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Red Moon

von

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Der letzte Coup

Kapitel 1 – Der letzte Coup

 

»Verdammt, er ist uns schon wieder entwischt«, schrie Kommissar Nakamori wütend und war außer Rand und Band als er in der Ferne am klaren Nachthimmel einen weißen Paragleiter hinterher blickte. »Wie hat er das schon wieder angestellt? Verdammter Magier …«

»Kommissar?«, fragte ein Polizist und musste im gleichen Moment schwer schlucken, als ihn sein Chef mit vor Zorn lodernden Augen anblickte und ihn mit grimmiger Grimasse stumm aufforderte sein Anliegen zu äußern. Der Polizist nahm all seinen Mut zusammen, schließlich war mit seinem Chef nicht gut Kirschen essen, wenn es um den berühmten Mondscheindieb ging. »Vielleicht sollten sie beim nächsten Coup diesen Oberschülerdetektiv zu Rate ziehen, denn sie vor einem halben Jahr so rabiat abgewiesen haben«, sagte er vorsichtig und erhielt, kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, einen mahnenden, aber dennoch kräftigen Klaps auf den Hinterkopf. »So weit kommt es noch... Wenn Kinder jetzt die Arbeit von gestandenen Polizisten erledigen sollen, kann ich meinen Beruf und meinen Stolz gleich an den Nagel hängen«, grummelte er und verließ frustriert den Tokio Tower. Nur einmal schaute er kurz zurück in den sternenverhangenen Nachthimmel und gab dem Halbmond ein stummes Versprechen. Es gibt immer ein nächstes Mal und das nächste Mal werde ich dich schnappen, KID. Verlass dich darauf! Deine Niederlage wird kommen und die ist in greifbarer Nähe. Das schwöre ich dir, so wahr ich Kommissar Nakamori bin!

 

Eine Woche später war der Trubel um KID’s letztem Coup bereits wieder gelegt. In den Oberschulen war es das Gesprächsthema Nummer Eins gewesen und die Mädchen schwärmten vom Mondscheindieb, als ob es keine anderen Männer auf dieser Welt geben würde. Sie himmelten ihn regelrecht an. Die Zeitungen und die Magazine waren voll von Artikeln rund um den Meisterdieb gewesen, dass er es einmal wieder geschafft hatte mit Leichtigkeit der Polizei zu entfliehen, die mit Überschriften wie

 

Ein Mann gegen hundert Beamte!

KID lässt Polizei wie Anfänger dastehen!

Ist KID überhaupt einer gewachsen?

Der Mondscheindieb ist eine lebende Legende!

 

als absolut unfähig betitelt wurde.

 

Den gestohlenen Gegenstand hatte er – und das nur um die Polizei zu verhöhnen - per Postbote mit eiligem Versand an Herrn Kommissar Ginzo Nakamori geschickt, was ihn auf dem Präsidium dezent ausrasten ließ und damit das Fass gänzlich zum Überlaufen brachte. Erst die indirekten Beleidigungen durch die Presse und dann noch ein ahnungsloser Postbote, der zum Hohn geschickt wurde. Er wünschte KID regelrecht die Pest an den Hals und als absolutes I-Tüpfelchen befand sich nicht nur der gestohlene Gegenstand in dem kleinen Paket, den Herrn Nakamori selbstverständlich persönlich den Besitzer wieder ausgehändigt hatte, sondern auch noch eine Karte mit einer neuen Ankündigung.

Gähnend schlenderte ich die Treppe zur Eingangshalle hinunter und wunderte mich wie jeden Morgen über die Größe dieser Villa, in der es für meinen Geschmack viel zu ruhig war. Vielleicht sollte ich langsam einen Schritt weiter gehen und ihn zu einer Übernachtung einladen... In meinem morgendlichen Halbschlafmodus kam mir der Gang in die Küche jedes Mal wie ein Halbmarathon vor. Verschlafen rieb ich mir die Augen und raufte mir gähnend durch mein braunes Haar, das wild zu allen Seiten Abstand. Ich hätte gestern nicht mehr damit anfangen sollen, den neusten Roman von Paps zu lesen. Erneut verließ ein lautes Gähnen meinen Mund. Ich war schon lange nicht mehr so müde gewesen wie heute und so langsam fragte ich mich, warum ich mich eigentlich aus den Federn gequält hatte, bis mir wieder einfiel, dass heute ja der 12. August war und das schöne Wochenende wieder vorbei war. Außerdem muss ich heute ein Versprechen einlösen. Das habe ich nun davon, dass ich ihm nichts abschlagen kann, bemitleidete ich mich in Gedanken selbst und wollte eigentlich nur wieder in mein warmes, gemütliches Bett zurück, mich in meiner Decke einkuscheln und noch drei, vier Stunden im Reich der Träume verweilen, denn dafür waren die Schulferien – zumindest meiner Meinung nach – schließlich gedacht.

 

Entgegen meiner morgendlichen Routine ging ich nicht zur Haustüre um die Tageszeitung zu holen, sondern bog in die Küche ab und bewegte mich ohne Umschweife direkt auf die Kaffeemaschine zu, die mich gerade wie der Heilige Gral, der wohl bedeutendsten Reliquie aus dem Christentum, mit göttlicher Kraft anzuleuchten schien. Kurz darauf zuckten meine Nasenflügel als sie den Geruch von frisch gekochten Kaffee in sich aufnahmen. Ich lächelte zufrieden und wäre der Kaffee nicht so heiß gewesen, hätte ich wohl die Tasse in einem Zug leer getrunken, so sehr verlangte mein müder Körper nach dem Koffein. Letztendlich waren es nur zwei kleine Schlucke gewesen, die aber dennoch meine Lebensgeister weckten. Jetzt kann der Tag nur noch gut werden, dachte ich mir als ich mir die Zeitung holte und es mir am Küchentisch gemütlich machte.

 

Als meine blauen Augen allerdings die erste Überschrift erfassten, verschluckte ich mich beinahe an meinem Heißgetränk und hielt die Enden der Zeitungsseiten fest umklammert. Das Papier knisterte unter meinem festen Griff und zerknitterte unter dem Druck meiner Finger. Ist nicht wahr...

 

Der letzte Coup von KID?

 

»Was zur Hölle?«, entfuhr es mir und ich las mir die Zeile noch einmal durch. Unmöglich. Warum sollte er aufhören? Schnell blätterte ich auf die zweite Seite, die voll und ganz dem Mondscheindieb gewidmet war und siehe da, neben den ganzen Artikeln, die eh nichts aussagten, weil die Journalisten über den Dieb lediglich am Spekulieren waren, schließlich war er nach wie vor das reinste Mysterium, auch was seine Identität anbetraf, war eine neue Ankündigung von dem Meisterdieb. »Die Polizei tappt also wieder im Dunkeln«, murmelte ich meine Feststellung vor mich hin, denn ich wusste, dass Herr Nakamori einzig und allein in absoluten Ausnahmefällen eine Ankündigung von KID in die Zeitung drucken ließ. Ich wusste von Nakamoris falschem Stolz, der ihm leider Gottes viel zu oft im Weg stand, so dass der Meisterdieb des Öfteren ohne jegliches Polizeiaufgebot seinen angekündigten Coup durchzog und ich dies jedes Mal belustigt belächelte und ein kleines bisschen schadenfroh war. Warum ich der Polizei keine Tipps gab? Nun, dass lag vielleicht an der Tatsache, dass der liebe Herr Kommissar mich vor gut einem halben Jahr als Möchtegern-Sherlock-Holmes der Neuzeit betitelt hatte und mir ausdrücklich zu verstehen gab, dass er Hilfe von Kindern nicht annahm. Damit beließ ich es dabei und amüsierte mich seitdem über die Unfähigkeit der Polizei.

 

Nichtsdestotrotz zog ich fragend meine Stirn in Falten. Nakamori muss ordentlich in die Enge gedrängt worden sein, wenn er die Ankündigung von KID der Öffentlichkeit zugänglich macht und um Mithilfe bittet. Eventuell ist sogar der Polizeichef persönlich dafür verantwortlich. Auf jeden Fall steht Nakamori jetzt mit dem Rücken zur Wand. Naja, geschieht dem Kerl ganz recht. Meine blauen Augen huschten weiter zu der Ankündigung, die meine Annahme bedauerlicherweise bestätigte. »Das kann doch wohl nicht wahr sein«, schrie ich empört und konnte nicht glauben, was ich da las:

 

Wenn der Vollmond am 15-ten den Wassermann trifft und der Neumond beim doppelten die Jungfrau trifft, werde ich 120 Minuten nach dem ersten Schlag zu Mitternacht, der Jungfrau den roten Mond stehlen und zum letzten Mal mit weißem Himmelsgewand durch die Lüfte schweben. - KID

 

»Er plant wirklich aufzuhören, aber warum nur? Es muss irgendwas in seinem Leben vorgefallen sein. Warum sollte er sonst von heute auf morgen seine glorreiche Diebeskarriere an die Wand nageln?«, überlegend tippte ich mit meinen Fingernägeln am Porzellan meiner Tasse herum, die klimpernde Geräusche von sich gab. Die Ankündigung ist präzise und eindeutig. Dass es sich um seinen letzten Coup handelt, steht außer Frage. Einzig und allein das Warum ist zu klären. Ob es ihm zu langweilig geworden ist, da ihm die Polizei kein Paroli bot?, überlegte ich fiebrig weiter und dennoch war mir klar, dass außer mir, keiner diese Nachricht würde knacken können. Es mag zwar etwas eitel klingen, aber leider war es die pure Wahrheit. Heiji wäre dazu noch in der Lage, aber in Osaka interessiert sich keiner für den Meisterdieb, der als Problem von Tokio abgestempelt wird. Der Polizei würde ich keinen Tipp geben, aber für mich stand fest, dass ich den Mondscheindieb unbedingt treffen musste. Ich wollte den Grund von ihm erfahren, und zwar aus seinem Mund persönlich! Ich wusste nicht warum mich die Ankündigung eines letzten Coups so aus der Fassung brachte, aber vielleicht lag es daran, dass ich mich auf unerklärlicherweise mit dem Mondscheindieb verbunden fühlte. Intelligenzmäßig waren wir auf einer Ebene und ja, ich gab es gut und gerne zu, auch seine Rätsel zu lösen bereitet mir eine gewisse Freude, weil sie stets durchdacht und präzise waren. Schwer umschrieben klar, aber mit ein bisschen Allgemeinbildung konnte man die Rätsel mit Leichtigkeit lösen und für das aktuelle Rätsel musste man sich lediglich mit dem Mondkalender auskennen, um es entziffern zu können. Ich wusste, dass es falsch war als Detektiv so zu denken, aber wenn es KID wirklich ernst damit war, und ich sah keinen Grund an seiner Ankündigung zu Zweifeln, dann wird das hier sein letzter Coup werden und ich musste mir Wohl oder Übel eingestehen, dass mir der Meisterdieb mit seiner kecken Art, die Polizisten zu verarschen, fehlen wird.

 

Keine interessanten Rätsel mehr.

Keine interessanten Coups mehr.

Keine interessanten Verfolgungsjagten mehr.

Keine interessanten Zaubertricks mehr, die es zu entschlüsseln galt.

 

Ein schweres Seufzen verließ meinem Mund. »Der Tag wird doch nicht so gut wie erwartet«, murmelte ich leise in meinen nichtvorhandenen Bart und war tief in Gedanken versunken gewesen, wo ich bereits Trübsal blas, so dass ich das penetrante Klingeln an meiner Haustür nicht mitbekam und sich mein Besucher kurzerhand selbst Eintritt zu meiner Villa verschafft hatte, der seit geraumer Zeit mir grinsend über die Schulter sah. Ein heißer Atem drang an meinem Ohr, als die Stimme mir leise zu flüsterte: »Dieser KID scheint interessanter zu sein, als dein eigener Freund, welch eine Schande«.

Erschrocken schrie ich auf und fuhr herum. Während meine Seelenspiegel vor Schreck geweitet waren, waren die meines Gegenübers belustigt am Funkeln. »Verdammt, Kuroba. Erschreck mich doch nicht so!«, meckerte ich gleich drauf los und erhielt als Antwort ein desinteressiertes Schulterzucken. »Habe mehrfach geklingelt...«, gab er schmollend von sich ehe er sich im gleichen Augenblick zu mir nach vorn beugte und mir einen kleinen Kuss stahl. Meine Wangen erröteten sich. »Jetzt sind wir schon seit vier Monaten zusammen und du wirst immer noch verlegen, Shinichi«, grinste er mich amüsiert an, was mich nur noch verlegender werden ließ. »Der Besuch heute im Museum kommt mir ganz gelegen«, versuchte ich vom Thema abzulenken und erhielt von Kaito einen verständnislosen Blick.

Mit meinem Finger wies ich auf die Zeitung mit der Ankündigung. »KID wird dort am 30. August seinen letzten Coup durchführen und den roten Rubin Red Moon stehlen, der dort zurzeit ausgestellt wird«, klärte ich ihn auf. »Von daher muss ich mich mit den örtlichen Begebenheiten vertraut machen«. Neugierig blickte er mir in meine blauen Augen und für eine viel zu kurze Zeitspanne war ich mir sicher, so etwas wie Bewunderung in seinen azurblauen Augen aufblitzen gesehen zu haben, was ich allerdings durch meine noch vorhandene Müdigkeit schnell als Einbildung abstempelte. »Wie kommst du darauf?«

»Das mein Lieber, erkläre ich dir vielleicht, wenn wir gleich im Museum sind«, erwiderte ich und grinste in schelmisch an. Bevor er darauf reagieren konnte, war ich bereits am Treppengeländer angekommen und auf den Weg nach oben, um mich anzuziehen. Schließlich wollte ich das Museum nicht im Morgenmantel besuchen, wobei ich sicherlich der Hingucker schlechthin gewesen wäre, falls sie mich mit solch einem Outfit überhaupt reingelassen hätten. »Und du willst ihn mit der Polizei zusammen stellen?«, rief mir Kaito fragend hinterher. Seine Stimmlage verriet mir, dass er neugierig war. Meine Füße blieben auf der vorletzten Stufe stehen und ich drehe mich um. Lächelnd sah ich zu ihm hinunter und schüttelte mit dem Kopf. »Nein, natürlich nicht«, gab ich meiner Geste ein Wort, »... und das mag für dich vielleicht komisch klingen, aber ich möchte mich für die spannenden Coups bedanken, die mir allen Ernstes Freude bereitet haben und auch, wenn ich das als Detektiv eigentlich nicht sagen dürfte, fühle ich mich komischerweise mit ihm verbunden und manchmal«, überlegend kratzte ich mich am Kinn und versteckte für einen kurzen Moment meine blauen Augen hinter meinen Lidern. »Ich weiß auch nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich ihm näher bin als mir bewusst ist«, unwissend zuckte ich mit den Schultern und verwarf den aufkeimenden Gedanken, der sich in meinem Kopf festsetzen wollte, als ich wieder in die azurblauen Iriden meines Freundes sah. »Ganz davon mal abgesehen, hat er die gestohlenen Gegenstände immer wieder zurückgebracht, für was sollte man ihn also einbuchten? Dafür, dass er die Polizei zum Narren hält wird er höchstens noch gefeiert. Außerdem ist er bei der Bevölkerung sehr beliebt, unter anderem auch bei mir!«, gab ich ehrlich zu und verschwand nach meiner langen Erklärung in mein Schlafzimmer um mich umzuziehen.

 

Das glückliche Lächeln, welches auf Kaitos Zügen lag, konnte ich demzufolge nicht mehr sehen. Auch konnte ich nicht ahnen, dass heute ein schicksalhafter Tag sein würde, der unser beider Leben mit einer simplen und durchdachten Aussage auf den Kopf stellen würde.

 

Der berühmte Mondscheindieb würde keine Gelegenheit mehr bekommen, seinen angekündigten letzten Coup durchzuführen oder würde er von sich aus das Interesse an dem Objekt seiner Begierde, dem Red Moon, verlieren?

 

Auf jeden Fall nahm das Schicksal an diesem sonnigen Montagmorgen, den 12. August seinen Lauf.



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