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Wer braucht schon Psychologie?!

Andrew und Nuka
von

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Traum und Realität

Traum und Realität
 

Andrew war krank. Er hatte hohes Fieber und Husten. Rob meinte, er hätte sich eine Erkältung geholt, als er auf dem Weg zum Einkaufen in einen Regen geraten wäre. Jedoch sah der Psychologe so krank aus, dass Nuka kurz davor war einen Arzt zu rufen.

Rob hatte ihm das ausgeredet. Andrew hasste Ärzte wohl. Warum auch immer.

"Schöne Bescherung...Jetzt habe ich mich so darauf gefreut dich wieder zu küssen und was machst du?! Liegst schlafend und krank im Bett und hast noch nicht einmal mitgekriegt, dass ich dich als freien Mann begrüßt habe!"

Er seufzte auf, setzte sich neben Andrew auf die Bettkante. Zögernd strich er dem Schlafenden ein paar Strähnen aus dem Gesicht.

/Gott...Wie habe ich ihn vermisst...Er kann doch jetzt nicht einfach schlafen!/

"Kann er wohl...Ich habe ja hier den Beweis..."

Mit einem Seufzen betrachtete er Andrew. Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen.

"Wie kann man nur so süß aussehen?!"

Nuka sah auf seine Armbanduhr. 16:32 Uhr.

"Nuka?! Ich wollte zu einem Freund gehen. Darf ich?"

Rob stand in der Tür und hatte einen bettelnden Hundeblick aufgesetzt.

Nuka runzelte die Stirn.

"Warum fragst du mich das?! Ich kann dir nichts verbieten."

Rob zuckte die Schultern.

"Na ja, Andrew hat gesagt, wenn er grad nicht da ist, soll ich auf dich hören. Und weil ich ihn extra deswegen nicht aufwecken will, musst du es mir erlauben."

Nuka nickte.

"Na, dann verzieh dich, Hosenscheißer. Ich kümmere mich um deinen Bruder."

Das hätte er nicht sagen sollen.

"Oh ho! Du kümmerst dich um meinen Bruder?! Ui! Na dann kann ich ja erwarten, dass es ihm bald wieder besser geht! Ich hoffe ihr seid nicht zu laut, sonst kriegen wir Ärger vom Vermieter."

Nuka warf ein Kissen nach dem 16jährigen, der sich daraufhin lachend verzog.

Nuka schüttelte grinsend den Kopf.

"Der muss wirklich aus einer gestörten Familie kommen..."

Ein leises Murmeln ließ ihn zur Seite blicken.

Andrew drehte sich auf die andere Seite und zeigte ihm seinen Nacken. Grinsend beugte sich Nuka vor und küsste vorsichtig den Haaransatz. Sofort bildete sich eine Gänsehaut und ein unwilliges Knurren erscholl.

Nuka lachte auf.

/Er ist wirklich süß!/

Mit einem Mal hatte Nuka das unglaublich große Bedürfnis Andrew in den Arm zu nehmen, ihn an sich zu drücken und ihm so etwas von seiner Kraft zu geben.

"Du musst schnell wieder gesund werden, hast du gehört?"

Lächelnd zog er sein T-Shirt aus und schlüpfte zu Andrew unter die Decke. Vorsichtig, weil er den Schlafenden nicht wecken wollte, legte er einen Arm um Andrews Taille und schmiegte sich an seinen Rücken.

Er verzog besorgt das Gesicht. Durch den Stoff konnte er die Narben und die Wärme des Fiebers spüren.

/Soll ich...?/

Nuka runzelte die Stirn und überlegte. Er war neugierig auf Andrews Rücken. Die Narben hatte er erst einmal gesehen, jetzt wollte er sie genau betrachten. Er wollte wissen, wie sie entstanden waren.

/Aber Andrew wird bestimmt sauer sein...Er hat gesagt, dass es mich nichts anginge...Das sollte ich respektieren!/

Jedoch hielt die Vernunft nicht lange an.

/Das sollte ich respektieren! Tu ich aber nicht!/

Zögernd legte er eine Hand auf Andrews Rücken. Er schob vorsichtig den Stoff des Schlafanzugoberteils nach oben und legte immer mehr der blassen Haut frei. Sanft fuhr er mit den Fingerkuppen über die unregelmäßigen Erhebungen. Sie waren etwa zwei Finger breit und sahen sehr tief aus. Es musste geblutet haben. Alle waren senkrecht auf Andrews Rücken angeordnet. Nur wenige waren an den Seiten seines Bauches waagerecht. Die Narben reichten bis unter den Bund der Schlafanzughose.

/Da muss jemand mit ziemlicher Gewalt und Kraft zugeschlagen haben...Was das wohl war...? Vielleicht ein Gürtel?!/

Nuka verzog das Gesicht und schüttelte wild den Kopf.

/So etwas unmenschliches!/

Mit einem Seufzen schmiegte er sich an Andrews Rücken und hauchte dem schlafenden Psychologen abermals einen Kuss auf den Nacken.

"Schlaf schön, mein Darling...Wenn es dir Morgen nicht besser geht, dann hole ich einen Arzt. Dir wird es bald schon wieder besser gehen. Dafür sorge ich schon..."
 

Andrew rannte durch kalte Flure.

Seine nackten Füße führten ihn nur schwankend über den glatten, weißen Marmor, den es überall im Haus gab. Er hinterließ kleine, schon fast verblasste, blutrote Fußspuren.

Die Putzfrau würde am Morgen wohl einen arbeitsreichen Tag haben. Er war schon durch das halbe Haus gelaufen.

Doch das war ihm egal.

Das einzige, was er wollte, war endlich wegzukommen. Er würde es nicht ein weiteres Mal aushalten. Schon zu lange hatte er es ertragen müssen. Schon 22 Jahre, die einfach zu lang für ihn waren.

Er zitterte. Doch das kam nicht nur von der Kälte.

/Ich habe einen Schock. Eigentlich ungewöhnlich, wo ich das doch gewohnt bin. Heute ist es anders./

Ja. Heute war es anders. Er hatte einen Entschluss gefasst. Von einem Moment auf den anderen.

Er würde fliehen.

Schon so lange hatte er mit diesem Gedanken gespielt. Doch nie hatte er es auch nur im Entferntesten versucht.

Er war ein Nichts.

Ohne seinen Vater war er ein Nichts.

Sein Vater hatte das Haus, die Geschwister, das Geld.

Ohne ihn schaffte er sein Studium nicht.

Ohne ihn konnte er eine Arbeit vergessen.

Andrew bezweifelte, dass Leben ohne ihn überhaupt möglich war.

Trotzdem floh er gerade.

Trotzdem war er von dem Teppich mit den Blutflecken aufgestanden und durch das Haus gewankt, bis seine Schritte etwas sicherer geworden waren und er rennen konnte.

Er war auf dem Weg zu seinem Bruder Rob. Andrew wollte ihn mitnehmen. Er wollte ihn befreien. Vermeiden, dass Rob das Gleiche geschah, was ihm geschehen war. Denn sein Vater würde es mit Rob ebenfalls tun. Bestimmt, irgendwann, wenn er weg war.

Und da gab es kein Entrinnen. Andrew würde nämlich bald endgültig weg sein! Er würde sich sein Leben wieder aufbauen! Mit Rob!

Ohne Rob ging es nicht. Er hätte zwar eine größere Chance zu entkommen ohne seinen 13 jährigen Bruder, aber ohne Rob ging es einfach nicht. Rob war seine Verbindung zur Vergangenheit. Seine Erinnerung. Seine Warnung nie mehr zurückzukehren. Denn das wäre Andrews Todesurteil.

George W. Bucker hatte ihn schon einmal so sehr gefoltert, mit seinem Gürtel auf ihn eingeschlagen, dass tiefe Narben am Rücken und auf dem Gesäß zurückgeblieben waren. Wenn man ihn erwischte, würde er ihn wohl tot prügeln.

Ebenso wie das Bild seiner toten Schwester, das er in der Brusttasche seines Hemdes hatte, würde Rob ihn immer daran erinnern, dass es gleich war, ob er bei seinem Vater oder tot war. Er war immer allein mit seinen Schmerzen. Allein mit dem Wahnsinn seines Vaters.

Lediglich sein großer Bruder Ron hätte ihm in seiner Not helfen können.

/Aber der ist ja ins Ausland abgehauen, hat mich allein gelassen und Vaters Interesse somit noch mehr auf mich gelenkt.../

Keuchend lehnte er sich gegen die Wand. Er musste eine Pause machen.

/Habe ich überhaupt eine Chance?!/

Verzweiflung brach über ihm zusammen. Er spürte einen Klos im Hals. Wenn er nicht aufpasste, würde er anfangen zu weinen.

/Reiß dich zusammen! Er hasst es, wenn du weinst! Hör auf!/

Andrew schüttelte seinen Kopf.

/Er ist doch gar nicht da! Ich kann ruhig weinen! Es wird mir helfen!/

Seine Atmung hatte sich wieder beruhigt und er lief weiter. Es waren nur noch wenige Meter bis zu Robs Zimmer.

/Du kannst nicht weinen! Er wird dich hören! Er hört alles! Er ist überall!/

Andrew stolperte und prallte hart gegen Robs Zimmertür. Schwer atmend sank er zu Boden. Ein heiseres Schluchzen entkam seiner Kehle, doch er schluckte die restlichen Geräusche einfach hinunter.

Er würde nicht weinen!

Die Tür wurde aufgemacht und er fiel zu Boden. Rob sah erschrocken zu ihm hinunter.

Er hatte ihn noch nie so gesehen. Andrew hatte vermieden ihm in so einem Zustand unter die Augen zu treten. Er wollte ihm keine Angst machen.

Vater wollte eh, dass das Haus sauber blieb.

Plötzlich verschwamm alles. Robs Gesicht vermischte sich mit dem warmen Licht, das aus seinem Zimmer auf den kalten Flur drang, und verlief zu einer verrückten, chaotischen Masse.
 

Andrews Augen öffneten sich einen Spalt. Warmes Licht ließ ihn leicht lächeln.

Jemand hatte seine Nachttischlampe angemacht.

Hinter ihm lag ein warmer Körper, der sich an seinen Rücken geschmiegt hatte und seinen warmen Atem auf seine Haut hauchte.

Schöne Erinnerungen vermischt mit der Hoffnung auf die Zukunft ließen ihn lächeln.

"Ron...", murmelte er und wandte sich zu der anderen Person um, um sich an sie zu kuscheln. Kurz darauf war er wieder eingeschlafen.

Andrew hatte immer noch Fieber.
 

Andrews Blick verfestigte sich.

Er rannte.

Er wusste nicht, wohin oder warum, aber er rannte.

Vor ihm war Rob, der einen Rucksack trug und ebenfalls die Beine in die Hand genommen hatte. Andrew trug ebenfalls einen Rucksack. Er war voll bepackt.

Sie rannten über Kies. Andrew verzog schmerzhaft das Gesicht. Er war immer noch barfuss. Vor ihnen war ein Tor. Das Ende des Geländes seines Vaters. Da hinter wartete das Taxi, dass Andrew bestellt hatte. Sie hatten eine große Chance zu entkommen.

Hinter ihnen wurden Schreie laut.

Der Strahl einer Taschenlampe streifte ihn.

Entsetzen packte Andrew und ließ ihn schneller rennen.

"Lauf, Rob!"

Sein Bruder beschleunigte seine Schritte, erreichte das Tor. Er warf seinen Rucksack über das Eisengitter und kletterte behände darüber.

Andrew war ein wenig zurückgefallen. Seine Füße taten so weh.

Schließlich erreichte er keuchend das Tor. Er tat es seinem Bruder mit dem Rucksack nach und ergriff dann fest die Gitter.

Sein Bruder schien Übung darin zu haben, Absperrungen zu überwinden. Er rutschte immer wieder zu Boden.

Schritte und Hundebellen, Geräusche, die sich verdammt nah anhörten, ließen seine Geschicklichkeit ins Nirwana verschwinden.

/Ich schaffe es nicht! Ich schaffe es nicht! Nein!/

Ein Knurren ertönte.

Einer von den Hunden seines Vaters.

Erschrocken blickte Andrew nach unten. Da war einer von diesen Biestern.

Spitze Zähne gruben sich in sein rechtes Bein.

Andrew schrie vor Schmerz laut und schrill auf.

Er trat zu. Der Hund löste sich nicht. Er trat wieder zu. Nichts geschah. Der Druck und die Schmerzen schienen sich nur noch mehr zu steigern.

Immer wieder trat er zu.
 

"Andrew! Hör sofort auf damit!"
 

Laut keuchend schlug Andrew die Augen auf.

Panisch fuhr sein Blick umher. Er versuchte die Situation zu verstehen.

"Wo..."

Eine Hand legte sich an seine Wange und Nuka sah ihm besorgt ins Gesicht.

"Du hast geträumt. Es ist nichts passiert."

Andrew seufzte auf. Er richtete sich leicht auf und blickte sich um.

Nuka saß neben ihm auf dem Boden.

"Du hast geschrieen und wie wild um dich getreten. Du hast mich voll im Bauch erwischt und mich vom Bett gekickt."

Andrew sah ihn entschuldigend an. Den Traum verdrängte er.

"Das wollte ich nicht. Tut mir Leid, Nuka."

"Das sollte es auch! Niemand zuvor hat mich je von der Bettkante gestoßen! Findest du mich so hässlich?!"

Andrew lächelte leicht und schüttelte den Kopf.

"Nein...Tut mir Leid. Ich habe nur schlecht geschlafen."

Nuka erhob sich und verwuschelte ihm die Haare.

"Ach, ist egal. Wie geht es dir? Fühlst du dich wieder etwas besser?"

Andrew sah ihn verwirrt an.

"Ich...weiß nicht..."

Nuka lächelte und setzte sich neben ihn.

"Lass mich mal Fieber messen, Darling."

Andrew seufzte und ließ geduldig zu, dass Nuka ein Fieberthermometer unter seine Zunge schob.

"Hmm...Es ist wirklich schade, dass die Menschheit schon so fortschrittlich ist..."

Andrew runzelte die Stirn. Er war verwirrt. Wie kam Nuka nur auf dieses Thema?!

Nukas Grinsen ließ ihn wieder Schlimmes ahnen.

"Verstehst du nicht, was?! Na, weil ich dann ein altes Thermometer hätte."

Jetzt war Andrew noch verwirrter. Er sah Nuka fragend an.

Der Russe grinste ihn anzüglich an.

"Denk mal nach...Wo wurde das Thermometer früher benutzt, um die Temperatur zu messen? Ich gebe dir einen Tipp: Es war nicht unterm Arm!"

Andrew ging ein Licht auf. Er wurde natürlich sofort rot.

Als das Thermometer piepste, lachte Nuka immer noch.

Andrew schüttelte noch mit hochrotem Gesicht den Kopf und besah sich das Thermometer.

"37,5"

"Super! Das Fieber ist gesunken!"

Andrew seufzte auf und ließ sich nach hinten auf das Bett fallen. Er bemerkte, wie die Matratze sich bewegte, als Nuka sich neben ihn legte.

"Du bist noch müde oder?"

Andrew nickte leicht. Er wollte den Kopf nicht unnötig bewegen. Jetzt, wo er nur lag, fühlte er ein leichtes Schwindelgefühl. Er hätte sich nicht so sehr bewegen sollen.

Langsam drehte er seinen Kopf zur Seite und betrachtete Nuka, der mit entspannter Miene zur Decke sah.

Er sah überhaupt lockerer und nicht so leicht angespannt wie sonst aus. Auch ausgeruht war er. Die Augenringe, die er ab und zu noch gehabt hatte, waren ganz verschwunden.

/Warum ist das so...? Da war doch was...Irgendetwas, was ich vergessen habe...Irgendetwas wichtiges.../

Im nächsten Moment fuhr Andrew auf. Ihm fiel alles wieder ein.

"Du Trottel! Warum hast du mir nicht gesagt, dass du freigesprochen wurdest?!"

Nuka begann laut zu lachen.

"Das ist dir jetzt erst aufgefallen?! Himmel, bist du süß!"

Abermals lief Andrew rot an. Er war aber auch seltendämlich. Er seufzte auf und kuschelte sich wieder in seine Kissen.

Es roch angenehm würzig und ganz leicht nach Tabak. Außerdem war da noch etwas, er konnte es nicht erkennen. Jedenfalls liebte er diesen Geruch. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass er ihn von irgendwoher kannte...

Mit einem Seufzen vergrub er seine Nase im Kissen und atmete den Duft tief ein. Angenehm.

"Soll ich dich schlafen lassen, Drew?"

Andrew wandte den Blick vom Kissen ab und lächelte Nuka warm an.

"Also du musst nicht hier herumsitzen und dich um mich kümmern. Ich komme auch alleine klar, aber...Ich denke, ich kann nicht mehr schlafen..."

"Der Albtraum hat dich ziemlich aufgewühlt oder?"

Verwundert sah Andrew auf.

/Der Albtraum...? Ach ja, der.../

Er schüttelte den Kopf.

"Ich habe das schon so oft erlebt, fast jede Nacht, an schlimmen Tagen sogar mehrmals hintereinander...Es macht mir nichts mehr aus...Ich bin es langsam gewohnt..."

"Wie lange geht das schon so?"

Andrew schloss seine Augen und zog die Decke über seine Schultern.

"Ich weiß nicht...vielleicht 3 Jahre..."

Nuka keuchte auf.

"3 Jahre?! Gott!"

Andrew runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts. Nuka dramatisierte alles.

"Andrew! Spare dir diesen Blick! Ich übertreibe nicht! Du musst etwas dagegen machen! Verdammt, ich hatte ein paar Monate Albträume und fand das schon grauenvoll! Seit dem ich bei dir in Therapie bin ist es besser geworden!"

/Jetzt reicht es.../

"Hör auf zu lügen! Du hattest doch überhaupt keine Albträume! Du hast nur nach einem Grund gesucht, aus dem Gefängnis zu kommen! Das war doch alles gelogen!"

"Ach, glaubst du das?! Und was war mit dem Ritzen?! Denkst du, ich ritze mir einfach so aus Spaß den Arm auf oder was?!"

Andrew richtete sich auf und schnaubte abfällig.

"Das hast du doch extra gemacht! So sehr tut das nicht weh! Ich könnte mir genauso gut den Arm ritzen, du Lügner!"

Nuka sprang vom Bett. Er sah sehr aufgebracht aus. Andrew hatte ihn wohl durchschaut.

"Woher willst du das wissen?! Vielleicht bist du nur zu dumm um meine Probleme zu erkennen!"

Andrew erhob sich und funkelte Nuka über das Bett hinweg an.

"Jemand, der wirklich wegen Probleme ritzt, der hätte das Ritzen gar nicht erwähnt! Du Trottel!"

"Ach! Da spricht mal wieder der tolle Psychologe aus dir, was?! Du kannst deine Psychologie mal selbst an dir ausprobieren! Obwohl ich bezweifle, dass das bei so einem verstockten, scheuen und verklemmten Selbstanlüger, wie du einer bist, noch irgendetwas nützt! Steck dir den Scheiß doch sonst wohin! Vielleicht merkst du ja dann, dass man nicht immer ohne Gefühle und Berührungen leben kann! Hör auf in einer Traumwelt zu leben! Damit würdest du nicht nur dir oder mir einen Gefallen tun!"

Andrew stockte der Atem.

"Wie...Wie hast du mich genannt...?! Ein verstockter, scheuer, ver...verklemmter...Selbstanlüger...?!"

/Hat er das gerade wirklich gesagt...Er hat ja Recht...Verdammt...Mein ganzes Leben ist beschissen...Scheiße.../

Andrew kniff seine Augen zusammen. Bilder zogen in seinem Kopf umher und brachten ihm seine vertrauten, gehassten und geliebten Kopfschmerzen.

Er wankte etwas nach vorne, hielt sich im letzten Moment. Alles schwirrte um ihn herum. Die Formen verschwammen. Die Gestalt von Nuka schwankte hin und her. Er spürte wie seine Beine einknickten. Alles verschwamm im Nebel.

/Nicht vor ihm!/

Andrew riss sich zusammen.

Er fuhr herum, rannte aus dem Zimmer und in den Flur.

/Der Flur! Ich hasse Flure!/

Mit einem Satz war er im Badezimmer und schmetterte die Tür hinter sich zu.

Dann brach er in die Knie.

Seine Hände fuhren durch seine Haare und verkrallten sich in ihnen.

Ein Keuchen entkam ihm und erfüllte das Badezimmer, hallte von den weißen Kacheln wieder.

/Wieso wiederholt sich immer alles...Alles...wie in einer Schleife...ein Kreis...Wo ist endlich das Ende?!/

Andrew fuhr mit seinen Händen über seinen Hinterkopf und verschränkte am Nacken seine Finger ineinander.

Die Kopfschmerzen brachten ihn um den Verstand.

/Ohne Gefühle hat er gesagt! Hast du gehört?! Ohne Gefühle! Du bist wie er! Genauso gefühllos! Genauso kaltblütig! Genauso dumm! Du nimmst keine Hilfe an! Genauso wenig wie er! Genauso wenig! Du bist kein Vaterersatz für Rob! Du bist ein schlechter Vater! Genau wie er! Irgendwann flippst du auch aus! Wie er! Genau wie er! Weißt du noch, warum dein Bruder dich verlassen hat?! Weißt du noch, was er gesagt hat?!/

Andrew wimmerte auf.

"Ja...Ich weiß es noch..."

/Was hat er gesagt?! Erinnere dich! Sag es!/

Andrew heulte auf wie ein getretenes Tier. Er wollte das nicht. Er wollte allein sein! Er wollte nicht, die Stimme, die Stimme seines Vaters, die ihn manipulierte. Immer noch manipulierte. Seit 3 Jahren. Immer noch!

/Ich bin immer noch da! Du weißt, dass ich da bin! Du wirst mich nie wieder los! Du gehörst mir!/

Andrew kniff seine Augen zusammen.

Das war sein Vater.

Sein Vater war in seinem Kopf.

Er hatte sich in ihn eingegraben und würde ihn nie wieder loslassen.

"Hör auf..."

/Erst sagst du, was Ron dir als Grund für sein Verschwinden gegeben hat.../

Seine Fingernägel bohrten sich in die Haut an seinem Nacken, drangen so tief, dass es blutete.

"Er hat gesagt, er hat Angst vor mir! Er hat gesagt, ich bin dir zu ähnlich! Dabei...Ich habe Angst! Er hätte mich beschützt! Das hätte er getan! Er brauchte keine Angst vor mir zu haben!"

/Bist du dir sicher...?/

Es klopfte an der Badezimmertür.

"Andrew...Ich...es tut mir Leid..."

Ein hysterisches Lachen brach aus Andrew heraus. Es war leise, gedämpft, weil er sich auf die Finger biss. Er wollte kein Geräusch machen.

"Andrew...? Ich...Ich komme jetzt rein, ok?!"

/Nein! Lass ihn nicht herein!/

Andrew sagte nichts.

Er schmeckte Blut. So fest hatte er auf seine Hände gebissen.

Ihm lief ein eisiger Schauer über den Rücken, als die Tür mit einem leisen Quietschen geöffnet wurde. Er mochte keine Türen. Wie oft, war es dieser leise Klang der Türe gewesen, der ihn nachts aus seinen Albträumen gerissen hatte, nur um ihn dann in einen nächsten zu begleiten.

Er hasste Türen!

"Andrew, du blutest ja!"
 

Nuka war entsetzt.

Andrew kauerte auf dem Boden. Er hatte sich ganz klein gemacht, saß tief gebeugt.

Und er blutete.

An seinem Hals waren Kratzspuren, als hätte er versucht sich die Kehle mit seinen Fingernägeln aufzureißen. Und seine Hände zierten Bissspuren, die nicht aufhören wollten zu bluten.

Aber, was ihn noch mehr erschreckte, war, dass Andrew kein Ton sagte.

Selbst, als Nuka ihn hochhob und in sein Bett trug. Auch, als er dessen Verletzungen versorgte.

Die Augen waren geschlossen.

Es sah fast so aus, als würde er schlafen.

Doch Nuka wusste, dass er das nicht tat. Der Psychologe war zu verkrampft.

"Andrew...Was soll das...? Was geht nur in dir vor?! Rede mit mir!"

Nuka wollte nicht laut werden, aber er konnte einfach nicht anders. Er war zu besorgt. Außerdem bekam er das Gefühl nicht los, dass er an Andrews Zustand Schuld war.

"Andrew! Hör auf mit dem Mist und rede mit mir!"
 

Andrew zuckte zusammen.

Ein leises Wimmern ging ihm über die Lippen.

"Hör auf...Bitte...Ich habe nichts getan! Hör auf!"
 

Er war gefangen. Bilder und Wortfetzen waren in seinem Kopf vollkommen durcheinander. Er wusste nicht, wo er hingehörte, was er tun sollte, in welcher Situation er sich befand.

Ein wütender Schrei hallte zu ihm.

Diese tiefe Stimme.

Sie konnte nur einem gehören.

/Ich will nicht schon wieder! Nicht diese Nacht! Nein!/

Doch niemand tat ihm weh. Lediglich eine warme, sanfte Hand, die sich an seine Wange legte, ließ ihn wissen, dass er nicht allein war.

Jemand sagte seinen Namen.

War es überhaupt sein Name?! Oder nur ein Name aus seiner Vergangenheit?!

Seine Augen klärten sich. Die Bilder fuhren zurück, ließen ihm Schmerzen, die ihm halfen in die Wirklichkeit zurückzukehren.

Er sah ein Gesicht über sich.

"Nuka..."

Wieder ein Name.

Er wusste abermals nicht, woher er ihn wusste, oder ob das überhaupt der richtige Name war.

"Ja, Andrew...Ich bin hier. Geht es dir wieder gut?"

"Mir ist kalt..."

Eine warme Decke legte sich um ihn und zwei Arme zogen ihn an eine breite Brust.

Erschöpft lehnte Andrew seinen Kopf an die Brust.

/Hier ist es auszuhalten.../

Es dauerte nicht lange, da war er auch eingeschlafen.



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