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Kaltes Wasser

Kaltes Wasser
 

Er hatte nicht erwartet, so schnell jenes Buch mit dem hellen Umschlag zur Hand zu nehmen, das ihm sein Vater mitgebracht hatte. Doch nun verlangte das Chaos in Lights Kopf nach Ablenkung. Während L mehrere Akten vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte, darin herumblätterte und manchmal scheinbar wahllos innehielt, um eine Seite eingehender zu studieren, hatte sich Light bequem auf dem Sessel gegenüber niedergelassen.

„Was liest du da?“

Beide Männer schauten auf, als Matsuda diese Frage stellte. Der junge Polizist war neben Light getreten und blickte interessiert auf das Buch in dessen Händen hinab.

„Die Göttliche Komödie“, antwortete dieser, „sicher nichts für Sie, Matsuda-san.“

„Wieso nicht?“

„Weil es ein Epos ist, in dichterischer Form.“ Matsuda legte fragend den Kopf schief. „Sie haben noch nie etwas davon gehört, kann das sein?“, wollte Light behutsam in Erfahrung bringen. Der Gesichtsausdruck des Polizisten war Antwort genug. „Nun, es ist ein eher religiöses Werk mit fiktivem Inhalt.“

„Also Fantasy?“, brachte Matsuda einen ungeschickten Vergleich hervor. Light verzog kaum eine Miene, obwohl er L leise schmunzeln hörte. Geduldig erklärte er:

„Na ja, so ähnlich. Heutzutage würde man es vielleicht als das bezeichnen, aber dafür ist es eigentlich zu stark politisch gewichtet. Außerdem werden mittlerweile nur noch selten Werke in dieser Form geschrieben. Die meisten Leute bevorzugen Romane.“

Eine Weile schien Matsuda darüber zu grübeln, bevor er meinte:

„Ich dachte, Dichtungen lesen nur alte Leute.“ Diesmal war es offensichtlich, dass sich L amüsierte. Zumindest für Light waren solche Dinge an seinem Partner nicht mehr zu übersehen, weshalb er nur knapp entgegnete:

„Das ist Geschmackssache.“

„Dann gib mir doch ein Beispiel“, forderte Matsuda ihn auf.

Während Light bemerkt hatte, dass L ihn grinsend beobachtete, ergriff er kurzerhand die Gelegenheit und blätterte ein paar Seiten in dem Buch zurück.

„Tu ab die Trägheit“, las er vor und richtete sich vermeintlich an Matsuda, „wer immer in Federn, unter Pfühlen säumt, erfuhr vom Licht des Ruhmes nie den holden Schimmer. Und ohne Ruhm lässt seines Lebens Spur der Mensch auf Erden grade wie im Meere der Wellenschaum, wie Rauch in Lüften nur.“

„Das schon wieder“, sagte L und verdrehte die Augen.

„Versteh ich nicht“, meinte dagegen Matsuda.

Light schlug das Buch zu und zuckte mit den Schultern.

„Dilettanten.“

„Klassik ist tot“, meinte L belanglos, „Matsuda-san ist das beste Beispiel dafür.“

Der Polizist hob eine Augenbraue, doch keine Wut lag in seinem Gesicht. Er hatte sich an die spöttischen Beleidigungen des Meisterdetektivs gewöhnt und sagte deshalb nur:

„Jeder interessiert sich eben für unterschiedliche Dinge. Im Gegensatz zu manch anderen Leuten bin ich wenigstens jung geblieben.“

„Ihr habt beide Recht“, versuchte Light die Situation zu schlichten, „Kultur ist ein weites Feld, in dem Klassisches ebenfalls seine Berechtigung hat, auch in unserer Zeit.“

„Unserer Zeit?“, nahm L den Faden auf, wobei er einen der Aktenordner auf den Tisch fallen ließ. „Du meinst das Atomzeitalter, in dem eigentlich kein Platz für solche großen Dinge wie Kultur ist. Die Welt ist mittlerweile sehr klein geworden.“

„Wenn sich niemand dafür interessieren würde, gäbe es Kultur doch schon längst nicht mehr, Ryuzaki.“

„Mit dieser Aussage gibst du aber weder mir noch Matsuda-san Recht. Auch wenn manche jung gebliebenen Leute diese Feinheiten nicht bemerken, sind diverse Floskeln also nicht nötig.“ L schlug einen weiteren Ordner auf und blätterte in zügigem Tempo eine Seite nach der anderen um. Während Matsuda die Arme vor der Brust verschränkte, fuhr er fort: „Heutzutage ist das Dasein des Menschen vom Atom geprägt. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse machen uns die Welt so begreifbar und durchsichtig, dass wir uns vor lauter Fragen gar nicht mehr retten können. Dennoch gibt es jene andere Seite, die man gemeinhin als Kultur bezeichnet. Theater, Kunst, Film und Funk, Literatur, sogar Glaube und Religion, das hinkt alles noch hinterher.“

„Hängt das nicht von jedem selbst ab?“, fragte Matsuda skeptisch.

„Tja, vielleicht“, meinte L und schob ein paar Akten in eine entfernte Ecke des Tisches, um gleich darauf den nächsten Ordner zu nehmen und neben sich auf die Couch zu legen. „Vielleicht können wir gar nicht anders, weil die Gesellschaft schon vollständig kultiviert ist.“

„So gesagt klingt es, als wäre sie von einer Seuche befallen“, entgegnete Matsuda stirnrunzelnd und schien dieses Mal zu wissen, dass er damit nicht Unrecht hatte.

„Kultur, was ist das schon?“ Mit einem Schulterzucken überging L die Aussage. „Wir leben in einer von Menschen geschaffenen Welt, zwischen Gebrauchsgegenständen, in Häusern, auf Straßen, in Städten, und die meiste Zeit sehen wir all diese Dinge nur unter dem Blickwinkel der menschlichen Tätigkeiten. Wir sehen nur das, was mit diesen Dingen um uns herum passiert, was durch unsere eigenen Hände an ihnen vorgenommen wird. Wir haben uns an den Gedanken gewöhnt, dass all das notwendig existiert und unerschütterlich ist.“

„Dennoch bleiben wir einfache Menschen“, meinte Light mit abwesendem Gesichtsausdruck, „und leben als solche in einer eingeschränkten Welt. Wir verstehen nur noch einen Bruchteil dessen, was wir so selbstverständlich benutzen. Literatur, Filme, sogar Videospiele, das alles versetzt uns in unbekannte Ferne. Für kurze Zeit versinken wir, können andere Personen sein, Abenteuer bestreiten und Erfahrungen machen, die nicht die unsrigen sind. Kultur ist wie eine Droge für unser tristes Dasein.“

„Zivilisation führt eben zu Langeweile“, pflichtete L gelassen bei, „und Langeweile zu Anarchie, aber auf eine sehr zivilisierte Weise. Wir glauben, dass wir uns eine eigene Meinung bilden, indem wir Zeitungen studieren, Dokumentationen schauen, Demonstrationen besuchen, intellektuelle Bücher lesen und individuell provokative Musik hören. Dabei vergessen wir, dass diese Kultur mittlerweile als Massenmedium im Kaufhaus steht. Es ist politische Kalkulation, dass wir kultiviert sind. Gerade hier in Japan.“

Light legte das Buch, das ihm sein Vater geschenkt hatte, vor sich auf den Tisch und starrte durch den Umschlag hindurch einen unbestimmten Punkt an.

Er wusste, was L meinte. Die japanische Gesellschaft baute auf Einheitlichkeit und Leistung. Das zeigte sich bereits im Kindesalter, denn die Wahl jeder einzelnen Einrichtung konnte durch ihren Ruf über die jeweilige Zukunft des Schülers entscheiden. An dem Druck zerbrachen viele und viele wollten ausbrechen, um sich ihre Individualität zu bewahren.

Doch dem Sohn des Polizeiinspektors war es nie eine Last gewesen. Er hatte von Beginn an zeigen können, dass er etwas Besonderes war. Dass er zur Elite gehörte.
 

„Matsuda hat sich ziemlich schnell wieder aus dem Staub gemacht.“ L stocherte mit einer Gabel in seinen Crumbles herum und schob ein paar Streusel von den warmen Äpfeln und Cranberrys herunter. „Er taucht immer völlig überflüssigerweise auf und verdrückt sich, sobald er überfordert ist.“

„Überfordert?“, fragte Light beiläufig, während er an drei verschiedenen Computern Datenpakete, Statistiken und Tabellen miteinander verglich.

„Damit meine ich, dass nicht jeder so intelligent ist wie wir, Light-kun.“

„Aha“, äußerte sich dieser dazu nur, hatte jedoch offensichtlich nicht richtig zugehört. Als er einen Moment später realisierte, was L gesagt hatte, drehte er sich auf dem Stuhl herum. „Spinner, du hast ihn doch selbst in die Flucht geredet.“

„Matsuda bewundert dich sehr“, überging L den scherzhaften Einwurf, „er hört dir immer genau zu, Light-kun.“

„Wirklich?“

„Nur weil er dir zuhört, heißt das nicht, dass er auch alles kapiert. Er wird nicht verstanden haben, von welchen Problemen unserer heutigen Leistungsgesellschaft wir vorhin geredet haben.“

„Sicher gehört er einfach nicht zu den Menschen, die sich von einem solchen Druck kaputtmachen lassen.“ Light streckte kurz seine schmerzenden Glieder, bevor er die einzelnen Rechner in Bereitschaftsschaltung versetzte. Auf den Monitoren der Zentralüberwachung war Misa zu sehen, die vor der Kommode stand und mit dem Drehbuch in der Hand zu ihrem Spiegelbild sprach. L schob sich die mit Früchten und Streuseln beladene Gabel in den Mund und ließ undeutlich verlauten:

„Oft sind einfach gestrickte Menschen gerade deshalb nicht unzufrieden, weil sie nicht wissen, was sie erlangen könnten, nach welchen höheren Zielen sie zu streben hätten.“

„Das heißt aber nicht, dass sie immer glücklich sind“, merkte Light an. „Du musst dir bloß den japanischen Alltag vorstellen, beispielsweise in der Untergrundbahn zur Hauptverkehrszeit, diese Masse an Anonymität. Du siehst müde Gesichter und Glieder, Emotionen wie Hass, Ärger und Stress. Man hat das Gefühl, jeden Augenblick könnte jemand ein Messer hervorziehen, einfach nur so. Und doch können ein paar Stunden später dieselben Leute, von Gerüchen befreit, gewaschen, festlich oder bequem gekleidet, glücklich und zärtlich sein, wirklich lächeln und vergessen. Es ist traurig, sich die Realität auszumalen, denn die meisten von ihnen werden zu Hause wohl nur ein unangenehmes Miteinander erleben oder schrecklich einsam sein.“

„Das ist die ungesellige Geselligkeit des Menschen“, stimmte L tonlos zu, während er die Gabel neben seinen leeren Teller legte, „ein Antagonismus, der dadurch entsteht, dass wir uns vergesellschaften wollen, um wirklich Mensch zu sein, denn nur so können wir alle unsere Anlagen verwirklichen. Aber gleichzeitig möchten wir uns isolieren.“ Light dachte über die Worte seines Partners nach und musste damit unwillkürlich die Isolation verbinden, in der L selbst die meiste Zeit lebte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sich der Meisterdetektiv bisher kaum mit etwas anderem vertraut gemacht als jenen leeren, sterilen Räumen und dem Surren etlicher Computermonitore. Wenn L könnte, würde er den Kontakt zu anderen Menschen vermutlich ausschließlich durch Mikrofone und Bildschirme aufrechterhalten.

„Womöglich“, setzte Light nachdenklich an, „wollen viele Menschen nicht Gefahr laufen, anderen zu unterliegen, weil sie Angst haben, dass ihre eigenen Fähigkeiten nicht ausreichen. Wenn man sich gar nicht erst auf einen Kampf einlässt, kann man auch nicht von sich selbst enttäuscht sein.“

„Es liegt eben in unserer Natur, dass wir alles nach unserem Willen lenken wollen.“ L war aufgestanden und wandte sich zum Gehen. Dabei ließ er den Teller, auf dem nur noch ein paar vereinzelte Krümel lagen, einfach stehen. Am nächsten Tag, das wusste Light, würde ihn jemand weggeräumt haben.

„Ordnung und Kontrolle sind für den Menschen nun mal sehr wichtige Themen“, sagte er, wobei er sich ebenfalls erhoben hatte.

„Und gleichzeitig“, gab L zurück, „erwarten wir immer Widerstand und wissen, dass wir selbst der Widerstand gegen andere sind. Es kann in der Ethik nicht darum gehen, ob Menschen einander ihre Freiheit einschränken dürfen, sondern nur darum, wie sie es dürfen.“

„Der Widerstand, von dem du sprichst“, schloss sich Light der Argumentation an, während er dem Anderen die Treppe hinauf folgte, „er weckt doch auch die Kräfte des Menschen und bringt ihn dazu, seine Trägheit und Langeweile zu überwinden.“

L reagierte auf den spitzen Appell in jener Aussage mit Sarkasmus:

„Und dabei ist er nur noch getrieben von Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht, um sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen, die er zwar nicht leiden kann, von denen er allerdings auch nicht lassen kann. Die Partikularinteressen führen zu einem erhöhten Leidensdruck, dem sich der Mensch nicht entziehen kann. Er ist schließlich mehr oder weniger dazu gezwungen, sich auf gesetzliche Regelungen einzulassen.“

„Die Aufgabe der Gesetze besteht aber nicht darin, Meinungen zu bewahrheiten, sondern die Sicherheit des Gemeinwesens sowie der Güter und der Person jedes einzelnen zu gewährleisten.“

„Genau aus dem Grund hat sich diese krankhaft erzwungene Zusammenstimmung zu einer Gesellschaft am Ende in ein moralisches Ganzes verwandelt.“

Die beiden Männer betraten ihr gemeinsames Zimmer. L ließ sich sogleich auf das Bett fallen, mit zur Decke gewandtem Blick, während sein linker Fuß noch immer den Boden berührte. Ganz in seiner Nähe setzte sich sein Partner an den Rand des Bettes.

„Eigentlich hätte der Verstand doch ausreichen müssen“, meinte Light trübsinnig, „damit der Mensch das alles erkennt. Stattdessen müssen wir erst die traurige Erfahrung von Kriegen machen, bis wir zuletzt am Ende unserer Kräfte angelangt sind und uns eingestehen, dass wir nur gemeinsam überleben können. Doch bevor wir zu dieser Erkenntnis gelangen, müssen unzählige unter unserer Selbstherrlichkeit leiden. Da kann man nur noch schwer an das Gute glauben.“

„Wenn die Menschen gutartig wie Schafe wären, dann würden sie ihrem Dasein nicht mehr Wert verschaffen als ihrem eigenen Nutzvieh.“ L starrte weiterhin gelangweilt die Decke an, obwohl in seiner Stimme etwas mitschwang, das beinahe als Frustration zu interpretieren war. „Darum müssen wir dieser mangelnden Fähigkeit zum Konsens danken, unserer im Wettstreit stehenden Eitelkeit und der nicht zu befriedigenden Begierde zum Haben oder auch zum Herrschen.“

Irritiert schaute Light zu seinem Kollegen hinüber und entgegnete:

„Aber im Grunde genommen wollen wir doch alle nur ein einträchtiges Beisammensein, oder nicht?“

„Die Natur weiß besser, was für unsere Gattung gut ist“, widersprach L, „nämlich Zwietracht. Nur dadurch sind wir in unserer Entwicklung so weit gekommen.“

Light sagte nichts dazu und ließ den Blick durch das Fenster nach draußen gleiten. Der Himmel war vollständig von Wolken bedeckt, die sich langsam über den Hintergrund der Stadtkulisse bewegten und die Wände des Zimmers in grauweiße Farbe tauchten. Die ersten Lichter erhellten die Häuser und Straßen, doch hinter den Fassaden Tokyos blieb jeder einzelne Mensch unbekannt.

„Wenn du so pessimistisch von Ehrgeiz und Selbstbehauptung sprichst“, brach Light schließlich mit leiser Stimme das Schweigen, „warum fehlt dir dann der Mut, um weiterzumachen? Warum hast du deinen Elan über Bord geworfen?“

„Ich möchte einfach gar nichts tun“, erwiderte L deprimiert, „nur die Augen schließen und im Schlaf alles vergessen.“

„Als ob du wirklich Schlaf suchen würdest“, meinte Light ein wenig zynisch.

„Auch wenn ich unmotiviert bin, ich kann es nun mal nicht“, erklärte der Detektiv. „Ich kann nicht nachlässig sein oder untätig bleiben.“

„Das widerspricht sich doch! Nimmst du dich weiter vor mir in Acht, obwohl ich meinen Wert eingebüßt habe? Was war überhaupt dein Ziel, wenn es jetzt egal zu sein scheint? Du darfst dich nicht hängen lassen und musst deinen Enthusiasmus wiederfinden! Wie willst du zurückkehren können, wenn du den Weg aus den Augen verlierst?“ Darauf gab L keine Antwort mehr. Seufzend senkte Light den Kopf und vergrub, wie so oft in solchen Situationen, die Hände in seinem braunen Haar.

Ein weiterer langer Moment der Stille verstrich. Light versuchte das Chaos in seinen Gedanken zu ordnen. Wie war Ls Lustlosigkeit mit der Tatsache zu vereinbaren, dass dem Detektiv der Sieg eigentlich so wichtig war? Es konnte nicht daran liegen, dass er schon verloren zu haben glaubte, denn noch war das Spiel nicht zu Ende. Lief es wieder auf dasselbe Problem hinaus? Um sich Klarheit zu verschaffen, sagte Light:

„Du willst in Wirklichkeit gar nicht mit mir kooperieren.“

„Wie?“ Teilnahmslos wandte sich L seinem Ermittlungspartner zu. Dieser wagte sich in seiner These noch einen Schritt weiter, wobei sein Vorwurf zunehmend ungehaltener wurde.

„Du willst nicht mit mir, sondern gegen mich kämpfen, ist es nicht so, Ryuzaki? In deinen Augen hat Kira mein Gesicht verloren und das passt dir nicht. Du bist schlichtweg beleidigt und stur wie ein kleines Kind, weil du es nicht zulassen willst, dass jemand anderes Kira ist!“

„Was interessiert dich das denn?“

Wütend war Light aufgestanden. Das bittere Gefühl in seiner Magengegend hatte sich aufgrund des gleichgültigen Verhaltens, das ihm sein Freund entgegenbrachte, zu einer Welle des Zorns gesteigert. Die ruckartige Bewegung ließ L wegen der Metallkette beinahe aus dem Bett fallen. Doch nachdem er sich gerade noch rechtzeitig gefangen hatte, wurde er bereits am Handgelenk gepackt und durch das Zimmer gezerrt.

„Light, was...?“ Zu perplex, um zu reagieren, taumelte L hinter dem Jüngeren her.

„Ich habe es satt.“ Lights Stimme bebte. Er zog seinen Partner ins Badezimmer und stieß ihn ohne Umschweife in die Duschkabine. L schaffte es zwar rechtzeitig, sich an der Kabinenwand festzuhalten, stolperte dann jedoch und fiel rücklings auf den weißen Untergrund. Während er sich mit den Händen abstützte, um wieder eine aufrechte Position zu erlangen, prasselte plötzlich eiskaltes Wasser auf ihn herab.

Vor Schreck erstarrt hob L den Kopf. Undeutlich sah er Light über sich stehen, der verzweifelt auf ihn hinabschaute. Dieser war ebenfalls halb in die Duschkabine hineingestiegen, sodass seine Hosenbeine nass wurden. Es schien ihn jedoch nicht zu kümmern.

„Wach endlich auf!“ Aus Lights Stimme klang deutlich die Hoffnungslosigkeit hervor, gegen die sich der junge Ermittler schon seit Wochen zur Wehr setzte. Er hatte einfach keine Kraft mehr.

„Warum lässt du dich so gehen?“, rief er dem Meisterdetektiv fragend entgegen. Dieser lehnte stumm den Kopf gegen die Wand. Das Wasser durchtränkte seine Kleidung, die ihm schwer und kalt an der Haut zu kleben begann. Sein Gesicht gab kaum Aufschluss darüber, ob ihm das alles überhaupt etwas bedeutete.

Light ließ sich hinabsinken, fasste seinen Freund bei den Schultern und schüttelte ihn leicht.

„Was ist denn los mit dir?“, redete er auf L ein, während dieser langsam den Kopf drehte und ihn mit seinen unergründlichen Augen durchdrang. „Warum hilfst du mir nicht, verdammt?!“

Unter seinen Fingern spürte er, dass L zu zittern begonnen hatte. Auch Light konnte sich gegen die Kälte nicht mehr wehren. Seine Sachen hafteten klamm an seinem Körper. Das Wasser verschleierte seinen Blick.

Dennoch sah er auf einmal wirklich in die schwarzen Augen seines Freundes, die reglos auf ihn gerichtet waren, vergleichbar mit denen eines Toten.

Das Erkennen traf Light wie ein Schlag ins Gesicht. Fast hatte er vergessen, dass man manchmal genauer hinsehen musste, um unter die Oberfläche zu dringen. Und dass man es stets auf eigene Gefahr tat. War er denn blind gewesen?

„Es...“ Lights Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Es tut mir leid.“ Mit diesen Worten überwand er seinen inneren Konflikt und die immerwährende Distanz zwischen ihnen. Er streckte die Arme aus und schloss sie um Ls Körper, um ihn an sich zu ziehen.

Der Detektiv rutschte noch ein weiteres Stück gegen die Wand in seinem Rücken, sodass Light, um ihn nicht loszulassen, sein Gewicht auf den fremden Körper verlagern musste und zwischen dessen angewinkelten Beinen zum Ruhen kam. Verwundert schaute L aus seinen dunkel umschatteten Augen auf den braunen Haarschopf hinab. Keiner von beiden wusste, wem diese Umarmung als Stütze dienen sollte und wer hier tatsächlich nach Halt suchte.

Während kaltes Wasser über die geschlossenen Lider Lights und dessen Wangen lief, hielt er seinen Freund weiterhin fest umschlungen. Er wollte über sein eigenes Handeln nicht mehr nachdenken müssen. Ansonsten hätte er sich vielleicht eingestanden, dass er sich selbst wie das Kind benahm, als welches er L im Affekt bezeichnet hatte.

„Es tut mir leid“, wiederholte Light kaum hörbar.

„Du musst dich nicht entschuldigen“, antwortete L, wobei er sich auf die Nähe des Anderen konzentrierte und dessen Nacken und Schulterblätter betrachtete, die unter dem durchnässten weißen Hemd zum Vorschein kamen. „Wenn jemand um Verzeihung bitten sollte, dann bin ich das.“

„Ach, komm“, lachte Light schmerzlich und löste sich von ihm, „das meinst du doch sowieso nicht ernst.“

„Wer weiß.“ Es verwirrte L, dass er für einen Moment den Drang verspürt hatte, den Jüngeren festzuhalten. Stattdessen registrierte er fasziniert die Verlegenheit, die sich auf Lights Gesicht widerspiegelte, eine für den sonst so ernsten Studenten ungewohnte Emotion.

Das Rauschen des Wassers hörte auf. Light zog seine Hand zurück und ließ sie achtlos hinabfallen. Er konnte L nicht in die Augen schauen, diesem hochintelligenten Mann und weltbesten Detektiv, den er ohne nachzudenken in eine solch unangenehme Lage gebracht hatte.

„Ich habe wohl einfach Angst“, gestand Light schwermütig. „Angst davor, dass du dich selbst verraten könntest.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
1. Das Zitat, das Light zu Beginn vorliest, stammt aus der „Göttlichen Komödie“ von Dante Alighieri.
2. Die Überlegungen zur Kultur beruhen zum Teil auf Martin Heidegger. Für die weiteren Debatten in diesem Kapitel dienten unter anderem Herbert Marcuse und John Locke als Inspiration.
3. Die Idee der ungeselligen Geselligkeit des Menschen stammt von Immanuel Kant. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Yuiki
2014-03-15T14:52:54+00:00 15.03.2014 15:52
Du wolltest ja dass man dir einen Kommentar schreibt wo man aufhört zu lesen.
Das wäre in meinem Falle dann..hier.
Alles, aber wirklich alles in diesem Kapitel widerspricht komplett meiner Weltsicht. Ich empfinde es als anstrengend diese für mich abstrusen Gedanken zu lesen und fühle mich - um ein Cliché zu bestätigen - fast schon persönlich angegriffen. Für eine Auseinandersetzung damit bin ich schlichtweg zu müde.

"Wenn man sich gar nicht erst auf einen Kampf einlässt, kann man auch nicht von sich selbst enttäuscht sein."
Diesen Worten werde ich jetzt folgen und mich mit meinem minderwertigen Weltbild zurückziehen damit ich es in der konfliktfreien Leere in meinem Kopf schützen kann.

Und wenn ich ausgeschlafen bin versuche ich es ab dieser Stelle nochmal, vielleicht fällt mein Urteil dann anders aus.
Antwort von:  Yuiki
19.03.2014 00:57
Hach Matsuda ♡
In bisherigen Kapiteln wurde er ja - passend zu seinem Verhalten im Manga - eher ein wenig...trottelig dargestellt. Hier fühle ich mich als Leser komplett auf seiner Wellenlänge, ob das jetzt heißt ich bin dümmer oder er ist klüger...wer weiß.

"Wir glauben dass wir uns eine eigene Meinung bilden"
Genau das tun wir doch auch; unabhängig von der breiten Verfügbarkeit der Quellen derer wir uns bedienen fußt unsere Meinung, unser Kulturempfinden darauf wie wir diese Quellen bewerten, gewichten,kombinieren. Dies kann nicht kalkuliert werden, von der Politik eines Landes das international vernetzt ist schon gar nicht.

Ich gebe offen zu den Teil zur ungeselligen Geselligkeit nicht verstanden zu haben, daher lasse ich den mal außen vor.

Insgesamt gefallen mir die Positionen die in diesem Kapitel angesprochen werden wohl vor allem deshalb nicht weil Zwietracht und Konflikt so positiv dargestellt werden. Konflikt und Konsens ergänzen sich aber, eine rein von Zwietracht geprägte Gesellschaft würde nicht funktionieren. Die Bedeutung für die Entwicklung des Menschen ist auch nur extrem begrenzt; wenn wir als Beispiel Schimpansen und Bonobos vergleichen die beide sehr nahe mit uns verwandt sind, müssten die intelligenten, sehr konfliktgeprägten Schimpansen in ihrer 'gesellschaftlichen', 'kulturellen' Entwicklung den friedfertigen Bonobos mit einer vergleichbaren Intelligenz weit voraus sein; sind sie aber nicht.

Auch ich persönlich betrachte "einträchtiges Beisammensein", wie Light es formuliert hat,als ein bedeutendes Ziel, genauso wie Glücklichsein (sei hier als positives Grundgefühl definiert). Vielleicht auch deshalb habe ich mich ein wenig angegriffen gefühlt (ist jetzt nach aufmerksamem Lesen nicht mehr der Fall), schließlich unterstellt L indirekt dass 'glückliche' normale Menschen eigentlich nur glücklich sind weil sie zu dumm sind zu verstehen was sie sonst noch erreichen könnten, wie viel weiter ihr Horizont sein könnte. Vielleicht ist es aber ein bewusstes Abwenden vom Streben nach Ehre, Erfolg, usw. weil diesen Menschen klar geworden ist wie destruktiv diese ewige Konkurrenz wirkt? Ansonsten würde man dem größten Teil der Menschheit Dummheit unterstellen - was dann doch recht gewagt ist, wenn auch vielleicht nicht falsch.

Sehr gelungen fand ich diese indirekte Zweiteilung des Kapitels, in die erste Hälfte in der das Physische komplett in den Hintergrund tritt, bis zu dem Punkt an dem es eigentlich völlig vernachlässigbar ist, und die zweite Hälfte, die den Leser mit der kalten Dusche aus den Gedanken, zurück in die physische Welt reisst, zurück zum Fall - also genau das was Light ja eigentlich bei L versucht, aber auf jeden Fall beim Leser bewirkt.
Antwort von:  halfJack
29.03.2014 18:33
Dein erster Kommentar hierzu hat mich zu Beginn deprimiert und irgendwie in meinen Selbstzweifeln bestätigt, weil ich sowieso ständig erwarte, dass man ab einem bestimmten Punkt mit dem Lesen aufhört. Ich würde niemanden zum Weiterlesen drängen, aber ich glaube, dass manche Sachverhalte einfach nicht so schnell erklärt werden können. Zuvor habe ich bereits angemerkt, ich könnte manche Dinge erst nur anreißen und im Ansatz aufgreifen, bevor sie später weitergeführt und mit Erklärungen gefüllt werden. Das ist auch hier der Fall. Selbst bis zum Schluss auf den immerhin über 300 Wordseiten von 24/7 gab es etliche Dinge, die ich nicht in ihrem völligen Ausmaß erklären konnte. Es wird vermutlich immer etwas fehlen. Noch dazu kann man nicht an jeder späteren Stelle sofort den Bezug zu einem vormals geführten Gespräch herstellen, dafür sind die Inhalte des Originals, also der Fragen, die Death Note aufwirft, an sich schon zu komplex.
Nun verstehe ich, dass du offenbar vor allem der sehr negativ gefärbten Einstellung zur Gesellschaft nicht zustimmen konntest. Obwohl einiges davon durchaus dieser Wertung entspricht, kann ich dir versichern, dass ich nicht bei Hobbes stehen bleibe. Denn das ist genau der Grundgedanke, der hierfür die Basis bildet. In seinem Werk "Leviathan" versteht Thomas Hobbes den Menschen als durch und durch egostisches Wesen. Homo homine lupus: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Das ist natürlich eine sehr einseitige Sicht, der es an vielem mangelt. Menschliche Gefühle wie Mitleid oder generell die Beziehungen zwischen den Menschen, Erziehung und die Tatsache, das niemand in eine Gesellschaft wie ein unbeschriebenes Blatt hineingeworfen wird, fallen bei dieser Staatsphilosophie unter den Tisch. Man muss allerdings bedenken, dass Hobbes das vor allen Dingen in Bezug auf rivalisierende Völker untereinander gemeint hat. Menschen sind einander Wölfe, wenn sie sich nicht kennen, wenn sie einander fremd sind. Daran anlehnend greift Kant die Idee korrigierend auf.
Der Teil zur "ungeselligen Geselligkeit", den du nicht verstanden zu haben meintest, stammt wortwörtlich von Immanuel Kant. Er beschreibt diesen Umstand in seiner "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht". Man kann diesem Punkt zustimmen oder nicht, aber er ist auch in diesem Sinne nicht anwendbar auf unser gesamtes Beisammensein, sondern auf den Fortschritt und die Entwicklung der Gesellschaft an sich. Ich halte das für nachvollziehbar und logisch, aber es bedeutet keineswegs, dass die Zwietracht allein als positiv und förderlich hingestellt werden soll. Eine Ergänzung aus Konflikt und Konsens, wie du es nanntest, ist damit gemeint. Es bedeutet lediglich, dass der Konsens allein nicht ausreicht und das dem Konflikt nicht bloß negative, sondern auch förderliche Aspekte innewohnen. In der Natur ist es vergleichbar. Das beste genetische Material wird dadurch weitergegeben, weil der stärkste aus einem Konflikt hervorgeht. Natürliche Selektion. Aus ähnlichen Konflikten heraus entsteht Konkurrenz, durch die wir uns weiterentwickeln.
Was nichtsdestotrotz die Staatsphilosophie anbelangt, fehlt dieser Idee noch der entscheidende Punkt der irrationalen Menschlichkeit, der Zusammenarbeit und Emotionalität. Zugegeben, ich bin kein großer Fan von Kant und vertrete eher die Anschauungen von Schopenhauer. Wie vorher erwähnt, kann ich damit jedoch nicht aus der Luft gegriffen anfangen. Das Gespräch wird immer mal wieder in diese Richtung laufen und fortgeführt. Hier und auch später findet sich dennoch nicht der Weisheit letzter Schluss, den ich ohnehin nicht bieten kann und möchte.

Zu der Aussage: "Wir glauben, dass wir uns eine eigene Meinung bilden."
Diese Kritik, wenn man sie als solche auffasst, würde ich nicht auf alle Menschen anwenden, erst recht nicht auf dich als Leser, weil ich anhand deiner Kommentare merke, dass du viel reflektierst und hinterfragst. Das trifft allerdings nicht auf die Masse der Menschen zu, das, was man als "Massenseele" begreifen kann. Sehr bezeichnend ist hierfür der Slogan der Bildzeitung: "BILD dir deine Meinung." Traurigerweise werden den meisten Menschen ihre Meinungen vorgekaut und eingepflanzt. Meinungen, die sie für ihre eigenen halten, werden quasi von den Medien "gebildet", ohne dass sie es merken. Natürlich bilden wir, wenn auch von der eigenen Persönlichkeit abhängend unterschiedlich stark, unsere persönliche Meinung. Wollte ich das verneinen, würde ich mir selbst absprechen, eigenständig zu denken und zu handeln. Aber ein "unabhängig von der breiten Verfügbarkeit der Quellen", wie du es formuliert hast, gibt es meines Erachtens nur schwerlich. Je mehr Informationen uns zugänglich gemacht werden, desto besser können wir reflektieren und uns gegen den von der Obrigkeit oktroyierten Staat wehren. Heutzutage ist das Internet das beste Beispiel dafür. Ohne Informationen werden die meisten glauben, was ihnen erzählt wird. Ausnahmen bestätigen selbstverständlich die Regel. Doch die Zugriffsmöglichkeit auf den internationalen Blickwinkel hat in den letzten Jahren gehäuft zu mehr Austausch, mehr Kritik und zuletzt zu Umbrüchen geführt. Die Frage ist natürlich auch, inwiefern man von den Möglichkeiten, die sich einem bieten, Gebrauch macht, ob man sich tiefer mit etwas beschäftigt oder nur den Fernseher einschaltet, um sich von den massentauglichen Nachrichten einlullen und beeinflussen zu lassen. Und eben diese Massenmeinung kann man kalkulieren, sonst ergäben Marktforschung und Statistiken keinen Sinn, wenn es anders wäre.
Das ist jetzt nur eine Seite dieser ganzen Thematik. Darüber könnte man ganze Romane schreiben.

Übrigens stimme ich dir zu, dass Ls Aussagen hart formuliert und teils nicht ganz richtig waren. Allerdings glaube ich auch, dass er sie gar nicht so ernst oder abwertend gemeint hat, und wenn, dann wollte er Light damit nur provozieren. An Lights Stelle wäre ich auch sauer, weil ich das Gefühl hätte, L würde sich zum Beispiel über Matsuda lustig machen. Manchmal ist L nicht besonders... nett.
Es wäre gut, die Aussagen immer im Kontext zu sehen. Was in einer Situation mal ein bisschen hart klingt, kann durch diverse frühere oder spätere Aussagen relativiert werden. Ich denke ebenfalls, dass man das Beste aus seinem Leben machen sollte, nicht durch eine hohe Position, sondern durch alltägliche Hilfe und das kleine Glück. Nach mehr zu streben bedeutet nämlich auch oft, skrupellos zu handeln, während andere Leute auf der Strecke bleiben. In unseren Führungspositionen sitzen zumeist Psychopathen, extrem ausgedrückt, denen es an Mitleid mangelt. Ich musste durch deinen Kommentar an das Lied "Bonobo" von Oomph! und an "Die Konkurrenz" von Wir sind Helden denken.

Entschuldige übrigens bitte, dass ich so lange brauche, um auf deine einzelnen Kommentare zu antworten. Ich muss mir dafür immer ein wenig Zeit nehmen.
Von: abgemeldet
2009-07-12T19:08:14+00:00 12.07.2009 21:08
WOOOOOHHAAAA *____*
Hammer wieder mal einfach qudd ^___^
Ich finde es einfach =]
Lq
Hony
Von:  angeljaehyo
2009-07-10T14:48:40+00:00 10.07.2009 16:48
Allein schon der erste Satz dieses Kapitels zeigt mal wieder, wie sehr du diese Geschichte ausnutzt, um mit dir selbst Sachen durchzudiskutieren :D Fand ich ganz amüsant.

Dieses Kapitel war das beste bis jetzt, aber das konntest du dir sicher wieder denken, dass ich das meinen würde :D
Ls Gedanken zum Thema Vergöttlichung seiner selbst und natürlich zum unausweichlichen Vergleich zu Kira fand ich unglaublich interessant. Zum einen, weil die Ähnlichkeit der... Antriebe der beiden, ihre Ziele so gleich und gleichermaßen so unterschiedlich sind, genauso wie ihre eigene Auffassung über ihre eigene 'Göttlichkeit', sofern existent. Dass dabei genau Raito als interessierter, aber dennoch objektiver Zuhörer fungiert... Ja, das ist gelungen. Eindeutig.

Mir kam Raito in diesem Kapitel wie 'Ls bessere Hälfte' vor und umgekehrt genauso, was du mit dem Satz vom gegenseitigen Stützen auch schön rausgebracht hast - zumindest empfinde ich das so. Man sah auch wieder den Kontrast der beiden Persönlichkeiten.
Ich bin ein ganz großer Fan von jeglichen Antithesen und Parallelismen, die zusammen gehören und irgendwie ein Paradoxon bilden. Deswegen vielleicht liebe ich auch das Pairing so sehr, also LxRaito.
Und hier sah man das wieder so gut... ihre 'Göttlichkeit', Raito, wie aufbrausend er geworden ist, L in seiner Starre, immer noch nicht von ihr befreit, aber doch irgendwie sehr verwirrt.

Was mir sonst noch gut gefiel (ich kanns jetzt nicht mehr im Wortlaut, hab's ja vor ein paar Tagen gelesen) war eine Frage von Raito, woraufhin L sagt: "Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dir das sage."
Raitos Verständnis, dass dieser Mensch, dem er sich ein Stück weit öffnet, ihm immer noch in keinster Weise traut ist so professionell und gleichzeitig einfach so... traurig.
Ich weiß auch nicht wieso.
Sehr schönes Kapitel.
Von: abgemeldet
2009-06-24T15:26:48+00:00 24.06.2009 17:26
Du meintest, dieses Kapitel wäre vielleicht zu stark emotional. Ich finde, gemessen an anderen emotionalen Momenten deiner Geschichte (und des Originals) passt das, was du hier beschrieben hast, in den Rahmen und schlägt nicht über die Stränge. Dieser Moment in der Duschkabine ist nämlich nicht wesentlich gefühlsbetonter als das, was an Gefühlsbetontem bisher da war. Der würgende L über der Kloschüssel und seine Worte haben beispielsweise denselben emotionalen Wert, bloß wird diese 'Gefühlsmenge' hier anders gestaltet. Eben (inter-)aktiver, Light greift aufgrund seiner Wut über Ls Demotivation und ständiges Misstrauen physisch auf ihn über. Er hat doch aus denselben Gründen schon zwei Mal eine Prügelei mit L angefangen. Also ist dieser Ausbruch weder für Light untypisch noch für den Plot unpassend noch eine zu heftige Reaktion. Light ist schon im Original wütend und gekränkt über die Anschuldigungen Ls sowie über sein Aufgeben, und in deiner Geschichte hast du diese Emotionen stets weiterverfolgt, erklärt und ausgebaut, sodass es nun nicht überraschend oder unglaubwürdig kommt, dass sie in so etwas gipfeln. (Übrigens ist die Idee mit dem kalten Wasser und dem Aufwachen toll.) Darauf wartet man sogar. Zuerst ist da Lights Unwohlsein und Verwirrung (Kapitel 2, als er so offensichtlich von dem Gedanken verletzt ist, das mit der Freundschaft könnte von Ls Seite nicht ernst gemeint gewesen sein, und als er sich an dem noch immer auf ihm lastenden Verdacht stört), dann wächst daraus kurzzeitig blinde Aggression (eben die Prügelei in Kapitel 3) und später ein wirklich tiefgehendes Gefühl von Frustration und Ausweglosigkeit, von gegen die Wand Reden (die Situation in Kapitel 5, als sie sich fast verbal in die Haare kriegen wegen Ls vermeintlicher Idealisierung Kiras, und als Light sich über die mangelnde Zusammenarbeit beschwert. Etwas, das du hier ja wieder aufgreifst. Das ist zudem die Muster-Situation, auf die ich "und vergrub, wie so oft in solchen Situationen, die Hände in seinem braunen Haar" anspielen sehe). Es muss was passieren, er kann das nicht ewig aushalten, und ich kann persönlich den nagenden Ärger über Ls frustrierende 'Das kann dir doch egal sein'-Aussagen (war ja nicht die erste dieser Art, du bist da für Light und den Leser sehr provokant, für letzteren in positivem Sinne) gut nachempfinden. Der Übergriff passt also. Das Bedauern Lights darüber aber auch. Die Wut kommt immerhin aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung und die wiederum kommen aus einem Gefühl von Zuneigung zu L. Wäre er ihm egal, würde es ihn nicht kümmern, wie L sich fühlt, was er über ihn denkt oder wie viel Motivation er hat. Also ist es nur natürlich, dass es ihm Leid tut, wenn er plötzlich realisiert, L, "diesen hochintelligenten Mann und weltbesten Detektiven" und immerhin seinen Freund, ungebührlich behandelt zu haben. Dass er ihn umarmt und wie er es tut passt dazu, es ist so hilflos, hilfesuchend, so, dass nicht klar ist, wer hier wen stützen muss. Es ist eine verzweifelte Handlung genauso wie die vorherige. Ich finde das alles wundervoll, dieses Handeln ohne zu wissen, was er eigentlich tut, das Ausdruck von tiefer liegenden Gefühlen ist, die unreflektiert ausbrechen. Zudem ist dieser Kontrast zwischen Wut und Bedauern auf einer höheren Ebene betrachtet so hm... zweigesichtig, wie Light/Kira.
Was mir an dieser Stelle lediglich auffiel, war, dass du kurz eine Innensicht von L gegeben hast, was sonst in der Geschichte selten vorkommt (du beschreibst Lights Körper aus seinen Augen, normalerweise tust du es eher anders herum, du beschreibst auch die Regung, dass er Light für einen Moment nicht loslassen möchte, sowie sein Erstaunen über Lights Verlegenheit). Ist das etwas, was du als zu emotional siehst? Mich hat da nur der Perspektivenwechsel etwas überrascht. Dass die Umarmung in dieser Situation nichts Unangenehmes für L ist, überrascht nicht. Nicht, nachdem sie zum Beispiel in Kapitel 2 festgestellt haben, dass Lights Berührungen ihm im Gegensatz zu den Berührungen anderer nichts ausmachen. Ich fand es trotz Überraschung aber interessant, dass das ganze Körperliche auch mal wieder von der anderen, von Ls Seite beleuchtet wurde.

Vielleicht kommt diese eher emotionale Situation auch einfach nur so intensiv rüber, da das Kapitel mitten in einer (auf den ersten Blick) eher nüchternen Diskussion beginnt. Es schließt ja direkt an das vorhergehende an, so direkt, wie das eigentlich bei noch keinem anderen Kapitelübergang der Fall war. Jedenfalls befindet man sich gleich zu Anfang in diesem Gespräch, während sich das sonst immer langsamer entwickelt hat. Daher ist der Kontrast zwischen der ersten, eher von Verstand geprägten Kapitelhälfte und der zweiten, eher emotionalen und impulsiven, womöglich stärker wahrnehmbar.
Auf den zweiten Blick aber lässt sich die Diskussion gar nicht so klar getrennt vom emotionalen Teil sehen. Immerhin geht es darin im Prinzip um L und sein Dasein höchstpersönlich, das ist dir sehr gelungen. Als du L hast unsere heutige Zeit beschreiben lassen, musste ich daran denken, dass L außerhalb einer "von Menschen geschaffenen Welt, zwischen Gebrauchsgegenständen, in Häusern, auf Straßen, in Städten" im Prinzip gar nicht überlebensfähig wäre. Seine Lebensaufgabe (die er, sein Ego und sein Verstand so nötig haben wie die Luft zum Atmen) besteht immerhin im Lösen von Rätseln mithilfe moderner Medien in allen Ausführungen. Er könnte sich dieser nötigen Aufgabe zudem nicht gänzlich widmen, wenn er nicht jemanden hätte, der ihm das fertige Essen vor die Nase setzt oder eben, wie hier auch angedeutet, seine Teller wegräumt – stellvertretend für all die andere Arbeit, die man für ihn sicherlich tun muss, damit seine Existenz nicht im Chaos untergeht. Ohne die Zivilisation könnte es einen wie L nicht geben, genauso wenig wie ohne die Gesellschaft, deren Motor, die Zwietracht, ja auch sein Motor als Detektiv ist, und die er überhaupt braucht, da er eben ein Mensch ist, wenn er sich auch isolieren will. Das alles fasst Light in der Passage von "Light dachte über die Worte seines Partners nach" bis "durch Mikrophone und Bildschirme aufrechterhalten" ja auch treffend zusammen, es ist DAS Bild von L schlechthin. Weiterhin befasst sich das Gespräch auch mit der Frage nach Ls Demotivation, die daraus entsteht, dass er nicht alles nach seinem Willen lenken konnte und womöglich das Unterliegen fürchtet. Was in Lights spitzem Kommentar gipfelt, dass der Widerstand ihm doch eigentlich Kraft zur Überwindung der Faulheit geben sollte. Und an all diesen Dingen entzündet sich doch letztendlich Lights Geduld... es kommen die Fragen, warum er nicht kooperieren möchte usw, all die Frustration nimmt überhand. Ich finde also einmal, das Ganze hat sehr schön L portraitiert (und nebenbei auch Kira, was den Kommentar mit dem vermeintlichen Streben nach friedlichem Beisammensein und der Unvernunft von Kriegen angeht, dem L mit dem Zwietracht-Motor widerspricht. Und auch Light, der in der Leistungsgesellschaft besteht... aber das wird alles zu viel....), außerdem hat es sich richtig nachvollziehbar hochgeschaukelt bis zu Lights Ausbruch.

Noch ein letztes:
"Ich habe wohl einfach Angst", gestand Light schwermütig, "Angst davor, dass du dich selbst verraten könntest."
Das versteh ich mehrdeutig. Einmal so, dass Light Angst davor hat, dass L sich 'aufgibt', dass er seinen Ehrgeiz völlig verliert und nicht mehr derselbe ist. Andererseits verstehe ich aber 'verraten' auch im Sinne von 'etwas preisgeben', wie zum Beispiel die eigene Ambivalenz. Die, dass L Kira in Light gefunden hat und nicht weitermachen kann, weil er es nicht ertragen kann, oder weil er ihm verwandter ist, als er zugeben möchte. Mag aber auch sein, dass ich das mit dem preisgeben überinterpretiere.

Ich bin übrigens begeistert von der Emotionalität hier.



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