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Die Monochroniken

02 :: Der Junge und das Seil
von

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Bei Nacht und Nebel

Bei Nacht und Nebel
 

Der Tag war ein einziger Alptraum. Ich konnte mich kaum bewegen. Kaum war ich Zuhause angelangt, fiel ich todmüde ins Bett. Doch schon wenige Minuten später weckte uns die Tante erbarmungslos. Ich fühlte mich, wie ich mich nie mehr fühlen wollte: alles in meinem Leib schmerzte, ich war müde wie selten zuvor, nur kalt war mir nicht. Dafür heiß. Heiß, heiß, heiß. Ich wäre nackt zum Frühstück gegangen, hätte mich Hallen nicht genötigt, doch etwas anzuziehen. Nach dem Frühstück ging es sofort los in die Weberei. Das, worauf ich mich sonst immer gefreut hatte, war nun ein einziger Horror: Der Meister hatte zig Spezial-Aufträge für mich gehortet, die ich möglichst bald fertiggewebt haben sollte. Mein Gesicht zerfurchte sich mit jedem Zug, den ich am Webstuhl machte und bald fiel auch den anderen auf, dass ich ganz und garnicht in der Form war, meine Aufträge gut und schnell auszuführen.
 

"Was ist los, Nanik? Du arbeitest so schnell wie eine Schnecke und präzise wie ein Ochse. Hast du gestern etwa getrunken?" fragte der Meister scharf und ich verneinte.

"Dann streng dich gefälligst mehr an, sonst bist du bis zum nächsten Jahr nicht fertig! Du bleibst so lange hier, bis du diese hier zuende gebracht hast! Das Lob ist dir wohl zu Kopf gestiegen, was?" Das hatte gesessen. Aber ich bemühte mich doch, wo ich nur konnte, es ging einfach nicht schneller. Das Mittagessen selbst ließ ich ausfallen, doch ich würde es bis Einbruch der Dunkelheit trotzdem nicht schaffen. Ich biß die Zähne zusammen und ignorierte meine schmerzenden Arme, Finger und Beine, aber viel schneller ging es dadurch auch nicht. Mitleidig sahen mich die anderen Weberinnen an, denn sie wussten, was es hieß, wenn man das tägliche Soll nicht erfüllte. So nett mein Onkel vor zwei Tagen auch gewesen war, Faulheit ließ er niemals durchgehen und wenn jemand wegen eines Katers nicht arbeiten konnte, wurde der Kater eben hinausgeprügelt.

Immerhin half mir Hallen bei einem großen Teil der Arbeit, als er sah, dass ich es auf keinen Fall schaffen konnte. Aber auf die Frage hin, was denn mit mir los sei, konnte ich ihm keine glaubwürdige Antwort geben. So arbeiteten wir stumm weiter bis die Nacht anbrach und die Lichter gelöscht wurden. Na, wenigstens hatten wir jetzt den Großteil fertig gemacht. Aber die Rute würde ich trotzdem zu spüren bekommen. Es würde sowieso keinen Unterschied mehr machen, denn vom Arbeiten taten mir jetzt die Arme und Finger so verdammt weh, dass kein Schmerz der Welt sie übertreffen konnte. Ich sollte mich irren.
 

Mein Hintern glühte wie ein Bügeleisen und ich konnte kaum noch stehen, geschweige denn sitzen. Hastig wischte ich mir die Tränen aus den Augen, als ich zu Hallen ins Zimmer trat. Nein, liegen würde ich nicht mehr können. Hallen hatte großes Mitleid aber trösten konnte er mich kaum, denn ich wusste, was heute nacht noch auf mich zukommen würde.
 

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Nur zwei Stunden später war ich wieder auf dem Weg. Diesmal ging alles furchtbar schleppend, ich brauchte über eine Stunde bis zum See und hätte mich beinahe verlaufen, weil ich mich nicht richtig konzentrieren konnte. Ich wagte gar nicht, den See zu betreten, der mir solche Qualen verursacht hatte. Wer sagte mir, dass es diesmal nicht noch schlimmer werden würde? Der Magier würde mir diesmal auch nicht wieder helfen, wenn ich es vermasselte. Aber was dann? Zweifelnd sah ich auf die Seeoberfläche und dachte daran, was passieren würde, wenn ich mich nicht mehr selbst zügeln könnte und mich ansonsten keiner von da unten hochholen würde. Könnte ich ertrinken? Einfach da unten einschlafen?
 

Ich hatte eine großartige Idee. Ich band die Sukkerschnüre aus meinen Schuhen und sie mir um die Daumen. Sukker ist eine Art lebendiges Material, das sich auf die äusseren Einflüsse und Umgebungen anpasst. Bei Hitze wird es kühl, bei Nässe zieht es sich zusammen, bei Dunkelheit wird es weich. Ich konnte mir nie vorstellen, wozu dies gut sein könnte, aber jetzt waren sie perfekt für meine Rettung. Ich würde mir die Schnüre um die Daumen wickeln, damit tauchen und nach und nach würden sich die Bänder vor Nässe so sehr zusammenziehen, dass es wehtun würde und dann wüsste ich, dass es Zeit war, aufzutauchen.
 

Also befreite ich mich von allem anderen und hüpfte in den See, der so wahnsinnig kalt war, dass mir fast das Herz stehenblieb. Mein Körper war den ganzen Tag so heiß gewesen und kühlte sich jetzt innerhalb von Sekunden ab, dass mir ganz anders wurde. Aber schon begannen die Daumen zu drücken und ich beeilte mich zum Stein zu kommen. Und meine Vorrichtung half. Kaum war ich eine Minute an den Stein geklammert, taten meine Daumen so entsetzlich weh, dass ich so schnell ich konnte nach oben stieß und die Schnüre zappelnd aufzerrte. Während ich so keuchend zum Ufer paddelte, schluckte ich eine Menge Wasser, doch langsam begann ich mich doch besser zu fühlen. Die Magie hatte nicht geschadet, es war genau die richtige Menge gewesen. Ich fühlte mich wieder ganz normal. Ich stieg aus dem Wasser und beeilte mich schlotternd in die Kleider zu kommen.
 

Das nächste Problem wartete Zuhause auf mich. Ich hatte das Garn für den Magier in der leeren Scheune versteckt, wo ich es gestern Nacht in die Hütte bringen wollte. Jetzt aber war das Lager neu gefüllt mit allerlei Wolle, Garnzeug und Stoffen, die der Meister eingekauft hatte. Wie sollte ich denn jetzt an das Garn kommen? Zuunterst in einem Berg neuer Waren. Das konnte ich niemals alles alleine wegräumen. Vor allem würde Hallen davon aufwachen. Konnte er mir nicht dabei helfen? Aber er würde sicherlich Fragen stellen. Und wenn ich ihm einfach nichts sagte? Schliesslich war er mein bester Freund - er musste mir einfach vertrauen.
 

Leise schlich ich mich zurück ins Zimmer und zögerte noch. Wenn Hallen etwas davon mitbekam, was ich vorhatte, wäre der Magier nicht begeistert. Aber ich könnte ja eine andere Geschichte erfinden. Dass ich Ärger bekommen würde, wenn ich das Garn nicht noch heute Nacht an einen Kunden abliefern würde. Es stimmte ja fast.
 

Vorsichtig wackelte ich den dunklen Haarschopf hin und her, bis Hallen schläfrig murmelnd den Kopf hob. Ich hätte mit allerdings denken können, dass er mir meiner aufgetischten Geschichte einen höchst ungläubigen Gesichtsausdruck schenkt.
 

"Was will dieser Kunde mitten in der Nacht mit unserem Garn?" Hallen schüttelte den Kopf aber stand auf, um mir zu helfen. Er im Nachthemd, ich noch frierend vor Nässe standen in der Scheune und hievten zusammen die schweren Stoffballen und Pakete zur Seite, wo ich meinen Schatz vermutete. Es ging auch tatsächlich schneller als ich dachte. Die sorgsam umwickelte Rolle stand noch am alten Platz und mir entfuhr mir ein Seufzer der Erleichterung.
 

"Da ist es! Vielen Dank, Hal! Ohne dich hätte ich das bestimmt nicht geschafft! Jetzt muss ich aber so schnell wie möglich los!" Er sah noch immer nicht so aus, als würde er meiner Geschichte Glauben schenken, denn er sagt nichts und half mir, die anderen Stoffe wieder halbwegs ordentlich zu lagern. Dann klemmte ich das Garn unter den Arm und nickte Hallen zu, er solle wieder ins Bett gehen und nicht auf mich warten. Er rührte sich einen Augenblick nicht, dann zuckte er mit den Schultern und gähnte herzhaft.

"Na schön, dann bis später.. mach nicht so lange, du musst morgen fit sein!" sagte er noch und verschwand wieder nach oben.
 

Der Weg zum Stadtrand war nicht allzuweit, doch ich brauchte durch das zusätzliche Gewicht länger, als ich geplant hatte. Der Ballen war unangenehm schwer und ich musste immer öfter stehenbleiben, um ihn von einer Seite zur anderen zu wechseln. Unterwegs begegnete ich einem alten Mann, der mir neugierig hinterher starrte und zwei Frauen, die sich an einer Straßenecke leise und amüsiert unterhielten, als ich an ihnen vorbeischnaufte. Nach und nach wurde die Straße breiter, die Häuser drängten sich nicht mehr dicht an dicht, ich verließ den Stadtkern und bald darauf war ich am Stadtrand, wo nur noch vereinzelt ein paar Häuser standen. In keinem von ihnen brannte Licht, alles schlief seinen wohlverdienten Schlaf. Nur ich lief keuchend über die Straße, weiter noch hinaus, dort, wo die Schäfer ihre Weiden und Behausungen hatten.
 

"Endlich.." Ich hatte die besagte Hütte erreicht. Die Tür quietschte leise, als ich sie auftrat und muffige Dunkelheit schlug mir entgegen. Mit einem Stöhnen ließ ich zuerst den Ballen auf den Boden fallen und bewegte meine schmerzenden Schultern. Dann versuchte ich etwas in diesem Dunkel zu erkennen, doch nur ganz leichte Schemen zeichneten sich von der Finsternis ab. Zum Glück hatte ich wenigstens an eine Kerze gedacht, die ich vorsichtig entzündete. Der Anblick war sehr ernüchternd. Der Webstuhl, den mir der Zauberer versprochen hatte, war alt und knarrte bei den ersten paar Bewegungen. Das Schiffchen klemmte auch etwas. Das Ding war kein Vergleich zu den Webstühlen, die bei meinem Onkel in der Weberei standen. Und auf diesem Ding sollte ich in der kurzen Zeit etwas Wundervolles vollbringen? Etwas verzweifelt stellte ich die Kerze ab und widmete mich wieder dem Garn. Es war wirklich herrlich. So weich, so glänzend und anschmiegsam.. Ich sollte mich lieber beeilen und das Garn auf den Rahmen spannen!
 

Die Prozedur des Vorbereitens dauerte zum Glück nicht lange, schließlich war ich schon ziemlich geübt darin, neue Garne aufzuspannen bei unseren Weberinnen. Obwohl ich mir schon dachte, dass es wahrscheinlich eine Plackerei werden würde, konnte ich kaum erwarten, loszulegen. Kaum stand alles bereit, begann ich auch schon zu schießen. Das Garn war wirklich unglaublich, es legte sich fast wie von selbst und war so geschmeidig, dass ich die Maschen kürzer fassen konnte. Es würde ein wundervolles Stück Stoff werden!
 

Eine Stunde später war ich soweit, ein Muster festzulegen. Es sollte schließlich etwas besonderes sein und ich überlegte, wie ich es am Besten anstellen könnte. Mir kam kurz ein Bild in den Kopf. Im nächsten Moment schon war klar: So und nicht anders. Voller Eifer stürzte ich mich auf den Webstuhl, der knarrte und knarzte unter meiner Arbeit. Die Scharniere qietschten, das Gestell klackerte mit jedem Zug und trotz des hängenden Schiffchens ging mir die Arbeit schneller als je zuvor von der Hand. Ein Zug, ein Schub, eine Reihe, meine Finger wurden immer schneller. Irgendwann dachte ich gar nicht mehr nach, meine Kopf war wie leer und der Stoff wuchs und wuchs. Ich war mittlerweile mindestens so schnell wie die Weberinnen meines Onkels. Reihe um Reihe türmte sich auf, das Muster lief wie von selbst durch den wachsenden Stoff, kein einziger Fehler unterlief mir während der ganzen Arbeit. Meine Gedanken waren überall, nur nicht in diesem Raum. Aber ich konnte im Nachhinein nicht mehr sagen, an was ich gedacht hatte. Überhaupt fiel es mir schwer, mich an die einzelnen Arbeitsabläufe zu erinnern.

Ich wusste hinterher nur noch, wie mein Blick verschwommen wurde und ich trotzdem weitergemacht hatte, ohne ein einziges Mal daneben zu greifen, wie ich meine Finger vor Geschwindigkeit nicht mehr erkennen konnte, es war wie eine Sucht. Und ich ließ mich einfach darin fallen.
 

Als ich für einen kurzen Moment inne hielt, weil die erste Garnspule leer gelaufen war, erschrak ich. Helles Licht drang durch die Ritzen der groben Holztür und mit einem Mal hörte ich draußen die Vögel zwitschern. Ich sah zur Kerze, die vollständig heruntergebrannt war und dann sah ich zu dem Stoff, der aus dem Garnballen entstanden war. Ich war absolut sprachlos. Überwältigt vor Ehrfurcht wagte ich kaum diesen schimmernden, seidigglatten Stoff zu berühren. Es musste über ein Meter gewebter, fertiger Stoff sein! Und was für einer! Glatter und geschmeidiger als reine Seide, leichter als das feinste Leinen und mit dem schönsten Muster verziert, das ich je gewebt hatte.
 

Doch die Zeit ließ mich aufschrecken, ich sollte schon längst wieder zuhause sein! Der Meister würde mir den Kopf herunterreißen, wenn ich schon wieder zu spät käme! Ich konnte mich nicht erinnern, dass die Zeit so schnell vergangen war, ich hatte mit vielleicht drei Stunden gerechnet, aber ich hatte wohl über die doppelte Zeit an dem Stoff arbeiten müssen. Eilig spannte ich alles aus und verstaute den Stoff mit dem restlichen Garn in die hinterste Ecke der Hütte. Den Weg durch die Stadt rannte ich im Dauerlauf. Ich kam genau fünf Minuten bevor meine Tante uns aus dem Bett scheuchte. Hallen hatte zum Glück tief geschlafen und mein Reinkommen nicht gehört. Auch, als ich mich ausgezogen und ins Bett gelegt habe. Nur um ein paar Momente danach wieder aus demselben gerüttelt zu werden.
 

"Los los, ihr Langschläfer! Raus aus den Betten, es gibt Frühstück!" Endlich eine gute Nachricht. Ich war hungrig wie ein Löwe, da ich seit gestern morgen nichts gegessen hatte und verdrückte die dreifache Portion wie sonst. Meine Tante lachte und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf, aber Hallen runzelte die Stirn.

"Überfress dich nicht, sonst bist du zu faul zum Arbeiten. Du weißt, es liegt noch ne ganze Menge davon für dich bereit"
 

Ja, das hatte ich mir fast gedacht. Die Bestellungen nahmen noch immer kein Ende. Obwohl ich nicht übermäßig müde war, fiel mir die Arbeit am Webstuhl deutlich schwerer als sonst. Nicht, weil ich diesmal zu langsam war, aber mir fehlte die Lust daran. Meine Muster waren einfallslos. Ich machte mehr Fehler als sonst in die Stoffe. Und Hallen, der neben mir saß, brachte die Sache nach der Mittagspause auf den Punkt.

"Du webst wie ein Toter."

"Wie kommst du denn darauf?"

"Dir macht das überhaupt keinen Spaß mehr, das sieht man."

"Ach, was du wieder denkst! Mir tun halt von gestern noch die Arme weh" murrte ich, aber ich wusste, dass er Recht hatte. Mir machte es heute wirklich keinen Spaß. Und so war ich froh, als dieser müßige Tag sich dem Ende neigte. Mein Soll hatte ich erfüllt, wenn auch mehr schlecht als recht, aber der Meister war zufrieden damit. Vielleicht hatte er auch noch ein schlechtes Gewissen wegen gestern. Er meinte, dass jeder mal einen schlechten Tag haben könnte. Aber mein Tag begann schließlich erst.
 

Kaum war es dunkel, drängte es mich zum See. Aber Hallen musste erst schlafen und ich war freudig überrascht, als er meinte, er wäre heute so müde, ob es mir etwas ausmachen würde, schon früher zu schlafen.

"Ist mir recht, ich bin heute auch noch nicht so gut drauf"

"Musst du auch nicht wieder irgendwas abliefern und wechst mich mitten in der Nacht?"

"Nein nein, keine Sorge!"

"Na dann, schlaf gut."



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