Zum Inhalt der Seite

Freunde mit gewissen Vorzügen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

„Uh, das Zeugt stinkt.“ Omi zog eine Grimasse. „Bist du dir sicher, dass du das richtig angesetzt hast?“

Ayas Reaktion war nur ein kurzes Nicken.

Omi schüttelte den Kopf, hielt sich die Hand vor Mund und Nase und nuschelte durch die zusammengepressten Finger: „Mach, was du willst, ich arbeite nicht damit.“

Ken betrat nun ebenfalls das Gewächshaus und schnüffelte wie ein Hund. „Was ist denn hier verreckt?“

„Ayas Verstand“, gab Omi leicht grün um die Nase zurück. „Er hat irgendein ominöses Rezept für einen neuen Dünger ausprobiert und das da ist das Ergebnis.“ Er wies auf einen kleinen, weißen Eimer, der, so unschuldig er aussah, stank wie ein verendetes Stinktier. Wie drei verendete Stinktiere.

„Wenn du das hier drinnen benutzt, wandere ich aus“, versprach Ken. „Schaff das raus und bete, dass die Nachbarn dir nicht auf die Schliche kommen. Damit kann man ja einen ganzen Stadtteil ausräuchern.“

Yoji fühlte sich versucht, Aya beizustehen, aber er konnte nicht. Das Zeug stank wirklich bestialisch. Allein der Gedanken, einen Spritzer davon an seiner Haut zu haben. Ein Date konnte er dann für mindestens drei Tage vergessen. Nicht, dass er momentan welche gehabt hätte. Aber die Möglichkeit zu erhalten, war ihm wichtig.

„Ich bin raus hier. Sagt Bescheid, wenn ich die Stadtreinigung anrufen soll“, verkündete Ken und zog dabei den verdächtig blassen Omi mit sich. Zurück blieben Yoji, Aya und der Eimer.
 

„War nicht dein bester Plan, großer, weiser Anführer“, rührte Yoji ein wenig in der Wunde herum.

„Wer hat gesagt, dass ich das bin?“, fauchte Aya zurück. Yoji blinzelte. Wo war das denn hergekommen? War Aya etwa in Streitlaune? Nun, das ließ sich vielleicht ausbauen.

„Bist du nicht?“, bohrte er weiter. „Du tust doch immer so, als wüsstest du alles, könntest alles, niemand kann dem großen Abyssinian das Wasser reichen. Wir unwürdige Maden dürfen uns glücklich schätzen, dass wir überhaupt die gleiche Luft atmen dürfen wie du.“

Aya öffnete den Mund zu einer Erwiderung, dann klappte er ihn wieder zu und presste die Kiefer aufeinander. Das Feuer, das eben noch in seinen violetten Augen gelodert hatte, erlosch und wich dem ewigen Eis. Er drehte sich abrupt um und begann irgendeine Pflanze umzutopfen. Yoji hätte am liebsten in den Tisch gebissen. Das war doch zum Mäusemelken mit diesem sturen Bock.
 

Yojis Finger gruben sich in die weiche Erde unter seinen Fingern. Sie war durchgeweicht vom morgendlichen Gießen und es würde eine gründliche Reinigung erfordern, wenn er nicht mit Trauerrändern wie ein Maulwurf unter die Leute gehen wollte. Eine sehr gründliche Reinigung. Eine Idee begann sich in Yojis Gehirn zu formen.

Er griff eine gute Handvoll der feuchten, schwarzen Erde und wog sie in der Hand. Aya stand immer noch mit dem Rücken zu ihm. Mit einem maliziösen Grinsen holte Yoji aus und warf.
 

Der Drecklumpen klatschte gegen Ayas Hinterkopf und fiel dann in den Kragen seines weiten Pullovers. Aya versteifte sich augenblicklich und fuhr herum. Yoji hatte schon eine neue Ladung in der Hand und holte bereits aus. Er hatte allerdings nicht mit Ayas hervorragenden Reflexen gerechnet. Der Anvisierte duckte sich blitzschnell und ging hinter dem Pflanztisch in Deckung.

„Was soll das, Kudo?“, giftete er aus der Deckung heraus. „Bist du jetzt total durchgedreht?“

'Nein, aber verzweifelt', dachte Yoji, als ihm ein neuer Gedanken durch den Kopf schoss. Noch hatte er Aya nicht da, wo er ihn haben wollte. Mindestens eine halbe Stunde im Badezimmer verschwunden. Es gab nur noch einen Ausweg. Es war verrückt und ekelhaft und so gar nicht seine Art, aber es musste sein.
 

Yoji schnappte sich kurzerhand den Eimer mit der stinkenden Brühe und goss den Inhalt großzügig hinter den Pflanztisch. Es folgte ein entsetzter Aufschrei und das Geräusch eines zerbrechenden Blumentopfs. Die Tirade an Schimpfworten, die dann folgte, hörte Yoji schon nicht mehr, denn er hatte es vorgezogen, den Raum fluchtartig zu verlassen. Der Geruch war wirklich widerlich. Außerdem bestand die Gefahr, mit einer Blumenkelle ausgeweidet zu werden und das wollte er dann doch lieber vermeiden.
 

Yoji raste in den Laden und an Ken und Omi vorbei, die ihn ansahen, als wäre er der Teufel persönlich. Wobei das nicht so ganz stimmte, denn der war jetzt hinter ihm her.

„Ihr habt mich nicht gesehen“, rief Yoji den beiden zu, riss die Tür zur Wohnung auf und stolperte hindurch. Nur Sekunden später hörte er hinter sich entsetzte Aufschreie.

„Aya, wie siehst du denn aus?“

„Das ist ja widerlich. Bleib mir bloß vom Leib.“

„Wo? Ist? Er?“

Ein Brüllen wie von einem Tier. Yoji drückte sich tiefer in die Ecke zwischen Wohnzimmertür und Wand und betete, dass Aya, der gerade die Treppe hinauf gestampft kam, ihn nicht fand.
 

„Bleib sofort stehen!“ Omi Stimme war erschreckend energisch. „Wenn du so durch die Wohnung läufst, tropfst du alles voll. Warte, ich hole ein Handtuch.“

Schritte, Türenklappen, ein wütendes Schnauben. Poltern auf der Treppe, dann Kens Stimme.

„Und wer macht die Sauerei jetzt wieder weg? Also ich bestimmt nicht.“

Yoji grinste in der Zwischenzeit hinter der Tür in sich hinein. Das Blut rauschte durch seine Adern, sein Herz klopfte und er fühlte sich lebendig. Als hätte er einen Preis gewonnen. Ihm tat schon das Gesicht weh, aber er konnte einfach nicht aufhören zu grinsen. Wie gerne hätte er jetzt einen Blick in den Flur geworfen. Diese kleine Jagd mit Aya war irgendwie aufregend gewesen. Ganz kurz blitzte ein Bild in seinen Gedanken, in der Aya Yoji erwischte, ihn zu Boden warf und... Er rief sich selbst zur Raison. Er musste jetzt an den Plan denken.
 

Draußen knallte die Tür des Badezimmers zu, Wasser begann zu rauschen. Soweit gut, jetzt mussten sich nur noch Omi und Ken wieder in den Laden verkrümeln. Allerdings schien Ken nicht gewillt, dabei mitzuspielen.

„Kommt nicht infrage“, zeterte er, nachdem Omi vorgeschlagen hatte, sich um die Bescherung zu kümmern.

„Aber Ken“, versuchte es Omi erneut, „wir können den Laden nicht einfach schließen. Aber mit den Spuren, die Aya hinterlassen hat, können wir ihn auch unmöglich geöffnet lassen. Blumenladen hin oder her. Die schicken uns das Gesundheitsamt auf den Hals. Willst du den Herren dann erklären, was sie in unserem Keller finden?“

Ken murmelte etwas Unfreundliches, das Yojis Namen enthielt und seufzte dann.

„Aber nur den Laden“, knurrte er. „Den Mist im Gewächshaus können die beiden selber wegputzen. Die sind doch vollkommen durchgeknallt.“

„Ken!“

„Ja ist doch wahr! Komm, ich hol den Eimer, du nimmst den Mob. Und Yoji schuldet mir was. Aber so was von!“
 

Endlich verließen die beiden den Flur und Yoji konnte immer noch den beruhigenden Klang der Dusche durch die Wand hören. Gut, dann hatte er freie Bahn. Er schlich über den Flur, verharrte kurz vor der Badtür und warf einen prüfenden Blick auf das dunkle Holz. Von drinnen war außer Wasserrauschen nichts zu hören. Aber was hatte er auch erwartet? Dass Aya unter der Dusche sang? Wahrscheinlich schmiedete er stillschweigend Rachepläne. Yoji merkte, dass seine Handflächen feucht wurden. Lieber nicht darüber nachdenken. Er hatte nur noch wenig Zeit.
 

Er huschte weiter zu Ayas Tür und drückte probehalber die Klinke hinunter. Die Tür gab nicht nach. Abgeschlossen. Aber das war für Yoji nur eine Formsache. Einige Handgriffe später schwang die Tür geräuschlos nach innen auf. Yoji schlüpfte hindurch und schloss sie leise wieder. Er sah sich in dem kleinen Raum um. Er war noch nie hier gewesen und stellte fest, dass er auch nichts verpasst hatte. Bett, Couch, Schrank, Kommode, Regal, Schreibtisch. Fertig war Ayas kleine Welt. Himmel, das war ja noch schlimmer als bei ihm zu Hause. Allerdings wesentlich aufgeräumter, wie Yoji neidlos anerkennen musste. Gut, das würde seine Suche nur vereinfachen.

„Also gut, wo bist du?“, fragte er leise und ging seine Möglichkeiten durch.

Den Kleiderschrank schloss er aus. Niemand bewahrte einen Brief im Kleiderschrank auf. Sockenschublade? Da hätte er vielleicht bei Ken gesucht. Eventuell auch noch bei Omi, wobei der so etwas vermutlich eher im Nachtschrank aufbewahren würde. Aber Aya...wo würde Aya so etwas verstecken?
 

Yojis Blick blieb am Schreibtisch hängen. Natürlich, wo auch sonst? Er trat an den kleinen Tisch und öffnete nacheinander die beiden Schubladen. Papier, Stifte, Büroklammern, Post-its, aber kein Umschlag. Yoji schloss die Schublade wieder und sah den Tisch prüfend an. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Er roch es geradezu, dass hier etwas faul war. Was war es?

Er öffnete eine der Schubladen nochmal und blickte hinein, ohne den Inhalt wirklich zu sehen. Nachdenklich maß er die Tischplatte mit einem prüfenden Blick, verglich sie mit den Maßen der Schublade. Er schloss die Schublade und betrachtete den Boden um die Tischbeine herum. Yojis Gesicht hellte sich auf, als er fand, wonach er gesucht hatte. Kleine, unauffällige Abdrücke neben dem Tischbein. Sie zeugten davon, dass der Tisch bewegt worden war. Zudem waren die Schubladen zu klein. Sie hätten viel tiefer sein müssen, um bis zum hinteren Ende der Tischplatte zu reichen. Mit einem triumphierenden „Ha!“, rückte er den Tisch von der Wand ab und griff an dessen Rückseite. Er fühlte das knisternde Papier unter seinen Finger und hielt kurz darauf den dicken Umschlag in seinen Händen. Er überlegte kurz, ob er ihn mitnehmen sollte, doch das würde Aya sicherlich auffallen. Zumal er keine Chance sah, den Umschlag unbemerkt wieder zurückzulegen. Also musste er die Unterlagen hier durchsehen.
 

Er zog den Papierstapel heraus und verteilte ihn auf dem Schreibtisch. Da waren verschiedene Arten von Blättern. Yoji sortierte sie gedanklich. Es gab dickes, weißes Papier mit dem farbigen Schriftzug des Krankenhauses, dann waren dort dünnere Papiere, die den gleichen Schriftzug aber in schwarz-weiß trugen. Kopien. Yoji betrachtete sie und stellte fest, dass es allesamt Rechnungen waren. Die Originale waren allem Anschein nach Artzberichte. Er überflog die Texte. Sie sprachen davon, dass Ayas Schwester in nächster Zukunft vermutlich nicht aufwachen würde. Es wurde über mögliche Komplikationen spekuliert, Gegenmaßnahmen erörtert. Irgendwo fand er eine Verzichtserklärung. Keine gute Prognose also. Er legte die Papiere zur Seite und sah sich eine weitere Abteilung an. Dabei handelte es sich um Prospekte von anderen Krankenhäusern. Ein Hospiz war darunter.
 

Yoji lauschte. Etwas hatte sich verändert. Er überlegte und erkannte: Die Dusche war verstummt. Aya konnte jeden Augenblick aus dem Bad kommen. Yoji hatte maximal noch einige Minuten. Er wollte schon alles wieder zurück in den Umschlag stecken, als ein handgeschriebener Zettel zu Boden flatterte. Yoji erkannte Ayas Handschrift. Der Zettel war bedeckt mit Zahlen. Sehr hohen Zahlen. Verschiedene Kolonnen, die sich zu vielstelligen Summen addierten. Alle verschieden, aber alle hoch. Die kleinste der Zahlen war unterstrichen, darunter eine weitere Rechnung, die Zahlen wurden kleiner, bis ganz unten eine zweistellige Zahl stand. 33. Was hatte das zu bedeuten?
 

Yoji atmete tief durch. Höchste Zeit zu verschwinden. Er stopfte die Papiere zurück, versteckte den Umschlag wieder und stellte den Tisch wieder zurück an seinen Platz. Er huschte zur Tür und spähte in den Flur. Niemand zu sehen. Er wollte eben die Tür schließen, als er ein Geräusch hörte. Die Badtür öffnete sich. Yojis Herz setzte einen Schlag aus. Er ließ die Tür Tür sein und drückte sich in eine Ecke des Flurs, die von Ayas Tür aus nicht einsehbar war. Wenn er sehr viel Glück hatte, würde der einfach vom Bad in sein Zimmer gehen und Yoji wäre gerettet. Wenn nicht...nun das stellte sich Yoji lieber nicht vor.
 

Er hörte das Tappen von nackten Füßen auf dem Fußboden. Unwillkürlich musste Yoji darüber nachdenken, was Aya anhatte. Seine Kleidung war durch die Düngerdusche sicherlich vollkommen ruiniert. Keiner der anderen hatte ihm neue Kleidung gebracht, denn sein Zimmer war verschlossen gewesen. Yoji kam zu dem Schluss, dass Aya somit maximal ein Handtuch tragen konnte. Irgendwie brachte ihn der Gedanke zum Grinsen, auch wenn sein Leben nur vom Schatten eines Flurerkers abhing. Die Vorstellung, dass Aya sich nur mit einem Handtuch bekleidet auf ihn stürzen könnte, hatte einen interessanten Beigeschmack.
 

Die Schritte waren stehengeblieben. Yoji hielt den Atem an. Aya hatte vermutlich entdeckt, dass seine Tür offen war. Was würde er jetzt tun? Nach dem Eindringling suchen? Wohl kaum, solange er nur ein Handtuch um die Hüften hatte. Yoji beglückwünschte sich noch einmal mehr zu seiner formidablen Idee, die ihm trotz Improvisation sogar den Rückzug sicherte. Er hörte ein unwirsches Knurren, Aya murmelte etwas, dann schloss sich die Tür hinter ihm. Yoji atmete erleichtert auf. Nun nur noch schnell die Treppe hinunter, durch den Laden und...
 

„Yoji Kudo, bleib sofort stehen!“

Autsch. Yoji hatte gar nicht gewusste, dass Omi so eine gute Aya-Imitation drauf hatte. Er drehte sich mit einem freundlichen Lächeln herum. Als er seine beiden Kollegen sah, sackten seine Mundwinkel jedoch sofort wieder nach unten. Die beiden waren stinksauer. Ayamäßig sauer.

„Du wirst jetzt die Schweinerei im Gewächshaus beseitigen“, sagte Ken und hielt Yoji Eimer und Wischmob entgegen.

„Ich...“

„Jetzt“, bekräftigte Omi.

Yoji hob beschwichtigend die Hände. Er wusste, wann er verloren hatte. „Ist ja gut, ich gehe ja schon. Ist es sehr schlimm?“

„Schlimmer.“
 


 

Omi hatte gelogen. Es war nicht schlimmer, es war abartig. Absolut unmenschlich, jemandem so eine Arbeit aufzubrummen. Allerdings musste Yoji zugeben, dass er es wohl irgendwie verdient hatte. Sein Magen rebellierte, aber er hatte Erfahrung im Umgang mit Übelkeit. Er atmete flach durch den Mund und versuchte, das Kribbeln in der Nase zu ignorieren. Nach fünf Minuten hatte er das Gefühl, er hätte sich an den Geruch gewö...nein, doch nicht. Es war immer noch abartig.
 

Nachdem er schon eine ganze Weile gewischt und geschrubbt hatte, öffnete sich die Tür des Gewächshauses. Er hörte Schritte in seine Richtung kommen. Er sah nicht hin und beugte sich stattdessen tiefer über die grauen Steinfliesen, die er gerade mit einer harten Bürste und Seife bearbeitete. Er wusste, dass es Aya war. Wobei das Geräusch nicht passte. Es war nicht das feste, wütende Ausschreiten, das er erwartet hatte. Es war mehr das feine Klack-Klack eleganter Highheels. Seit wann trug Aya Stöckelschuhe? Yojis Blick wanderte zwei Zentimeter nach oben. Stöckelschuhe mit Söckchen? Yoji Stimmung hellte sich schlagartig auf. Er hätte diese Füße küssen können. Wortwörtlich.

„Manx!“, strahlte er und richtete sich auf.

„Was ist denn das für ein Gestank?“, fragte Manx und hielt sich die Nase zu.

„Kleiner Unfall“, grinste Yoji. „Ein Auftrag?“

„Ja, in den Keller bitte.“ Manx drehte sich um und ging ein wenig schneller als notwendig zum Ausgang. An der Tür blieb sie noch einmal stehen.

„Und Balinese? Bleib bitte auf der anderen Seite des Raumes, ok?“

Yoji blinzelte verblüfft, bis die Erkenntnis langsam in seinen Geist tröpfelte. Er roch an sich und verzog dann das Gesicht. Ok. An der Bitte war etwas dran.
 

Die anderen Teammitglieder warteten bereits im Keller. Omi und Ken schienen sich soweit beruhigt zu haben und Aya? Der maß ihn mit einem Blick, den Yoji nicht zu deuten wusste. Manchmal wünschte er sich wirklich eine Gebrauchsanweisung für diesen Mann. Eine dicke Gebrauchsanweisung. Aber andererseits: Wann hatte Yoji schon mal eine Gebrauchsanweisung benutzt? Er war mehr so der Typ für Versuch und Irrtum.
 

Manx legte eine dünne Mappe auf den Tisch.

„Wir haben einen neuen Fall für euch. Es gibt eine Reihe von eigenartigen Todesfällen. Die Opfer waren allesamt vollständig ausgeblutet. Alle von ihnen zeigten Anzeichen von Gewalteinwirkung.“

Ken machte ein Geräusch irgendwo zwischen einem Lachen und einem Schnauben. „Natürlich hatten sie die. Ich meine, das muss ja ein wahres Schlachtfest gewesen sein.“

„Nicht so ganz“, antwortete Manx kryptisch. „Schaut euch die Fotos an.“
 

Manx breitete einige Bilder auf dem Tisch aus. Sie zeigten alle samt tote, nur spärlich bekleidete Körper. Allerdings waren diese nicht etwa zerstückelt oder aufgebrochen. Es waren, wenn überhaupt, nur minimale Verletzungen zu sehen. Yoji trat an den Tisch und versuchte zu ignorieren, dass die andere von ihm zurückwichen. Er nahm eines der Bilder und sah genauer hin.

„Fesselmale“, sagte er. „Aber da sind auch noch andere Verletzungen. Brandwunden, blaue Flecke, kleinere Schnitte. Vermutlich Folter. Aber wo ist die tödliche Verletzung Manx?“

Manx antwortete nicht und reichte ihm ein weiteres Foto. Eine Nahaufnahme. Ein weißer Hals mit zwei kreisrunden Löchern genau über der Halsschlagader. Yoji kannte so ein Bild. So etwas gab es in fast allen gängigen Vampirfilmen.

„Ein Vampir-Kult?“

Manx nickte bedächtig. „Wir vermuten etwas in diese Richtung. Leider sind unsere Informationen mehr als dürftig. Die Ermittlungen haben lediglich eine Adresse ergeben.“

„Mehr nicht?“ Aya trat nun ebenfalls an den Tisch. Yoji machte ihm unbewusst Platz. Die violetten Augen huschten über die Fotos.

„Was soll das für ein Fall sein, Manx?“, knurrte Aya. „Hat Kritiker keine Leute, die er für so was einsetzen kann?“

„Zwei unserer Leute wurden leider enttarnt. Ihre Leichen fand man zerstückelt im Hafenbecken.“

„Aber das passt nicht zusammen“, mischte sich Omi ein. „Warum auf der einen Seite diese intakten Leichen, auf der anderen Seite diese Brutalität. Könnten es zwei Täter gewesen sein?“

Manx presste die Lippen zusammen. Als sie weiter sprach, war ihre Stimme von Widerwillen geprägt.

„Wir vermuten, dass sich die Opfer freiwillig in die Hände ihrer Peiniger begeben. Es ist quasi unmöglich etwas herauszufinden, weil man gegen eine Mauer aus Schweigen läuft. Niemand sagt etwas.“

„Sie wollten umgebracht werden?“ Ken hatte die Augen aufgerissen und starrte Manx ungläubig an. „Aber das ist krank!“

Manx zuckte mit den Achseln. „Es gibt eine Menge merkwürdiger Leute. Ich weiß nicht, ob sie ihren Tod beabsichtigt hatten oder ob es sich um Unfälle handelt. Oder ob die Opfer sich aus Angst oder aus einer romantisierten Vorstellung heraus keine Hilfe suchen. Ich weiß nur, dass wir es nicht erlauben können, dass jemand blutleere Leichen in ganz Tokio verteilt. Bisher hat die Presse zum Glück noch keinen Wind davon bekommen, aber das kann sich jederzeit ändern. Wir wollen vor allem verhindern, dass dieses kranke Gesindel noch mehr Zulauf bekommt. Also, wer ist dabei? Ich brauche zwei Freiwillige für einen Undercover-Einsatz.“
 

Vier Hände schnellten nach oben.

Manx sah Omi an. „Du nicht, Bombay, du bist zu jung. Ich brauche dich für die Vorbereitungen. Du musst die Recherche übernehmen und die anderen beiden so gut wie möglich briefen. Wir müssen sie in eine Szene einschleusen, die Fremden gegenüber eher misstrauisch ist.“

Omi nickte. „Geht klar, Manx.“

„Was ist mit mir?“, wollte Ken wissen. Manx taxierte ihn. Dann schüttelte sie den Kopf. „Allenfalls als Backup. Du passt leider nichts ins Profil. Abyssinian und Balinese werden gehen. Ihr habt drei Tage für die Vorbereitungen.“
 

Yojis Blick huschte zu Aya und entdeckte, dass der ihn ebenfalls ansah. Der Ausdruck in seinem Gesicht war undeutbar. Eine Mischung aus... Yoji wusste es nicht und bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte, war der Moment vorbei. Ayas Gesicht war wieder ausdruckslos wie immer. Er funkelte Yoji dunkel an.

„Drei Tage“, knurrte er, drehte sich um und verließ den Keller. Yoji atmete hörbar aus. Er hatte verstanden. Bis nach der Mission herrschte Waffenstillstand. Was danach geschah? Nun ja, das musste sich zeigen. Vorerst hatten sie eine Mission vorzubereiten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich erinnere mich dunkel, mir selbst versprochen zu haben, dass ich diese Geschichte langsamer schreiben und veröffentlichen will. Tzz...erzählt das mal dem Häschen, das schon wieder mit laut trommelnden Pfoten durch die Gegend springt und ständig schreit: "Schreib mich auf!"
Und wer hat eigentlich schon wieder die Leichen in die Geschichte geschrieben? Na los, wer war das? Bitte mal Hand heben! Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  _Delacroix_
2018-03-27T21:48:05+00:00 27.03.2018 23:48
Okay, mein erster Gedanke zu diesem Kapitel war "Igitt" und das habe ich beim lesen mehr als einmal gedacht. Der Gedanke an diesen "Spezialdünger" ist wirklich schauerlich. Ich glaube Yoji hat langsam wirklich Glück, dass er noch aus einem Stück besteht. Man könnte auch sagen, die Prophezeiung mit den Stückchen an der Wand war in diesem Kapitel schon ziemlich knapp vor der Erfüllung. XD

Was die Leichen betrifft: Ich fühle mich unschuldig und behaupte mal, die hat der Osterhase da drapiert. XD
Antwort von:  Maginisha
28.03.2018 08:30
Osterhase? Schon möglich. :D Ich frage mich nur, ist er ein Freund oder ein Gegenspieler von Plotbunny?

Seine Rechnung bekommt Yoji auf jeden Fall noch (hab ich schon geschrieben. Ich liebe die Szene ;)) aber jetzt geht es erst mal aus Mission im Lack und Leder Style mit Musik von Lady Gaga. :p


Zurück