Armen zu meiner Kleinen. Es war herzallerliebst und ich drückte sie an meine Brust, als ich lachend sagte: „Ich glaube, dass musst du nicht machen. Es tut ja gar nicht wirklich weh.“ Vorsichtig tatschte sie mit den Händen auf der Brust herum und ich hielt sie feste. „Anfassen, macht es aber nicht besser, Mäuschen“, sagte ich mit sanfter Stimme und gab ihr einen Kuss auf den Mund. Wärme breitete sich in mir aus, als ich mein kleines Mädchen betrachtete. Ich liebte sie einfach und auch, wenn es ab und zu anstrengend war, war sie es mir wert.

Wir blieben noch eine Weile im Wasser, bis ich fand, dass ihre Hände schrumpelig genug aussahen. Auch Maddy schien genug zu haben, denn sie protestierte nicht, als ich ihr dies mitteilte.

Das ganze Badezimmer stand unter Wasser und als ich Madeline aus der Wanne hob meinte ich schmunzelnd: „Schau dir das mal an. Wir waren viel zu wild… Jetzt müssen wir das Badezimmer trocken legen.“ Ich hatte sie bereits in ihren Bademantel gewickelt und unschlüssig tapste sie mit ihren Füßen in einer Pfütze herum. „Wie denn?“, wollte sie wissen und blickte zu mir auf, während ich mir ein Handtuch um die Hüfte legte. Ich kramte aus einem Schrank mehrere Handtücher hervor und blickte sie grinsend an, während ich fragte: „Wer glaubst du, ist schneller? Du oder ich?“ Ich warf ihr ein Handtuch entgegen, welches sie jedoch nicht zu greifen bekam. Ich hockte mich schnell hin und begann die Pfützen neben der Badewanne aufzuwischen.

„Ich bin schneller!“, rief Maddy und begann wild mit dem Handtuch auf den Boden herum zu wedeln. Ich lachte innerlich laut auf. Wie einfach man sie dazu bringen konnte mit aufzuräumen, wenn man nicht sagte, dass es aufräumen war. Ich ließ sie einfach machen und machte den Boden schnell trocken. Als sie mich fragte, ob sie gewonnen hatte meinte ich skeptisch: „Hm… Ich glaube, dieses Mal war ich schneller.“ Ich wusste, dass sie schlecht verlieren konnte und frustriert blickte sie zur Tür. „Aber das nächste Mal, gewinne ich“, meinte sie und reichte mir das nasse Handtuch.

Schnell zog ich mir frische Kleidung an und schmiss die nassen Handtücher über die Wäscheleine im Keller.

Langsam ging ich die Treppe hinauf und ging in Madelines Zimmer. Sie hatte sich bereits selbst angezogen, nur mit Oberteilen tat sie sich erstaunlich schwer. Ich beobachtete, wie sie fast verzweifelt versuchte ihren Kopf durch den Ärmel zu bekommen. Ich schüttelte leicht genervt den Kopf und meinte: „Madeline, dass ist der Ärmel. Du bist doch ein großes Mädchen und wirst vier. Da sollte das doch wirklich kein Problem mehr sein.“ Ich half ihr, dass richtige Loch zu finden und als ich ihr grinsendes Gesicht sah war sie am Kichern. „Aber da sind so viele Löcher“, meinte sie und steckte die Arme durch die Ärmel. Ich tippte ihr auf die Nase und meinte: „Aber dein Dickschädel passt nur durch das Eine.“

Sie verdrehte leicht genervt die Augen, doch ich ließ sie machen. Ich kämmte ihr die Haare und ließ sie ihren Bademantel über den Klamotten tragen. Es war bereits acht und nach einem Augenblick fragte sie: „Können wir Frozen schauen?“ Ich seufzte genervt auf. Ich hasste diesen Film langsam abgrundtief. Nicht, weil er schlecht war, sondern weil ich ihn zu oft gesehen hatte. Ich wollte diesen Film nicht sehen. „Nein, einen anderen Film, aber nicht wieder Frozen“, meinte ich und hielt ihr meine Hand entgegen.

Auf den Weg nach Unten nörgelte sie weiter und als ich genervt meinte, dass wir auch keinen Film schauen müssen, blieb sie still. Ich ging die DVDs durch und blieb bei 101 Dalmatiner hängen, doch sofort verwarf ich die Idee. Nachher gab es wieder eine Diskussion wegen irgendwelcher blöden Hunde. Ich griff nach Bärenbrüder. Bei diesem Film war die Musik wenigstens gut und als ich sie reinlegte kuschelte Madeline sich an meine Seite. Ich war nie ein großartiger Kinderfilmfan, doch ehrlicher weise, musste ich sagen, dass Disney wirklich okay war. Doch so spannend, dass sie mich fesseln konnten war keiner von ihnen bis jetzt gewesen.

Während der Film lief, holte ich mein Handy aus der Tasche und schrieb Paul, dass ich mich total auf Montag freuen würde. Er antwortete schnell. Auch er freue sich auf Montag und er hoffe, dass ich nächste Woche mehr Zeit haben würde.

Auch ich hoffte es. Ich schrieb ihm, dass ich mich bemühen würde. Ich blickte hinab auf Madeline. Sie konnte sich nicht 90 Minuten auf einen ganzen Film konzentrieren. Sie streichelte gerade ihrem Kuschelpferd die Mähne. Ihre braunen Haare waren von dem ganzen Wasser sehr wellig und müde gähnte sie. Ja, es war für sie heute ein wirklich langer Tag. Ich schaltete an meinem Handy die Kamera ein und meinte: „Komm mal her Maddy. Wir machen ein Foto.“ Ich beugte mich runter zu ihr und wir beide grinsten in die Kamera, als ich ein Selfie von uns machte. „Zeig es mir“, sagte sie begeistert und grinsend betrachtete sie uns beide auf dem Handy.

„Schön“, meinte sie und patschte aus dem Gerät herum. „Nicht Madeline. Das ist kein Spielzeug“, meinte ich und nahm ihr mein Handy aus den Händen. Sie sah dem Gerät nach und sagte zu mir: „Die Candy in meiner Gruppe darf immer mit dem Handy ihrer Mum spielen.“ Ich kannte Candy, sie machte ihren Namen alle Ehre. Ihre Eltern stopften das arme Kind mit Süßem voll. Sie war so alt wie meine Tochter und fast doppelt so schwer. Zudem konnte sie nicht mal richtig sprechen. Sie und Madeline waren mal die Letzten gewesen und im Gegensatz zu meiner Tochter sprach Candy einfach schlecht. „Hm…“, meinte ich stirnrunzelnd, „Das würde erklären, warum du so toll sprechen kannst und Candy nicht. Du lernst nichts, wenn du nur an dem Dingen hängst.“ Stirnrunzelnd betrachtete mich Madeline. Ich hatte viele Erziehungsratgeber gelesen, vor der Geburt und an einem war ich hängen geblieben. Es stritten sich die Geister darüber, ob man Kindern über diese neuen Medien versucht die Welt zu erklären. Sicherlich war vieles gut und auch interessant, doch ich wollte, dass sie die Welt selbst erkundete. Sie sollte auf den Spielplatz spielen, klettern und auch mal hinfallen. Wenn sie in den Sand fiel, dann weiß sie, dass sie beim nächsten Mal etwas anders machen sollte. Wenn sie sich das Knie aufschlägt, dann gibt es ein Pflaster. Ich bin genauso groß geworden und habe es geschafft 31 Jahre alt zu werden.

„Meinst du, dass man doof wird, wenn man nur an dem Dingen sitzt?“, fragte sie und ich kannte sie gut genug. Wenn ich nun ja sagen würde, würde sie sagen, dass ich da häufig dran hing. Ich strich ihr durch die Haare, während ich erklärte: „Du bist noch klein und da lernst man immer ganz viele und neue Sachen kennen. Wenn wir mit dem Fahrrad unterwegs sind, haben wir doch ganz häufig Tiere gesehen. Eichhörnchen und sogar mal ein Reh, sowas siehst du nicht, wenn du nur am dem Handy sitzt und darauf rumdrückst.“ Unschlüssig nickte Madeline und ich erinnerte sie daran, dass sie eigentlich den Film schauen wollte.

Ich brachte Madeline nach dem Film ins Bett und als sie endlich ruhig blieb ging ich wieder hinunter. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich mich jetzt gerne wieder mit Paul unterhalten. Stattdessen öffnete ich meine Post, welche ich heute Morgen einfach auf die Kommode im Flur gelegt hatte und erstarrte, als ich einen Brief des Gerichtes erkannte. Erschrocken weiteten sich meine Augen, als ich las: „Familiengerichtliches Verfahren zur Übertragung des alleinigen Sorgerechts des Kindes: Madeline Isabella Prescot.“

Ich überflog das Schreiben des Gerichtes. Es war wirklich echt. Das Siegel, die Unterschrift. Angeheftet an das Schreiben war ein Brief des Anwaltes meines Ex-Mannes. Ich schluckte und kurz zitterten meine Hände. Ich hatte das Gefühl, ich würde fallen und wusste nicht, wann und wie ich aufschlagen würde. Er hatte es wirklich ernst gemeint.

Als ich das Anwaltsschreiben überflogen hatte, hatte ich es doch nicht gelesen. Ich zwang mich ruhig zu bleiben und setzte mich auf das Sofa, auf dem Madeline und ich noch vor einer halben Stunde gemeinsam gekuschelt hatten. Wieso musste ich diese verdammte Post auch heute öffnen? Ich zwang mich ruhiger und konzentrierter die Zettel zu studieren.

Ich sah Zitate in dem Schreiben des Anwaltes und als ich die Namen googelte waren es wohl bekannte Menschen aus der Ex-Gay Bewegung. Kinder bräuchten Mutter und Vater. Und zwei Elternteile seien besser, da man so ein sicheres Umfeld bieten könnte. Ein Mann könne auch kein Mädchen erziehen? Welcher Vollidiot hatte das geschrieben?! Wieder überflog ich das Schreiben in meinen Händen.

Brian hätte gegenüber seines Anwaltes geäußert, dass er damals überfordert war. Er hätte sich selbst und alles in Frage gestellt und musste gehen um einen „klaren Kopf zu bekommen“. Er bereute diese Entscheidung und wolle nun für seine Tochter da sein. Meine Hände begangen zu zittern und ich biss mir wütend auf die Lippen.

Am liebsten hätte ich meinen Arbeitskollegen angerufen. Doch es war Samstag und bereits nach zehn Uhr. Ich würde auf Montag warten müssen. Ob ich es wollte oder nicht. Ich hasste es, wie das Schicksal mit mir spielte. Freude und Zorn, Wut und Liebe, lagen in den letzten Wochen sehr dicht beieinander. Ich beruhigte mich. Sich jetzt darüber aufzuregen würde gar nichts bringen. Es würde mir nur Nerven rauben. Er hatte keine Chance auf Erfolg und schwer durchatmend legte ich die Korrespondenz auf die Ablage für die wichtigen Dokumente. Ich ging zum Kühlschrank und schüttete mir einen kräftigen Schluck Scotch ein.
 

Am Sonntag konnte ich mich kaum auf den Zoo und Madeline konzentrieren. Doch ich bemühte mich. Ich wollte ihr einen schönen Tag bereiten und ich kaufte trotz des etwas kühlen Wetters ein Eis. Doch ich war nervös und am Abend musste ich einfach Phil anrufen. Ich musste einfach mit jemanden sprechen.

Entsetzt war er, als ich ihm von den Neuigkeiten berichtete. „Das ist doch nicht dein Ernst?“, meinte er zornig am Telefon und ich grummelte nur genervt. Doch es war mein vollkommener Ernst. Ich ließ Dampf ab und beschimpfte Brian das ein oder andere Mal sehr. Phil beruhigte mich und das war auch nötig. Er brachte mich runter und erdete meine Gedanken. Ich brauchte gerade meinen besten Freund, der mir in dieser Zeit beistand. Ich vergaß sogar ihm von Paul zu erzählen. Ich ließ einfach Dampf ab und es tat unglaublich gut. Phil beschwerte sich nicht und ich vergaß sogar zu fragen, wie es Sarah ging. All das, fiel mir erst ein, nachdem das Gespräch beendet war.

Ich hatte gerade aufgelegt, als erneut mein Handy klingelte. Ich nahm an, dass es Phil war, der vergessen hatte mir etwas zu sagen, doch nein. Ich sah Pauls Namen auf dem Display stehen und ein leichtes Lächeln zierte meine Lippen. „Hey“, sagte ich sofort, als ich abnahm, „Kannst du nicht schlafen?“ Ich hörte Paul gut gelaunt lachen und er meinte: „Doch, aber ich muss nicht so früh ins Bett. Ich wollte wissen, ob das mit Morgen alles passt und ob ich einfach in das Büro marschieren darf.“

Entspannt lehnte ich mich auf der Couch zurück und meinte nach einem Augenblick: „Klar kannst du. Das ist eine ganz normale Kanzlei. Sag vorne am Empfang, dass du einen Termin mit mir hast. Das ist kein Problem“, erklärte ich gähnend und streckte meine Glieder. Madeline war seit sieben Uhr wach gewesen. Es hätte nicht viel gebracht, sie länger aufbleiben zu lassen. Tatsächlich war ich einfach erschöpft. Die Sorge und der ganze Stress wurden einfach zu viel.

Ich telefonierte zumeist nicht gerne. Ich sagte eigentlich nur das Wichtigste und legte dann wieder auf. Doch ich wollte die Ablenkung und so redete ich einfach. Redete das ich eigentlich keine Lust hatte, nächste Woche meine Eltern zu besuchen, doch dass ich nicht drum herum kommen würde. Ich redete von meinen Großeltern und der Hitze in Arizona. Er ließ mich einfach reden und ich fragte mich, ob er mir überhaupt zuhörte. „Hey Paul“, meinte ich nach einem Augenblick der Stille, „Ich finde es toll, dass du mich mit dem Donut beworfen hast.“ Ich hörte ihn lachen und ich glaubte tatsächlich so etwas wie Zufriedenheit zu hören, als er meinte: „Ja, so etwas ähnliches habe ich mir auch schon gedacht.“ Es war ein langes Telefonat bis wir endlich auflegten. Lange dachte ich an diesem Abend darüber nach, ihm einfach von meiner Tochter zu erzählen doch zu einer Einigung kam ich nicht
 

Ich war erleichtert, als ich Benjamin am Montag sah. Erst, nachdem er seine Jacke ausgezogen hatte ging ich in sein Büro. Anders wie in meinem standen auf seinem Schreibtisch Bilder seiner Kinder. Ein großes Bild, welches die chinesische Mauer darstellte war gegenüber des Schreibtisches aufgehängt. Wie ich, hatte er eine kleine Sitzgelegenheit in einer Ecke des Büros stehen.

„Morgen Ben, gutes Wochenende gehabt?“, wollte ich wissen und schloss die Tür hinter mir. Er nickte und schaltete gerade seinen Laptop an, während er mir skeptisch betrachtete. „Und deins?“, wollte er wissen und lächelte mich freundlich an. Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern. „Na ja, begann sehr gut, endete sehr scheiße. Brian ist zum Gericht gegangen… Mein Ex-Mann“, sagte ich nur und reichte ihm das Gerichtsschreiben weiter. Er hatte zwar noch nicht gesagt, ob er mich vertreten würde, doch da er noch nichts anderes geäußert hatte ging ich davon aus. Ernst blickte er auf das Schreiben. „Hm… Ich werde auch ein Schreiben aufsetzten, aber du solltest im Jugendamt anrufen“, meinte er ernst und legte sich das Schreiben auf seinem Schreibtisch. Ich brauchte nicht weiter zu fragen, er übernahm meinen Fall. Doch wieso das Jugendamt?

Als ich danach warum fragte, erklärte er: „Die bekommen das Schreiben auch. Und werden gebeten, eine Stellungnahme zu verfassen. Sie werden dich sicher so oder so einladen.“ Ich kniff zornig die Lippen aufeinander und seufzte schwer. Darauf hatte ich eigentlich überhaupt keinen Bock. Doch gerade, schien mich keiner zu fragen.

„Okay“, meinte ich ruhig und Ben nickte ernst. Er überflog das Schreiben von Brians Anwalt und kicherte leicht. „Der Herr Kollege, der das geschrieben hat, scheint ja sehr konservativ zu sein.“ Ein gehässiges Grinsen schlich sich auf mein Gesicht und ich nickte kurz. „Kann man aus dem Schreiben entnehmen, ne?“, kommentierte ich achselzuckend. Er nickte nur und las stirnrunzelnd weiter. Mich störte es nicht, dass mich Ben vertrat. Wir mochten einander. Man könnte schon sagen, dass aus diesem Kollegen ein Freund geworden war. Ich hatte nicht mehr viele Freunde. Da ich wenig Zeit hatte waren es eigentlich nur Phil und Greg. Doch Greg war keiner dem ich einfach meine Sorgen mitteilen konnte. Er war einer dieser Freunde mit denen man einfach eine tolle Zeit verbringen konnte.

Nachdem sich Benjamin eine Kopie gezogen hatte fragte er: „Willst du in der Mittagspause eigentlich mit uns oder mir was essen?“ Ich lehnte ab und erklärte, dass ich bereits verabredet sei. „Ach“, begann ich nach einem Augenblick der Stille zu fragen, „Glaubst du, dass ich dem Chef Bescheid sagen soll? Also, dass du den Fall übernimmst?“ Ben sah zur Tür des Chefs und nach einem Augenblick nickte er. „Wäre besser. Je nachdem, wie lange sich das zieht, nimmt das Zeit in Anspruch“, meinte er und ich musste ihm im Stillen Recht geben.

Nachdem mein Chef da war, ging ich zu ihm und berichtete ehrlich von meiner Situation und mit gerunzelter Stirn betrachtete mich mein Boss mit verschränkten Armen. Sein Büro war größer als die unseren. Eine Karte der Stadt hing herum, an mehreren Pinnwänden hingen Flyer und vieles mehr. Mir wäre es zu unpersönlich gewesen, doch jeder Mensch war anders.

Ich konnte mir denken, dass er sich an meinen Ex-Mann erinnerte. Stand er doch in seinem Büro, eher er mich angerufen hatte. „Hm…“, raunte er nach einem kurzen Moment, „Eigentlich machen wir kein Familienrecht. Lassen Sie das über ihre Rechtsschutzversicherung laufen. Die haben sie ja hoffentlich?“ Ja, seit Madeline da war, hatte ich diese und eine Haftpflicht. Ich nickte nur und sah ihm weiterhin ins Gesicht. „Gut“, erklärte mein Chef und strich sich seine blondgefärbten Haare nach hinten, „Den Rest den das eventuell kostet können wir vielleicht etwas senken, aber umsonst können wir das über die Kanzlei nicht laufen lassen, außer Mr. Salmon macht das zusätzlich in seiner Freizeit.“ Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn Ben dies getan hätte. Doch auch er hatte neben seinem Job noch ein Leben. Und so nickte ich. Wofür hatte ich schließlich so eine Versicherung und ich hatte Rücklagen.
 

Ich musste mich an diesem Tag zwingen, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Immer wieder ging mir dieses dämlich Anschreiben durch den Kopf. Ich war mir auch unschlüssig, ob ich mich tatsächlich beim Jugendamt melden sollte. Ja, ich hatte keine schlechten Erfahrungen mit ihnen gemacht und trotzdem war es eine Behörde, welche ich nicht brauchte.

Sozialarbeiter konnten mit ihrer weltverbessernden Art sehr anstrengend sein. Und wenn ich ehrlich war, hatte ich Angst, dass die Person ebenso dachte, wie Brians Anwalt. Wir lebten nun schließlich in Amerika. Wenn man nicht gerade in den riesigen Ballungsräumen lebte, waren viele Menschen einfach sehr konservativ. Doch eigentlich war Portland so ein Ballungsraum. Auch dies war eine Metropole. Nicht wie New York oder LA. Doch auch so groß, dass viele Touristen die Stadt besuchten und durch unsere Kneipen gingen, für die wir auch außerhalb der Stadtgrenze bekannt waren. Doch kurz vor 12 Uhr wurde mir die Entscheidung, ob ich dort anrufen sollte abgenommen.

Verwirrt betrachtete ich die Nummer auf meinen Handy und als ich dran ging hörte ich die Stimme einer Frau sagen: „Brown hier, Jugendamt der Stadt Portland, Mr. Prescot?“ Verwirrt starrte ich auf meinem Bildschirm und nach einem Augenblick meinte ich unschlüssig: „Ja? Woher haben sie meine Nummer?“

Geschäftig kam die Antwort sehr schnell: „Die hatten Sie vor drei Jahren angegeben und ich wollte versuchen, ob sie noch aktuell. Schön, dass ich Sie erreiche. Ich würde Sie gerne zu einem Gespräch einladen und würde ihnen drei Terminvorschläge unterbreiten.“ Es dauerte einen Augenblick, ehe ich mich sammeln konnte und meinte dann hastig, dass das okay wäre. Irgendwie, war ich so perplex, dass ich vergaß zu fragen, worum es ging.

Ich öffnete meinen Terminkalender am Laptop und als sie die Termine durchgab meinte ich: „An denen kann ich nicht. Dienstag habe ich um die Uhrzeit einen Gerichtstermin und an dem Freitag fliege ich zu meinen Eltern. Ich bin erst am Montag, mittags rum, wieder in der Stadt.“ Ich hörte im Hintergrund, wie sie blätterte und nachdenklich fragte Mrs. Brown: „Wie wäre es dann an dem Dienstag? Da ist ein HPG ausgefallen, da habe ich den ganzen Vormittag Zeit.“ HPG? Was soll das denn sein?

„Hp-was?“, fragte ich verwirrt und als sie mir sagte, dass es für Hilfeplangespräch steht, war ich zwar nicht schlauer, doch ich glaubte eine Vorstellung zu haben, was dies sein könnte. Ich hatte da bereits einen Termin und meinte nachdenklich: „Kann ich auch um 15 Uhr kommen? Dann mache ich danach Feierabend, ist vielleicht auch besser so.“

„Ja, ich schieb ein wenig, dann passt das. Ich schicke ihnen dann noch eine Einladung per Post zu“, meinte sie und bevor sie auflegen konnte fragte ich: „Es geht um das eröffnete Verfahren, oder?“ Ungeduldig tippte ich mit den Fingern auf meinem Schreibtisch herum und griff, einfach um die Finger zu beschäftigen nach einem Stift.

„Ja, genau. Das Gericht hat mich gebeten, meine Einschätzung zu geben und deswegen treffe ich mich nun mit allen Beteiligten“, erklärte sie und als ich sie entsetzt fragte, ob Brian bei dem Gespräch dabei sein würde, verneinte sie. Zum Glück.

„Ich treffe mich mit beiden Parteien vorerst alleine“, meinte sie und ich wusste nicht, ob ich es gut fand, dass sie alleine mit diesem Idioten sprach. Doch sie traf sich schließlich auch mit mir alleine. Ich biss mir unsicher auf die Unterlippe und raunte leise okay in das Handy. Wir verabschiedeten uns und unschlüssig trug ich den Termin in meinen Kalender ein.

Ich schrieb Phil eine Nachricht, dass ich beim Jugendamt einen Termin hatte. Er fragte sofort, ob er mit dabei sein sollte. Doch das wollte ich nicht. Ich konnte schließlich auch meine Mandanten vor Gericht alleine verteidigen. Da fand ich es unprofessionell, bei solch einem Termin zu zweit zu erscheinen. Gerade, als ich das Handy wegstecken wollte, sah ich, dass Paul mir geschrieben hatte. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich es sah. Dass er es tatsächlich schaffte, verblüffte mich, denn meine Laune war eigentlich miserabel. „Soll ich dir was vom Chinesen mitbringen und wenn ja, was?“, stand geschrieben und ein grinsender Smiley blickte mich an.

Wie schaffte er das bloß? Unter all den ganzen Scheiß unter all den beschissenen Neuigkeiten, zauberte mir dieser Mann einfach so ein Lächeln ins Gesicht. Ich war dem Schicksal so dankbar, dass ich ihn kennen gelernt hatte. Brachte er mich doch auf andere Gedanken in dieser unruhigen Zeit. „Bring einfach ein paar gebratene Nudeln und Frühlingsrollen mit“, schrieb ich und fügte hinzu, „Du glaubst gar nicht, wie sehr ich Ablenkung gerade brauche.“

Als ich mein Handy beiseite legte, stellte ich fest, dass es viertel nach 12 war. Die dreiviertel Stunde, welche mir noch vergönnt war, wollte ich effektiv für die Arbeit nutzen. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, in dieser halben Stunde besser vorangekommen zu sein, als in der ganzen Stunde davor. Ich schrieb einige Briefe und schickte sie per Fax zu den jeweiligen Beteiligten.

Gegen eins bekam ich einen Anruf meiner Assistentin. Sie unterstützte mich und zwei weiterer meiner Kollegen. Sie plante meine Termine und half mich beim Verfassen von Einladungen. „Mr. Prescot“, meinte sie, höflich und fragte: „Haben sie einen Termin zum Lunch?“ Ich bestätigte den Termin und ging Paul entgegen. Mein Herz begann wieder unregelmäßig zu schlagen, als ich den Mann vor mir betrachtete. Ein dunkelgrüner Parker kleidete den Mann und er trug eine dunkle Jeans. Er hatte zwei Tüten in den Händen und wie er mich betrachtete wirkte er tatsächlich ziemlich zufrieden. Er grinste mich an und wie am Samstag wirkte sein Lächeln anders, als noch am Freitag. Ob es daran lag, dass wir Sex hatten, wusste ich nicht. Doch irgendwie glaubte ich, dass sein Gesichtsausdruck vertrauter wirkte.

Eigentlich, hätte ich mich bereits daran gewöhnen müssen, dass mein Herz sich bei ihm einfach nicht beruhigen wollte, doch das tat ich nicht. Seine dunklen Augen bohrten sich in die Meinen und so albern es vielleicht klang, es war ein persönliches und intimes Gefühl, ihm so tief in die Augen zu blicken. Ich sah wie seine Augen an mir hinabglitten und es ließ mich zufrieden lächeln. Er hielt zwei Tüten hoch und sagte: „Wo soll ich die abstellen?“ Ich zeigte ihm die Tür meines Büros und holte aus der Kaffeeküche Servierten, Messer, Gabel und nahm auch eine Flasche Wasser mit. Als ich die Bürotür hinter mir verschloss, trafen unsere Augen erneut aufeinander und ein erleichterter und zufriedener Seufzer entkam meinen Lippen. Ich folgte dem inneren Drang und drückte meine Lippen fest auf die Seinen. Meine Hände zerwühlten seine Haare und drückten den Mann an mich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  MaiRaike
2018-05-18T10:49:23+00:00 18.05.2018 12:49
Zu dem "Problem" mit dem Baden, bzw. mit der Wahrnehmung davon fällt mir ein Lied ein.
https://www.youtube.com/watch?v=wSj2wy7ZJVo
Bei dem Lied habe ich mich ein bisschen fremdgeschähmt als er auf so komplizierte Weise die Liebe zu seiner Tochter besungen hat (but not in a creepy way). Schaus dir mal an, wenn du möchtest :D
Antwort von:  Strichi
24.05.2018 20:29
das Lied ist echt.... ja.. anders :D aber musste doch ziemlich schmunzeln
danke dafür
Von:  _A-chan_
2018-05-14T16:42:43+00:00 14.05.2018 18:42
Ich mag deine FF. Hoffe Brain hat keine Chance vor Gericht, den mag ich nicht.
Die kleine ist niedlich. Geht das mit dem Polizist gut?
Kann es sein das Paul einen Fuß verloren hat langsam bekomme ich diesen verdacht.

Antwort von:  Strichi
16.05.2018 08:23
huhu
freut mich, wenn es dir gefällt und du die Geschichte magst ;D
Und was genau sich noch wie entwickelt da halte ich mich zurück^^ freut mich jedenfalls, dass du geschrieben hast
LG^^
Antwort von:  _A-chan_
17.05.2018 18:15
Ich finde den Vater toll. Der Polizist gefällt mir hoffe die kommen zusammen.


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