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Der Jadejunge

Die Erzählungen, Teil 1 - Shounen-Ai
von

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Geflügel

3 – Geflügel
 

Kish-Laro war eine mäßig große Stadt, die in einer Senkung zwischen zwei Hügeln lag und von braun-grünem, kurzen Steppengras umgeben war. Die Stadtmauern waren alt, brüchig und von der Sonne im Laufe der Jahre zu einem hellbraunen, trockenem Gestein ausgebrannt worden. Die beiden alten Stadttore, von denen eins nach Nordwesten führte und an die Handelsstraße angeschlossen war, standen meistens weit geöffnet, egal, welche Tageszeit es war.
 

Das weiter hinten, südlich gelegene, zweite Stadttor führte zu einem nicht-gepflasterten Pfad, der die wenigen außerhalb gelegenen Bauernhöfe an die Stadt anschloss, auf denen größtenteils Braunrüben, das einzige, was im Ödland gut wuchs, angebaut wurde.
 

Auf eben einer der Hügel, die Kish-Laro einschlossen, standen Molokosh, Nostradamus, ihre Reisegefährten und Dakkas, der die für ihn fremde Stadt bestaunte.
 

Im Licht der mittäglichen Sonne arbeiteten die Bauern auf ihren Feldern, die Rüstungen einiger Wachsoldaten, die auf den Mauern patrouillierten, glänzten im Tageslicht und das geschäftige Treiben der Stadt war bis zu diesem Punkte auf dem Hügel zu hören.
 

Am Rande schaute Dakkas nach seinen drakonischen Begleitern, die jedoch tief in ein Gespräch in ihrer Sprache vertieft waren und ihn weniger beachteten.
 

Das hieß, Molokosh, Nostradamus und Daniel waren in ein Gespräch vertieft – der Rest der Drachen stand scheinbar unbeteiligt daneben und beobachtete stattdessen das umliegende Ödland.
 

Mit der leisen Ahnung, das Gespräch könnte noch länger dauern, setzte Dakkas sich auf einen nahen Stein und beobachtete weiter das Umland.
 

In der Ferne schallte der Klang einer Glocke und vor seinen Augen beendeten die meisten Bauern ihre Arbeit, um in die Stadt hinein zu wandern. Die braun-grünen Felder wurden leerer und leerer, bis nur noch vereinzelt die ein oder andere Person Feldgeräte beiseite räumte.
 

Die Sonne brannte auf Dakkas Kopf und Schultern und seine Augenlieder wurden bedrohlich schwer. Nur mit Mühe zwang er sich, nicht vor sich hin zu dösen und benutzte die freie Zeit stattdessen, um seine bisherigen Erinnerungen einzuordnen.
 

Er hatte sich zwei mal an etwas erinnern können, das erste Mal eine Art Schlacht und das zweite Mal an einen Jungen in Ketten. Frustrierend war nur, dass er sch sicher war, einen Teil der Erinnerung wieder vergessen zu haben und dass es nur kleine Bruchstücke seines… früheren Lebens waren?
 

Nicht zu wissen, wer er war, war frustrierend, entmutigend und erdrückend. Aber was ihm inzwischen fast noch verheißungsvoller schien, war die Tatsache, dass er in einem zerstörtem Ausgrabungslager gefunden worden war. Denn, was machte man in Ausgrabungslagern? Man forschte nach der Vergangenheit. Und gerade in so einem hatte er seine Vergangenheit verloren – und einige andere Wesen ihr Leben.
 

Konnte er hinter dieser Symbolik etwas mehr vermuten? Oder war das nur ein Hirngespinst, das sein verwirrtes Gehirn ihm auferlegte?
 

Er wusste es nicht. Er wusste so viel nicht.
 

Was er mehr brauchte als alles andere, waren Antworten.
 

Vielleicht sollte er dafür erst ein mal ein paar Fragen aufstellen?
 

Dieser Gedanke kam ungebeten, plötzlich und rüttelte ihn auf. Dahinter war jedoch eine gewisse Logik.
 

Wen sollte er nach seiner Identität fragen? Und was sollte er dafür fragen? Solange er keine bekannte Person war, würde man ich wohl nicht einfach so auf der Straße erkennen.
 

Seufzend gab er diese Überlegungen vorläufig auf und schaute wieder zu den Drachen. Er würde das genauer überdenken sobald er irgendwo war, wo er in Ruhe Nachdenken und vielleicht etwas aufschreiben konnte – nur um seine Gedanken zu ordnen.
 

Molokosh und Nostradamus waren inzwischen wieder dabei zu streiten und ein leicht entnervt aussehender Daniel versuchte seinerseits, den Streit zu schlichten.
 

Fast schon amüsiert schaute Dakkas den beiden Brüdern zu. Molokoshs Hände flogen unterstreichend und aufgeregt in der Luft umher, während Nostradamus zwar körperlich still blieb, seine Augen jedoch furchterregend aussahen. Dieser Gegensatz zwischen den beiden wurde durch ihre unterschiedliche Haarfarbe nur noch verstärkt.
 

„Griesh!“(1), schrie Molokosh dann fast und schien damit den Streit zu beenden, denn Nostradamus Augen verloren ihr wütendes Funkeln, das zu einem leichten Glimmen abschwächte.
 

„Wie du willst.“, sprach der Grauhaarige dann. Dakkas war erstaunt, dass er einen Satz in der Handelssprache gesagt hatte, kommentierte dies jedoch nur in seinen Gedanken.
 

Molokosh schloss kurz die Augen, atmete tief ein und aus und gab dann schließlich den Befehl: „Alle sofort los, wir müssen eine Unterkunft und neue Vorräte bekommen.“
 

Erneut reihte sich Daniel neben Dakkas ein und stapfte mit dem jungen Mann an seiner Seite auf die Stadt zu.
 

Fragend schaute Dakkas ihn an. „Nur ein Streit unter Brüdern…“, murmelte dieser abwesend und Dakkas konzentrierte sich wieder auf das Ziel vor ihnen.
 

Der kleine Trupp von ausgelaugten Wanderern erregte kaum Aufsehen beim Betreten der Stadt. Die Wachen blickten nur kurz gelangweilt auf sie hinab, bevor sie sich wieder ihrem Zeitvertreib widmeten. Die verschiedenen Stadteinwohner auf den Straßen sahen vielleicht auf, nahmen aber ansonsten keine Notiz von den Drachen.
 

Molokosh ließ den Trupp zielstrebig zum Stadtzentrum zu steuern. Als Dakkas jedoch gerade die ersten Marktschreier hören konnte, bogen sie ab in eine Seitengasse und ein verwinkeltes Netz aus kleinen Gässchen. Nach gut zehn Minuten eiligen Marschierens standen sie dann vor einem leicht heruntergekommen aussehenden, alten Gebäude. Wie auch der Rest der Stadt war es aus hellbraunem Lehmsteinen gebaut, die wahrscheinlich früher dunkler ausgesehen hatte.
 

Was Dakkas jedoch komisch auf das Haus schielen ließ, war nicht die augenscheinliche Baufälligkeit oder der Schmutz an der Wand, sondern die Tatsache, dass das Haus nicht einfach vier Wände und ein Dach hatte, sondern an komischen Stellen Kanten und Winkel. Einige der Fenster waren dreieckig, andere rund, wieder andere sechseckig. Einige Aufbauten standen einzeln auf dem Dach und erst ein paar Schritt weiter links oder rechts war wieder etwas auf das Haus angebaut.
 

Mittig über der ovalen Eingangstüre hing ein Schild mit den schwarzen Buchstaben: „Salzkessel“.
 

„Chaositektische Architektur ist glücklicherweise nur halb so schlimm wie sie aussieht und doppelt so kompliziert wie sie scheint.“
 

„Hm?“ Dakkas blinzelte und wandte seinen Kopf Molokosh zu. „Ich sagte, es ist nicht annähernd so schlimm, wie es aussieht. Der Kessel ist eine der noch wenigen drakonischen Gaststätten hier.“
 

Wortlos nickte Dakkas, um anzudeuten, dass er verstanden hatte und ließ sich von Molokosh in die Taverne führen.
 

Das erste, was er bemerkte, war die einfach unglaubliche Hitze in dem Gebäude. Fast, als würde man plötzlich in einen kleinen Raum mit einem riesigem Ofen treten, schwappte ihm heißwarme Luft entgegen. Mit ihr kam ein süßlicher, fast schon beißender Geruch.
 

Bänke, Tische und Stühle standen wild verteilt im Raum umher und das Gemurmel von Männer- und Frauenstimmen schwappte durch den Raum. Die Fenster waren von innen mit einer tiefroten Farbe bestrichen, so dass es ein schummriges, dunkles Licht ergab.
 

Molokosh murmelte den Drachen hinter sich einige kurze Befehle zu und zog Dakkas dann weiter mit sich durch den Raum, bis zu einem schmalen Tresen neben einer Treppe.
 

Hinter dem Tresen putzte eine kleine, etwas rundliche Frau mit einem Lappen ein grünes Glas. Ihr Haar war lockig, rot und sah relativ ungekämmt aus. Als Molokosh sich ihr näherte, blickte sie auf und lächelte.
 

„Meister de’Sahr!“
 

Die Gespräche der naheliegenden Leute verstummten und Dakkas fühlte einige Augen auf seinem Rücken ruhen. Aus irgendeinem Grund wurde ihm plötzlich eiskalt.
 

„Wir bräuchten ein paar Zimmer, wenn es möglich ist.“
 

Die Frau überschlug sich fast, als sie das hörte und eilte sofort zu einem kleinen braunen Buch, dass sie enthusiastisch aufschlug. „Natürlich, Meister de’Sahr. Wie viele?“
 

Molokoshs Stirn runzelte sich. „Einen der Gruppenschlafräume und zwei Zweibettzimmer, sofern möglich.“
 

„Natürlich, natürlich.“ Dakkas sah zu, wie sie in großen, krakeligen Buchstaben ‚Molokosh de’Sahr samt Gefolge’ in ihr Büchlein schrieb, während sie fröhlich weitererzählte. „Der Gruppenschlafraum im Erdgeschoss hinten links ist noch frei,“ noch während sie sprach marschierten die braunhaarigen Drachen ab durch die Tür neben der Treppe am Tresen, „und was die beiden Zweibettzimmer angeht... zwei der Dachalkoven sind frei.“
 

Molokosh nickte. „Die nehmen wir.“
 

Wieder lächelte die Frau glücklich. „Geht bitte beide Treppen hinauf und dann im Gang links ab, die beiden letzten Treppen führen zu den jeweiligen Dachalkoven.“
 

Molokosh nickte erneut, drückte mit der Hand, die immer noch mehr oder weniger um Dakkas geschlungen war, feste auf die Schulter des Grünäugigen und setzte sich in Bewegung.
 

Da ihm nichts anderes übrig blieb, folgte Dakkas dem Drachen, doch konnte er deutlich einige gemurmelte Gesprächsfetzen der näheren Leute hören.
 

„…die wohl wollen? So weit weg von den Drachenlanden…“
 

„…nichts Gutes, sage ich dir! De’Sahr, pah! Haufen von…“
 

„…dieser Junge. Könnte ein Aina’ba sein, is’ aber viel zu klein…“
 

„…du diese Augen gesehen? Grün wie Jade!“
 

Dakkas wurde über zwei enge Treppen und durch einen schmalen Gang geführt, bis er, zusammen mit Molokosh, Daniel und Nostradamus, vor den beschriebenen beiden Treppen stehen blieb.
 

Es herrschte ein Augenblick des Schweigens, bis Molokosh unsicher zu Nostradamus schaute. „Gromares…“(2)
 

Nostradamus zog eine Augenbraue hoch und schnaubte. „Nein.“, war dann alles, was er von sich gab, bevor er seine Arme kreuzte.
 

Bevor ein erneuter Streit der Brüder ausbrechen konnte, kam Daniel dazwischen. „Schon gut, Molokosh-Lanar. Dakkas wird sicherlich nichts dagegen haben, ein Zimmer mit mir zu teilen, oder?“
 

Sprachlos und verwirrt nickte Dakkas, woraufhin Molokosh ihn freigab und einem rapide entschwindenden Nostradamus die Treppe hinauf folgte. Daniel seufzte und deutete Dakkas an, ihm zu folgen.
 

Die kleine, enge Treppe mündete in einen eng wirkenden Raum, in dem zwei schmale Betten gegenüber standen. Zwischen den beiden Betten war ein halbrundes Fenster, durch das Sonnenlicht hinein fiel. Die Treppe nach unten ließ sich mit einer Holzluke schließen, aber ansonsten war der Raum leer.
 

„Du musst müde sein. Leg dich am besten erst mal hin.“, murmelte Daniel, während er sich auf eins der Betten setzte und durch das Fenster starrte.
 

Dakkas runzelte seine Stirn beim Anblick des zwar sauberen, aber sehr alt aussehenden Bettes und ließ sich vorsichtig darauf nieder. Erstaunlicherweise war die Matratze weich und angenehm.
 

Stirnrunzelnd zog er seine Beine an und setzte sich im Schneidersitz auf die braunen Laken. Daniel war immer noch damit beschäftigt aus dem Fenster zu schauen und scheinbar schwer am Nachdenken.
 

Da Dakkas ihn nicht stören wollte, lehnte er sich mit dem Rücken an die braune Wand und schloss die Augen.
 

~*~
 

Es war ein dumpfes Aufprallgeräusch, das Dakkas aufweckte.
 

Gleich danach kam ein leichter Schmerz in seiner Seite und nach und nach realisierte er, dass sein Körper dieses Geräusch hervorgerufen hatte, als er aus dem Bett gefallen war.
 

Mit einem leichtem Stöhnen raffte er sich vom Boden auf und schaute verwirrt durchs Zimmer.
 

Schwaches Sonnenlicht fiel durch das kleine Fenster und auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers schnarchte Daniel friedlich vor sich hin.
 

Schmunzelnd hievte Dakkas sich wieder in sein Bett. Den Heiler weckte so schnell nichts auf, schien es. Dann rieb er leicht verärgert seine rechte Seite, auf der er gelandet war.
 

Wie wohl Molokosh mit diesen dünnen Betten klar kam? Der Drache war groß und muskulös, wahrscheinlich würde er bei jeder kleinen Bewegung herunter fallen.
 

Dakkas rieb seine Seite und schaute aus dem Fenster. Den lebhaften Geräuschen nach zu urteilen war es gerade früher morgen, was bedeutete, dass er recht lange geschlafen hatte – gut 16 Stunden. Er musste eingeschlafen sein, als er sich an die Wand gelehnt hatte. Das würde auch seinen steifen Nacken erklären, der sich darüber beschwerte.
 

Ein kleines Bündel mit einem daraufliegenden Stück Papier fiel ihm ins Auge. Es lag am Ende des kleinen Bettes, besser gesagt: hing halb davon herunter. Neugierig zog er es zu sich heran.
 

Dakkas
 

Ich war so frei und habe dir neue Kleidung besorgt. Du schliefst tief und fest und Daniel war dagegen, dich zu wecken, da der Schlaf wegen deinen Verletzungen dringend nötig war..

Falls Daniel noch schläft oder schon weg ist, wenn du aufwachst: Am anderen Ende des Ganges gibt es einen kleinen Waschraum. Du kannst ihn ruhig benutzen. Mein Bruder und ich werden den ganzen Morgen mit Einkäufen beschäftigt sein. Du kannst in der Taverne auf uns warten.

Molokosh
 

Dakkas lächelte. Das war eine sehr nette Geste von Molokosh, ihm neue Kleidung zu besorgen. Vorsichtig entfaltete er das Stoffbündel.
 

Der Stoff war einfach und schlicht, aber fühlte sich angenehm an. Es waren ein dunkelgrünes Hemd mit silbernen Verzierungen an Ärmel und Saum sowie eine schwarze Hose mitsamt Gürtel und Gürtelbeutel. Mit eingewickelt in das Bündel war ein kleines, ansteckbares Wappen, dass eine Art Auge auf rotem Untergrund zeigte, umrahmt von einer grau-silbrigen Kette aus Rosen.
 

Irgendwie hatte der Grünäugige das Gefühl, dass ihm hier eine tiefere Bedeutung verloren ging, aber das Wappen sah hübsch aus und er sollte es offensichtlich tragen.
 

Und ein Besuch dieses Waschraumes konnte ihm auch nicht schaden.
 

Der Waschraum bestand aus einer Holzbadewanne auf einem zartgrün leuchtendem magischem Kreis, an die eine Wasserleitung angeschlossen war. Das erstaunte Dakkas, solchen Luxus hatte er nicht in so einer… Spelunke erwartet. Entweder bekam der Besitzer mehr Einnahmen als nur die der Gäste, oder er kannte einen guten Magier – oder einen nicht so guten, billigen. Aber wegen einem Bad mit warmen Wasser würde er sich sicherlich nicht beschweren.
 

Als Dakkas wenig später den Schankraum betrat, konnte man von draußen schon wieder das geschäftige Treiben der Stadt hören. Einige Gäste saßen bereits wieder an den Tischen, von denen nur wenige vom Vorabend gereinigt waren. Er erkannte oder sah keinen seiner drakonischen Reisegefährten und setzte sich erst einmal an den Tresen.
 

Die Wirtin stand bereits wieder dahinter und putzte Gläser. „Frühstück, junger Herr?“
 

„Gerne.“, lächelte Dakkas und wenig später hatte er frisches Brot mit Käse und Wurst vor sich stehen.
 

„Seid ihr neu in der Stadt, junger Herr?“, fragte die Wirtin beiläufig während sie weiter putzte. Dakkas erkannte trotzdem, worum es ihr ging. Dass er neu hier war, zumindest in diesem Teil der Stadt, hatte der gestrige Abend bereits klar gemacht. Und das Molokosh… zumindest einigen Leuten bekannt war.
 

de’Sahr, pah! Ein Haufen von…
 

Das hatte er doch gestern gehört… Vielleicht sollte er, bevor er etwas über sich herausfand, erst einmal etwas über die Leute herausfinden, mit denen er reiste?
 

Mit dem so gefassten Entschluss lächelte Dakkas die Wirtin offen an. „Ja, ich bin zum ersten Mal hier… Molokosh meinte, er könne die Vorräte hier gut aufstocken, bevor wir weiterziehen.“
 

Die Rothaarige nickte freundlich. „Ah, der Markt… hattet ihr bereits Gelegenheit, ihn zu sehen? Das Angebot ist nicht das Berauschendste, aber die alte Architektur ist gut erhalten… Sorgt für viele drakonische Besucher in der Stadt.“
 

„Leider hatte ich noch keine Möglichkeit, den Markt zu besuchen. Wir hatten auf dem Weg hierher einen kleinen… Unfall und Molokosh wollte schnellstmöglich weiter.“
 

Wie Dakkas es sich gedacht hatte, wuchs die Neugier der Frau ins Unermessliche, als sie von dem ‚Unfall’ hörte. „Ein Unfall? Hoffentlich nichts schwerwiegendes, junger Herr.“
 

Der angesprochene Grünäugige gab sein Bestes, den besten Ton zwischen Amüsement und Scham zu finden. „Nein, nein. Es war sowieso mein Fehler… Ich bin bei einem Stopp auf einen Bergausläufer geklettert und herunter gefallen.“ Vorsichtig senkt er seinen Blick. „Gleichgewichtsinn zählt nicht zu meinen Stärken, fürchte ich.“
 

Dakkas hielt seinen Atem an. Aber anscheinend kaufte die Wirtin ihm alles ab. „Oh, jeder von uns hat doch die ein oder andere Schwäche, nicht wahr? Ich meine, Meister de’Sahr soll… ach, nein, ich könnte doch nicht schlecht über euren Herren reden. Vergesst es, junger Herr.“
 

Er sah wieder auf. „Nein, nein, fahrt ruhig fort. Ich verstehe so etwas.“
 

Sie stoppte mit dem Putzen des Tellers, den sie gerade in der Hand hatte und lehnte sich zu Dakkas. „Nun, euer Herr ist sicherlich kein schlechter Mann, aber… nun, seine Wutausbrüche sind doch schon… bekannt. Nicht in einem überaus schlechtem Sinne,“ fügte sie hastig hinzu, „aber… bekannt.“
 

Dann lehnte sie sich wieder zurück und setzte ihr Putzen fort.
 

Molokosh hatte Wutausbrüche? Wann hatte Dakkas ihn bis jetzt wütend gesehen? Nur im Gespräch mit Nostradamus.
 

„Oh, manchmal ist er etwas… temperamentvoll.“, stieß er hervor und widmete sich dann seinem Frühstück.
 

Während der restlichen Mahlzeit unterhielt Dakkas sich fortwährend mit der Wirtin, jedoch nur über allgemeine und oberflächliche Dinge. Was vorteilhaft war, da er bei schwierigeren, tieferen Themas wohl kaum etwas gewusst hätte – sein Gedächtnis hatte mehr Lücken als nur seine Identität.
 

Es war vielleicht eine halbe bis eine Stunde vergangen, als die Tür des Wirtshauses aufgestoßen wurde und ein kleiner blonder Junge hineingehetzt kam.
 

„Geflügelpatrouille!“, schrie er dann quer durch den Raum und hetzte wieder heraus.
 

Dakkas Augenbraue zog sich wie von selbst hoch, als die wenigen Anwesenden hektisch anfingen, diverse Gegenstände in ihren Taschen, hinter Kisten oder sonst wo verschwinden zu lassen.
 

Und erstaunlicherweise verstand er sogar, was der Junge gerufen hatte.
 

Eine Wachtruppe der weißen Engel musste in das Gebäude unterwegs sein – Dakkas löchrige Erinnerung spuckte zu dem Wort ‚Geflügel’ heraus, dass es eine abschätzige Betitelung für weiße Engel sei – wegen der weißen „Hühnerflügel“.
 

Weiße Engel wurden in einem Etablissement wie diesem nur sehr ungern gesehen, schien es.
 

Er war nicht weit von der Tür hinauf entfernt... vielleicht sollte er sich lieber nach oben begeben? Aber wieso? Er besaß nichts Illegales oder Gefährliches, soweit er das von sich sagen konnte, und wenn ihn eh niemand in der Stadt kannte, konnte er auch keinem unangenehm aufgefallen sein.
 

Mit diesem Entschluss blieb Dakkas am Tresen sitzen und bat die Wirtin um ein Glas Wasser, die es ihm nervös brachte.
 

Wenig später wurde die Tür zur Taverne erneut aufgestoßen und fünf bepanzerte Wachen kamen hinein gestürmt.
 

Ihre Rüstungen waren alt und nicht im besten Zustand, aber frisch poliert und offensichtlich von einem Schmied gewartet. Das goldene Sonnenabzeichen war auf der Brust aufgemalt.
 

Der Anführer, ein braunhaariger Mann, sah sich misstrauisch und leicht angeekelt im Raum um, bevor er zur Wirtin marschierte. Diese stand inzwischen am anderen Ende des Tresens, entfernt von Dakkas.
 

„Sind gestern einige Drachen hier abgestiegen?“
 

Dakkas Hand verkrampfte sich um das Glas, welches er festhielt. Was hatte das zu bedeuten?
 

„Ja, Herr. Eine kleine Gruppe.“ Die Wirtin war offensichtlich nicht begeistert von dem Besuch der Patrouille und ihr Ton war alles andere als freundlich.
 

„Wir müssen wissen, wer genau alles zur Gruppe gehört.“
 

Die Wirtin starte die Engel einen Augenblick lang unverständlich an, dann erwiderte sie: „Herr Molokosh de’Sahr, sein Bruder Nostradamus de’Sahr, einige drakonische Begleiter… und ihr Heiler.“
 

Fast unmerklich atmete Dakkas erleichtert aus und positionierte seinen Arm so, dass das Wappen auf seiner Kleidung von der Patrouille nicht gesehen werden konnte. Irgendetwas sagte ihm, dass er lieber nicht auffallen sollte.
 

„Waren das alle Angehörigen der Gruppe?“, brummte der Anführer genervt und die Wirtin nickte.
 

Zwischen den anderen wenigen Gästen der Taverne hatte sich Getuschel ausgebreitet und Dakkas konnte die verhohlenen Blicke auf seinem Rücken förmlich spüren.
 

Die Wirtin war nett. Er würde sich später bei ihr bedanken.
 

„Wen haben wir denn hier?“
 

Inmitten seines Grübelns hatte er nicht mitbekommen, wie ein Mitglied des Trupps sich neben ihn gestellt hatte. Sein einziger Gedanke war ‚Bitte sieh nicht das Wappen!’, denn das war ohne Zweifel drakonisch.
 

Langsam drehte er seinen Kopf zu dem Mann in Rüstung hin.
 

„… Daniel, sir.“
 

Ein halb finsteres, halb süffisantes Lächeln lag auf dem Gesicht des Engels und seine braunen Augen musterten Dakkas abschätzig. Der Anführer des Trupps hatte angefangen, der Wirtin weitere Fragen zu stellen und war offensichtlich nicht daran interessiert, was sein Kollege hier machte.
 

„Daniel also. Wissen deine Eltern, dass du hier bist?“
 

Die anderen Wachmänner, die das Gespräch aus ihren Augenwinkeln verfolgten, grinsten. Anscheinend sollte dieser Kommentar beleidigend wirken oder war Teil eines geheimen Scherzes zwischen den Wachen.
 

„Aber sicher. Und eure?“ Unschuldig blinzelte Dakkas mit seinen Augenbrauen und sah die Wache mit großen Augen an.
 

Vollkommene Stille breitete sich in dem Lokal aus und in dem Grünäugigen machte sich das dumme Gefühl breit, dass er gerade eine große Dummheit begangen hatte.
 

Rage zeichnete sich auf dem Gesicht des Engels ab und wie in Zeitlupe sah Dakkas, wie der Mann seinen Arm zu seinem Schwert führte und es – fast nachdenklich anmutend – aus der Scheide zog. Dann hob sich das Schwert in die Luft über Dakkas Kopf und wie in Trance sah der junge Mann zu, wie sich der Knauf auf ihn herab senkte.
 

Erst in diesem Moment ließ die Lähmung von ihm los und war er wieder in der Lage, sich zu bewegen.
 

Er dachte nicht. Er handelte.
 

Reflexartig rollte er sich vom Stuhl und zur Seite, stützte sich mit einer Hand auf dem Boden auf und zog dem Engel das Knie unterm Körper weg. Scheppernd und mit einem dumpfen Knall landete die Wache auf dem Boden, noch während Dakkas wieder behände auf die Beine sprang und seine Balance wiederfand.
 

Die danach herrschende Stille wurde nur vom stöhnenden Schnaufen des zu Boden gegangenem Engels und dem irritierten Atmen des Patrouillenanführers durchbrochen.
 

Nach und nach erkannte Dakkas, was er da gerade getan hatte. Er hatte einen ausgebildeten, bewaffneten und gepanzerten Engel innerhalb weniger Augenblicke zu Fall gebracht.
 

Wer war er?!
 

„Wer und was bist du, Kleiner?“, brummte der Anführer genau die Worte, die der junge Mann sich gerade fragte. Die Sicht auf Dakkas Wappen war nun freigegeben und die anderen Wachen sammelten sich nervös bei ihrem Hauptmann.
 

Selbstsicher. Er musste selbstsicher wirken, sagte Dakkas sich.
 

„Ich heiße Dakkas. Ich bin mit Molokosh angekommen.“ Eine seiner Hände lehnte er an den Tresen neben sich, mit der anderen fuhr er sich durch die Haare.
 

Der Blick des Anführers wanderte wieder zur Wirtin. „Und warum erfahren wir das nicht?“ Sein Ton klang bedrohlich, aber noch hatte er keinen Befehl zum Angriff oder ähnlichem gegeben. Die am Boden liegende Wache rappelte sich langsam wieder auf.
 

„Sie wusste es nicht. Ich war ihr nicht vorgestellt worden.“, antwortete Dakkas dem Hauptmann.
 

Was die Wahrheit war. Molokosh hatte ihn nicht mit ihr bekannt gemacht.
 

Irritiert blickte der Mann wieder zu ihm. „Beantwortest du immer die Fragen anderer?“
 

Dakkas verschränkte seine Arme. „Redest du von dir selbst immer im Plural?“
 

Schwerfällig drehte der Hauptmann sich gänzlich zu Dakkas um und musterte ihn von oben bis unten. Währenddessen begann der vorhin ‚Niedergeschlagene’ mit einer Litanei aus Flüchen und Beschimpfungen.
 

„Jonas, sei ruhig. Wie alt bist du, Kleiner? Für einen Drachen siehst du noch sehr jung aus... selbst wenn du ein Mischling bist.“
 

„Alt genug um dir sagen zu können, dass ich gar kein Drache bin. Allein schon von meiner Körpergröße her sollte das auffallen.“
 

Der Hauptmann sah ihn einige Augenblicke stumm an und fuhr dann fort: „Molokosh de’Sahr war vorhin im Sonnentempel wegen eines… Ereignisses. Was kannst du dazu sagen?“
 

Dakkas blinzelte. „Oh. Meint ihr das Ausgrabungslager?“ Er zuckte mit den Schultern. „Es war verschüttet. Der halbe Berg war runtergekommen. Wieso weiß ich nicht. Wir haben uns nur einmal nach Verletzten oder Überlebenden umgeschaut und sind dann weiter.“
 

„Und? Gab es welche?“
 

Der Grünäugige schüttelte seinen Kopf. „Nein. Nur Schutt, Leichen und noch mehr Schutt. Sah aus, als hätte ein betrunkener Erzmagier im Berginneren ein Feuerwerk veranstaltet. Nicht schön.“
 

Dakkas wusste mit Bestimmtheit, dass er diesen Leuten nichts von sich erzählen wollte. Mit Sicherheit war er kein Freund von Engeln gewesen und garantiert selbst kein Engel. Ein Gefühl des Ekels und der… Abscheu wurde immer stärker, je länger er in der Nähe dieser Wesen blieb.
 

Noch immer starrte der Hauptmann ihn an. „Hm… warst du schon einmal in der Stadt?“
 

„Nicht, dass ich wüsste.“, gab Dakkas als Antwort und lächelte ein dünnes Lächeln.
 

Stirnrunzelnd kommandierte der Hauptmann seinen Wachtrupp wieder aus der Taverne hinaus und verließ seinerseits das Gebäude nach einem letzten, langen Blick auf Dakkas.
 

Kaum waren die Engel verschwunden, atmete die Wirtin auch schon hörbar laut aus. „Das war knapp… Junger Herr! Seid ihr… in Ordnung?“
 

Lächelnd nickte Dakkas und setzte sich wieder an seinen Platz. „Nichts passiert. Das Huhn war zu langsam.“
 

Schallendes Gelächter der anderen Gäste brach nach diesem Satz aus und plötzlich wurden ihm mehrere kostenlose Getränke angeboten.
 

~*~
 

Zwei Stunden später schleppte sich auch Daniel hinunter in die Wirtstube und betrachtete verwirrt Dakkas, der, umringt von einigen Männern und Frauen, von einem Glas Wasser trank.
 

„Dakkas?“, rief der Halbdrache verunsichert.
 

„Ah, Daniel. Auch schon aufgestanden? Setz dich doch.“
 

Seine Augen reibend nahm Daniel den ihm angebotenen Platz ein und bekam von der Wirtin eine herzhafte Mahlzeit aufgetischt.
 

„Ich ahne ja schon, aber… ist etwas passiert, während ich geschlafen habe?“, fragte Daniel zwischen zwei Bissen.
 

Ein naher Tavernengast, ein Mann mittleren Alters in grauer Kleidung, lachte herzhaft. „Ihr hättet es sehen sollen, Herr Heiler. Euer junger Freund dort hat’s der Wache richtig gezeigt. Kam’n hier rein wie immer – hochnäsig und wir-sind-besser-als-ihr. Aber ihr Freund da – zieht dem einen die Beine weg – Wumm! – und bietet dem Truppman die Stirn. Wunderbar!“
 

Die anderen Gäste stimmten mit ein in das Gelächter des Mannes und Dakkas lächelte Daniel entschuldigend an.
 

Der Heiler sah Dakkas erstaunt an. „Tatsächlich?“
 

Der Grünäugige nickte. Daniel brummte vor sich hin. „Na prima. Und Molokosh-lana sagte extra noch, wir sollen nicht auffallen.“
 

Abrupt verstummten die Gäste.
 

„Daniel… was hätte ich tun sollen? Zulassen, dass der Engel mir sein Schwert über die Rübe haut?“ Dakkas war beleidigt. Natürlich, Molokosh hatte ihn gerettet und schien freundlich, aber deswegen würde er garantiert nicht nach seiner Pfeife tanzen.
 

„Der Engel hat angefangen?“
 

Dakkas nickte und Daniel seufzte erneut. „Nun, du kannst dich wirklich nicht von einem Engel verprügeln lassen.“
 

„Schön, dass wir da einer Meinung sind.“, bemerkte der Schwarzhaarige trocken und erntete somit einige leise Lacher der Umhersitzenden.
 

Nachdenklich kaute Daniel weiter sein Essen.
 


 


 


 

Kleines Drakonisches Wörterbuch:
 

(1) Griesh! - Schluss jetzt! / Stopp! / Das war's!

(2) Gromares - Kleiner Bruder / Brüderchen



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Momachita
2009-05-06T06:04:18+00:00 06.05.2009 08:04
Ich hab ja schon gesagt, dass ich Nostradamus unsympathisch finde! XD
Aber das er gleich so abblockt und störrisch ist, wenn es um Dakkas geht... tse, tse, tse, dem sollte man, trotz (oder gerade wegen ? o.o) seiner alten Jahre, mal Manieren beibringen. *lach* ^^
Auch niedlich find ich, dass Molokosh seinen älteren Bruder 'Brüderchen' nennt. Das ist ja soooo süß~ x3
Hmm~
Die Aktion in der Taverne hat mir richtig gut gefallen!
Ich hab so gelacht, als Dakkas den 'Hühnchen' so dermaßen dreist die Stirn geboten hat, dass die überhaupt nicht mehr wussten, wo oben und unten ist!
XDD
Weiter so, Dakkas! Langsam aber sicher kommt sein Gedächtnis schon wieder, das merkt man... er bekommt – wie sagt man so schön in der neudeutschen Sprache? – Personality! ~.^
Und das will ich unbedingt weiterverfolgen, deswegen les ich jetzt sofort das nächste Pitelchen. *kicher*
LG, Deine
MomoCookie ^w^b

p.s.: Was ist bitteschön 'Chaositektische Architektur' ?! *lach* Das kann ich ja noch nicht mal aussprechen xD


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