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Niichan

von

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Prolog

Titel: Niichan

Genre: Brother Complex

 

Pairing: Oroku Saki/ Oroku Kazuo

 

 

 

Prolog

Osaka, Japan, vor 12 Jahren...

 

An diesem Abend fegt ein Sturm über Osaka. Donner grollt in der Ferne und der Regen klatscht fast waagerecht gegen die Fenster, und für eine ganze Weile ist das das einzige Geräusch in dem kleinen, teenagertypisch eingerichteten Zimmer.

Das Licht der Schreibtischleuchte reicht nicht aus, um das graue Zwielicht zu erhellen, geschweige denn, die plötzlich so schwere Stimmung hier.

„Was soll das, Otouto?"

Der Angesprochene, ein Teenager von vierzehn Jahren in der dunklen Schuluniform der nahen Mittelschule, zuckt bei dieser ungewohnt scharfen Anrede regelrecht zusammen. Aber er ist nicht bereit, sich davon einschüchtern zu lassen. Er weiß, dass der andere dieses Wort nur gewählt hat, um ihn an die moralische Verwerflichkeit seiner Handlung zu erinnern.

Trotzig hebt er den Kopf und starrt in diese braunen, sanften Augen, in denen immer nur er die Müdigkeit sehen kann. Sein Niichan kommt gerade vom Training und riecht nach Salzwasser, Erde und Regen. Zum Duschen hatte er keine Zeit mehr - und das ist wahrscheinlich seine Schuld, weil er ihn ja sofort abfangen musste.

„Ich muss das doch mit irgend jemanden üben", rechtfertigt sich der Vierzehnjährige. „Ich will mich doch nicht blamieren, wenn ein Mädchen mit mir gehen will."

Lüg nicht, schreien ihm diese Augen entgegen.

Kazuo hasst es, ihn anzuschwindeln, aber er weiß genau, was passiert, wenn er die Wahrheit laut ausspricht. Beharrt er jedoch auf seiner kleinen Lüge, bleibt es vielleicht nicht nur bei diesem Kuss.

Er hat sich das schließlich reiflich überlegt.

Der Blick dieser so vertrauten, dunklen Augen liegt immer noch auf ihm, abschätzend, sezierend, als gäbe er hier wirklich ein großes Rätsel auf. Dabei ist es doch so einfach.

Kazuo kratzt all seinen Mut zusammen und schwingt sich wieder auf Sakis Schoß, schlingt ihm wie vor zwei Minuten die Arme um den Nacken und küsst ihn mitten auf den Mund.

Zuerst presst Saki entschlossen die Kiefer zusammen, doch Kazuo denkt nicht daran, aufzugeben. Hinterhältig verlagert er sein Gewicht, bis er auf einer besonders empfindlichen Stelle sitzt und presst seinen Unterleib dann fest gegen seinen Bruder, damit dieser ganz genau spürt, dass Kazuo definitiv kein kleines Kind mehr ist.

Und als Saki dann überrascht nach Luft schnappt, ein „Kazuo", auf den Lippen, hat dieser ihm schon kompromisslos die Zunge in den Hals gesteckt.

Er ist nicht sehr geschickt darin, denn es ist, wenn man den von eben mitzählt, erst sein zweiter, richtiger Kuss, aber es ist genug.

Er erreicht sein Ziel.

Das weiß er, als er spürt, wie Saki seine Arme um ihn legt und sich dann langsam mit ihm rückwärts aufs Bett sinken lässt.

„Nur zu Übungszwecken", murmelt Saki gegen seine Lippen, bevor diesmal er den nächsten Kuss initiiert.

Kazuo brummt nur zustimmend und genießt das Gefühl der Zunge und den Geschmack jenes Menschen in seinem Mund, der ihm immer der Teuerste und Wichtigste auf dieser Welt war.

Saki ist sechzehn und hat seine erste feste Freundin und Kazuo hasst sie mit jeder Faser seines Herzens.

Sein Niichan gehört nur ihm.

Ihm ganz allein.

Kapitel 1

Kapitel 1

 

„Öffne das Portal, Krang!“

„Nanana:“ Shredder kann auf dem Bildschirm seines Kommunikators sehen, wie das körperlose Gehirn aus der DimensionX tadelnd einen Tentakel hebt. „Wie heißt das Zauberwort?“

Sofort!!

„Chefchen, die Turtles kommen!“ drängeln Bebop und Rocksteady hinter ihm. Die Kiste, die sie tragen, schwankt bedrohlich.

Shredder dreht sich um und hält den Kommunikator mit ausgestreckten Arm vor sich, damit die eingebaute Kamera die Straßenkreuzung einfangen kann, in die der Turtlevan gerade mit quietschenden Reifen einbiegt. Sie sind noch hundertzwanzig Meter entfernt und haben sie bestimmt noch nicht gesehen, die Büsche des Parks geben ihnen einen gewissen Schutz, aber das wird nicht so bleiben, wenn erst einmal das verräterische Aufglühen eines sich öffnenden Portals durch die Nacht leuchtet.

„Siehst du das, Krang? Öffne das Portal oder es war alles umsonst!“

Aber Krangs Tentakel fliegen schon nur so über die Konsole. Doch dann stockt er plötzlich.

„Uh-uh.“

„Was heißt hier uh-uh?“ will Shredder, Schlimmes ahnend, wissen.

„Die Energie reicht noch nicht. Gib mir zehn Sekunden.“

„Die haben wir nicht!“

„Chefchen!“ drängeln die Mutanten im Chor.

Shredder fackelt nicht lange. „Okay, in Ordnung. Ich lenk sie ab. Und ihr verschwindet, sobald das Portal offen ist, okay?“ weist er seine Mutanten streng an. „Wartet nicht auf mich. Das ist ein Befehl!“

„Aber -“

„Shredder!“ gibt auch Krang da zu bedenken. „Wenn die Verbindung abbricht, bist du auf dich gestellt. Du weißt, dass du dann nur zurück kannst, wenn du … aber selbst das ist nicht sicher. Das hier ist der erste Feldtest und rein theoretisch könntest du auch -“

„Ich weiß!“ unterbricht ihn Shredder ungeduldig. Er kennt die Risiken, aber welche Wahl bleibt ihm denn?

„Ich kann versuchen, noch ein Portal zu öffnen. Hier, in einer Stunde. Aber mehr ist wirklich erst einmal nicht drin.“

„Ich komme nach!“ verspricht Shredder. Er ist diese Diskussionen wirklich leid und die Turtles kommen schließlich auch immer näher.

„Haltet mir das Essen warm!“ Mit diesen Worten verlässt er die relative Deckung des Thomas Jefferson Parks und rennt dem Turtlevan entgegen.

 

 

„Pass auf!"

Die Turtles bekommen fast einen Herzschlag, als Shredder plötzlich im Licht der Turtlevan-Scheinwerfer auftaucht. Raphael tritt sofort hart auf die Bremse. Schlitternd kommt der Wagen zum Stehen.

Sie sehen gerade noch, wie ihr Erzfeind mit wehendem Umhang Richtung FDR Drive verschwindet.

Während Raphael immer noch versucht, seinen Puls unter Kontrolle zu bekommen, reißen seine Brüder Michelangelo und Leonardo schon die Schiebetür auf und stürmen Shredder mit lautem „Cowabunga"-Schrei hinterher.

Donatello auf dem Beifahrersitz atmet einmal tief durch, schüttelt einigermaßen fassungslos den Kopf, packt seinen Bo fest mit beiden Händen und folgt ihnen dann.

Raphael parkt den Van ordentlich am Straßenrand - Strafzettel sind das Letzte, was sie gebrauchen können - und beeilt sich dann, sich seinen Brüdern anzuschließen.

 

 

Einen wirklichen Plan hat Shredder nicht, aber er will sie ja auch nur von seinen Mutanten fort locken. Und deshalb gibt er sich auch keine Mühe, den Turtles zu entkommen. Sie sollen ihm folgen. Sie sollen ihn einholen.

Oh ja. Seine Lippen unter seiner Maske verziehen sich zu einem Grinsen und er ballt in großer Vorfreude die Hände zu Fäusten. Oh ja. Er freut sich schon darauf!

Vor ihm taucht die Fußgängerbrücke auf und darunter - ein relativ großes, freies Areal. Wie geschaffen für einen kleinen Kampf.

„Bleib stehen, Shredder! Stell dich, du Feigling!"

Echt jetzt? Glauben die wirklich, das beeindruckt ihn?

Erst direkt unter der Fußgängerbrücke bleibt er stehen, wirbelt zu ihnen herum, dass sich sein Umhang theatralisch hinter ihm aufbauscht und nimmt Kampfhaltung an.

 

 

Es ist ein guter Kampf.

Einer dieser Art, der viel Adrenalin durch Shredders Adern jagt und ihn sich wirklich lebendig fühlen lässt. Unwillkürlich beginnt er unter seiner Maske zu lächeln, denn - oh, wie hat er das vermisst!

Schon längst geht es ihm nicht mehr nur darum, die Turtles abzulenken.

Es ist ein wirklich guter Kampf, der ihm einfach Spaß macht. Ein- oder zweimal hätte er sogar fast die Oberhand gewonnen.

Ein drittes Mal ist er wieder nahe daran, aber dann kommt diese Doppelkombination aus Hebel- und Wurftechnik und er knallt mit voller Wucht gegen diesen Stahlpfeiler...

 

 

Klonk!

Als Shredders Kopf Bekanntschaft mit dem Stahlpfeiler der Fußgängerbrücke schließt, denken sich die Turtles noch nichts dabei. Das passiert ja öfters.

Außerdem trägt er einen Helm.

Selbst als er die Hände zu Hilfe nehmen muss, um sich von dem Pfeiler wieder abzustoßen, kommt es ihnen noch nicht komisch vor.

Was sie zuerst stocken lässt, ist seine eindeutige Verwirrung.

Und er schwankt sichtlich.

Da sie fair kämpfen, halten sie sich zurück - er könnte ja eine Gehirnerschütterung haben. Also warten sie erst einmal auf seine Reaktion, wie sie es in einem solchen Fall immer handhaben.

Und dann fällt dem immer aufmerksamen Donatello das rostige Eisen auf, das aus dem Stahl ragt. Irgendein Witzbold mit zu viel Freizeit muss es wohl lustig gefunden haben, so lange daran herum zu feilen, bis es eine deutliche Spitze aufweist. Jetzt glänzt diese Spitze verdächtig feucht.

„Heilige Salamipizza!"

Mit einigen wenigen raumgreifenden Schritten ist Donatello bei Shredder. Jede Gefahr missachtend, legt er seine Hände links und rechts an seinen Helm und hält seinen Kopf fest. Ganz kurz schielt er auf die rechte Seite des Helms und zieht beim Anblicks des deutlichen Lochs scharf die Luft ein. Aber seine Stimme klingt völlig gefasst.

„Shredder. Bleib ruhig. Bleib völlig ruhig und hör mir gut zu." Eindringlich sieht er ihm in die Augen. Sie wirken beunruhigend trüb und verhangen. Es ist nicht klar, wie viele seiner Worte Shredder noch erreichen, aber er versucht es trotzdem.

„Hör mir zu. Da war ein Eisen in der Wand. Das hast du dir in den Kopf gerammt. Du hast eine Kopf-ver-letz-ung."

Er betont es, als hätte er einen Schwachsinnigen vor sich.

Donatello holt einmal tief Luft und versucht weiterhin ruhig zu bleiben, trotz des Blutes, das langsam Shredders Hals hinunterläuft und im Stoff seines Umhanges versickert.

„Ich muss mir das ansehen. Ich werde dir jetzt den Helm abnehmen, okay?"

Shredder blinzelt nur einmal und Donatello deutet das jetzt einfach mal als Zustimmung. Er sieht es auch als gutes Zeichen, dass sich Shredders mit seiner linken Hand an seinem rechten Oberarm abstützt. Sein Griff ist alles andere als fest, aber er ist auch nicht schwach.

„Ich helfe dir", plötzlich steht Leonardo neben ihm und gemeinsam befreien sie Shredder vorsichtig von seinem Helm.

„Gut so", lobt Donatello, legt seine Hände an Shredders Wangen und mustert ihn wieder prüfend. Er ist blass und seine Haut kühl, aber vor allem trübt sich der Glanz in seinen Augen immer mehr.

„Wie sieht es aus, Leonardo?" flüstert er dabei seinem Bruder zu.

Der hat zuerst das Loch im Helm und dann Shredders Kopf genauer untersucht.

„Nicht gut", meint er dann leise und zeigt Donatello vielsagend seine blutverschmierten Finger. Sein Gesicht spiegelt reinstes Entsetzen. „Das Ding ging voll durch.“

Donatello schluckt einmal schwer, versucht aber, sich nichts anmerken zu lassen. Er hofft, weiterhin Optimismus auszustrahlen und sucht wieder Shredders Blick. Das ist nicht einfach, denn dessen Augen haben begonnen, sich wild hin und her zu bewegen. Es ist irritierend.

„Shredder“, beginnt Donatello, stockt und beginnt dann erneut und noch eindringlicher: „Oroku Saki.“ Er hofft, dass seine Worte zu ihm durchdringen, wenn er seinen richtigen Namen benutzt. Den wird er ja wohl auf alle Fälle verstehen, oder? „Hör mir zu. Du mußt zu einem Arzt, hast du mich verstanden? Wir bringen dich ins Krankenhaus.“

Hinter sich hört er Bewegung und Schritte, die eilig davonrennen, und er weiß, das sind Raphael und Michelangelo, die jetzt den Turtlevan holen, der oben an der Straße steht.

„Vielleicht versteht er dich gar nicht“, gibt Leonardo da zu bedenken. Er hält noch immer Shredders Helm in der Hand. Mit der anderen hat er Shredders rechten Oberarm im Griff, da dieser immer noch bedrohlich schwankt.

„Dunkel“, murmelt Shredder da undeutlich. Seine linke Hand tastet sich unsicher über Donatellos Schulter und bekommt den Rand seines Panzers zu fassen, wo er sich dann geradezu verzweifelt fastklammert. „Ich sehe nichts.“

„Das kommt wieder in Ordnung“, versichert ihm Donatello. Doch er glaubt selbst nicht daran.

Reifenquietschen und das schnell näher kommende Motorengeräusch verraten ihm, dass seine Brüder mit dem Turtlevan angesaust kommen.

Und in diesem Moment verdreht Shredder die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen ist und sackt zusammen.

 

 

Mit quietschenden Reifen schlittert der Turtlevan um die Kurve, gerät kurz auf die Gegenspur und hätte dort fast ein parkendes Auto gerammt. Doch dann bekommt Raphael den Wagen wieder unter Kontrolle.

„Raph, fahr nicht so schnell“, kommt von hinten Leonardos tadelnde Stimme. „Es bringt nichts, wenn wir jetzt einen Unfall bauen.“

Raphael nickt nur und geht gehorsam vom Gas. Aber nur ein ganz klein wenig. Er hält den Blick stur geradeaus, wagt nicht einmal einen Blick in den Rückspiegel. Er fürchtet das, was er sehen könnte.

Das, was er hört, genügt ihm völlig.

Und da ist er nicht der einzige.

Michelangelo neben ihm kauert sich nur auf seinem Sitz zusammen, knetet nervös seine Hände im Schoß und starrt genauso angestrengt durch die Frontscheibe wie er. Nur, daß sein Blick ins Leere geht.

„Er atmet noch“, erklärt Donatello von hinten zu niemandem und jedem. Seine rechte Hand liegt auf Shredders Brust, die andere an seiner Halsschlagader. Aus Ermangelung einer anderen Alternative haben sie Shredder den Umhang ausgezogen, zusammengefaltet und unter seinen Kopf geschoben. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Stoff mit Blut vollsaugt, ist besorgniserregend.

Daß sie so gar nichts machen können, um dem Mann zu helfen, nagt schwer an Donatello, aber er zwingt sich, kühl und sachlich zu bleiben.

„Hilf mir, ihm die Rüstung auszuziehen“, meint er schließlich zu Leonardo, der auf Shredders anderer Seite hockt und sich genauso hilflos fühlt wie er.

„Was?“ schreckt dieser auf. „Wieso?“

„Je weniger sie ihm im Krankenhaus ausziehen müssen, desto schneller können sie ihn behandeln.“

Leonardo starrt ihn einen Moment nur an und nickt dann. Ja, das leuchtet ein. Gemeinsam machen sie sich daran, ihren schwerverletzten Erzfeind behutsam Stück für Stück von seiner Rüstung zu befreien.

Sie arbeiten in tiefen, schweigendem Ernst und versuchen nie weiter vorauszudenken als zu ihrem nächsten Handgriff. Immer wieder hält Donatello inne, überprüft Shredders Puls und betet still zu allen existierenden und nicht-existierenden Göttern, Geistern oder wer auch immer sich in einem solchen Fall zuständig fühlt, darum, daß alles gut ausgehen möge.

Sie finden seine Brieftasche in der Gesäßtasche seiner Hose, wagen aber nicht, sie zu öffnen. Eine merkwürdige Scheu hat von ihnen Besitz ergriffen, denn so ganz ohne Rüstung, Helm und Cape liegt vor ihnen jetzt nur ein ganz normaler Mensch.

Das ist nicht mehr Shredder.

Das ist Oroku Saki.

Als sie endlich auf die Einfahrt zur Notaufnahme einbiegen, sind sie so erleichtert, daß sie beinahe ihre Maskierung vergessen.

 

 

Vier Glatzköpfe in Trenchcoats, hinter denen sich in Wirklichkeit vier ängstliche und ratlose Turtles verbergen, starren wie betäubt auf die Türen der Notaufnahme, hinter der eben ihr Erzfeind auf einer Bahre, geschoben von einem Pfleger und begleitet von drei Ärzten verschwunden ist. Jetzt, wo sie die Verantwortung in erfahrenere und kompetentere Hände abgegeben haben, sollten sie sich eigentlich besser fühlen.

Stattdessen fühlen sie sich regelrecht elend.

„Entschuldigen Sie", die hübsche Krankenschwester von Empfang tritt an sie heran und reißt sie aus ihren düsteren Gedanken. „Wissen Sie, ob Mr.", sie sieht kurz auf ihr Klemmbrett, „Oroku Angehörige hat, die wir verständigen müssen?"

Die vier Turtles werfen sich geschockte Blicke zu.

„Ist es... so ernst?" krächzt Michelangelo.

„Mensch Mikey, er hatte einen Eisennagel im Kopf", erinnert ihn Raphael ungnädig.

Ihre anderen beiden Brüder geben sich große Mühe, dieses kleine Wortgefecht zu ignorieren.

„Er hat einen Bruder in Tokyo", gibt Leonardo der Schwester zur Antwort.

„Und seine Mutter", ergänzt Donatello, hebt dann aber bedauernd die Schultern: „Aber deren Nummer kennen wir nicht. Nur Kazuos."

Die Krankenschwester nickt nur und reicht ihm wortlos Klemmbrett und Stift.

 

 

Die Luft in dem großen Besprechungsraum ist trotz Klimaanlage so stickig, dass Oroku Kazuo, Leutnant bei der Tokioter Polizei, Abteilung Organisierte Kriminalität, mehr als einmal ein Gähnen zurückhalten muss. Wohlweislich sitzt er in einer der hinteren Reihen.

Er hat Kopfschmerzen, ist müde und hungrig und tödlich gelangweilt. Während seine Vorgesetzten da vorne den aktuellen Fall vorstellen und der Beamer brav auf Knopfdruck Bilder von Netzwerken, Tatorten und Überwachungsfotos an die Wand wirft, wünscht er sich weit, weit weg. Aber nicht nach Hause, oh nein, das ganz bestimmt nicht. Seine Freundin redet nur noch von Verlobung und Hochzeit und ganz ehrlich - er kann es nicht mehr hören. Er kann sich auch nicht erinnern, ihr einen Antrag gemacht zu haben, obwohl er das bei seinem zunehmenden Sakekonsum nicht ganz ausschließen kann. Er sollte es wirklich langsam einschränken, mit seinen Kollegen nach Feierabend einen trinken zu gehen, auch wenn es dem sozialen Zusammenhalt innerhalb der Truppe noch so dienlich ist.

„.... Haben die Ermittlungen unserer Kollegen von der Sitte ergeben, dass..."

Uh, er scheint einiges verpasst zu haben. Schuldbewusst strafft der junge Mann die Schultern und versucht, sich auf den Vortrag zu konzentrieren.

In diesem Moment öffnet sich die Tür und seine Kollegin, die sich mit ihm das Büro teilt, kommt herein, entschuldigt sich mit einer tiefen Verbeugung und den üblichen Höflichkeitsfloskeln für die Störung und dreht sich dann zu den Zuhörern um.

„Ich bitte um Entschuldigung, aber Oroku-san hat einen Anruf aus den Vereinigten Staaten von Amerika erhalten", erklärt sie wieder mit einer Verbeugung und ihrer Stimme ist deutlich anzuhören, wie unangenehm ihr das alles ist. „Ein Krankenhaus in New York. Ein Notfall, sagte man mir."

Die Vereinigten Staaten? Krankenhaus? Ein Notfall? Schlimmes ahnend entschuldigt sich Leutnant Oroku Kazuo formvollendet bei seinen Kollegen und Vorgesetzten und verlässt die Einsatzbesprechung. Er eilt zu seinem Schreibtisch, und es ist ein verdammt langer Weg, während dessen ihm tausendundein schlimmer Gedanke durch den Kopf geht - er weiß, bei wem es um diesen Notfall geht, es kann nur um ihn gehen - nimmt den Hörer auf und meldet sich mit einer Stimme, die nichts von seinem inneren Aufruhr verrät.

Fünf Minuten später legt er den Hörer wieder auf die Gabel.

Seine Hände zittern und er ist blass wie der Tod.

Er hat nur einen einzigen Gedanken: Niichan.

 

 

„Du willst wirklich nach New York? Jetzt? Hast du denn so schnell Urlaub bekommen?“ Ein wenig atemlos steht Hikari auf der Türschwelle und beobachtet ihren Verlobten beim Packen seiner Reisetasche. Sie arbeitet im Blumenladen um die Ecke und ist sofort hierher gerannt, als sie seinen Anruf bekam.

„Ja“, erwidert Kazuo nur kurzangebunden. Wenn man ein Blankoformular unterschreiben und dann der Kollegin zuschieben mit der Bitte, es für einen auszufüllen und dann abzugeben so nennen kann... ja, dann hat er Urlaub eingereicht.

Ihrem zweifelnden Gesichtsausdruck nach scheint sie ihm nicht zu glauben.

„Du bist so irrational, wenn es um deinen Bruder geht. Er ist ein Verbrecher. Ich verstehe nicht, wie du nach allem immer noch zu ihm stehen kannst. Du riskierst gefeuert zu werden – nur wegen ihm.“

Kazuo sagt nichts darauf. Er kramt nur etwas Wechselunterwäsche aus einer Kommode und wirft sie zu den Jeans und den T-Shirts in seine Tasche. Jetzt fehlt eigentlich nur noch die Zahnbürste, sein Pass und seine Geldbörse mit allen Kreditkarten, die er besitzt. Wenn etwas fehlt, wird er es sich dort kaufen müssen.

„Kazuo. Mal angenommen, du bekommst sofort einen Flug, dann dauert selbst der mindestens zwölf Stunden. Bis du da eintriffst, ist es vielleicht schon längst zu spät. Also lass uns in aller Ruhe erst einmal vernünftig darüber reden. Du kannst doch sowieso nicht helfen.“

Ihre Worte treffen ihn mitten ins Herz. Sie tun weh!

„Gerade deswegen will ich ja sofort dorthin“, murmelt er, während er sich an ihr vorbei drückt, die Reisetasche in der Hand und ins Bad geht, um seine Zahnbürste zu holen.

„Kazuo! Wir sind morgen bei meinen Eltern eingeladen!“

„Ich bin sicher, sie haben dafür Verständnis.“

„Du bist so irrational, wenn es um deinen Bruder geht!“

„Ich weiß. Und es tut mir leid.“ Es tut ihm wirklich leid, daß sie ihn in Hinsicht auf seinen Bruder einfach nicht versteht. Aber das tun die Wenigsten.

Er schnappt sich seinen Pass, schlüpft in Jacke und Schuhe, gibt ihr einen Abschiedskuß, wirft sich die Tasche über die Schulter und rennt los.

Kapitel 2

Kapitel 2

 

Zögernd tauscht Leonardo den alten Kaffeebecher auf dem Nachttischchen mit einem neuen aus. Aber er bezweifelt, dass Kazuo diesen Becher anrühren wird – das war bei den letzten vier Bechern schließlich auch nicht der Fall. Eigentlich tauscht er hier immer nur einen Becher kalten Kaffees gegen einen heißen aus.

Aber er weiß nicht, wie er ihm sonst helfen soll.

„Es tut mir Leid“, murmelt er zum gefühlten tausendsten Male und legt Kazuo kurz die Hand auf die Schulter. Der reagiert kaum. Er hat sich seit Stunden nicht bewegt, hockt nur auf diesem billigen Plastikstuhl und hält die Hand seines Bruders.

Leonardo versucht, nicht allzu genau hinzusehen. Der Anblick des großen, bösen Shredders, wie er da so blaß und leblos im Krankenhausbett liegt, Sauerstoffmaske über Nase und Mund, den Kopf dick verbunden und angeschlossenen an diese vielen Geräte – das ist einfach nur beklemmend.

Der Herzmonitor ist das Schlimmste: er zeigt Kurven, die ihm nichts sagen und piepst manchmal ganz durchdringend.

„Brauchst du noch etwas, Kazuo? Ich gehe gleich.“ Er ist todmüde. Seine Brüder sind schon längst nach Hause gegangen und für ihn wird es jetzt auch Zeit. Er kann hier doch sowieso nichts mehr ausrichten.

„Oder willst du, dass ich bleibe?“

„Nein“, kommt es geistesabwesend zurück. „Geh ruhig. Danke.“

Leonardo schluckt einmal schwer und nickt.

„Wenn etwas ist – du hast unsere Nummer?“

Kazuo nickt nur wortlos.

Bevor er geht, berührt Leonardo ihn noch ein letztes Mal tröstend an der Schulter.

Es ist bestimmt falsch so zu fühlen, aber der Turtle ist richtiggehend erleichtert, diesen Ort nach den längsten vierundzwanzig Stunden seines Lebens jetzt endlich verlassen zu können.

 

 

Der Arzt ist nett, extra für ihn haben sie jemanden geholt, der seine Sprache spricht und jedes Wort übersetzt, damit er auch gar nichts falsch versteht. Sie reden von solchen Dingen wie „abnehmender Gehirnaktivität“, „Koma“ und „beginnendem Multiorganversagen“, aber Kazuo will das alles gar nicht hören.

Saki hat einen Puls, er atmet und außerdem ist er ein zäher Bastard – er muß nur hier sitzen und darauf warten, dass er wieder aufwacht. Daran will Kazuo glauben.

Wenn sein Niichan nur fühlt, daß er bei ihm ist, wenn er seine Stimme hört, dann kommt er bestimmt zurück. Denn sein Niichan ist stark.

„Bitte, Niichan. Kämpfe. Gib nicht auf. Komm zu mir zurück.“

Behutsam fährt er mit den Fingerspitzen über jene Teile von Sakis Gesicht, die nicht von der Sauerstoffmaske verdeckt werden: die hohen Wangenknochen, seinen eigenen so ähnlich, der gerade Nasenrücken und die feingeschwungenen Augenbrauen … die Berührung weckt alte Erinnerungen, die er bisher gut weggesperrt hatte. Erinnerungen an eine Zeit voller jugendlichen Aufbegehrens, in der dieses wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Gefühl vorherrschte, sobald er mit seinem Bruder zusammen war.

Seit er denken konnte, war Saki sein großer Held. Erst hat er ihn bewundert, dann verehrt und schließlich regelrecht vergöttert. Erst wollte er ihm nacheifern, dann beeindrucken und schließlich vor allem und jeden beschützen, so wie er ihn vor allem und jedem beschützt hat.

„Oh Niichan...“ Kazuo entringt sich ein zitternder Seufzer. Kraftlos lässt er sich nach vorne sinken und bettet seinen Kopf schließlich auf Sakis ausladendem Brustkorb, vorsichtig, damit keine der Elektroden verrutscht.

Er spürt, wie sich Sakis Brustkorb hebt und senkt und wenn er die Augen schließt und das Piepsen der Geräte ausblendet, ist es beinahe wieder so wie früher. Fast erwartet er jederzeit zu spüren, wie ihm eine kräftige Hand durchs Haar streichelt und eine leise Stimme über ihm Worte des Trostes wispert.

„Ich bin hier, Niichan“, Kazuo tastet nach Sakis Hand und umklammert sie ganz fest, während er sein Gesicht verzweifelt an dessen Brust vergräbt. „Ich warte auf dich.“

 

 

Er schläft nicht, auch wenn ihm die Augenlider noch so bleischwer werden oder sein Kopf hämmert als wolle er zerspringen. An ihm nagt die irrationale Angst, Saki könne, sobald er es auch nur wage, die Augen zu schließen, den Kampf um sein Leben aufgeben. Als hänge es ganz allein an Kazuo, ob Saki wieder aufwacht oder nicht.

Er kann ihn doch nicht einfach im Stich lassen! Saki war schließlich auch immer für ihn da.

Also konzentriert er sich weiter: auf seinen Herzschlag, auf seine Atmung, auf die Wärme seines Körpers, als könne er ihn allein durch seinen Willen dazu zwingen, weiter zu leben.

Er paßt seinen eigenen Atem unwillkürlich Sakis an und fühlt sich zurück versetzt in eine Zeit, wo ihm dies schon quasi zur zweiten Natur geworden war.

In seinem Leben gab es viele dunkle Momente, manchmal nur Stunden, aber dann auch wieder Tage und Nächte und jedes Mal war Saki da, sein Fels in der Brandung. Er konnte mit jedem Problem zu ihm kommen und sicher sein, dass sein Bruder es löste. Und dann, eines Tages, genügte es ihm schon, wenn Saki ihn einfach nur in seine Arme nahm. Es geschah ab da immer öfter, dass sie zusammen auf seinem Bett lagen und er sich an ihn kuschelte, den Kopf auf Sakis Brust wie jetzt und wenn Saki ihn dann fest in seine Arme nahm und ihm über den Kopf streichelte, dann war Kazuos Welt wieder in Ordnung. All das, was das Leben eines Teenagers so beschwerlich machte, verschwand in diesen Momenten. Zweieinhalb Jahre trennen sie, aber Saki behandelte ihn immer als wären es nur zweieinhalb Stunden. Er behandelte ihn nie von oben herab und nahm ihn immer ernst. Bei ihm fühlte er sich immer sicher und geborgen. Sie wuchsen ohne Vater auf und mit einer Mutter, die viel von ihnen verlangte - Gehorsam und Fleiß und Erfolg - aber ihnen emotional nicht viel geben konnte. Aber bei Saki fand er das alles. Und noch viel mehr.

Nichts und niemand kam zwischen sie, nicht einmal ihre jeweiligen Freundinnen, als sie welche hatten.

Es war, so wird Kazuo mit erschreckender Deutlichkeit bewusst, die glücklichste Zeit in seinem Leben.

„Saki, komm zurück zu mir.“

 

 

Er schreckt auf, weil er einen furchtbaren Druckschmerz an seiner Hand spürt. Zuerst denkt er, es ist passiert, sein Bruder wäre aufgewacht und würde deshalb seine Hand fast zerquetschen, aber dann durchdringt das panische Piepsen die Käseglocke seines Ichs.

Er springt so heftig auf, dass der Stuhl polternd umkippt.

Aber Saki hält immer noch seine Hand.

Das Piepsen wird hektischer, die Kurven auf dem Monitor enger und spitzer. Und dann bäumt sich der Körper seines Bruders auf und plötzlich sind seine Augen weit offen und ihre Blicke begegnen sich. Und für einen Moment ist sein Bruder hier, bei ihm, aber dann wird aus dem Piepsen ein einziger, langgezogener und furchtbar endgültiger Ton.

Kazuo sieht das Licht in Sakis Augen erlöschen, und dann, ganz plötzlich, ist seine Hand frei.

Die Tür wird aufgestoßen und eine Schwester stürmt mit einem Defillibratorwagen herein, begleitet von einem Arzt. Sie schreien sich Befehle zu, aber all das nimmt Kazuo nur noch wie durch einen Nebel wahr.

Etwas sehr, sehr Wichtiges, das spürt er - ist weg.

 

 

Obwohl sie in den Tiefen der Kanalisation liegt, herrschte in der Behausung der Teenage Mutant Ninja Turtles und ihres Senseis Splinters noch niemals eine solch düster-gedrückte Stimmung wie heute.

Der Ort, in dem es sonst vor Leben sprüht, wo Ausgelassenheit und Heiterkeit herrschen und oft auch – sehr zu Splinters Leidwesen – ein ausgeprägtes Chaos, ist nun düster und grau geworden. Im Hintergrund läuft der Fernseher und auf dem Tisch liegt eine angefangene Pizza, aber niemand von ihnen schert sich darum.

Seit auch Leonardo aus dem Krankenhaus zurückgekehrt ist, scheint sich eine schwere Decke lähmender Apathie über sie alle gelegt zu haben. Ihr Schlafmangel vergrößert das Problem nur noch und sie haben alle dumpfe Kopfschmerzen – der eine mehr, der andere weniger. Sie sind müde und erschöpft und doch ist an Schlafen für niemanden zu denken.

Nicht einmal für April, die bei ihnen auf der Couch sitzt und ihnen seit ihrem Feierabend Gesellschaft leistet. Sie kümmert sich darum, daß sie wenigstens etwas Trinken, wenn sie schon keinen Hunger verspüren. Und auch sonst ist ihre moralische Unterstützung für sie sehr wichtig. Für sie alle. Und das schließt auch Splinter mit ein.

Ihr Sensei zeigt sich ruhig und gefaßt, und auch er konzentriert sich sehr auf das Wohl seiner Turtles, doch das ist eindeutig nur Ablenkung. Meistens sitzt er nämlich genau wie sie nur da und dreht dabei Shredders Helm unbewußt zwischen seinen Händen hin und her.

Der Rest von Shredders Ausrüstung liegt mehr oder weniger ordentlich und unbeachtet neben der Couch auf dem Boden, wo die vier Jungs sie nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus hingelegt haben.

Nur der Helm hat bei ihnen immer wieder die Runde gemacht und besonderes, geradezu morbides Interesse hat bei ihnen allen das Loch in der Seite geweckt. Die blutige Innenseite dagegen hat dazu geführt, daß niemand den Helm länger als eine Minute in die Hand nahm. Außer Splinter. Der hat sogar eine Stunde damit verbracht, den Helm zu reinigen. Das meiste hat er sogar herausbekommen und bestimmt hat der Helm noch nie so schön geglänzt wie jetzt.

„Bin ich ein schlechter Turtle, weil ich mir wünsche, die ganze Sache wäre langsam vorbei? Auf die eine oder andere Art?" meint Raphael plötzlich, während er lustlos immer wieder seine Sai-Gabeln in die Sofalehne bohrt. Normalerweise würde dies Splinter auf hundertachtzig bringen, aber heute scheint er es nicht einmal zu bemerken.

Donatello dagegen, der genau neben ihm sitzt, gibt ihm einen tadelnden Ellbogenstoß in die Seite.

„Nein, Raphael", erwidert Leonardo auf Raphaels Worte hin sanft. „Das geht uns allen so."

„Wirklich?" kommt es bitter zurück, während ein Sai bis zum Griff im Polster verschwindet. „Ich überlege mir nämlich langsam, dass es viel besser gewesen wäre, wenn ich ihn härter erwischt hätte. Wenn er härter gegen den Pfeiler geknallt wäre. Mehr an die Ecke. Genickbruch. Schnell und sauber. Das hier ist einfach nur … grausam."

Donatello schüttelt den Kopf und deutet vielsagend auf den Helm in Splinters Händen, besonders auf den starren Nackenschutz.

„Bei dem Helm ist ein Genickbruch so nicht möglich. Aber wenn ihm das Eisenteil direkt ins Auge gegangen wäre, bis zum Anschlag ins Hirn, das hätte wahrscheinlich einen schnellen Tod zur Folge gehabt."

Normalerweise wäre er entsetzt über seine kaltschnäuzigen Worte, und das wären auch alle anderen hier, und zwar zu Recht, aber heute...

Heute hilft es. Das Ganze auf die nüchtern-wissenschaftliche Stufe zu heben, macht es irgendwie erträglicher.

„Es ist nicht eure Schuld", erklärt April - nicht zum ersten Male innerhalb der letzten Stunden. „So etwas kann bei einem Kampf passieren."

„April", schlägt Splinter leise vor – und auch das nicht zum ersten Mal, „du solltest nach Hause gehen."

Mit einem dünnen Lächeln schüttelt sie den Kopf – wie so oft zuvor.

„Nein, ist schon gut. Ich bleibe gerne."

Sogar ihre Worte sind fast immer dieselben.

Die Stimmung hier ist merkwürdig, aber für die Welt da draußen, für ihre tägliche Routine, fühlt sie sich noch nicht bereit. Und ins Krankenhaus gehen, so wie die Turtles es taten, das bringt sie einfach nicht über sich.

Also bleibt sie hier und leistet ihnen moralischen Beistand so gut sie kann.

Für die nächsten Sekunden versinken sie alle wieder in ihren düsteren Gedanken.

„Kazuo war nicht mal sauer auf uns", meint Michelangelo plötzlich in die Stille hinein. Seine Stimme klingt dumpf und hohl, zeugt von großer Müdigkeit und mentaler Erschöpfung. „Ich dachte, er würde uns anschreien oder so. Ich hätte es gemacht," fügt er mit gesenktem Kopf hinzu.

April langt zu ihm hinüber und drückt aufmunternd seine Schulter.

„Er weiß eben auch, daß es ein Unfall war."

Michelangelo schenkt ihr daraufhin nur ein schmales Lächeln.

„Ich wünschte, wir könnten etwas für ihn tun. Vielleicht", schlägt er vorsichtig vor, „sollten wir nachher wieder hingehen?"

Beinahe schüchtern blickt er von einem Bruder zum anderen, und als die nur zögernd nicken, atmet Michelangelo erleichtert auf.

Um Splinters Mundwinkel zuckt ein kleines, stolzes Lächeln. Sie sind anständige Jungs, seine Turtles, mutig und tapfer, und das nicht nur im Kampf.

„Ihr müsst euch ausruhen, meine Schüler. Danach könnt ihr wieder ins Krankenhaus."

„Shredder wird nicht mehr so lange durchhalten", gibt Leonardo zu bedenken. „Ich hab gehört, was die Schwestern so reden. Sie sagen, er wird diesen Tag nicht überleben."

Seinen Worten folgt eine beklemmende Stille.

„Könnt ihr euch das vorstellen?" flüstert Donatello betroffen. „Eine Welt ohne Shredder?"

„Ja." Raphael verzieht das Gesicht zu einer zynischen Grimasse und setzt ein müdes „Juchu." hinterher.

Seine Brüder raffen sich zu einem schwachen Lächeln auf. Denn - sollten sie nicht froh und erleichtert darüber sein, ihren Erzfeind bald loszuwerden? Und dennoch fühlen sie nichts davon.

Im Gegenteil: dieser Schwebezustand aus Hoffen und Bangen zerrt an ihrer Substanz. Sie fühlen sich wie gelähmt, geradezu betäubt.

Leonardo gibt einen langgezogenen Stoßseufzer von sich.

„Armer Kazuo."

„Armer Rocksteady", ergänzt Raphael nachdenklich. „Armer Bebop. Armer ... Krang...?"

Leonardo nickt ernst. „Die auch. Aber die müssen ihm nicht beim Sterben zusehen."

Wieder herrscht zwischen ihnen eine kurze, schwere Stille, bis Michelangelo leise aufseufzt.

„Ich hätte es nie gedacht, aber … es war eindeutig, nicht wahr? Kazuo hängt sehr an seinem großen Bruder. Er sah richtig fertig aus."

„Ich habe ihn gehört", bekümmert fährt sich Leonardo mit der linken Hand durchs Gesicht. „Mein japanisch ist nicht so gut, aber soweit ich es verstanden habe, bat er ihn, zu ihm zurück zu kommen und nicht zu sterben. Dabei klang er richtiggehend verzweifelt.“

„Die beiden Brüder stehen sich sehr nahe", nickt Splinter mit einem seltsamen Unterton, der jedoch niemandem hier auffällt.

„Kazuo hat hier niemanden, oder? Wir sollten ihm helfen, wenn das … vorbei ist", schlägt Donatello leise vor. Die anderen nicken sofort.

Ja, dafür sind sie auch.

Zumindest das können sie tun.

Und es ist viel leichter, an so etwas zu denken als daran, daß Shredder im Krankenhaus um sein Leben kämpft.

Plötzlich zieht Splinter die Luft mit einem leisen Zischen ein und greift sich an die Brust.

„Sensei?“ Erschrocken scharen sich die Turtles und April um ihn, doch er hebt abwehrend die Hand und bittet sie wortlos um etwas Abstand, dem sie ihm zögernd gewähren. Für die Dauer eines Herzschlages lauscht er einfach mit geschlossenen Augen tief in sich hinein.

Dann holt er einmal tief Luft und öffnet seine Augen wieder. Sie schimmern dunkler als jemals zuvor. Er zögert unmerklich, als er in die besorgten, erschöpften Gesichter seiner Schüler blickt, doch vor der Wahrheit kann er sie nicht schützen. Sich selbst übrigens auch nicht, wie er an dem plötzlichem Druckgefühl in seiner Herzgegend erkennt.

„Es ist vorbei.“ Seine Stimme klingt merkwürdig flach und monoton. „Ich spüre, daß Oroku Saki soeben gestorben ist.“

 

 

Kapitel 3

Kapitel 3

 

Die Stille, die sich nach Splinters schicksalsschweren Worten über sie senkt, ist tief und absolut. Man kann nicht behaupten, dass es unerwartet kam und sie hatten Stunden, sich darauf vorzubereiten, aber jetzt, wo es eingetroffen ist, versetzt es sie in eine Art lähmenden Schockzustand.

Niemand von ihnen bewegt sich.

Niemand von ihnen sagt ein Wort.

Sie sitzen einfach nur da und jeder von ihnen versucht, das irgendwie zu kapieren.

Nach zwei oder drei Minuten dumpfen vor sich Hinbrütens, richten sie alle nach und nach ihre müden, ausgebrannten Blicke auf die Ratte in ihrer Mitte.

„Sensei...", beginnt Leonardo behutsam, „wie geht es Euch dabei?“

Dieser erwacht nur langsam aus seiner meditationsähnlichen Starre, in die er verfiel.

Er blinzelt einmal und ringt sich ein beruhigendes Lächeln ab.

„Es geht schon, danke, Leonardo." Er zögert kurz und fährt dann immer leiser werdend fort: „Er hinterläßt eine Lücke. Ihr wißt, trotz allem war unser Sensei-Schüler-Band sehr stark. Er war nicht immer schlecht. Und ich hatte immer gehofft...“ seine Stimme verklingt in einem tonlosen Seufzer.

Auf seine Worte herrscht für einen Moment wieder Schweigen.

„Seine Drohungen werden mir fehlen", räuspert sich Raphael schließlich.

Michelangelo nickt und ergänzt seufzend:

„Und mir seine kreativen Schimpftiraden.“

Wieder versinken sie in einem tiefen Schweigen.

Plötzlich zucken Splinters Ohren, und dann hebt er wieder den Kopf und richtet sich kerzengerade auf. Seine Vibrissen zittern, als würde er Witterung aufnehmen.

„Sensei?“

Doch der hebt die Hand, als wolle er sie bitten, zu schweigen. Irritiert und gespannt zugleich halten die vier Turtles und April den Atem an und beobachten ihn aufmerksam.

„Ich spüre etwas", meint Splinter schließlich gedehnt und zieht dann irritiert die Augenbrauen zusammen. „Aber ... das ist unmöglich ...“

 

 

Kazuo bewegt sich wie in einem Traum.

Einem Alptraum.

Sein Herz weigert sich zu verstehen, was sein Verstand ihm sagt.

Wie kann sein Bruder tot sein?

Das ist doch gar nicht möglich.

Er würde ihn doch nicht im Stich lassen.

Niemals.

Er sitzt wieder allein im Raum, auf diesem unbequemen Stuhl und die Ärzte sind weg. Irgend etwas haben sie zu ihm gesagt, doch ihre Worte waren nur wie dunkles Rauschen.

Sie haben die Maschinen abgestellt.

Warum?

Und die Sauerstoffmaske - wo ist sie? Suchend sieht er sich um, aber er kann sie nirgends entdecken. Aber... Niichan braucht doch seine... Er lehnt sich etwas weiter nach vorne, betrachtet dieses stille, blasse Gesicht - ob er wohl bald aufwacht? - und nimmt dann wieder seine Hand und hält sie fest.

Er wird warten.

Er besitzt viel Geduld.

Es dauert eine Weile, bis sich die Erkenntnis durch seinen Schock gekämpft hat, aber irgendwann macht er einen tiefen Atemzug und dann noch einen und dieser ist nichts weiter als ein zitterndes Aufschluchzen.

Saki... Niichan...

Nein! Das kann nicht wahr sein! Das kann doch nur ein Alptraum sein! Gleich wird er aufwachen, Zuhause, in Tokyo, in seinem Bett und feststellen, dass das alles nur ein schlechter Traum war.

Ja, so ist es.

So muß es sein.

Plötzlich legt sich ihm von hinten eine Hand auf die Schulter.

„Kazuo..."

Diese Stimme...

Wie in Trance dreht er sich um und sieht nach oben in ein Gesicht, das er nur zu gut kennt.

Ihm wird schwindlig und für einen Moment sieht er alles nur verzerrt und dann blinzelt er einmal und die Welt wird wieder klarer, während er Nässe auf seinen Wangen spürt.

Warme Finger wischen ihm die Tränen aus dem Gesicht, und dann fühlt er sich am Handgelenk gepackt und in die Höhe gezogen. Irritiert huschen seine Blicke zwischen dem Besucher und seinem toten Bruder im Krankenbett hin und her.

Zwischen seinen Augenbrauen bildet sich eine steile Falte.

„Niichan?" seine Stimme ist nur ein ersterbendes Flüstern und bricht auf halbem Wege einfach weg.

„Ja." Zwei starke Hände packen ihn an den Schultern, als befürchte ihr Besitzer, Kazuo könne jede Sekunde umkippen. Und ganz so falsch liegt er damit nicht.

„Ja, ich bin's."

„Aber-" ungläubig wandert Kazuos Blick zu dem Leichnam seines Bruders hinüber. Und dann wieder zurück. Zum ersten Mal registriert er den hastig übergeworfenen Arztkittel. Darunter trägt er grau und schwarz und an seiner Hüfte blitzt eine Waffe.

„Ich bin der echte. Das war nur ein Duplikat. Ein Körper, dem mein Bewusstsein transferiert wurde."

Kazuo legt den Kopf schief und blinzelt ihn eulenhaft an.

„Verdammt", flucht Shredder leise, „dafür haben wir jetzt wirklich keine Zeit."

Er überlegt kurz und seufzt dann ergeben. Er legt beide Hände um Kazuos Wangen und zieht ihn dann zu einem Kuss zu sich heran. Als sich ihre Lippen berühren, erstarrt alles in Kazuo. Widerstandslos lässt er es geschehen, dass sich Shredders Zunge zwischen seine Lippen schiebt und seinen Mund plündert. Aber als dieser Geschmack auf seiner Zunge explodiert, ist es, als würde sein Gehirn ganz neu starten.

Wie von selbst schlingen sich seine Arme um Shredders Nacken und er stürzt sich geradezu verzweifelt in diesen Kuss hinein.

Ein paar kostbare Sekunden lang lässt ihn Shredder gewähren, dann schiebt er ihn auf halbe Armeslänge von sich und mustert ihn prüfend.

„Saki", flüstert Kazuo andächtig, hebt die Hand und streicht ihm ein paar vorwitzige Haarsträhnen aus den Augen. „Du bist es. Du bist es wirklich, nicht wahr?"

Shredder hasst es, so genannt zu werden, aber heute macht er mal eine Ausnahme.

„Ja, Kaz-chan. Ich bin es."

„Aber du... Warst da drin?" Kazuo macht eine unbestimmte Geste Richtung Bett und vermeidet es krampfhaft, dorthin zu blicken. „Wie lange...?"

„Bis vor fünfzehn Minuten. Bis zum Schluss."

„Du bist .... gestorben?"

Shredder unterdrückt ein ungeduldiges Aufseufzen.

„Ja, Otouto. Ich konnte erst wieder zurück in meinen Körper, als dieser hier starb. Und glaub mir, das war keine angenehme Erfahrung. Ich bin so schnell hierher gekommen, wie es ging. Und wir sollten jetzt wirklich gehen."

Mit diesen Worten zieht er seinen Bruder mit einem Arm wieder an sich, während er mit der anderen Hand die Waffe zieht, sie auf den Leichnam richtet und abdrückt. Es gibt ein leises "Poff" und das Bett ist leer. Nur das Krankenhaushemdchen und die Decke bleiben übrig.

 

 

Hektisch sieht sich Shredder um. Er entdeckt Kazuos Reisetasche, darüber, schlampig zusammengelegt, seine Jacke und auf all dem liegt eine Plastiktüte mit der Aufschrift „Patienteneigentum“.

All das schnappt er sich, zusammen mit Kazuos Hand und dann zieht er seinen jüngeren Bruder aus dem Raum hinaus auf den Gang.

„Komm mit.“

Forschen Schrittes, den Kopf hoch erhoben und den Blick stur geradeaus, eilt er den Gang hinunter, ganz so, als gehöre er hierher. Der Arztkittel hilft, die Illusion aufrecht zu erhalten. Kazuo imitiert sein Gebaren unbewußt, und so gelangen sie unbehelligt am Schwesternzimmer vorbei aus der Station. Sie nehmen die Treppe hinauf aufs Dach.

Die Morgendämmerung taucht alles in ein fahles, blasses Licht und alles erscheint so unwirklich, daß Kazuo mehr denn je das Gefühl hat, neben sich zu stehen. Vor ihnen liegt der leere Helikopterlandeplatz – er glänzt feucht. Es muß geregnet haben. Bei diesem Anblick runzelt Kazuo kurz die Stirn. Komisch, das hat er gar nicht bemerkt.

„Gleich“, murmelt Shredder, während er einen Blick auf seine Armbanduhr wirft. Dann drückt er Kazuos Hand und schenkt ihm ein kleines Lächeln. „Warte nur ein paar Sekunden.“

Kazuo nickt nur. Er stellt keine Fragen, dazu ist er momentan einfach nicht in der Verfassung.

Aber er kann nicht damit aufhören, seinen Bruder einfach nur anzustarren. Selbst als die Luft vor ihnen zu glühen beginnt und sich ein Portal öffnet, bleibt sein Blick wie gebannt an seinem Niichan hängen.

Der verliert keine Zeit. Sobald sich das Portal stabilisiert hat, packt er Kazuo ganz fest an der Hand und geht mit ihm hindurch.

 

 

Kazuo blinzelt mehrmals, aber das Bild vor seinen Augen verschwimmt immer wieder. Der Druck auf seine Schläfen ist inzwischen so groß, dass er sich überhaupt nicht mehr konzentrieren kann.

Nicht auf die ungewohnte Umgebung, die ihn an die Kommandobrücke des Todessterns erinnert oder an den Nashorn- und den Warzenschweinmutanten, die ihn neugierig mustern, geschweige denn auf das erboste Alien im Bauchfach eines plumpen Androiden, das gerade mit seinem Bruder schimpft.

Auf gar nichts. Auch nicht auf diese Schimpftirade, obwohl es doch um ihn geht.

Er hört die Worte, aber sie erreichen ihn nicht.

„Warum schleppst du diesen Bullen hier an?“

„Er ist mein kleiner Bruder, deshalb“, schnappt Shredder zurück, während er sich aus dem unbequemen Arztkittel pellt und diesen dann einem seiner Mutanten zuwirft. Sie fangen ihn beide gleichzeitig und dann zanken sie sich darum, wer von ihnen ihn wohl behalten darf. Shredder registriert es mit einer hochgezogenen Augenbraue, konzentriert sich dann aber wieder auf Krang vor sich.

„Ich weiß, dass er dein Bruder ist“, schnaubt dieser gerade und wirft einen so giftigen Blick in Kazuos Richtung, daß sich Shredders Augen bei diesem Anblick vor Wut verdunkeln. Aber er ist schlau genug, sich zurück zu halten. Es sind nur Blicke.

„Aber wieso bringst du ihn mit?“ verlangt Krang dann lautstark zu wissen.

„Ich konnte ihn nicht da lassen.“

„Wieso nicht?“

„Das diskutieren wir später aus“, schnaubend wirbelt Shredder herum und greift nach der Hand seines Bruders. „Jetzt bringe ich ihn erst einmal in mein Quartier.“

„Wir sind keine Herberge!“ protestiert Krang – vergeblich allerdings.

Shredder dreht sich nicht einmal mehr zu ihm um, als er durch die Tür eilt, seinen jüngeren Bruder an der Hand hinter sich her ziehend.

Kazuo gehorcht rein automatisch. Er ist in einem Zustand, da würde er Shredder protestlos in die Hölle folgen, sollte dieser es von ihm verlangen.

 

 

Shredder verlangt natürlich nicht, dass er ihm in die Hölle folgt. Sein Quartier genügt ihm völlig.

Er macht sich große Sorgen um seinen jüngeren Bruder. Er sah und sieht jetzt immer noch schlechter aus als die Leiche im Krankenhaus. Und der Kuß war vielleicht doch keine so gute Idee. Er hat ihn zwar überzeugt, daß er der richtige Saki ist, aber er scheint ihn bei genauerer Betrachtung und angesichts Kazuos merkwürdigen Benehmens noch tiefer in den Schock hineingetrieben zu haben.

Eine Mütze Schlaf wird das bestimmt richten und danach werden sie weitersehen.

Ausnahmsweise betreten sie sein Quartier mal mit Straßenschuhen – höchste Priorität hat für ihn in diesem Moment sein kleiner Bruder und sein Plan, diesen schnellstmöglich ins Bett zu verfrachten.

Und so drückt er Kazuo nachdrücklich auf die Matratze seines Futoni und macht sich dann daran, ihm die Schuhe auszuziehen. Und erst da fällt ihm die Diskrepanz zwischen Kazuos Turnschuhen und der restlichen Kleidung seines Bruders auf.

„Sag mal, bist du etwa direkt von deiner Arbeit hierher?“ Mit einem amüsierten Zucken um die Mundwinkel setzt er sich zu ihm, löst endgültig den Knoten der ziemlich verrutschten Krawatte und legt sie behutsam auf den Nachttisch und beginnt dann, die obersten Knöpfe von Kazuos weißem Hemd zu öffnen.

Dieser runzelt die Stirn und scheint einen Augenblick darüber nachzudenken.

„Ich komme direkt aus einer Besprechung“, erwidert er dann und sein Stirnrunzeln vertieft sich. „Aber ich kann mich nicht erinnern, worum es dabei ging.“

Shredder lächelt nur still in sich hinein und öffnet dann den Gürtel von Kazuos dunkler Anzughose.

„Leg dich hin“, befiehlt er ihm schließlich. „Du musst etwas schlafen.“

„Niichan.“ Kazuos Hand schießt vor und schließt sich um Shredders Handgelenk. Sein Griff ist sehr fest und unnachgiebig und seine Augen wach und klar. Jegliche Erschöpfung scheint aus ihnen gewichen zu sein, als er Shredder seine freie Hand in den Nacken legt und langsam zu sich zieht.

Und ehe es sich Shredder schon versieht, presst Kazuo seine Lippen auf seine. Er küsst ihn mit der ganzen Hingabe eines Menschen, der das Kostbarste seines Lebens beinahe verloren hätte und Shredder ist viel zu verblüfft, um sich dagegen zu wehren.

Aber als er spürt, wie sich Kazuos freche Zunge Einlaß verschaffen will, löst er sich aus diesem Kuß und schiebt seinen Bruder auf halbe Armeslänge von sich. Kazuo ist nicht er selbst und Shredder mag ein Verbrecher sein, aber er hat seinen Bruder noch nie ausgenutzt und er wird jetzt nicht damit anfangen.

Kazuo mustert ihn mit einem Blick, wie ihn Shredder noch nie an ihm gesehen hat und den er weiß Gott nicht deuten kann.

„Bleibst du bei mir, Niichan? Bitte?“

Und Shredder, der seinem kleinen Bruder selten etwas abschlagen konnte, nickt nur und bückt sich dann, um sich die Schuhe auszuziehen. Als er sich wieder aufrichtet, packt ihn Kazuo unvermittelt an seinem T-Shirt und zieht ihn mit sich aufs Bett.

Shredder fühlt einen merkwürdigen Kloß im Hals, als sich Kazuo seitlich an ihn kuschelt und ihm den Kopf auf die Brust legt, direkt in Höhe seines Herzens. Rein automatisch legt Shredder beide Arme um ihn, und ehe er es sich versieht, landet seine rechte Hand auf Kazuos Hinterkopf und beginnt dort durch seine Haare zu streicheln.

Er erinnert sich dunkel, ein ähnliches Gefühl gespürt zu haben, in diesen Stunden, wo er im Krankenhaus gegen die Dunkelheit kämpfte, aber dann schießen andere, ältere Erinnerungen an die Oberfläche und nehmen ihm fast den Atem. Hastig versucht er, sie zu verdrängen, sie zurück in die Ecke zu stopfen, wohin er sie vor knapp zwölf Jahren verbannt hat und wo sie hingehören!

Sein Verstand mag sich weigern, aber jede Faser seines Körpers erinnert sich, und diese Erinnerung ist stärker als jede Vernunft.

Und plötzlich sind sie wieder vierzehn und sechzehn und finden in der Nähe des anderen genug Wärme und Trost, um am nächsten Morgen wieder aufzustehen und sich dieser kalten, gnadenlosen Welt zu stellen, die jenseits dieses Zimmers auf sie lauert.

Wir sind keine Teenager mehr, meldet sich eine kleine, scharfe Stimme in Shredders Inneren. Wir sind erwachsene Männer, die stramm auf die dreißig zugehen. Wir könnten jetzt unterschiedlicher nicht sein. Lass es sein! Sieh zu, dass du ihn nach Hause bringst und dann geht wieder jeder seiner Wege, wie es sein sollte!

Trotzig beißt Shredder die Zähne zusammen und festigt seine Umarmung um seinen Bruder etwas. Nur ein bißchen, aber Kazuo reagiert auf seine ureigene, schmerzlich vertraute Art: er seufzt leise auf und schmiegt sich noch enger an ihn.

„Du hast mich direkt angesehen“, wispert er plötzlich in Shredders T-Shirt.

Er muß es nicht erklären, Shredder weiß sofort, wovon er spricht.

„Ja“, gibt er leise zu. „Obwohl ich blind war, habe ich dich gesehen.“ Er denkt einen Moment genauer darüber nach und berichtigt dann, selbst darüber verwundert: „Ich wußte, dass du da warst. Wo du sitzt. Und dort habe ich dich gesehen. Ich habe dich so gesehen, wie ich mich an dich erinnerte. So, wie wir uns das letzte Mal gesehen haben. Du trugst da diesen grauen Anzug und hattest diese furchtbar langweilige Frisur.“ Lächelnd zerzaust er ihm die Haare. „So habe ich dich gesehen. Und du warst das einzige, was ich gesehen habe. Und ich weiß noch, ich dachte...“ seine Stimme versagt, aber nach einmal Räuspern geht es wieder und er kann leise fortfahren: „Ich dachte mir nur, wie leid es mir tut, daß wir uns zerstritten haben.“

„Mir auch, Niichan“, flüstert Kazuo und rückt ein wenig nach oben, bis seine Stirn in Shredders Halsbeuge zu liegen kommt. Seine linke Hand verkrallt sich so fest in Shredders T-Shirt als wolle er ihn nie wieder loslassen.

Zehn Sekunden später verraten seine tiefen Atemzüge, dass er eingeschlafen ist.

Und Shredder bringt es nicht übers Herz ihn zu verlassen, also bleibt er, wo er ist – nur, um kurz darauf festzustellen, wie sehr er dieses Gefühl vermisst hat, von seinem kleinen Bruder als Kopfkissen und Kuscheltier mißbraucht zu werden...

 

 

Kapitel 4

Kapitel 4

 

Krang sitzt in seinem Labor gerade an der Auswertung seines neuesten Experiments und grinst bis über beide nicht vorhandenen Ohren als er hört, wie sich die Tür hinter ihm zischend öffnet.

Hat er Shredder gut dressiert oder nicht?

Der kommt sogar freiwillig zum Anschiss.

Aber ausnahmsweise will er heute mal nicht schreien. Auch für ihn war es eine schlimme Zeit, zweiunddreißig Stunden lang nur darauf zu warten, dass Shredder wieder in seinem Körper aufwacht. Niemand von ihnen hier wusste, was geschehen war, aber sie alle befürchteten das Schlimmste.

Rocksteady und Bebop hat das fast verrückt gemacht und ihn selbst beinahe auch. Sie waren so absolut voneinander abgeschnitten – so etwas möchte Krang nie wieder erleben.

Krang gesteht es sich nicht gerne ein, aber er hat bei diesem Experiment zu vorschnell gehandelt und nicht alle Eventualitäten genug durchdacht. Sie hatten Glück – sehr viel Glück, dessen ist er sich bewusst.

Und deshalb ist es auch nicht schlimm, wenn er heute mal etwas Gnade walten lässt. So ein kleines bißchen...

„Ah, Shredder, gut, dass du kommst. Bevor wir anfangen – bitteschön, ich glaube, das gehört dir.“

Vielsagend deutet er auf einen der Labortische. Dort liegen ein Paar knöchelhohe Kampfstiefel und ein ledernes Portemonnaie. Shredder schluckt einmal sichtbar, als er einen Blick darauf wirft und greift nur zögernd danach – zumindest nach der Brieftasche. Die Stiefel lässt er erst einmal dort liegen.

„Du hast deine Tüte aus dem Krankenhaus in der Zentrale vergessen“, erklärt Krang,während er Shredder dabei zusieht, wie dieser den Inhalt der Brieftasche kurz überprüft und sie dann in seiner Hosentasche verschwinden lässt.

„Das ist leider alles, was noch brauchbar war. Diese Unsitte irdischer Krankenhäuser, die Kleidung immer aufzuschneiden, werde ich wohl nie verstehen.“

„Danke“, meint Shredder nur leise. Er sieht etwas blaß aus.

Krang hat plötzlich gar keine Lust mehr, ihn richtig zusammen zu stauchen.

„Helm, Umhang und Rüstung waren nicht dabei. Haben wohl die Turtles“, schließt Krang messerscharf aus den Umständen.

Diesmal nickt Shredder nur stumm.

Krang mustert ihn einen Moment einfach nur abwartend. Aber anscheinend scheint sein Kompagnon nicht daran interessiert, ihm mehr zu sagen als in den paar Minuten, bevor er zur Erde zurückeilte – nämlich dass er beim Kampf gegen die Turtles verletzt und von diesen dann in ein Krankenhaus gebracht wurde, wo er - beziehungsweise sein Duplikat – schließlich starb.

Krang seufzt innerlich genervt auf. Nun denn, dann mal weiter zum wirklich wichtigen Tagespunkt.

„Setz dich."

Vielsagend deutet Krang auf den Behandlungsstuhl neben sich. Das einzige, was das Ding von dem in einer Zahnarztpraxis unterscheidet, ist die rote Velours-Polsterung und die außerirdische Technik im Inneren.

Shredder zögert einen kurzen Augenblick, bevor er sich in den Stuhl setzt, aus dem er zweiunddreißig Stunden lang nicht aufgestanden ist und Krang macht sich sofort eine entsprechende Notiz auf seinem Datenpad.

Ein Knopfdruck und der Sensorhelm senkt sich auf Shredders Schädel. Jetzt zuckt Shredder sichtbar zusammen.

Wieder schreibt Krang etwas in seinen Minicomputer.

Der Helm benötigt einige Minuten, um sich mit dem Computer zu synchronisieren und Krang nutzt die Zeit, um mal ein ernstes Wort mit seinem Kompagnon zu reden.

„Bevor wir anfangen, will ich wissen, wieso du in Drei Teufels Namen deinen Bruder hier anschleppst?"

Shredder besitzt wenigstens so viel Anstand, eine zerknirschte Miene zu ziehen.

„Das war eine spontane Entscheidung."

„Das ist mir klar. Aber warum?"

Shredder zögert einen Moment und reibt sich nervös über den rechten Handrücken, als spüre er dort noch immer die Infusionsnadel, die in der Vene seines Duplikats gesteckt hat. Noch bevor er ein Wort gesagt hat, weiß Krang, dass es eine ehrliche, aber auch etwas ausweichende Antwort sein wird.

Shredder ist ein Mann, dem man gewisse Dinge aus der Nase ziehen muß, aber eigentlich will er darüber reden. Krang hat gelernt, damit umzugehen.

„Ich war mir nicht sicher, ob er da ist", meint Shredder dann leise. „Ich meine, wir reden hier von meinem kleinen Bruder, einem Vollblutcop. Ich bin nicht gut für seine Karriere. Es sei denn, er verhaftet mich." Um seine Mundwinkel spielt ein bitteres Lächeln und dann sieht er Krang gerade in die Augen und rechtfertigt sich:

„Ich bin ja nur zurück gegangen, um die Leiche los zu werden."

Krang mustert ihn eine Weile, tippt derweil etwas auf seinem Pad und will dann wissen:

„Was hat dich auf die Idee gebracht, er wäre dort?"

Ein kurzer Piepston und ein blinkendes grünes Licht verraten ihnen, dass der Helm jetzt den Scan startet, doch Shredder achtet nicht darauf. Er denkt noch über seine Antwort nach.

„Ich weiß nicht...", gibt er dann stockend zu. „Ich glaubte, ich hätte ihn gehört. Und gefühlt, wie er meine Hand hielt. Aber", fügt er gedankenverloren hinzu, „hauptsächlich war es wohl reines Wunschdenken."

Krang mustert ihn aus verengten Augen. Es klingt, als versuche sich Shredder da selbst von etwas zu überzeugen, obwohl er es eigentlich besser weiß.

„Was hast du noch gefühlt, da im Krankenhaus?" hakt Krang behutsam, aber neugierig nach.

Shredder ist die Frage sichtlich unangenehm. Er nagt kurz an seiner Unterlippe herum und seine Finger spielen nervös mit dem Saum seines T-Shirts.

Und Krang weiß, jetzt kommt etwas, wonach er eigentlich nicht gefragt hat, was Shredder aber loswerden möchte.

„Furchtbare Kopfschmerzen. Und...", er stockt und holt dann einmal tief und zitternd Luft, „...es war wie dieses Gefühl, wenn du zu lange unter Wasser bist und dir die Luft knapp wird. Aber", fügt er ironisch hinzu, „kein weißes Licht oder Ahnen, die auf einen warten."

„Sondern? Wie war es?"

„Schmerzen und Panik und dann ... " Sekundenlang starrt Shredder einfach nur vor sich hin und schüttelt dann den Kopf, als wolle er unangenehme Gedanken abschütteln. „Nichts. Da war nichts. Und dann bin ich hier aufgewacht."

Krang schweigt einen Moment und wirft einen Blick auf sein Pad, das ihm den Scan von Shredders Hirn zeigt. Der Mandelkern zeigt eine gewisse erhöhte Aktivität, genau wie der präfrontale Kortex, aber das war zu erwarten bei einer solchen Nahtoderfahrung.

„Und jetzt?" erkundigt er sich wieder geschäftsmäßig werdend. „Funktioniert alles so, wie du es gewohnt bist? Gehorcht dir dein Körper oder fühlst du dich in ihm fremd?"

„Nein, alles bestens. Das ist ja auch mein Körper."

„Bist du sicher?"

Shredder stockt für eine Sekunde der Atem, doch dann schießt er dem Alien einen bitterbösen Blick zu.

„Krang, was soll das?"

Dieser zeigt mit seinen Tentakeln das Äquivalent zu einem Schulterzucken.

„Ich frage ja nur", erwidert er betont unschuldig. „Wenn du keine Unterschiede zwischen dem Duplikat und deinem echten Körper feststellen konntest, wie willst du dann wissen, dass der hier jetzt wirklich deiner ist?"

Shredder öffnet schon den Mund, um etwas Gesalzenes darauf zu erwidern, doch dann zögert er.

„Weil...", meint er schließlich und legt die Stirn in tiefe Denkfalten, „weil ich in dem hier aufgewacht bin und mich sofort wie... das klingt total blöd, aber wie Zuhause gefühlt habe. Das war wie ...", er hält inne, sucht nach dem richtigen Wort und entscheidet sich dann für ein erstaunt klingendes: „... heimkehren."

Krang blinzelt überrascht und macht sich wieder Notizen.

„Du sprichst wirklich viel von Gefühlen. Du fühlst dies, du fühlst das...", Krang bemüht sich um Neutralität, doch in seinem Tonfall schwingt ein Hauch von Belustigung mit. „Kann ich also davon ausgehen, daß, rein objektiv betrachtet, der Transfer einwandfrei funktioniert?"

Shredder denkt kurz darüber nach und nickt dann.

„Ja, dem würde ich zustimmen."

„Du warst also nicht geistig umnachtet, als du deinen Bruder hierher gebracht hast? Also, nicht mehr als sonst?"

„Sehr witzig, Krang", schnaubt Shredder nur.

„Warum hast du ihn mitgebracht, Shredder? Das interessiert mich wirklich. Für uns wäre es nur von Vorteil, wenn er denkt, du wärst tot. Ein Stückchen Ballast weniger, was dich behindert."

„Kazuo war nie Ballast für mich!" widerspricht ihm Shredder sofort heftig.

Krang wirft ihm nur einen wirklich merkwürdigen Blick zu, befreit ihn von dem Sensorhelm und reicht ihm dann ein weiteres Pad.

„Füll bitte den Fragebogen aus", befiehlt er ihm. „Und danach geht's zum Reaktionstest. Du kennst das ja."

Gehorsam nimmt Shredder das Pad mit den Fragen entgegen und macht sich an die Arbeit.

„Erzähl mir was von deinem Bruder", fordert ihn Krang nach einer Minute auf.

Shredder wirft ihm über dem Rand seines Pads einen überraschten Blick zu.

„Was soll ich dir erzählen? Du hast doch miterlebt, wie er ist - damals, als er sich mit den Turtles verbündete und mich verhaften wollte." Er vertieft sich wieder in seinen Fragebogen.

„Ich konnte ihn nicht da lassen, Krang", erklärt er plötzlich und fügt beinahe unhörbar, und mehr zu sich selbst, hinzu: „Kazuo gehört zu mir."

Obwohl es nicht mehr als ein Wispern ist, hört Krang ihn trotzdem. Es klingt wie ein Schwur und beinhaltet zugleich eine deutliche Warnung. Krang lässt such sein Erstaunen nicht anmerken und setzt ein grimmiges Gesicht auf.

„Ich bin nicht erfreut darüber, dass er hier ist."

„Was du nicht sagst..." kommt es schnippisch zurück.

„Du übernimmst die Verantwortung für ihn!"

„Er stört dich nicht. Versprochen.“

Hätte Krang Augenbrauen, würde er sie jetzt in die Höhe ziehen. Er findet diese Wortwahl bemerkenswert. So redet man von einem Kind. Da er aber nicht davon ausgeht, dass Shredder seinen Bruder immer noch als Kind sieht, handelt es sich dabei wohl um einen durch jahrelangen Gebrauch verinnerlichten Satz. Faszinierend.

„Er ruht sich erst einmal aus und dann bringe ich ihn nach Hause", verspricht Shredder.

Nun, dafür benötigen sie ein Portal und sie haben kaum genug Energie für das Lebenserhaltungssystem und das weiß Shredder ganz genau – von daher weckt diese Antwort in Krang einen gerechtfertigten Groll.

„Du gehst sehr sorglos mit meinen Energiereserven um, mein Bester!"

Shredders Finger über dem Touchsreen hält bei Krangs scharfem Tonfall kurz inne und zittert leicht, doch dann hat sich der Mann wieder gefasst und wirft Krang einen kühlen Blick zu.

„Krang, bitte, ich versuche hier deinen Fragebogen auszufüllen. Lenk mich nicht immer ab."

Krangs Ärger verschwindet genau so schnell wie er gekommen ist – und genauso schnell, wie ihm einfällt, daß das letzte Wort hier im Techndrome, und zwar bei allem, besonders bei den Portalen, immer noch er, Lord Krang und niemand sonst, hat.

Er holt einmal tief Luft.

„Er ruht sich aus? Er schläft also? Schön. Und was ist mit dir? Wieso schließt du dich ihm nicht an? Du musst doch auch erschöpft sein.“

Jedenfalls verraten ihm das seine Scans.

„Oh“, kommt es liebenswürdig zurück, „ich weiß doch, wie sehr du darauf brennst, mich zu untersuchen. Da wollte ich dich nicht enttäuschen. Außerdem bin ich mit der Reparatur der Energieleitung in Sektor H-37 noch nicht fertig. Also, laß uns jetzt diese Tests hinter uns bringen, damit jeder von uns wieder an seine Arbeit gehen kann.“

Mit diesen Worten gibt er Krang das Pad zurück, rutscht von dem Behandlungsstuhl und geht in einen anderen Teil des Labors, wo die Apparate für die Reaktionstests stehen.

Krang notiert noch schnell etwas auf seinem Pad und folgt ihm dann. Er ist nicht so dumm, einen arbeitswütigen Shredder aufzuhalten, schließlich liegt im Technodrome mehr als nur eine Kleinigkeit im Argen – und außerdem hat jeder seine eigene Bewältigungsstrategie um mit so etwas klarzukommen wie es Shredder erlebt hat.

Was nicht bedeutet, dass er nicht ein wachsames Auge auf diesen sturen Mann haben wird.

 

 

Shredder hat gerade seinen Arbeitsoverall aus dem Spind geholt und ist dabei, sich umzuziehen, da poltern Rocksteady und Bebop herein. Er gibt ein mißmutiges Schnauben von sich und zieht schnell den Reißverschluss hoch bis zum Hals. Außerhalb der Quartiere ist das Technodrome kein Ort, in dem Privatsphäre groß geschrieben wird, aber er dachte, er hätte seinen Mutanten in den letzten Jahren wenigstens etwas mehr Manieren beigebracht.

„Krang hat also nicht gelogen! Du willst wirklich arbeiten?“

Shredder atmet einmal tief durch, setzt eine undurchdringliche Miene auf und dreht sich dann zu ihnen herum. Und da stehen sie – keine drei Schritte von ihm entfernt, die Arme vor der Brust verschränkt und mit finsterem Blick.

„Natürlich“, entgegnet er kühl und greift nach seinem Werkzeugkoffer. „Ihr könnt mir gerne dabei helfen.“

Die beiden mustern ihn durchdringend von oben bis unten und dann verlangt Rocksteady zu wissen:

„Fühlst du dich denn dazu imstande?“

„Danke“, kommt es abweisend zurück, „es geht mir gut.“

„Meinst du nicht, du solltest dich noch etwas ausruhen?“

„Nein.“

Die beiden wechseln einen unsicheren Blick, lassen ihn aber vorbei, als er sich zwischen ihnen hindurchzwängt – wenn auch sehr widerstrebend. Da sie aber genauso hartnäckig sein können wie Krang, folgen sie ihm. Er versucht, sie zu ignorieren und eilt einen Korridor entlang, dessen schlechte Beleuchtung wenigstens den noch schlechteren Zustand der Wände verbirgt .

„Wo ist eigentlich dein Bruder?“ will Rocksteady wissen, nachdem sie ungefähr zehn Meter schweigend zurückgelegt haben.

„In meinem Quartier und schläft.“

„Was ist, wenn er aufwacht und anfängt, hier herumzulaufen?“

„Überall herumschnüffelt?“ ergänzt Bebop und setzt dann beinahe anklagend hinzu: „Immerhin ist er ein Cop.“

„Wie lange soll er bleiben?“ hakt Rocksteady nach.

„Und wann geht er wieder?“ setzt Bebop hinzu.

Und dann wollen beide im Chor wissen:

„Warum ist er überhaupt hier?“

Shredder platzt der Kragen. Abrupt wirbelt er auf dem Absatz herum und brüllt sie mit voller Lautstärke an:

Was geht euch das an? Das hat euch alles gar nicht zu interessieren! Wenn ihr nichts Sinnvolles mit eurer Zeit anzufangen wisst, dann geht mir aus den Augen, ihr Produkte eines Orks!“

Instinktiv zucken die beiden zurück. Erschrocken und verletzt starren sie ihn an.

Shredder durchbohrt sie noch ein letztes Mal mit einem besonders bösen Blick, bevor er sich schwungvoll wieder umdreht und davonstiefelt.

Diesmal folgen sie ihm nicht.

Doch nach ein paar Metern hält er noch einmal inne, als würde ihm etwas einfallen.

Er wirft einen Blick über die Schulter zurück. Die beiden Mutanten stehen immer noch da wie vom Donner gerührt und starren ihn an.

„Mein Bruder ist für euch tabu, kapiert? Wenn ich höre, daß ihr ihm auch nur ein Haar gekrümmt habt, hänge ich euch an den Füßen auf und schäle euch das Fleisch von den Knochen.“

Er wartet noch ab, bis sie eingeschüchtert nicken und ihre Zustimmung murmeln, bevor er seinen Weg fortsetzt.

Als er außer Sicht- und Hörweite ist, schluckt Bebop einmal schwer und meint dann an seinen Kumpel gewandt:

„Ich mag es nicht, wenn er so ist.“

„Du kennst ihn doch, Schweinebacke“, tröstend legt Rocksteady ihm einen Arm um die Schulter. „Er ist einfach nur gestresst.“

Bebop nickt unglücklich und wirft einen bekümmerten Blick in die Richtung, in die Shredder verschwunden ist. Er wäre jetzt wirklich gerne bei ihm, auch wenn das bedeuten würde, dass er ihm bei den Reparaturen helfen müsste, aber die Erfahrung hat sie gelehrt, dass es für sie gesünder ist, ihrem Chefchen, wenn er in einem solchen Gemütszustand ist, nicht unnötig unter die Augen zu treten.

Und weil Krang das auch weiß, hat er ihnen eine andere Aufgabe gegeben.

„Komm“, schreckt ihn Rocksteadys Stimme dicht an seinem linken Ohr aus seinen Gedanken, „gehen wir ein paar Deckenplatten festschrauben. Und danach können wir für Chefchen ja was Schönes kochen, vielleicht hebt das seine Stimmung.“

Bebop grinst und gibt ihm einen begeisterten Kuss auf die Nasenspitze, denn das klingt doch mal nach einem Plan!

 

Kapitel 5

Kapitel 5

 

Kazuo erwacht aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Träge rollt er sich auf den Rücken und blinzelt an eine helle, ihm absolut unbekannte Decke. Dann kehren die Erinnerungen zurück.

Stimmt ja, er ist im Technodrome.

Er tastet neben sich, doch da ist niemand.

„Niichan?“

Abrupt schießt er in die Höhe und sieht sich um. Der Raum ist groß, ordentlich und sehr zweckmäßig eingerichtet. Hier und da deuten einige Akzente auf die japanische Herkunft seines Bewohners hin, aber ansonsten ist hier niemand außer ihm.

Die eiskalte Kralle der Panik greift nach ihm.

Hat er die sonderbare Wiederauferstehung seines Bruders nur geträumt?

„Saki?“

Hastig springt er aus dem Bett und wäre beinahe über seine direkt davor stehende Reisetasche gefallen. Und dann sieht er das große Badetuch und ein Blatt Papier am Fußende des Bettes liegen. Als er den Zettel neugierig auffaltet, stellt er schnell fest: es ist eine hektisch, aber akkurat gezeichnete Skizze wie er gehen muß, um das Bad zu finden, unterschrieben mit Sakis Signatur.

Zu Kazuos Erleichterung gesellt sich ein stilles, zärtliches Gefühl – wie gut ihn sein Niichan doch kennt. Nicht einmal Hikari hätte gewusst, dass es sein derzeitiger größter Wunsch ist (neben dem, seinen Bruder zu sehen), unter eine erfrischende Dusche zu steigen und sich wieder präsentabel herzurichten. Sie hätte wohl eher auf eine deftige Miso-Suppe getippt.

Obwohl die auch niemand besser kochen kann als sein Bruder....

Das Badezimmer, stellt Kazuo wenig später fest, ist sehr funktionell. Es erinnert ihn sehr an die Gemeinschaftswaschräume im Wohnheim der Polizeiakademie. Da musste man auch mit heißem Wasser sparen. Nur war da das Schild an der Wand, das auf diese Tatsache hinwies, wesentlich höflicher formuliert und auch nicht zweisprachig. Der hiesige Kommandant – also dieses Alien namens Krang, wenn er sich richtig erinnert - will wohl sichergehen, dass ihn jeder hier versteht.

Etwas erfrischt und in sauberen Jeans und T-Shirt und voller Fragen, die er gerne beantwortet hätte, macht er sich fünfzehn Minuten später auf den Weg, seinen Bruder zu finden. Er hat keine Ahnung, wo er mit der Suche anfangen soll, aber den Weg zur Kommandozentrale bekommt er bestimmt noch zusammen.

Sie sparen nicht nur am heißen Wasser, sondern auch am Strom, wie ihm schnell klar wird. Zuerst dachte er, nur der Weg zum Bad sei so mies beleuchtet, aber das scheint doch eher ein generelles Problem zu sein.

Nachdem er drei Minuten einfach nur gelaufen ist, gesteht er es sich ein:

Er muss irgendwo falsch abgebogen sein. So lang war der Weg zwischen Kommandozentrale und Sakis Quartier nun auch wieder nicht!

Kazuo hält an, dreht um und geht zurück. Gerade als er wieder an seinem Orientierungssinn zu zweifeln beginnt, hört er Stimmen und erreicht so einen Raum, der verdächtig nach einer Küche aussieht.

Doch die Hoffnung, dort seinen Bruder anzutreffen, erfüllt sich nicht. Stattdessen trifft er auf zwei Mutanten: ein Nashorn und ein Warzenschwein. Oh. Er erinnert sich, sie bei seiner Ankunft gesehen zu haben. Und... auch schon vor anderthalb Jahren. Und in den Akten, die er zu seinem Bruder und dessen kriminellen Aktivitäten zusammengetragen hat.

Ihm fallen sogar ihre Namen wieder ein.

„Hallo?“ meint er in Englisch, hebt grüßend die Hand und wagt ein kleines Lächeln. „Ihr seid Rocksteady und Bebop, nicht wahr? Ich bin“, gerade noch rechtzeitig erinnert er sich, daß im Westen die Namen umgestellt werden, also: „Kazuo Oroku, freut mich, eure Bekanntschaft zu machen … ah … ich suche meinen Bruder, habt ihr ihn irgendwo gesehen?“

Die beiden starren ihn über ihre Spaghetti mit Fleischbällchen argwöhnisch an.

„Bitte?“ fügt er höflich hinzu.

Die beiden werfen sich einen Blick zu.

„Setz dich“, grollt Rocksteady und schiebt ihm mit dem Fuß einen Stuhl zurecht. „Und iss erstmal was. Ich hör deinen Magen ja bis hierher knurren.“

Erst als er das ausspricht, wird sich Kazuo peinlich berührt bewusst, wie recht er mit dieser Aussage doch hat.

Er setzt sich zwar, aber eine Mahlzeit lehnt er trotzdem ab. Er will nur so schnell wie möglich seinen Bruder sehen.

„Pech gehabt“, meint Rocksteady daraufhin nur unbeeindruckt. „Damit mußt du warten, bis wir aufgegessen haben.“

„Was zu trinken?“ bietet Bebop etwas freundlicher an und schiebt ihm eine halbvolle Wasserflasche und ein Glas zu. Das Glas sieht schon benutzt aus.

„Danke“, meint Kazuo nur, verzichtet auf das Glas und trinkt lieber gleich aus der Flasche. Die beiden starren ihn verdutzt an, doch dann grinsen sie bis über beide Ohren.

„Jepp“, lacht Rocksteady vergnügt. „Du bist eindeutig der Bruder unseres Chefchens.“

Kazuo ist nur froh, dass es so leicht war, das Eis zu brechen.

„Warum bist hier?“ will Rocksteady plötzlich wissen, dem es entgegen seiner Worte wichtiger zu sein scheint ihn auszufragen als sich seine Spaghetti einzuverleiben, denn seit Kazuo hier ist, hat er keinen einzigen Bissen mehr davon genommen. Bebop dagegen schlürft seine Nudeln mit Hochgenuß.

„Ich weiß es nicht“, gibt Kazuo ehrlich zu. „Aber ich bin froh, dass er mich mitgenommen hat.“

„Wir trauen Bullen nicht“, erklärt Rocksteady kategorisch und fügt dann aber etwas sanfter hinzu: „Aber ist schon in Ordnung, er hat gesagt, wir sollen dich nett behandeln. Und das alles war sicher ein Schock für dich.“

Kazuo nickt zustimmend und schaudert bei der Erinnerung daran unwillkürlich zusammen.

„Es ging alles so schnell...“, flüstert er rauh, während sein Blick immer abwesender wird. „Eben war er noch da und dann ...“

„Das war er nicht“, unterbricht ihn Rocksteady scharf. „Er war die ganze Zeit hier. Das war nur ein Avatar, der nur genauso aussah wie er. Aber er war immer hier.“

Verwirrt starrt Kazuo ihn an, denn Saki hat ihm das doch ganz anders erklärt. Dann bemerkt er Bebops bestürzte Miene und sieht, wie dieser seinem Kumpel beruhigend die Hand tätschelt und versteht, dass der Nashornmutant beschlossen hat, das alles auf seine ganz eigene Art zu sehen, weil die Wahrheit zu schrecklich für ihn ist.

Und Kazuo kann es ihm nicht einmal verübeln.

„Gibt es noch mehr solcher … Avatare?“ fragt er stattdessen, dem wahrheitssuchenden, neugierigen Polizisten in sich nachgebend. „Auch welche von euch? Und warum überhaupt?“

„Das war einer von Krangs Feldtests“, beantwortet diesmal Bebop seine Fragen bereitwillig. „Wir wissen nicht, warum, Krang weiht uns nicht immer in alles ein. Wir verstehen das meiste davon sowieso nicht. Und nein, von uns gibt es keine. Jedenfalls nicht, dass wir wüssten“, fügt er mit einem schiefen Lächeln hinzu und zupft sich verlegen an seinem Nasenring.

„Krang hätte ihn gar nicht mit diesem Avatar losschicken sollen“, schnauft Rocksteady verärgert.

„Aber Rock-“ beginnt Bebop, doch dieser bringt ihn mit einer wütenden Geste zum Schweigen.

„Nein, Beeps, es war ein Fehler! Das hat Shredder doch nur dazu verleitet, mehr auf Risiko zu spielen. Oder glaubst du im Ernst, er hätte normalerweise die Turtles von uns weggelockt und sich auf einen Kampf mit ihnen eingelassen? Wir trennen uns nie, wenn ein Kampf droht, und das aus gutem Grund!“ Aufgebracht schlägt er mit der Faust auf den Tisch, daß Teller und Gläser nur so klirren.

Kazuo zuckt erschrocken zusammen, sagt aber nichts dazu. Und Fragen jeder Art verkneift er sich auch lieber erst einmal.

„Was schreist du hier denn so herum?“ ertönt plötzlich eine scharfe Stimme vom Gang her und dann betritt Shredder in Kampfstiefeln und schlichtem, schwarzen Overall mit Footclan-Logo, die Küche.

Als er Kazuo sieht, verschwindet aller Ärger aus seiner Miene. Mit einem leichten Lächeln geht er vor ihm in die Knie, ergreift seine Hände und mustert ihn besorgt.

„Wie geht es dir, Kaz-chan?“

Es ist merkwürdig. Bis eben war Kazuo noch die Ruhe selbst, aber kaum sieht er seinem Bruder in die Augen, spielt sein Puls völlig verrückt.

„Gut, danke“, flüstert er schließlich.

Shredder mustert ihn noch einmal prüfend, nickt dann und tätschelt Kazuos Knie, während er sich wieder aufrichtet.

„Ich habe dich gesucht“, tadelt er ihn dabei. „Du kannst doch nicht einfach das Quartier verlassen und hier herumspazieren. Das Technodrome ist riesig. Du hättest dich verlaufen können. Hast du Hunger? Warum habt ihr Idioten ihm denn nichts gegeben?" fährt er seine Mutanten im selben Atemzug an.

„Haben sie", verteidigt Kazuo sie, bevor sie das selbst tun können. „Aber ich wollte nicht. Jetzt nehm ich aber gerne was. Wenn du auch etwas ißt."

Shredder, schon auf dem Weg zum Herd, hält bei diesen Worten noch einmal inne und wirft ihm einen funkelnden Blick über die Schulter hinweg zu. Um seine Lippen zuckt ein verschmitztes Lächeln.

Kazuo lächelt zurück, froh, daß sich sein Niichan offensichtlich genauso gut an ihre kleinen Rituale erinnert wie er.

Ihre gemeinsamen Mahlzeiten bedeuteten ihm viel, und daß es seinem Bruder ebenso ergeht, erkennt er, als dieser seine Mutanten ungnädig aus der Küche scheucht.

Und doch kommen sie leider gerade mal dazu, sich hin zu setzen.

Plötzlich gehen alle Lichter aus, die rote Notbeleuchtung springt an und ein langgezogener Alarmton jault durch das gesamte Technodrome.

 

 

Shreddddeeeeer! Tu endlich was!"

„Tu ich doch!" schreit Shredder zurück und schiebt Krangs Androidenkörper unter lautem Ächzen und mit Kazuos tatkräftiger Unterstützung in eine Ecke. Dort hilft er dem mechanischen Ungetüm dann mit einem freundlichen Tritt in die Kniekehlen, sich hinzusetzen.

Das doch nicht!" jault Krang über den Lärm des Alarms. „Du sollst das reparieren!"

„Das versuch ich schon seit drei Monaten! Ich bin Ninja und kein Quantenmechaniker!"

„Wofür bist du überhaupt gut?" nölt Krang, während seine Tentakel auf der Suche nach zusätzlichem Halt durch die Luft peitschen.

Shredder verdreht nur die Augen, packt seinen Bruder am Arm und zerrt ihn mit sich zu einer Reihe von freistehenden Säulenkonsolen hinüber.

Kazuo erhascht einen schnellen Blick auf Rocksteady und Bebop, die hinter einem Kommandosessel Schutz gesucht haben und sich aneinander festklammern. Sie wirken nicht, als würden sie so etwas zum ersten Mal machen.

Die Notbeleuchtung taucht die ganze Kommandozentrale in ein blutig rotes Licht. Und das Technodrome wird immer noch durchgeschüttelt wie bei einem Erdbeben.

Kazuo hat keine Ahnung, was hier vor sich geht, aber als sich Shredder zwischen zwei Konsolen zu Boden sinken lässt, folgt er ihm bereitwillig.

„Was ist hier los?" stellt er schließlich die dringlichste Frage der letzten Minuten.

„Phasenverschiebung", erklärt Shredder, während er sich mit dem Rücken gegen das harte Metall lehnt und ihn dann nah zu sich heranzieht. „Das Technodrome steckt in einer Zwischendimension fest. Die Gravitation der Erde und die der DimensionX ziehen an uns und so wie es aussieht, gewinnt die DimensionX heute. Es tut mir leid", seufzend schlingt er seinen Arm um Kazuos Taille und drückt ihn ganz fest an sich. „Wenn wir erst mal in der DimensionX sind, sitzen wir da fest. Die Portalenergie ist auch fast erschöpft, du kommst also erstmal nicht zurück. Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht mitbringen dürfen", murmelt er mehr zu sich selbst.

Energisch schüttelt Kazuo mit dem Kopf.

„Ich bin froh, daß du es getan hast. Es ist mir egal, ob ich in irgend einer fremden Dimension festsitze, solange du auch da bist. Lebendig.“

Shredder mustert ihn gerührt. „Otouto ...“

„Baka“, erklärt Kazuo nur freundlich und gibt ihm einen Knuff gegen die Schulter.

Leider findet die brüderliche Neckerei ein schnelles Ende, als sich der Boden plötzlich hebt und senkt wie bei einem starken Wellengang auf hoher See. Dazu noch das ständige Zittern und Beben – Kazuo ist richtig froh, noch nichts gegessen zu haben.

Unter das Heulen des Alarms mischt sich plötzlich das Kreischen von mißhandeltem Metall.

„Es geht los. Halt dich fest.“ Mit diesen Worten stemmt Shredder die Absätze gegen die Nachbarkonsole und schlingt beide Arme fester um seinen Bruder.

Kazuo folgt seinem Beispiel und stützt sich mit seinen Füßen ebenfalls an der Konsole ab, doch im Gegensatz zu den geriffelten Stiefelsohlen seines Bruders finden die glatten seiner Turnschuhe kaum Halt.

Und so krallt er sich an seinem Bruder fest, während dieser ihn eng an sich drückt und das ist so.... beschämt senkt Kazuo den Blick. Trotz der ganzen kritischen Situation, in der sie sich offensichtlich befinden, kann er nur daran denken, wie nah sie sich sind. Ihre Oberschenkel berühren einander, ihre Hüften und verdammt nochmal – er liegt fast mit seinem gesamten Oberkörper auf ihm, seine Lippen sind so dicht an seinem Hals, er könnte ihn küssen, wenn er wollte.

Saki riecht nach Maschinenöl, Ozon und Zedernholz und er ist so warm...

Durch das Technodrome geht so etwas wie ein Schlag und reißt ihn brutal aus seinen schwärmerischen Gedanken. Erschrocken sieht er sich um, aber das war ein Fehler, denn die Welt um sie herum verbiegt sich wie in einem Zerrspiegel und als sie dann auch noch zu flackern beginnt, will er instinktiv die Augen schließen, doch die Stimme seines Bruders hält ihn davon ab.

„Nein, Kazuo, schließ nicht die Augen. Davon wird es nur schlimmer. Sieh mich an. Sieh mich einfach nur an.“

Gehorsam hebt Kazuo den Kopf und versinkt nur allzu bereitwillig in den samtbraunen Augen seines Bruders. In diesem blutig rotem Licht wirken sie allerdings beinahe schwarz und fremd. Doch Sakis Miene ist so sanft, so besorgt, daß Kazuo ihm gerne gesagt hätte, daß alles in Ordnung ist, daß er sich sicher fühlt, aber ihm ist übel und wahrscheinlich würde da jetzt etwas ganz anderes aus seinem Mund kommen als Worte.

Also preßt er nur die Kiefer zusammen und versucht ihm all das mit seinem Blick mitzuteilen.

Seine Ohren melden ihm ein reißendes Geräusch, als würde jemand ganz langsam und genüßlich ein Bettlaken zerfetzen, dazu weiterhin das Stöhnen und Ächzen von Metall und dieser gräßliche Alarm.

Irgend jemand stößt einen unflätigen Fluch aus und er hört Husten, Würgelaute und Stöhnen und dann, ganz plötzlich, hört er nur noch seine eigenen Atemzüge und die seines Bruders. Es dauert nicht lange, dann hat sich ihre Atemfrequenz einander angepasst.

Vorsichtig entspannt Kazuo seine Finger, die sich bisher krampfhaft in Shredders Overall krallten und legt sie flach auf seine Brust, bis er nicht nur fühlt, wie sich Shredders Oberkörper unter seinen Atemzügen hebt und senkt, sondern er auch seinen Herzschlag spüren kann.

Und die ganze Zeit über sehen sie sich in die Augen. Da ist plötzlich etwas in Shredders Blick, irgend etwas in seiner Miene, ein Echo aus längst vergangenen Zeiten und im nächsten Moment weiß Kazuo nur noch, daß er auf Shredders Schoß sitzt, die Hände in seinem Haar verkrallt und ihn küsst und küsst und küsst als gäbe es kein Morgen mehr, während um sie herum immer noch die Hölle tobt.

 

 

Kapitel 6

Kapitel 6

 

Es ist pure Luftnot, die sie dazu zwingt, diesen Kuß zu beenden. Atemlos und mit heftig pochendem Herzen setzt sich Kazuo zurück, die Finger immer noch in Shredders Haaren vergraben.

Sekundenlang starren sie sich nur selbstvergessen in die Augen. Auch Shredders Brust hebt und senkt sich unter schweren Atemzügen. Seine Hände sind von Kazuos Rücken auf dessen Hüften gerutscht und halten ihn nun dort fest.

Sie sind so ineinander versunken, dass sie gar nicht bemerken, wie still es um sie herum geworden ist. Das Technodrome ist zur Ruhe gekommen, der Alarm ist verstummt und das Licht hat wieder auf Normalbeleuchtung gewechselt. Erst Krangs langgezogenes

„Shreddeeeeer!“

wirft sie beide zurück ins Hier und Jetzt.

Und dann senken sie beide den Blick, beschämt und verlegen zugleich.

„Shreddäääääeeeer! Hilf mir endlich!“

„Ja, Krang!“ ruft Shredder genervt zurück, während Kazuo hastig von seinem Schoß rutscht.

Während sein Bruder aufspringt und zu dem Alien hinübereilt, lässt sich Kazuo mit dem Rücken schwer gegen die Konsole sinken und vergräbt das Gesicht in den Händen.

Himmel – was war das eben? Wozu hat er sich da eben verleiten lassen?

 

 

Krang schreit und tobt und flucht und gibt Shredder für alles die Schuld. Aber das meiste seines Gezeters ist nur Show, das erkennt Kazuo sofort. Dieses rosa Gehirn benötigt nur ein Ventil, um seinem Ärger Luft zu machen und das geht am Einfachsten, wenn man die Schuld bei anderen sucht.

Er verlangt lautstark, daß sie - sie alle (ob er damit auch Kazuo meint, ist nicht ganz klar) - sofort hinausgehen und das Technodrome auf äußere Schäden überprüfen sollen, während er die Selbstdiagnose des Hauptcomputers startet.

„Erst bekommt mein Bruder was zu essen", schmettert Shredder ihn unbeeindruckt ab. Er ignoriert Krangs Protest, befiehlt Rocksteady und Bebop „erstmal hier drin etwas aufzuräumen" und führt Kazuo dann aus der Kommandozentrale und wieder zurück in die Küche.

Hier sieht es weniger chaotisch aus als befürchtet. Eine Wasserflasche ist zerbrochen, zwei Stühle sind umgekippt und die Spaghetti haben es nicht überlebt.

Die Schweinerei ist schnell beseitigt.

Shredder wirft einen Blick in den Kühlschrank und ist heilfroh, dass sie es sich schon seit einiger Zeit angewöhnt haben, wo möglich, alles in verschließbaren Plastikschüsseln zu verstauen. So sind sogar die Eier heil geblieben.

„Wir haben noch Sushi da", bietet er seinem Bruder dann nach einer kurzen Bestandsaufnahme an.

„Selbst gemacht?"

„Ja, heute morgen erst."

Schon allein bei dem Gedanken läuft Kazuo das Wasser im Mund zusammen.

„Dein Sushi ist das Beste "

Shredder wirft ihm über die Kühlschranktür einen irritierten Blick zu.

„Es ist nur Sushi."

Kazuo lächelt nur still in sich hinein. Für seinen Bruder war Kochen immer etwas Normales – es gehörte einfach zu seinen täglichen Pflichten, die er erfüllte, seit er alt genug war, um über die Herdplatte sehen zu können. Was blieb ihm auch anderes übrig, bei einer Mutter, die außer Miso-Suppe und Instant-Nudeln gar nichts hinbekam? Und das dann auch noch oft vergaß? Irgend einer mußte den vor Hunger weinenden Kazuo ja satt bekommen und immer bei der Nachbarin schnorren ging nicht.

Also brachte er sich selbst das Kochen bei. Das Resultat waren sehr merkwürdige, aber durchaus schmackhafte Kombinationen und seine Sushi gingen auf den Schulfesten immer weg wie warme Semmeln.

Er hätte lieber Starkoch werden sollen anstatt Wannabe-Welteneroberer.

Er wird aus seinen Erinnerungen gerissen, als sein Bruder ihm die Schale mit dem Sushi in die Hand drückt und dann selbst die Teller aus dem Schrank holt.

Kurze Zeit später sitzen sie wieder am Tisch wie schon vor einer halben Stunde, als sie so unsanft unterbrochen wurden.

Erst nach dem ersten Bissen wird sich Kazuo bewusst, wie gewaltig sein Hunger wirklich ist. Er versucht, nicht zu schlingen, aber so ganz scheint es ihm nicht zu gelingen, wenn man das amüsierte Zucken um Shredders Mundwinkel als Maßstab nimmt.

Nachdem er seinen gröbsten Hunger gestillt hat und ein paar Anstandsminuten ins Land gezogen sind, nimmt Kazuo all seinen Mut zusammen für zwei wichtige Fragen.

„Sagst du mir, was hier vor sich geht? Wieso gab es ein Duplikat von dir? Deine beiden Freunde konnten mir nicht viel dazu sagen."

Shredder hat diese Fragen kommen sehen, aber sie erwischen ihn trotzdem kalt und all die schönen, zurechtgelegten Worte wollen ihm plötzlich nicht mehr einfallen. Er hasst es, vor seinem kleinen Bruder dazustehen wie ein stammelnder Idiot, nur weil ihm die Fachbegriffe nicht mehr einfallen.

„Sie wissen auch nicht viel", gibt er zu, zögert und erklärt dann, und Scheiß drauf, dass das jetzt wenig wissenschaftlich klingt – es ist zumindest die Wahrheit:

„Krang will unbedingt einen Körper. Einen echten, aus Fleisch und Blut. Und wie bei jeder Erfindung gibt es zuerst einen Prototypen. Und das war einer. Das Problem sind nämlich nicht die Körper, sondern die Verbindung zwischen Krangs Bewusstsein und diesen Körpern. Er besetzt ja quasi ein fremdes Gehirn, auch wenn das ohne Eigenbewusstsein ist. Das ist es, was ich für ihn getestet habe. Ich habe ja einen Körper und sollte nun ein paar Fragen in einem Feldtest beantworten. Fragen wie: funktioniert alles wie es soll oder gibt es Übertragungsprobleme? Und vor allem: fühlt sich dieser Körper genauso an wie mein eigener? Fühlt es sich echt an?"

„Und? Hat es sich echt angefühlt?"

„Ja, Scheiße verdammt, das hat es!" bricht es aus Shredder heraus. Er ist blaß geworden und seine Hände zittern sichtlich, als er den Kampf gegen unliebsame Erinnerungen verliert.

„Niichan..."

Kazuo springt auf, ist mit einem einzigen Satz um den Tisch herum und bei ihm und legt seine Arme um ihn. Shredder findet sich unverhofft und mit der Nase voraus in Kazuos T-Shirt gedrückt wieder. Es ist ein ungewohntes Gefühl, aber es ist gut, vor allem, als Kazuo diese Sache mit seinen Haaren macht. Diese eisige Beklemmung und dieses Zittern in seinem Inneren verschwinden nach und nach, je länger Kazuo ihn an sich drückt und seine Haare zaust. Wie von selbst schlingen sich Shredders Arme haltsuchend um Kazuos Taille.

Einige kostbare Sekunden lang erlaubt er es sich, so schwach zu sein, dann atmet er einmal tief durch, packt Kazuo an den Hüften und schiebt ihn daran entschlossen von sich fort.

„Danke. Es geht schon wieder."

Kazuo starrt ihn einen Moment lang nur an, nickt dann stumm und geht wieder auf seinen Platz zurück, wo er seine unterbrochene Mahlzeit wieder aufnimmt.

Eine Zeitlang essen sie schweigend.

„Du solltest darüber reden. Das hilft“, meint Kazuo schließlich, als nichts mehr auf seinem Teller ist.

Shredder wirft ihm einen verärgerten Blick zu.

„Bist du Bulle oder Psychiater?“

„Im Moment? Dein Bruder.“

Das bringt Shredder tatsächlich kurz aus der Fassung. Doch er versucht sich von dem gefährlich warmen Gefühl in seiner Brust nicht übermannen zu lassen. Kazuo war früher sein ein und alles, aber jetzt sind sie erwachsen und sein Otouto hat sein eigenes Leben. In das er übrigens schleunigst wieder zurück muß.

„Wir sollten lieber zusehen, dass wir dich ganz schnell wieder nach Hause bringen“, erklärt Shredder daher und geht in Gedanken schon mal alle Möglichkeiten durch, wie und wo sie Energie für ein Portal abzwacken könnten.

Doch Kazuos Antwort wirft ihn mal wieder aus der Bahn.

„Ich hab's nicht eilig.“

Shredder runzelt die Stirn und mustert ihn durchdringend.

„Du hast doch bestimmt 'ne Freundin, die dich vermisst.“

Kazuo schweigt nachdenklich. Hikari ... er … vermisst sie wirklich nicht. Nicht im Geringsten. Nicht das kleinste bisschen. Und das stört ihn nicht einmal.

„Und was ist mit deiner Arbeit?“ drängt Shredder. „Sollen sich die Kriminellen jetzt etwa von alleine fangen?“

Als sein Bruder auch daraufhin nichts sagt, vertieft sich die Falte zwischen Shredders Augenbrauen und er lehnt sich zu ihm vor, um ihn noch genauer zu mustern.

„Kazuo?"

„Hah?" schnappt dieser zurück ins Hier und Jetzt und schüttelt dann einmal langsam den Kopf, als müsse er unliebsame Gedanken verscheuchen.

„Die kommen alle auch ganz wunderbar ohne mich zurecht“, erklärt er dann entschieden, worauf ihn Shredder nur entgeistert anstarrt.

„Was ist aus meinem kleinen, nervend pflichtbewussten Bruder geworden?“ will er entsetzt wissen.

Der ist genau da, wo er hingehört, denkt sich Kazuo, doch nach außen hin lächelt er nur und zuckt mit den Schultern.

„Ich hab's nicht eilig“, wiederholt er dann doch und betont: „Wirklich nicht. Ich bleibe gerne noch ein paar Tage und helfe euch. Wobei auch immer. Ich meine“, fügt er unter Shredders skeptischen Blick pflichtschuldig hinzu, „solange es nicht gegen das Gesetz ist.“

Obwohl er sich da schon fragt, welche Gesetze hier in der DimensionX wohl so gelten mögen. Die Japans finden hier garantiert keine Anwendung. Aber er sagt das ja sowieso nur, um seinen Niichan zu beruhigen.

„Die DimensionX ist kein Ponyhof, Kazuo“, warnt Shredder eindringlich. Dann seufzt er einmal schwer und fährt sich nervös mit den Fingern durchs Haar. „Ich hätte dich nicht mit hierher bringen sollen. Das war ein riesengroßer Fehler. Bitte entschuldige.“

Obwohl er gerne protestieren würde, nickt Kazuo nur schweigend. Er behält sich aber vor, diese Diskussion zu einem späteren Zeitpunkt fortzuführen. Vorzugsweise, wenn er selber ganz genau weiß, was er eigentlich wirklich will.

 

 

Kapitel 7

Kapitel 7

 

„Gott sei Dank!" stößt Shredder erleichtert hervor, als sich die Tür zu seinem Quartier vor ihnen öffnet. „Mein Quartier hat diesmal nichts abbekommen."

Ein paar Dinge sind schon um- oder heruntergefallen, doch es ist noch alles heil.

„Diesmal?" hakt Kazuo nach, während er ihm hilft, eine Stehleuchte wieder aufzurichten.

„Das hier ist mein zweites Quartier“, erklärt ihm sein Bruder, derweil er einen Wandschrank öffnet und darin herumwühlt. „Das erste hat den Übergang von der Erde in die Zwischendimension nicht überlebt. Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, daß das hier den endgültigen Crash erst recht nicht übersteht.“ Er seufzt einmal schwer und schenkt seinem Bruder ein schiefes Lächeln. „Du dachtest doch nicht wirklich, dass ich mir kein besseres Bad leisten kann? Ach, ich vermisse meine Wohlfühloase. Aber die ist jetzt ziemlich platt." Für ein paar Sekunden starrt er einfach nur betrübt vor sich hin, dann schüttelt er sich kurz und sucht weiter.

„Was? Platt?“ Kazuo stockt fast der Atem. „Zum Glück warst du da nicht drin."

„Notfallprotokoll. Bei Alarm rennen wir alle zur Kommandozentrale. - Hier, zieh das an." Mit diesen Worten drückt er Kazuo einen langen Mantel, eine Thermo-Cargohose und einen Hoodie in die Hand.

„Warum?" will Kazuo verdutzt wissen, während er zusieht, wie sein Bruder ähnliche Bekleidung aufs Bett wirft und dann beginnt, sich aus seinem Arbeitsoverall zu pellen. Außer einem T-Shirt und einer Boxershorts trägt er nichts darunter. Kazuo bemerkt, dass er starrt und macht sich hastig daran, sich ebenfalls umzuziehen.

„Wir können nicht in den Klamotten da raus gehen", erklärt Shredder, während er in eine schwarze Cargohose steigt und sich einen grauen Sweater mit Foot-Clan-Logo über den Kopf zieht. „Es ist kalt da draußen. Und … hm, keine Ahnung, was sich da noch draußen herumtreibt. Eine zusätzliche Kleidungsschicht schadet nie. Äh … Es macht dir doch nichts aus, was von mir zu tragen, oder?“ erkundigt er sich zögernd.

Kazuo schüttelt nur den Kopf und streicht versonnen über den Fleecehoodie, bevor er sich den Mantel umwirft. Ein nostalgisches Gefühl überkommt ihn. Für einen Moment ist er wieder der Junge, der die Sachen seines älteren Bruders aufträgt. Immer wenn er traurig war, musste er nur eines seiner Shirts, einen Sweater oder auch Sakis alte Schuluniform anziehen und fühlte sich sofort besser.

Also nein, was sollte er dagegen haben?

Er spürt plötzlich Shredders Blick auf sich ruhen, schnappt aus seinen Erinnerungen zurück und schenkt ihm ein kleines Lächeln.

Shredder starrt nur für einen Atemzug auf diese vollen Lippen und kämpft gegen den Drang an, sie einfach nur küssen zu wollen, dann räuspert er sich einmal, zieht entschlossen den Reißverschluß seines Parkas hoch bis zum Kinn und befiehlt seinem Bruder dann mit merkwürdig belegter Stimme, ihm zu folgen...

 

 

Das Technodrome ist wirklich beeindruckend. Bisher kennt Kazuo es ja nur von innen, und er wußte, es ist groß, aber er hätte nie gedacht, daß es so groß ist. Er bekommt Nackenstarre, wenn er nur daran hinaufsieht.

Und die Schäden sind immens. Zwei Reparaturdrohnen haben sich schon an die Arbeit gemacht, aber auch einem Neuling wie Kazuo ist klar, daß zwei einfach zu wenig sind.

Aber – wie sein Bruder ihm verrät – sie haben nur die beiden.

„Der restliche Reparaturdienst sind wir“, erklärt ihm Shredder seufzend, während sie sich daran machen, die Kampffestung langsam zu umrunden, um die Schäden zu begutachten.

Rocksteady und Bebop laufen ein paar Meter vor ihnen, sie sind mit Kameras ausgestattet und dokumentieren so die Schäden. Die meisten Außenkameras hat es nämlich auch erwischt.

„Seit Monaten sind wir am Herumbasteln. Aber jetzt sind wir ja in der DimensionX, da dürfte wenigstens das mit den Ersatzteilen kein Problem mehr sein. Und vielleicht lässt Krang auch ein paar Profis kommen, die wissen, was sie tun. Ich kenne ja meist nicht mal die Namen der Dinge, die ich da instandsetze.“

Kazuo nickt nur und versucht, seinem Bruder nicht allzu bewundernde Blicke zuzuwerfen. Das hier geht doch weit über die üblichen Heimwerker-Tätigkeiten wie einen verstopften Abfluß zu beseitigen hinaus. Aber Saki war ja schon immer gut darin, Dinge zu reparieren – wenn Kazuo da nur an tropfende Wasserhähne oder ihre Fahrräder denkt... und wieviele Nachmittage haben sie wohl im Hof gesessen und gemeinsam ihre Mofas aufgemotzt?

Alles, was er darüber weiß, hat ihm sein Bruder beigebracht.

Wie konnte er all das in den letzten Jahren nur verdrängen? Das ist ihm jetzt wirklich peinlich.

So übel scheint es hier ja gar nicht zu sein“, wechselt er das Thema und wirft diesmal einen besonders langen Blick um sich. Es ist empfindlich kühl, genau wie sein Bruder gesagt hat, und die Landschaft ist karg und felsig und die vorherrschende Farbe des Lichts ist hier Rot und wahrscheinlich hat sich hier schon mal jemand zu Tode gelangweilt, aber er kann sich schlimmere Orte vorstellen.

Andererseits kann er sich auch nicht vorstellen, dass sie die Strahlengewehre nur zur Zierde mitgenommen haben. Das Ding wiegt einiges.

„Na“, grinst Shredder unfroh, „dann warte mal, bis die Gar'taks aufwachen.“

„Gar'taks?“

„Lästige kleine Biester. Sie sehen aus wie Fellkugeln, aber sie haben fiese Zähne. Lass dich von ihnen bloß nicht beißen. Zum Glück sind sie nicht sehr schnell. Sogar die beiden Deppen da“, vielsagend nickt er zu Bebop und Rocksteady hinüber, „haben es geschafft, sich noch nie beißen zu lassen. Und das heißt schon was, wenn ich bedenke, was hier schon alles hinter ihnen her war.“

Der sanfte Unterton und das kleine Lächeln strafen seine harten Worte Lügen – er ist stolz auf seine Mutanten und er betrachtet sie als gute Freunde.

„Bleib also immer in der Nähe, Kazuo.“

Der nickt nur, zögert und lässt dann das Gewehr von seiner Schulter in seine Hände gleiten. Sicher ist sicher.

Sie machen weiter mit der Inspektion und finden einen Hüllenbruch und beschließen nach einer kurzen Rücksprache mit Krang per Kommunikator, diesen sofort zu beheben, weil er doch ziemlich nahe am Boden ist und keiner von ihnen Lust auf ungebetenen Besuch hat. Krang schickt ihnen eine Drohne, die ihnen ein Wägelchen mit Material und Werkzeuge bringt, und dann machen sich die vier an die Arbeit, wobei Shredder und Bebop die Hauptarbeit erledigen, während Rocksteady und Kazuo ihnen nur die Werkzeuge reichen und ab und an mal eine Metallplatte festhalten, damit die anderen beiden sie festschweißen können.

Shredder und seine beiden Mutanten arbeiten so routiniert zusammen, dass klar wird: sie machen so etwas öfter.

Kazuo kommt sich fast ein wenig überflüssig vor, und weil er sieht, wie sich Rocksteady in regelmäßigen Abständen sichernd umsieht und dabei immer wieder den Sitz seiner Waffe überprüft, macht er es ihm nicht nur nach, sondern geht bald fast vollständig dazu über, die Gegend im Blick zu behalten.

Als das erste kugelrunde Ding auf sie zuspringt, ist er über den Anblick so verdutzt, dass er sein Gewehr wieder sinken lässt.

„Gar'tak!“ hört er Rocksteady neben sich rufen, ein roter Lichtfinger zischt über den Felsen, trifft das Ding und schleudert es einen Meter zurück. Es quietscht auf und springt wieder dorthin zurück, woher es kam. Dummerweise scheinen seine Artgenossen solche Warnungen nicht zu verstehen, denn plötzlich sind da ganz viele dieser Wesen, die auf sie zurollen und zuhüpfen.

Kazuo schüttelt seine Betäubung ab, nimmt das Gewehr in beide Hände, legt an und schießt. Er hat noch nie auf etwas Lebendiges geschossen, und vielleicht ist es hilfreich, daß er gesehen hat, daß diese Schüsse diese Wesen nicht töten, aber spätestens nachdem er dem zehnten Gar'tak einen auf den Pelz gebraten hat, empfindet er so etwas wie grimmigen Ärger auf diese dummen Tiere. Und beim fünfzehnten ist er in einen Zustand der konzentrierten Gefühlskälte gerutscht, der mit seinen regelmäßigen Übungen auf dem Schießstand vergleichbar ist, wo es nur leblose Zielscheiben gibt und sein Name seit Jahren die Top Ten der besten Schützen anführt.

Dumm auch für die Gar'taks, daß er sich als letzte Verteidigungslinie zwischen ihnen und seinem Niichan sieht...

 

 

„He, Chefchen“, Bebop klopft Shredder um Aufmerksamkeit heischend auf die Schulter und deutet dann, als dieser ihm einen fragenden Blick zuwirft, zu Rocksteady und Kazuo hinüber, die ihnen hier den Rücken freihalten. „Der kann besser schießen als du.“

Es ist eindeutig, dass er damit nicht Rocksteady meint, denn dessen gute Schießkünste sind ihnen beiden hinlänglich bekannt.

Shredder schiebt sich die Schweißerbrille in die Stirn, dreht den Kopf, und großer Stolz erfüllt ihn, als er seinen Bruder dabei beobachtet, wie dieser die Gor'taks so erfolgreich abwehrt.

„Ja“, murmelt er, während sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen schleicht. „Das kann er, nicht wahr?“

Dann wird er sich Bebops intensiven Blickes bewusst und schiebt schnell und besonders grimmig hinzu: „Er ist ein Bulle, natürlich kann er gut schießen.“

Es ist Bebops großes Glück, dass Shredder seine Augen hinter seiner lila Brille nicht sehen kann (Bebop weiß schon, warum er sie trägt) und daher nichts von dem vergnügten Funkeln in ihnen weiß. Bebop gelingt es sogar, nicht zu grinsen.

„Wir könnten so jemanden wie ihn gut gebrauchen“, meint der Mutant nur trocken und geht dann wieder zurück an seine Arbeit.

Shredder beobachtet seinen Bruder noch eine ganze Weile gedankenverloren, bis er sich dessen bewußt wird, dann schnippt er sich die Schutzbrille wieder auf die Nase und dreht sich hastig wieder um, um weiter zu schweißen.

Drei Minuten später sind er und Bebop fertig, werfen sich ein erleichtertes Grinsen zu und packen ihr Werkzeug wieder ein.

Shredder will sich gerade umdrehen und den anderen beiden zurufen, daß sie jetzt aufbrechen können, da schreit Bebop neben ihm plötzlich warnend auf, packt ihn am Arm und zieht ihn nach hinten.

Aus seinem Augenwinkel sieht Shredder eine Bewegung, es ertönt ein ziemlich sattes, platschendes Geräusch und der Gar'tak, der sich eben von oben auf ihn herabfallen lassen wollte, fliegt, getroffen durch einen wie einen Baseballschläger geschwungenen Gewehrkolben, drei Meter durch die Luft.

Shredder, der noch nicht ganz begriffen hat, was da eben geschah, sieht, wie Kazuo mit einem grimmigen Gesichtsausdruck an ihm vorbei zu dem betäubten Gar'tak hinübergeht und das Tier gnadenlos unter seinem Stiefel zermalmt.

Dann dreht sich Kazuo, das Gewehr lässig auf der Schulter, mit einem strahlenden Lächeln zu ihm herum.

„Alles okay?“

Shredder schluckt nur einmal schwer und nickt dann. Er ist so verblüfft, dass er glatt vergisst, sich zu bedanken.

„Coole Aktion, Kazuo!“ lobt Bebop mit hochgerecktem Daumen.

Der brummt nur einen Dank, hebt den Kopf und betrachtet die Gleisketten, die hinter ihnen aufragen, misstrauisch.

„Sie kommen übers Kettenlaufwerk. Besser, wir gehen. Oder sollen wir sie abwehren? Bevor sie einen Weg ins Technodrome finden? Bei den vielen Löchern ist das mehr als wahrscheinlich.“

„Nee“, erwidert Rocksteady, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hat, „die kommen nicht rein. Die betreten kein Haus, kein Zelt, kein Fahrzeug. Geschlossene Räume gefallen ihnen nicht.“ Während er redet, schießt er noch schnell ein paar der letzten Gar'taks über den Haufen. „Aber wir sollten jetzt wirklich gehen.“

Mit diesen Worten bückt er sich, hebt das Werkzeug auf und wirft es lautstark auf das kleine Wägelchen.

Es ist, als würde das Geräusch Shredder aus einer Art Trance wecken, er findet jedenfalls plötzlich wieder zu seiner gewohnten Autorität plus Kommandoton zurück.

„Dann steht hier nicht so blöd herum, ihr Produkte einer Schnecke! Auf geht’s!“

 

 

Eine Handvoll Gar'taks folgt ihnen noch, aber nur so lange, bis sie auf der anderen Seite des Technodromes sind. Vielleicht wurde es ihnen zu langweilig.

Die vier trauern ihnen nicht nach.

Kazuo, der als Letzter geht und ihnen wachsam den Rücken deckt, eilt erst auf einen Zuruf seines Bruders nach vorne, wo ihm Shredder eine Kamera in die Hand drückt.

Während die beiden Brüder die Schäden auf dieser Seite aufzeichnen, trotten Bebop und Rocksteady ein paar Meter hinter ihnen und schieben das Wägelchen.

„He, Nasi. Pst“, macht Bebop plötzlich leise, lehnt sich zu seinem Freund hinüber und flüstert in sein Ohr: „Hör mal: Shredder liebt seinen Bruder.“

„Hä?“ macht Rocksteady nur verständnislos und reibt sich die Nase. Von Gor'taks bekommt er immer allergischen Schnupfen. „Natürlich tut er das. Sie sind Brüder.“

„Ich meine“, konkretisiert Bebop mit immer noch gesenkter Stimme und immer ein sicherndes Auge auf die beiden Männer wenige Meter vor ihnen: „Er liebt ihn ein wenig mehr als nur … nun ja, brüderlich.“

„Echt?“ Rocksteady wirft einen neugierigen Blick zu Shredder und Kazuo hinüber und beobachtet sie etwas genauer.

Jetzt, wo es Bebop erwähnt … die Blicke, die Shredder seinem Bruder zuwirft, die Art, wie er mit ihm redet und seine gesamte Körpersprache: so offen, so sehr Kazuo zugewandt, als zähle nichts auf dieser Welt mehr als diese eine Person … es ist subtil, aber wenn man es einmal entdeckt hat, findet man immer mehr Hinweise.

Rocksteady wirft Bebop einen verstohlenen Seitenblick zu. Vielleicht muß man dieses Gefühl kennen, um es bei anderen wieder zu erkennen.

Rocksteady denkt kurz darüber nach und zuckt dann mit den Schultern.

„Na ja... sie sind erwachsen.“

Andererseits – die beiden sind Brüder! Das macht das Ganze etwas … pikant. Rocksteady denkt an seine eigenen Geschwister, denkt daran, wie es wohl wäre … und schüttelt sich innerlich. Er ist nicht einmal dazu fähig, den Gedanken zu Ende zu denken.

„Hm...“, macht Bebop plötzlich gedankenverloren.

Rocksteady wirft ihm einen neugierigen Blick zu.

„Was?“

Bebops Blicke hängt noch immer wie gebannt an Shredder und Kazuo, obwohl die beiden weder besonders nahe beieinander stehen oder sich besonders ausgiebig unterhalten, sondern nur in einem geradezu heilig anmutenden Ernst die Außenwände des Technodromes abfilmen.

„Na, ich dachte nur gerade …“, meint er dann ungewohnt grüblerisch, „es kam mir damals schon irgendwie komisch vor, wie er auf Kazuo reagiert hat, damals, weißt schon, als der sich mit den Turtles verbündete um ihn zu verhaften. Er war mehr … enttäuscht und verletzt als wütend.“

„Ja, ich erinnere mich. War das erste und einzige Mal, dass er sich nach so einem Tag voll die Kante gab. War echt nicht lustig.“ Rocksteady schaudert in Erinnerung daran, und auch Bebop stimmt ihm da beklommen zu. Shredder neigt nicht dazu, sich zu betrinken, dazu hängt er viel zu sehr an seinen Gehirnzellen, aber an diesem Abend vor knapp anderthalb Jahren war er regelrecht abgestürzt.

Für die Dauer einiger Sekunden beobachten sie die beiden Brüder einfach nur schweigend.

„Jetzt scheint Kazuo aber doch ganz in Ordnung zu sein...“, beginnt Bebop schließlich und beweist dann, dass er durchaus zu sehr tiefsinnigen Gedanken fähig ist: „Er war dabei als Shredder starb, vielleicht liegt es daran.“

„Shredder starb nicht“, widerspricht ihm Rocksteady sofort. „Das war der Avatar.“

„Ja, genau, das meine ich“, stimmt ihm Bebop gutmütig zu. „Aber Kazuo wußte das doch nicht. Für ihn war es sein Bruder, der starb.“

„Hm...“ meint Rocksteady gedehnt und wirft ihm einen langen Seitenblick zu.

„Was?“

„Wenn ich dran denke, ich müsste zusehen, wie du stirbst...“ schaudernd schlingt Rocksteady die Arme um um seinen Oberkörper und umarmt sich selbst.

„Musst du doch nicht, Nasi.“ Tröstend zieht Bebop ihn an sich und gibt ihm einen zärtlichen Kuß auf die Nase. „Entschuldige, dass ich damit überhaupt angefangen habe. Und jetzt hör auf, an sowas zu denken, okay?“

Rocksteady nickt nur wortlos. Doch ab sofort betrachtet er Kazuo mit wesentlich mehr Nachsicht und Verständnis.

 

Kapitel 8

Kapitel 8

 

„Nein, Shredder.“ Krangs Tonfall, Mimik und sogar die Gestik sind eindeutig – die Gestik sogar doppelt, weil er nicht nur seine Tentakel kreuzt, sondern auch sein Androidenkörper seine Arme vor der Brust verschränkt.

Das hält Shredder aber nicht ab, es nicht trotzdem zu versuchen.

„Und wenn wir wieder etwas Energie von der Lebenserhaltung abzwacken?“ schlägt er vor.

Nein, Shredder!“

„Aber es hat vorgestern doch auch geklappt.“

Krangs Miene wird mörderisch. „Und das Ergebnis ist uns allen wohlbekannt.“

Auf seine Worte folgt betretene Stille. Shredder besitzt sogar so viel Anstand, beschämt zu Boden zu blicken. Zumindest ein paar Sekunden lang.

„Und wenn wir...“ beginnt er dann erneut, doch Krangs scharfe Stimme schneidet ihm sofort das Wort ab.

Nein, Shredder!

„Du weißt doch noch gar nicht, was ich sagen wollte!“

„Irrelevant.“

„Ach, Krang, komm schon!" Verzweifelt wirft Shredder die Arme in die Höhe. „Kazuo muß nach Hause!“

„Das hättest du dir früher überlegen müssen, als du ihn ungefragt mitgebracht hast“, kommt es mitleidlos zurückgeschnarrt.

An dieser Stelle bricht Kazuo, der sich bisher höflich im Hintergrund hielt, sein Schweigen und hebt die Hand.

„Ich hab's mit der Rückkehr echt nicht eilig.“

„Da siehst du's, Shredder", Krang grinst triumphierend. „Er will gar nicht nach Hause. Also stehlt mir nicht weiter meine Zeit. Nehmt euch lieber ein Beispiel an Bebop und Rocksteady-“ vielsagend deutet er auf einen Monitor, der ihm Aufnahmen der Überwachungskameras zeigt, wo tatsächlich die beiden Mutanten einmal Eigeninitiative beweisen und einen der vielen Räume des Technodromes aufräumen. Dass es sich dabei um die Waffenkammer handelt und die beiden bestimmt nur irgend etwas abzustauben hoffen, diesen Fakt ignoriert er lieber – er kennt seine Pappenheimer. Und das ist hier auch gar nicht der Punkt.

„Räumt lieber noch etwas auf, meine Kampffestung sieht aus wie ein Schweinestall. Vor allem das Ersatzteillager.“

„Aber...“ versucht es Shredder, doch Krang gibt ein warnenden Zischen von sich und wedelt vielsagend mit seinen Tentakeln.

„Husch, husch. Raus mit euch.“

Shredder funkelt ihn an, weiß jedoch, wann er verloren hat. Und so wirbelt er nur auf dem Absatz herum und zieht seinen Bruder am Ärmel hinter sich her aus der Kommandozentrale.

Kazuo verbeißt sich ein Schmunzeln. Zuerst hatte er ja gewisse Vorbehalte, was diesen Krang betrifft, aber für ein Alien scheint er doch ganz in Ordnung zu sein – wenn man seine Welteroberungsambitionen mal außen vor lässt. Wäre Krang so grausam wie man es Kazuo immer gesagt hat, säße er bestimmt schon in einer engen Kerkerzelle – oder welches Äquivalent dazu es hier im Technodrome geben mag.

„Ich hab's wirklich nicht eilig mit der Rückkehr“, erklärt er, während er seinem Bruder über einen Gang folgt, der auch die eine oder andere Reparatur gebrauchen könnte. „Ich bleibe gerne noch etwas länger“, ergänzt er, während er mit dem Fuß eine herabgefallene Deckenplatte zur Seite schiebt.

Shredder sagt nichts und beäugt nur mißtrauisch ein Loch in der Wand, hinter dem elektrische Leitungen Funken sprühen – je heftiger sie das machen, desto stärker flackert das Licht. Shredder umgeht die Stelle in einem großen Bogen und Kazuo macht es ihm nach und meint dann:

„Und auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: die kommen alle ganz wunderbar ohne mich zurecht.“

„Schon gut“, knurrt Shredder. „Ich hab's kapiert. Und ohne Krangs Einverständnis geht hier sowieso nichts. Aber sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

Kazuo nickt nur gehorsam.

 

 

Der Lagerraum ist auf derselben Etage – aber das wundert Kazuo nicht. Es ist nur logisch, wenn man den Zustand des Technodromes bedenkt – und der soll ja laut der Aussage seines Bruders schon monatelang so katastrophal sein. Es ist sicherer, die notwendigen Dinge da aufzubewahren, wo man sie problemlos erreichen kann.

Auf dem Weg nach draußen hat er ja gesehen, wie die Treppen hier aussehen – es gibt sie schlichtweg nicht mehr. Stattdessen behelfen sie sich mit notdürftig an den Wänden befestigten Steigleitern.

Von den Aufzügen funktioniert wohl nur noch ein Lastenaufzug – manchmal zumindest.

Unter diesem Umständen ist er mehr als froh, dass sich der Lagerraum da befindet, wo er sich befindet.

Kazuo ist den Anblick von Schäden, die durch ein Beben verursacht wurden, von Zuhause gewohnt, von daher ist er nicht überrascht, als sie die Tür zum Lagerraum zurückschieben und sie ein mittleres Schlachtfeld erwartet.

Aber schon nach der ersten Bestandsaufnahme zeigt sich: es sieht schlimmer aus als es ist. Es ist kein Regal umgefallen, aber dafür hat es viele Regalbretter aus ihren Verankerungen gerissen und alles, was auf ihnen lag, liegt jetzt hier zu ihren Füßen. Zum Glück war das meiste gut verpackt

Schweigend und mit der Routine von Männern, die so etwas öfter machen, gehen sie an die Aufräumarbeit.

In Kazuo weckt diese Situation längst vergessen geglaubte Erinnerungen.

„Erinnerst du dich noch an das Erdbeben?" fragt er unvermittelt, hält mitten in der Bewegung inne und sieht zu seinem Bruder hinüber. Der kniet mit dem Rücken zu ihm nur zwei Meter entfernt am Boden und sortiert Kabel, Platinen und Transistoren.

„Welches? Es gab viele davon."

„Ja, das stimmt", murmelt Kazuo, den Blick noch immer auf seinem Bruder und gedanklich doch Jahre entfernt. Er weiß nicht, wieso ihm das nie bewußt wurde, aber der Schrecken und die Angst, die er als Kind oder Jugendlicher durchlebte, wenn wieder mal die Erde bebte, war nicht halb so groß wie in seiner Zeit als Erwachsener. Bisher dachte er immer, das läge daran, dass er als Erwachsener jetzt ganz genau weiß, wie gefährlich diese Art der Naturkatastrophe sein kann, aber nun wurde ihm klar, dass es an etwas anderem lag. Und dieses etwas, oder eher gesagt, dieser jemand kniet jetzt zwei Meter entfernt und versucht, Elektroschrott zu entwirren.

Kazuo kann sich an kein Erdbeben vor seinem achtzehnten Lebensjahr erinnern, wo sein Bruder nicht bei ihm war und ihn in den Arm nahm - sei es währenddessen oder kurz darauf.

„Ich meine dieses Erdbeben, als ich in der Grundschule war und du schon auf die Mittelschule gingst. Ich erinnere mich noch daran, dass ich mich wie alle anderen unter dem Tisch versteckt habe und das Hauptbeben war gerade vorbei und dann warst du plötzlich da, bist zu mir unter den Tisch gekrochen und hast mich umarmt." Um seine Lippen spielt ein versonnenes Lächeln. „Deine Schule lag auf der anderen Straßenseite und du bist einfach übers Schultor geklettert."

„Und dafür hab ich einen Verweis kassiert", ergänzt Shredder trocken.

„Oder das andere mal", fährt Kazuo gedankenverloren fort, „da war ich noch ganz klein. Ich kann mich kaum an etwas erinnern, ich weiß nur, dass wir in einem Wald oder Park waren, als es anfing. Du musst selbst noch klein gewesen sein, aber ich fühlte mich sicher bei dir."

Shredder hält mitten in der Bewegung inne und wirft ihm einen langen Blick zu.

„Worauf willst du hinaus?"

„Keine Ahnung", erwidert Kazuo ausweichend und zuckt betont gelangweilt mit den Schultern. „Fiel mir nur gerade wieder ein."

„Ich bin der ältere", gibt Shredder schroffer als notwendig zurück, „ich war für dich verantwortlich. Da ist es doch selbstverständlich, dass ich in einer solchen Notsituation für dich da bin."

Kazuo starrt ihn für einen Moment nur an, nickt und wendet sich dann wieder dem Regal neben sich zu, wo er damit fortfährt, die Regalbretter wieder richtig einzuhängen.

„Du warst vier“, meint Shredder völlig unvermittelt ohne dabei in seiner Beschäftigung innezuhalten oder gar den Kopf zu heben. „Es war das erste Mal, daß ich mit dir bei einem Erdbeben allein unterwegs war. Und es war das Stadtwäldchen. Ich hatte dich gerade vom Kindergarten abgeholt. Wir waren auf dem Weg nach Hause und du wolltest unbedingt noch ein Eis...“ Er hält kurz inne und fährt dann nach einer kleinen Pause fort: „Dein Eis ist dir runtergefallen, als es anfing, und du hast furchtbar geweint und ich wusste gar nicht, was ich tun soll...“

Er hebt den Kopf und wirft Kazuo über seine Schulter hinweg ein schiefes Lächeln zu.

„Ich staune, dass du dich überhaupt noch daran erinnerst. Du warst noch so klein...“

Er zwinkert ihm kurz zu und widmet sich dann wieder dem Durcheinander vor seinen Füßen.

Kazuo starrt ihn nur an. Wie könnte er nicht? Es ist das erste Erdbeben, an das er sich bewusst erinnert und Saki hat ihn beschützt. Dabei war er selbst noch ein kleines Kind.

„Oh, ich erinnere mich auch daran, daß du mir danach ein neues Eis gekauft hast.“

„Weil du geweint hast.“

„Ich habe nicht wegen des Eises geweint.“

„Ich weiß.“ Shredder zögert einen Moment und zuckt dann mit den Schultern. „Ist doch normal. Du hattest eben Angst. Du warst noch so klein und ich wusste nicht, wie ich dich anders beruhigen könnte. Also habe ich dir ein neues Eis gekauft. Zum Glück war es nur ein kleines Beben und der Supermarkt hatte noch geöffnet. Trotzdem hat der Verkäufer nicht schlecht gestaunt... er... hm“, er setzt sich auf die Fersen und reibt sich gedankenverloren übers glatte Kinn, „ich glaube mich zu erinnern, dass wir das Eis sogar geschenkt bekamen.“

„Das mit dem Eis wurde zu einer schönen Tradition.“ Lächelnd geht Kazuo zu ihm hinüber und läßt sich neben ihn sinken, tut so, als wolle er ihm helfen und dabei will er ihm doch nur nahe sein und ihm ins Gesicht sehen. „Nach jedem Erdbeben haben wir ein Eis gegessen. Sogar im Winter.“ In Gedanken daran lacht er einmal kurz auf. „Na ja, das war auch immer irgendwie das Einzige, das heilgeblieben ist.“

Und später haben sie sich dann gemeinsam daran gemacht, Eier, Sushi und Suppenreste aus dem Kühlschrank zu kratzen. Und obwohl es niemals lustig war, denkt Kazuo an diese Zeit jetzt mit einem warmen Gefühl zurück.

Shredder mustert ihn stirnrunzelnd.

„Ich verstehe … du willst ein Eis, nicht wahr? Nun, tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber das war eine Phasenverschiebung, kein Erdbeben.“

„Kontinentalplatten- oder Phasenverschiebung – das Ergebnis ist dasselbe. Sieh dich doch nur um.“ Grinsend deutet Kazuo auf das Tohuwabohu um sie herum.

Shredder versucht sich zuerst in einem strengen Blick, doch dann schmunzelt er und stellt bedauernd fest:

„Wir haben kein Eis, Kaz-chan.“

„Oh, ich bin flexibel. Außerdem sind wir erwachsen, wir geben uns doch nicht mehr nur mit Eis zufrieden. Wie sieht's aus mit Sake? Bier? Oder ein guter Burgunder?“

„Du trinkst? Ich bin entsetzt.“ Und das scheint er wirklich zu sein, seinem Tonfall und der Mimik nach zu urteilen.

Kazuo tut es fast leid, das gute Bild von sich zerstören zu müssen, das sein Niichan anscheinend von ihm hat. Aber nur fast.

„Nominication“, erwidert er daher mit einem feinen Lächeln. „Wenn ich nicht regelmäßig mit den Kollegen und Vorgesetzten in einer Karaokebar die Sau rauslasse, bin ich untendurch.“

Dass er tatsächlich einmal so betrunken war, dass er sich dann am nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern konnte, seiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht zu haben, verschweigt er lieber.

Shredder verdreht die Augen und wirft ihm dann einen mitleidigen Blick zu.

„Stimmt ja, da war ja was...“

„Trinkst du denn gar nicht mit deinen Freunden?“ erkundigt sich Kazuo erstaunt.

„Selten. Das letzte Mal, als ich mit einem ausgewachsenen Kater aufgewacht bin, das liegt jetzt anderthalb Jahre zurück.“ Über seine Miene huscht kurz ein Ausdruck des Schmerzes, als er sich daran erinnert, was genau für diesen Absturz verantwortlich war, doch er hat sich schnell wieder im Griff und flüchtet sich in ein schelmisches Lächeln. Zum Glück scheint Kazuo noch nicht die richtigen Schlüsse gezogen haben.

„Ich hänge an meinen Gehirnzellen, weißt du? Aber ich schätze, dir als Bullen macht es nichts, wenn die eine oder andere fehlt. Selbst so sind die Verbrecher eh alle dümmer als du.“

Kazuo legt den Kopf schief, mustert ihn lange und eindringlich und fragt dann gedehnt:

„War das eben ein Kompliment?“

Betont gleichmütig zuckt Shredder mit den Schultern.

„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“ Zwischen ihnen entsteht ein merkwürdiges Schweigen, und da Shredder befürchtet, seinen cleverer Bruder könnte doch noch ein Geistesblitz ereilen, räuspert er sich schnell und schlägt vor:

„Ich habe zwar keinen Burgunder da, kann dir aber einen guten Merlot anbieten. Wie wär's? Bringen wir das hier erst in Ordnung und dann ein Glas Wein? Oder zwei? Oder drei?“ ergänzt er grinsend. „Ich habe meinen kleinen Bruder schließlich noch nie betrunken erlebt...“

Kazuo lacht nur gutmütig. Da kann sein Niichan lange warten – der Tag, an dem er von Wein betrunken wird, muss erst noch erfunden werden.

 

 

 

Kapitel 9

Kapitel 9

 

Als Rocksteady und Bebop mit knurrenden Mägen und trockener Kehle in die Küche stolpern, bietet sich ihnen ein überraschendes Bild:

Da sitzt Shredder auf seinem Stammplatz – der Kopfseite - am Küchentisch und an seiner rechten Seite hockt Kazuo, jeder von ihnen hat ein Glas Rotwein vor sich, die dazugehörige Flasche steht auch nicht weit entfernt und zwischen ihnen beiden liegen Mikadostäbchen.

Es ist nicht die Tatsache, dass Shredder augenscheinlich irgendwo ihr Mikado-Spiel gefunden hat oder jene, dass sie die beiden Brüder hier antreffen, die sie erstaunt, sondern – der Wein. Ihr Chefchen trinkt so gut wie nie, schon gar nicht nach seinem Absturz damals.

Rocksteady und Bebop werfen sich einen langen Blick zu, versuchen aber, sich ihre Verwunderung nicht anmerken zu lassen.

„Hey“, meint Shredder zu ihnen, während er gedankenverloren ein rot-grün-blau gestreiftes Holzstäbchen zwischen den Fingern kreisen läßt, „wollt ihr mitspielen?“

„Das willst du nur, weil du gerade am Verlieren bist“, grinst Kazuo.

„Wer verliert denn hier?“ murmelt Shredder, beugt sich stirnrunzelnd etwas vor und hebt hochkonzentriert einen Stab von dem Haufen ab.

Die beiden Mutanten tauschen wieder einen Blick und kommen dann zu einer stillen Übereinkunft.

„Nee, spielt ihr mal nur alleine“, erklärt Rocksteady dann, während sie sich daranmachen, den Kühlschrank zu plündern.

Bepackt mit allem, was ungekocht oder kalt verspeist werden kann, ziehen sie wieder von dannen.

Eigentlich lieben sie Mikado und sie würden auch gern eine warme Mahlzeit zu sich nehmen, aber diesmal verzichten sie darauf. Shredder und Kazuo sollen ruhig ein wenig Zeit alleine miteinander verbringen. Sie wollen das junge Glück nicht stören.

Und so grinsen sie sich nur vielsagend an und schlendern zurück zu ihrem eigenen Quartier.

 

 

„Gewackelt. Hab's geseh'n." Zwanzig Minuten und drei Gläser Wein später hat Shredder einen Schluckauf und neigt dazu, Silben zu verschlucken. Und er wirft Japanisch und Englisch höchst amüsant zusammen.

„Ach, verdammt", enttäuscht zieht Kazuo seine Hand wieder zurück und greift stattdessen zum Weinglas, um sich den letzten Schluck zu genehmigen. Seine Aussprache und sein japanisch sind noch einwandfrei.

Shredder ihm gegenüber grinst selbstgefällig und streckt die Hand nach den Mikadostäbchen aus. Auf halben Wege beginnen seine Finger plötzlich zu zittern. Grummelnd schließt er die Hand zur Faust und öffnet sie dann wieder; das wiederholt er mehrmals, aber als er sie wieder ausstreckt, dauert es nur wenige Sekunden, da zittern seine Finger erneut.

Er holt einmal tief Luft, konzentriert sich und versucht es erneut, und diesmal scheint es zu funktionieren. Aber gerade, als er das Mikadostäbchen berührt, fängt das Zittern wieder an, diesmal so stark, das es den ganzen Haufen verrutschen lässt.

Shredder stößt einen unfeinen Fluch aus, umklammert die renitente Hand mit seiner anderen und lehnt sich geschlagen zurück.

„Hast gewonnen", grunzt er.

Kazuo wirft ihm einen scharfen Blick zu. Im Gegensatz zu seinem Bruder ist er noch relativ nüchtern – nun schüttet er den Wein auch nicht in sich hinein als wäre es Wasser und sitzt noch an seinem zweiten Glas – und so bemerkt er Dinge, die seinem Bruder zu kaschieren jetzt schwerfallen. Für den unbedarften Beobachter mag es vielleicht so aussehen, als würde sich sein Niichan lässig auf seinem Stuhl lümmeln, doch Kazuo sieht die Erschöpfung dahinter. Außerdem rutscht Shredders Blick oft ins Leere ab, aber auf eine Weise, die nicht nur dem Alkohol geschuldet sein kann. Seine Bewegungen wirken schwerfällig, und jetzt auch noch dieses Zittern...

„Alles in Ordnung mit dir?“

„Verdammt“, flucht sein Bruder nur und schleudert seine gewonnenen Stäbchen mit einer ungeduldigen, wedelnden Handbewegung zu dem Haufen zwischen ihnen. „Ich hab verloren. Mal wieder. Verdammter Mist aber auch.“

Wenn er flucht, klingt er einigermaßen klar, aber das täuscht.

„Wie alt bist du? Drei?“ tadelt ihn Kazuo und packt das Spiel wieder ordentlich in die Schachtel zurück.

Shredder schneidet nur eine Grimasse und greift nach seinem Weinglas. Auf halbem Wege wechselt er die Hand, weil diese wieder zu zittern beginnt.

Kazuo runzelt die Stirn. „Ich hoffe, das ist nichts Ernstes?“ will er mit einer vielsagenden Geste zu der Hand seines Bruders wissen. „Bist du sicher, dass das keine Nachwirkung von Krangs Experiment ist?“

Er glaubt selbst nicht, dass es so einfach ist, denn dann hätte sich dieses Problem bei seinem Bruder schon im nüchternen Zustand gezeigt. Seiner Erfahrung nach könnten das eher die ersten Anzeichen für ein posttraumatisches Streßsyndrom sein.

Shredder starrt ihn für einen Moment nur irritiert an, doch dann fällt auch bei ihm der Groschen – wenn auch alkoholbedingt sehr langsam.

„Krang macht keine Fehler!“ Die Vehemenz, mit der er das Alien verteidigt, läßt tief blicken. „Glaub mir, der hat mich davor und während und danach gründlich gescannt. Und mein Körper war ja ständig hier, der kann gar nichts abbekommen haben. Nee“, gibt er schließlich mit einem schiefen Grinsen zu, „ich hab nur nich' mehr geschlafen seit der Sache...“

Kazuo weiß sofort, was er mit „der Sache“ meint und dann rechnet er kurz nach und seine Augen weiten sich entsetzt. Er ist nämlich nicht so naiv, die Zeit, in der Shredder gefangen in seinem Duplikat-Körper im Koma um sein Leben kämpfte, als erholsamen Schlaf (oder überhaupt Schlaf) zu bezeichnen.

„Gar nicht? Auch nicht, als ich bei dir schlief?“

Shredder schüttelt den Kopf.

Einigermaßen fassungslos starrt Kazuo ihn an. Aber zu der Fassungslosigkeit gesellt sich auch eine tiefe Schuld – wie konnte er so selig schlafen, während sein Bruder...?

„Du hast einfach dagelegen und...“ mich gehalten, will er sagen, doch er hält rechtzeitig inne. „Wieso hast du nicht geschlafen?“ will er stattdessen wissen.

Shredder zuckt nur mit den Schultern und lächelt etwas unglücklich.

„Konnte einfach nich'. Und dann hat Krang mich gebraucht. Reparaturen, weißt schon...“ Er zuckt wieder mit den Schultern, als könne er damit alles abtun. Um dem durchdringenden Blick seines kleinen Bruders zu entkommen, nimmt er schnell noch einen Schluck Wein. Jetzt zittert seine Hand nicht mehr. Verdammt aber auch... nicht zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich von seinem Körper verraten. Das ist immer ärgerlich, aber ausgerechnet vor Kazuo sollte das nie passieren!

„Und jetzt?“ will Kazuo schließlich wissen. „Glaubst du, du kannst jetzt schlafen?“

„Hier?“ witzelt Shredder mit einer weitausholenden Geste, die die ganze Küche mit einschließt – und bei der er fast vom Stuhl gerutscht wäre.

Um Kazuos Lippen spielt wieder dieses merkwürdige Lächeln, das Shredder nicht deuten kann.

„Trinken wir aus“, erklärt er und geht mit gutem Beispiel voran, bevor er zur Weinflasche greift und Shredder ungefragt nachschenkt. „Wär schade um den guten Wein. So etwas Gutes lässt man nicht verkommen.“

Shredder nimmt den Wein gerne, wirft ihm aber einen schiefen Blick zu.

„Willste mich betrunken machen?“

„Das, mein lieber Niichan“, erwidert Kazuo liebevoll und tätschelt seine Wange, „bist du doch schon längst.“

Shredder hickst nur bestätigend, prostet ihm zu und leert sein Glas in einem einzigen Zug.

 

 

Shredder ist angetrunken, aber noch lange nicht betrunken, denn er ist durchaus sehr gut fähig, ohne Hilfe zu gehen. Was ihm zu schaffen macht, ist die Müdigkeit, die er jetzt, wo der Alkohol seine Selbstbeherrschung aushöhlt, immer stärker zu spüren bekommt. Ihm ist schwindlig und der Weg zu seinem Quartier ist weit – und der zum Waschraum noch weiter. Und den muß er jetzt wirklich dringend aufsuchen; und die Zähne sollte er sich auch langsam putzen, die fühlen sich schon ekelhaft belegt an.

Und für ihn ist es völlig in Ordnung, wenn Kazuo ihn stützt. Kazuos eine Hand um Shredders Hüfte und die andere auf seiner Brust – für Shredder fühlt sich das einfach nur gut an.

Sein kleiner Bruder ist ein starker, durchtrainierter Mann geworden.

Er ist so stolz auf ihn!

Dabei erinnert er sich doch noch gut wie er ihn das allererste Mal in seinen Armen gehalten hat – so klein und zerbrechlich. So zarte, weiche Haut und erst dieser typische Babyduft nach reiner Unschuld.

Er hat ihn vom ersten Augenblick an geliebt.

Und genau aus diesem Grunde muß er einen Weg finden, ihn wieder nach Hause zu bringen. Das Technodrome ist nicht der richtige Ort für Kazuo. Und die DimensionX erst recht nicht – sie wird ihn verändern. Sie hat damit schon begonnen, wenn er sich daran erinnert, wie ungerührt Kazuo diesem Gar'tak den Garaus gemacht hat. Wenn Kazuo noch länger hier bleibt, wird er so wie er – und das darf er einfach nicht zulassen!

„Du kommst nach Hause“, nuschelt er in Kazuos Haarschopf. „Bald. Das verspreche ich dir.“

„Jaja“, erwidert Kazuo in jenem Tonfall, in dem man üblicherweise mit Betrunkenen redet, um sie nicht unnötig aufzuregen. „Aber nicht jetzt. Jetzt sehen wir erst mal zu, dass wir dich ins Bett bekommen, okay?“

„Waschraum“, berichtigt ihn Shredder mit schwerer Zunge.

„Waschraum“, bestätigt Kazuo geduldig und führt ihn umsichtig weiter über den Korridor, dessen Beleuchtung immer noch in unregelmäßigen Abständen flackert.

Plötzlich gleitet kurz vor ihnen eine Tür beiseite und Rocksteady lehnt sich an den Türrahmen.

„Alles in Ordnung bei euch?“ will er mit einem äußerst kritischen Blick auf Shredder wissen.

Sein unvermitteltes Auftauchen hat Kazuo einen kleinen Schreck versetzt, doch er erholt sich schnell wieder.

„Ja, danke, alles klar. Er“, verlegen klopft er seinem Bruder auf die Brust, „hat nur etwas viel getrunken.“

„Brauchst du Hilfe?“ bietet Bebop an, der hinter seinem Kumpel aufgetaucht ist.

Kazuo schüttelt den Kopf und festigt den Griff um seinen Bruder etwas.

„Nein, danke, das schaff ich schon alleine.“ Sein Blick huscht kurz den Gang hinunter, wo er das Quartier seines Bruders weiß und wandert dann zu den beiden Mutanten zurück. Das wenige, was er durch die geöffnete Tür vom Raum dahinter sehen kann, lässt auf ein ebensolches Quartier wie Shredders schließen.

„Es ist mir gar nicht aufgefallen, dass ihr auch hier wohnt. Musstet ihr auch euer Zimmer wechseln?“

Shredder neben ihm schüttelt den Kopf, sucht aber zu lange nach Worten.

Rocksteady beobachtet diese kleine Hilflosigkeit mit einem sanften Lächeln.

„Jein“, erwidert er dann. „Wir sind freiwillig umgezogen.“ Und dann gibt er leise zu, mit einem vielsagenden Kopfnicken zu Shredder: „Wir wollten in seiner Nähe bleiben.“

„Die woll'n mich nur ständig nerven“, nuschelt Shredder, vergräbt kurz seine Nase in Kazuos Haaren und atmet dessen Duft einmal tief ein. „Ständig soll ich mit denen blöde Video... hicks... Videospiele spielen. Aber“, hier hebt er erst den Kopf und streckt dann tadelnd den Zeigefinger in die Höhe, „wenn's ums Arbeiten geht, sindse … hicks … nie da.“

Die beiden Mutanten grinsen nachsichtig, wünschen ihnen eine gute Nacht und verschwinden wieder in ihrem Quartier.

„Da“, anklagend zeigt Shredder auf die geschlossene Tür. „Was hab ich dir g'sagt? So is' das immer. Weiß gar nicht, wieso ich die behalte.“

„Weil du sie magst?“ schlägt ihm Kazuo vor, während er ihn weiterführt.

Shredder schnaubt nur. Selbst in diesem angetrunkenen Zustand würde er das niemals zugeben. Sie erreichen das Quartier, aber als Kazuo einen Schritt darauf zumacht, bleibt Shredder einfach kopfschüttelnd stehen und löst sich aus seinem Griff. Er schwankt einen Moment, findet aber schnell sein Gleichgewicht wieder.

„Ich muss ins Bad“, erklärt er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zulässt und macht gleichzeitig eine wedelnde Bewegung mit seiner Hand Richtung Tür.

„Du kannst dich ruhig schon mal hinlegen. Ich komme nach.“ Wenn es darum geht, jemanden herum zu kommandieren, klingt er plötzlich viel klarer.

Kazuo denkt an die erhöhte Unfallgefahr bei Alkoholisierten, vor allem in Zusammenhang mit feuchten Bodenfliesen und ist sofort wieder auf Tuchfühlung.

„Ich komme mit“, erklärt er.

Er kann auch sehr entschieden klingen, wenn er es darauf anlegt.

 

 

Kazuo ist es gewohnt, mit anderen Männern gemeinschaftlich zu duschen – jegliches, sofern vorhandenes Schamgefühl wurde einem im Wohnheim der Polizeischule abgewöhnt – und es gibt ja diese unausgesprochene Regel der Höflichkeit, die Augen immer oberhalb des Bauchnabels zu lassen, aber als er einen Blick auf die Rückansicht seines Bruders wirft, geschieht etwas mit ihm. Die breiten Schultern, die Art, wie sich dieser Oberkörper in diese schmalen Hüften verjüngt, all diese Muskelpakete, die sich unter der goldbraunen Haut abzeichnen und dann dieser feste Hintern … Kazuo verspürt plötzlich das Bedürfnis, ihn zu berühren. Richtig zu berühren. Er will mit seinen Fingern über diese glatte, schöne Haut streicheln, will das Spiel der Muskeln darunter und die Wärme dieses Körpers spüren. Er will jede Narbe und jedes Muttermal mit denen in seiner Erinnerung vergleichen.

Während er noch starrt, wird er sich plötzlich der Reaktion seines Körpers bewusst. Hastig rafft er das Handtuch etwas fester um seine Hüften.

Den Blick kann er trotzdem nicht abwenden.

Shredder steht weiterhin unter der Dusche, sich mit beiden Händen an der Wand abstützend und den Kopf gesenkt und während sich das lauwarme Wasser in einem, dem nachlassenden Druck geschuldeten, schwachen Plätschern über seinen müden Körper ergießt, kämpft er ohne es zu ahnen, mit ähnlichen Problemen wie sein Bruder.

Nur äußern sich seine starken Gefühle für seinen kleinen Bruder nicht in körperlichen Symptomen – dem Alkohol und seiner Erschöpfung sei Dank. Sie haben keine freien Quartiere, in denen Kazuo unterkommen könnte, also muß sein Bruder bei ihm schlafen. Aber er hat nur ein Bett! Einer von ihnen könnte auf dem Fußboden nächtigen, aber dieser kleine, vernünftige Gedanke verschwindet schnell wieder in der Versenkung, als Shredder daran zurück denkt, wie gut es sich anfühlte, als sich Kazuo an ihn kuschelte. Bisher wußte er es nicht, aber - das hat ihm so gefehlt!

Er denkt an ihre Küsse, aber auch an Kazuos Eifer ihn zu verhaften vor anderthalb Jahren und dann an Kazuos Tränen im Krankenhaus und schließlich daran, wie gut es sich anfühlte, ihn wieder in den Armen zu halten.

Und dann fällt ihm wieder ein, dass Kazuo nicht hierher gehört.

Mit einem tonlosen Seufzer stellt er das Wasser ab, richtet sich gerade auf, dreht sich um und – starrt direkt in das Gesicht seines Bruders.

Aber bevor er sich von dem Schreck noch richtig erholt hat, wirft ihm Kazuo ein großes Badetuch zu, schenkt ihm wieder dieses merkwürdige Lächeln und geht dann wortlos hinüber zu dem Waschtisch und greift nach Zahnbürste und Zahnpasta.

Shredder starrt ihm nur benommen hinterher, bis er sich irgendwann an das Badetuch erinnert und vor allem, wozu man es benutzt.

Während er sich abtrocknet, wirft er immer wieder einen verstohlenen Blick zu seinem jüngeren Bruder hinüber und kommt nicht umhin festzustellen, wie durchtrainiert und muskulös er wirklich ist. Da er immer nur diese blöden Anzüge trägt, sieht man das gar nicht richtig.

„Ich bin so stolz auf dich.“

Erst als sich sein Bruder erstaunt zu ihm umdreht, wird ihm klar, dass er das eben laut ausgesprochen hat.

„Du hast es geschafft“, erklärt Shredder, während er zu ihm hinübergeht. Er bewegt sich vorsichtig, weil der Alkohol in seinem System seinen Gleichgewichtssinn stört und auch wenn ihn die Dusche etwas klarer hat werden lassen, könnte seine Aussprache besser sein.

„Aus dir is' was geworden. Un' … und ich meine damit nich' nur diese Sache, dass du Polizist bist. Als ich ging, warst du noch grün hinter den Ohren und jetzt sieh dich an.“

Kazuo sieht ihn leicht schwanken und kommt ihm auf halben Wege entgegen. Er fängt Shredders wild gestikulierende Hände ein und hält ihn daran fest.

Seine Worte und dieser Ausdruck auf seinem Gesicht machen ihn ganz verlegen. Er kann sich nicht erinnern, dass ihn Hikari jemals mit so viel Liebe angesehen hätte.

„Niichan...“ er lässt eine von Shredders Händen wieder los, aber nur, weil er seine Hand braucht, um ihm damit das nasse Haar aus dem Gesicht zu streichen.

Er will ihm so viel sagen und bringt dann doch kein Wort heraus. Und so legt er ihm nur die Hand in den Nacken und zieht ihn zu einem zärtlichen Kuß heran.

Es ist nur ein ganz kurzer und Kazuo beendet ihn, bevor sein Bruder auch nur kapiert, was los ist.

Mit einem betont übermütigen Lächeln, das nur seine eigene Verlegenheit übertünchen soll, packt Kazuo seinen Bruder an den Schultern und schiebt ihn zum Waschbecken.

„Und jetzt“, erklärt er dabei demonstrativ vergnügt, „heißt es Zähneputzen, anziehen und ab ins Bett.“

 

Kapitel 10

Kapitel 10

 

Kazuo fühlt sich sehr wohl und zufrieden. Mangels eigener Schlafklamotten trägt er nun eine weiche Sweathose und ein T-Shirt von seinem Bruder, und es ist ihm völlig egal, das auf beidem das Logo des Footclans prangt. Es gehört seinem Niichan und es riecht sogar nach ihm.

Wie überhaupt alles hier.

Kazuo hat die Kissen so hinter seinem Rücken gestopft, dass er in einer halb aufgerichteten Position liegt und - ausnahmsweise hält er mal seinen Niichan in den Armen.

Er scheint eingedöst zu sein und auch Kazuo werden die Lider langsam schwer. Doch noch kämpft er dagegen an. Er will dieses Gefühl so lange es geht genießen. Sakis Haare sind so weich und sein Körper so wunderbar warm. So... lebendig.

Kazuo lauscht gern seinen Atemzügen, er liebt das Gefühl, wenn sein Atem wie ein warmer Hauch über seinen Hals geistert. Das alles beweist ihm: sein Bruder ist da. Hier. Bei ihm.

Und vor allem: er lebt.

Plötzlich jedoch stockt dieser Atem und Shredder zuckt so heftig zusammen, dass er mit seinem Kopf gegen Kazuos Kinn stößt. Er keucht auf und seine Finger verkrampfen sich fest in Kazuos T-Shirt. Für ein paar Sekunden wird er ganz starr und klammert sich nur an seinem Bruder fest, als wäre er ein Schiffbrüchiger und Kazuo der Rettungsring.

„Niichan?" Das kam doch jetzt sehr unerwartet. Abwesend reibt sich Kazuo sein malträtiertes Kinn, während er gleichzeitig versucht, gewisse körperliche Reaktionen zu unterbinden, die der warme, schwere Körper seines Bruders, wie er sich da so eng an ihn drängt, plötzlich in ihm auslöst.

Shredder in seinen Armen holt ein paar Mal tief Luft und lässt ihn dann - zu Kazuos großem Bedauern - wieder los.

„Entschuldige", murmelt er, während er sich mühsam aufrichtet. „Ich sagte doch, ich kann nicht schlafen."

„Ist okay", entschlossen zieht ihn Kazuo wieder an sich. „Einfach nur hinlegen. Der Rest kommt dann von ganz alleine."

Shredder schnauft darüber zwar, doch er bettet seinen Kopf wieder auf Kazuos Schulter.

Sein Puls jagt und er zittert. Beruhigend streichelt ihm Kazuo durchs Haar, den Nacken, die Schultern und über den Rücken - einfach jede Stelle, die er in dieser Position erreichen kann.

Er weiß, das ist seinem Bruder unangenehm, das verletzt seinen Stolz, aber er macht trotzdem weiter.

Darüber ignoriert er tapfer sein eigenes, stetig größer werdendes Problem, von dem er inständig hofft, dass sein Bruder es nicht bemerkt.

„Der Schlaf ist des Todes kleiner Bruder", wispert Shredder schließlich mit vom Wein noch ganz schwerer Zunge, nachdem sie einige Zeit einfach nur dagelegen haben.

Unwillkürlich festigt Kazuo seine Umarmung und beschimpft sich selbst gedanklich einen Baka - darauf hätte er selbst kommen müssen.

„Es tut mir leid", nuschelt Shredder bedrückt in Kazuos Schulter.

„Muss es nicht", murmelt dieser, während er beide Arme ganz fest um ihn legt und gleichzeitig mit seinen Hüften ein paar Zentimeter zur Seite rutscht. „Versuch es weiter. Ich passe auf dich auf. Versprochen."

Und Kazuo hält sein Versprechen. Zweimal döst sein Bruder noch ein und zweimal schreckt er wieder auf, doch beim dritten Mal dämmert er hinüber in einen leichten, unruhigen Schlaf. Aber immerhin: er schläft.

Natürlich dämmert auch Kazuo ab und zu weg, aber niemals wirklich tief, denn ein Teil von ihm bleibt immer wach und lauscht auf die Atemzüge seines Niichans.

Und die ganze Zeit über wächst sein Verlangen. Er fragt sich unwillkürlich, ob sein Bruder dasselbe gefühlt hat, wann immer er ihn so hielt.

 

 

Im Technodrome gibt es logischerweise keinen Tag und keine Nacht, aber es wird so etwas wie ein Tagesrhythmus simuliert, wie Kazuo fasziniert feststellt: Durch eine indirekte Beleuchtung, die von den Wänden ausgeht.

Nachts glimmen sie in einem gräulichen-dunkelblau und dann, pünktlich um halb fünf Uhr morgens – das zeigt jedenfalls der Radiowecker auf dem Nachttisch an – wird daraus langsam ein helleres blau, das schließlich in einen goldenen Ton übergeht, der wohl einen Sonnenaufgang simulieren soll. Das ist so circa gegen sechs Uhr dreißig. Eine ziemlich lange Morgendämmerung und sie stottert manchmal regelrecht – das muss an den vielen defekten Energieleitungen liegen.

Kazuo findet es trotzdem schön. Er mag es, wie sich die Farbe zurück in seinen Niichan schleicht, wie aus fahler Haut langsam der gewohnte goldbraune Farbton wird und wie aus seinem mattschwarzem Haar wieder ein sattes Dunkelbraun wird. Das ist bei ihm selbst nicht anders, aber bei seinem Niichan ist es einfach nur schön.

Der Radiowecker zeigt sechs Uhr fünfundvierzig, als sich Shredder in seinen Armen zu regen beginnt. Und dann blinzelt er Kazuo verschlafen an.

„Guten Morgen, Saki“, begrüßt ihn Kazuo munter, berichtigt sich dann aber schnell: „Oh, Entschuldige. Shredder meine ich natürlich.“

Shredder blinzelt ihn noch einmal an und gähnt dann verhalten.

„Nenn mich doch wie du willst“, murmelt er, während er ein wenig von Kazuo fortrückt. Kazuo läßt ihn nur sehr ungern los.

Plötzlich richtet sich Shredder auf die Ellbogen auf und läßt seine Blicke prüfend über Kazuo und dann über das Bett wandern.

„Hast du etwa die ganze Nacht so dagelegen?“ und als Kazuo daraufhin nur stolz nickt, schüttelt Shredder fassungslos den Kopf. „Das ist doch saumäßig anstrengend. Hast du wenigstens geschlafen?“

Kazuo runzelt die Stirn. Anstrengend? Nun ja, das stimmt, ihm ist mehr als einmal der Arm eingeschlafen und er fühlt sich etwas gerädert, aber das kommt vom Alkohol und dem Schlafmangel und es ist nichts, was ein guter Kaffee nicht wieder heilen kann.

„Das ist doch nur fair“, erwidert er daher. „Wenn man all die Male bedenkt, die du mich so gehalten hast.“

Shredder starrt ihn für einen Moment nur an und schüttelt dann wieder den Kopf, bevor er sich mit einem leisen Ächzen neben Kazuo zurück in die Kissen sinken läßt. Er rollt sich auf den Rücken und reibt sich die Stirn, woraufhin ihm Kazuo ein verschlagenes Lächeln schenkt.

„Na?“ neckt er ihn. „Hast du einen dicken Kopf?“

„Von Wein? Ganz bestimmt nicht. Und du?“

„Ich bitte dich. Ich bin eindeutig trinkfester als du.“

Shredder wirft ihm einen scharfen Blick zu. „Darauf sollte man nicht stolz sein.“

Lächelnd rutscht Kazuo etwas tiefer in die Kissen, faltet die Hände vor der Brust und starrt an die Decke. Es dauert nicht lange, dann macht sein Bruder es ihm gleich.

Oh, wie oft haben sie so früher nach der Schule so zusammen dagelegen, in einem entspannten Schweigen und in völligem Einklang miteinander? Kazuo wußte dann immer: er musste nichts sagen, sein Bruder verstand ihn auch ohne Worte. Immer.

Es kam vor, dass, wenn er das Zimmer seines Niichans wieder verließ, kein einziges Wort zwischen ihnen gewechselt wurde und trotzdem fühlte er sich danach immer besser.

Aber – wie ging es Saki dann immer? Beschämt wird sich Kazuo darüber bewußt, welch ein egoistischer Mensch er war - und immer noch ist.

Vorsichtig dreht er den Kopf und mustert das Profil seines Bruders. Er sieht angespannt aus, als würde er wieder über irgend etwas grübeln.

Kazuo würde gerne über sein Gesicht streicheln, mit den Fingerspitzen all seine Sorgen und Nöte und all die schlechten Erinnerungen, die ihn so unruhig schlafen lassen, wegmassieren, doch dann erinnert er sich selbst daran, wie er im Krankenhaus Shredders Gesichtszüge nachgezogen hat und er hat plötzlich Mühe, richtig durch zu atmen.

Und da ist auf einmal Shredders warme, starke Hand und drückt Kazuos und die aufkeimende Panik erstirbt, noch bevor sie richtig Fuß fassen konnte.

Kazuo sagt nichts, er sieht auch seinen Bruder nicht an und starrt stattdessen an die Decke, während er seine und Shredders Finger miteinander verschränkt.

Nach ein paar Minuten glaubt er, wieder reden zu können ohne dass ihm seine Stimme wegbricht.

Er hält es allerdings für sicherer, nicht darüber zu reden.

„Was steht heute auf dem Plan?“ erkundigt er sich daher betont unbekümmert und lässt die Hand seines Bruders wieder los.

Der reibt sich nachdenklich über die Stirn.

„Mal sehen, was Krang so einfällt. Aber es wird wohl auf die üblichen Reparaturen hinauslaufen. Und dann“, fügt er leise und mehr zu sich selbst hinzu, „muß ich einen Weg finden, damit das Portal genug Energie bekommt.“

„Verdammt nochmal, Niichan!“ erbost fährt Kazuo in die Höhe. „Kapier es endlich: Ich will hier nicht weg! Ich hätte dich fast verloren! Ich bleibe bei dir!“

Ohne sich dessen bewußt zu werden, hat er sich nicht nur zu ihm umgedreht, sondern kniet jetzt über ihm, hat seine Finger in seinen Schultern vergraben und drückt ihn in die Kissen.

Verdutzt starrt Shredder zu ihm auf. Daran, sich zu wehren, denkt er überhaupt nicht. Seine Hände, die an Kazuos Armen hinaufwandern, um sich dann um seine Ellbogen zu legen, haben keinen abwehrenden Charakter, sondern einen haltenden, stützenden.

Er ist ganz fasziniert von der Entschlossenheit in Kazuos Miene, dem Funkeln in seinen Augen und der Art, wie ungezähmt ihm jetzt einige Strähnen seines ansonsten immer so tadellos frisierten Haares ins Gesicht fallen, daß er ganz vergißt auf dessen Worte zu achten.

Er liebt es, wenn sein kleiner Bruder so viel Temperament zeigt.

Sekundenlang starren sie sich nur in die Augen, Sekunden, in denen Kazuo sich immer tiefer beugt ohne es wirklich zu bemerken. Und dann sind es nur noch Zentimeter, die ihre Gesichter voneinander trennen und jeder von ihnen kann den warmen Atem des anderen auf seiner Haut spüren.

Shredder ist wie gebannt von dem sanften Glanz in Kazuos braunen Augen, so dass er, anstatt ihn abzuwehren, seine Hände von Kazuos Armen nimmt und sie stattdessen um seine Wangen legt, ihm dabei hilft, die letzten paar Zentimeter zwischen ihnen zu überbrücken.

Kazuo seinerseits hält sich erst gar nicht damit auf, nur von diesen köstlichen Lippen zu kosten, er geht gleich aufs Ganze.

Seine Zunge plündert Shredders Mundhöhle, als gäbe es kein Morgen mehr.

Das ist so wild, leidenschaftlich und kompromißlos, genau so, wie Shredder es mag, wie er es braucht, dass er dem gar nichts entgegen setzen kann. Und so lässt er sich nur allzu bereitwillig mitreißen.

Doch als er all den Druck und die Wärme spürt, wird er sich bewusst, dass Kazuo inzwischen auf ihm liegt und das holt seinen Verstand aus dem Nirwana zurück.

Nicht ohne Bedauern, aber trotzdem entschlossen, löst er sich aus ihrem Kuß und schiebt seinen Bruder an den Oberarmen von sich. Zumindest ein wenig. Soviel, dass sie nicht mehr mit den Lippen aneinanderkleben.

„Was soll das werden, Kazuo?" Er versucht tatsächlich, etwas Strenge in seine Stimme zu legen, doch sie zittert vor unterdrücktem Verlangen mindestens genauso sehr wie der Rest von ihm.

„Hm...“, meint Kazuo nachdenklich, während seine Hände, die irgendwann während ihres Kusses in Shredders Haaren gelandet sind und sie schön verstrubbelt haben, jetzt glättend darüberstreichen. „Hm...“, wiederholt er mit einem verschmitzten Lächeln. „Ich glaube, ich versuche, dich davon zu überzeugen, dass es gar nicht so schlecht wäre, wenn ich bliebe."

Im ersten Moment weiß Shredder gar nicht, was er darauf sagen soll. Er ist sich aber nur zu gut der Gefühle bewußt, die Kazuos Körpergewicht bei ihm auslöst. Er kann alles spüren: seine Wärme, wie er atmet, seine Finger in seinem Haar, er spürt sogar seinen Atem auf seinen Lippen und - wie erregt er ist.

„Kazuo“, versucht Shredder es mit Vernunft, „du verlierst deinen Job, wenn du länger hier bleibst.“

„Ich bin erst drei Tage weg“, erwidert Kazuo amüsiert, reckt seinen Kopf nach unten und hascht verspielt nach Shredders Lippen. „Auch mir steht ein dreiwöchiger Urlaub zu“, haucht er dabei und fordert ihn dann heraus: „Versuch's nochmal.“

Shredder will nicht, aber seine guten Vorsätze lösen sich sofort in Luft auf, als Kazuos Lippen seine berühren. Er kann gar nicht anders, als diesen spielerischen Kuß zu erwidern.

„Ah...“, meint er dann trotzdem, „du hast eine Freundin?“

„Verlobte“, berichtigt ihn Kazuo, bringt wieder ein paar Zentimeter Abstand zwischen ihre Gesichter und runzelt leicht die Stirn. „Der ich wohl in betrunkenem Zustand einen Antrag gemacht habe, sonst könnte ich mich daran nämlich bestimmt erinnern.“

„Echt jetzt? Schäm dich, kleiner Bruder.“

Kazuo schenkt ihm nur einen warmen, tiefen Blick.

„Ich weiß nicht mal, ob ich sie liebe.“

Kazuo!“ So viel Kaltschnäuzigkeit entrüstet Shredder wirklich. So kennt er seinen kleinen Bruder gar nicht.

Der senkt nur wieder den Kopf und nippt verspielt an Shredders Unterlippe.

„Sie rechnet auch nicht damit, daß ich vor einer Woche wieder zurückkehre. Versuch's nochmal.“

„Deine Freunde werden dich vermissen?“ schlägt Shredder schon ziemlich ratlos vor. Es gelingt ihm immer noch nicht, Kazuos Liebkosungen zu entgehen und allmählich bekommt er erhebliche Probleme mit seinem Körper. Es gibt da einen ganz gewissen Körperteil, der ein Eigenleben entwickelt.

Er ertappt sich schon dabei, wie seine Hände von Kazuos Oberarmen zu dessen Rücken wandern und dort sanfte Kreise ziehen. Außerdem wird der Drang, die Hüften zu bewegen, immer stärker.

„Das ist lahm“, erwidert Kazuo nur. „Versuch's nochmal.“

„Du hast ein Leben in Tokyo!“ Shredder kratzt seinen letzten Rest Vernunft und Willensstärke zusammen. „Das kannst du doch nicht einfach so auf Eis legen.“ Eigentlich wollte er wegwerfen sagen, aber das wäre zu endgültig, nicht wahr?

Er weiß nur nicht, ob er sich genau das nicht eigentlich wünscht.

Jetzt, wo sie sich endlich wiedergefunden haben...

„Es ist mein Leben, Saki“, knurrt Kazuo. „Und ich kann es gar nicht leiden, wenn jemand versucht, darüber zu bestimmen. Und das gilt auch für dich.“

„Ich will dich nur vor einem großen Fehler bewahren“, wispert Shredder. „das hier ist kein guter Ort für dich.“

Kazuo sieht ihm tief in die Augen und wieder ist da dieser merkwürdige Glanz, den Shredder zu deuten so schwer fällt.

„Nun ja“, meint Kazuo schließlich sanft und mit einem leisen Hauch von Vorwurf: „Dann hättest du mich nicht mit hierher bringen sollen, nicht wahr?“

Bevor Shredder darauf etwas entgegnen kann, verwickelt Kazuo ihn wieder in einen Kuss – und diesmal wieder in einen richtigen. Doch bevor sich Shredder wirklich darin verlieren kann, ertönt ein lautes Knacken aus einem Lautsprecher in der Wand und danach ein noch lauteres:

„Shreddddeeer! Wach auf! Komm sofort in die Zentrale! Die Arbeit macht sich nicht von alleine! Und bring deinen Bruder mit, Kost und Logis gibt es hier schließlich nicht umsonst!“

Shredder war noch nie so erleichtert, von Krang herumkommandiert zu werden. Mit einem gemurmelten „bin schon unterwegs“ und einer Entschuldigung in Kazuos Richtung, windet er sich unter seinem Bruder aus dem Bett und eilt zum eingebauten Kleiderschrank, wo er ohne groß darüber nachzudenken, genau wie am Tag zuvor, auch ein paar Sachen für Kazuo herauszerrt und ihm diese dann aufs Bett wirft.

„Sei nicht sauer“, bittet er seinen Bruder dann mit einer schiefen Grimasse, „aber Krang lässt man besser nicht warten.“

Kazuo setzt sich auf und nickt nur schweigend, während er die Kleidungsstücke zu sich heranzieht.

Er ist nicht sauer. Nicht im geringsten. Nachdem sich die erste Überraschung und die spontane Enttäuschung gelegt haben, weiß er diese Unterbrechung sogar zu schätzen.

Sein Bruder muß sowieso mit der Salamitaktik überzeugt werden. So, wie es sich jetzt entwickelt hat, hat Saki Zeit, erstmal alles sacken zu lassen.

Er wird ihn schon überzeugen. Denn schließlich, um Kazuos Lippen huscht ein verschlagenes Lächeln, das er nur wagt, weil sein Bruder ihm gerade den Rücken zukehrt, ist es ihm bisher immer gelungen, seinen Niichan um den kleinen Finger zu wickeln. Wenn er es darauf anlegte.

Und genau das ist diesmal der Fall.

 

 

Kapitel 11

Kapitel 11

 

Im Technodrome gibt es tatsächlich einen Trainingsraum - ausgelegt mit Tatami-Matten, mit einer gepolsterten Makiwara, einer hölzernen Schlagpuppe und einer Hantelbank plus Hanteln in verschiedenen Formen und Gewicht.

„Nichts besonderes, ich weiß", entschuldigt sich Shredder verlegen, als er seinen Bruder hineinführt. „Das ist alles, was ich aus meinem alten Quartier retten konnte. Und es tut mir leid, dass wir dafür eine Etage höher klettern mussten, ich würde das auch gern alles wieder in meinem Quartier haben, aber das Jetzige ist dafür viel zu klein."

„Stört mich nicht", erwidert Kazuo nur.

In den letzten sechs Stunden ist er mit seinem Bruder durch enge Wartungsröhren gekrochen, quer durch alle Ebenen dieser monströsen Kugel und die letzte Steigleiter hierher war da schon fast Routine.

„Und entschuldige, ich weiß, das ist unhygienisch, aber wir müssen sparsam mit dem Wasser umgehen." Etwas verlegen schält sich Shredder aus seinem verdreckten Arbeitsoverall.

Kazuo zuckt nur gleichgültig mit den Schultern. Sicher klebt an ihnen viel Schweiß, immerhin haben sie die letzten sechs Stunden schwer geschuftet, und eine Dusche könnte ihnen beiden nicht schaden, aber das kann auch bis nach dem Training warten.

Es ist eine Ewigkeit her, seit er mit seinem Niichan trainiert hat, eine solche Gelegenheit kann er sich doch nicht entgehen lassen!

Die letzten Stunden haben ihm trotz aller Anstrengung viel Spaß gemacht und diese kleine Trainingseinheit würde das alles nur perfekt abrunden. Denn wer weiß, wie lange das so bleibt?

Es kann sich alles jederzeit von einer Sekunde auf die nächste ändern, nicht wahr?

Er pellt sich aus seinem eigenen Arbeitsoverall, der dem seines Bruders bis auf die letzte Faser gleicht - es ist ja auch dessen Ersatzoverall - und fühlt fast so etwas wie Wehmut in sich aufsteigen. Dieses Kleidungsstück stellte in mehr als einer Hinsicht eine Verbindung zu seinem Niichan her, nicht nur äußerlich. Es ist wie bei allen Kleidungsstücken, die er sich von ihm leihen darf, wie bei dem T-Shirt, das er darunter trägt oder bei den Arbeitsstiefeln. Oder bei dem Gi, den ihm sein Bruder jetzt aus dem Wandschrank zuwirft. Kazuo fühlt ihm sich einfach nahe, wenn er seine Klamotten trägt.

Leider hat sich sein Bruder schon umgezogen, während er noch gedankenverloren in der Gegend herumsteht. Damit hat sich Kazuo selbst um einen schönen Anblick betrogen. Verärgert über sich selbst, zieht er sich ebenfalls um.

Als sie sich dann auf den Tatami-Matten gegenüber stehen und Grundhaltung einnehmen, fällt es Kazuo schwer, seinem Bruder nur ins Gesicht zu sehen. Immer wieder werden seine Blicke von dem Dreieck goldbrauner Haut angezogen, die der nachlässig gegürtete Gi im Brustbereich seines Bruders freilässt.

Aber als der Trainingskampf beginnt, rückt all das in den Hintergrund und alles an Kazuo ist höchste Konzentration.

 

 

Shredder ist sehr stolz auf seinen kleinen Bruder. Er hat in den letzten Stunden viel gelernt und wurde vom einfachen Werkzeugträger zu einem richtigen Assistenten, der zum Ende hin die eine oder andere kleine Reparatur an den Energieleitungen schon selbst durchführen konnte. Diese kleine Trainingsrunde soll ihn belohnen, schließlich weiß er doch, wie gerne Kazuo kämpft. Es ist auf alle Fälle besser als wieder eine Flasche Merlot zu vernichten.

Und er selber braucht auch etwas Ablenkung. Und er hatte seit Ewigkeiten keinen guten Sparringspartner mehr. Rocksteady und Bebop weigern sich ja schon seit Monaten, und er kann es ihnen nicht einmal verübeln.

Sie beginnen mit den üblichen Schlag- und Trittkombinationen um warm zu werden und einander abzuschätzen, aber bald schon gehen sie zu einem wirklichen Kampf über.

Aber schon nach den ersten Sekunden verspürt Shredder eine gewisse Beklemmung, ein Unbehagen, als würde sich etwas in ihm gegen all dies hier wehren. Seine Bewegungen verlieren viel von ihrer gewohnten Geschmeidigkeit und je mehr er sich auf diesen Kampf konzentriert, desto schlimmer scheint es zu werden.

Etwas – blockiert ihn.

Trotzdem liegt es nicht daran, dass ihn Kazuo schließlich auf die Tatami-Matten schickt. Irgend etwas in Shredder erstarrt regelrecht. Es fühlt sich an wie eine ins Unendliche gedehnte Schrecksekunde, die man einfach nicht mehr loswird, und das lässt ihn nicht mehr richtig reagieren..

Er versucht, dieses … Gefühl zu verdrängen und sich ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Und da gibt es so einiges, vor allem diese überraschende Hebel- und Wurfkombination, die sein Bruder gerade eben angewandt hat.

„Was war das?" Irritiert blinzelt er zu seinem Bruder hoch.

Der grinst nur selbstzufrieden und reicht ihm die Hand. Bereitwillig lässt sich Shredder von ihm wieder auf die Füße ziehen.

„Das lernt man bei uns auf der Polizeischule."

„Das war dieselbe Kombination, mit der du mich damals besiegt hast," erkennt Shredder mit einem gewissen Unbehagen. Er hat keine guten Erinnerungen an diesen Tag.

Trotz allem, was zwischen ihnen in den letzten Tagen passiert ist, fühlt er sich immer noch gedemütigt und verletzt, wenn er an diesen Tag zurückdenkt. Vor allem die Verletzung sitzt tief. Wäre er einer dieser sentimentalen Idioten aus Krangs hochgeschätzten TV-Seifenopern, würde er sagen, Kazuo hätte ihm an diesem Tag das Herz gebrochen.

„Soll ich sie dir zeigen?" bietet ihm Kazuo an, begeistert von der Möglichkeit seinem Niichan auch einmal etwas beibringen zu können.

Seine Frage verletzt Shredders Stolz zutiefst, doch dieser lässt sich nichts anmerken und nickt nur zustimmend.

Es wird ein Desaster. Er versucht, sich zu konzentrieren, aber er fühlt sich immer noch, als müsse er gegen etwas in sich selbst ankämpfen. Es blockiert ihn nicht nur, es lähmt auch einen Teil von ihm – nämlich jenen, der sonst immer voller Entschlußkraft steckt.

Nach außen hin kann er das alles gut verbergen, aber sein Körper und sein Geist sind nicht mehr im Einklang, und das bleibt nicht folgenlos.

Und so hebelt ihn Kazuo gekonnt aus und setzt seinen eigenen Schwung gegen ihn ein, und dann sieht er nur noch die Wand auf sich zukommen.

Instinktiv streckt Shredder die Hände aus, um sich daran abzustützen. Sein Gesicht und die Wand trennen vielleicht noch fünfzehn Zentimeter. Mit weitaufgerissenen Augen starrt er auf den Stahl vor sich. Etwas in ihm erinnert sich, bevor er sich bewusst daran erinnert.

Dieses störende, blockierende Etwas in ihm schwillt an und füllt plötzlich sein ganzes Sein aus -

sein Atem stockt, sein Puls jagt und in seinem Inneren erwacht ein immer größer werdendes Zittern.

„Warte, Niichan, ich helfe dir auf."

Zuvorkommend beugt sich Kazuo zu ihm hinab, die Hand wieder hilfreich ausgestreckt.

Abrupt schnappt Shredder zurück ins Hier und Jetzt.

„Verschwinde!" faucht er ihn ungehalten an und schlägt die ihm angebotene Hand schroff beiseite. „Lass mich in Ruhe, ich brauche deine Hilfe nicht!"

Derart angefahren, weicht Kazuo einen Schritt zurück und blinzelt ihn verwirrt an.

„Was...?"

„Hau bloß ab!" Und doch ist es Shredder, der aufspringt und zur Tür stürmt.

Aber bevor er sie erreicht, hat Kazuo seine Überraschung abgeschüttelt und ihn eingeholt.

„Hey, Niichan, was ist los? Was soll das?"

„Du gehst mir auf den Nerv!" braust Shredder auf. „Wer will deine blöde Polizeikombi schon lernen? Du willst doch nur angeben!"

Er holt einmal tief Luft und dann noch einmal und dann beginnt er zu hyperventilieren und versucht, seine zitternden Hände zu verstecken, aber inzwischen sind es nicht nur seine Hände, die zittern.

Von einem Moment auf den anderen verlässt ihn jede Kraft und dann findet er sich auf den Knien wieder - in Kazuos Armen, das Gesicht an dessen Halsbeuge und er spürt, wie ihm die Finger seines Bruders sanft über den Hinterkopf streicheln.

„Tief durchatmen", hört er ihn sanft murmeln, „Alles ist gut. Einfach nur atmen. Ich bin hier."

Shredder versucht es. Aber es dauert noch eine Weile und viel geduldiges Zureden, bis sein Atem wieder annähernd normal ist.

„Ich... entschuldige“, beschämt weicht Shredder mit gesenktem Kopf zurück und versucht, seine immer noch zitternden Hände in den Ärmeln seines Gis zu verstecken.

Er fühlt sich erschöpft, regelrecht ausgelaugt und sein Benehmen ist ihm so peinlich, dass er am liebsten vor Scham im Boden versinken würde.

„Du musst dich nicht entschuldigen. Alles okay.“ Beruhigend reibt Kazuo über Shredders Oberarme. „Wir hätten nicht kämpfen sollen. Ich hätte daran denken müssen. Es tut mir leid."

Und als ihm sein Bruder daraufhin nur einen verständnislosen Blick zuwirft, nutzt er diesen Moment, um ihn wieder in seine Arme zu ziehen.

„Die Turtles erzählten mir, ihr hättet gekämpft, als...“, er schafft es nicht, den Satz zu beenden, aber das ist auch gar nicht nötig. Nach einem Moment unangenehmer Stille räuspert sich Kazuo vernehmlich und schiebt seinen Bruder dann soweit von sich, bis er ihm tief in die Augen sehen kann. „Das wird wieder. Du musst nur Geduld mit dir haben. Wir können mit etwas Einfacherem anfangen: Mit gemeinsamen Aufwärmübungen oder einfachem Krafttraining und uns dann langsam steigern.“

Um Shredders Lippen zuckt ein bitteres Lächeln.

„Du redest, als würdest du Monate hier bleiben.“

Kazuo lächelt nur wieder sein merkwürdiges Lächeln und lehnt sich etwas weiter zu ihm vor.

„Ich hab mal gehört, unangenehme Erinnerungen überschreibt man am besten mit angenehmen.“ Damit packt er seinen verblüfften Bruder am Kragen, zieht ihn die letzten Zentimeter zu sich heran und verwickelt ihn in einen ruhigen, sanften Kuss.

 

 

Dieser Kuss ist anders, er ist süß, beinahe unschuldig wie die ihrer Kindheit. Und... er wirkt, wie Kazuo feststellt, als er mit dem Daumen sachte über Shredders Halsschlagader streicht. Sein Puls wird merklich ruhiger.

Und als Kazuo dann auch noch spürt, wie sein Niichan unter diesem Kuss regelrecht dahinschmilzt, flackert so etwas wie ein stilles Triumphgefühl in ihm auf. Niemandem gelingt das besser als ihm. Weil niemand Saki mehr liebt als er.

Ganz bewusst setzt Kazuo seine Zunge nicht ein, das hier soll ruhig bleiben, zärtlich und wahre, tief schlummernde Gefühle vermitteln und Erinnerungen wecken.

Genauso sanft, wie er diesen Kuss begonnen hat, beendet Kazuo ihn auch wieder.

Sekundenlang knien sie sich nur schweigend gegenüber, dann atmet Shredder tief seufzend aus und öffnet die Augen.

„Du spielst nicht fair, Kazuo."

Der fühlt sich alles andere als schuldig deswegen und schmunzelt selbstzufrieden.

„Ich gebe mir Mühe..."

Aber Shredder bleibt ernst.

„Wir sind keine Kinder mehr. So ein Kuss bedeutet jetzt etwas ganz ... anderes."

„Wirklich?" Lächelnd lehnt sich Kazuo wieder nach vorne, berührt mit seiner Stirn die seines Bruders und sieht ihm dabei tief in die Augen. „Bedeutet er nicht immer Liebe?"

Shredder schluckt einmal schwer.

„Wir sind jetzt erwachsen, Kazuo. Und wir sollten uns dementsprechend benehmen."

„Sagte der Mann, der immer in Kampfrüstung und Cape versucht, die Weltherrschaft an sich zu reißen."

Shredder starrt ihn nur schweigend an. Für einige Sekunden hält Kazuo diesem Blick trotzig stand, dann senkt er freiwillig den Kopf.

Salamitaktik, erinnert er sich. Es wird Zeit für einen Themenwechsel.

„Ich glaube, deinen Händen geht es jetzt besser", ruft er erfreut aus, während er nach besagten Händen greift und vielsagend zudrückt. „Das Rezept sollte ich mir patentieren lassen."

Abrupt entzieht ihm Shredder seine Hände.

„Baka", meint Shredder nur zärtlich und wuschelt ihm mit der rechten Hand durchs Haar, während er sich gleichzeitig wieder erhebt.

„Komm", meint er dann, während er schon zum Wandschrank hinübergeht, „machen wir Schluß für heute. Ziehen wir uns um, gönnen uns eine Dusche und schauen mal, was die Küche so hergibt."

 

 

Mit Kazuo zu duschen ist ein Risiko, dessen ist sich Shredder bewusst, aber er will sich auch keine Blöße geben, indem er auf getrennte Duschzeiten besteht. Er hofft einfach mal auf das Beste, schließlich war seine Ansage ja wohl deutlich und sie sind wirklich keine Kinder mehr. Sie können sich beherrschen.

Es geht auch erfreulich gut.

Wenn Shredder das komische Gefühl ignoriert, immer dann von Kazuo angestarrt zu werden, wenn er ihm den Rücken zuwendet.

Und dass Kazuo die Dusche direkt neben ihm wählt, macht ihn zwar leicht nervös, aber auch das kann er ihm nicht verbieten, ohne sich selbst der Lächerlichkeit preis zu geben.

Sie stehen eine ganze Weile schweigend jeder für sich unter seinem eigenen schwachen Wasserstrahl, und Shredder beginnt gerade, sich etwas zu entspannen, da greifen sie beide gleichzeitig zur Seife und ihre Finger berühren sich.

Es dauert nur eine Sekunde, weil Kazuo die Hand, eine leise Entschuldigung murmelnd, sofort wieder zurückzieht und den Blick verlegen zu Boden richtet.

Bei diesem Anblick zieht sich alles in Shredder zusammen - wie gerne hätte er ihn jetzt tröstend umarmt.

Er wollte ihn nicht verletzen. Niemals.

Also überlässt er seinem Bruder die Seife und quetscht stattdessen den letzten, kläglichen Rest aus der Tube mit dem Duschgel.

Er versucht, sich ganz darauf zu konzentrieren, den Schmutz und Schweiß der letzten Stunden von seinem Körper abzuwaschen, aber Kazuos Schweigen drückt auf seine Stimmung – vor allem, wo es doch seine Schuld ist!

„Ich will nur nicht, dass du dich unglücklich machst!" platzt es daher schließlich aus ihm heraus. Und doch hat er nicht den Mut, seinem Bruder dabei gerade ins Gesicht zu sehen. Die alten Wandfliesen sind viel interessanter und außerdem muss er sich noch den Rest Shampoo aus den Haaren waschen.

Kazuo antwortet nicht, jedenfalls nicht sofort. Stattdessen tritt er unbemerkt hinter ihn und legt ihm sanft die linke Hand ins Kreuz.

Shredder zuckt zusammen und erstarrt dann.

Kazuo lehnt sich etwas nach vorne, achtet aber darauf, dass er seinen Bruder nicht großflächig berührt und wispert in sein Ohr:

„Darf ich das nicht selbst entscheiden, Saki?"

Shredder spürt, wie er errötet. Er weiß nur nicht, ob das an Kazuos Frage und seinem schlechten Gewissen oder an der aufgezwungenen Nähe liegt.

„Doch", bringt er schließlich mit heiserer Stimme heraus, „natürlich darfst du das."

Kazuos Hand, eben noch in seinem Kreuz, wandert seinen Rücken hinauf. Warme, nasse Fingerspitzen tanzen zärtlich über seine Wirbelsäule, hoch in seinen Nacken, wo sie dann schwer und sehr präsent liegenbleiben.

Unwillkürlich hält Shredder den Atem an. Er versucht verzweifelt, sich zu sammeln und wenigstens nach außen hin ruhig zu bleiben.

„Du wolltest doch, dass ich hier bin", haucht Kazuo da in sein Ohr. „Hier, bei dir. Oder warum hast du mich sonst mitgenommen?"

Irgendwie ist es passend, dass genau in diesem Moment das Wasser versiegt und es ganz still wird - fast als warte die ganze Welt auf Shredders Antwort.

„Möglicherweise", gibt er nach geraumer Zeit zu. Er weigert sich immer noch, sich umzudrehen und starrt lieber angestrengt auf die Wand vor sich. „Aber das heißt nicht, dass es eine gute Idee war."

„Doch", erwidert Kazuo sanft, aber entschieden, „es war eine gute Idee."

Seine Hand in Shredders Nacken streicht kurz durch dessen nasses Haar und verschwindet dann. Shredder vermisst sie sofort und muss sich auf die Unterlippe beißen, um einen sehnsüchtigen Seufzer zurück zu halten.

Und dann ist Kazuo plötzlich fort und hinterlässt eine Kälte, die Shredder unwillkürlich frösteln lässt. Er hört das Geräusch seiner Schritte auf den feuchten Fliesen, gefolgt von dem Rascheln von Stoff und dann, nur kurz darauf, das charakteristische Zischen einer sich erst öffnenden und dann wieder schließenden Tür.

Und selbst dann dreht er sich nicht um.

Es dauert sehr, sehr lange, bis er aus seiner Starre erwacht.

 

 

Kapitel 12

Kapitel 12

 

Das Technodrome ist riesig und früher oder später wird er sich hier wieder verlaufen, aber den Weg von den Waschräumen zum Quartier kennt er und vom Quartier findet er den Weg zur Zentrale und - vor allem zu seinem jetzigen Ziel: der Küche.

Und dort trifft er auf Rocksteady und Bebop, die bei seinem Eintreten sehr verlegen wirken.

„Oh. Ähem", räuspert dich Bebop, eine abgedeckte Plastikschüssel und zwei Teller in den Händen balancierend. „Wir sind gleich wieder weg. Wollten uns nur kurz etwas zu essen holen."

Kazuo, der nicht vorhatte, sie zu vertreiben, macht eine abwehrende Geste und schüttelt den Kopf.

„Bleibt doch."

„Nein, ist schon gut. Wir wollen nicht stören."

Doch plötzlich zögern die beiden.

„Kommt Shredder nicht?" Rocksteady beugt sich ein wenig zur Seite um an Kazuo vorbei auf den Gang zu linsen. „Ich dachte, er käme gleich nach dir."

„Er kommt später nach. Hoffe ich", setzt Kazuo leise hinterher, während er zum Kühlschrank geht und sich eine Wasserflasche herausholt.

Rocksteady und Bebop wechseln einen besorgten Blick.

„Ihr habt euch doch nicht etwa gestritten?" erkundigt sich Bebop dann vorsichtig.

Kazuo schüttelt den Kopf.

„Nicht direkt. Ich versuch nur immer noch, ihn davon zu überzeugen, dass ich gerne länger hier bleibe. Er ist so ein Sturkopf."

„Wem sagst du das..." geben ihm die beiden augenrollend recht.

In einem stillen Einverständnis tauschen die drei ein verschwörerisches Grinsen.

„Sagt mal“, meint Kazuo schließlich, nachdenklich mit der Flaschenöffnung gegen seine Lippen tippend, „ißt Saki immer noch so gerne Curryreis? Ich würde ihm gerne eine kleine Freude machen.“

„Oh“, lächelt Rocksteady süffisant. „Liebe geht durch den Magen, hm?“

Kazuo stutzt einen Moment.

„Natürlich liebe ich ihn“, erklärt er dann leichthin, „er ist mein großer Bruder.“

Die beiden Mutanten wechseln einen unsicheren Blick.

„Ist das so?“ will Rocksteady schließlich lauernd wissen, wird von Bebop aber hastig unterbrochen, bevor er noch mehr sagen kann:

„Vielleicht haben wir uns ja geirrt, Nasi.“

„Bei ihm vielleicht“, meint Rocksteady mit einer heftigen Geste zu Kazuo hinüber – wobei ihm fast die Gläser aus der Hand gerutscht wären. „Aber nicht bei unserem Chefchen.“

Und dann, bevor Kazuo auch nur daran denken kann, eine entsprechende Frage zu stellen, wirbelt das Rhino zu ihm herum und funkelt ihn drohend an.

„Wenn wir herausfinden, dass du ein mieses Spiel mit ihm treibst, dann schwöre ich dir – egal ob Bruder oder nicht – machen wir dich platt!“

Kazuo blinzelt irritiert und hebt abwehrend die Hände.

„Langsam, okay? Was habe ich denn getan oder gesagt, dass du hier so ausflippst?“

„Das weißt du ganz genau!“ knurrt Rocksteady zurück und macht einen drohenden Schritt auf ihn zu.

„Nasi, nicht!“ Hastig tritt Bebop zwischen sie und hält ihn so zurück. Er mustert Rocksteady streng und, als er sicher ist, dass dieser erst einmal den Ball flach halten wird, dreht er sich zu Kazuo um.

Er zögert kurz, gibt sich dann einen Ruck, holt einmal tief Luft und will schließlich wissen:

„Sag es uns bitte ehrlich heraus: liebst du Shredder?“

Und als Kazuo nicht sofort eine Antwort gibt, fühlt sich Bebop zu einer Erklärung verpflichtet – etwas verlegen, weil er ungern solche privaten Grenzen übertritt, aber nichtsdestotrotz sehr überzeugt, weil er nur zum besten Wohle seines Chefchens handelt:

„Wir wissen nämlich, dass er dich liebst. Und zwar viel mehr, als es ihm guttut. Mehr, als er sollte. Und wenn es dir nicht so geht, dann solltest du es ihm sagen. Oder zumindest einen gesunden Abstand zu ihm halten.“

Kazuo fühlt sich ertappt und gleichzeitig erleichtert, dass das Ganze nur auf einem Missverständnis beruht.

„Entschuldigt bitte, eure Frage kam so aus dem Nichts, da habe ich einfach eine Standardantwort gegeben. Ich wusste ja nicht, dass ihr es verstehen würdet.“ Er holt einmal tief Luft und sieht ihnen dann offen und ehrlich in die Augen. „Ja, ich liebe meinen Bruder. Das habe ich schon immer. Wie sehr, weiß ich aber erst seit ich diesen Anruf vom Krankenhaus bekam. Alles, was während unserer Pubertät passiert ist, das habe ich später immer als hormongesteuerte Schwärmerei abgetan. Etwas extrem, aber nichts wirklich ernstes. Zumindest“, ergänzt er nachdenklich, den Blick nach innen auf seine zurückliegende Vergangenheit gerichtet, „habe ich mir das immer genau so eingeredet.“

Kurz starrt er noch gedankenverloren vor sich hin, dann lächelt er und fragt sie neugierig:

„Habe ich das richtig verstanden? Ihr denkt, es geht ihm so wie mir?“

Bebop und Rocksteady, die sich bei seinen ehrlichen Worten sichtbar entspannt haben, grinsen etwas schief.

„Ja“, Rocksteady ist seine vorherige Reaktion sichtlich peinlich, daher kommt seine Antwort etwas schroff daher. Er würde es gerne dabei belassen, aber Kazuos Miene verlangt eindeutig nach einer Begründung. Rocksteady zögert zuerst, doch dann wird er sich bewußt, daß es auch eine logische Erklärung dafür gibt, die weniger sentimental klingt als: weil wir seine Blicke zu deuten wissen.

Und so verzieht er seine Mundwinkel zu einem grimmigen Grinsen und erklärt:

„Sonst würde er dich nämlich seit der Sache, die du dir vor anderthalb Jahren geleistet hast, nicht mehr mit dem Arsch anschauen, geschweige denn, dich hierher bringen.“

„Vor anderthalb Jahren?" wiederholt Kazuo irritiert und runzelt nachdenklich die Stirn. Doch da fällt es ihm wieder ein und die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertieft sich. Beschämt senkt er den Blick.

„Oh. Ja, ich verstehe."

Während Rocksteady ihn nur mitleidlos anglimmt, will Bebop beinahe einfühlsam von ihm wissen:

„Warum hast du das gemacht? Damals?" Er erwähnt nicht, wie mies es Shredder dadurch ging, denn Kazuo sieht schon jetzt sehr schuldbeladen aus.

Und Kazuos geseufzte Antwort beweist ihm nur, wie recht er damit hatte:

„Ich wünschte heute, ich hätte es nicht getan. Es hat alles zwischen uns zerstört." Abermals schwer aufseufzend fährt sich Kazuo mit gespreizten Fingern durchs Haar. „Und das Dumme ist: heute weiß ich nicht mal mehr, warum ich so darauf versessen war, ihn zu verhaften. Das... war so kleinlich. Und egoistisch. Wisst ihr, es gibt keine Beweise gegen ihn, jedenfalls keine, die vor Gericht Bestand hätten. Aber mir war das egal."

Wenn er heute an diese Geschichte zurückdenkt, dann versteht er sich selbst nicht mehr. Oh Gott. Hatte er damals wirklich seine Waffe auf Saki gerichtet? War er bereit gewesen, abzudrücken? Wie verblendet war er denn bitteschön?

„Nun", reißt ihn Bebops sanfte Stimme aus seinen Selbstvorwürfen, „er scheint dir verziehen zu haben."

Kazuo starrt ihn für einen Moment einfach nur an, bis es ihm dämmert. Doch dann nickt er.

„Ja." Entschlossen knallt er die Wasserflasche auf die Anrichte und reißt schwungvoll den Vorratsschrank auf. „Und ich mache ihm jetzt den besten Curry-Reis, den er je gegessen hat."

 

 

Als sein Bruder kommt, da sind Rocksteady und Bebop schon weg und Kazuo hat alle Zutaten schon in den Topf geworfen und ist gerade dabei, den Reis in den zweiten Topf mit dem kochenden Wasser zu schütten.

Es ist schon fast eine halbe Stunde vergangen - sehr beeilt hat sich Shredder nicht.

Aber Kazuo kann ihm das nicht verübeln, er hat ihm schließlich viel zum Nachdenken gegeben.

„Setz dich", empfängt er ihn, rückt ihm vielsagend einen Stuhl zurecht und kehrt dann wieder zurück an den Herd. Shredder wirft ihm zwar einen irritierten Blick zu, aber er gehorcht widerspruchslos.

„Du machst Curry-Reis?"

„Der wird dir schmecken", erklärt ihm Kazuo über die Schulter hinweg begeistert. „Ich hab das Rezept seit damals verfeinert."

Shredder schnuppert prüfend und lobt dann:

„Riechen tut's schon mal gut."

Kazuo lächelt geschmeichelt, rührt erst mit dem einen Holzlöffel in der Pfanne und dann mit dem anderen im Reistopf und stellt dann bei beiden die Hitze etwas niedriger. Dann nimmt er sich eine Wasserflasche und zwei Gläser und setzt sich zu seinem Bruder an den Tisch.

Shredder beobachtet ihn mit einem seltsam nachdenklichen Ausdruck im Gesicht, während Kazuo zwei Gläser mit Wasser füllt, um ihm eines davon schließlich zu zu schieben.

Mit einem dankenden Nicken nimmt Shredder das Glas und dreht es nachdenklich in seiner Hand. Er spürt Kazuos aufmerksamen Blick auf sich ruhen und gibt sich einen Ruck. Er hebt den Blick und sieht seinem Bruder fest in die Augen.

„Ich bin froh, dass du hier bist. Wirklich, Kazuo, das ist mein Ernst."

Kazuo mustert ihn einen Moment lang und nickt dann einmal.

„Gut. Gut, dass du dir das Aber gespart hast."

Shredder wagt ein dünnes Lächeln.

„Erzähl mir etwas von dir", fordert er ihn leise, beinahe schüchtern auf. „Ich weiß eigentlich so gar nichts mehr von dir. Erzähl mir was von deinem Job. Deinen Kollegen. Deiner Verlobten... Wie heißt sie? Wo habt ihr euch kennengelernt?"

Kazuo verbeißt sich ein belustigtes Grinsen. Damit hätte er eigentlich rechnen müssen. Jetzt versucht sein Bruder ihn an all die Dinge zu erinnern, die in dessen Augen sein Leben definieren, damit er ... was? Plötzlich doch noch Heimweh bekommt und ihn darum anbettelt, ein Portal zur Erde für ihn zu öffnen?

„Ach, Niichan, da gibt es nicht viel zu erzählen. Mein Job ist letztendlich nur ein Job, von dem ich gerade mal so leben kann, meine Kollegen sind genau das: nur Kollegen und meine Verlobte...", er hält kurz inne für eine dramatische Pause und erklärt dann lapidar: „... liebe ich nicht."

Shredder starrt ihn für einige Sekunden nur überrascht an.

„Du ...", hakt er schließlich vorsichtig nach, „...meinst das wirklich ernst?" Und als Kazuo daraufhin nur schweigend nickt, will er es noch einmal ganz genau wissen:

„Du liebst sie wirklich nicht?"

Kazuo schüttelt mit dem Kopf.

„Und warum", erkundigt sich Shredder verwirrt und auch ein wenig vorwurfsvoll, „bist du dann noch mit ihr zusammen? Wo doch immer gerade du so ehrlich und gradlinig bist? Wie kannst du das arme Mädchen nur so täuschen?"

Er klingt richtig enttäuscht.

„Du hast recht", lenkt Kazuo ein. „Wenn ich wieder zurück bin, werde ich mich von ihr trennen."

„Sehr vernünftig", brummt Shredder und nippt an seinem Wasser.

Kazuo nimmt ebenfalls einen Schluck und eine kurze Zeitlang beäugen sie sich einfach nur abschätzend über den Rand ihrer Gläser hinweg. Es scheint fast, als warten sie darauf, dass der jeweils andere irgend etwas sage. Doch sie schweigen beide - bis Kazuo sein Glas lautstark auf die Tischplatte stellt und sich erhebt, um zum Herd hinüber zu gehen.

„Wieso fragst du mich nicht, seit wann ich sie nicht mehr liebe?" fragt er völlig unvermittelt, während er in der Pfanne herumrührt. „Oder ob ich sie je wirklich geliebt habe? Oder einfach, was passiert ist?"

Shredder starrt auf seine Rückansicht und fragt sich dabei im Stillen, ob er das alles überhaupt wissen will. Und doch hört er sich zu seinem großen Erstaunen bereitwillig fragen:

„Und? Was ist nun passiert, dass du sie nicht mehr liebst?"

Bedächtig legt Kazuo den Holzlöffel beiseite und dreht sich dann langsam zu ihm um. Mit einer geradezu besorgniserregenden ernsten Miene kommt er zum Tisch zurück, wo er knapp vor Shredder stehenbleibt, sich zu ihm herunterbeugt, ihm die rechte Hand an die Wange legt und dem Überraschten einen kleinen Kuss auf die Stirn drückt.

Du bist passiert."

Er schenkt ihm ein kurzes, zärtliches Lächeln und will dann wieder zurück zum Herd eilen. Aber Shredders Finger, die sich um sein rechtes Handgelenk schließen, halten ihn zurück.

Als sich Kazuo gehorsam zu ihm umdreht, ist Shredder schon aufgestanden. Seine Finger unter Kazuos Kinn verursachen diesem ein kleines Kribbeln auf der Haut, dort, wo sie ihn berühren, und dann wird daraus ein wahrer Funkenschauer, als Shredders Lippen Kazuos berühren. Es ist die leiseste Berührung, nicht viel mehr als ein Hauch, aber sie geht beiden durch Mark und Bein.

„Du weißt, daß wir das nicht tun sollten“, murmelt Shredder gegen Kazuos Lippen und straft seine eigenen Worte doch sofort Lügen, weil er ihn in einen weiteren Kuß entführt.

„Sagt wer?“ wispert Kazuo zwischen zwei weiteren Küssen zurück. Seine linke Hand liegt an Shredders Wange, die andere streichelt zärtlich durch sein dunkles, noch etwas feuchtes Haar.

Er selbst spürt die kräftige linke Hand seines Bruders an seinem rechten Oberarm und die andere etwas zaghafter, dafür aber so viel präsenter an seiner Taille und obwohl sie noch immer einen züchtigen Abstand zueinander halten, und diese Küsse ohne Zunge sind, spürt er eine angenehm warme Erregung in sich aufsteigen.

„Die Moral“, erwidert Shredder leise und erntet dafür prompt ein leises Lachen.

Belustigt zieht Kazuo seinen Kopf etwas zurück und mustert die absolut ernste Miene seines Bruders ungläubig.

Du kommst mir mit Moral?“

Shredder blinzelt ungläubig.

„Ich kann nicht glauben, daß du keine Skrupel hast.“

Kazuo seufzt einmal tief auf. So sehr er es auch bedauert, der größere, der vernünftige Teil von ihm ist froh über diesen kleinen Stimmungswechsel, gibt es ihm doch Zeit, seine Erregung wieder auf ein annehmbares Niveau herunter zu kühlen.

„Wieso sollte ich Skrupel haben, Saki? Wem schaden wir damit denn?“

Herausfordernd sieht er seinem Bruder in die Augen und er kann förmlich zusehen, wie die Rädchen hinter Shredders hübschen, glatten Stirn zu rattern beginnen, als er über diese Frage gründlich nachzudenken beginnt.

„Und zaubere nicht wieder meine Freundin aus dem Hut“, warnt ihn Kazuo hastig. „Das Thema ist gegessen. Erstens ist sie nicht hier und zweitens werde ich mich von ihr trennen, sobald ich wieder auf der Erde bin. Was, wenn es nach mir ginge, noch hundert Jahre dauern darf.“

Es scheint, als wolle Shredder daraufhin etwas sagen, doch in diesem Moment beginnt es hinter ihnen auf dem Herd in der Pfanne laut zu zischen.

„Oh verdammt, mein schönes Curry!“ Fluchend wirbelt Kazuo herum und ist mit zwei großen Schritten am Herd, um zu retten, was noch zu retten ist.

Zum Glück war nur die minimale Hitzestufe eingestellt, also ist das Malheur nicht allzu groß.

Shredder sieht seinem Bruder eine Weile lang zu, wie dieser am Herd herumwirbelt und kann sich dabei ein kleines, liebevolles Lächeln nicht verkneifen.

Ja, stimmt … wem schaden sie damit denn schon?

 

 

Kapitel 13

Kapitel 13

 

„Da seid ihr ja endlich", begrüßt Krang die beiden Männer ungnädig, als diese seine Kommandozentrale betreten.

„Danke, dass wir wenigstens aufessen durften, Krang“, erwidert Shredder teils ironisch, teils ernst.

„Ich weiß doch, wie unleidlich du mit knurrendem Magen bist, mein Bester", flötet Krang grinsend.

Kazuo hat diesen verbalen Schlagaustausch, so kurz er auch war, bisher aufmerksam verfolgt und ihm kommt nun ein furchtbarer Verdacht.

„Moment … ihr meint das ernst, oder? Ist in der Küche etwa eine Kamera und du hast uns beobachtet?" Anklagend funkelt er Krang an und als dieser nur eine betont harmlose Miene zieht, wirbelt er aufgebracht zu Shredder herum. „Niichan?“

„Gomen", entschuldigt sich dieser zerknirscht. „Der hat überall seine Kameras, ich denk schon gar nicht mehr darüber nach.“

„Ist ja auch nicht so, als hätte ich nichts Besseres zu tun als euch beim Duschen zuzusehen oder so", wirft Krang schnaubend ein.

Da es noch gar nicht lange her ist, dass sie tatsächlich unter der Dusche standen und dort Zärtlichkeiten - zwar harmlose, aber immerhin Zärtlichkeiten - austauschten, findet Kazuo diese Bemerkung ganz und gar nicht lustig. Seine Blicke sind mörderisch, doch bevor er Krang eine gesalzene Antwort geben kann, ergreift Shredder ihn am Unterarm und hält ihn so zurück.

„Krang, hör auf, ihn zu ärgern." Tadelnd schüttelt er den Kopf und wendet sich dann an seinen Bruder. „Kazuo, die meisten Kameras funktionieren sowieso nicht mehr. Nur die, die wichtig für die Alarmsysteme sind, gehen noch. Die auf den Gängen, in den Laboren, im Maschinenraum, hier in der Zentrale und wegen Brandgefahr auch die in der Küche. Hab ich welche vergessen, Krang?“

Murrend verschränkt dieser seine Tentakel vor sich.

„Na, und wenn, werde ich dir das bestimmt nicht auf die Nase binden. Spielverderber.“

Shredder verbeißt sich ein genervtes Augenrollen und zeigt stattdessen nur sein bestes, falsches Lächeln.

„Okay, Lord Krang, weswegen hast du uns gerufen?“

„Wir bekommen in zwei Stunden Besuch. Ich möchte, dass ihr die Lady zusammen mit mir begrüßt.“

„Lady? Oh, bitte sag mir nicht, du meist das Chamäleon?“

Tadelnd schnalzt Krang mit der Zunge.

„Andere auf ihre körperlichen Attribute zu reduzieren ist nicht nett, Shredder. Die Lady hat einen Namen.“

„Ja, einen, den keiner aussprechen kann.“

„Deshalb werdet ihr sie schön mit Euer Gnaden anreden. Und, Shredder, bitte versuch diesmal nicht unhöflich zu sein und ihr offen in die Augen zu sehen.“

„Das ist schwer. Sie hat drei davon. Und jedes guckt in eine andere Richtung!“

Krang blinzelt und versucht ernst zu bleiben, denn so unrecht hat Shredder da nicht.

„Dann versuch wenigstens zu lächeln, wenn sie dich auch anlächelt", schlägt er ihm vor.

„Ach, ein Lächeln sollte das sein? Ich dachte immer, die will mich gleich auffressen.“

„Sie ist sehr stolz auf ihre Zähne, zeige ein wenig Respekt.“

„Ich werde mir Mühe geben...“ verspricht Shredder, verdreht die Augen und wirft seinem Bruder ein schiefes Lächeln zu.

Der lächelt aufmunternd zurück und versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie amüsant er diesen kleinen Disput soeben fand.

Krang macht mit einem lautstarken Räuspern auf sich aufmerksam. Als er sich Kazuos Beachtung sicher ist, erklärt er diesem:

„Zu deiner Information: Euer Gnaden ist eine meiner zuverlässigsten Geschäftspartner hier. Sie kann alles besorgen, wenn der Preis stimmt. Von ihr erhalten wir Material und Arbeitskräfte, um diese rollende Ruine wieder auf Vordermann zu bringen. Darüber solltet ihr euch freuen – während die Profis hier werkeln, habt ihr und die depperten Mutanten nämlich Sendepause. Hätte mir noch gefehlt, dass ihr die bei ihrem Job behindert.“

„Hat Euer Gnaden dir schon mitgeteilt, was sie diesmal für ihre Hilfe haben will?“ erkundigt sich Shredder da spitz.

„Tja, das ist der Grund, weshalb ihr sie zusammen mit mir begrüßen sollt.“

„Und was soll das jetzt genau bedeuten?" Jetzt wirklich misstrauisch verschränkt Shredder die Arme vor der Brust und mustert das Alien unter zusammen gezogenen Augenbrauen. „Hoffentlich nicht wieder sowas Perverses wie letztes Mal.“

„Sei nicht so eine Mimose. Euer Gnaden besitzt Anteile an einer Reproduktionsfabrik. Da ist sie immer auf der Suche nach frischem Genmaterial. Auf der Erde gibt es sogar Banken dafür.“

„Ja, aber die Spender wissen da auch, was mit dem Zeug passiert. Weiß ich, was Euer Gnaden und ihre komische Fabrik damit anstellen?“

„Viel wird’s nicht sein, wenn ich mir das minderwertige Material so ansehe, aus dem du bestehst", zischt Krang und mustert ihn verächtlich von Kopf bis Fuß und wieder zurück. „Aber keine Sorge, diesmal werde ich sie auf etwas weniger … Persönliches herunterhandeln. Ich muß sie nur überzeugen, dass du nicht mehr auf dem Markt bist.“

„Auf dem Markt? Große Güte, was will sie?“

„Na ja", druckst Krang erst ein wenig herum, doch jeder sieht ihm an, dass diese Verlegenheit nur gespielt ist. „Sie findet dich niedlich. Warum auch immer. Sie will dich.“

Was?

„Für ihre Tochter. Die sucht nämlich noch einen Ehemann. Obwohl, Spielgefährte es wohl eher treffen würde, wegen genetischer Inkompatibilität. Es sei denn, sie haben inzwischen ein neues Verfahren entwickelt … hm", nachdenklich tippt sich Krang mit einem Tentakel gegen das, wo bei anderen ein Kinn wäre, „vielleicht brauchten sie ja dafür deine Spende?“

Shredder wird blaß und fängt sich von Krang dafür nur ein hämisches Lachen ein.

„Nun fall mal nicht in Ohnmacht. Ich sagte doch, ich werde ihr das schon ausreden können. Vorausgesetzt, ihr spielt eure Rolle perfekt.“

Da es Shredder eindeutig die Sprache verschlagen hat, stellt nun Kazuo die alles entscheidende Frage:

„Und wie würde das aussehen?“

„Na ja, wenn sie sieht, dass Shredder schon vergeben ist, ist er tabu und sie wird einen anderen Preis verlangen. Es liegt also bei euch." Krang mustert sie scharf. „Glaubt ihr, ihr bekommt es hin, für zwei oder drei Stunden ein verliebtes Pärchen zu mimen? Natürlich ist es dafür nicht nötig, dass ihr vor ihren drei Augen übereinander herfallt, aber so ein paar verliebte Blicke, Berührungen und Küsse solltet ihr schon hinbekommen, oder? Ich weiß, ich weiß, ihr seid zwei Kerle und außerdem auch noch Brüder, aber so etwas gehört in ihrer Kultur fast schon zum guten Ton.“

Die beiden wechseln einen langen Blick. Kazuo nickt einmal knapp und dann meint Shredder zögernd:

„Ja, sicher, das schaffen wir schon irgendwie.“

Krangs bohrende Blicke wandern zwischen den beiden hin und her und die Falten auf seiner Großhirnrinde vertiefen sich.

„Da bin ich mir nicht so sicher“, erklärt er und verschränkt wieder die Tentakel vor sich.

„Na los!“ fordert er sie dann auf. „Zeigt es mir!“

„Was?“ kommt es verwirrt von Shredder zurück, woraufhin Krang nur genervt die Augen verdreht.

„Ich fordere eine Demonstration. Überzeugt mich. Na los, es soll doch glaubwürdig aussehen!“ Und als die beiden immer noch zögern, stöhnt er gequält auf. „Seid ihr wirklich so begriffsstutzig? Einen Kuß will ich sehen! Aber bitte einen, den man euch abkauft. Überzeugt ihr mich, dann überzeugt ihr auch Euer Gnaden. Na los, worauf wartet ihr noch?“

„Du willst wirklich, daß wir uns küssen?“ Shredders rechte Hand vollführt eine wedelnde Geste zwischen ihm und seinen Bruder und Krang nickt bestätigend. Seine eigene Tentakelgeste ist ein eindeutiges, ziemlich ungeduldiges Zeichen, endlich anzufangen und nicht noch mehr seiner kostbaren Zeit zu vertrödeln.

Shredder wirft Kazuo einen hilflosen Blick zu, doch der zuckt nur mit den Schultern. Wenn Krang unbedingt einen Kuß sehen will, soll es ihm recht sein. Schließlich küßt er seinen Niichan wirklich gerne. Obwohl, fällt ihm ein, Krang sollte wohl eher besser das Gegenteil davon glauben. Er weiß nichts von ihnen und vielleicht ist es besser, wenn es erst einmal dabei bleibt.

Shredder holt noch einmal tief Luft, wirft Krang einen ungnädigen Blick zu und dann fühlt sich Kazuo von Shredder am Handgelenk gepackt und zu ihm herangezogen.

„Ihr liebt einander“, souffliert Krang genüßlich, „ihr seid einander in brennender Leidenschaft zugetan. Eure Küsse spiegeln das wider. Na los, jetzt!“

„Das ist keine deiner albernen TV-Schmonzetten!“ protestiert Shredder verärgert.

„Besser, es wäre eine“, kommt es warnend zurückgezischt. „Oder wir feiern bald deine Vermählung mit der reizenden Miss Reptiloid.“

Shredder schluckt einmal schwer und so etwas wie Panik huscht über sein Gesicht.

„Komm“, lächelt Kazuo aufmunternd, „zeigen wir ihm, was er sehen will.“ Kurz fragt er sich, ob das jetzt eben vielleicht ein klein wenig zu eifrig geklungen hat, doch dann zuckt er nur gedanklich mit den Schultern. Seinem Bruder ist das ganze eindeutig so unangenehm, dass Kazuo es fast als Beleidigung auffassen könnte, wenn er es nicht besser wüßte.

Als er sich etwas nach vorne lehnt, kommt ihm Shredder auf halbem Wege entgegen und als sich ihre Lippen berühren, tritt alles andere sowieso sofort in den Hintergrund.

Wie von selbst landet Kazuos eine Hand auf Shredders Hinterkopf, spielt mit seinen Haaren, rutscht hinunter in den Nacken und streichelt dort über die warme, empfindliche Haut, während sich seine andere über Shredders rechten Unterarm hinuntertastet, über das Handgelenk und die Handfläche, wo sich dann ihre Finger zärtlich miteinander verschränken.

Shredders linke Hand liegt sicher und warm auf Kazuos Hüfte und zieht ihn mit sanften Druck näher an sich heran, während er gleichzeitig versucht, ausnahmsweise mal die Kontrolle über diesen Kuß zu erlangen. Er hat schließlich auch seinen Stolz. Und so gerne er es auch würde – er kann Krangs bohrende Blicke nicht ausblenden und er würde sich so gerne völlig in diesen Kuß hineinfallen lassen, aber auch das kann er nicht. Nicht so, wie er es in den ersten Sekunden konnte, schließlich ist so einen Kuß etwas Intimes, das nicht für die Augen anderer bestimmt ist – und schon gar nicht für die eines körperlosen Gehirns, das definitiv zu viele schlechte Serien sieht, wenn man seine merkwürdigen Kommentare betrachtet:

„Ihr seid zu zögerlich! Soll das Leidenschaft darstellen? Da ist der Kühlschrank ja temperamentvoller als ihr! Und ihr steht viel zu weit auseinander, da passt ja fast noch jemand zwischen. Und das soll ein Kuß sein? Ich will einen richtigen Kuß sehen. Einen mit Zunge. Ich will wilde Leidenschaft sehen! Lei-den-schaft! Kein altes Ehepaar auf der Kaffeefahrt. Nun gebt euch doch mal etwas Mühe!“

Frustriert beendet Shredder den Kuß, dreht den Kopf beiseite und funkelt Krang wütend an.

„Kannst du vielleicht mal die Klappe halten und uns einfach machen lassen, ja?“

Grummelnd verschränkt Krang seine Tentakel.

„Dann macht doch auch mal was“, mault er. „Ihr steht nur da rum und gebt euch ein Bussi. Das ist nicht sehr überzeugend. Und wenn es mich nicht überzeugt, wird es Euer Gnaden auch nicht überzeugen.“ Er seufzt einmal sehr laut und sehr theatralisch auf. „Wenn man nicht alles selbst macht... Kazuo“, ruft er befehlend, während er einen Schritt auf die beiden zumacht, „hör auf, sein Händchen zu halten. Die Hand in seinem Nacken ist ja ganz in Ordnung, aber die andere gehört in sein Kreuz. Und stellt euch enger zusammen, verdammt. Ja, ja, so ist es schon viel besser.“ Zufrieden reibt er sich die Tentakel, als zumindest Kazuo seinen Anweisungen bereitwillig folgt. Leise vor sich hinmurmelnd geht er um die beiden herum, um sich ein Bild von allen Seiten zu verschaffen und gibt weitere Befehle:

„Shredder, deine Hand auf Kazuos Hüfte kann ruhig unter dessen T-Shirt rutschen, während ihr euch küsst. Und deine andere Hand … hm ...“

Shredder verdreht nur die Augen und legt die fragliche Hand gegen Kazuos Wange. Dann sucht er den Blick seines Bruders. Und während sich ihre Blicke ineinander verhaken, verändert sich seine Miene, wird weich und liebevoll, derweil er mit dem Daumen zärtlich Kazuos Wangenknochen nachzeichnet.

Entzückt klatscht Krang in seine Tentakel. „Wunderbar. Genau das ist es. Und jetzt küsst euch. Diesmal bitte auch mit Zunge. Und lasst eure Hände ruhig mal ein bißchen auf Wanderschaft gehen.“

„Sag doch gleich, dass du willst, dass sie uns in flagranti erwischt“, knurrt Shredder, der dabei jedoch das unglaubliche Kunststück fertigbringt, Kazuo immer noch mit diesem sanften Ausdruck im Gesicht anzusehen.

„Oh, habe ich das vergessen zu erwähnen?“ Krang grinst unschuldig. „Natürlich will ich das. Das ist die Pose, in der sie euch sehen soll, sobald sie hier hereinkommt. Ach ja“, schwärmt er, „und dann werde ich tausend Entschuldigungen anbringen müssen, weil ihr so furchtbar hormongesteuert seid, anstatt sie mit dem ihr zustehenden Respekt zu begrüßen. Sie wird natürlich beleidigt sein, aber in ihrer Kultur gilt eine solche Respektlosigkeit aus solchen Gründen tatsächlich als ein großer Liebesbeweis. Wenn die Liebe so groß ist, daß man darüber alles vergißt, sogar das Erscheinen Euer Gnaden, das gefällt ihrem Volk, da sind sie furchtbar sentimental. Natürlich wird sie das nach außen hin nicht zeigen dürfen, aber der Hochzeitsdeal ist damit erst einmal vom Tisch. Natürlich wird sie euch ganz genau im Auge behalten, ihr müsst das also konsequent durchziehen und ständig Körperkontakt zueinander suchen. Ihr wisst schon: hier eine Hand aufs Knie, dort eine auf den Po ...“ Er verstummt verwirrt.

Kazuo scheint irgendwie die Geduld verloren zu haben, denn noch bevor Krang ihn oder Shredder dazu auffordern kann, schnellt er mit dem Kopf nach vorne und hascht zwei–, dreimal spielerisch nach Shredders Lippen, bevor er sie endgültig in Beschlag nimmt.

Wow. Der Junge hat Feuer!

Seine Zunge ist so schnell in Shredders Mund verschwunden und plündert diesen so gnadenlos, da kann Krang nur staunen. Shredder scheint im ersten Moment wie erstarrt zu sein, doch dann reagiert auch er endlich – wenn auch nicht so, wie Krang es erwartet hat. Anstatt seinen Kußpartner jetzt stürmisch an sich zu ziehen, gibt er nur ein leises, genüssliches Brummen von sich, während seine Hand unter Kazuos T-Shirt dessen warme, weiche Haut erkundet.

Das ist für Krang immer noch viel zu wenig Action, aber mehr kann er von Shredder wohl nicht erwarten.

Der arme Kazuo.

 

 

Kapitel 14

Kapitel 14

 

Krang fühlt sich eindeutig wohl als Regisseur. Auch wenn seine Art der Regieanweisung ziemlich ungewöhnlich ist: ein gegrolltes „wie wir es geübt haben“, gefolgt von einem scharfen Blick ist alles, wozu er sich genötigt fühlt, bevor er – diesmal in seiner Plexiglaskugel mit den drei elastischen Stahlbeinen – aus der Kommandozentrale stakst, um seinen Gast zu empfangen.

Aber eigentlich hat er Recht: mehr ist nicht nötig, denn sie wissen ganz genau, was alles von dieser Performance abhängt.

Die Tür hat sich kaum hinter Krang geschlossen, da wenden sich Rocksteady und Bebop schon erwartungsvoll grinsend den beiden Brüdern zu. Aber sie sind schlau genug, die Klappe zu halten.

Sie durften sich in genau dieselben Paradeuniformen zwängen wie Shredder und Kazuo: Schwarz und Gold und schwerer Stoff und einfach nur furchtbar unbequem, obwohl man die Jacke hier wohl offen trägt. Das Shirt darunter ist schwarz und schlicht - und liegt an wie eine zweite Haut.

Aber den Brüdern steht diese Uniform natürlich viel besser als ihnen.

Shredder wirft Kazuo einen verlegenen Blick zu.

„Das ist so albern“, murmelt er dabei.

Kazuo zwinkert ihm nur verschmitzt zu. „Es ist doch für einen guten Zweck.“

Daraufhin gluckst Shredder leise. „Ich war noch nie der gute Zweck von irgendwas. Ich fühle mich richtig geschmeichelt.“

„Na ja“, lächelnd tritt Kazuo dicht an ihn heran und richtet seinen Kragen, obwohl es da eigentlich nichts zu richten gibt. „Ich werde mir jedenfalls ganz besondere Mühe geben. Diese Aliendame bekommt dich nicht. Und“, flüstert er, während seine Hand in Shredders Nacken wandert, „mal ehrlich: Krangs kleines Theater wird uns doch wohl keine Überwindung kosten, oder?“

„Nein“, kommt es gehaucht zurück. Shredder versinkt zunehmend in Kazuos braunen Augen.

„Gut.“ Kazuos Lächeln vertieft sich, als er mit seiner freien Hand eine Hand von Shredder einfängt und sich diese auf seiner Hüfte platziert. Shredder begreift sofort, was er beabsichtigt, packt Kazuos Taille fester und zieht ihn mit einem kräftigen Ruck nah zu sich heran.

Der gibt ein kleines, erschrockenes Lachen von sich, schlingt ihm dann aber beide Arme um die Schultern, schmiegt sich der Länge nach an ihn und küßt ihn.

Grinsend stoßen sich Rocksteady und Bebop gegenseitig mit den Ellbogen in die Seite. Auch wenn ihnen viele Kommentare auf der Zunge liegen, verhalten sie sich doch mucksmäuschenstill.

Sie wollen sich schließlich nicht selbst um das Vergnügen dieses Anblicks bringen.

Ihnen zuzusehen ist sehr … herzerwärmend.

Unwillkürlich tastet Rocksteady nach Bebops Hand, um sie zu drücken. Daraufhin wirft ihm Bebop einen überraschten Seitenblick zu, doch dann drückt er nur vergnügt zurück. Rocksteady ist immer sehr vorsichtig mit solchen kleinen Gesten, wenn sie nicht unter sich sind – auch, wenn das bei Krang und Shredder wirklich nicht nötig ist.

Vielleicht – Bebop mustert sein Rhino kurz und richtet seine Aufmerksamkeit dann wieder auf die beiden Brüder vor ihnen – ist Kazuos offensive Art ja ansteckend? Zumindest ein klein wenig?

Es würde ihn freuen.

Sie müssen sich ja nicht so abknutschen wie Shredder und Kazuo.

Obwohl es eine ganz besonderen Reiz besitzt, zuzusehen, wie die beiden immer tiefer in ihrer kleinen, eigenen Welt versinken.

Als Krang mit seinem Gast die Zentrale betritt, müssen sie nicht einmal vortäuschen, daß sie nichts davon mitbekommen.

 

 

Der Gang vor der Kommandozentrale hat nie festlicher ausgesehen.

Kazuo fühlt sich unwillkürlich an die Nominications bei sich Zuhause erinnert. Geschäfte bei einem guten Essen und noch besseren Getränken zu besprechen scheint irgendwie dimensionsübergreifend zu sein. Auch wenn die Gäste auf der Erde wohl eher selten ihren eigenen Hausstand mitbringen. Getränke, Speisen, sogar der Tisch und die Bänke auf denen sie sitzen, all das hat Euer Gnaden mitgebracht, von ihrer Entourage aufstellen und kredenzen lassen.

Und sie sitzen mittendrin wie zwei Fremdkörper in ihren Galauniformen.

Aber sein Niichan hat nie besser ausgesehen.

„Und Sie waren wirklich vier Jahre von Ihrem Bruder getrennt?" Krangs dreiäugige Geschäftspartnerin hat sich als eine sehr neugierige Person herausgestellt.

Und sein Bruder hatte recht: es ist schwierig, nein, geradezu unmöglich, ihr in die Augen zu sehen ohne dass einem dabei übel wird. Nicht nur, dass ihre Augen alle in verschiedene Richtungen sehen, nein, sie bewegen sich dabei auch noch. Und sie sieht tatsächlich aus wie ein Chamäleon. Aber sie ist nicht unsympathisch.

„Wie haben Sie diese lange Trennung nur ausgehalten?"

„Oh. Es waren fünf Jahre", berichtigt Kazuo, legt seine Hand auf die seines neben ihm sitzenden Bruders und sieht ihm dabei lächelnd in die Augen. „Fünf viel zu lange Jahre. Ich habe versucht, mich abzulenken, aber er hat mir sehr gefehlt."

Das Gute daran ist: er muss auf ihre Fragen nicht einmal lügen. Auch wenn er, obwohl der Jüngere, derjenige war, der zuerst ihr Zuhause verließ – weil er mit achtzehn Jahren auf die Polizeiakademie wechselte, während Sakis Lebensmittelpunkt mehr und mehr der Footclan wurde. Ab da sahen sie sich nur noch, wenn Kazuo zu den Feiertagen nach Hause kam, um zusammen mit ihrer Mutter heile Familie zu spielen.

Das endete alles, als Saki vor fünf Jahren Japan verließ, sich ab sofort Shredder nannte und Krang traf.

Shredder lächelt zurück, woraufhin Kazuo näher zu ihm heranrückt und den Kopf an seine Schulter lehnt, während er gleichzeitig ihre Finger miteinander verschränkt.

„Aber jetzt", schmunzelt Kazuo, „wird er mich nicht mehr los."

Vielsagend kuschelt er sich enger an Shredders Seite. Kazuo liegt Unterwürfigkeit nicht so, aber er hat schnell herausgefunden, dass Euer Gnaden eine gewisse Rollenverteilung erwartet. Also liefert er ihr eine überzeugende Show ohne dabei gleich seine gesamte Ehre zu opfern. Außerdem gibt ihm das die einmalige Möglichkeit, seinen Niichan offensiv vor Publikum angraben zu können. Er will Shredder auf die Art auch zeigen, was er haben kann und was möglich ist, wenn er es nur will.

Die Echsenlady richtet das mittlere ihrer drei Augen auf sie beide und das linke auf den neben ihr in seiner Plexiglaskugel sitzenden Krang.

„Eine solch tiefe Verbindung zwischen Geschwistern bedeutet bei uns immer einen Glücksfall für das jeweilige Haus“, erklärt sie salbungsvoll. „Dein Techndodrome ist wahrlich gesegnet, Krang.“

„Vielen Dank, Euer Gnaden“, bedankt sich dieser artig.

„Unter solchen Bedingungen werden Wir natürlich gerne Unsere geschäftlichen Beziehungen mit dir wieder aufleben lassen.“

„Vielen Dank, Euer Gnaden.“

„Meine Erbtochter wird zwar enttäuscht sein, aber ich hoffe, sie durch ein Holo-Foto des glücklichen Paares trösten zu können.“ Auf einen Wink von ihr erhebt sich einer aus ihrer Entourage von seinem Platz und huscht an ihre Seite, um ihr ein reichverziertes Kästchen zu reichen. Sie nimmt es huldvoll entgegen und als sie es öffnet, schwebt eine tischtennisballgroße Kugel heraus. Sie tippt irgend etwas in die unter ihrer Handfläche implantierten Steuereinheit, woraufhin die Kugel höher schwebt und die beiden Brüder umrundet, um dann brav in die Hand ihrer Besitzerin zurückzukehren. Während der Bedienstete die Kugel wieder verpackt und zurück an seinen Platz huscht, erscheint über Echsenladys Handfläche eine dreidimensionale Abbildung von Kazuo und Shredder. Während Shredder nur gelangweilt an seinem Wasserglas nippt, kann Kazuo seine Begeisterung über das lebensecht wirkende Hologramm nicht verhehlen. Dabei erstaunt ihn aber weniger die Qualität als die Tatsache, wie schnell und vor allem wie klein diese Kugel war. So wie er würde sich jetzt wohl ein Fotograf aus dem 19. Jahrhundert fühlen, wenn er mit der Digitaltechnik konfrontiert wird. Vor allem die Alltäglichkeit, mit der hier mit dieser Technik umgegangen wird, ist beinahe erschreckend.

Um nicht wirklich wie ein Neandertaler zu erscheinen, kaschiert er, wie beeindruckt er wirklich ist, mit einem kleinen verlegenen Lachen.

„Oh, ich wußte gar nicht, welch ein schönes Paar wir sind. Euer Gnaden, Ihr seid sicher, daß diese Kamera uns nicht ein wenig aufgehübscht hat?“

Sie ballt die Faust und das Abbild verschwindet. Um ihre Mundwinkel zuckt etwas, was einem Zähnefletschen sehr nahe kommt, als sie plötzlich alle ihre drei Augen auf Kazuo richtet.

„Kazuo, ich kann Ihnen versichern, meine Kamera arbeitet korrekt. Versuchen Sie nicht, mir mit falscher Bescheidenheit zu schmeicheln, Kazuo, denn es steht außer Frage, daß Sie ganz genau wissen, welch eine Augenweide Ihr Bruder ist. Daß dasselbe für Sie gilt, sollte Ihnen ebenfalls bewußt sein, es sei denn, Sie sehen im Spiegel etwas anderes als wir alle.“

Im ersten Moment starrt Kazuo sie nur schockiert an, aber bevor er eine verlegene Entschuldigung stammeln kann, hat Shredder beschützend einen Arm um ihn gelegt.

„Verzeiht, Euer Gnaden, mein Bruder wollte Euch nicht beleidigen. Im Gegenteil: in unserer Kultur gehört es zum guten Ton, sich selbst klein zu machen, je höher der andere im Rang über einem steht.“ Er bittet mit einem Lächeln um Verzeihung, doch in seinen Augen funkelt eine eindeutige Warnung.

Euer Gnaden mustert sie einen Moment schweigend, dann entschwinden ihre Augen wieder in verschiedene Richtungen und sie nickt einmal knapp.

„Ihr seid ein schönes Paar“, bestätigt sie, und das klingt völlig neutral, so, als würde sie ein gelungenes Kunstwerk kommentieren. Noch im selben Atemzug dreht sie sich etwas zur Seite und verwickelt Krang in ein Gespräch, das die Details ihres Geschäftes zum Thema hat.

Den Rest des Essens läßt sie die Brüder links liegen und die beiden sind darüber mehr als erleichtert.

 

 

Es ist gar nicht so schlimm. Normalerweise hasst Shredder diese aufgezwungenen, geselligen Zusammenkünfte – sie sind laut, langweilig und absolute Zeitverschwendung, aber wenn er Kazuo an seiner Seite hat, kann er offensichtlich alles ertragen. Er weiß, all diese zur Schau gestellten Zärtlichkeiten sind genau das: nur Schau, aber sie fühlen sich nichtsdestotrotz gut an. Echt. Und das sind sie ja auch.

Auch wenn ihm die devote Rolle nicht gefällt, die Kazuo hier zu spielen gezwungen ist, bewundert er ihn dafür, mit welchem Gleichmut er es erträgt. Shredder weiß, er sollte ihm gegenüber viel herrischer auftreten, aber alles in ihm sträubt sich dagegen. Seine Rolle als Beschützer scheint überzeugend genug gewesen zu sein – nur war das genauso wenig gespielt wie ihre Emotionen hinter dieser ganzen Scharade.

Und je länger dieses „Geschäftsessen“ dauert, desto mehr gefällt es ihm, von Kazuo so umgarnt zu werden und desto natürlicher kommt ihm jeder Kuß und jede noch so kleine zärtliche Berührung vor.

Er beginnt tatsächlich, sich zu entspannen.

Er ist völlig damit zufrieden, Kazuos Hand auf seinem Oberschenkel zu spüren, alles andere an sich vorbeirauschen zu lassen und ab und an an seinem Wasser zu nippen.

Plötzlich durchstößt ein lautes Geräusch seine kleine Wohlfühlblase: das laute Klonk von Metall auf Metall, gefolgt von einem leisen Fluch und Gelächter – aber das nimmt er schon gar nicht mehr wahr.

Alles, was er hört, ist dieses Klonk.

Und sein Körper reagiert.

 

 

Amüsiert sieht Kazuo zu, wie derjenige aus der Entourage, der soeben eine der Metallplatten, auf denen das Brot gereicht wurde, fallen ließ, unter dem Gejohle seiner Kollegen unter dem Tisch verschwindet, um das Malheur zu beheben, als er spürt, wie sein Bruder neben ihm erstarrt. Und dann fühlt er das kleine Zittern, das dessen Körper plötzlich durchläuft.

„Saki?“ Besorgt wendet er sich ihm wieder zu.

Sakis Miene ist völlig starr, sein Blick ebenso, und die Hand, die sein Wasserglas hält, zittert so stark, daß es ihm fast aus aus den Fingern rutscht.

Hastig nimmt Kazuo es ihm ab und stellt es außer Reichweite, während Saki seine zitternden Hände hastig unter dem Tisch verschwinden läßt und sich bei Kazuo mit einem unsicheren Lächeln bedankt.

Kazuo lächelt aufmunternd zurück, legt ihm einen Arm um die Schultern und zieht ihn dicht an sich heran. Seine andere Hand sucht unter dem Tisch nach Sakis Händen. Sie zittern noch immer, obwohl er sie krampfhaft auf seinem Schoß verschränkt hält. Beruhigend legt Kazuo seine eigene Hand darüber und streichelt sanft mit den Daumen über die immer klammer werdende Haut.

Irgend etwas muß ihn getriggert und diesen Panikanfall ausgelöst haben.

Aber die Klärung dieser Frage ist nebensächlich. Wichtig ist jetzt, daß er Saki dort herausholt. Vielleicht – er wirft einen sichernden Blick zur Echsenlady und Krang hinüber, die glücklicherweise ganz in ihr Gespräch vertieft scheinen – möglichst unauffällig?

„Küß mich“, wispert er ihm daher leise ins Ohr.

Und als Saki daraufhin automatisch den Kopf in seine Richtung dreht, befolgt Kazuo seinen eigenen Befehl und preßt seine Lippen auf die seines Bruders.

Er hat ihn schon einmal aus ähnlichen Gründen geküsst, und das ist sogar erst wenige Stunden her, und vielleicht liegt es daran, daß die Erinnerung daran noch so frisch ist, aber Sakis Zittern verebbt tatsächlich schon nach den ersten Sekunden.

Und dann entgegnet Saki den Kuß – anfangs nur zaghaft, doch dann immer wilder und leidenschaftlicher werdend. Begeistert heißt Kazuo seine Zunge in seinem Mund willkommen, schmeckt Wasser, Brot und ganz einfach nur SakiSakiSaki … und oh, jede Faser in seinem Körper vibriert und jubelt auf vor Freude, denn … oh ja, das ist es. Genau das!

Genau wie damals.

Und plötzlich erinnert er sich an diesen einen, speziellen Tag vor zwölf Jahren, an dem alles begann und endete. Dunkel war es im Zimmer, weil es draußen regnete und stürmte, und es war einer dieser Tage, an denen einfach alles schieflief.

Das Schlimmste war aber das Wissen, daß Saki eine feste Freundin hatte. Da war er mit ihr schon einen Monat zusammen, und das zu ertragen wurde für Kazuo jeden Tag immer schlimmer.

An diesem schicksalshaften Tag nun hatte Kazuo endgültig genug davon und fasste einen Plan. Und so ging er seinem Bruder nach in dessen Zimmer, kaum daß dieser endlich Daheim war. Kazuo hielt sich nicht mit langen Vorreden auf und im nächsten Moment saß er auch schon auf Sakis Schoß, die Arme um dessen Nacken geschlungen und küßte ihn. Es erforderte ein bißchen Überredungsgeschick und eine kleine Notlüge, aber am Ende küßte ihn Saki so wild und hemmungslos zurück wie jetzt.

Es war die ursprünglichste, ehrlichste Kommunikation, zu der sie in ihrem jungen Alter fähig waren und es fühlte sich gut an und richtig und ganz einfach nur perfekt. Und niemals, niemals wieder, weder bei Hikari noch bei irgend einer anderen Frau hat Kazuo auch nur etwas annähernd ähnliches gefunden.

Und als er etwas atemlos wieder aus diesem wunderschönen Kuß zurückkehrt, ist er daher nicht überrascht, sich auf Sakis Schoß wiederzufinden...

Es dauert eine Weile – und für Shredder noch ein paar Sekunden länger - bis sich Kazuo der Totenstille um sie herum gewahr wird.

Und dann klatscht jemand hinter ihm in die Hände. Erst einmal, dann zweimal und beim dritten Mal fallen noch andere mit ein.

Die beiden Brüder tauschen einen entsetzten Blick. Doch als sie sich umsehen, blicken sie nur in ausnahmslos breit grinsende Gesichter. Und am breitesten grinst Euer Gnaden höchstpersönlich – dicht gefolgt von Krang.

 

Kapitel 15

Kapitel 15

 

Krang weiß, was sich gehört und bringt seinen Gast nach erfolgreichem Gelage noch persönlich bis zur Tür. Allein. Seine Untergebenen hat er angewiesen, auf ihn in der Zentrale zu warten.

Durch das geöffnete Schott fällt das schwindende Tageslicht in einem dunklem Rotton, am Horizont zeigen sich zwei Monde und es wird empfindlich kühl. Wenn man, so wie er, ultraviolettes Licht sehen kann, erkennt man in der Ferne die Tarnkuppel der nächstgrößeren Stadt – das Revier seines Gastes.

Diese steht neben ihm und sieht kurz ihren Untergebenen hinterher, wie diese Tische, Bänke und sonstiges Zubehör zurück in das große Lastenfahrzeug bringen, das nur wenige Meter von der Rampe entfernt parkt.

„Das war wirklich ein sehr kurzweiliger Abend. Vielen Dank, Krang.“

„Gern geschehen, Euer Gnaden.“

„Und hör endlich auf mit diesem lächerlichen Titel.“

„Sehr wohl, Zyrska“, grinst Krang vergnügt.

Zyrska gibt ein leises Brummen von sich und wirft dann einen nachdenklichen Blick zurück in das dunkle Innere des Technodromes.

„Hast du jetzt, was du wolltest?“

„Für den Anfang...“

Um ihre Mundwinkel zuckt ein kleines Grinsen. „Alter Kuppler.“ Dann seufzt sie einmal leise auf und schüttelt mit dem Kopf. „Wenn meine Erbtochter wüßte, wofür sie hier mit ihrem guten Namen herhalten mußte... ich versteh immer noch nicht, daß die uns das abgekauft haben.“

Krang zieht eine betont unschuldige Miene. „Nach dem, was du letztes Mal als kleines Guddie zur üblichen Bezahlung haben wolltest...“

Sie wirft ihm einen überraschten Blick zu. „Dabei wollte ich nur so minimalinvasiv wie möglich an neues Genmaterial herankommen.“

„Das hab ich wohl dann vergessen, ihm gegenüber zu erwähnen.“

Zyrska mustert ihn nachdenklich mit allen drei Augen gleichzeitig. „Du betreibst eine seltsame Form der Personalpolitik.“

In einem Äquivalent eines Schulterzuckens, hebt Krang die Tentakel. „Es funktioniert.“

Sie denkt eine Weile darüber nach.

„Und wie geht es jetzt weiter?“ will sie dann neugierig wissen. „Was hast du dir für die beiden Jungs noch so ausgedacht?“

„Och, das entscheide ich ganz spontan. Es ist ja auch abhängig davon, was sie jetzt aus dieser Geschichte machen.“

„Du solltest ihnen ihr eigenes Tempo lassen. Das könnte sonst furchtbar daneben gehen und du möchtest bestimmt keinen Rosenkrieg in deinem Technodrome.“

Aber auf diese Aussage hin lacht Krang nur. „Da mache ich mir keine Sorgen. Du hast den Kuß doch auch gesehen.“

„Den, mit dem Kazuo deinem Shredder über diesen Panikanfall hinweggeholfen hat? Natürlich. Den hat jeder gesehen.“ Sie grinst und zeigt dabei all ihre beeindruckenden Zähne, doch dann wird sie schnell wieder ernst.

„Hat er solche Anfälle öfter?“ erkundigt sie sich besorgt. Wie alle ihrer Spezies hegt sie eine gewisse Sympathie für alles, was niedlich ist, und diese beiden Menschen gehören für sie eindeutig in diese Kategorie. Sie sind schwach und empfindlich und halten sich selbst doch für so tough – so etwas muß man doch einfach knuddelig finden.

„Nein“, erwidert Krang, und wer ihn genauer kennt, sieht und hört hier seine Besorgnis durchschimmern. „Das habe ich bei ihm auch noch nie gesehen. Das muß eine Nachwirkung meines letzten Experiments sein.“ Und auf Zyrskas fragenden Blick hin, erklärt er mit einem Hauch von Schuldbewußtsein: „Er steckte in einem Duplikat, das in einem Kampf tödlich verwundet wurde.“

Nachdenklich tippt sie sich mit einer Klaue an die flache Nase. Über das „tödlich verwundet“ geht sie rücksichtsvoll hinweg. Das Offensichtliche muß man ihrer Meinung nach nicht totdiskutieren, schließlich sind Panik-Anfälle ganz natürliche Reaktionen auf Nahtoderlebnisse.

„Bewusstseinsübertragung?“ hakt sie daher interessiert nach. „Das ist ein kniffliges Thema. Aber ich kenne da jemanden, der damit prahlt, das Problem der eigenständigen, willentlichen Rückübertragung gelöst zu haben. Ich kann euch ja mal miteinander bekannt machen. Aber der Typ ist mit Vorsicht zu genießen. Narzisstisch. Geradezu soziopathisch. Auf alle Fälle aber furchtbar paranoid. Leichter wäre es, seine Forschungsergebnisse zu klauen. Du hast doch ...“

„Nein“, fällt er ihr sofort ins Wort. „Das ist die einzige Mannschaft, die ich habe. Ich werde doch nicht riskieren, sie bei so einem idiotischen Diebstahl zu verlieren. Nein, deren Revier ist die Erde. Da dürfen, können und sollen sie wildern, aber hier... nein.“

Sie nickt verständnisvoll. „Gut, dann werde ich das für dich in die Wege leiten, wenn du möchtest. Und wenn du es bezahlen kannst“, fügt sie verschlagen hinzu.

„Ich will erstmal wissen, was der Typ mir zu sagen hat und dann entscheide ich, ob er zu dem, was er behauptet, überhaupt fähig ist. Und dann reden wir weiter.“

„Klingt fair. Allein die Reparatur des Technodromes wird dich alle deine Kaffeevorräte kosten.“

„Ich lege noch zehn Espresso-Maschinen obendrauf.“

„Espresso?“ wiederholt sie neugierig.

Krang grinst breit. „Ich verspreche dir, das wird dir ganz besonders gut schmecken.“

Sie kichert leise.

„Hoffentlich eroberst du die Erde bald, damit wir noch mehr dieser Spezialitäten genießen können. Dieses Bier war letztens der Renner. Neben dem Kaffee natürlich. Die Goldkettchen aber“, fügt sie seufzend hinzu, „sind eher ein Ladenhüter.“

„Ja“, stimmt er ihr zu, „dieser ansonsten sehr rückständige Planet hat so seine kleinen Vorteile...“

Sie versinken in einem kurzen Schweigen, in denen jeder von ihnen seinen eigenen Gedanken nachhängt. Als das Fahrzeug beladen und ihre Entourage bis auf den Chauffeur, der höflich an der geöffneten Tür auf Zyrska wartet, darin verschwunden ist, faltet sie ihre klauenartigen Hände vor der Brust und verabschiedet sich von Krang mit einer angedeuteten Verbeugung.

„Es ist mir eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen, Krang.“

Krang kann sich zwar nicht selbst verbeugen, aber seine dreibeinige Plastikkugel-Konstruktion schafft einen ziemlich eleganten Knicks.

„Mir ist es ebenfalls ein Vergnügen, mit dir zu verhandeln, Zyrska.“

Sie schenkt ihm noch ein kleines Lächeln, dann rauscht sie mit wehendem weißen Mantel und vergnügt wippendem Schwanz die Rampe hinunter.

 

 

Krang ist mit der Entwicklung der Dinge sehr zufrieden, als er zurück in seine Zentrale kommt. Und seine Stimmung steigt gleich noch um einen Level, als er feststellt, daß seine höchsteigenen Sklaven seinem Befehl Folge geleistet und sich hier versammelt haben.

Auch wenn er findet, daß sich Rocksteady und Bebop nicht so rotzfrech auf den Kommandosessel lümmeln müßten – gemeinsam, daß die da zusammen überhaupt reinpassen grenzt an ein Wunder – und muß Shredder seinem Bruder unbedingt die Bedienelemente der Konsolen erklären?

Aber wenigstens genügt ein Räuspern von ihm und alle vier nehmen so etwas wie Hab-Acht-Stellung ein.

„Es freut euch gewiß zu hören, daß eure kleine Show erfolgreich war“, erklärt er salbungsvoll an die Orokus gewandt und wendet sich dann explizit an Shredder: „Du bist nicht mehr Gegenstand der Verhandlungen.“

Dem fällt sichtbar ein Stein vom Herzen. Krang verbeißt sich ein Grinsen und zieht stattdessen eine betont grimmige Miene.

„Stattdessen musste ich ihr unseren gesamten Kaffeevorrat versprechen. Und zehn Espresso-Maschinen.“

„Aber haben wir das nicht gerade für solche Fälle geklaut?“ wagt Shredder stirnrunzelnd einzuwenden. „Der ganze Laderaum B-12 ist bis oben hin voll mit Kaffee. Und von den Espresso-Maschinen haben wir doch zwei Dutzend...“ Er hält inne, als er Krangs funkelnden Blick bemerkt.

„Ich sagte alle Kaffeevorräte, du Kretin! Das schließt die privaten mit ein. Wegen dir muß ich jetzt auf meinen Kaffee verzichten! Da könntest du wenigstens einmal danke sagen.“

„Danke“, kommt es sofort etwas kleinlauter zurück.

Aber keiner der vier wirkt wirklich betrübt wegen des Kaffees. Nun, das hat Krang auch nicht erwartet. Es ist letztendlich nur Kaffee. Die Alternative wäre für alle wesentlich schrecklicher gewesen.

Wieder verbeißt sich Krang ein Grinsen. Ja, er weiß, wie er seine Pappenheimer zu behandeln hat. Und er weiß auch, daß zumindest Bebop und Rocksteady irgendwo ein geheimes Versteck haben, wo sie garantiert nicht nur ausrangierte Waffen und Süßigkeiten, sondern auch so etwas wie Kaffee bunkern. So viel zum angeblich drohendem Kaffeeentzug.

Langsam läßt er seine Blicke über die vier Männer vor sich schweifen. Sie haben alle eins gemein: sie alle scheinen sich in ihren Galauniformen sehr unwohl zu fühlen, aber sie haben es offensichtlich alle bisher nicht einmal gewagt, sich von ihrer Jacke zu trennen.

Na, wenn das mal nicht beweist, daß sie ihm zumindest den grundlegenden Respekt entgegenbringen.

Also kann er sich jetzt auch großzügig erweisen.

„Ihr könnt gleich gehen und euch aus euren Uniformen pellen – obwohl ich sagen muß, daß sie euch sehr gut stehen. Dann könnt ihr Feierabend machen. Und der wird ein paar Wochen andauern. Morgen früh um acht Uhr schickt uns Euer Gnaden nämlich den ersten Bautrupp vorbei. Die Reparaturen sind diesmal sehr umfangreich, wie ihr selber wisst und werden daher länger dauern. Vier Wochen bestimmt. Und in der Zeit habt ihr Sendepause. Mir egal, womit ihr euch die Zeit vertreibt, so lange ihr die fleißigen Arbeiter nicht behindert. Wenn ihr das Technodrome verlassen und euch irgendwo anders vergnügen wollt, müßt ihr das aber zuerst mit mir absprechen, kapiert? Die DimensionX ist kein Ponyhof.“

Die vier nicken gehorsam.

Ganz kurz ruht Krangs Blick auf den beiden Brüdern und er runzelt enttäuscht die Stirn. Er hätte wenigstens erwartet, daß die beiden Händchenhalten, aber nein – die stehen nur da, als wäre nie etwas passiert. Das ist einfach inakzeptabel.

Er entläßt sie mit einer mürrischen Tentakelbewegung. Die vier murmeln einen Abschiedsgruß und gehen gehorsam zur Tür. Rocksteady und Bebop sind als erste an der Tür, und gerade, als sich diese gehorsam vor ihnen öffnet, tritt Krang kraftvoll mit einer seiner Stelzen gegen die nächste Konsole. Ein helles, metallisches Geräusch durchschneidet die Stille.

Klonk!

Shredder bleibt wie angewurzelt stehen und auch wenn Krang sein Gesicht nicht sehen kann, weil er ihm den Rücken zuwendet, Kazuos Reaktion genügt ihm völlig.

Der junge Polizist ist sofort an Shredders Seite, nimmt dessen Hände in seine und murmelt beruhigend auf ihn ein.

Die beiden Mutanten sind bei dem Geräusch instinktiv herumgewirbelt und nun huschen ihre Blicke zwischen den Brüdern und Krang irritiert hin und her. Wie gewohnt sind sie etwas langsamer, wenn es darum geht, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

„Shredder!“ donnert Krang in einem Tonfall und einer Lautstärke, die nicht nur Shredder zusammenzucken lassen.

Ein wenig tut es Krang ja schon leid, ihm so einen Schrecken einzujagen, vor allem, als sich Shredder sofort zu ihm umdreht und Krang sehen kann, wie bleich er geworden ist, aber Krang überwindet seine kleine sentimentale Schwäche sehr schnell.

„Warum hast du mir das nicht gesagt?“ verlangt er scharf anklagend von ihm zu wissen.

„Ich...“ beginnt Shredder, doch Kazuo ist schneller:

„Es ist nur eine kleine Panik-Attacke, Krang. Nach allem, was er durchgemacht hat, ist das ja auch kein Wunder. Herrgott, es ist gerade mal drei Tage her!“

„Vier“, unterbricht ihn Krang kühl mit einem vielsagenden Blick zur Wanduhr. „Seit zehn Minuten sind es genau vier Tage.“

Vier Tage“, wiederholt Kazuo unbeeindruckt. Genauer darüber nachzudenken erlaubt er sich nicht, sonst würde er genauso zittern wie sein Niichan. „Trotzdem. Das ist nicht genug, um das auch nur annähernd zu verarbeiten. Es wird besser, aber es braucht nun einmal seine Zeit.“

Die letzten Worte richtet er an seinen Bruder, dem er schon zu Beginn seiner kleinen Rede den Arm um die Schultern gelegt und an sich gezogen hat. Dieser nickt nur schwach. Seine zitternden Finger haben sich so fest in Kazuos Jacke verkrallt, als wolle er ihn nie wieder loslassen.

„Er schafft das“, erklärt Kazuo im Brustton der Überzeugung und funkelt Krang herausfordernd an. „Ich helfe ihm dabei.“

„Und wir auch“, fallen die beiden Mutanten mit ein.

„Wenn du uns sagst, wie...“, ergänzt Bebop leise an Kazuo gewandt.

Der nickt nur und schenkt ihnen ein kurzes Lächeln, bevor er sich wieder auf Krang konzentriert.

„Es war nicht richtig von uns, dir das zu verheimlichen“, lenkt er ein. „Und wenn du darauf bestehst, werden wir dir sofort jede Kleinigkeit melden, die uns in der Hinsicht auffällt. Aber mach ihn nicht fertig für etwas, wofür er nichts kann. Das ist unfair und unter deinem Niveau.“

Krang blinzelt erstaunt, während es um seine Mundwinkel schon wieder verdächtig zu zucken beginnt. Wow. Der Junge hat wirklich Feuer.

„Nun gut“, erklärt er und mustert dabei ausdrücklich Shredder. Er scheint sich wieder etwas gefangen zu haben, sein Gesicht hat schon wieder etwas Farbe und der verschreckte Kaninchen-Ausdruck ist aus seinen Augen gewichen. Einigermaßen zufrieden richtet er seinen stechenden Blick auf ihr neuestes Technodrome-Mitglied.

„Dann werde ich das mal deinen fähigen Händen überlassen. Immerhin habt ihr jetzt ein paar Wochen Zeit, um euch darum zu kümmern. Also, Kazuo-kun“, auffordernd deutet er mit dem Tentakel auf ihn, „kümmere dich um deinen Niichan.“

„Ich bin kein verdammter Invalide“, murrt Shredder leise, doch Krang hat ihnen schon den Rücken zugedreht und stakst hinüber zum Hauptbildschirm.

Er wartet, bis er hört, wie sich die Tür hinter ihm öffnet und sie hindurchgehen, aber erst, als sich die Tür hinter ihnen auch wieder geschlossen hat, wagt er das kleine Kichern herauszulassen, das die ganze Zeit über darauf gelauert hat, herauszukommen.

Das mit Shredders Panik-Attacke bereitet ihm natürlich schon ein wenig Sorgen, aber – sind diese beiden Brüder in ihrer Art, sich gegenseitig zu beschützen, nicht einfach nur... nun ja - niedlich?

 

Kapitel 16

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 17

Kapitel 17

 

Schön.

So schön.

Shredder kann sich an seinem Bruder nicht sattsehen. Das konnte er noch nie.

Egal wie alt und groß er wurde, er hatte immer etwas absolut Unschuldiges an sich. Und nicht nur das: er war nie unfair, gemein oder böse. Er war immer gut.

Er ist noch immer gut, korrigiert sich Shredder in Gedanken. Er ist ein guter Mann.

Behutsam, um ihn nicht aufzuwecken, windet er sich unter Kazuos Umarmung hervor, rutscht neben ihn, stützt sich seitlich auf einen Ellbogen und betrachtet ihn liebevoll. In dem blassen Morgendämmerungs-Fake-Licht sieht er für ihn mehr denn je wie ein Engel aus.

Ein etwas blasser Engel. Kazuo verbringt eindeutig zu viel Zeit in geschlossenen Räumen. Etwas mehr Sonnenlicht könnte ihm nicht schaden.

Vorsichtig streckt er die Hand aus und lässt seine Fingerspitzen über dieses schöne Gesicht wandern - über die glatte Stirn, zeichnet die feingeschwungenen Augenbrauen und die hohen Wangenknochen nach, die gerade Nase mit der kecken Spitze und schließlich, und hier ist er besonders vorsichtig, damit Kazuo nicht aufwacht, fährt er die Konturen dieser vollen, köstlichen Lippen nach.

Eine Zeitlang verharren seine Finger dort, während er sich daran erinnert, wie es sich anfühlt, diese Lippen auf seinem Körper zu spüren.

Hm, ob er im Nacken jetzt einen Knutschflecken hat? Immerhin hatte sich Kazuo dort festgesaugt wie ein Vampir.

Unwillkürlich muß Shredder lächeln.

Ihm gefällt Kazuos dominante Seite.

Langsam läßt er seine Finger weiterwandern, über Kinn und Hals, fährt dann den sanften Schwung von Kazuos rechtem Schlüsselbein nach und überlegt, ob er es wagen kann, seine Hand unter die Bettdecke zu schummeln, um Kazuos Oberkörper zu erkunden, vor allem seine sensitiven Brustwarzen...

„Hm... Niichan, das kitzelt“, murmelt Kazuo plötzlich und blinzelt ihn verschlafen an.

Erschrocken zieht Shredder seine Hand etwas zurück.

„Hey“, protestiert Kazuo sofort, „hab nicht gesagt, daß du aufhören sollst, oder?“

Grinsend läßt Shredder seine Hand wieder über diese schöne samtige Haut wandern und Kazuo schmiegt sich seinen Berührungen nur wohlig aufseufzend entgegen.

So vergehen ein paar Minuten, in denen sich Kazuo ganz, ganz langsam auch aus den letzten, hartnäckigen Fängen des Schlafes befreit. Wenn ihn nichts und niemand dazu drängt aufzustehen, wenn er so entspannt ist wie jetzt, kann es schon mal ein paar Minuten dauern, bis er richtig wach wird. Und eigentlich hat er es nur seinem Bruder zu verdanken, daß er so gut wie nie zu spät zur Schule kam. Später, auf der Polizeiakademie, gab es seine Stubenkameraden, die die Aufgabe übernahmen, ihn aus dem Bett zu zerren, bis er endlich einen Wecker fand, dessen Alarmton auch sein verschlafenes Hirn erreichte.

Sakis Streicheleinheiten sind allerdings auch nicht gerade ein Grund, sich mit dem Aufwachen zu beeilen.

Als er dann aber endlich einmal wach ist, dreht er sich sofort zu seinem Bruder um und mustert ihn prüfend.

„Wie geht es dir?“ fragt er ihn, während er ihm ein paar vorwitzige Haarsträhnen aus dem Gesicht streicht. Gott, er hofft wirklich, daß sich sein Niichan das Haar erst einmal nicht schneidet – es ist perfekt, so, wie es gerade ist. „Hast du gut geschlafen? Du warst wieder etwas unruhig, aber nicht ganz so schlimm wie gestern.“

„Entschuldige...“ beginnt Shredder, doch Kazuos Zeigefinger auf seinem Mund bringt ihn zum Schweigen.

„Küß mich lieber.“

„Was?“

„Vergeude meine Zeit nicht mit unnützen Entschuldigungen. Küß mich, du Baka.“

Über Shredders Miene huscht ein verschmitztes Grinsen, als er Kazuo in seine Arme zieht und ihm gibt, wonach er verlangt.

Würde Kazuo nicht schon liegen, würden ihm bei diesem Kuß die Knie weich werden. Während er in Shredders Geschmack ertrinkt, spürt er, wie sein Herz immer stärker zu klopfen beginnt, so heftig, bis es ihm in seinen Ohren dröhnt. In seinem Bauch flattern Schmetterlinge und überall da, wo er ihn berührt, fühlt es sich an, als würde er verbrennen.

Als Shredder den Kuß nach einer süßen Ewigkeit beendet, hört Kazuo sich selbst atemlos wispern:

„Ich liebe dich, Saki.“

Dieser öffnet den Mund, um etwas darauf zu erwidern, doch bevor er dazu kommt, hat Kazuo ihm schon die Arme um den Nacken geschlungen, sich mit ihm gedreht und in einen weiteren Kuß verwickelt. Shredders Körper auf seinem ist warm und schwer, aber vor allem so wunderbar präsent. Er schmeckt und riecht und fühlt sich so gut an, so vertraut und vor allem - so lebendig!

Mitten im schönsten Kuß blitzt ungebeten dieses Bild vor seinem geistigen Auge auf – die Erinnerung an einen anderen Shredder: blaß, leblos ... tot.

Nein. Nein!

Verzweifelt klammert er sich noch fester an ihn, nimmt diesmal auch seine Beine zu Hilfe und stürzt sich mit einer noch nie dagewesenen Wildheit in ihren Kuß.

Seine Finger vergraben sich so tief in Shredders Rücken, daß seine Nägel blutige Wunden schlagen und überhaupt bekommt seine Umarmung langsam einen schraubstockartigen Charakter. Schmerzerfüllt zuckt Shredder über ihm zusammen, doch erst, als er seinen Kopf zurückziehen will und Kazuo sich starrsinnig an seiner Unterlippe festsaugt, wird ihm klar, daß hier etwas ganz und gar nicht mehr stimmt.

Schockiert über diese plötzliche Vehemenz, zieht er sich soweit zurück, wie es Kazuos Umklammerung zuläßt, und das ist zugegebenermaßen nicht sehr viel.

„Kaz-chan...?“

„Nicht.“ In Kazuos weitgeöffneten Augen flackert ein unruhiges Feuer, als er sich erfolglos bemüht, seinen Bruder wieder enger an sich zu drücken. „Bleib. Du darfst mich nicht verlassen. Du gehörst mir.“

Shredder bleibt fast das Herz stehen, als er das hört und sieht. Verdammter Mist! Er wollte wirklich nie, daß sein Kaz-chan so etwas jemals durchmachen muß.

„Scht. Kazuo...“ Shredder legt ihm beide Hände ums Gesicht und zwingt ihn so, ihn anzusehen. „Ich gehe nirgendwo hin. Ich bin hier. Bei dir.“ Eindringlich starrt er in diese so verzweifelten Augen. „Sieh mich an, Kaz-chan. Ich bin hier. Hörst du?“

Es dauert eine Weile, bis dieses irre Licht aus Kazuos Pupillen verschwindet, doch dann schwimmen seine Augen plötzlich in Tränen und die Kraft hinter seiner Umklammerung läßt nach.

„Niichan...“ Er holt einmal tief und zitternd Atem. „Ich … entschul-“

Doch Shredder drückt ihm nur einen Kuß auf die bebenden Lippen.

„Ich lebe“, murmelt er dann leise, reibt seine Nase sanft an Kazuos und sieht ihm dabei unablässig in die Augen. „Und ich werde dich nie wieder verlassen. Es sei denn, du bittest mich darum.“

Der kleine Scherz verfehlt seine Wirkung nicht – Kazuos Miene hellt sich wieder ein wenig auf und um seine Lippen zuckt sogar ein dünnes Lächeln.

„Darauf kannst du lange warten.“

Zaghaft zupft er an Shredders Haaren, und als dieser dem kleinen Wink folgt und sich wieder zu einem Kuß herunterbeugt, reckt sich ihm Kazuo entgegen, so daß sie sich auf halben Wege treffen.

Der nun folgende Kuß ist sanft und zärtlich, und als Kazuo diesmal den Tränen nahe ist, hat es ganz andere Gründe.

 

 

„Oh.“ Als er eine Stunde später im Waschraum die Striemen auf dem Rücken und Schultern seines Bruders sieht, ist Kazuo binnen einer Sekunde und ohne groß darüber nachzudenken bei Shredder unter dem Wasserstrahl. Betroffen berührt er mit den Fingerspitzen die gesunde Haut zwischen zwei besonders tiefen Kratzern.

„Das tut mir so leid. Bitte verzeih.“

Shredder wirft ihm einen langen Blick über die Schulter zu, blinzelt sich das Wasser aus den Augen und meint dann schulterzuckend:

„Ist schon okay. Das tut nicht weh.“

Ehrlich gesagt, hat er es bis eben gar nicht bemerkt.

Kazuo lächelt traurig, doch dann entdeckt er den dunklen Fleck auf Shredders Nacken, zögert kurz und setzt einen kleinen Kuß darauf.

„Aber das“, deklariert er dabei, „tut mir nicht leid.“

Shredder grinst nur nachsichtig.

„Markierst du deine Eroberungen immer so?“ Da schwingt ein Hauch von Eifersucht in seiner Stimme mit, der Kazuos Herz mit Wärme erfüllt.

„Nein“, erwidert er kopfschüttelnd. So etwas hat er bei seinen Freundinnen nie gewagt, nicht einmal, als er noch ein Teenager war. Vor allem nicht an einer solchen Stelle. Das hätten sie ihm nie verziehen.

Vorsichtig tritt er noch näher an seinen Bruder heran und lehnt sich dann zögernd an dessen Rückseite.

„Darf ich?“ erkundigt er sich dabei schüchtern.

„Natürlich“, kommt es leise zurück.

Erleichtert aufseufzend schlingt Kazuo seine Arme um seinen Bruder und schmiegt sich eng an ihn. Wie von selbst wandert seine rechte Hand dabei quer über Shredders Brustkorb, bis sie auf Höhe von dessen Herzen liegenbleibt. Er stützt sein Kinn auf Shredders Schulter ab, schließt die Augen und konzentriert sich ganz auf das Gefühl von Shredders Herzschlag unter seinen Fingern. Das, zusammen mit der Art, wie sich sein Brustkorb mit jedem Atemzug hebt und senkt, hat eine beruhigende, beinahe hypnotische Wirkung auf ihn.

Er lebt.

Ja, er lebt wirklich.

Das ist kein Traum, oder?

Shredder sagt nichts, aber er verschränkt seine Finger mit Kazuos anderer Hand auf seiner Taille.

So stehen sie eine ganze Weile unter dem trägen Wasserstrahl, baden in der Präsenz des anderen, und ganz egal, wie sehr gewisse Körperteile auf diese verlockende Nähe auch reagieren, sie sind vollauf damit zufrieden, so, wie es jetzt ist.

 

 

Pünktlich um acht Uhr morgens beginnen die Bauarbeiten, aber außer dumpfen Bohrgeräuschen bekommen sie hier drin noch nicht viel davon mit. Es genügt trotzdem, um Rocksteady und Bebop aus den Federn zu scheuchen.

Als sie kurz vor neun Uhr die Küche betreten, stolpern sie - wieder mal - in eine ungewöhnliche Situation. Aber diese hier lässt sie beinahe synchron aufseufzen.

Ihr Chefchen und sein Bruder stehen mitten in der Küche und küssen sich, während hinter ihnen irgend etwas omeletteartiges in der Pfanne vor sich hinköchelt und die Kaffeemaschine blubbert. Der angenehme Duft von frisch gebrühtem Kaffee hängt in der Luft und erinnert die beiden Mutanten daran, dass sie bald gezwungen sein werden, ihre Geheimvorräte anzuzwacken - aber sie bringen es auch nicht übers Herz, den beiden deswegen böse zu sein, dass sie hier die letzte angebrochene Packung ihrer täglichen Koffeeindroge benutzen. Shredder trinkt zwar keinen Kaffee, aber Kazuo dafür umso mehr, wie es scheint und mit ihm zu teilen, wird ihnen nicht schwer fallen - nicht solange er diesen glücklichen Ausdruck auf Shredders Miene zaubert...

Rocksteady und Bebop werfen sich einen unsicheren Blick zu, sie wissen nicht, ob sie bleiben oder gehen sollen, doch dann gurgelt das letzte Wasser durch den Kaffeefilter und sie entscheiden sich fürs Erstere.

Rocksteady räuspert sich einmal vorsichtig, und bereut es gleich wieder, als die beiden ihren Kuß sofort unterbrechen und sie ansehen. Sie sehen beide aus, als hätte man sie aus einem schönen Traum gerissen.

„Sorry", entschuldigt sich das Rhino sofort. „Äh... Guten Morgen? Und ... äh, laßt euch durch uns nicht stören?"

„Morgen", brummt Shredder zurück.

„Guten Morgen", begrüßt sie Kazuo wesentlich freundlicher. Seine Wangen haben sich erhitzt gerötet, aber als er Anstalten macht, von seinem Bruder zurückzutreten, quietscht Bebop geradezu erschrocken auf.

„Nein, nein, bitte! Macht weiter. Das stört uns gar nicht! Ihr müsst nicht wegen uns-"

„Gut", unterbricht ihn Kazuo, schlingt Shredder wieder die Arme um den Nacken und macht nahtlos da weiter, wo er eben aufgehört hat.

Behutsam schleichen die Mutanten an ihnen vorbei zur Anrichte, nehmen Müslischüsseln, Tassen und Besteck aus dem Schrank, gießen sich zwei große Tassen Kaffee ein, schnappen sich Cornflakes und Milch und gehen damit zum Tisch hinüber.

Die Orokus beeindruckt das kein bisschen.

Sie küssen sich immer noch, als sich die Mutanten ihren ersten Löffel Cornflakes schmecken lassen.

Rocksteady und Bebop wechseln nur ein belustigtes Grinsen und machen auch keinen Hehl daraus, daß sie die beiden beobachten. Kazuo trägt mal wieder einen Sweater von Shredder, und es scheint ihn wirklich nicht zu stören, daß er damit auch das Logo des Footclans spazierenträgt. Und Shredder ist so glücklich ... Das ist richtig verdächtig.

Und natürlich kann Rocksteady die Klappe nicht halten, aber er wartet wenigstens, bis die beiden aus ihrem seligen Kuß-Nirwana zurückkehren.

„Und wann treibt ihr es endlich miteinander?"

Haben sich die beiden bis eben noch verliebt in die Augen gesehen, schrecken sie jetzt regelrecht zusammen und wirbeln zu ihnen herum.

Bebop gibt seinem Kumpel einen Tritt ans Schienbein und starrt ihn böse an, doch der grinst nur unverschämt.

Sie sind Mutanten, sie haben einen hervorragenden Geruchssinn und sie kennen den Geruch von Sex sehr gut, und unter dem übertünchenden Duft von Seife, Shampoo, Wasser und Deo lauert zwar der von Erregung, aber nicht der von Sex. Jedenfalls nicht das, was sie darunter verstehen.

Trotzdem findet Bebop, dass Rocksteady ruhig mal den Ball flach halten könnte.

„Geez", feixt Rocksteady dann auch noch ungerührt, „was hält euch auf? Wenn es um die Frage geht, wer zuerst unten liegt - wenn das euer Problem ist, dann werft 'ne Münze."

Die beiden starren ihn einen Moment lang nur fassungslos an. Shredder, der solche und ähnliche Frechheiten gewohnt ist, fasst sich als erster wieder. Blitzschnell steht er neben dem feixenden Mutanten, packt ihn an einem seiner empfindlichen Ohren und zieht ihn daran zu sich in die Höhe.

„Was war das eben? Wer gibt dir das Recht, dich einzumischen? Ich misch mich ja auch nicht in euer Sexleben ein!"

Er hält Rocksteadys Ohr immer noch in festem Griff und dreht und zieht es dabei kräftig in jede nur erdenkliche Richtung, bis dem Rhino vor Schmerzen die Tränen in die Augen schießen und er in den höchsten Tönen zu jaulen beginnt.

„Niichan!" Erschrocken fällt Kazuo seinem Bruder in den Arm. Und tatsächlich lässt dieser Rocksteady mit einem verächtlichen Schnauben los.

Dieser sackt zurück auf seinen Stuhl und reibt sich wimmernd das anschwellende Ohr. Bebop eilt schnell zum Kühlschrank und kommt dann mit einem Eispack zurück. Er wagt es nicht, Shredder dabei anzusehen, als er das malträtierte Ohr seines Lovers behandelt.

Rocksteady dagegen hat noch immer dieses kleine Grinsen um seine Mundwinkel und starrt seinem Chefchen ohne mit der Wimper zu zucken ins Gesicht.

„Nun sei doch nicht so. Wir freuen uns doch für dich. Und wir wissen, wie nervös man beim ersten Mal ist."

„Zieh mich da nicht mit rein", beschwert sich Bebop und drückt ihm das Eispack fester als nötig aufs Ohr. „Es geht uns gar nichts an. Entschuldige, Chefchen." Er wirft Shredder einen wahren Hundeblick zu - und der ist trotz seiner lila Brille gut zu erkennen, weil er dafür seine gesamte Miene einsetzt.

„Du kennst ihn doch. Er meint es nicht böse."

Shredder, dem sein Wutanfall schon längst leid tut, greift sich nur an die Stirn und schüttelt den Kopf.

„Ihr seid unmöglich."

„Jetzt gibt es erst einmal Frühstück." Mit diesen Worten drückt Kazuo seinen Bruder kompromisslos auf seinen Stammplatz und eilt dann zum Herd.

„Tamagoyaki ist fertig!"

 

 

 

Kapitel 18

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 19

Kapitel 19

 

Sie sitzen und stehen in jenem Teil ihrer Behausung in der Kanalisation, den Donatello als sein Labor beschlagnahmt hat: die vier Brüder, ihr Sensei und April O'Neil. Neugierig scharen sie sich um den Monitor, auf dem Donatello jetzt schon zum dritten Mal die Aufnahmen der Sicherheitskameras aus dem Krankenhaus abspielt. Normalerweise sollte man nicht stolz darauf sein, einen fremden Server zu hacken, aber in diesem Falle macht sogar Sensei Splinter eine Ausnahme.

„Wer ist das?“ stellt Donatello die alles entscheidende Frage in den Raum und vergrößert das Standbild aufs Maximum.

Es ist nicht das erste Mal, dass sie sich dieses Bild ansehen. Aber es ist das erste Mal für Sensei Splinter und April.

Während April nur mit den Schultern zuckt, betrachtet sich Splinter das Bild ganz genau.

Und dann noch etwas genauer.

Seine krallenartigen Finger vergraben sich unwillkürlich in Shredders lilafarbenen Cape. Er hat die Blutflecken endlich daraus herausbekommen und wollte es gerade ordentlich zusammenfalten, als seine Söhne ihn hierherriefen.

Er erkennt den Mann, der Kazuo aus dem Krankenhaus geholt hat, sofort.

„Oroku Saki.“

Die Turtles und auch April schnappen geräuschvoll nach Luft.

„Was?" ruft Raphael. „Das ist unmöglich.“

„Nun", erwidert Splinter trocken, „dann ist es jemand, der genauso aussieht wie Oroku Saki.“

Um seine Mundwinkel zuckt ein feines Lächeln.

„Wo sind sie hingegangen, Donatello?“ will Leonardo etwas schroff von seinem Bruder wissen. Es ist eine berechtigte Frage, denn sie kennen bisher nur die Sequenz, wo Kazuo in Begleitung dieses augenscheinlich wohl doch nicht so Unbekannten das Krankenzimmer verlässt.

„Aufs Dach", erwidert Donatello, der die Aufnahmen in den letzten Stunden mühevoll ausgewertet hat. „Aber da gibt es leider keine Kameras.“

Sekundenlang starren sie alle nur nachdenklich auf den Monitor.

„Wie ist Shredder so schnell wieder gesund geworden?“ stellt Raphael schließlich die alles entscheidende Frage.

Donatello schüttelt mit dem Kopf.

„Ist er nicht. Das hier ist ein anderer. Seht ihr?" Seine Finger fliegen nur so über die Tastatur und auf dem Bildschirm erscheinen vier verschiedene Überwachungsbilder. „Ich habe den Weg zurückverfolgt, den er gekommen ist. Um 04:40 Uhr kam er vom Dach, fährt mit dem Fahrstuhl direkt in die Intensivstation, klaut sich einen Arztkittel und holt Kazuo um 04:45 Uhr aus Shredders Zimmer. Sehr ihr das Ding in seiner Hand? Jede Wette, das ist irgend so ein Ortungsgerät. Wahrscheinlich war das …“, er sucht kurz nach einem passenden Begriff und entscheidet sich dann für: „...Double verchipt. Und um 04:46 Uhr verlassen sie das Treppenhaus Richtung Dach.“

Fasziniert starren die anderen auf die vier verschiedenen Standbilder, die alle denselben Mann an verschiedenen Orten zeigen. Einen Mann, der eigentlich halbtot auf der Intensivstation liegen sollte...

„Aber wenn das da Shredder ist, wen oder was haben wir dann ins Krankenhaus gebracht?“ fragt Leonardo schließlich irritiert.

„Ein Klon?" schlägt Donatello vor. „Ich meine, wir wissen doch, daß so etwas für Krang kein Problem darstellt.“

„Es gibt keine Leiche“, wirft April da plötzlich in den Raum.

„Was?“ kommt es von den vier Turtles im Chor.

„Das war es, was ich euch die ganze Zeit über sagen wollte. So viel konnte ich herausfinden. Shredder starb um 04:30 Uhr, aber niemand weiß, was mit seiner Leiche passiert ist. Das ist der Krankenhausleitung so peinlich, daß sie allen Schwestern und Ärzten Stillschweigen verordnet haben.“

„Ach", grinst Raphael breit, „das sind wieder deine eigentlich-darf-ich's-dir-nicht-sagen-Quellen.“

Sie grinst zurück. „Das sind immer die Besten.“

Wieder herrscht für einige Sekunden Stille, in denen jeder von ihnen versucht, das alles irgendwie zu begreifen.

„Okay", meint Leonardo dann und atmet einmal tief durch, „fassen wir mal das Wichtigste zusammen: Shredder ist quicklebendig und hat Kazuo mit ins Technodrome genommen. Und …“, er wirft einen ratlosen Blick in die Runde, insbesondere zu Sensei Splinter hinüber, „... was jetzt?“

„Also, ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, aber ich bin richtig, richtig froh, daß der Schrottfresser noch lebt", gibt Michelangelo kund.

„Das gilt für uns alle, Mikey", stimmt ihm Donatello sanft zu.

Die anderen brummen zustimmend. Ja, das steht wirklich außer Frage.

„Ja, aber wenn Krang Klone von ihm erschaffen kann, könnte das echt unangenehm werden." Schon beim Gedanke daran läuft es Leonardo eiskalt über den Panzer. „Stellt euch mal vor, wir müssen gegen zwei Schrottfresser kämpfen. Oder drei oder vier...“ Er schüttelt sich angewidert.

„Ich glaube nicht, daß sie gleichzeitig existieren können", gibt Donatello zu bedenken. „Der hier", vielsagend deutet er auf ihr allererstes Standbild, „tauchte erst auf, als Shredder schon tot war … also sind es wohl keine gewöhnlichen Klone … hm, vielleicht Bewußtseinsübertragung? Hm...“

Sein Blick geht ins Leere, wie immer, wenn er an der Lösung eines Problems arbeitet.

„Müssen wir uns Sorgen um Kazuo machen?" will Michelangelo nervös wissen. „Als die beiden Brüder sich das letzte Mal begegneten, nahm das kein schönes Ende. Brüder sollten nicht gegeneinander kämpfen", fügt er dann noch leise, beinahe traurig, hinzu.

„Oroku Saki würde seinem kleinen Bruder niemals etwas antun“, erklärt Splinter im Brustton der Überzeugung und erntet dafür viele zweifelnde Blicke.

„Das sah damals aber ganz anders aus", grummelt Raphael, wird jedoch von einem immer aufgeregter werdenden Leonardo unterbrochen.

„Nein, Raphael, Sensei Splinter hat Recht. Erinnert ihr euch nicht? Vor anderthalb Jahren? Wer hat zuerst angegriffen und wer hat sich nur verteidigt? Kazuo wollte Shredder ohne Vorgeplänkel verhaften und hat Shredder sofort in die Defensive gedrängt.“

„Ja, stimmt", nickt Raphael, während er sich an diesen Tag zurück erinnert. „Mit vorgehaltener Dienstmarke und Waffe im Anschlag. Aber das, was danach folgte, war mal wieder so richtig typisch Shredder.“

Sie versinken in einem kurzen Schweigen, wo jeder von ihnen diesen ganz gewissen Tag noch einmal vor seinem inneren Auge Revue passieren läßt.

Abermals streicht Splinter nachdenklich über den lilafarbenen Stoff in seinen Händen.

„Oroku Saki würde Kazuo nie etwas antun. Nicht absichtlich jedenfalls“, wiederholt er dann leise, zögert kurz und entscheidet, daß seine Schüler und April das Recht haben, ein wenig mehr Hintergrundinformationen von ihm zu erhalten. „Es gab Gerüchte, die innerhalb des Footclans kursierten … Oroku Sakis Obsession für seinen Bruder hat zu wilden Spekulationen geführt. Fakt ist, wenn ein Mensch seine ganze Kindheit und Jugend auf das Wohl seines kleinen Bruders ausrichtet, wird er ihm auch als Erwachsener wohl kaum ein Haar krümmen können.“

„Wir reden hier von Shredder, der sich gegen seinen eigenen Sensei gewandt hat“, wagt es Leonardo einzuwenden und verbeugt sich dann sogleich entschuldigend vor seinem Sensei, denn er wollte keine alten Wunden wieder aufreißen. „Verzeihung, Sensei.“

Doch der lächelt nur verständnisvoll. „Schon gut, Leonardo. Aber vergesst nicht, meine Schüler: ich war nur sein Sensei. Kazuo-kun ist sein Bruder. Und wie gesagt, es gab Gerüchte...“

„Die Ihr uns nun erzählen solltet, Splinter“, fordert ihn April sofort, eine gute Story witternd, auf, doch die weise Ratte wirft ihr nur einen skeptischen Blick zu.

„Ich halte nichts davon, Gerüchte weiter zu tratschen, April.“

„Nun, wir behalten im Hinterkopf, daß es Gerüchte sind...“ Auffordernd lächelt sie ihn an und setzt dabei ihren ganzen Charme ein. Natürlich kann sie seine Vorbehalte verstehen, aber dann hätte er ihrer Meinung nach gar nicht erst davon anfangen sollen.

„Ja“, erhält sie sofort Schützenhilfe von Donatello. „Es ist schön, daß Ihr Euch keine Sorgen um Kazuo macht, Sensei, aber selbst wenn Ihr uns versichert, daß Shredder ihm nichts antun wird und wir Eurem Wort vertrauen, bräuchten wir für unseren Seelenfrieden doch ein paar Anhaltspunkte mehr.“

„Ja“, fällt Michelangelo mit ein, „schließlich ist Kazuo unser Freund.“

Leonardo und Raphael nicken bestätigend, und plötzlich sieht sich Splinter mit fünf wissbegierigen Augenpaaren konfrontiert.

„Nun, ich kann euch von Dingen erzählen, die erwiesenermaßen passiert sind“, gibt er sich zögernd geschlagen, und als die fünf nur auffordernd nicken, ordnet er kurz seine Gedanken und Erinnerungen und beginnt dann in einem leisen, nachdenklichen Tonfall:

„Ich habe selbst erlebt, wie Oroku Saki seine Trainingszeiten dem Zeitplan seines Bruders angepaßt und ihm zum Beispiel lieber beim Lernen für die Schulexamina geholfen hat. Ich habe auch gehört, daß er seinem Bruder lesen und schreiben beigebracht hat, so daß Kazuo das schon vor der Einschulung beherrschte. Nun ist das zwar nichts Ungewöhnliches, wenn kleine Brüder den großen nacheifern, aber es steht auf einem ganz anderem Blatt, wenn ein Erstklässler einem Kindergartenkind so etwas beibringt.“

Ihm fallen noch viele andere Dinge ein – Geschehnisse, deren er Zeuge wurde und Beobachtungen, die er selbst gemacht hat, Dinge, die so offensichtlich waren, daß es sogar ihm einen eiskalten Schauder über den Rücken jagte, aber auch diese sind rein subjektiv, nämlich aus seiner Sicht und gehören hier nicht hin.

Auch er könnte das Strahlen in Oroku Sakis Augen, wann immer er von seinem Kaz-chan sprach, mißgedeutet haben, beeinflusst durch die vielen Gerüchte.

Besser, er hält sich nur an die Tatsachen.

„Kazuo ging in ein anderes Dojo, weil er mehr dem Judo zugeneigt ist als dem Ninjutsu“, erzählt er nach einem kurzen Moment der Stille weiter. „Und Saki-kun war bei jedem seiner Wettkämpfe dabei, selbst wenn das bedeutete, daß er dafür seinen eigenen Ninjutsu-Unterricht schwänzen mußte. Aber da er das alles dann nach Sonnenuntergang nachholte und gute Leistungen erbrachte, wurde ihm das verziehen. Es wurde ihm auch hoch angerechnet, daß er als männlicher Erbe der Oroku-Familie seiner Verantwortung gegenüber Kazuo so gewissenhaft nachkam. Die Traditionalisten im Footclan waren von Oroku Sakis Verhalten jedenfalls sehr angetan. Es gab aber auch andere Stimmen … Stimmen, die sagten, das sei nicht mehr normal. Ich habe mir selbst kein Urteil darüber erlaubt, weil ich immer der Meinung war und bin, daß die Beziehungen innerhalb einer Familie niemanden etwas angehen, sofern keine Gewalt vorliegt.“

„Aber?“ hakt April behutsam nach.

Splinter zögert einen Moment. Der Umhang in seinen Händen wird plötzlich unheimlich schwer. Er sollte das nicht erzählen, aber es ist passiert und es könnte ihnen helfen zu verstehen, wieso er so davon überzeugt ist, daß Shredder seinem Bruder niemals ein Leid zufügen könnte.

„Ich sah selbst, wie Saki-kun mit sechzehn Jahren seine damalige Freundin zugunsten Kazuos Plänen versetzte. Mehr als einmal. Deshalb haben seine Beziehungen nie lange gehalten. Das änderte sich erst, als Kazuos erste Freundin die Bühne betrat. Zu dieser Zeit mutierte Saki-kun zum Musterschüler meines Dojos. Dann, eines Tages, fiel er in sein altes Verhalten zurück und irgendwann erfuhr ich, daß Kazuo sich von seiner Freundin getrennt hatte. Aber Kazuo war ein Teenager und ein verdammt gut aussehender noch dazu, also kam bald eine neue Freundin.“

„Lassen Sie mich raten“, wirft April aufgeregt und mit glänzenden Augen ein. „Shredder wurde wieder zum Vorzeige-Ninjaschüler.“

„Ja. Es war ein Prozeß, in dem Saki-kun zwischen Kazuo und dem Footclan hin- und herpendelte, bis er letztendlich nur noch dem Footclan diente. Ich glaube nicht, daß es ein Zufall war, daß dies genau zu dem Zeitpunkt passierte, wo Kazuo ihm seine bis dato vierte Freundin vorstellte. Da war Saki-kun ungefähr neunzehn.“

April kichert vergnügt. „Ah, Splinter, Verzeihung, aber das klingt verdächtig nach...“

„Ja, April. Das war der Tenor besagter Gerüchte.“

„Meine Güte.“ Sie weiß eindeutig nicht, ob sie lachen oder weinen soll. „Das reinste Drama.“

„Was?“ Nicht nur Michelangelos Blicke huschen verdutzt zwischen ihr und Splinter hin und her, aber er ist derjenige, der zuerst fragt. „Was, April? Was meint ihr?“

„Brother Complex, Mikey.“

„Was? Echt? Wie in meinen Mangas? Cool!“

Raphael starrt die beiden für einen Moment nur entgeistert an und schnaubt dann verächtlich.

„Das ist doch voll krank. Armer Kazuo.“

„Vielleicht ist es ja gegenseitig?“ grinst April.

„Das glaubst du doch wohl selber nicht, April!“

Aber sie deutet nur auf den Monitor. „Auf dem Video sah es nicht so aus, als habe sich Kazuo gewehrt.“

Raphael schnauft nur ein weiteres Mal und starrt Löcher in die Luft, während Michelangelo und April sich nur vergnügt zugrinsen und Leonardo und Donatello eher gleichgültig erscheinen.

Splinter mustert sie alle der Reihe nach und seufzt dann einmal leise auf.

„Wie auch immer – versteht ihr jetzt, wieso ich mir sicher bin, daß Shredder seinem Bruder nichts antun wird? Und er wird auch nicht zulassen, daß Krang oder Bebop und Rocksteady ihm etwas antun.“

„Ich weiß nicht, ob mich das jetzt noch beruhigt“, grummelt Raphael zähneknirschend vor sich hin.

„Kazuo ist ein erwachsener Mann“, erinnert ihn Leonardo, die typische Stimme der Vernunft. „Und April hat recht: er ist ganz offensichtlich freiwillig mitgegangen. Wir können das verurteilen wie wir wollen oder nicht, und dasselbe gilt für Shredders Brother Complex“, er grinst unwillkürlich, denn auch wenn er nicht viel von Michelangelos BL-Mangavorliebe hält, dieser Begriff ist ja wohl mehr als zutreffend, „aber letztendlich geht es uns nichts an. Seien wir lieber froh, daß Shredder noch am Leben und Kazuo nicht wirklich spurlos verschwunden ist.“

„Gut gesprochen, Leonardo“, lobt Splinter.

Raphael zieht zwar immer noch eine grimmige Grimasse, aber sie alle hier wissen, daß er dahinter nur seine eigene Erleichterung verbirgt. Von ihnen allen hat ihn Shredders Verletzung am meisten getroffen, schließlich war es seine Hebeltechnik, die ihn gegen den Stahlpfeiler prallen ließ.

„Shredder wird früher oder später wieder hier auftauchen“, erklärt Splinter und legt Raphael im Vorbeigehen kurz eine Hand auf den Arm. „Dann könnt ihr miteinander reden.“

Zuerst scheint es, als wolle Raphael etwas sagen, doch dann nickt er nur.

Splinter schenkt seinen Schülern noch eines seiner seltenen Lächeln und geht dann zurück zu seiner Wäsche. Es gibt da noch ein Cape, das er ordentlich zusammenfalten und zu der restlichen Ausrüstung legen muß...

 

 

Kapitel 20

 

 

Kapitel 20

 

„Ich habe bei diesem Spiel noch nie einen Fuß auf den Boden bekommen.“ Seufzend zählt Shredder seinem Bruder die fünfhundert Dollar Spielgeld in die ausgestreckte Hand. „Schon gar nicht gegen dich.“

Kazuo legt das bunte Papier nur zu den anderen und sieht dann Bebop dabei zu, wie er die Würfel über das Spielbrett rollen läßt.

Monopoly. Wie lange hat er das nicht mehr gespielt? Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit.

Und mal davon abgesehen, dass er am Gewinnen ist, war es eine wirklich gute Idee, die Einladung der beiden Mutanten für ein kleines Brettspiel anzunehmen. Erstens gibt ihm das die Möglichkeit, mit den beiden warm zu werden und zweitens macht es seinem Bruder trotz allen Murrens definitiv viel Spaß.

„Aber Chefchen, du weißt doch, wie es heißt“, tröstet Bebop ihn, während er seine Spielfigur drei Felder weiterlaufen läßt. Nur, um direkt auf einer von Kazuos Straßen zu landen. „Pech im Spiel, Glück in der Liebe.“

„Kazuo beweist uns gerade das Gegenteil“, vielsagend deutet Shredder auf seinen Bruder, der gerade mit einem noch breiterem Grinsen als zuvor von Bebop die Straßenmiete einsackt.

„Das erinnert mich daran“, beginnt Rocksteady, der jetzt am Zug ist und sich die Würfel schnappt, „Wie sieht es jetzt eigentlich aus mit euch beiden?“

Bebop gibt Rocksteady einen warnenden Rippenstoß, doch der scheint entschlossen, sein Chefchen zu einer Reaktion zu provozieren.

„Habt ihr jetzt endlich oder immer noch nicht?“

Shredder wirft ihm einen betont gleichgültigen Blick zu. „Was meinst du?“

Kazuo verbeißt sich ein kleines Kichern. Er mag die kleinen Neckereien zwischen den dreien.

Rocksteady wartet mit der Antwort, bis er seinen Zug gesetzt und sich ein paar Häuser für seine Straßen gekauft hat, aber dann legt er unbarmherzig los:

„Ihr hattet fast den ganzen Tag Zeit dafür. Sagt mir bitte nicht, dass ihr immer noch nicht miteinander vögelt.“

Shredder wirft ihm nur einen funkelnden Blick zu, würdigt ihn aber keiner Antwort.

Gespielt nachdenklich kratzt sich Rocksteady am Horn und mustert dabei die beiden Brüder von Kopf bis Fuß.

„Keiner von euch scheint Probleme mit dem Sitzen zu haben, also schließe ich mal messerscharf: entweder der Top ist verdammt gut in seinem Job oder ihr habt es einfach noch nicht miteinander getan. Hm … vielleicht kann der Bottom hier auch nur gut seinen schmerzenden Hintern verbergen...? Echt schwierig, denn das ist euch beiden zuzutrauen...“

Während sich Kazuo über diese Worte weder verletzt noch angegriffen fühlt – ja, ein kleiner, dunkler Teil von ihm findet die direkte Ausdrucksweise des Rhinos sogar amüsant - richtet sich Shredder unwillkürlich etwas auf. Die Art, wie sich seine Augen verengen und seine Wangenmuskeln verspannen, deutet auf baldigen Ärger hin.

„Was redest du da für einen Blödsinn zusammen?“ schnaubt er verächtlich.

Rocksteady zieht eine wahre Unschuldsmiene. „Man wird sich doch wohl mal noch so seine Gedanken machen dürfen.“

„Nein.“

„Was nein?“

„Nein“, knirscht Shredder zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „darfst du dir nicht. Weil es dich nichts angeht.“

„Geez. Ich will doch nur sichergehen, dass ihr alles habt, was ihr braucht. Denn Gleitcreme hast du garantiert nicht in deinem Nachtschränkchen. Und Präservative auch nicht. Die gehen notfalls nämlich auch, weil sie diese gewisse Gleit-“

Weiter kommt er nicht, denn da hat sich Shredder schon auf ihn gestürzt. Unelegant landet Rocksteady auf dem Rücken. Shredder kniet über ihm, hat die Hände in seinem gelben Shirt verkrallt und schüttelt ihn heftig durch.

„Schnauze, du Produkt eines -“

„Ah“, unterbricht ihn Rocksteady ungerührt, „aber vielleicht hat Kazuo ja ein paar Gummis in seiner Brieftasche. Allzeit bereit und so.“

„Wie kannst du es wagen-!“

Doch Rocksteady läßt ihn abermals nicht ausreden. „Worauf wartest du denn noch? Warum nimmst du dir nicht endlich, was du willst?“

Shredders rechte Faust bohrt sich dicht neben Rocksteadys Kopf in den Teppich. Eine eindeutige, nicht mißzuverstehende Warnung. Er hört auf, ihn zu schütteln, aber dafür legt sich seine andere Hand um Rocksteadys Kehle und drückt langsam zu.

Zum Glück ist die Kehle des Mutanten viel breiter als seine Hand und außerdem noch verdammt widerstandsfähig.

„Wie kannst du es wagen, mir zu unterstellen, ich würde auch nur daran denken, Kazuo auf diese Art zu entehren? Er ist mein kleiner Bruder, verdammt nochmal! Ich habe mir geschworen, ihn zu beschützen! Schon als ich ihn das allererste Mal sah-!“

Oh. Mitten im Wort scheint ihm klar geworden zu sein, was er da eben gesagt hat. Atemlos hält er inne und nimmt seine Hand so schnell von Rocksteadys Hals, als hätte er sich daran verbrannt. Einige Herzschläge lang starren sie sich nur an, und dann, ganz allmählich, zuckt ein triumphierendes Grinsen um Rocksteadys Mundwinkel.

„Saki.“ Auch wenn Kazuo zugeben muß, daß sein Bruder richtig süß aussieht, wenn er so wütend ist, muß es ja nun nicht noch peinlicher werden, oder? Also packt er ihn am Ellbogen und zieht ihn mit sanfter Gewalt herunter von Rocksteady und wieder zurück an seine Seite.

„Komm, laß dich doch nicht so von ihm provozieren.“ Er wirft einen kurzen, besorgten Blick zu dem Mutanten hinüber, der weder während Shredders Angriff Anzeichen von Furcht gezeigt hat noch als Shredders Hand um seine Kehle lag. Er sieht jetzt auch alles andere als erschüttert aus. Dieser Mutant weiß genau, wie weit er bei seinem Chefchen gehen kann.

„Und nur so fürs Protokoll: ich hab für meine Straßen jetzt drei Hotels gekauft. Du bist dran, Niichan.“

Vielsagend drückt Kazuo seinem Bruder die Würfel in die Hand.

Shredder wirft Rocksteady noch einen letzten, mörderischen Blick zu, widmet sich dann aber gehorsam wieder dem Monopoly-Spiel.

Grinsend richtet sich Rocksteady wieder auf und setzt sich auch wieder ordentlich hin. Aber er ist schlau genug, jetzt erst einmal auf jedes weitere freche Kommentar zu verzichten. Trotzdem kann er es sich nicht verkneifen, Bebop neben sich heimlich zuzuzwinkern.

Der schüttelt nur leicht den Kopf. Es freut ihn zwar, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag, was dieses Top-oder-Bottom-Thema angeht, aber mußte sein Nasi deswegen gleich so übertreiben?

Was soll denn Kazuo jetzt von ihnen denken?

Erstaunlicherweise spielt dieser einfach weiter, als wäre gar nichts geschehen, und genau das läßt Shredder in Rekordzeit herunterkühlen. Schon nach einer Runde herrscht wieder dieselbe lockere, entspannte Atmosphäre wie vor Rocksteadys Provokation.

Wow.

Kurz saugt sich Bebops Blick an Kazuos Hand fest, die sanft und beinahe beiläufig über Shredders Knie streichelt. Kazuo hat seinen Bruder wirklich gut im Griff.

So vergeht eine Viertelstunde, in der sich abzeichnet, daß entweder Shredder oder Bebop dieses Spiel verlieren werden, aber davon lassen sie sich beide nicht die gute Stimmung verderben.

Und dann geht plötzlich das Licht aus.

Von einem Moment auf den anderen wird es stockdunkel.

 

 

Neben sich in der Finsternis hört Kazuo seinen Bruder scharf nach Luft schnappen, und er kann förmlich die Panik spüren, die von diesem zu ihm hinüberschwappt. Finger tasten nach ihm, landen auf seinem Oberschenkel und krallen sich hinein.

Schmerzerfüllt zuckt Kazuo zusammen, orientiert sich aber an dieser Hand und dem Wissen, wo sein Bruder saß, als es plötzlich so zappenduster wurde, und dann landen seine Finger in Shredders Sweater und er legt vorsichtig beide Arme um ihn und drückt ihn an sich.

„Kaz-chan?" Shredder zittert am ganzen Körper.

Kazuo spürt, wie er sich fester an ihn drängt und sein Gesicht gegen seine Schulter presst. Seine Finger malträtieren jetzt zwar nicht mehr seinen Oberschenkel, aber dafür krallen sie sich so fest in Kazuos Sweater, dass er hören kann, wie eine Naht nachgibt.

„Ja, ich bin's, Saki. Ich bin hier."

„Dunkel", in der Stimme seines Bruders zittert eiskalte Panik und sein Atem geht immer schwerer und schneller. „So dunkel. Ich sehe nichts."

„Wir sehen alle nichts", beruhigend streichelt Kazuo seinen Rücken, „der Strom ist weg. Es muss zehn Uhr sein. Erinnerst du dich? Krang hat uns doch gewarnt, dass sie um zehn den Strom abschalten."

Aber sein Bruder drängt sich nur noch verzweifelter an ihn.

Sofort als das Licht ausging, ist um sie herum eine gewisse Hektik ausgebrochen, blieb von ihnen aber relativ unbemerkt. Obwohl sie mehr oder weniger auf diesen Stromausfall vorbereitet waren, kam er doch zu überraschend, weil sie ganz einfach nicht auf die Zeit geachtet haben, und natürlich ist den Mutanten dann in der ersten Schrecksekunde entfallen, wo sie ihre batteriebetriebenen Lichtquellen hingelegt haben.

Plötzlich gibt es ein Geräusch, als würde ein Schalter umgelegt und Licht flammt auf. Es ist nicht sehr hell, aber dafür schön bunt. Für einen Augenblick starrt Kazuo nur verdutzt auf die Lichtquelle: ein Nachtlicht? In der Form eines blauen Hippos?

Nach und nach finden Rocksteady und Bebop immer mehr ihrer zurecht gelegten Lichtquellen - drei Taschenlampen und eine Sturmlaterne.

Innerhalb Sekunden ist es hell genug, daß sie nicht nur wieder ihre Gesichter erkennen können, sondern daß Kazuo auch sieht, in welch peinlicher Position sich sein Bruder befindet. In der Aufregung hat er es nicht richtig bemerkt, aber jetzt können alle sehen, dass Shredder ihm quer auf dem Schoß liegt.

Doch der Gedanke, wie peinlich das seinem Niichan sein muss, flackert nur kurz in seinem Gehirn auf, denn es ist ihm viel wichtiger, dass diese Panik aus Shredders Miene verschwindet.

„Nicht blind", stellt Shredder verwirrt und erleichtert zugleich fest, während sich seine Augen wild hin und her bewegen, bis sein Blick schließlich auf dem Gesicht seines Bruders zur Ruhe kommt.

Und Kazuo erinnert sich und versteht.

„Nein, Saki“, beruhigend streichelt er ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. „Du bist nicht blind. Nur der Strom wurde abgeschaltet."

Das lässt die beiden Mutanten, die sich bisher höflich zurückgehalten haben, besorgt aufhorchen.

„Blind?"

Shredder, der ihre Anwesenheit tatsächlich kurzfristig vergessen hatte, zuckt beim Klang ihrer Stimmen etwas zusammen, wirft ihnen einen schuldbewussten Blick zu und rutscht dann peinlich berührt von Kazuos Schoß. Auch wenn Kazuo durch nichts zu bewegen ist, ihn gänzlich aus seinen Armen zu entlassen.

„Meine Kopfverletzung", erklärt Shredder mit rauher Stimme, während er sich mit dem Rücken an Kazuos Oberkörper lehnt. „An der ich ... Ihr wisst schon..."

Er macht eine unbestimmte Handbewegung, während sich Kazuos Griff um seine Hüfte unwillkürlich festigt, ihm mehr Halt und Sicherheit verspricht.

„Nein, wir wissen nicht", erwidert Rocksteady anklagend. „Weil du nie mit uns darüber geredet hast. Weil du nie über irgend etwas redest."

Shredder senkt daraufhin zwar betroffen den Blick, gibt aber keine Antwort.

Verdutzt blinzelt Kazuo sie über Shredders Schulter hinweg an.

„Ihr wißt nichts davon?“

Rocksteady schnaubt nur und durchbohrt Shredder regelrecht mit seinen Blicken.

„Nein. Als er aufwachte, sagte er uns nur, daß er mit dem Turtles gekämpft hatte, verletzt wurde und sein Duplikat gestorben ist. Und daß er sofort zurück müsste, um die Leiche loszuwerden. Mehr hat er uns nie erzählt.“

Kazuo wartet, ob sein Bruder etwas darauf sagen will, und tadelt ihn dann, als dieser nur verstockt schweigt:

„Du hast dich gar nicht geändert.“

Shredder grummelt etwas Unverständliches vor sich hin und wirft seinen Mutanten dann einen langen Blick zu.

„Ihr hättet euch nur unnötige Sorgen gemacht. Und an dem, was geschehen ist, war nichts mehr zu ändern – wieso euch beunruhigen?“

„Damit wir auf deine Flashbacks vorbereitet sind?" gibt Rocksteady spitz zurück. „Dann hätten wir nämlich schon mal vorsichtshalber die ganze Zeit über hier eine Taschenlampe brennen lassen.“

Shredder schnauft nur, bringt es jedoch nicht über sich, sich zu entschuldigen. Es ist ihm immer unangenehm, wenn sich die beiden um ihn sorgen und deshalb reagiert er schroff und abweisend, und er kann nur von Glück reden, dass sie ihn gut genug kennen und ihm das nicht übel nehmen.

Es entstehen trotzdem ein paar sehr unangenehm stille Sekunden. Das Thema ist damit zwar erledigt, aber es hinterlässt bei jedem einen flauen Nachgeschmack.

Shredders gibt sich Mühe, den Blicken seiner Mutanten auszuweichen und irgendwie landet sein Blick dann wie magisch angezogen auf dem Nachtlicht und sofort machen sich nostalgische Gefühle in ihm breit. Mit einem geradezu wehmütigen Lächeln zeigt er darauf.

„Ich hätte nicht gedacht, das Ding nochmal wieder zu sehen. Ich dachte, es wäre zusammen wie so vieles andere in meinem Quartier zerquetscht worden."

„Wir haben sie gefunden", lächelt Bebop, froh, über etwas Unverfänglicheres reden zu können, „aber vergessen, sie dir zu geben."

„Die ist süß", lacht Kazuo leise. „Wo habt ihr sie her? Nein, streicht die Frage, was ich eigentlich meine, ist: wieso habt ihr so etwas?"

Shredders Lächeln vertieft sich und plötzlich kann er seinen Mutanten nicht nur wieder ins Gesicht sehen, sondern das auch noch mit so viel unverfälschter Zuneigung in der Miene, daß die beiden sich fast fragen, ob der ständige Lichtfarbwechsel des Hippo-Nachtlichts nicht zu optischen Täuschungen führt.

„Das haben sie mir geschenkt. Damals, als ich ein Baby war."

Kazuo wartet, ob da noch mehr kommt, aber er wird enttäuscht.

Es ist schließlich Bebop, der auf Kazuos fragendes „Hah?" antwortet:

„Vor zwei Jahren ist er in einen mit Mutagen verseuchten Tümpel gefallen und schrumpfte zu einem Kleinkind. Es dauerte ein paar Tage, bis sein Körper das Zeug wieder abbaute und er wieder seine ursprüngliche Gestalt hatte." Was er nicht sagt, was seine und Rocksteadys Miene aber regelrecht hinausschreien ist, wie sehr sie diese paar Tage vermissen.

„Hmmmmm." Kazuo gibt ein Brummem von sich und rutscht neben Shredder, um ihn genauer mustern zu können. Unter diesem Blick wird es dem ganz anders.

„Was ist los? Was siehst du mich so komisch an?"

Einerseits starrt Kazuo ihn weiterhin so durchdringend an und andererseits streichelt er ihm sanft unter dem Shirt über seinen Rücken ... Diese widersprüchlichen Signale machen ihn regelrecht nervös.

„Verzeih die Frage", meint Kazuo dann gedehnt, „aber: bist du dir sicher, daß das dein richtiger Körper ist?"

Shredder zuckt bei dieser Frage regelrecht zusammen.

„Was? Ja! Wieso fragst du mich das?"

„Ich weiß nicht... War nur so ein Gedanke. Bei all dem, was dein Körper schon durchgemacht hat und wenn ich da noch an Krangs Technik denke... Er kann einfach so Körper erschaffen. Vielleicht hat Krang dich schon dutzendfach ausgetauscht ohne dass du es ahnst."

Shredder verschlägt es für einen Moment glatt die Sprache. Allein die Vorstellung ist ungeheuerlich.

„Das ist sein Körper, das können wir bestätigen", erklärt Rocksteady da auch schon im Brustton der Überzeugung. „Wir haben ihn nämlich während Krangs kleinem Experiments nicht aus den Augen gelassen. Wir waren die ganze Zeit bei ihm." Er hält einen Moment inne und fährt dann etwas schnippisch fort:

„Außerdem solltest du das doch inzwischen selbst festgestellt haben, oder? So von wegen Narben seit der Kindheit und so. Wenn also jemand außer ihm seinen Körper kennt, dann ja wohl du."

„Hm …", Kazuos Blick, mit dem er seinen Bruder mustert, ändert nichts an seiner Eindringlichkeit, „ich hoffe mal, dass ich, wenn ich tiefer ins Technodrome hineingehe, nicht in einem geheimen Labor lande, wo in einem Tank der zerstörte Körper meines Bruders schwimmt.“

Heftig schüttelt Shredder den Kopf.

„Du siehst zu viele schlechte Horrorfilme. Das hier ist mein Körper. Das weiß ich.“ Er zögert nur einen kurzen Moment, dann bricht es aus ihm heraus: „Krang hat mich das auch schon gefragt, okay? Und ich habe ihm dasselbe gesagt wie dir jetzt: ich fühle es einfach. Im Körper dieses Duplikats, das war, ich weiß nicht, ich kann es nicht gut beschreiben, aber irgend etwas fehlte. Das hab ich aber erst gemerkt, als ich wieder in meinem Körper zurück war. Es war wie Nachhausekommen. Du merkst den Unterschied erst, wenn du wieder zurückkommst. Ich kann es nicht besser beschreiben, aber das ist der Grund, wieso ich weiß, dass dies hier mein Körper ist.“ Er holt einmal tief Luft. „Und wenn … und wenn da irgendwo in einem Tank ein Körper von mir herumrotten würde, würde ich dieses Gefühl in diesem Körper hier nicht haben. Und Krang würde mich nie so verraten. Im Gegenteil – er ist so stolz auf seine Technik, die uns ja angeblich Jahrhunderte voraus ist, dass er gar nicht anders könnte, als mir so etwas unter die Nase zu reiben. Er würde es mir sagen. Himmel, Kazuo!“ Beinahe verzweifelt vergräbt er das Gesicht in den Händen. „Fang nicht mit solchen Gruselgeschichten an. Es ist unheimlich genug hier.“

„Entschuldige.“ Und trotzdem kann sich Kazuo ein minimales Grinsen nicht verkneifen, als er seinen Niichan tröstend in seine Arme zieht.

Rocksteady und Bebop, die das sehen, verschlucken ihre Schimpftirade gegen ihn, die ihnen auf der Zunge liegt. Es ist eine grausame Methode, aber sie müssen zugeben, dass sie wirkt: Shredder hat jetzt zum ersten Mal darüber geredet. Es war zwar nur ein kleines Mosaiksteinchen des Gesamtbildes, aber immerhin.

Und – sie bekommen noch einen schönen, sanften Kuß geboten, als Kazuo seinen Niichan noch etwas länger tröstet.

 

Kapitel 21

Kapitel 21

 

„Sagte Krang nicht etwas von maximal einer Stunde? Jetzt sind schon zwei vorbei und der Strom ist immer noch weg." Mürrisch stopft Shredder Spielbrett und Zubehör zurück in die Schachtel. Er hat das Spiel zwar nicht verloren, sondern Bebop, aber selbst wenn er anstatt Kazuo gewonnen hätte, stünde es mit seiner Laune nicht zum Besseren.

„Bekommen wir auch noch eine Antwort?" will Rocksteady hartnäckig wissen. Er lässt sich nicht ablenken, denn wenn ihm etwas wichtig ist, kann er noch sturer sein als sein Chefchen.

Shredder gibt ein leises Knurren von sich. Er würde auf die Frage, die ihm die beiden Mutanten vor wenigen Minuten stellten, am liebsten gar nicht antworten, aber es sind ja nicht nur Bebop und Rocksteady, die ihn fragend ansehen, sondern auch Kazuo - obwohl der die Antwort schon längst kennt.

Aber Kazuos Hand auf seinem Knie fühlt sich zu gut an, um deswegen das Risiko einzugehen, dass er sie da wieder fortnimmt.

„Da war gar nichts", erklärt er daher kurzangebunden.

„Wie - gar nichts?" hakt Rocksteady hartnäckig nach.

„Na, eben gar nichts", schnarrt Shredder unwirsch und am liebsten würde er es dabei bewenden lassen, aber Kazuos Hand drückt sein Knie und er schenkt ihm dieses aufmunternde Lächeln, das trotz der schlechten Lichtverhältnisse alles zu überstrahlen scheint. Also gibt er sich geschlagen.

„Da war nichts. Höchstens Dunkelheit. Aber das mit dem Licht und den Ahnen und dem Paradies oder der Hölle - was auch immer sie erzählen, das ist alles eine einzige große Lüge."

„Du glaubst doch an Wiedergeburt...", beginnt Bebop zaghaft.

„Auch dann hätte da was sein sollen, oder?" kommt es schnaubend zurück.

„Du bist ja auch nicht gestorben", wendet Rocksteady da scharf ein. „Der Avatar ist gestorben, nicht du. So konntest du wieder zu uns zurückkommen." Er wirft seinem Chefchen einen langen Blick zu. „Krang hat immer mal wieder zwischendurch, wenn genug Energie da war, ein Portal geöffnet. Hat nie gereicht, um uns durch zu schicken, aber fürs Unterbrechungssignal der Maschine hat es gereicht. Aber du kamst nicht zurück."

Shredder schluckt einmal schwer und nickt beklommen. Er wird nicht gerne daran erinnert, dass er in einem sterbenden Körper gefangen war.

„Du bist nicht gestorben", stellt Rocksteady zu guter Letzt fest. „Also ist es okay, wenn da nichts war."

Shredder wirft ihm einen scharfen Blick zu. Wer hat diesem Rhino gestattet, plötzlich so altklug zu sein?

„Ich bin gestorben, du Kretin. Ich werde es ja wohl am Besten wissen, oder?"

„Der Avatar ist gestorben", beharrt Rocksteady eisern. „Nicht du. "

Shredder öffnet schon den Mund, um sofort zu protestieren, klappt ihn dann aber schnell wieder zu, als er Rocksteadys Miene sieht.

Kazuos Hand ist von seinem Knie auf seinen Rücken unter sein Sweatshirt gewandert und ihre warme Präsenz hilft ihm wirklich dabei, die Ruhe zu bewahren. Läge sie nicht dort, säße Kazuo nicht direkt neben ihm, so dicht, dass sich ihre Oberschenkel berühren, hätte sein hitziges Temperament ihn daran gehindert, zu sehen, was sich hinter Rocksteadys Worten wirklich verbirgt.

Aber jetzt sieht er es.

Und daher zieht er es vor zu schweigen, legt endgültig den Deckel auf das Spiel und schiebt es dann von sich.

„Es ist spät", wirft er dabei einfach so in den durch Taschenlampen und Nachtlicht mäßig beleuchteten Raum hinein. „Wir sollten langsam gehen."

„Och, schade..." meint Bebop sofort, doch da hat sich Shredder schon erhoben und Kazuo ist seinem Beispiel gefolgt.

„Gute Nacht, ihr Deppen", wünscht ihnen Shredder eine Minute später freundlich, als er und Kazuo durch die Tür auf den Gang dahinter treten.

„Gute Nacht", verabschiedet sich Kazuo sehr viel höflicher.

„Gute Nacht", erwidern die beiden im Chor und winken ihnen von der Türschwelle noch einmal kurz zu, bevor sie die Tür hinter ihnen wieder schließen. Sie schnappt erst beim dritten Mal hörbar wieder zu. Normalerweise wird der sensorbetriebene Mechanismus der Türen von einer anderen Energieleitung gespeist als das Licht, aber da diesmal der gesamte Stromkreis unterbrochen wurde, müssen sie die Türen manuell bedienen. Das erfordert einiges an Kraft – aber das ist für niemanden von ihnen wirklich ein Problem. Nur, daß die Türen nicht mehr richtig einschnappen, und man dafür jetzt mehrere Versuche benötigt, das ist lästig.

Auf dem Gang herrscht eine fast tiefschwarze Finsternis, und wenn sie nicht jeder eine Taschenlampe mitgenommen hätten, würden sie bestimmt nicht weit kommen - jedenfalls nicht ohne die eine oder andere Blessur.

„Sag mal", will Kazuo neugierig und mit verschwörerisch gedämpfter Stimme wissen, während er den Schein seiner Taschenlampe durch die Dunkelheit geistern lässt, „kann es sein, dass die beiden ein Paar sind?"

„Sind sie", bestätigt sein Bruder knapp.

„Schon länger?"

Shredder zuckt mit den Schultern.

„Schon 'ne Weile, ja", gibt er zu, hält dann aber stirnrunzelnd inne und leuchtet seinem Bruder mit der Lampe ins Gesicht, um dessen Mimik genauer zu studieren. „Was? Hälst du mich für so ignorant, daß ich das nicht bemerke? Oder verurteile? Es macht sie glücklich. Und glückliche Mutanten bringen gute Leistungen." Er stockt kurz und revidiert dann mit einem schmalen Grinsen: „Na ja, für ihre Verhältnisse. Außerdem geht mich ihr Privatleben nichts an. Mal ganz davon abgesehen: wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen, richtig?"

„Richtig", schnurrt Kazuo.

Einen Moment später fühlt sich Shredder gepackt und mit dem Rücken an die nächstbeste Wand gedrückt. Vor Schreck hätte er fast seine Taschenlampe fallen gelassen.

Aber bevor er das noch irgendwie kommentieren kann, hat Kazuo schon seinen Mund in Beschlag genommen. Der Kuß ist sanft und fordernd zugleich und Kazuos schlanker, warmer Körper so dicht an seinem eigenen löst in Shredders Kopf ein gewisses Schwindelgefühl aus.

„Kaz-chan...“ Als Kazuos Lippen ihn endlich freigeben, fehlt Shredder nicht nur der Atem, sondern auch der Willen, sich zu wehren. Er versucht es dennoch – aus reiner Gewohnheit.

„Kazuo … muß das hier sein? Gedulde dich."

„Nein, wieso?“ Um Kazuos Lippen spielt ein kleines Grinsen, als er seinem Bruder erst tief in die Augen sieht und dann wieder nach dessen Lippen hascht. „Ich küsse dich gern. Immer schon.“

Während sich seine rechte Hand sehr nachdrücklich in Shredders Sweater vergräbt, liegt seine andere an Shredders Wange und hält seinen Kopf so für seinen nächsten Kuß in Position.

Tausende von Schmetterlingen erwachen in seinem Magen zum Leben, und als Kazuo ihn diesmal küsst, schmilzt Shredder regelrecht dahin.

Ich küsse dich gern. Immer schon … diese Worte hallen immer und immer wieder in ihm nach, während Kazuos Zunge seinen Mund plündert. Er erinnert sich an jeden von Kazuos Küssen – angefangen bei den kleinen, kindlichen Schmatzern in ganz jungen Jahren, hin zu den etwas ernsteren Gute-Nacht-Küssen, manchmal mit spitzen Lippen und unwillig, aus reiner Gewohnheit heraus, aber dann gab es auch diese spontanen, feuchten Bussis auf Wange oder Mund, mit denen sich Kazuo bei ihm für seine Hilfe bedankte.

Damit hörte er erst auf, als er ungefähr zwölf war, und in den folgenden Jahren machte sich Shredder im Gegenzug einen Spaß daraus, seinen kleinen Bruder verlegen erröten zu lassen, indem er nun jede Gelegenheit nutzte, ihm ein Küsschen aufzudrücken – gerne auch vor Kazuos Freunden.

All das war unschuldig, ohne Hintergedanken – bis Kazuo an diesem regnerischen Abend zu ihm ins Zimmer kam und ihm im zarten Alter von vierzehn Jahren geradezu aggressiv um den Verstand knutschte.

Seitdem ist gar nichts mehr unschuldig oder normal zwischen ihnen.

Kazuos Lippen bewegen sich jetzt mit einer Präzision gegen seine, die auf einen Mann mit Erfahrung hindeuten, auf einen Mann, der genau weiß, was er will und auch genau weiß, was er wie tun muß, um genau das zu bekommen – wenn nötig, mit vollem Körpereinsatz.

Und es gibt nichts, was Shredder all dem entgegen setzen könnte.

Er ist so weggetreten, daß er es erst mit reichlicher Verspätung bemerkt, als Kazuo ihm diese köstliche Zunge und die noch köstlicheren Lippen wieder entzieht.

Als er dann aber mühsam, mit heftig klopfendem Herzen, die Augen blinzelnd wieder öffnet, sieht er direkt in Kazuos lächelndes Gesicht.

„Du hast recht. Das hier ist nicht geeignete Ort“, meint er völlig überraschend, während er Shredder beide Hände an die Wangen legt und mit dem Daumen sanft dessen Wangenknochen nachzeichnet. Seine Augen sind zwei schwarze, tiefe Löcher – aber das kann auch am blassen Schein der Taschenlampen liegen.

„Komm! Gehen wir in unser Quartier.“

Grob, aber nicht schmerzhaft, packt er Shredders Handgelenk und zieht ihn mit sich davon.

 

 

Im Quartier empfängt sie dieselbe pechschwarze Finsternis wie draußen auf dem Gang. Während Shredder die Tür wieder zustemmt, läßt Kazuo den Lichtstrahl seiner Taschenlampe suchend durch den Raum wandern.

„Hast du ein paar Kerzen da? Am besten Teelichter?“

Wortlos deutet Shredder auf einen Wandschrank.

Kazuo findet die Kerzen sofort. Sie liegen auf dem Regalbrett knapp unter Augenhöhe in einer Plastikbox, zusammen mit Streichhölzern und Feuerzeugen, verschiedenen Raumduftölen und Räucherstäbchen. Unwillkürlich muß Kazuo lächeln, denn diese Plastikbox ist immer noch dieselbe wie damals. Versonnen streicht er mit dem Zeigefinger über den kleinen Fuchsaufkleber in der Ecke. Den hat er dort hingeklebt, vor fünfzehn Jahren – weil sie beide ähnliche Plastikboxen besaßen und um Verwechslungen vorzubeugen, hatte Kazuo sie einfach beklebt. Kitsune für Saki, Tanuki (Marderhund) für Kazuo.

Es dauert nicht lange, dann haben sie ein Dutzend Teelichter an strategisch günstigen Stellen hingelegt und angezündet - auf dem Nachttisch, dem Wandregal über dem Bett und auf einer Kommode - und die flackernden Flämmchen verbreiten zusammen mit den Taschenlampen tatsächlich eine gewisse Helligkeit. Sogar eine sehr stimmungsvolle.

Sehr zufrieden sieht sich Kazuo um, bevor er es sich auf dem Bett bequem macht.

„Ich vergesse immer wieder, wie finster es bei einem Stromausfall wirklich werden kann.“

Sein Bruder nickt wortlos, legt das Feuerzeug beiseite und setzt sich dann zu ihm.

„Ich hab noch immer Angst im Dunkeln", gesteht Kazuo mit einem verzagten Lächeln, während er nach Shredders Hand greift. „Ich weiß, das ist peinlich, aber es ist nun einmal so. Ich kann es gut verbergen. Ich glaube nicht, daß es außer dir jemals jemand bemerkt hat. Oder bemerken wird.“

Während seines kleinen Geständnisses hat ihn Shredder mit sich in die Kissen gezogen, und nun liegen sie da, beide auf dem Rücken, dicht nebeneinander und starren an die Decke, an die die Kerzen tanzende Schatten werfen.

„Das ist ein Überlebensinstinkt", erklärt Shredder und drückt tröstend Kazuos Hand. „Dafür muss man sich nicht schämen."

„Das sagst du immer."

Die Matratze knarrt etwas, als sich Shredder auf die Seite dreht und ihn nachdenklich betrachtet. Er lässt Kazuos Hand los, weil er sie braucht, um sich abzustützen, aber dafür streicht er ihm mit der anderen zärtlich durchs Haar.

„Weil es wahr ist", erklärt er dabei leise, beugt sich zu ihm hinunter und gibt ihm einen kleinen Kuss.

Als er sich wieder zurück ziehen will, hält ihn Kazuos Hand in seinem Nacken davon ab.

Lächelnd sieht Kazuo zu ihm auf.

„Du würdest alles sagen, wenn ich mich dadurch besser fühle.“

„Das bestreite ich nicht.“ Dem Druck von Kazuos Hand in seinem Nacken gehorchend, lehnt sich Shredder zu einem weiteren Kuss zu ihm hinunter.

Diesmal übernimmt, wie so oft, Kazuo schnell die Kontrolle. Der anfänglich sanfte Kuss geht schnell in etwas anderes, weitaus wilderes über und lässt sie beide sehr schnell sehr atemlos zurück.

Sekundenlang starren sie sich nur schwer atmend in die Augen, dann lässt Shredder lächelnd seinen Kopf auf Kazuos linke Schulter sinken, während er sich selbst eng an ihn schmiegt.

Wow. Unendlich gerührt legt Kazuo sofort seine Arme um ihn. Er weiß dieses seltene Geschenk des Vertrauens wirklich zu schätzen. Ohne Not und bei klarem Verstand hat sein Niichan so etwas noch nie getan.

Kazuo weiß die Situation auch sofort zu nutzen, indem eine seiner Hände unter Shredders Sweater und das T-Shirt darunter rutscht und sich dort genüsslich über die warme Haut streichelt.

Zu seiner großen Freude schmiegt sich sein Niichan nur noch tiefer in diese Berührung hinein.

Tatsächlich weiß Shredder, was seine Anschmiegsamkeit Kazuo bedeutet, und er macht ihm diese Freude gerne. Und was Kazuo kann, kann er schon lange - seine Finger, die über die zarte Haut über Kazuos Schlüsselbein geistern, beweisen dies sehr eindrucksvoll. Und Kazuos gesteigertem Puls und Atemfrequenz nach zu urteilen, gefällt es ihm.

Sie wissen nicht, wie lange sie so da liegen - es können Sekunden sein oder Minuten - und keiner von ihnen verspürt das Verlangen, irgend etwas daran zu ändern. Noch nicht.

Die Stimmung ist zu friedlich und perfekt, um sie jetzt schon durch etwas anderes zu ersetzen - auch wenn sich in ihren Körpern langsam eine gewisse Spannung aufbaut, die irgendwann die Regie übernehmen wird. Aber noch ist es nicht so weit.

„Danke für die Kerzen", murmelt Shredder plötzlich, ihm einen verschmitzten Blick und ein Lächeln zuwerfend. „Wir wissen beide, daß du sie nicht wegen deiner Angst aufgestellt hast, weil es dir genügt, wenn du in pechschwarzer Finsternis meine Hand halten kannst. Du hast sie wegen mir angezündet. Damit ich sehe, daß ich nicht blind bin.“

Kazuo fühlt sich durchschaut. Aber er ist nicht überrascht - höchstens darüber, wie lange ihn sein Niichan in seiner kleinen Blase der selbstzufriedenen Eitelkeit verweilen ließ.

„Hilft es denn?“ fragt er ein wenig verlegen.

„Ja. Danke.“

„Gut", Kazuo festigt seine Umarmung um ihn etwas und fügt dann, beinahe trotzig, hinzu: „Außerdem ist es romantisch.“

Shredder lacht nur leise und kuschelt sich enger an ihn.

Nachsichtig lächelnd wuschelt ihm Kazuo durchs Haar. Es folgen wieder ein paar Minuten des Schweigens, wenn auch nicht der Stille. Die Matratze knarrt und Stoff raschelt, wenn sie sich bewegen – zum Beispiel, als Shredder auf der Suche nach einer bequemeren Position eines seiner Beine über Kazuos schiebt und der sich daraufhin etwas dreht, um ihn besser in seinen Armen halten zu können.

Ihre Atmung ist wieder auf dem besten Wege sich aneinander anzugleichen, als Kazuo plötzlich etwas einfällt.

„Mutter hat sich letztens bei mir beschwert, weil du nie anrufst oder schreibst.“

Shredder, so unerwartet aus seiner Wohlfühlblase gerissen, blinzelt einmal verdutzt und rollt dann mit den Augen.

„Klar. Ich schicke ihr dann eine Ansichtskarte aus der DimensionX.“

„Geht das?“ erkundigt sich Kazuo neugierig. „Ich meine: gibt es so etwas hier? Abschicken können wir es ja, wenn wir wieder auf der Erde sind, aber – kann man hier Ansichtskarten kaufen?“

„Ah“, macht Shredder und denkt kurz darüber nach. „Nicht, daß ich wüßte. Aber wir können ja ein Foto machen und ihr das dann schicken.“

„Selfies mit dem Technodrome im Hintergrund?“ Bei der Vorstellung bricht Kazuo in ausgelassenes Gelächter aus. „Das hat was. Das sollten wir machen.“

„Sie bekommt einen Herzinfarkt, wenn sie erfährt, daß du bei mir bist“, grinst Shredder vergnügt.

„Oh Himmel“, plötzlich fällt Kazuo etwas Schreckliches ein – der eigentliche Grund, wieso ihm auf einmal ihre gemeinsame Mutter einfiel - und das Lachen bleibt ihm glatt im Halse stecken. „Ich habe sie nicht angerufen. Die Krankenschwester sagte irgendwas davon, daß ich es tun solle. Mutter weiß noch gar nichts von deinem-“, er zögert kurz, „Unfall“, sagt er schließlich und fährt dann fort, sich dabei die Hand vors Gesicht schlagend: „Oh Himmel! Ich bin ein schlechter Sohn. Ich hab es einfach vergessen!“

Na ja, er war ja auch mit ganz anderen Dingen beschäftigt, als er da an Shredders Krankenbett saß.

Shredder versucht vergeblich, ernst zu bleiben. Am Ende kichert er wie ein kleines Mädchen. Ein gemeines kleines Mädchen.

„Echt jetzt? Kazuo, Mamas Lieblingskind, vergißt seine Mutter? Ah, sie wird so beleidigt sein, wenn ich ihr das erzähle.“

„Ich glaube nicht, daß du ihr das erzählen willst“, kommt es so todernst zurück, daß Shredder jeglicher Frohmut vergeht.

„Stimmt“, gibt er leise zu. Diese unglückselige Geschichte bleibt besser unter ihnen, genau wie so vieles andere aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit auch.

Unwillkürlich wandern Shredders Gedanken zurück an diesen Morgen vor zwölf Jahren, als ihre Mutter in sein Zimmer kam, um ihn zu wecken und sie beide dort nackt bis auf die Unterwäsche in seinem Bett liegen sah.

Sie hat nie etwas gesagt, aber den Blick hat er nie vergessen können.

„Sie würde uns die Köpfe abreißen, wenn sie wüßte, was wir hier treiben.“

Als Kazuo das hört, verflucht er sich im Stillen, seine Mutter überhaupt erwähnt zu haben. Er sollte besser erst darüber nachdenken, bevor er etwas sagt.

Doch entgegen seiner Befürchtungen, zieht sich sein Bruder nicht wieder von ihm zurück. Er bleibt stattdessen, wo er ist und schmiegt sich sogar noch ein kleines bißchen enger an ihn heran.

„Mich kümmert es einen Dreck, was sie über uns denken“, erklärt Kazuo schroff, sammelt seine Kräfte und rollt sie beide dann so herum, daß sein Niichan unter ihm zu liegen kommt. Für einen Moment weidet er sich noch an dessen verblüffter Miene, bevor er dessen Lippen mit seinen eigenen versiegelt.

Wenig später hat er ihm Sweater und T-Shirt schon bis zu den Achseln hochgeschoben, um mit seiner linken Hand begeistert über diese warme, samtige Haut zu streicheln, während sich seine Rechte schon an Shredders Gürtel zu schaffen macht.

 

Kapitel 22

Kapitel 22

 

Im Waschraum erscheint es ihm heute morgen wärmer zu sein als sonst. Prüfend spürt Kazuo der Wärme der Bodenfliesen nach, die ihm seine nackten Fußsohlen melden. Ja, zweifellos.

Die Fußbodenheizung funktioniert also wieder und außerdem war auch der Wasserdruck diesmal besser. Es geht wirklich bergauf mit dem Technodrome.

Während er in der Ecke mit den Spinden, abseits der Duschen und der Waschtische in seine Klamotten schlüpft, steht sein Bruder fertig rasiert und angezogen vor dem Spiegel und versucht, seine durch den Föhn verursachte Sturmfrisur wieder etwas in den Griff zu bekommen.

Kazuo ist damit schon längst durch. Bei dem Gedanken daran, daß ihre morgendliche Routine immer noch dieselbe Reihenfolge beinhaltet wie damals, zuckt es um seine Mundwinkel verräterisch.

Sie hatten nur ein Badezimmer, mußten aber zur selben Zeit das Haus verlassen – und damals hatte es sich Saki angewöhnt, sich nach dem Duschen sofort in seine Kleidung zu werfen, denn wenn es mit der Zeit eng wurde, war es nicht so schlimm, wenn er sich nicht gekämmt oder sich nicht die Zähne geputzt hatte. Kazuo erinnert sich noch gut an die unzähligen Male, die sich sein Niichan auf den Weg zur Schule kämmte, dabei einen Apfel zwischen den Zähnen und sich im Laufen die Schuluniform zuknöpfte, während Kazuo selbst wie aus dem Ei gepellt neben ihm herlief.

Und das lag daran, weil Kazuo im Bad immer so trödelte, weil er so viel Zeit vor dem Spiegel verbrachte und sich danach erst ankleidete – so wie jetzt. Und damals wie jetzt ließ ihm sein großer Bruder die Zeit, die er brauchte.

Aber heute drängt sie wenigstens niemand mehr zur Eile.

Glücklicherweise.

Müde reibt sich Kazuo über die Stirn. Während er sich den dunkelblauen Sweater (gehört seinem Niichan und riecht so schön nach ihm!) über seinen Kopf zieht, wandern seine Gedanken kurz zur letzten Nacht zurück.

Sein Niichan hat genauso unruhig geschlafen wie die Nächte zuvor, und Kazuo sieht das schon fast als persönliche Beleidigung an. Wieso konnte er, nach dem, was Kazuo alles mit ihm angestellt hatte, nicht in ein anständiges, postkoitales Koma fallen, wie es sich gehörte?

Nach seinem ersten Blick in Shredders Gesicht heute morgen beschlich Kazuo sogar der Verdacht, daß sein Niichan die ganze Nacht über kein Auge zugemacht hatte.

Das würde jedenfalls erklären, wieso Kazuo ebenfalls so schlecht geschlafen hat – wenn er unbewußt spürt, daß sein Niichan neben ihm wachliegt, wie soll sich sein Unterbewußtsein da keine Sorgen machen?

Also wirklich – so kann das nicht mehr weiter gehen!

Entschlossen schlüpft Kazuo in seine Badelatschen und schlendert dann zu seinem Bruder hinüber, der immer noch vor dem Spiegel steht und mit seinen Haaren kämpft.

Aber je näher Kazuo kommt, desto deutlicher fällt ihm das Mal auf Shredders goldbrauner Haut auf. Es ist dunkler und größer geworden. Er kann den Blick gar nicht mehr davon abwenden.

„Gomen", entschuldigt er sich, sobald er ihn erreicht.

Behutsam fährt Kazuo mit den Fingerspitzen über den dunkelroten Fleck am Hals seines Bruders.

Der runzelt nur fragend die Stirn und dreht sich vor dem Spiegel etwas, um einen Blick darauf zu erhaschen. Das ist gar nicht so einfach, denn der Knutschfleck liegt schon fast in seinem Nacken. Er wirft Kazuo einen vorwurfsvollen Blick zu, zieht den Kragen seines Sweaters höher, legt den Kamm fort und greift dann zu seiner Zahnbürste.

Kazuo gähnt einmal hinter vorgehaltener Hand und lächelt schmal, als er Shredders besorgtem Blick im Spiegel begegnet. Er hadert kurz mit sich, gibt sich dann aber einen Ruck.

„Meinst du, ich sollte Krang fragen, ob er ein Mittel gegen deine Schlafstörungen kennt?"

Shredder erstarrt regelrecht. Die Zahnbürste noch in der Hand, dreht er sich langsam zu ihm um.

„Ich habe dich doch gewarnt. Ich schlafe sehr unruhig. Nächstes Mal schlafe ich auf dem Fußboden, damit ich dich nicht mehr störe."

„Das lässt du schön bleiben", abwehrend schüttelt Kazuo den Kopf, greift nach seiner freien Hand und drückt sie einmal kurz, während er ihm tief in die Augen sieht. „Du störst mich nicht. Niemals. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Zuviel Schlafmangel ist gefährlich. Und Krang zu fragen, kostet nichts."

Shredder starrt ihn für einen Moment einfach nur an. Er bezweifelt, daß Krang irgend ein Mittelchen gegen diese Art von Schlafstörungen besitzt, wie er sie hat und es ist ihm nicht recht, daß Kazuo damit zu Krang gehen will, aber … wenn seine Probleme auf Kosten seines kleinen Bruders gehen, muß er dann nicht nach jedem Strohhalm greifen, der sich ihm anbietet?

„Gut“, gestattet er ihm daher ergeben. „Aber eins sage ich dir gleich: ich lasse mir weder von ihm noch von dir irgendwelche Pillen andrehen.“

„Dann geh ich mal. Bis gleich. Wir treffen uns beim Frühstück in der Küche.“ Mit diesen Worten tritt Kazuo dicht an ihn heran, lehnt sich nach vorne und haucht ihm einen Kuß auf die Lippen, bevor er vergnügt herumwirbelt und sich auf dem Weg zum Hausherren macht.

Shredder sieht ihm innerlich seufzend nach, wie er so beschwingt den Waschraum verläßt. Er fühlt sich nicht wohl dabei, Kazuo alleine Krang gegenüber treten zu lassen, aber er will ihn auch nicht bevormunden, schließlich ist er ein erwachsener Mann und kann sehr gut auf sich selbst aufpassen. Außerdem ist das Schlimmste, was seinem Bruder zustoßen kann, Krangs scharfe Zunge.

Er kann trotzdem nur hoffen, daß die beiden nicht auf die dumme Idee kommen, sich gegen ihn zu verbünden, nur, weil sie es so gut mit ihm meinen...

Andererseits – was könnte er dagegen dann schon machen?

Resigniert fährt er sich mit den Fingern übers Gesicht und anschließend durchs frisch frisierte Haar. Jetzt, wo Kazuos wachsames Auge nicht mehr auf ihm ruht, wagt er es endlich, Kopf und Schultern hängen zu lassen. Er fühlt sich wie durchgekaut und wieder ausgespuckt – wie immer eigentlich, wenn er so übermüdet ist wie heute.

Mit einem tiefen Seufzer dreht er sich wieder zum Spiegel um und beginnt, sich lustlos die Zähne zu putzen.

 

 

Krang sitzt in seinem plumpen Androidenkörper mitten in der Kommandozentrale, hat eine Fernbedienung im Tentakel und betrachtet kritisch, wie sich der große Hauptbildschirm vor ihm einschaltet. Das Bild, das erscheint, ist klar und deutlich und flackert nicht, was ihm ein zufriedenes Lächeln entlockt. Sehr schön. Er freut sich schon darauf, endlich die neue Staffel von Law & Order sehen zu können – ohne Ton- oder Bildausfall. Immerhin ist das eine der wenigen Serien, von denen er sich DVDs besorgt hat und die er noch nicht kennt. Es ist gut, auf alles vorbereitet zu sein. Man will sich ja nicht langweilen, wenn man in der Heimatdimension festhängt.

Hinter sich hört er das Zischen der sich öffnenden Tür, gefolgt von einem munteren:

„Guten Morgen, Krang.“

„Ah, der kleine Bruder“, begrüßt Krang den Mann spöttisch, während er sich zu ihm umdreht. „Was verschafft mir denn die Ehre deines unangemeldeten Besuches so früh am Morgen? Das Portal ist noch nicht betriebsbereit, du kannst noch nicht zurück nach Hause.“

Kazuo, der, wie Krang vergnügt feststellt, auch diesmal wieder einen von Shredders Sweatern trägt, schenkt ihm nur ein strahlendes Lächeln.

„Ich fühle mich ganz wohl hier, ich brauche das Portal nicht, aber danke fürs Angebot.“ Er hält einen Moment inne und aller Frohmut ist plötzlich verschwunden. „Ich bin wegen meines Bruders hier.“

Das Alien seufzt still in sich hinein, tarnt das aber mit einem besonders schroffen Tonfall:.

„Was hat er diesmal angestellt?“

„Gar nichts“, kommt es schnell zurück. „Er schläft schlecht und ich komme, um dich zu fragen, ob du ihm da mit irgend etwas helfen kannst.“

Krangs Großhirnrinde legt sich in viele, tiefe Falten.

„Was verstehst du unter schlecht schlafen? Hat er Alpträume?“

„Nein. Er hat Schwierigkeiten damit, einzuschlafen. Und wenn er schläft, dann niemals wirklich tief. Er sagte, der Schlaf sei des Todes kleiner Bruder. Daraus schließe ich, daß er Angst hat, während des Schlafes zu sterben.“

Krang starrt ihn für einen Moment einfach nur an. Der Satz klingt auswendig gelernt, denn so geschwollen redet doch sonst kein normaler Mensch, schon gar nicht, wenn es sich nicht um seine Muttersprache handelt. Hat der Junge sich diese Worte etwa extra auf dem Weg hierher zurechtgelegt, vielleicht, um ihn zu beeindrucken?

Faszinierend. Krang fühlt sich tatsächlich geschmeichelt.

„Ich verstehe“, erwidert er dann zur Belohnung in akzentfreiem japanisch, nachdem er kurz – also etwa eine Sekunde lang - über das Problem namens Shredder nachgedacht hat. „Schlafpillen würde er daher nicht freiwillig nehmen. Hm... der Bordcomputer könnte seine Biowerte überwachen, während er schläft. Vielleicht beruhigt ihn das.“

Kazuos Augen leuchten auf, als er Krang in seiner Muttersprache reden hört. Er erkennt es als die respektvolle Anerkennung, die es ist. Trotzdem läßt er sich davon nicht übermäßig beeindrucken.„Und das kann das Technodrome? Ah, Verzeihung. Natürlich kann es das. Aber – hat es dafür schon genug Energie?“

„Nein. Noch nicht“, gesteht Krang und zwinkert ihm verschwörerisch zu. „Aber das muß Shredder ja nicht wissen.“

„Ich verstehe“, nickt Kazuo nachdenklich und lächelt dann breit. „Wenn er das jemals herausfindet, schiebe ich die Schuld auf dich.“

„Tu das“, grinst Krang zurück, während in seinen Augen ein spöttisches Funkeln erwacht. „Es wäre schrecklich, wenn euer junges Glück durch solch eine Kleinigkeit getrübt würde. Wo ist er jetzt eigentlich? Ich nehme mal an, du hast ihm nicht gesagt, daß du hier bist?“

„Doch. Er weiß es und er kennt auch den Grund.“ Als er daraufhin Krangs erstaunte Miene sieht, fügt er lächelnd hinzu: „Das sollte dich nicht überraschen. Ich habe ihn noch nie angelogen.“

Krang mustert ihn gründlich.

„Wirklich?“ grinst er lauernd. „Noch nie? Aber daß das mit der Überwachung seiner Biowerte auch eine Lüge ist, das weißt du schon?“

„Du warst doch damit einverstanden, daß ich die Schuld auf dich schiebe. Ich sage ihm nur, daß du vorgeschlagen hast, daß der Bordcomputer seine Biowerte überwacht.“

Krang mustert ihn mit neuem Interesse von Kopf bis Fuß und wieder zurück. „Erstaunlich. Vor anderthalb Jahren warst du noch ganz der pflichtbewußte Bulle. Und jetzt kannst du ja richtig hinterhältig sein. Das imponiert mir. Vielleicht lasse ich dich für mich arbeiten.“

Kazuo starrt ihn daraufhin nur stumm an. Sein Blick, eben noch wach und klar, geht zunehmend in die Leere. Krang kann förmlich zusehen, wie es hinter seiner Stirn zu arbeiten beginnt.

„Nun?“ erkundigt er sich ungeduldig, nachdem zwei ganze Minuten verstrichen sind ohne daß Kazuo irgend ein Zeichen von sich gegeben hat. „Was sagst du dazu? Würdest du für mich arbeiten wollen?“

Kazuo sieht direkt in Krangs purpurfarbene Augen, blinzelt dann einmal und streicht sich nachdenklich durchs Haar.

„Keine Ahnung“, gibt er offen und ehrlich zu. „Ich weiß nur eines: Niichan gehört mir. Ich werde ihn nie wieder hergeben. Wo er hingeht, was auch immer er macht, ich werde an seiner Seite bleiben. Das ist es, was ich will.“ Er hält kurz inne und dann verziehen sich seine Lippen zu einem erschreckend grausamen Lächeln. „Und Gnade Gott demjenigen, der mich daran hindern will.“

Hat er ihm eben gedroht? Krang ist wirklich beeindruckt.

„Er bedeutet dir wirklich viel, dein Niichan, oder?“

„Mehr als du ahnst.“

Kazuos Blick gewinnt an bohrender Intensität, während seine Miene völlig ruhig bleibt. Krang hat so etwas schon ein paar Mal gesehen – bei Shredder. Diesen Gesichtsausdruck zeigt er immer, wenn es darum geht, sich schützend vor seine Mutanten zu stellen. Oder – in jüngster Vergangenheit – vor Kazuo.

Amüsiert hebt Krang den linken Tentakel.

„Immer mit der Ruhe, Kazuo-kun. Was denkst du, was ich jetzt mit dir und deinem Niichan mache – nach all der Mühe, die ich mir mit dir gegeben habe, damit du und nicht die Tochter meiner reizenden, chamäleonhaften Geschäftspartnerin, den lieben Shredder für sich deklarieren kann? Glaubst du, ich gebe mir all die Mühe, nur, um euch dann mutwillig zu trennen? Nein“, beantwortet er seine eigene Frage noch im selben Atemzug, „natürlich nicht. Ich habe gar nichts gegen solche Techtelmechtel, sofern sie euren Job nicht beeinflussen. Frag die beiden idiotischen Mutanten, wenn du mir nicht glaubst.“

Kazuo entspannt sich etwas, doch ganz schwindet der Argwohn nicht aus seiner Miene. Er nickt einmal, als Zeichen, daß er verstanden hat, kommentiert es aber nicht. Sie stehen sich ein paar Sekunden lang nur schweigend gegenüber und mustern sich abschätzend.

„Wie lange ist er schon dein Niichan?“ will Krang schließlich neugierig wissen.

„Schon immer“, kommt es beinahe herausfordernd zurück.

Um Krangs Mundwinkel zuckt es kurz, als er begreift, daß sich Kazuos Aggressivität nicht explizit gegen ihn richtet, sondern gegen die Welt im Allgemeinen – gegen alle, die es wagen, ihn und seinen Niichan für ihre Gefühle zu verurteilen.

„Warum bist du dann Polizist geworden? Damit ward ihr dazu verdammt, auf gegnerischen Seiten zu stehen.“

„Weil ich dumm war, okay? Ich war egoistisch. Ich habe Saki durch meinen Egoismus in die Arme des Footclans getrieben und ich sah zu, wie er immer krimineller wurde, aber anstatt mit ihm zu reden, wurde ich Polizist, weil ich mir einredete, wenn ihn jemand verhaften sollte, dann lieber ich als irgend ein Fremder. Ich bildete mir ein, nur so könnte ich ihn beschützen. Aber dann war er fort – in den USA und später hier im Technodrome und anstatt ihn zu beschützen, beschützte ich nur mir völlig Fremde. Und das reichte mir.“ Müde fährt sich Kazuo mit den Fingern quer durchs Gesicht und um seine Lippen zuckt ein trauriges Lächeln. „Ich war so dumm. Als Teenager wußte ich genau, was ich wollte: ihn. Nur ihn. Ich wünschte, ich wäre nie erwachsen geworden.“

Krang ist begeistert.

Das ist ja besser als jede Seifenoper!

Er räuspert sich einmal und tätschelt aufmunternd Kazuos Arm.

„Nun, jetzt bist du hier bei deinem Lord Krang und ich erlaube dir, ihn zu behalten.“

 

Kapitel 23

 

Kapitel 23

 

Shredder starrt seine Finger an wie die eigenwilligen Gliedmaßen, die sie sind und konzentriert sich. Es hilft nichts – sie zittern immer noch. Nur ein wenig, es ist nicht so schlimm, dass ihm gleich die Tasse aus den Händen fällt, aber es ist beschämend. Welcher erwachsene Mann in seinem Alter ist schon dazu gezwungen, die volle Teetasse mit beiden Händen zu halten, um daraus trinken zu können?

Dieser blöde Schlafmangel! Als wären die Kopfschmerzen nicht schon schlimm genug.

Grummelnd pustet er in die grünliche Flüssigkeit und nimmt dann einen großen Schluck.

Oh.

Oh ja.

Ja, das tut gut. Allmählich spürt er, wie seine Lebensgeister zurückkehren.

Das mag auch zum guten Teil an dem Geruch von frisch gebrühtem Kaffee liegen, der in der Küche hängt. Er hat fünf Packungen Kaffeepulver im Küchenschrank gefunden - Rocksteadys und Bebops eiserne Reserve - aber er hat kein schlechtes Gewissen, eine davon geöffnet zu haben, denn wenn sie nicht wollten, dass es benutzt wird, hätten sie den Kaffee nicht aus ihrem Versteck in die Küche gebracht.

Und Kazuo braucht seinen Muntermacher.

Als hätten seine Gedanken ihn angelockt, tritt sein Bruder in diesem Moment über die Schwelle. Shredder erhascht einen kurzen Blick auf seine Miene, aber bevor er diesen merkwürdigen Ausdruck irgendwie einordnen kann, ist Kazuo schon bei ihm, sinkt vor ihm auf die Knie, schlingt die Arme um Shredders Beine und legt dann auch noch seinen Kopf auf Shredders Oberschenkel.

„Huh?“ Verdutzt stellt Shredder seine Teetasse zurück auf den Tisch und starrt an sich hinunter, während seine zitternden Hände schon wie von selbst in Kazuos dichtem Haarschopf landen.

„Was ist los? Hat Krang was Schlimmes zu dir gesagt?“

Kazuo gibt einen verneinenden Brummton von sich.

„Nein, im Gegenteil. Er schlägt vor, dass der Bordcomputer deine Biowerte überwacht, während du schläfst.“

Das klingt wie eine gute Idee. Aber wieso verhält sich Kazuo dann so merkwürdig?

Besorgt läßt Shredder Strähne um Strähne dieses seidigen, dunkelbraunen Haares durch seine jetzt ganz ruhigen Finger gleiten. So sehr ihm das Benehmen seines Bruders auch ein Rätsel aufgibt, kann er nicht behaupten, dass es ihm nicht gefällt, das Gewicht von Kazuos Kopf auf seinen Oberschenkeln zu spüren. Oder seine Hände an seinen Knien.

„Kaz-chan?“ murmelt Shredder schließlich besorgt. „Was ist los?“

Einige Sekunden lang passiert gar nichts, dann holt Kazuo einmal tief und zitternd Luft, hebt den Kopf und blinzelt zu ihm empor. Um seine Lippen zuckt ein schmales Lächeln.

„Nichts. Gar nichts. Mir wurde nur klar...“ Er stockt, läßt seine Knie los und steht kopfschüttelnd auf.

Irritiert sieht Shredder ihm zu, wie er hinüber zur Kaffeemaschine geht, um sich eine große Tasse Kaffee einzufüllen.

Mehrmals öffnet Shredder den Mund, um ihn zu fragen, und jedes Mal schließt er ihn wieder, bevor noch ein Ton herauskommt. Kazuos sonderbares Verhalten macht ihn nervös.

„Es ist schon okay“, hört er sich plötzlich selber sagen, „wenn das Portal wieder funktioniert, und du nach Hause willst, verstehe ich das.“

„Was?“ Kazuo wirbelt so schnell herum, dass er fast seinen Kaffee verschüttet. „Um Himmels Willen, wovon redest du da?“ Hastig stellt er seine Tasse irgendwo ab und ist mit wenigen großen Schritten bei seinem Bruder, nur, um plötzlich wieder neben ihm zu knien. Doch diesmal schlingt er ihm die Arme um die Taille und drückt das Gesicht in sein Kapuzenshirt.

„Ich will nicht mehr zurück. Nie mehr. Hab ich dir doch schon so oft gesagt und dabei bleibe ich auch.“ Seine Stimme klingt durch den Stoff etwas gedämpft, doch jedes Wort ist gut zu verstehen. „Hier ist mein Platz. Bei dir. Verstehst du? Mir wurde nur klar … du gehörst mir, Niichan. Mir ganz allein.“

Shredder ist für einen Moment wirklich sprachlos. Seine Hände allerdings scheinen genau zu wissen, wohin sie gehören, denn eine landet wieder in Kazuos Haar und die andere streicht beruhigend über seinen Rücken.

„Du … meinst das wirklich ernst“, stellt er schließlich nach einem kurzen Schweigen überrascht fest.

Kazuos besitzergreifende Seite war ihm immer schon etwas unangenehm – aber nur, weil sie ihn an sich selbst erinnerte. Und er wollte doch immer nur das Beste für seinen kleinen Bruder und hatte daher stets versucht, in dieser Hinsicht mäßigend auf ihn einzuwirken. Kazuos spätere Obsession auf Pflicht, Recht und Gesetz war zwar nervtötend, aber immerhin ein guter Ersatz, mit dem sich Kazuo eine erfolgreiche, berufliche und private Zukunft aufbauen konnte.

Aber anscheinend war das alles nur eine dünne, zerbrechliche Fassade gewesen.

„Oh ja, ich meine das wirklich ernst“, bestätigt Kazuo und drückt ihn zum Beweis so fest, dass Shredder überrascht nach Luft japst.

„Baka“, tadelt ihn Shredder daraufhin und gibt ihm eine sanfte Kopfnuss.

Kazuo lacht nur leise, schmiegt seine Wange fester gegen diesen warmen, weichen Sweater, schließt behaglich die Augen und lauscht seinem kräftigen, gleichmäßigen Herzschlag.

 

 

„Und du bist dir wirklich sicher?" fragt Kazuo, während er die Schlagpolster zur Seite legt.

„Ja", bestätigt Shredder zum gefühlt tausendsten Male. Er steht schon in der Mitte des Raumes in Ausgangsposition und nickt ihm auffordernd zu.

Kazuo wirft ihm einen zweifelnden Blick zu. Er hat Mühe, ihm ins Gesicht zu sehen, sich nicht von dem Dreieck goldbrauner Haut und Muskeln ablenken zu lassen, die der Ausschnitts des Gis freilässt. Diese ... Verträumtheit hat in der letzten Viertelstunde dreimal dazu geführt, dass ihm die Schlagpolster fast aus den Händen gerutscht wären, und das hätte wirklich schmerzhaft enden können.

„Komm schon, Kazuo. Lass uns tanzen."

Über diesen Ausdruck muss Kazuo unwillkürlich lächeln. Diese Art von Kampfsporttraining wirkt für Außenstehende tatsächlich wie ein Tanz - wenn auch einer aus Schlag- und Trittkombinationen. Einen Tanz, den sie als Kinder erfunden haben, damit sie miteinander gefahrlos trainieren konnten. Ihre Mutter war darüber so begeistert, dass sie sie dabei sogar filmte und es ihren jeweiligen Senseis vorspielte. Kazuos Sensei Yamada war voll des Lobes, aber Sakis Sensei Hamato weniger.

„Nur, wenn du dir wirklich sicher bist", erklärt Kazuo, geht aber schon zu ihm hinüber und stellt sich vor ihm in Position. „Und wir hören sofort auf, wenn du merkst, es geht nicht mehr."

Shredder rollt sofort mit den Augen.

„Keine Sorge“, verspricht er ihm trotzdem. Er hat schließlich auch keine Lust auf eine Panik-Attacke.

Aber irgendwie hat er das Gefühl, dass es heute gut gehen wird.

Und genauso ist es.

Nun, das hier ist ja auch weit entfernt von einem richtigen Kampf. Es ist ja nicht einmal ein Trainingskampf.

Als sie noch Kinder waren, war es weitaus schwieriger, trotz des spielerischen Charakters des Ganzen nicht trotzdem getroffen zu werden, aber heute sind sie beide Profis – jeder in seiner eigenen Kampfsportart.

Es ist trotzdem anstrengend – auf eine gute Art.

Und es macht Spaß, Kazuo dabei zu beobachten. Als Kind war er immer viel zu eifrig und das führte zu unnötigen Fehlern, und später kam dann die Impulsivität eines Teenagers dazu, doch jetzt bewegt sich sein Bruder so perfekt, dass Shredder nicht weiß, ob er neidisch oder stolz auf ihn sein soll.

Aber dann macht Kazuo plötzlich doch einen Fehler und durchbricht die unausgesprochene Choreographie ihres kleinen „Tanzes“.

Anstatt seitlich auszuweichen, macht er einen Schritt nach vorne. Shredders einzige Warnung sind sein verschmitztes Lächeln und das übermütige Funkeln in seinen Augen, dann hat Kazuo ihm schon eine Hand in den Nacken gelegt und seinen anderen Arm um seine Taille geschlungen und küßt ihn mitten auf den Mund.

Das bringt Shredder ins Taumeln, und irgendwie landen sie so auf den Knien, und das gibt ihm die Möglichkeit zu einem tadelnden „Baka“ - doch Kazuo kichert nur und fängt seine Lippen zu einem weiteren, fordernden Kuß ein.

Nachdem er Shredders Mund genug geplündert hat, arbeitet er sich weiter vor, küsst und leckt sich über Kinn und Kehle, hinunter zu diesem verlockenden Dreieck aus samtweicher Haut, das vom dunklen Stoff des Gis eingerahmt wird.

Seine Hände wollen gerade damit beginnen, Shredder den störenden Stoff von den Schultern zu streifen, da hört Kazuo über sich ein leises Grollen und fühlt sich plötzlich am Haar gepackt und daran wieder in die Höhe gezogen, wo Shredders Mund auf ihn wartet, um ihm einen gierigen Kuß aufzudrücken.

Ja.

Oh ja!

Das ist es!

Begeistert lässt sich Kazuo die Führung aus der Hand nehmen. Das ist sein Niichan, wie er leibt und - vor allem - lebt!

Zufrieden schlingt er ihm die Arme um den Nacken und stürzt sich in diesen Kuss und alles, was ihn ausmacht hinein: Sakis Geruch, seine Wärme, sein Geschmack und sogar die Art, wie sein Atem Kazuos Nase streichelt ... Seine Hände an Kazuos Hüften, der Druck seines Körpers gegen Kazuos und sogar die Reaktionen, die all das in Kazuos Körper auslöst - das ist dieser Kuss.

Das und noch viel, viel mehr.

Kazuo wird richtiggehend schwindelig davon.

„Ja", bestätigt er seufzend, als dieser himmlische Kuss endet. Genießerisch legt er den Kopf in den Nacken und erschauert wohlig, als sich Shredder über seinen Hals küsst.

„Ja", wiederholt er, als er sich an seinem linken Schlüsselbein festsaugt.

Oh jajaja!

Er braucht diesen Knutschfleck!

Und nicht nur den. Er will noch viel, viel mehr.

Und er will auch Kratzer.

Er will alles.

Er will gezeichnet sein.

Markiert werden.

Plötzlich fühlt er sich gepackt und rücklings auf die Tatami- Matten gedrückt.

Kazuo stößt ein kurzes, atemloses Lachen aus und sieht mit funkelnden Augen hoch zu seinem Niichan.

„Ja.“ Er packt ihn am Kragen seines Gis, zerrt ihn daran zu sich hinab und kommt ihm gleichzeitig voller Ungeduld entgegen. In ihren nun folgenden Kuß aufseufzend, landet eine seiner Hände in Shredders Kreuz und die andere höchst besitzergreifend auf dessen Hinterteil.

Er ist so warm und stark und so solide wie eine schützende Mauer. Eine Mauer aus Fleisch und Blut, und so dominant Kazuo auch sonst ist, heute, hier und Jetzt will er nichts mehr, als Shredders starke Präsenz über sich spüren.

Aus Kazuos Kehle löst sich ein sehnsüchtiger Laut, als einer von ihnen – wer, das kann sein zunehmend benebelter werdender Verstand nicht mehr auseinanderhalten – mit den Hüften rollt und er fühlen kann, wie sehr ihn sein Niichan schon begehrt.

„Saki...“ schweratmend unterbricht er diesen göttlichen Kuß, sucht seinen Blick und ist erstaunt darüber, wie schwarz die Augen seines Bruders geworden sind, „... Saki, bitte … ich will...“ in einem stummen Flehen spreizt er seine Beine etwas und hebt gleichzeitig seine Hüften an.

Shredders Augen weiten sich erstaunt.

„Kazuo?“

„Dich“, stößt dieser mit lustgetränkter Stimme hervor. „Ich will dich.“

Und als Shredder nicht sofort darauf reagiert, packt er ihn aufknurrend am Kragen und zerrt ihn wieder tiefer zu sich herunter, bis sich ihre Nasenspitzen fast berühren.

„Du gehörst mir!“ grollt er heiser. „Alles an dir gehört mir. Also gib mir alles, was du hast.“

Mit diesen Worten schnellt er mit seinem Kopf nach oben und hascht nach Shredders Lippen, verwickelt ihn in einen wilden, kompromißlosen Kuß, während sich seine Arme besitzergreifend um ihn schlingen.

Er wird verdammt nochmal bekommen, was er will!

 

 

„Das war nicht unbedingt das, was ich im Sinn hatte“, meint Kazuo eine halbe Stunde später vorwurfsvoll, während er sich ächzend in eine sitzende Position hievt. Er zieht sich das verrutschte Oberteil seines Gis wieder über die Schultern und gürtet es locker, während er zu seinem Bruder hinüberschielt, der ein paar Schritte weiter auf der Hantelbank sitzt.

Der nimmt nur einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche, wischt sich mit dem Handrücken über den Mund und wirft ihm dabei einen langen, undeutbaren Blick zu, sagt aber nichts.

Kazuo ist schläfrig und sein Körper fühlt sich an wie Gelatine, doch irgendwie schafft er es, sich auf die Füße zu quälen. Langsam tapst er zu ihm hinüber, wobei er mit einer Hand im Laufen seine Hose höher zieht. Das blöde Ding ist wohl ausgeleiert, so, wie es ihm über die Hüften rutscht.

Bei seinem Bruder angekommen, läßt er sich schwerfällig neben ihn sinken. Er zögert kurz, doch dann schnappt er ihm die Wasserflasche aus der Hand und trinkt sie aus.

Shredder zieht nur die rechte Augenbraue hoch, sagt aber immer noch nichts.

„Versteh mich nicht falsch“, meint Kazuo schließlich. „Du kannst erstaunliche Dinge mit deinem Mund anstellen, aber das war nicht das, was ich eigentlich wollte. Und du weißt“, fügt er mit einem wahrhaft diabolischen Lächeln hinzu, „was du mir jetzt nicht gegeben hast, werde ich mir später holen. Du entkommst mir nicht.“

Shredder mustert ihn irritiert. „Warum ist dir das nur so wichtig? Wenn du es so sehr willst, kannst du gerne derjenige sein, der-“

„Du zuerst“, unterbricht ihn Kazuo in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet.

Shredder starrt ihn einen Moment lang nur schweigend an. Er versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm ihm allein der Gedanke daran ist.

„Warum?“ erkundigt er sich schließlich leise.

Verärgert runzelt Kazuo die Stirn. „Das habe ich dir doch gesagt. Ich will alles von dir.“

Shredder senkt nur den Blick und wendet den Kopf beiseite.

„Verlange das nicht von mir“, bittet er leise. „Reicht es nicht, wenn du mich-“

„Später ganz gewiß“, unterbricht ihn Kazuo. „Nachdem die Ehre dir gebührte.“

Und als Shredder daraufhin den Kopf nur noch weiter wegdreht, rutscht Kazuo ganz nah an ihn heran, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.

Seine Worte lassen Shredder erröten und zurückschrecken, doch Kazuo packt ihn einfach an den Schultern und hält ihn fest. Sekundenlang starren sie sich einfach nur an, dann seufzt Shredder einmal leise auf.

„Du bist beängstigend, Otouto.“ Doch er lächelt dabei und lehnt sich etwas vor, bis sich ihre Stirnen berühren. Dann pflückt er Kazuos Hände von seinen Schultern und drückt sie liebevoll.

Bei der Anrede und diesen Worten zuckt Kazuo innerlich zusammen, aber dann wird ihm klar, was sein Niichan damit wirklich meint. Er denkt kurz darüber nach.

„Warum?“ will er dann wissen. „Darf ich etwa keine schmutzigen Gedanken und Wünsche haben? Du kennst mich, Niichan. Vor dir muss ich mich doch nicht verstecken."

Nicht so wie er es vor Hikari machen muss. Oder vor seinen Kollegen und Vorgesetzten. Seinen Nachbarn. Seiner Mutter. Schlicht der ganzen Welt. Jeder würde sich von ihm abwenden, wenn er ihm zeigen würde, wer er wirklich ist. Jeder, außer seinem Niichan.

Der zieht sich wieder etwas zurück und schüttelt den Kopf. Er hat Kazuos Hände immer noch in seinen und drückt sie bei seinen nächsten Worten aufmunternd.

„Nein, musst du nicht. Aber ich weiß manchmal wirklich nicht, ob ich dich noch kenne. Doch das ist egal. So lange du nur du selber bist. Kaz-chan, ich wollte immer nur dein Bestes."

„Auch jetzt, nehme ich an?"

„Auch jetzt."

„Willst du es deshalb nicht? Weil du mir nicht wehtun willst?"

Shredder nickt schweigend.

Kazuo lächelt schmal. Salamitaktik, erinnert er sich. Sehr bald schon wird sein Niichan machen, was er sich von ihm wünscht, er muss nur hartnäckig genug bleiben.

Trotzdem:

„Saki, du bist und bleibst ein Baka."

Kapitel 24

 

Kapitel 24

 

Seine innere Uhr (und die des Technodromes) sagen ihm, dass es früher Abend ist, allerdings ... blinzelnd starrt Kazuo in den Himmel - den Lichtverhältnissen nach ist es hier noch heller Tag. Und es ist saukalt.

Kazuo schnieft einmal und haucht in seine klammen Hände, bevor er seinem Niichan und den beiden Mutanten weiter dabei hilft, schwere Metallbehälter auf den schon bekannten, diesmal von einem schwebenden Roboter gezogenen, Handwagen zu wuchten. Der Roboter gehört zum Arbeitstrupp, der im Auftrag Euer Gnaden die äußeren Schäden am Technodrome beseitigt. Für die Dauer, die sie benötigen, um die zwei Dutzend Behälter in den Laderaum zu bringen, ist er eine Leihgabe.

Die Behälter und ihr Inhalt - laut Krang handelt es sich dabei um Lebensmittel - gehörten wohl mit zum Deal. Diesen Teil müssen sie irgendwie verpasst haben, aber schließlich waren sie bei dem Gelage auch mit ganz anderen Dingen beschäftigt als damit, Krang und seine Geschäftspartnerin zu belauschen.

Kazuo schert es letztendlich auch nicht besonders. Er ist froh, mal für ein paar Minuten raus an die frische (und sehr kalte) Luft zu kommen. Und wenigstens brauchen sie sich diesmal keine Sorgen um Gar'taks oder ähnliches zu machen. Um Störungen vorzubeugen, hat der Arbeitstrupp eine Art Energiebarriere um das gesamte Technodrome gezogen. Da kommt keine Fellkugel mit Zähnen mehr durch.

Am Technodrome herrscht rege Geschäftigkeit, überall wird gehämmert, geschraubt und geschweißt, aber sie werden in Ruhe gelassen. Zu Beginn kam der Vorarbeiter, um ihnen zu zeigen, wo die Behälter stehen, aber der brüllt schon längst auf der anderen Seite der rollenden Kampffestung seine Anweisungen.

Rocksteady und Bebop - stellt Kazuo beeindruckt fest - sind verdammt stark, jeder von ihnen kann einen dieser Behälter problemlos alleine zu dem Handwagen tragen, während Kazuo und Shredder das nur gemeinsam schaffen.

Auf den Wagen passen fünf Behälter, er fährt also mehrmals hin und her. Er ist gerade das dritte Mal leer zurückgekommen und sie wenden sich gerade der nächsten Ladung zu, da sieht

Kazuo, wie sein Bruder kurz die Augen zusammenkneift und sich über die Stirn reibt, bevor er leicht schwankt. Sofort ist er bei ihm und legt ihm stützend einen Arm um die Taille.

„Okay. Den Rest machen Rocksteady und Bebop alleine. Du legst dich hin."

„Hey“, protestiert sein Bruder sofort. „Was soll das? Mir geht’s gut. Wir haben noch neun Behälter, die wir-“

„Das schaffen Bebop und Rocksteady auch allein!“ fährt ihm Kazuo scharf ins Wort. Sein Griff um Shredders Taille festigt sich und dazu nimmt er noch dessen linken Arm und legt ihn sich vielsagend über die Schulter.

Als Shredder wieder protestieren will, rufen die beiden Mutanten wie aus einem Munde ein saloppes, aber unmißverständliches:

„Bye-bye!“

und unter dieser deutlich zur Schau gezeigten Einigkeit bleibt Shredder nichts anderes mehr übrig, als sich zu fügen.

Wenn auch zähneknirschend.

 

 

„Verdammt, Niichan!“ ruft Kazuo aus, als sie in ihr Quartier stolpern. Auf den letzten hundert Metern hat er es wirklich bereut, seinen Bruder hier hoch geschleppt zu haben. Der Kerl macht sich doch extra schwer, oder?

Grummelnd lehnt er ihn mit dem Rücken an die Tür und hält ihn mit einer Hand an der Jacke fest, während er erst sich selbst und dann ihm die Schnürschuhe auszieht. Shredder grinst nur in sich hinein und läßt ihn machen. Er denkt nicht daran, auch nur einen Finger zu rühren. Das hat sich Kazuo selbst zuzuschreiben.

Und er kann nicht behaupten, dass es sich nicht irgendwie gut anfühlt, wenn sich Kazuo so um ihn kümmert. Wie er jetzt so nah vor ihm steht und den Reißverschluß seiner Jacke für ihn aufzieht – der Anblick hat schon was. Diese Mischung aus leichter Gereiztheit, Ernsthaftigkeit und Sorge auf seinen feingeschnittenen Zügen … er muß sich wirklich sehr beherrschen, ihn nicht zu küssen.

Ihm ist wirklich schwindlig und seine Kopfschmerzen bringen ihn noch einmal um, aber die Nähe seines Bruders, seine Fürsorge, dieser sanfte Glanz in seinen Augen – all das fährt ihm nicht nur mitten ins Herz, sondern auch direkt unter die Gürtellinie.

Kazuo schlüpft selbst aus seiner Jacke (die eigentlich Shredder gehört) und lässt sie achtlos zu der anderen auf den Boden gleiten, er hält sich gar nicht damit auf, sie ordentlich aufzuhängen, so eilig hat er es, seinen Bruder ins Bett zu packen.

Shredder grinst matt. Das hier erinnert ihn sehr an eine ähnliche Situation, nur mit vertauschten Rollen. Und so packt er seinen Bruder, sobald ihn dieser aufs Bett wuchtet, am Kragen und zieht ihn mit sich auf die Matratze.

„Ah... Saki?“

Doch der schlingt nur seine Arme um ihn, hascht nach seinen Lippen und hat ihm schon eine Minute später die Zunge in den Hals gesteckt, um seine Mundhöhle gierig zu plündern.

Es dauert nicht lange, dann hat Kazuo die Kontrolle über diesen Kuß an sich gerissen. Er drängt Shredders Zunge zurück und macht sich im Gegenzug daran, nun über dessen Mund herzufallen, während er ihn gleichzeitig an den Handgelenken packt und diese links und rechts von seinem Kopf ins Kissen drückt. Derart gefangen, keucht Shredder leise auf und drängt sich ihm unwillkürlich entgegen.

Für einen gar nicht so kleinen, schwachen Moment ist Kazuo versucht, damit weiterzumachen, doch seine Vernunft siegt, und so wandelt er seinen stürmischen Kuß in etwas ruhiges und zärtliches um, läßt schließlich Shredders Handgelenke los und während er sich neben ihn auf die Matratze sinken läßt, zieht er ihn mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung derart in seine Arme, dass Shredders Kopf auf Kazuos Brust zu liegen kommt. Direkt über seinem Herzen.

Shredder ist enttäuscht, aber weil er die Ironie dahinter erkennt – schließlich hat er Kazuo genau so gehalten, genau hier, vor einer Woche, als er ihn hierher entführte – kann er damit leben. Und dann landen Kazuos Finger in seinem Haar und er kann nicht anders als sich seufzend an ihn zu schmiegen.

„Liebe dich...“ nuschelt er gegen den weichen Sweaterstoff.

„Ich dich auch“, lächelt Kazuo zurück, und meint dann, nach einem kurzen Schweigen, in dem er einfach nur diesen Moment genießt: „Schlaf, Saki. Ich verspreche dir, ich wache über deinen Schlaf. Ich und der Bordcomputer. Dir passiert nichts. Du hast mein Wort.“

Sein Bruder gibt nur ein erneutes Seufzen von sich, verkrallt seine Finger in seinem Sweatshirt und kuschelt sich noch enger an ihn.

Kazuos Wärme, sein Duft, sein fester, solider Körper unter ihm, die gleichmäßigen Bewegungen seiner Hand in seinem Haar und vor allem sein beständiger, ruhiger Herzschlag – all das lullt ihn allmählich ein.

Und ehe er es sich versieht, ist er tatsächlich eingeschlafen.

 

 

Sein Niichan.

Sein Saki.

Versonnen spürt Kazuo dem Gefühl des seidigen Haares zwischen seinen Fingern nach, der warmen Haut seines Nackens ... der Bewegungen seines Oberkörpers bei jedem Atemzug ... er spürt den Druck seines Körpers, sein Bein, das sich über seine geschoben hat, schwer und so präsent ... seine Finger, die sich fest in seinen Sweater krallen ... Das Verlangen, das immer noch in Kazuo brennt, verebbt nur langsam unter all diesen Sinneseindrücken. Wenn er ihm nachgegeben hätte, hätte er dann erhalten, was er sich wünscht? Oder hätte Saki ihn wieder ausgetrickst?

Dieser Schuft...

Leise lächelnd streichelt Kazuo über Sakis Unterarm. Der Sweater ist verrutscht und entblößt viel warme, samtige Haut.

Ach, Saki. Gedankenverloren lässt er seine Finger über Sakis Unterarm hinauf zur Schulter und dann zum Nacken wandern, wo er mit den Fingerspitzen die Konturen des großen Knutschflecks dort nachfährt. Er erinnert sich an jede Sekunde in den letzten Tagen, wo er dieses Mal größer und dunkler werden ließ. Er sollte diese Stelle langsam in Ruhe lassen und sich einen anderen Platz für ein Liebesmal suchen.

Plötzlich regt sich Saki ein wenig und Kazuo hält sofort erschrocken den Atem an. Aber als nichts weiter geschieht, entspannt er sich sofort wieder.

Ich liebe dich, Saki.

Dann, von einer Sekunde auf die andere, schlägt sie die Krallen in sein Herz - die Angst, ihn zu verlieren. Was ist ... Was ist, wenn er doch Recht hat mit seinem Sci-Fi-Horror-Verdacht?

Es würde nichts an seinem Gefühlen ändern, er würde ihn immer noch abgöttisch lieben, aber - er muss es endlich wissen!

 

 

Kapitel 25

Kapitel 25

 

Rocksteady hat sich bereit erklärt, ihn herumzuführen und ihm die verlassenen, dunklen Sektionen zu zeigen, in denen sich, wenn überhaupt, so etwas wie ein Geheimlabor befinden könnte. Allerdings gibt Rocksteady zu bedenken, dass er nicht weiß, in welchem Teil des Technodromes die Reparaturmannschaften gerade zu Werke gehen. Sie könnten ihnen also begegnen und vielleicht in frisch instandgesetzte Bereiche geraten.

Doch das ist Kazuo egal, ihn drängt es danach, die Kampffestung gründlich zu durchkämmen, egal wieviele Bauarbeiter er damit verärgern könnte.

Bebop verspricht, hier zu bleiben und über Shredder zu wachen. Bewaffnet mit seinem Nintendo und seinem alten Walkman, setzt er sich neben den schlafenden Shredder auf das Bett und murmelt etwas von „ist fast wie damals", wobei er sein Chefchen mit einem versonnenen Lächeln bedenkt.

Er winkt ihnen zum Abschied noch einmal zu.

Erst draußen auf dm Gang erklärt ihm Rocksteady, was dieses Kommentar zu bedeuten hatte.

„Als unser Chefchen in ein Kleinkind mutierte, haben wir oft so bei ihm gesessen und ihm beim Schlafen zugesehen. Er war so süß." Um seine Mundwinkel zuckt kurz ein zärtliches Lächeln, doch dann hat er sich wieder unter Kontrolle. „Keine Sorge. Beeps wird gut auf ihn achten."

Kazuo ringt sich zu einem verlegenen Lächeln durch.

„Ja, ich weiß. Es ist nur ... Nun ja, peinlich."

Rocksteady, der ihn zielstrebig den Gang zu einem Treppenschacht hinüberführt, wirft ihm einen amüsierten Seitenblick zu.

„Nö, wieso? Wenn du es für besser hälst, wenn jemand bei ihm ist, wenn er aufwacht, dann helfen wir gerne. Sehr gerne." Wieder zupft ein Lächeln um seine Rhinoschnauze.

Kazuo spürt einen Hauch von Eifersucht und beschließt, das Thema erst einmal als erledigt anzusehen.

„Du musst mich ja für sehr paranoid halten", meint er schließlich, als er hinter Rocksteady die Steigleiter hinunterklettert.

Rocksteady schüttelt nur den Kopf.

„Nee, nicht wirklich. Sowas macht das Technodrome mit einem. Zu groß, zu dunkel, zu leer."

Es folgt ein kurzes Schweigen, in dem das Geräusch ihrer Schuhe auf den Metallsprossen der einzige Laut in dem zerstörten Treppenschacht ist.

„Chefchen hat auch oft solche Anwandlungen", fährt Rocksteady dann verschwörerisch fort. „Hier haben sich schon viele Leute eingeschlichen. Deshalb sind viele Gänge in den unbenutzten Sektionen zugesperrt. Da, wo die Leitungen so kaputt sind, dass nicht einmal mehr die Biosensoren funktionieren."

Kazuo gibt einen zustimmenden Laut von sich. Er kann sich vorstellen, von welchen Leuten der Mutant da spricht. Sein Niichan hat wirklich viele Feinde, nicht wahr? Und das nicht nur auf der Erde. Wie gut, dass er jetzt hier ist, um ihn zu beschützen.

„Ist lustig, dass ihr euch da auch so ähnlich seid", grinst Rocksteady.

„Auch? Wo denn noch, deiner Meinung nach?"

„Ach, eure ganze Art. So... selbstbewusst. Du bist erst seit einer Woche hier und schlüpfst schon wie selbstverständlich in die Leader-Rolle."

Echt? Ungläubig zieht Kazuo die Augenbrauen hoch. Das war ihm so gar nicht bewusst.

„Nur ist Chefchen immer so cholerisch. Aber das", fügt Rocksteady nachdenklich hinzu, „kann auch am Schlafmangel liegen."

„Ach, er hat das öfter? Ich dachte, das sei jetzt nur wegen ... dieser Sache."

„Nö. Seit wir ihn kennen, ist das so. Er schläft wenig und arbeitet viel. Manchmal ganze Nächte durch. Tagelang. Das Technodrome war ja bisher immer eine halbe Ruine, und hatten wir es mal halbwegs zusammengeflickt, kamen die Turtles oder andere Idioten und haben es wieder in Schweizer Käse verwandelt. Obwohl ... so schlimm wie im letzten halben Jahr war es noch nie. Ich weiß gar nicht, ob unser Chefchen in den letzten Monaten überhaupt mal ausgeschlafen hat."

Kazuo, für den Nacht- und Doppelschichten nichts Unbekanntes sind, gibt einen ordinären Fluch von sich. Dieses Nahtoderlebnis hat unter diesen Umständen für seinen Bruder dann ja nur alles verschlimmert.

Rocksteady schweigt einen Moment.

„Es ist jetzt noch schlimmer geworden, nicht wahr?" fragt er leise und flucht gleich darauf selbst. „Mist. Wir haben wirklich gedacht, das würde besser, jetzt, wo du da bist."

„Das wird es, Rocksteady. Das schwöre ich dir."

Rocksteady nickt nur schweigend.

Kurz darauf scheinen sie ihr Ziel erreicht zu haben, denn Rocksteady springt von der Steigleiter auf die Reste eines Treppenabsatzes, der zu einem Loch in der Wand führt, wo wohl mal eine Tür gewesen war.

Dahinter erwartet sie pechschwarze Finsternis.

Zum Glück haben sie ihre Taschenlampen dabei.

 

 

„Na?“

Fragend hebt Bebop bei ihrem Eintreten den Blick von seinem Nintendo, zieht sich die Kopfhörer aus den Ohren und begrüßt sie mit einem Lächeln, das in einem Grinsen endet, als die beiden endgültig das Quartier betreten und das indirekte Licht ihren Zustand gnadenlos enthüllt. Staub klebt an ihnen, und teilweise sogar Spinnweben.

„Habt ihr ein Geheimlabor gefunden?“ Bebop flüstert es, um Shredder nicht zu wecken.

Der liegt neben ihm auf dem Bauch, das Kissen fest umklammert und das Gesicht dort hineingepresst. Er scheint tief und fest zu schlafen.

„Nein“, gibt Rocksteady ebenso leise zurück. „Kein Geheimlabor. Keine Tanks. Nichts dergleichen. Nur ein paar mißgelaunte Bauarbeiter, ganz viel Staub und noch mehr Spinnweben.“

„Schläft er noch?“ Kazuo ist aus seinen Schuhen geschlüpft und nähert sich nun auf Socken dem Bett. Unterwegs zieht er sich den dreckigen Sweater vom Kopf und läßt ihn achtlos zu Boden fallen.

Bebop nickt bestätigend, während sie den Platz tauschen.

„Gut.“ Kazuo nickt zufrieden, bedeutet das doch, daß sein Niichan schon fast vier Stunden am Stück geschlafen hat.

„Er hat sich ein paar Mal gedreht“, erklärt Bebop leise, „ist aber nicht aufgewacht. Anzeichen von schlechten Träumen gab es auch nicht.“

„Sehr gut. Danke.“

Bebop beugt sich zu ihm hinüber, grinst und klopft ihm auf die Schulter. „Immer gerne wieder. Wir mögen ihn schließlich auch.“

Wie könnte man auch nicht? Unwillkürlich wandern Kazuos Blicke hinüber zu seinem Niichan. Er ist alles, was Kazuo als Kind und Jugendlicher immer sein wollte: gutaussehend, klug und stark. Sein zuverlässiger Fels in der Brandung. Und doch … es ist ein Felsen mit vielen Rissen. Saki ist alles andere als perfekt – und gerade deshalb so liebreizend. Und beschützenswert.

Kazuo wird sich plötzlich bewußt, daß er starrt und wahrscheinlich ein sehr dümmliches Lächeln spazierenträgt und räuspert sich verlegen. Aber nach einem schnellen Blick in die Runde, stellt er fest, daß er wohl nicht der einzige mit solchen Gedanken ist, den weichen Mienen der Mutanten nach zu urteilen.

Sie lächeln sich noch einmal verlegen und verschwörerisch zugleich zu, dann verlassen Rocksteady und Bebop leise das Quartier.

„Wo warst du?“

Kazuo, der bis eben noch gedankenverloren auf die Tür gestarrt hat, zuckt beim Klang dieser Stimme neben sich erschrocken zusammen und fährt herum.

„Du bist wach?“ entkommt es ihm überrascht.

Langsam hievt sich Shredder in eine sitzende Position.

„Schon 'ne ganze Weile. Seit ihr zur Tür reingekommen seid. Wo warst du?“ wiederholt er seine Frage mit einem scharfen, beinahe anklagenden Unterton.

Kazuo verbeißt sich ein kleines Lächeln. So verschlafen und mit verstrubbelten Haaren sieht sein Niichan einfach nur süß aus.

„In den verlassenen Sektionen“, gibt er dann unumwunden zu. „Rocksteady war so nett, mich herum zu führen.“

Shredder starrt ihn einen Moment lang einfach nur finster an.

„Warum?“ verlangt er dann zu wissen, obwohl er die Antwort doch bestimmt schon längst kennt.

„Ich hab mich nur vergewissern wollen, daß Krang wirklich kein Geheimlabor hat“, erwidert Kazuo vollkommen ehrlich und offen.

Spöttisch zieht Shredder die linke Augenbraue hoch. „In welchem mein Körper in einem Tank vor sich hinrottet?“

Kazuo, dem das jetzt auch irgendwie peinlich ist – schließlich haben sie nichts dergleichen gefunden - kratzt sich verlegen im Nacken.

„So ungefähr.“

Sein Bruder mustert ihn skeptisch und schüttelt dann ergeben den Kopf. „Laß das Krang bloß nicht hören. Der bringt es fertig und baut so etwas, nur, um dich damit ins Bockshorn zu jagen.“

„Du bist mir deswegen doch nicht böse?“

„Nein. Aber könntest du bitte mit deiner dreckigen Hose von meinem Bett runter?“

Oh natürlich! Schuldbewußt springt Kazuo vom Bett herunter, öffnet seinen Gürtel und steigt dann aus seiner Hose.

„Besser?“ fragt er, als er nur noch in seiner enganliegenden Boxershorts, T-Shirt und Socken vor ihm steht.

„Oh ja“, schnurrt Shredder, während er seinen Blick anerkennend über den Körper seines Bruders wandern läßt. „Sehr sogar.“

Kazuo schenkt ihm ein strahlendes Lächeln, dreht sich um und geht hinüber zum Wandschrank, um sich ein sauberes T-Shirt und eine Jogginghose zu holen.

„Da bedient sich aber jemand sehr schamlos aus meinem Kleiderschrank", hört er Shredder hinter sich belustigt sagen.

„Es ist eine schöne Tradition", erwidert Kazuo vergnügt, während er mit dem Rücken zu ihm in die Hose schlüpft. „Außerdem hab ich nicht gerade viel dabei, wie du weißt."

Sein Bruder gibt nur ein zustimmendes Brummen von sich.

Kazuo zieht sich das T-Shirt über den Kopf, schnuppert dann einmal prüfend daran und verzieht das Gesicht. Geradezu hastig wirft er sich das neue über.

„Ich brauch 'ne Dusche. Und was zu Essen wäre auch nicht schlecht. Hast du auch Hunger?"

„Jaaaa", haucht es in sein rechtes Ohr.

Erschrocken aufjapsend fährt Kazuo herum und sieht direkt in das breit grinsende Gesicht seines Bruders.

„Himmel!" Instinktiv legt er die rechte Hand auf sein heftig klopfendes Herz. „Hast du mich erschreckt! Was schleichst du dich denn so an?"

„Ach, armer kleiner Kaz-chan", spöttelt Shredder sanft und legt ihm die rechte Hand an die Wange. „Soll dich dein Niichan trösten?"

„Ba-", beginnt Kazuo, doch die restlichen beiden Buchstaben kommen ihm nicht mehr über die Lippen, denn die hat Shredder da schon in Beschlag genommen. Es ist nur einer dieser kleinen Küsse, ohne Zunge, aber er weckt wieder die Schmetterlinge in Kazuos Bauch.

„Du brauchst keine Dusche", wispert Shredder gegen Kazuos Lippen. „Noch nicht. Erst, wenn ich mit dir fertig bin."

Kazuo kann sein Glück kaum fassen.

Lächelnd schmiegt er seine Wange in Shredders Handfläche und wirft ihm einen wahren Welpenblick zu.

„Heißt das, du erfüllst mir meine schmutzige Fantasie?"

Shredder zögert, aber nur einen klitzekleinen Moment, dann zupft ein schiefes Lächeln um seine Mundwinkel. Seine Hand, eben noch an Kazuos Wange, landet unmissverständlich zusammen mit der anderen auf Kazuos Hinterteil.

Kazuo grinst selig und schlingt ihm die Arme um den Nacken, denn das ist alles, was er als Antwort braucht.

 

 

Sie reden nicht viel, als sie frisch geduscht und umgezogen unterwegs zur Küche sind, um ihre knurrenden Mägen zu füllen. Eigentlich reden sie gar nicht miteinander.

Aber es ist kein unangenehmes Schweigen.

Die Auswirkungen der Reparaturen sind jetzt deutlich zu merken - die Gänge auf dieser Etage sind nicht mehr so dunkel wie vorher und von einem sanften, goldenen Licht erfüllt. Es ist ein wenig, als würden sie vom morgendlichen Sonnenstrahlen geküßt.

Es ist genau die richtige Lichtfarbe, die, die seinem Niichan am besten schmeichelt. Kazuo schlendert einen halben Schritt schräg hinter ihm, und sein Blick hängt unverwandt an seiner eindrucksvollen Gestalt. Für ihn ist es unerheblich, daß sie fast gleich groß und ähnlich gebaut sind – Saki wird in seinen Augen immer beeindruckend bleiben.

Kazuo vergräbt die Hände in den Känguruhtaschen seines grauen Hoodies – der natürlich wieder seinem Niichan gehört – und in seine Augen schleicht sich ein verträumter Glanz, als er an die letzten beiden Stunden zurückdenkt.

Es war schöner, als er es sich vorgestellt hatte. Nicht, daß er wußte, worauf er sich da einließ, für ihn war es ein völlig neues Erlebnis. Und normalerweise ist die Realität im Vergleich zu Wünschen und Vorstellungen ja eher enttäuschend, aber diesmal nicht.

Saki hat ihn behandelt wie kostbares, chinesisches Porzellan, und auch wenn Kazuo nichts anderes von ihm erwartet hatte, weil sein Niichan ihn im Bett generell so behandelte – wenn er mal die Chance dazu bekam, denn sonst gab ja oft Kazuo den Ton an – fühlte es sich für Kazuo auf eine angenehme Weise ungewohnt an. So viel Rücksichtnahme ist er von seinen früheren Liebesbeziehungen her gar nicht gewohnt. Es war schon irgendwie merkwürdig, plötzlich auf der anderen Seite zu stehen – oder besser gesagt, zu liegen – und mal selbst derjenige zu sein, der sanft behandelt wird und nicht immer nur jemand zu sein, der gibt.

Nun versteht es sich natürlich von selbst, sich seiner jeweilige Freundin (und das gilt auch für selbsterklärte Verlobte) gegenüber wie ein Gentleman zu benehmen, aber er ist keine Frau.

Es war trotzdem schön. Merkwürdig und gewöhnungsbedürftig vielleicht, aber dennoch schön.

Auch hatte Kazuo damit gerechnet, daß es schmerzhafter wäre, und daß es auch danach noch unangenehm sei. Aber außer einem gelegentlichen Ziehen war da nichts, und nach einer heißen Dusche war auch das verschwunden.

Jetzt fühlt er sich einfach nur absolut befriedigt und gut gelaunt.

Shredder fühlt den Blick seines jüngeren Bruders regelrecht, dreht sich aber nicht um. Ihm ist es etwas unangenehm, derart angehimmelt zu werden. Und er fühlt sich schuldig wegen dem, was er getan hat – egal, dass Kazuo es wollte und es sich gut anfühlte – er hat damit die rote Linie überschritten, die er sich selbst vor zwölf Jahren gezogen hatte. Er hat damit etwas zementiert, dessen Konsequenzen niemand von ihnen zu diesem Zeitpunkt auch nur annähernd abwägen kann.

Andererseits macht er sich vielleicht völlig umsonst Sorgen.

Schließlich kennt er seinen Bruder.

Wenn der Reiz des Neuen verflogen ist, neigt Kazuo dazu, sich schnell etwas anderem zuzuwenden. Jedenfalls war das bei seinen früheren Liebesbeziehungen so. Von daher hofft Shredder, dass sein Bruder, sobald er alles erhalten hat, was er sich wünscht, das Interesse verliert. So sehr ihn selbst das auch schmerzen würde - es wäre das Beste für seinen kleinen Bruder.

Außerdem - schon damals ist sein kleiner Bruder immer nur für kurze Zeit zu ihm zurückgekehrt (wenn man es denn so nennen kann bei einer rein platonischen Beziehung) - das nächste hübsche Mädchen wartete schon an der nächsten Ecke auf ihn, wie es so schön heißt.

Shredder würde es demzufolge also nicht wundern, wenn Kazuo, sobald sie wieder ein Portal zur Erde öffnen können, reuevoll zu seiner Verlobten zurückkehrt. Oder sich Hals über Kopf in die nächste schöne Frau am Wegesrand verliebt.

Und er könnte und würde es ihm nicht einmal verübeln. Das hat er noch nie.

Es ist nur … es tut weh. Müde reibt sich Shredder über die Stirn.

Kazuo sieht diese Geste und er sieht auch die Schatten der Traurigkeit, die über Shredders Gesicht huschen. Und als hätte das irgend etwas in ihm getriggert, umkrallt wieder diese eiskalte Furcht des Verlustes sein Herz.

Einem inneren Bedürfnis zufolge macht er einen schnellen Schritt nach vorne, schlingt von hinten beide Arme um seinen großen Bruder und drückt sich ganz fest an ihn.

„Niichan...“

Shredder bleibt bei diesem Überfall sofort verdutzt stehen. Kazuos Umarmung hat einen geradezu verzweifelten Charakter. Was? Warum? Er war doch eben noch so gut gelaunt.

„Kaz-chan?“ erkundigt er sich sanft und schielt dabei fragend über seine Schulter.

„Ich will nur...“, murmelt dieser, die Lippen dicht an Shredders Nacken, während er sich noch enger an dessen Rücken schmiegt und sich seine Finger noch stärker in Shredders Hoodie verkrallen. Er holt einmal tief Luft und stößt dann mit brechender Stimme hervor:

„Ich muß wissen, daß du noch da bist. Bitte.“

Shredder schluckt einmal schwer, während seine Finger Kazuos Hände finden und sich warm und stark auf diese legen. Seine eigenen Sorgen sind sofort vergessen, wie immer, wenn sein Kaz-chan ihn braucht.

„Ich bin hier“, bestätigt er. „Und ich bleibe.“

Wie er seinem Bruder schon vor einigen Tagen sagte: er kennt dieses Gefühl. Er weiß, daß es sporadisch und immer im ungünstigsten Moment wieder hochkommt.

„Versprochen?“ murmelt Kazuo in seinen Nacken.

„Versprochen.“

„Für immer?“

„So lange du es willst.“

„Dann auf ewig.“

„Auf ewig“, bestätigt Shredder leise und schließt für einen Moment schmerzerfüllt die Augen. Auf ewig klingt gut. Und er wünschte, es wäre wahr.

Für die Dauer einer Minute stehen sie einfach nur so da, dann stößt Kazuo einen leisen Seufzer aus und tritt von ihm zurück.

„Gomen.“

Daraufhin kreiselt Shredder sofort zu ihm herum und zieht ihn in seine Arme.

„Da gibt es gar nichts, wofür du dich entschuldigen müßtest“, erklärt er, während er ihn ganz fest an sich drückt. „Gar nichts, hörst du?“

Kazuo nickt nur wortlos und hält ihn ebenfalls ganz fest.

 

 

Kapitel 26

 

Kapitel 26

 

Es klopft an der Tür zu Krangs privatem Quartier.

Dreimal.

Dann gleitet sie zur Seite und sein später Besucher tritt ein.

„Oh. Shredder", begrüßt ihn Krang vergnügt und nicht im Geringsten überrascht, schließlich funktionieren die Kameras in den Gängen wieder. Er hat ihn also schon kommen sehen, sobald er sein Quartier verließ. „Was verschafft mir die Ehre deines Besuches um diese nachtschlafende Zeit?"

Krangs gute Laune ist nur Fassade. Er versucht, sich seine Besorgnis nicht anmerken zu lassen, kommt jedoch nicht umhin, Shredder verstohlen zu mustern. Er sieht müde aus. Da bilden sich langsam dunkle Schatten unter seinen Augen und die Tatsache, dass er grau und schwarz trägt, macht die Sache nicht besser.

„Hast du eine Aufgabe für mich?" fällt Shredder sofort ohne sich mit einem höflichen Gruß aufzuhalten, mit der Tür ins Haus. „Irgend etwas? Soll ich was reparieren? Deinen Fernsehempfang besser einstellen? Algorithmen, die ich programmieren soll? Oder soll ich deinen Androidenkörper auf Hochglanz polieren?"

„Bist du sicher, dass du kein Fieber hast? Seit wann suchst du nach Arbeit? Und was sagt eigentlich dein Bruder dazu, dass du hier bist?"

„Kazuo schläft."

„Das solltest du auch", gibt Krang vorwurfsvoll zurück.

Shredder wirft ihm nur einen langen Blick zu und schüttelt den Kopf.

„Wenn ich schlafe, dann so unruhig, dass ich ihn störe. Aber er braucht seine Nachtruhe." Er holt einmal tief Luft, zuckt mit den Schultern und wendet sich dann wieder ab, bereit, zu gehen. „Also, Krang, wenn du nichts für mich zu tun hast, gehe ich in die Küche und koche Reisbällchen."

Er kommt nicht sehr weit. Krangs leise, überraschend sanfte Stimme lässt ihn sofort innehalten.

„Ich bin enttäuscht. Ich dachte wirklich, Kazuo würde es schaffen, dich ins Koma zu vögeln. Aber stattdessen führen wir jetzt dieses Gespräch."

Shredder rollt mit den Augen. Er denkt nicht daran, dieses unverschämte Kommentar auch nur irgendwie zu würdigen. Aber dennoch ... das, was in diesem Tonfall mitschwingt, erinnert ihn daran, dass er und das körperlose Gehirn mehr als nur Geschäftspartner sind. Sie sind Freunde. Und als solche kann er ihm gegenüber ehrlich sein. Daher dreht er sich wieder um, sucht Krangs Blick und ringt sich zu einem schmalen Lächeln durch.

„Kannst du das Portal auf deiner Prioritätenliste nach oben schieben? Er muss nach Hause. Er gehört hier nicht hin."

„Oh, meines bescheidenen Urteils nach passt er sehr gut hierher. Außerdem hat er mehr als deutlich gemacht, dass er hierbleiben will. Bei dir. Und", fügt Krang hinzu, während er ihn durchdringend mustert, „du willst doch nicht wirklich, dass er wieder geht."

Nein, das will er tatsächlich nicht. Aber das ist irrelevant.

„Tokyo ist sein Zuhause. Da sind seine Arbeit, seine Freunde, seine ...", er schluckt einmal schwer und würgt das nächste Wort regelrecht hervor: „Verlobte."

Autsch. Krang beginnt, zu verstehen. Am liebsten hätte er ihm nun mitfühlend die Wange getätschelt, doch er beherrscht sich.

„Du kannst ihn nicht zwingen, in sein altes Leben zurück zu gehen. Es ist seine Entscheidung."

„Sie ist falsch."

„Das sieht er anders."

Es entsteht ein langes Schweigen, in dem Shredder viel Interesse für einen Kalender an der Wand entwickelt, während Krangs nachdenklicher Blick auf ihm ruht.

„Du befürchtest doch nicht etwa, dass er dich hier ersetzen könnte?"

Shredder schüttelt nur belustigt den Kopf und spart sich jedes Kommentar dazu.

„Nein", grinst Krang, während sein sezierender Blick weiterhin auf ihm ruht. „Er bedeutet dir zu viel, als dass du so kleinliche Gefühle ihm gegenüber aufbringst." Wieder folgt ein Schweigen, das wieder nach einiger Zeit von Krang gebrochen wird. „Ich habe vielleicht tatsächlich eine Aufgabe für dich. Ich muss noch ein paar Anrufe machen, aber komm so gegen neun Uhr zu mir, dann kann ich dir Genaueres dazu sagen."

„Okay. Danke." Es hat etwas von einem erleichterten Aufseufzen an sich.

„Und bitte -", fährt Krang in einem höflichen Befehlston fort, „vergiss die Reisbällchen. Versuche zu schlafen. Du musst dich nicht fürchten, der Computer überwacht deine Biodaten."

„Tut er das?"

Krang seufzt einmal theatralisch auf und macht eine wedelnde Tentakelgeste Richtung Tür.

„Geh schlafen, Shredder."

 

 

Kazuo erwacht, weil ihm kalt ist. Schnell bemerkt er auch, warum: der Platz neben ihm ist leer. Erschrocken fährt er in die Höhe, aber dann sieht er das Bündel neben dem Bett. Ist das zu fassen? Verschlafen rutscht er von der Matratze und nimmt dabei Kopfkissen und Decke mit sich, um sich dann an den Rücken seines Bruders zu kuscheln.

Der schreckt aus seinem Dämmerzustand auf und erstarrt kurzfristig, als er den schweren Körper hinter sich spürt. Doch dann erinnert er sich wieder.

„Kazuo?" murmelt er ungnädig. „Was machst du hier? Geh ins Bett."

„Schlafen", entgegnet dieser nur, ohne auf Shredders Aufforderung einzugehen.

Entschlossen legt Kazuo seinen Arm um ihn und schmiegt sich so fest an seinen Rücken, wie er kann. Denn wenn sein Niichan glaubt, dass er ihm das durchgehen lässt, hat er sich getäuscht. Es ist ihm doch egal, wie unruhig sein Saki schläft, ob er sich nur hin und her wälzt oder ständig zusammenschreckt - so lange er das alles macht, wenn Kazuo ihn in seinen Armen hält.

„Ich schlafe extra hier, damit ich dich nicht störe", protestiert Shredder. Und doch tastet er mit seiner Hand nach Kazuos, um sie zu drücken.

„Du gehörst mir", nuschelt Kazuo nur verschlafen in seinen Nacken, gibt ihm einen kleinen Kuss und festigt seine Umarmung.

Shredder zögert zuerst, ergibt sich dann aber seinem Schicksal. Er ist zu erschöpft, um sich zu streiten.

Und zum Glück scheint Kazuo zu schläfrig, um zu begreifen, in welch prekärer Position sie beide gerade liegen. Aber dann gibt Kazuo ein leises Brummen von sich und rutscht mit den Hüften hin und her, um etwas bequemer zu liegen und Shredder ist sich in seiner Einschätzung plötzlich nicht mehr so sicher.

Jedenfalls nicht, bis ihm Kazuos stetig tiefer werdende Atemzüge verraten, dass sein Bruder wieder eingeschlafen ist. Zumindest trifft das auf den größten Teil von Kazuos Körper zu.

Frustriert schließt Shredder die Augen und versucht, nicht darüber nachzudenken, was er da spürt und noch viel weniger, wie sein eigener Körper darauf reagiert. Er dachte eigentlich, er wäre zu müde für so etwas.

Er hofft inständig, dass Kazuo, wenn er schließlich aufwacht, nicht seine Vorteile aus dieser Situation ziehen will, denn eines weiß er genau: er selbst besitzt schon lange nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu wehren. Und er will es eigentlich auch gar nicht.

Dafür fühlt es sich einfach zu gut an, auf diese Weise begehrt und geliebt zu werden.

Auch wenn es Unrecht ist.

Ich habe es verdient - wenigstens so lange, bis Kazuo die Nase voll hat vom Technodrome, der DimensionX und mir.

Und das, dessen ist er sich sicher, geschieht sowieso früher als es ihm lieb sein wird.

 

 

Absolut fasziniert geht Kazuo langsam um das Flugobjekt herum, in das er, sein Bruder und die beiden Mutanten gleich einsteigen werden. Seine Augen glänzen begeistert, als er seine Blicke über die elegant geschwungenen Formen von Rumpf und Flügeln wandern lässt. Er kann keine Nieten oder auch nur eine Schweißnaht entdecken, es scheint alles aus einem Guss entstanden zu sein und hat eine perfekte Pfeilform. Es ist auf Geschwindigkeit ausgerichtet, dazu konstruiert, den Orbit zu durchstoßen. Oder den Ozean. Luft oder Wasser - beides stellt für diese Maschine kein Problem dar.

Es ist gefährlich.

Es ist wunderschön.

Aber es ist das einzige seiner Art. Bis auf dieses eine hier ist der Hangar leer.

„Wie nennt man es?" will er von seinem Bruder wissen, während seine Finger ehrfürchtig über das wie poliert schimmernde schwarze Metall streicheln.

„Das ist ein Jäger", erklärt Shredder an Fuß der Rampe, der ihn mit einem nachsichtigen Lächeln beobachtet. „Ich nenne es Shinigami."

Todesgeist. Kazuo kann sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Natürlich, das passt. Und ist so typisch für seinen Niichan.

Plötzlich durchläuft ein Zittern den Rumpf und der Jäger erwacht mit einem pfeifenden Zischen zum Leben, und dann erscheint Rocksteady in der mannsgroßen Lukenöffnung.

„Bitte alle einsteigen, Ihr Flug nach Xaycol startet in wenigen Minuten."

Er grinst, salutiert lässig und verschwindet dann wieder im Inneren.

Xaycol, wiederholt Kazuo in Gedanken. Laut seinem Bruder ist der Ort, an den Krang sie schickt, ein einziges großes Vergnügungsviertel. Dort sollen sie jemanden treffen und etwas abholen.

Sie sind Paketboten.

Aber während die beiden Mutanten vor Freude fast Luftsprünge machten, zog sein Niichan nur eine unwillige Grimasse. Er hat wohl immer noch Probleme mit lauten, überfüllten Plätzen. Es war früher schwierig, ihn dazu zu überreden, mit ihm auf ein Volksfest oder in einen Vergnügungspark zu gehen, aber irgendwie war es Kazuo immer gelungen, ihn zu überzeugen.

„Es ist ein kurzer Flug", erklärt Shredder, der den nachdenklichen Blick seines Bruders auf sich missversteht. „Die Shinigami kann ein Portal öffnen, deshalb sind wir in Nu da. Nur leider", fügt er seufzend hinzu, „funktioniert diese Art von Portal nur hier in der DimensionX. Noch. Wir werden es anpassen. Und mehr Shinigamis besorgen. Damit wir die Erde...", er unterbricht sich mitten im Satz, öffnet seine kurzfristig zur Faust geballten Hände wieder und schenkt Kazuo ein entschuldigendes Lächeln.

Dieser nickt nur wortlos, gibt aber durch nichts zu verstehen, was er von den letzten Worten seines Bruders hält.

Shredder glaubt aber, so etwas wie Enttäuschung über seine Miene huschen zu sehen.

Nun, er kann es nicht ändern. Kazuo hat doch nicht wirklich gedacht, er würde seine Eroberungspläne aufgeben, nur, weil er jetzt hier ist?

Kopfschüttelnd vergräbt Shredder seine Hände in den Taschen seines dunklen Parkas und dreht sich um.

Als er sich gerade anschickt, die Rampe zu betreten, hält ihn Kazuos Stimme noch einmal zurück:

„Warte."

Fragend dreht er sich zu seinem Bruder um und findet sich urplötzlich in einer bärenstarken Umarmung wieder.

„Was...", beginnt er, unterbricht sich dann aber selbst. Stimmt. Die Frage ist wirklich dumm. Er weiß doch, was Kazuo dazu treibt. Und es ist in Ordnung. So eine Umarmung ist das einzige, was gegen die immer mal wieder kurzfristig aufflackernde Verlustangst hilft.

Und auch ihm tut es gut.

Shredder kann nicht anders, als die Umarmung seines Bruders zu entgegnen, sein Gesicht an dessen Hals zu vergraben und seinen Duft tief einzuatmen.

Kazuo riecht nach derselben Seife und demselben Rasierwasser wie er selbst - immerhin teilen sie sich das - aber darunter lauert sein ureigener Geruch, so vertraut und geliebt, eine Erinnerung an eine unbeschwerte Zeit, wo sie beide noch Kinder waren und wo Händchenhalten und Küsschen noch kein Misstrauen erweckten.

Shredder ist gerade dabei, sich in seine Erinnerungen und diese Umarmung fallen zu lassen, da lässt Kazuo ihn wieder los. Er weicht einen halben Schritt zurück, mustert Shredder lächelnd, streicht ihm eine verirrte Haarsträhne aus den Augen und haucht im dann einen kleinen Kuss auf die Lippen, bevor er ein „danke" murmelt, um schließlich an ihm vorbei in die Shinigami zu gehen.

Shredder aber steht noch eine ganze Weile da, starrt ins Leere und versucht, das immer stärker werdende Gefühl des ausgenutzt-werdens nicht in sein Herz zu lassen.

 

 

Es gibt keine Fenster in der Konstruktion des Jägers, aber die Wände des Cockpits projizieren trotzdem ein Bild der Außenwelt. Je nach Belieben oder Situation kann man es so steuern, ob man nun einen Rundumblick erhält – und sich dann fühlt, als gäbe es keine schützenden Wände zwischen sich und dem Draußen – oder ob man eine Front- und Seitensicht bevorzugt.

Sie entscheiden sich einstimmig für Letzteres. Auf die Art fühlt sich Kazuo eher wie in einem Helikopter – nur nicht so laut.

Bebop steuert den Jäger, als hätte er nie etwas anderes getan und Rocksteady neben ihm gibt einen guten Copiloten ab. Trotzdem wird Kazuo das Gefühl nicht los, daß dort vorne sein Niichan sitzen müßte. Andererseits scheint Shredder nicht darauf erpicht zu sein, seine Shinigami zu steuern.

„Wißt ihr, was ich gehört habe?“ sagt Rocksteady über seine Schulter hinweg, während das Technodrome unter ihnen immer kleiner wird und fährt dann auch gleich fort, noch bevor ihm einer antworten kann: „Ich hab von den Bauarbeitern gehört, daß sie heute und morgen damit beschäftigt sind, die Außenwände des Technodromes instand zu setzen.“ Und als er daraufhin wieder nur ratloses Schweigen erntet, macht er eine ungeduldige Handbewegung und erklärt:

„Sie werden auf dem Metall herumhämmern. Das wird man durchs ganze Technodrome hören können. Jede Wette, deshalb hat uns Krang gesagt, daß wir uns bis morgen Abend Zeit lassen können.“

Mit diesen Worten wirft er seinem Chefchen einen vielsagenden Blick zu, dreht den Kopf aber schnell wieder nach vorne, als er dessen Stirnrunzeln sieht.

„Ich dachte nur, du solltest es wissen“, murmelt Rocksteady, bevor er sich wieder auf die Kontrollen vor sich konzentriert.

Bebop neben ihm wirft ihm ein kleines, aufmunterndes Lächeln zu, zieht es sonst aber vor, weiterhin zu schweigen.

Kazuo benötigt nur einen kurzen Moment, um zu verstehen, was Rocksteadys Worte bedeuten. Aber dann kann er nicht umhin, Krang für seine fürsorgliche Weitsicht zu bewundern. Indem er dafür sorgt, daß sich Shredder während dieser Baumaßen nicht im Technodrome aufhält, verhindert er auch, daß dieser durch diesen Lärm getriggert wird und einen erneuten Panikanfall erleidet.

„Der hat dich wirklich gerne“, meint er an seinen Niichan auf dem Sitz neben sich gewandt.

Shredder lächelt nur schmal und nickt. Er muß an sein Gespräch mit Krang von letzter Nacht denken. Unter diesen Umständen sind ihm seine Worte jetzt nur noch peinlich. Denn hätte er da schon von Krangs Plänen gewußt, hätte er es sich sparen können, sich selbst derart bloß zu stellen.

Das nagt an ihm.

Er weiß, daß das Bild, welches Krang von ihm hat, nicht das Beste ist, aber gerade deshalb ist es ihm so wichtig, nicht noch weiter in Krangs Achtung zu sinken. Diese Panikattacken sind da wirklich alles andere als hilfreich.

Kazuo neben ihm mustert ihn verstohlen aus dem Augenwinkel. Ihm gefällt der Schatten nicht, der sich da langsam über die feingeschnittenen Züge seines Niichans senkt. Und dann hat er wieder diesen Blick. Genau denselben, wie er ihn in ihrer Jugend so oft hatte, den, den er früher immer so falsch als Müdigkeit interpretierte, weil er es einfach nicht besser wußte, weil ihm die Erfahrung fehlte.

Das ist etwas viel Schlimmeres als Müdigkeit.

Seinem inneren Impuls folgend, lehnt er sich zu Shredder hinüber und schlingt fest seine Arme um ihn.

Shredder blinzelt verdutzt, aber bevor er etwas dazu sagen kann, hat Kazuo ihm schon eine Hand an die Wange gelegt und seinen Kopf so gedreht, daß er ihn bequem küssen kann. Es dauert auch nicht lange, da entert seine Zunge schon geschickt Shredders Mundhöhle und beginnt mit einer zielstrebigen Plünderung. Und schon nach wenigen Sekunden spürt Kazuo genau, wie sein Niichan in diesen Kuß regelrecht hineinschmilzt.

Erst pure Luftnot zwingt sie nach einer gefühlten, köstlichen Ewigkeit, von einander abzulassen. Schweratmend lehnt Kazuo seine Stirn an die seines Bruders und sieht ihm tief in die Augen. Er erkennt Verlangen in ihnen und Liebe, aber auch – immer noch – diese unerklärliche Traurigkeit.

Kazuo spürt, wie ihm bei diesem Anblick das Herz immer schwerer wird.

„Ich liebe dich“, flüstert er und unterstreicht seine Worte mit einem kleinen, hauchzarten Kuß.

Und plötzlich landet Shredders Hand in Kazuos Nacken und zieht ihn noch fester in diesen Kuß hinein. Nur zu gerne öffnet Kazuo seine Lippen und heißt Sakis Zunge willkommen. Und während sich ihre Zungen wild duellieren und sie in ihrem gegenseitigen Geschmack ertrinken, hofft Kazuo, daß so wenigstens ein kleiner Teil dieser Traurigkeit aus dem Herzen seines Niichans verbannt wird.

 

 

Kapitel 27

Kapitel 27

 

Kazuo weiß nicht genau, was er sich vorgestellt hat - vielleicht so etwas wie einen der Rotlichtbezirke in Tokyo oder eine dieser Erlebnis-Malls - aber ganz bestimmt keine schwebende Insel in den Wolken! Aber das erklärt die Shinigami.

Der dazugehörige Planet ist eine reine Eiswüste, schon alleine vom Überfliegen bekommt Kazuo Frostbeulen. Aber auf der Insel herrschen überraschend angenehme, knapp zweistellige Temperaturen. Zwar bläst der Wind etwas scharf, aber die Sonne strahlt von einem beinahe irdisch blauem Himmel und erwärmt so die Luft. Die Insel selbst ist eine einzige große Stadt, mit Hochhäusern, die den Namen - durch die Tatsache, daß sich die Insel selbst schon im Himmel befindet - Wolkenkratzer buchstäblich verdienen.

Aber das Leben als solches scheint sich in den Gebäuden abzuspielen, denn die Straßen sind eher leer. Kazuo bemerkt jedoch schnell, dass das nicht innerhalb der Gebäude gilt, denn kaum hat man eine Tür durchquert, befindet man sich in einer unübersichtlichen Menge. Hier tummeln sich nicht nur die Echsenwesen, wie er sie schon kennengelernt hat: es gibt auch Wesen, die Menschen ähneln - nur mit riesigen, spitzen Ohren - und einige sehen tatsächlich aus wie wandelnde Steine oder Pflanzen. Selbst Mutanten wie Bebop und Rocksteady fallen hier nicht auf, weil es viele solcher Tierwesen hier gibt.

Das Gebäude selbst ähnelt im Inneren tatsächlich einer typischen Shopping-Mall - mit einem Venedig-Motto. Wasserkanäle durchziehen diese Etage, Brücken führen hinüber und verbinden die Geschäfte miteinander. Auf den Wasserkanälen pendeln kleine Boote und befördern hauptsächlich Familien mit kleinen Kindern, was dem Ganzen hier tatsächlich die Atmosphäre eines Erlebnisparks verleiht.

„Zusammenbleiben", presst Shredder zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er Kazuo fest am Handgelenk packt und nahe an sich heranzieht.

Rocksteady und Bebop gehen vor ihnen und bahnen ihnen so einen Weg durch die Menge.

Sie nehmen eine der wartenden, durchsichtigen Energiekugeln, und lassen sich von ihr in die zwanzigste Etage bringen.

Kazuo versucht, nicht allzu beeindruckt auszusehen, weil er keine unnötige Aufmerksamkeit erregen will, aber er fühlt sich schon ein wenig als wäre er mitten in einem Sci-Fi-Film gelandet.

Auf der zwanzigsten Etage erwartet sie eine helle, lichtdurchflutete Atmosphäre und die Damen hinter der Rezeption sind diese menschenähnlichen Wesen - Neutrinos, wie ihm Shredder flüsternd erklärt - und darüber hinaus sehr knapp bekleidet. Aber während Bebop und Rocksteady ganz offen starren, versucht Kazuo zumindest, gute Manieren zu beweisen, während Shredder nur eine unbewegte Miene zur Schau trägt.

Als er Kazuo jedoch dabei ertappt, wie dessen Blick für eine Sekunde an einem mit Glitzer bestäubten Dekolleté hängenbleibt, runzelt er kurz die Stirn, sagt jedoch nichts.

Krang hat gut vorgesorgt und für sie eine Suite gebucht. Dafür müssen sie mit diesen Energie-Fahrstühlen noch einmal sieben Etagen höher.

Die Suite besteht aus zwei Schlafzimmern, einem Gemeinschaftsraum und einem Badezimmer - alles ist hell und freundlich und sieht sehr, sehr teuer aus.

Aber mehr noch als von der luxuriösen Ausstattung ist Kazuo von dem Ausblick aus dem Panoramafenster fasziniert.

„Beeindruckend, nicht wahr?" Nachdem er die Reisetasche auf der diwanähnlichen Sitzgelegenheit abgelegt hat, geht Shredder zu seinem Bruder hinüber und stellt sich neben ihn ans Fenster.

„Ja", nickt Kazuo ohne den Blick von den eleganten Hochhäusern zu nehmen. „Erinnert mich ein wenig an Tokyo."

Shredders Blick wandert von der Stadt zu seinem Bruder neben ihm und dann wieder zurück nach draußen. Er sagt nichts, und auch seiner Miene ist nicht anzumerken, was er denkt.

„Wo müssen wir hin?" will Kazuo wissen. Alles, was er weiß, ist, daß sie sich mit dem Boten in einem Restaurant treffen sollen.

Shredder deutet nur stumm auf ein eiförmiges Gebäude aus blauem Glas.

„Das ist wirklich sehr edel hier. Krang war ja mal richtig großzügig", ertönt Rocksteadys grollende Stimme hinter ihnen, während er hinüber zur Minibar stapft, wo Bebop schon deren Inhalt inspiziert.

Seufzend dreht sich Shredder zu ihnen herum.

„Er hat meine Bonsais dafür verscherbelt."

„Ich dachte, die hätten die Zerstörung deines Quartiers damals nicht überlebt", wundert sich Bebop.

„Dachte ich auch. Aber wie sich herausstellte, hat er sie wohl gefunden und nutzbringend eingesetzt."

Mit einem aufmunternden Lächeln ist Kazuo heran und hakt sich bei ihm unter.

„Wir ziehen uns einfach einen neuen Bonsai, Niichan. Hm? Wie früher."

Wie so oft ist Kazuos Begeisterung so ehrlich, dass es Shredder nicht übers Herz bringt, ihm den Spaß zu verderben. Und als Kazuo ihn dann auch noch küsst, ist aller Unmut schnell verflogen.

 

 

Kazuo steht oben am Geländer der Galerie und verfolgt aufmerksam, wie ihre Kontaktperson in der Menge fünf Meter unter ihnen verschwindet. In dem wimmelnden Potpourri unterschiedlicher Spezies ist das kein Problem.

Er ist wirklich selten einer dubioseren Gestalt begegnet. Andererseits - langsam lässt er seine Blicke umherschweifen - sind alle hier dubios.

Die Übergabe selbst verlief absolut professionell und so lässig, als wäre das wirklich nur ein Paketbote gewesen. Sie haben kaum drei Worte miteinander gewechselt, da war die ganze Sache schon vorbei.

„Zuhause habe ich solche Personen observiert und heute mache ich mit ihnen Geschäfte", bemerkt er trocken.

„Und wie fühlt es sich an, auf der dunklen Seite der Macht zu stehen?" will Shredder grinsend wissen. Er sitzt am Tisch, das Kinn in die Hand gestützt und schlürft einen neonroten Slush - zumindest sieht das Zeug so aus. Wie es schmeckt, weiß Kazuo nicht, er bleibt lieber bei einem einfachen Wasser.

„Spannend." Kazuo grinst zurück und setzt sich wieder zu ihm an den Tisch. Er sieht zu, wie sich sein Bruder die Kette mit dem blauen Kristall um den Hals hängt und deutet darauf.

„Was ist da drauf gespeichert?"

Shredder schenkt ihm nur ein kleines Lächeln, während er die Speichereinheit unter Sweater und T-Shirt verschwinden lässt.

„Weiß ich nicht. Ist mir aber auch egal."

Kazuo stutzt und mustert ihn erstaunt.

„Hat Krang dir das nicht gesagt? Und wieso hast du ihn nicht gefragt?"

Die Frage scheint zumindest Rocksteady und Bebop nervös zu machen, die ihnen gegenüber sitzen - den Blicken nach zu urteilen, die sich die beiden jetzt zuwerfen.

„Wieso sollte ich ihn fragen?" meint Shredder beinahe unwirsch. „Wenn es wichtig ist, wird Krang mich früher oder später schon einweihen."

Kazuo legt den Kopf schief und betrachtet ihn nachdenklich.

„Du vertraust Krang", stellt er dann einigermaßen verdutzt fest.

„Natürlich", kommt es beinahe beleidigt zurück.

„Trotz seiner komischen Experimente?" hakt Kazuo erstaunt nach. Die nimmt er Krang immer noch übel, ganz egal, wie fürsorglich sich dieser jetzt sonst zeigt.

Shredder holt tief Luft und stößt sie dann mit einem langen Seufzer wieder aus.

„Ja. Trotz seiner komischen Experimente. Krang erzählt uns meist nicht sofort alles, aber früher oder später rückt er immer mit der Sprache heraus. Was auch immer da drauf ist", vielsagend tippt er sich gegen die Stelle, wo der Anhänger hängt, „er wird es uns sagen." Als Kazuo daraufhin kurz skeptisch mit einer Augenbraue zuckt, erklärt er nachdrücklich: „Er würde uns auch nie in Gefahr bringen, ohne uns vorzuwarnen."

Kazuo mustert erst ihn nachdenklich und wirft dann einen prüfenden Blick zu den beiden Mutanten auf der anderen Seite des Tisches hinüber. Die beiden schenken ihm ein schiefes Grinsen, als sie das bemerken. Ihre Körpersprache verrät ihm, dass sie froh über diese Antwort zu sein scheinen. Als hätten sie mit etwas weniger freundlichem gerechnet. Als wären sie es gewohnt, bei ähnlichen Fragen scharf zurechtgewiesen zu werden.

Kazuo wendet sich seinem Bruder zu, legt ihm eine Hand auf den Unterarm und sucht seinen Blick.

„Ich hoffe, es bringt dich nicht wieder in unnötige Gefahr. Aber wenn", schwört er ihm, „werde ich dich beschützen."

Shredder starrt ihn einen Herzschlag einfach nur verblüfft an und lächelt dann gerührt. Doch es wirkt etwas gezwungen und diese Schatten sind immer noch in seinen Augen..

Kazuo beginnt wirklich, sich Sorgen zu machen.

 

 

Keine zwei Stunden später kann Kazuo – wenn auch unfreiwillig – beweisen, wie ernst er es mit seinem Schwur wirklich meint. Es ist nicht ihre Schuld, daß sie in Schwierigkeiten geraten, sondern einfach nur ein Fall von: zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie befinden sich auf dem Rückweg zu dem Gebäude, in dem sich ihre Suite befindet und nehmen dabei nicht den äußeren Weg, sondern den durch die vielen Passagen.

Aus etwas, was Kazuo bei sich Zuhause als „zwielichtige Bar“ bezeichnen würde, taumelt, rennt und stolpert plötzlich eine Gruppe von zwanzig Neutrinos, die wild aufeinander einprügeln. Nicht wenige von ihnen verschaffen ihren schlagenden Argumenten mit Messern den nötigen Nachdruck. Und sie ziehen auch unschuldige Passanten mit in ihren Zwist hinein – es dauert nur ein Augenblinzeln, das kaum genügt, um die Situation richtig zu begreifen, da stecken auch sie vier schon mittendrin.

Kazuo hat Mühe, sich diese Wahnsinnigen – denn anders kann man diese Personen wirklich nicht bezeichnen – vom Leib zu halten und gleichzeitig seinen Bruder und die Mutanten nicht aus den Augen zu verlieren. Rocksteady und Bebop pflügen sich durch diese Meute wie zwei zu allem entschlossene Dampfwalzen, müssen aber ebenfalls den Messern ausweichen. Aber sie müssen auch die ganze Zeit über Waffen versteckt am Körper getragen haben, denn plötzlich halten sie Teleskopschlagstöcke in der Hand und prügeln damit auf ihre Gegner ein, zielen auf Handgelenke und Finger, um sie dazu zu zwingen, die Messer fallen zu lassen.

Kazuo selbst ist schon nach der ersten Sekunde so mit Adrenalin vollgepumpt, daß er keine Angst mehr verspürt, sondern nur noch rote, heiße Wut für jeden dieser Typen, die sich zwischen ihn und seinen Niichan schieben.

Seine Fäuste und Tritte fliegen nur so, ohne daß er sich dessen wirklich bewußt ist. Er befindet sich schon längst in genau jenem Kampf-Modus, weswegen ihn seine Vorgesetzten immer häufiger an den Schreibtisch verbannen. Er hält sich nicht genauer damit auf, sich die Gesichter anzusehen, deren Nasen und Kiefer er zertrümmert, und ein Tritt in den Magen ist bei diesen Neutrinos offensichtlich genauso wirksam wie bei Menschen. Und er zieht auch mal an ihren langen Ohren, wenn es sich anbietet. Er ist kein Straßenkämpfer, er liebt es eher regelkonform und elegant, aber er kann auch anders, wenn man ihn dazu zwingt.

Aber sie sind flink mit ihren Messern und er hat keinen Teleskopschlagstock, mit dem er sie sich vom Hals halten kann. Doch er ist auch flink und geschickt und hatte einen Kurs speziell zur Entwaffnung bei Messerangriffen, und dieses Wissen weiß er auch einzusetzen. Keine Angst um das eigene Wohl zu empfinden, kann auch manchmal von Vorteil sein.

Meter um Meter kämpft er sich so näher an seinen Niichan heran.

Dieser ist, wie Kazuo mit einigem Entsetzen feststellt, in ein heftiges Handgemenge mit vier Kerlen und einer Frau verstrickt und die beiden Mutanten sind zu sehr in ihre eigenen Kämpfe verwickelt, um da unterstützend eingreifen zu können. Ein Teil von Kazuo weiß, daß Shredder mit seinen Gegnern ganz gut alleine fertigwerden kann – vielleicht dauert es etwas länger, aber am Ergebnis besteht eigentlich kein Zweifel – aber der überwiegende Teil von ihm brüllt auf vor Wut, vor allem, als er die Messer aufblitzen sieht.

Er macht mit seinem eigenen Gegner schnellen Prozeß und stürmt dann seinem Bruder zu Hilfe. Kazuo ist gut erzogen, er schlägt keine Frauen, aber bei einem Angriff ist es sogar ihm egal, welches Geschlecht sein Gegner hat. Und jemanden an den Haaren packen und daran fortschleudern ist genaugenommen ja kein schlagen.

Noch in derselben Bewegung tritt er einem anderen Neutrino die Beine unter dem Körper weg, und als dieser dann überrascht aufjapsend am Boden liegt, tritt er ihm mit voller Wucht auf die Hand, die das Messer hält.

Ohne auf das Wimmern zu achten, das daraufhin erklingt, stürzt er sich schon auf den nächsten Gegner, um ihn von seinem Niichan fortzuzerren.

Für einen flüchtigen Moment begegnet er dem überraschten Blick seines Bruders, hat aber keine Zeit, sich damit aufzuhalten.

Shredder weicht einem Hieb gerade zur Seite hin aus und läßt seinen Gegner ins Leere taumeln, direkt in einen anderen Kampf hinein, wo er begeistert aufgenommen wird und fortan mit zwei Echsenwesen beschäftigt ist, die hier genauso mit reingezogen wurden wie sie.

Shredder hat nie etwas gegen einen guten Kampf einzuwenden, aber nicht, wenn er etwas bei sich trägt, das er sicher zu Krang bringen muß. Unter solchen Bedingungen ist diese Massen-Messerstecherei absolut nervtötend.

Und es ärgert ihn, daß man ihn in dem Getümmel sofort von seinem kleinen Bruder trennte. Sein Drang, ihn zu beschützen verschwand aber schnell und machte großem Stolz platz, als er einen schnellen Blick auf ihn erhaschte und Zeuge von dessen Kampfkünsten wurde. Doch die berserkerhafte Rage, mit der Kazuo hier seine Gegner jetzt auseinandernimmt, beunruhigt ihn. Er hat seinen Kaz-chan als einen kühlen, besonnenen Kämpfer in Erinnerung, als jemand, der nie unnötig viel Gewalt anwendet, dessen Ziel es immer war, den Gegner nur kampfunfähig zu machen und nicht, ihn ins nächstbeste Krankenhaus zu befördern.

Das erinnert ihn doch viel zu sehr an diese Geschichte mit den Gar'taks.

Diese Dimension hat einen wahrlich schlechten Einfluß auf seinen Kaz-chan.

Plötzlich liegt alles in einem Umkreis von drei Metern schmerzerfüllt wimmernd und fluchend am Boden und Shredder nutzt die Gunst der Stunde, packt Kazuo am Arm, pfeift in Richtung seiner Mutanten als Zeichen, daß sie sich zurückziehen und dann machen sie, daß sie aus diesem Hexenkessel verschwinden.

 

 

Man kann getrost behaupten, daß sie gerade noch rechtzeitig die Kurve gekratzt haben, bevor die Sache wirklich übel wird. Angelockt von dem Lärm strömt ein großer Teil all derjenigen, die sich momentan hier aufhalten, herbei und stürzt sich begeistert ins Kampfgetümmel – als hätten sie alle nur auf eine solche Gelegenheit gewartet.

Zurück bleiben genau genommen nur die Familien mit kleinen Kindern – und von denen suchen sich die meisten einen guten Platz zum Beobachten und Anfeuern.

Doch dieses Phänomen interessiert Kazuo nur am Rande. Er ist vollauf damit beschäftigt, sich von seinem Bruder aus dem erstbesten Ausgang ziehen zu lassen. Die kalte Luft und die plötzliche Stille wirkt wie ein zusätzlicher Schock. Sie rennen noch ein paar hundert Meter, bis sich die beiden Mutanten auf eine kleine, kniehohe Mauer, die der Begrenzung von Blumenrabatten dient, fallen lassen und keuchend nach Luft schnappen.

Aus der Ferne nähern sich Sirenen und dann fährt ein halbes dutzend gepanzerte Einsatzfahrzeuge vor und schwarz Uniformierte stürmen das Gebäude.

„Hier ist gleich der Teufel los“, erklärt Shredder. „Wir sollten weg sein, bevor sich die Schlacht nach hier draußen verlegt.“

„Warte...“ Hastig hält Kazuo ihn zurück. Und als sich sein Bruder zu ihm umdreht und ihn fragend ansieht, ergreift Kazuo ihn an den Schultern, hält ihn auf Armeslänge von sich und starrt ihn einfach nur schweratmend und mit aufgeregt geröteten Wangen an.

„Kazuo", beginnt Shredder.

„Saki", stößt Kazuo zur selben Zeit hervor und zieht ihn dann hastig in seine Arme. Er umklammert ihn so fest, dass Shredder für einen Moment glatt die Luft wegbleibt.

„Saki", wiederholt Kazuo erleichtert, vergräbt seine Nase an Shredders Hals und atmet seinen Duft tief in seine Lungen und küsst sich dann wenig später über diese warme Haut am seitlichen Hals, den Unterkiefer und übers Kinn, bis er Shredders Lippen erreicht und mit einem langen, tiefen Kuss versiegelt.

„Bist du in Ordnung? Saki?" erkundigt er sich dann besorgt. Er öffnet Shredders Parka und beginnt, ihn nach Wunden abzutasten.

„Mir geht's gut", versucht Shredder ihn abzuwehren, hat aber keine Chance gegen diese wild herumtastenden Hände.

Inzwischen hat Kazuo ihm den Parka schon fast von den Schultern gestreift und seine Hände haben ihren Weg bis unter sein T-Shirt gefunden, wo sie wie unruhige Tierchen über seine Haut geistern.

„Kazuo -"

Doch der küsst sich schon längst wieder über Shredders Hals, taub und blind für alles andere.

„Kazuo!" Energisch schiebt Shredder ihn auf Armeslänge von sich. Kazuo gibt einen überraschten Laut von sich und blinzelt ihn an wie ein waidwundes Tier. Shredder bereut seine Reaktion sofort, aber sie smüssen wirklich fort von hier, verdammt nochmal! Aber ein Blick in Kazuos Miene genügt und er schließt ihn mit einem ergebenen Seufzer wieder fest in seine Arme.

Wortlos klammert sich Kazuo nur an ihn.

 

 

Kapitel 28

Kapitel 28

 

Selbst aus dem siebenundzwanzigsten Stock sieht es beängstigend aus. Eine hin und her wogende, dunkle Menge, die durch die Straßen rennt und von einer noch dunkleren Menge aufgemischt wird. Als wieder die Flammen von zwei weiteren Explosionen auflodern, zuckt Kazuo zusammen. Und doch bringt er es nicht über sich, dem großen Panoramafenster den Rücken zuzukehren. Der Polizist in ihm ist schon längst dabei, die Katastrophe dort unten zu analysieren. Sind sie in Gefahr? Wird sich der Krawall dort unten bis zu ihnen ausdehnen oder bekommen das die hiesigen Sicherheitsbehörden unter Kontrolle? Wie schnell können sie im Notfall die Shinigami erreichen und von hier fliehen?

„Keine Sorge“, erklingt die Stimme seines Bruders hinter ihm, und dann steht er neben ihm und legt ihm tröstend eine Hand auf die Schulter, „das geht vorbei. Du mußt noch keine Fluchtpläne schmieden.“

Oh, wie gut sein Niichan ihn doch kennt! Kazuo lächelt schmal und deutet mit einem Kopfnicken aus dem Fenster.

„Bei uns wäre das ein Fall fürs Kriegsrecht.“

„Hier ist das nur ein mittleres Event.“ Shredders Hand auf seiner Schulter drückt einmal kurz zu und für einen Moment befürchtet Kazuo, daß er die Hand da gleich wieder wegnehmen wird. Aber er hat Glück.

„Kein Ponyhof, was?“ fragt er schmunzelnd und wirft ihm einen langen Seitenblick zu.

„Sag ich doch immer“, grinst Shredder zurück. Er zögert einen Moment und will dann lauernd wissen: „Ich wette, du wärst jetzt gerne zurück in Tokyo, oder?“

Kazuo wirft ihm einen noch etwas längeren Blick zu und zuckt dann betont lässig mit den Schultern.

„Ich bin anpassungsfähig.“

Ja, das ist es ja, worum sich Shredder solche Sorgen macht. Er seufzt einmal innerlich ganz tief auf und lässt seine Hand über Kazuos Schulterblätter wandern, bis er ihm den Arm um die Schultern legen kann. Dann drückt er ihn einmal kurz an seine Seite.

„Wir haben, was wir wollten. Ich schlage vor, wir machen es uns hier gemütlich. Zumindest bleiben wir im Gebäude. Sightseeing ist gestrichen“, fügt er dann noch scherzend hinzu.

„Gerne.“ Lächelnd wendet sich Kazuo ihm zu, legt ihm locker die Arme um den Nacken und zwinkert ihm verschwörerisch zu. „Ich bin sicher, wir finden etwas, um uns die Zeit zu vertreiben.“

„Jepp, geht in euer Zimmer“, ertönt hinter ihnen Rocksteadys rauhe Stimme. Er und Bebop haben es sich auf der Couch bequem gemacht und zappen sich durch die hiesigen TV-Kanäle.

Als sich die beiden Brüder zu ihnen umdrehen, grinst der Rhinomutant nur bis über beide Ohren und zwinkert ihnen verschwörerisch zu.

„Soll ich dich am Ohr ziehen?“ erkundigt sich Shredder mit zuckersüßer Stimme.

Sofort bedeckt Rocksteady mit beiden Händen seine empfindlichen Ohren und zieht den Kopf etwas zwischen die Schultern, doch das täuscht nicht über das vergnügte Funkeln in seinen Augen hinweg.

Lachend nimmt Kazuo seine Hände herunter und packt seinen Bruder stattdessen am Ärmel.

„Er hat recht. Komm, gehen wir. Lassen wir die beiden alleine. Stören wir sie nicht.“ Er legt dabei eine sehr doppeldeutige Betonung auf das Wort „stören“ und wackelt dazu noch ein paar Mal bedeutungsvoll mit den Augenbrauen.

Bebop und Rocksteady kichern nur und sogar Shredder grinst, als er sich von seinem kleinen Bruder bereitwillig in den Nebenraum ziehen läßt.

 

 

Wäre Shredder eine Katze, würde er jetzt behaglich schnurren, aber auch so ist der Ton, der ihm ungewollt entfleucht, dem sehr ähnlich.

Es ist aber auch zu gemütlich. Er liegt mit bloßem Oberkörper auf dem Bett, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt und genießt es einfach nur, wie Kazuos warme, geschickte Hände seine Rückenmuskeln durchkneten.

Dass Kazuo dafür auf seinem Hintern sitzt, hat ihn nur während der ersten Minuten gestört. Inzwischen genießt er den Druck seines Gewichtes mindestens genauso sehr wie den seiner Finger.

Kazuo selbst ist froh, diesen Vorschlag gemacht zu haben – und noch viel mehr ist er froh darüber, daß er seinen Niichan dazu gar nicht erst groß überreden mußte. Der Drang in ihm, seinen Saki zu berühren, ist seit diesem „Zwischenfall“ vorhin extrem stark. Ihn einfach nur berühren. Mehr will er gar nicht. Und eine Schulter- und Rückenmassage ist in einem solchen Fall immer noch die beste Methode.

Er ist kein professioneller Masseur und sie haben auch kein Massageöl – aber wer braucht das schon? Um es sich in einer Hotelsuite auf einem riesigen Bett bequem zu machen und dabei auszublenden, daß unten auf der Straße ein mittlerer Aufstand tobt, reicht es allemal.

Vom Aufenthaltsraum nebenan dringt gedämpfte Musik durch die Wände – es klingt nicht wie Filmmusik, eher wie die eines Videospiels. Aha – Rocksteady und Bebop haben also auch eine Beschäftigung gefunden.

Das ist alles irgendwie so … normal. Genau das, was er jetzt braucht, um nicht ständig daran zu denken, wie gefährlich es doch war. Es dauert eine Weile, in der er sich darauf konzentriert, diese beeindruckenden Schultermuskeln unter dieser noch beeindruckenderen goldbraunen Haut durchzumassieren, bis er versteht, was da an ihm nagt. Vielleicht liegt es auch an den vielen halbverheilten Kratzern, diesen deutlichen Zeichen, daß sein Niichan ihm gehört und die dennoch nichts geringeres darstellen als Wunden.

„Mir fällt gerade auf: du hast vorhin gekämpft“, entfährt es ihm daher überrascht und stolz zugleich. „Du warst nicht blockiert!“

„Das war kein richtiger Kampf“, korrigiert ihn Shredder mit einem abwertenden Schnauben. „Das war nur eine stumpfsinnige Prügelei mit Messern.“

Um Kazuos Mundwinkel zupft ein kleines Grinsen. Natürlich. Sein Bruder hatte immer hohe Ansprüche, was einen guten Kampf betrifft.

„Bist du eigentlich immer so negativ?“ fragt er ihn etwas vorwurfsvoll, denn er sollte es seiner Meinung nach trotzdem als Fortschritt sehen.

„Ich bin Realist.“

„Versuch es mal mit ein klein wenig Optimismus. Du bist furchtbar verspannt.“ Vielsagend verstärkt er den Druck seiner Finger etwas und bearbeitet eine besonders harte Stelle direkt über dem rechten Schulterblatt. Die verletzten Hautpartien spart er dabei sorgfältig aus.

Nach einer Weile gibt Shredder wieder diesen zufriedenen Ton von sich und entspannt sich sichtlich.

„Hm, du kannst das gut. Wo hast du das gelernt?“

„Von Hikari. Meiner Ex-Verlobten in spe.“

Shredders gesamter Körper verspannt sich kurzzeitig. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber Kazuo spürt es ganz deutlich unter seinen Händen.

„Aha“, macht sein Bruder dann auch nur.

Kazuo weiß nicht, was er von dieser Reaktion halten soll. Einerseits schmeichelt diese Eifersucht seinem Ego, andererseits will er seinen Niichan davon überzeugen, daß dieses Gefühl völlig unnötig ist.

„Ja“, entgegnet er daher betont gleichmütig, „sie hat mir früher oft die Schultern massiert und es mir bei der Gelegenheit beigebracht. Wenn ich es recht bedenke“, fügt er dann noch nachdenklich hinzu, „massiere seitdem immer nur ich ihr die Schultern.“

Er ist selbst überrascht über die Bitterkeit in seiner Stimme. Außerdem widerspricht es seinen Manieren: man redet nicht schlecht hinter dem Rücken anderer. Schon gar nicht, wenn es sich um (Ex-)Freundinnen handelt.

Shredder ist der kleine Fauxpas seines Bruders nicht entgangen und ja, er ist ein schlechter Mann, weil er sich darüber freut. So glücklich scheint die Beziehung zwischen den beiden also wirklich nicht gewesen zu sein.

„Erzähl mir was von ihr“, bittet er ihn dann nach etwas reiflicher Überlegung dennoch.

„Wozu?“ begehrt Kazuo ungewohnt heftig auf. „Sie gehört nicht mehr zu meinem Leben.“

Er mag die Stimme erheben, aber das ändert nichts an der umsichtigen Art, mit der er die Verspannungen aus den Muskeln seines Bruders massiert.

Shredder riskiert das nicht gern und nichts liegt ihm ferner als die gute Stimmung zwischen ihnen zu verderben, aber es gibt Dinge, die sind wichtiger.

„Hast du dir das auch reichlich überlegt?“ hakt er daher stur nach. „Immerhin ward ihr doch ein paar Jahre zusammen, oder?“

„Dreieinhalb Jahre“, bestätigt Kazuo knurrend. Dann fällt sein Blick auf das immer noch sehr dunkel leuchtende Mal an Shredders Hals. Er streicht eine störende Haarsträhne beiseite und fährt die Konturen sanft mit den Fingerspitzen nach. Als sein Bruder unter dieser Berührung leicht erschauert, schmunzelt Kazuo und läßt seine Finger sanft dessen Nackenwirbel hinunter wandern, bis er wieder dazu übergeht, mit seiner Schultermassage fortzufahren.

„Ich habe kein Foto von ihr in meiner Brieftasche“, meint er nach einem kurzen Moment der Stille, selbst ganz überrascht, daß ihm das jetzt erst auffällt.

„Hm?“

„Kein Foto von ihr“, erklärt Kazuo. „Aber dafür eines von dir. Von dir und mir. Das vom Strand, erinnerst du dich noch an den Tag? In der Goldenen Woche? Mein letztes Jahr in der Oberschule?“

Er langt mit der rechten Hand nach hinten, zieht sein Portemonnaie aus seiner hinteren Hosentasche und holt besagtes Foto heraus.

„Wie könnte ich den Tag vergessen, an dem wir das letzte Mal etwas zusammen unternommen haben?“ entgegnet Shredder währenddessen etwas melancholisch. Und gerade als er sich fragt, warum Kazuo damit aufgehört hat, ihn zu massieren – er vermisst seine warmen, geschickten Hände! - spürt er, wie sich sein Bruder tiefer über ihn beugt, und dann schiebt sich ihm ein Foto ins Sichtfeld, dessen Anblick sofort noch mehr Erinnerungen weckt.

Wie jung sie damals waren! Und wie wenig sie von der Welt doch wußten. Kazuo noch weniger als er – sein Kaz-chan war das Sinnbild eines unbedarften, naiven Teenagers mit seinen gerade mal siebzehn Jahren.

Wortlos nimmt er das Foto entgegen und betrachtet es lange.

„Damals hattest du mehr Farbe“, erklärt er dann etwas schroff und gibt es zurück. „Du solltest wieder mal öfter an die Sonne.“

„Sicher“, schmunzelt Kazuo, während er das Foto zurück in die Brieftasche steckt und diese wieder in seiner Hosentasche verstaut. „Gibt es hier eine Dachterrasse mit Pool, wo wir an unserem Teint arbeiten können?“

„Nein“, kommt es amüsiert zurück, doch dann verschwindet jede Belustigung aus Shredders Stimme. „Aber um nochmal auf diesen glorreichen Tag zurück zu kommen: hast du nicht ein paar Minuten, nachdem dieses Foto geschossen wurde, diese süße Oberschülerin kennengelernt und bist mit ihr dann in den Kinofilm gegangen, den wir uns an diesem Abend ansehen wollten? Und wenn ich mich nicht irre, hast du mich um Geld für eure Tickets angepumpt? Das du mir bis heute noch nicht zurück gegeben hast.“

Oh. Kazuo spürt, wie ihm die Verlegenheitsröte ins Gesicht schießt.

„Wirklich? War das an dem Tag? Das hatte ich ganz vergessen. Aber“, verteidigt er sich dann, „das war ja auch nichts Ernstes. Ein paar Mal bin ich mit ihr ausgegangen, aber da lief nie wirklich etwas zwischen uns.“

Das ist nicht der Punkt! Verärgert presst Shredder die Kiefer aufeinander, entschlossen, die ganze Sache schweigend zu übergehen - unter anderen auch deshalb, um nicht wie ein eifersüchtiger Vollidiot zu klingen.

Und so atmet er ein paar Mal ganz bewußt tief ein und wieder aus, und tatsächlich gelingt es ihm, sich unter Kazuos Berührungen langsam wieder zu entspannen.

Dieser bemerkt ganz genau, wie es um seinen Bruder steht und gibt sich in Gedanken selbst einen heftigen Tritt in den Hintern. Aber er hatte dieses Detail wirklich vergessen. Er kann sich ja nicht einmal mehr an den Namen des Mädchens erinnern – für ihn immer ein klarer Beweis dafür, daß es nichts Ernstes war.

Alles, was ihm von diesem Tag in Erinnerung geblieben ist, sind die Stunden mit seinem Niichan, an den Spaß, den sie hatten und wie verwegen er sich fühlte, weil sein Niichan ihm tatsächlich sein erstes Bier kaufte. Sie waren beide noch minderjährig, aber damals stellte Kazuo keine Fragen. Heute weiß er, daß Saki schon seit seinem sechzehnten Lebensjahr mit einem gefälschten Studentenausweis herumlief. Der Footclan sorgte für seine Mitglieder – vor allem für solch ambitionierte wie Oroku Saki.

Versonnen fährt Kazuo mit seinen Fingern über diese schöne, samtige Haut, auf der Suche nach weiteren Verspannungen – immerhin kann er wenigstens solche Knoten hier und jetzt lösen. Für einen Moment streicht sein Daumen dabei über die fast verheilten Kratzer auf Shredders Rücken.

„Ich bin so froh, daß du trotz deines Lebensstils keine Narbe hast, die ich nicht schon kenne.“ Oder selbst hinzugefügt habe, fügt er in Gedanken bekümmert hinzu.

„Bedanke dich bei Krangs fortschrittlicher Technik. Selbst komplizierte Trümmerbrüche heilen innerhalb weniger Tage restlos aus und für jede Wunde gibt es darüberhinaus eine keine-Narben-Garantie.“ Er stockt kurz und relativiert dann: „Zumindest keine auffälligen Narben. Wenn man ganz genau hinsieht, dann erkennt man schon etwas.“

Sofort beugt sich Kazuo hinunter, bis er mit der Nase fast Shredders Rücken berührt. Und tatsächlich dauert es nicht lange, dann entdeckt er die erste Narbe: hauchzart, dünner als ein Haar und nur aus dem richtigen Winkel zu erkennen. Sie beginnt an der unteren rechten Rippe und führt in einer geraden Linie zur Lendenwirbelsäule hinunter. Ein sauberer Schnitt, geführt von einer scharfen Klinge. Kazuo weiß nicht, ob er die Geschichte zu dieser Narbe wissen will. Sie ist ein Beweis dafür, daß er in den letzten Jahren seinen Niichan schon oft hätte verlieren können, und den Gedanken kann er zur Zeit wirklich nicht ertragen. Einem Impuls folgend, fährt er ihren Verlauf mit seiner Zungenspitze nach.

Shredder reagiert mal wieder mit einem höchst anregenden Erschauern. Er ist so sensibel. Lächelnd lehnt sich Kazuo etwas weiter nach oben, um dort in Shredders linkes Ohr zu flüstern:

„Ich liebe dich."

Kazuo sagt diese Worte nur zu gerne, vorzugsweise in Englisch, weil sie dort auch genau das bedeuten. Genaugenommen ist es sein Lieblingssatz in einer Beziehung. Er hat sie auch oft zu Hikari gesagt. Aber noch nie hat soviel ehrliches Gefühl dahinter gesteckt wie jetzt, wenn er diese Worte an seinen Niichan richtet. Er hat ihn schon immer vergöttert, und das hat auch nie aufgehört.

„Ich liebe dich“, wiederholt er und küßt sich dabei über Jochbein und Wange. Als Shredder einladend den Kopf in seine Richtung dreht, rutscht Kazuo von ihm herunter und schmiegt sich seitlich gegen ihn, begierig, einen richtigen Kuß zu ergattern.

Shredder kommt ihm nur allzu bereitwillig entgegen. Aber kurz bevor sie in einem langen, süßen Kuß versinken, hält Kazuo noch einmal inne, sieht seinem Niichan tief in die Augen und wispert:

„Ich liebe dich. Und wenn du wüßtest, wie sehr, würdest du schreiend davonrennen.“

„Baka“, lächelt Shredder nur, zieht ihn in seine Arme und lässt sich von ihm nur zu gerne in jene kleine, wohlige Blase entführen, wo nichts mehr zählt außer Wärme, Zärtlichkeit und ganz, ganz viel Liebe.

 

 

Liebevoll streicht Kazuo seinem Bruder eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht und drückt ihm dann einen Kuss auf die Stirn. Der murmelt nur etwas Unverständliches im Halbschlaf und kuschelt sich enger an ihn. Unwillkürlich festigt Kazuo seine Umarmung und rutscht ein wenig mit den Hüften herum, bis er wieder eine einigermaßen bequeme Position gefunden hat. Dabei ist er sehr vorsichtig, denn nichts liegt ihm ferner, als seinen Niichan zu wecken, wo er doch endlich eingeschlafen ist.

Seine Finger auf Shredders Rücken ziehen kleine, unbewusste Kreise.

Er trägt immer noch kein T- Shirt, aber das macht nichts, das Zimmer ist gut temperiert. Außerdem fand Kazuo es so viel besser, gab ihm das doch Gelegenheit, sich völlig ungestört über diese schöne, warme Haut zu streicheln und zu küssen und vielleicht wäre er noch viel weiter gegangen, wenn ihm nach diesem Gespräch vorhin über diesen Tag am Strand vor neun Jahren nicht bewusst geworden wäre, dass er sich damals wirklich wie ein Arsch benommen hatte. Auch wenn es keine Absicht gewesen war - es ist unentschuldbar.

Und deshalb sitzt er jetzt hier mit seinen guten Vorsätzen: den Rücken ans Betthaupt gelehnt und seinen schlafenden Niichan in den Armen und erträgt heldenhaft die Spannung in seinem Unterleib. Mag so viel Wärme, Nähe und nackte Haut auch noch so verlockend sein - er wird das zurückstellen. Nicht nur jetzt, sondern auch für den Rest des Tages.

Es wird wirklich Zeit, dass die Wünsche und Bedürfnisse seines Niichans mal an erster Stelle stehen.

 

Kapitel 29

Kapitel 29

 

Kazuo ist ziemlich überrascht, als ihm klar wird, wohin ihn sein Bruder gebracht hat. Kritisch mustert er die sich langsam mit Besuchern füllenden Tribünen. Kaum zu glauben, daß sein Menschenmengen verabscheuender Niichan ihn zu so einer Massenveranstaltung schleppt. Und ebenfalls kaum zu glauben – verwundert läßt Kazuo seine Blicke über die Arena unter ihnen schweifen – daß sich so etwas im zwölften Stockwerk eines Gebäudes befindet.

Im zwölften bis fünfzehnten Stockwerk, genauer gesagt.

Sie sitzen etwas weiter oben und haben so alles gut im Blick. Rocksteady und Bebop rufen sich sofort die hier überall herumwirbelnden, knapp bekleideten Neutrino-Damen herbei und kaufen sich etwas, das wie Schnaps riecht und höchstwahrscheinlich auch so wirkt, dazu erhalten sie irgendwelche Snacks, von denen Kazuo gar nicht wissen will, worum es sich dabei handelt. Die Dinger sehen aus wie getrocknete Hoden.

Dabei haben sie sich erst vor zwei Stunden vom Zimmerservice ein großzügiges Drei-Gänge-Menü liefern lassen.

Kazuo genügt daher wieder ein schlichtes Wasser und sein Bruder kauft sich wieder so einen bunten Slush.

Bevor die Show – oder was auch immer ihnen gezeigt werden soll – beginnt, wird das Publikum mit einer gewöhnungsbedürftigen Tanzeinlage angeheizt. Eine Gruppe von zwanzig halbnackten Frauen übt sich in bauchtanzähnlichen Verrenkungen und die männlichen Zuschauer geraten darüber fast in Ekstase – ungeachtet dessen, daß ihre Ehefrauen und Kinder neben ihnen sitzen.

Rocksteady und Bebop wiederum sehen die Darbietung als Anlaß, um sich lautstark in Erinnerungen über die Cheerleaderinnen ihrer Highschool-Zeit zu ergehen.

Kazuo nippt nur gelangweilt an seinem Wasser und sieht zu seinem Niichan neben sich hinüber. Shredder ist eindeutig mit seinen Gedanken ganz weit weg, und was auch immer ihm dabei durch den Kopf geht – es sind keine guten Gedanken, denn da ist wieder diese Dunkelheit in seinen Augen.

Warum nur ist sein Bruder immer so bedrückt?

Kazuo zögert kurz, doch dann gibt er sich einen Ruck und legt ihm vorsichtig die Hand aufs Knie.

Sein Bruder wirft ihm einen verdutzten Blick zu, stößt seine Hand aber nicht fort – ganz im Gegenteil: er schummelt seine eigene Hand dazu und verschlingt ihre Finger miteinander. Dann richtet er seine Aufmerksamkeit schnell wieder nach vorne in die Arena. Er sagt nichts, aber auf seinen Wangen breitet sich ein schwacher Rotschimmer aus.

Kazuo ist entzückt.

Aber bei genauerem Nachdenken irritiert es ihn auch. Wie kann es möglich sein, dass so eine kleine Geste seinen Niichan in Verlegenheit stürzt, und das nach all dem, was zwischen ihnen in den letzten Tagen vorgefallen ist? Wieso fühlt er sich so unsicher?

An diesem Punkt seiner Gedanken würde er ihn gerne umarmen, spart es sich aber in Anbetracht der Tatsache, wo sie sich gerade befinden, und begnügt sich weiterhin damit, Shredders Hand zu halten.

Und er lässt sie auch nicht mehr los.

Er hält sie während des Tanzspektakels, genauso wie während der Hauptshow. Denn als die beginnt und er versteht, was folgen wird, braucht er das warme Gefühl von Shredders Fingern in seinen.

„Was ist das hier?" stößt er mit zunehmendem Unbehagen hervor, als er die muskelbepackten Gladiatoren in die Arena treten sieht. „Das alte Rom?"

Shredder zuckt nur mit den Schultern.

„Bloß kein Mitleid. Die machen das alles freiwillig. Es gibt nicht einmal ein Preisgeld, denen geht es nur um ihr Ego. Also, vergeude nicht dein Mitgefühl, lehne dich lieber zurück und genieße die Show."

Genießen ... Kazuo wüsste nicht, was es bei dem Gemetzel zu genießen gäbe. Als das laute Klirren von Schwert auf Lederschild zu ihnen emporweht, verzieht er unwillig das Gesicht. Er wagt es kaum hinzusehen.

„Hier sehen Familien zu", stößt er schließlich entsetzt hervor. „Mit kleinen Kindern!"

Wieder zuckt sein Bruder nur mit den Schultern. „Die DimensionX ist kein Ponyhof."

Er scheint die Blutorgie in der Arena sehr interessiert zu beobachten, aber seine stoische, glatte Maske kann Kazuo nicht täuschen. Er verachtet das hier mindestens genauso sehr wie Kazuo.

Aber warum sind sie dann hier?

Bestimmt nicht wegen Rocksteady und Bebop, auch wenn die eindeutig viel Spaß haben.

Als das Geräusch von splitternden Knochen erklingt, drückt Kazuo die Hand seines Bruders instinktiv etwas fester. Irgend ein morbider Zwang veranlasst ihn, doch dorthin zu sehen, aber er wendet den Kopf schnell wieder ab.

Was soll das? Warum sind sie hier? Wieso hat sein Niichan ihn hierher geschleift, es gibt doch bestimmt noch andere Belustigungen hier. Sogar eine Striptease-Bar wäre ihm recht.

Er kann sich dafür so gar nicht begeistern - anders als Rocksteady und Bebop, die ihren Favoriten lautstark anfeuern.

Kazuo ist tapfer. Er hält es fünf Minuten lang aus. So lange, bis die erste abgetrennte Hand ins Publikum fliegt und dort begeistert aufgefangen wird.

Er denkt darüber nach, ob sie diese Darbietung jetzt schon verlassen können ohne dass sie von den anderen hier dafür gelyncht werden. Aber ein Blick in die Runde verrät ihm: sie wären nicht die ersten und einzigen, die ihre Plätze verlassen. Viele gehen sich auch nur Snacks besorgen, aber Fakt ist: wer seinen Platz verlässt, muss nur befürchten, ihn an jemand anderen zu verlieren. Hier ist ein ständiges Kommen und Gehen.

Vorsichtig lehnt er sich zu seinem Bruder hinüber.

„Ich will gehen", verkündet er ganz bewusst in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet.

Und dann ist er auch schon aufgestanden und zieht an Shredders Hand.

Der zögert merklich.

„Jetzt schon?" jammert da Bebop lautstark. „Können wir nicht noch etwas bleiben? Danach kommt das Weibercatchen. Nackte Frauen im Schlamm!"

„Nackt?" wiederholt Kazuo perplex.

„Splitterfasernackt", bestätigt Rocksteady breit grinsend. „Und am ganzen Körper rasiert. Überall."

Kazuo starrt die beiden für einen Moment einfach nur fassungslos an. Ihn wundert dabei nicht so sehr, dass die zwei auf so etwas stehen, sondern einfach nur, dass so etwas hier geboten wird. Sind denn alle Männer in allen Dimensionen und auf allen fremden Welten gleich? Das ist irgendwie ernüchternd. Und beschämend

Und dann fällt ihm ein - vielleicht will sein Niichan ja diese nackten Weiber sehen.

Kazuo zögert, aber nur für einen kurzen Augenblick.

„Ich will gehen." Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zieht er diesmal kräftiger an Shredders Hand. Er hat sich zwar geschworen, dass Wille und Wunsch seines Bruders im Vordergrund stehen sollten, aber er hat seine Grenzen. Unnötiges Blutvergießen und nackte Schlammcatcherinnen stehen da ganz oben auf seiner never-ever-Liste.

Tatsächlich gelingt es ihm, Shredder in die Höhe zu ziehen.

„Kazuo", beginnt dieser und wirft dabei einen unsicheren Blick zu seinen Mutanten hinüber.

Und Kazuo begreift.

„Ich will das nicht sehen. Aber ich werde bleiben, wenn es nicht anders geht", lenkt er ein. „In der Gruppe ist es für uns sicherer, nicht wahr?"

Shredder schenkt ihm ein dankbares Lächeln, während Rocksteady und Bebop einen langen Blick wechseln.

„Lasst uns gehen", meint Rocksteady und dann erheben sich Bebop und er fast synchron. „Wir können das Ganze auch im Fernsehen verfolgen. Da sieht man außerdem viel mehr wegen der Nahaufnahmen."

Kazuo öffnet schon den Mund, um ihnen für ihr Verständnis zu danken, aber die beiden winken schon ab, bevor er auch nur einen Ton herausbringt.

„Ist wirklich okay. Wir haben es lieber bequem vor der Glotze", bekräftigt Bebop und wirft seinem Chefchen dann einen ziemlich schiefen Blick zu. „Und zwanzig Minuten sind wirklich genug. Da kapiert jeder, dass hier nur Psychos herumlaufen. Muss man sich nicht geben."

Und mit diesen Worten bahnen er und sein Kumpel ihnen einen Weg durch die Zuschauer hinaus aus dieser Kolosseum-Imitation.

 

 

Genüsslich atmet Kazuo tief durch, lässt sich einlullen von dem Duft nach exotischen Blüten und dem entspannendem Gefühl von heißem Wasser auf seiner Haut. Sie haben sich die restlichen Kämpfe und das Catchen tatsächlich im Fernsehen angeschaut - sie alle vier, auf der Couch im Wohnzimmer. Sie haben sogar die Minibar geplündert.

Und vor allem das Frauencatchen hat die beiden Mutanten derart angemacht, dass Shredder und Kazuo es für gesünder hielten, ihnen schon nach der ersten Halbzeit die Couch zu überlassen und sich zu verdünnisieren.

Da lag es nahe, sich ein heißes Bad zu gönnen - bevor Rocksteady und Bebop es für sich in Beschlag nehmen müssen. Den gedämpften Geräuschen nach zu urteilen, werden sie, sobald sie fertig sind, Wasser und Seife mehr als nötig haben.

Es hieße lügen, würde Kazuo behaupten, er erhoffe sich in nächster Zukunft nicht ebensolchen Spaß, wie ihn die beiden jetzt so hörbar haben.

Und wenn Saki so weitermacht, kann das schneller passieren, als dieser vielleicht ahnt.

Daher versucht Kazuo, nicht allzu behaglich aufzuseufzen, als sein Bruder wieder mit dem Badeschwamm über seine Brust fährt.

Und er versucht, seine Gedanken nicht allzu sehr abschweifen zu lassen, als Saki schließlich damit beginnt, ihm die Haare zu waschen.

Denn eigentlich sollte er seinem Bruder böse sein. Zumindest ein klein wenig.

Bebops Worte als sie die Tribünen verließen, haben Kazuo zu Denken gegeben. Kann das wirklich sein? Hat sein Niichan ihn nur zu diesen Gladiatorenkämpfen mitgenommen, um ihm vor Augen zu führen, wie brutal es in dieser Dimension zugeht?

Als wären die Menschen so viel besser!

Aber wenn er genauer darüber nachdenkt, versteht er den Gedanken dahinter mehr als deutlich: Saki will ihn mal wieder nur vor allem beschützen. Krang hat sie zwar auch nur widerwillig und unter vielen Warnungen hierher geschickt, aber das empfindet er als weitaus weniger aggressiv. Krang ist ihr Befehlsgeber, ihr Boss, ihr Freund und er stammt von hier - ihnen deutliche Verhaltensregeln mit auf den Weg zu geben erscheint ihm da nur angemessen.

Sein Bruder aber hält sich nicht nur mit Warnungen auf. Er will, dass Kazuo die dunklen Charaktereigenschaften der hiesigen Bewohner hautnah miterlebt.

Und Kazuo kann sich nur einen Grund dafür vorstellen: Saki will ihm diesen Ort so gründlich vermiesen, dass er freiwillig wieder abhaut.

Um Kazuos Lippen zuckt ein grimmiges Lächeln. Als ob er sich so leicht abschrecken lassen würde!

Nicht einmal die unmittelbare Todesgefahr durch eine Monsterarmee würde ihn dazu bringen, seinen Niichan zu verlassen.

Ganz im Gegenteil sogar!

Und auch jetzt bestätigt ihm alles, was er bisher von der DimensionX gesehen und was er hier erlebt hat, wie wichtig es ist, dass er seinem Bruder nicht mehr von der Seite weicht.

Und flüstert ihm nicht jede seiner zärtlichen Berührungen zu, wie sehr er ihn gerade jetzt braucht?

Als sein Bruder dazu übergeht, ihm die Kopfhaut zu massieren, hätte Kazuo diesmal wirklich beinahe aufgeseufzt. Natürlich ist das alles hier eines erwachsenen Mannes unwürdig, aber was soll er machen? Es fühlt sich zu gut an.

Es weckt viele gute Erinnerungen.

Als Kind hat er auch oft so in der Wanne gesessen und sein Niichan kniete, saß oder stand hinter ihm und wusch ihm die Haare. So wie jetzt. Auch wenn die Badewanne hier ein kleiner, halb in den Fußboden gemauerter Pool ist, der bequem Platz für vier Personen bietet. Viel zu groß für Kazuo allein. Er fühlt sich richtiggehend einsam.

„Hm... Niichan, warum gesellst du dich nicht zu mir?"

„Gleich", murmelt dieser nur.

Aber selbst nachdem er gewissenhaft das Shampoo aus Kazuos Haar gespült hat, macht er keine Anstalten, dessen Aufforderung zu folgen. Stattdessen greift er wieder zum Schwamm und beginnt, Kazuos Schultern und Oberkörper zu waschen.

Kazuo fühlt sich hin und her gerissen. Rein technisch ist das unnötig - er war nie schmutzig, und er will wirklich seinen Bruder hier drin bei sich haben. Aber andererseits verursachen ihm Sakis Bemühungen ein anregendes Kribbeln auf der Haut.

Und so tut und sagt er erst einmal - nichts.

Plötzlich wird Sakis Hand mit dem Schwamm immer langsamer, bis sie schließlich locker auf Kazuos rechtem Schlüsselbein ruhen bleibt. Und dann schlingt ihm Saki seinen anderen Arm um den Oberkörper und vergräbt sein Gesicht an Kazuos Schulter.

Sein Atem ist ein heißer, sanfter Lufthauch auf Kazuos nasser Haut und jagt ihm einen anregenden Schauer übers Rückgrat.

„Niichan?“ irritiert dreht Kazuo den Kopf, schielt nach hinten und verrenkt sich gleichzeitig den linken Arm in dem Bestreben, ihm durch den dunklen Haarschopf zu streicheln.

„Was ist los? Saki?“

Shredder seufzt einmal schwer. „Es tut mir leid, daß ich dich da mit reingezogen habe. Diese Dimension ist schrecklich. Die sind alle wahnsinnig hier.“

„Ich weiß nicht...“, gibt Kazuo vorsichtig zurück. „Es gibt Gegenden auf der Erde, da ist es auch nicht besser. Ich bin nicht naiv, Niichan. Ich bin Polizist, ich bin einiges gewohnt. Ich kann damit umgehen.“

Es gibt ganz andere Dinge, mit denen er nicht umgehen kann – einen niedergeschlagenen Bruder zum Beispiel. Langsam dreht sich Kazuo um, ohne sich dabei jedoch aus Shredders Umarmung zu befreien.

Behutsam legt er ihm beide Hände ums Gesicht und sieht ihm tief in die Augen, die – wie befürchtet – wieder so traurig sind.

„Du bist mein. Wo du bist, da bin auch ich. Ende der Diskussion.“

Anders als sonst wartet er auf eine Reaktion, und erst, als diese in Form eines zaghaften Nickens erfolgt, besiegelt er seine Worte in altbewährter Weise mit einem Kuß.

Oh, Saki schmeckt so gut!

Seine Lippen, seine Zunge, seine Körperwärme und sogar die Art wie er atmet – all das ist ihm so sehr vertraut, dass es regelrecht schmerzt, eine bittersüße Mischung aus damals und heute.

Zuhause.

Es fühlt sich an wie Zuhause!

Die Schmetterlinge in seinem Bauch erwachen wieder und werden zu einer schweren, trägen Wärme in seinem Unterleib. Noch verbergen Wasser und Schaum, wie es um ihn steht, aber das wird nicht lange so bleiben.

Als er den Kuß beendet, weiß er daher nicht, ob es am heißen Wasser, seiner steigenden Erregung oder ganz einfach nur an diesem atemraubenden Kuß liegt, daß ihm leicht schwindelig geworden ist.

„Zieh dich endlich aus“, befiehlt er schließlich mit lustgetränkter, rauher Stimme und zupft vielsagend an Sakis Shirt herum. „Schnell. Beeil dich. Und dann komm rein zu mir.“

Zuerst starrt ihn Shredder einfach nur an. Er benötigt eindeutig etwas länger, bis zumindest ein Teil seines Verstandes aus diesem Kuß zurückgekehrt ist, aber selbst als er tatsächlich beginnt, sich das Shirt über den Kopf zu ziehen, handelt er Kazuos Empfinden nach noch viel zu langsam.

Hastig und sehr, sehr ungeduldig, hilft er deshalb seinem Niichan, sich aus seiner Kleidung zu befreien: erst das T-Shirt, dann Jeans und Unterwäsche. Zum Glück ist er schon barfuß, noch mehr verschwendete Zeit könnte Kazuo wirklich nicht ertragen!

Unter heißen, wilden Küssen und atemlosen Liebesschwüren zieht er ihn dann endlich zu sich in das Wasserbecken...

 

 

Kapitel 30

Kapitel 30

 

„Bring mir was mit."

„Natürlich", lächelt Bebop und gibt seinem Nasi einen Kuss auf die empfindliche Haut unter seinem Horn, bevor er sich aus dem Bett schwingt und zur Tür geht. Dort dreht er sich noch einmal um und wirft Rocksteady einen Luftkuss zu, bevor er durch die Tür in den großen Aufenthaltsraum geht. Es ist mitten in der Nacht, aber diese fliegende Insel schläft nie.

Durch die bodenhohen Fenster fällt dank der unzähligen Neonleuchten genug Licht, um Bebops Weg zur Minibar zu erhellen. Er nimmt sich zwei Flaschen der hiesigen Alkoholspezialität aus dem Kühlschrank und entdeckt ihn erst, als er schon wieder auf dem halben Weg zurück ist.

Bebop zögert, doch da ist etwas in seiner Haltung, wie er so mit angezogenen Beinen auf der Couch sitzt und durchs Fenster nach draußen starrt, das Bebop dazu veranlasst, zu ihm zu gehen.

Zuerst stellt er seine Flaschen auf den Beistelltisch, aber als Shredder darauf nicht reagiert, setzt er sich neben ihn und starrt ihn einfach nur schweigend an.

Und wartet.

Er nutzt die Zeit, um sein Chefchen genauer zu mustern. Er trägt eine Jogginghose und seinen dunkelblauen Lieblingssweater, der, der immer zwei Nummern zu groß erscheint, und dadurch wirkt seine ganze Haltung noch viel niedergeschlagener.

Richtiggehend verloren sieht er aus.

Seine Miene ist gefasst und ruhig, doch davon lässt sich Bebop schon lange nicht mehr täuschen.

Oh, er hasst es, wenn sein Chefchen in so einem Zustand ist!

Als Shredder schließlich spricht, klingt er nicht mehr wie er selbst.

„Er wird nicht bleiben."

Bebop versteht sofort, von wem und was er da redet.

„Hat er das gesagt?" hakt er leise nach.

„Mein kleiner Bruder", fährt Shredder fort ohne auf seine Frage einzugehen, „ist wie ein Bienchen. Fliegt von Blume zu Blume. Seine Freundin hat ihn ausgetrickst, nur deshalb sind sie noch zusammen. Normalerweise", ergänzt er zunehmend bedrückt, „ist er weg, sobald er bekommen hat, was er will."

Sobald er bekommen hat ... Bebops Augen weiten sich unwillkürlich und verengen sich dann sofort wieder, als er seinen Blick prüfend über den Mann neben sich wandern lässt.

„Das war früher", wendet er ein, eine Katastrophe befürchtend. „Ihr seid jetzt erwachsen. Ihr seid beide erwachsen."

Shredder antwortet nicht. Er verkriecht sich nur noch etwas mehr in sich selbst und bekommt wieder diesen Blick.

Prüfend zieht Bebop die Luft durch die Nase.

Normalerweise blendet er so etwas ja aus, aber diesmal achtet er ganz bewusst darauf und ja, tatsächlich meldet ihm seine sensible Nase den schwachen Geruch von Sex an seinem Chefchen. Nach richtigem Sex. Und nicht nur das: es ist der unverwechselbare Duft des Bottoms, der an ihm haftet.

Sieht so aus, als hätte Bebop also doch Recht gehabt. Und leider hatte wohl auch Rocksteady Recht damit, dass Shredder Schwierigkeiten haben wird, damit umzugehen. Wenn auch aus ganz anderen Gründen als vermutet.

„Sobald das Portal wieder funktioniert, werde ich ihn hindurchschicken. Ist besser so. Er soll nicht so werden wie wir."

Bebop starrt ihn einen Moment einfach nur an, dann holt er kurz aus und gibt ihm mit der flachen Hand einen Schlag auf den Hinterkopf.

„Au!" fassungslos fährt Shredder zu ihm herum.

Bevor er zurückschlagen kann, hebt Bebop beschwörend die Hände.

„Entschuldige, aber du bist manchmal wirklich zu blöd."

Und als Shredder ihn daraufhin nur entgeistert anstarrt, erklärt er:

„Du liebst ihn. Er liebt dich. Mach es nicht komplizierter, als es ist. Kazuo hat sich entschieden. Hör auf, seinen großen Bruder zu spielen und für ihn Dinge zu entscheiden. Er ist erwachsen und kann das selbst."

Shredder reibt sich den schmerzenden Hinterkopf und blinzelt ihn ein paar Mal verdattert an, als könne er nicht glauben, was seine Ohren ihm da melden. Es dauert etwas, bis die Bedeutung von Bebops Worten richtig gesackt ist und noch ein wenig länger, bis sie fruchtbaren Boden erreichen.

Bebop kann es ihm an der Miene ablesen, als es endlich so weit ist.

Und dann nickt er ihm noch einmal bekräftigend zu, schnappt sich seine Flaschen und steht auf.

„Geh wieder zu ihm ins Bett“, empfiehlt er ihm noch und schlendert dann aus dem Raum, hinüber in sein und Rocksteadys Bett.

Shredder befolgt den Rat nicht sofort. Er bleibt noch ein paar Minuten dort sitzen und starrt mit leerem Blick aus dem Fenster, während die Gedanken hinter seiner Stirn eine eingefahrene Spurrinne verlassen und auf eine neue überwechseln.

Schließlich erhebt er sich leise und geht nach nebenan.

 

 

Auch hier erleuchten die Lichter der Stadt alles beinahe taghell. Kazuo liegt quer auf dem Bett, auf dem Rücken und alle Viere von sich gestreckt - genau wie damals immer, als sie noch Kinder waren.

Komisch, das fällt ihm erst jetzt auf.

Leise tritt Shredder näher und bleibt schließlich dicht vor dem Bett stehen. Lange, sehr lange betrachtet er seinen schlafenden Bruder, und je länger es dauert, desto tiefer wird das Lächeln, das um seine Mundwinkel spielt.

Wie er Kazuos entspanntes Gesicht so betrachtet, wird ihm immer wärmer ums Herz. Diese Erinnerungen an diese Lippen und Finger, wie sie ihn berühren und liebkosen und daran, wie es sich anfühlte, als Kazuo seinen Körper eroberte ... Als seine Welt in dieser bittersüßen Mischung aus Schmerz und Leidenschaft versank ... Unwillkürlich schlingt Shredder die Arme um seinen eigenen Oberkörper, um das plötzlich aufkommende Erzittern zurück zu drängen. Ein Teil von ihm zweifelt und hadert mit sich selbst, aber der größere wünscht eine Wiederholung.

Bebops Worte klangen so vernünftig, beinahe schon weise und er will versuchen, sich daran zu halten.

„Niichan?" auf einmal blinzeln ihn zwei braune Augen verschlafen an. Dann sieht Kazuo ihn da stehen und streckt schlaftrunken seine rechte Hand nach ihm aus.

Instinktiv greift Shredder zu und lässt sich von ihm auf die Matratze ziehen.

Dort entfleucht ihm ungewollt ein tiefer, zitternder Stoßseufzer und dann beugt er sich zu Kazuo hinunter und bettet seinen Kopf auf dessen Brust.

Kazuo gibt einen überraschten Laut von sich, während sich seine rechte Hand sofort durch Shredders dichten Haarschopf wühlt.

„Saki? Hey - was ist los?"

Shredder sagt nichts, nur seine Finger krallen sich in einem stummen Flehen fester in Kazuos T-Shirt.

Gerade als Kazuo beginnt, sich ernsthaft Sorgen zu machen - war er doch zu stürmisch oder zu grob gewesen, hat er ihn doch verletzt, denn manche Verletzungen bemerkt man erst später? - hebt Shredder plötzlich den Kopf und funkelt ihn mit verdächtig feuchten Augen an.

„Schwöre mir, dass du bei mir bleibst, dass du mich nicht wieder verlässt."

Verdutzt blinzelt Kazuo ihn an.

Du bist doch gegangen. Du hast Japan verlassen, nicht ich."

„Das ist nicht das, was ich meine."

„Was dann, Niichan? Ich kann nicht gedankenlesen. Du musst schon mit mir reden."

Shredder holt einmal tief und zitternd Luft, richtet sich in eine halbwegs sitzende Position auf und sucht seinen Blick.

„Kannst du mir versprechen, dass du nicht mehr dem erstbesten hübschen Mädchen hinterherläufst, das dich anlächelt? Oder zu deiner Verlobten zurück gehst, nur weil sie mit den Wimpern klimpert? Kannst du mir das versprechen?"

Zuerst blinzelt ihn Kazuo verblüfft an, doch dann trifft ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. Das ist es also? Das ist es, was immer diesen müden, traurigen Ausdruck in Sakis Augen zaubert?

„Ich verspreche es dir. Meine Güte, Niichan..."

„Ich glaube nicht, dass ich das alles nochmal ertrage, Kazuo", unterbricht ihn Shredder. Er scheint ihm gar nicht zugehört zu haben. „Deshalb habe ich Japan verlassen. Nur deshalb. Ich habe das alles nicht mehr ausgehalten. Und ich wollte dir nicht im Weg stehen. Ein Polizist, dessen Bruder eine kriminelle Organisation leitet - das ist für die Karriere des Polizisten absolut tödlich. Und dem Footclan gegenüber habe ich erzählt, ich jage Hamato Yoshi. Aber...", er stockt und fährt sich in einer verzweifelt anmutenden Handbewegung quer durchs Gesicht. „Aber die Wahrheit ist: ich konnte dich nicht haben und das hat mich fertig gemacht."

„Hey", hastig setzt sich Kazuo auf und nimmt seine Hände, drückt sie einmal fest. „Hör zu: ich verspreche es dir. Ich verlasse dich nie wieder. Ich weiß jetzt, wohin ich gehöre. Zu dir. Okay?"

Er sieht Shredder ernst in die Augen und als dieser schließlich zögernd nickt, seufzt er einmal tief auf und zieht ihn fest in seine Arme.

Kazuo ist froh, dass er trotz seiner Schläfrigkeit so schnell geschaltet hat. Normalerweise benötigt sein Gehirn länger, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Andererseits geht es hier um seinen geliebten Niichan, da fällt es ihm nicht einmal schwer, wach zu werden.

Auch wenn es nicht immer schön ist, was er zu hören bekommt - so wie eben.

Er kann es gar nicht nicht fassen, dass sein dummes, egoistisches Verhalten als Teenager Schuld an ihren Problemen ist.

„Es tut mir leid. Ich war so ein Baka. Aber ich habe es nie so gemeint. Bitte glaube mir das. Ehrlich, ich habe dich schon immer geliebt, aber es nie richtig begriffen. Ich weiß, daß du diese Sache zwischen uns damals unterbunden hattest, weil du mich schützen wolltest, aber ich hätte viel mehr um dich kämpfen müssen. Aber jetzt, jetzt bin ich erwachsen und ich weiß, was ich will. Und das lasse ich mir von niemandem mehr wegnehmen. Nicht einmal von dir. Hast du das verstanden?"

Shredder nickt nur stumm und drückt sich fester an ihn und in seine Umarmung hinein.

Eine Zeitlang sitzen sie nur so da und halten einander, und in diesen Minuten schüttelt Kazuo auch den letzten Rest von Schlafbenommenheit von sich ab. Und ehe er es sich versieht, haben sich seine Hände schon wie von selbst unter Shredders Sweater und das T-Shirt darunter geschlichen und begonnen, über dessen warme, weiche Rückenhaut zu streicheln.

Shredder gibt ein genüssliches Brummen von sich und schmiegt sich unwillkürlich in diese Zärtlichkeiten hinein, während seine rechte Hand in Kazuos Nacken landet und ihm dort durch den Haaransatz krault.

Während ihn die ersten Schauer der Erregung durchströmen, wägt Kazuo das Für und Wider gegeneinander ab und trifft dann eine Entscheidung.

Er lehnt sich ein wenig in ihrer Umarmung zurück, legt Shredder die rechte Hand an die Wange und sieht ihm tief in die Augen.

„Ich würde das jetzt gerne besiegeln. Lass uns das von vorhin wiederholen. Aber diesmal entscheidest du, wer oben liegt. Wenn es dir Recht ist", fügt er dann noch leise hinzu.

Shredder gibt ein kleines, ungläubiges Lachen von sich und schüttelt leicht den Kopf.

„Du bist unmöglich."

„Ach ja?“ grinsend läßt Kazuo seine Hand von Shredders Rücken tiefer und nach vorne in dessen Schoß wandern. „Willst du jetzt wirklich das Unschuldslamm spielen?“

Mit einem gemeinen Funkeln in den Augen verstärkt er den Druck seiner Handfläche etwas und gleich noch etwas mehr, als sein Bruder daraufhin unwillkürlich aufzischt.

„Also, wie ist es?“ Kazuos Stimme ist ein tiefes, vielversprechendes Raunen an Shredders Ohr. „Wie wollen wir es diesmal machen?“

Grinsend drückt Shredder ihn an den Schultern rückwärts in die Kissen.

„Diesmal bin ich dran“, gluckst er dabei mit einem leichten Augenzwinkern. „Ich weiß nämlich nicht, ob mein Hintern so schnell eine weitere Portion Kazuo verträgt.“

Wäre sein Tonfall nur ein klein wenig ernster gewesen, hätte sich Kazuo sofort entschuldigt, so aber grinst er nur zu ihm hoch, als sich Shredder über ihn kniet.

„Oh, ich weiß nicht...“, neckt er ihn, während er es protestlos geschehen läßt, daß Shredder seine Hände packt und links und rechts neben seinem Kopf in die Kissen pinnt. „Vielleicht muß sich dein Hintern ja auch nur daran gewöhnen? Es ist ein sehr schöner Hintern, nebenbei bemerkt. Alles an dir ist schön...“ fügt er dann noch murmelnd und mehr zu sich selbst hinzu. In seine Augen tritt ein Ausdruck so großer Liebe und absolut echter Bewunderung, daß Shredder unwillkürlich einmal hart schlucken muß.

Solche Worte von seinem anbetungswürdigen Bruder zu hören, läßt ihn fast dahinschmelzen. Er holt einmal tief Luft, beugt sich tief zu ihm hinab und schnurrt dann in sein linkes Ohr:

„Darauf komme ich später gerne zurück. Aber jetzt würde ich dir gerne zeigen, daß nicht nur ich dir gehöre, sondern daß das genauso andersherum gilt, daß du genauso mir gehörst.“

„Gib dein Bestes“, fordert ihn Kazuo nur im selben Tonfall heraus und hascht spielerisch nach seinen Lippen. Und schon einen Atemzug später sind sie in einem dieser süßen, traumhaften Küsse versunken, wie sie langsam zu einem Markenzeichen für ihre Beziehung zueinander werden.

 

 

„Saki ...“ Aufkeuchend reißt sich Kazuo aus dem Kuß, wirft den Kopf in den Nacken und bäumt sich ihm entgegen, während er sich gleichzeitig noch fester mit Armen und Beinen an ihn klammert.

So verharren sie einen kurzen Augenblick lang, dann fällt Kazuo mit einem langgezogenen Seufzer auf die Matratze zurück. Seine Umklammerung aber bleibt so stark wie eh und je, selbst dann noch, als Shredder erschöpft auf ihm zusammenbricht. Lange, ziemlich lange, bleiben sie so liegen, während sie beide versuchen, wieder zu Atem zu kommen und zurück ins Hier und Jetzt zu finden.

„Bleib“, murmelt Kazuo und drückt ihn vielsagend ein ganz klein wenig fester an sich, obwohl Shredder sich überhaupt nicht bewegt hat. Eigentlich gibt er nur ein zustimmendes Brummen von sich, schmiegt sein Gesicht in Kazuos Halsbeuge und den Rest von sich noch enger an den warmen Körper unter sich.

Sein Atem kommt immer noch schnell und stoßweise und kitzelt Kazuo.

Nur allmählich lockert Kazuo seine bärenstarke Umklammerung und streichelt träge mit der rechten Hand über Shredders schweißfeuchten Rücken, während seine andere Shredders Nacken krault.

„Das ist schön“, murmelt er versonnen, geradezu verträumt, während er versucht, dieses Gefühl festzuhalten, das ihn plötzlich überkommen hat. Kurz vor seinem Höhepunkt überfielen ihn wieder Erinnerungen aus dem Krankenhaus und auch diese Panik flackerte wieder in ihm auf, doch diesmal war etwas anders. Diesmal dauerte es nur einen halben Atemzug lang, und dann verwandelte sich diese Furcht in etwas völlig anderes. Etwas, das er nicht benennen kann. Aber es ist warm und berührt ihn bis tief in seine Seele hinein. Es ist großartig und wahrhaft und geht hoffentlich nicht so schnell vorbei.

„Kaz-chan?“ Shredder hebt den Kopf und richtet sich ein wenig auf, um ihm prüfend ins Gesicht zu blicken. Das merkwürdige Verhalten seines Bruders erfüllt ihn mit Sorge. „Alles in Ordnung? Geht es dir gut?“

„Ja“, lächelnd blinzelt Kazuo zu ihm hoch. „Es ging mir nie besser.“

Er hebt die linke Hand, streicht Shredder ein paar verschwitzte Haarsträhnen aus dem Gesicht und legt seine Hand dann an seine Wange.

„Ich glaube“, murmelt er dabei, „das ist einer dieser seltenen, absolut perfekten Momente.“

Der absolut perfekte Moment … Shredder kann über seinen kleinen Bruder manchmal wirklich nur den Kopf schütteln. So etwas gibt es für ihn nicht, denn das alles hier ist einfach nur perfekt.

Wenn er Kazuo so nahe ist, daß er seine Wärme und seinen Herzschlag spürt, wenn ihn sein so vertrauter Duft umhüllt, wenn Kazuo ihn so anlächelt … das alles sind kleine, perfekte Momente. Das alles genügt ihm … wenn Kazuo ihn so hält wie jetzt … oder wenn er ihn halten darf … wenn er ihn so berührt, wenn sie sich so nahe sind … er braucht keinen Sex … Sex mit Kazuo ist großartig, aber er ist nur die Kirsche auf der Torte … es genügt ihm, wenn Kazuo ihn so berührt, denn dann fühlt er diese Ruhe … so tief und warm … und …

Kazuo spürt plötzlich, wie der Körper auf ihm immer schwerer wird.

„Eh? Saki?“ Vorsichtig tätschelt er seine Schulter.

Die ausbleibende Reaktion beunruhigt ihn zuerst, doch dann lauscht er auf Herzschlag und Atemzüge und kichert leise.

Er holt einmal tief Luft und nimmt all seine Kräfte zusammen, um sie beide auf die Seite zu drehen. Während er nach der Decke tastet, um sie schließlich über sie beide auszubreiten, gibt Shredder einen leisen Seufzer von sich, schlingt im Schlaf einen Arm um Kazuos Taille und und kuschelt sich vertrauensvoll an ihn.

Lächelnd blinzelt Kazuo auf ihn hinab. Er muß sich wieder korrigieren: das hier ist der einzig wahre perfekte Moment.

 

 

Kapitel 31

Kapitel 31

 

„Puh." Mit einem wahren Stoßseufzer wirft sich Kazuo auf die Sitzkissen und schiebt mit dem Fuß die vielen Tüten näher zu sich und aus dem Gang, damit niemand darüber stolpert. „Ich glaube, ich habe mir noch nie so viel gekauft."

Mit nur einer Tüte weniger bepackt, lässt sich Shredder neben ihn sinken, während Rocksteady und Bebop ihnen gegenüber Platz nehmen.

„Ja. Ich befürchte, das passt alles gar nicht mehr in meinen Kleiderschrank", erwidert Shredder, während er sich umsieht und dann die Bedienung heranwinkt.

„Ich hätte ja gar nicht so viel gebraucht. Ich habe kein Problem damit, deine Sachen zu tragen", betont Kazuo und sieht sich neugierig um. Das Lokal ist überraschend hell und viel größer als man es von außen erwartet hätte. Mit den Sitzkissen und den niedrigen Tischen erinnert ihn das hier sehr an die Karaoke-Bar, in die ihn seine Kollegen immer schleppen.

„Wenn wir schon mal hier sind ..." erwidert Shredder schulterzuckend, läßt den Satz aber unbeendet ausklingen, als gäbe es dazu einfach nichts weiter zu sagen.

... konnten sie auch gleich das Notwendige mit dem Nützlichen verbinden, auf Shopping-Tour gehen und Krangs Kreditkarte belasten - ja, das weiß Kazuo und es hat ja auch irgendwie Spaß gemacht, aber dadurch fühlt er sich wie ein Nutznießer und das kratzt an seinem Stolz.

Eine völlig geschlechtsneutrale Bedienung eilt herbei - groß und dünn und grün. Sie oder er erinnert Kazuo stark an eine Gottesanbeterin. Das Wesen reicht ihnen die Speisekarten, fragt nach ihren Getränkewünschen und verschwindet dann wieder. Jedenfalls übersetzt ihm das sein Bruder so - er selbst versteht kein Wort dieser merkwürdig gutturalen Sprache. Ach, er muss noch so viel lernen! Sogar Bebop und Rocksteady können sich hier verständigen.

Und die Karte kann er natürlich auch nicht lesen. Das ist frustrierend.

„Bestell du für mich“, fordert er seinen Bruder daher auf und schiebt seine Karte in die Mitte des Tisches. Er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber natürlich kann er seinen Niichan nicht täuschen. Und dessen nächsten Worte beweisen mal wieder, wie gut er ihn doch kennt.

„Ich bringe dir Sprache und Schrift gerne bei. Es ist nicht schwer. Sogar die beiden“, vielsagend deutet er auf die Mutanten, „haben das hinbekommen.“

„Hey!“ protestiert Rocksteady gekränkt, grinst Kazuo kurz darauf aber wieder vergnügt an. „Aber unser Chefchen hat Recht: es ist wirklich ganz leicht. Das lernst du im Nu.“

Kazuo gibt ein gedehntes „Hm“ von sich und wirft seinem Bruder dabei einen langen Seitenblick zu.

„Du kaufst mir neue Klamotten. Du willst mir die Sprache beibringen. Sag mal, kann es sein, daß du endlich kapiert hast, daß ich länger bleiben werde?“

Shredder versteckt sich hinter seiner Menükarte. „Ach, halt die Klappe.“

Grinsend langt Kazuo zu ihm hinüber und wuschelt ihm durch die Haare. Woraufhin eine kleine Balgerei folgt, die erst endet, als die Bedienung die Getränke bringt.

Verlegen richten sich die beiden Brüder wieder in eine aufrechte Position auf, aber die Bedienung geht ganz professionell über dieses kindische Benehmen hinweg, sammelt die Menükarten wieder ein und nimmt die Bestellungen entgegen.

Auch Bebop und Rocksteady belassen es bei einem kleinen Grinsen. Sie freuen sich einfach nur, ihr Chefchen so gut gelaunt zu erleben und da sie wollen, daß das so bleibt, sparen sie sich jedes Kommentar, ganz egal, wieviele Neckereien ihnen auch auf der Zunge liegen.

Shredder fühlt sich wirklich gut heute. Er hatte ganz vergessen, wieviel Spaß es ihm macht, seinem Bruder etwas zu kaufen. Ihm Dinge zu schenken.

Und natürlich hat er sich – wie seine eigene Tüte beweist – bei der Gelegenheit auch gleich etwas gegönnt. Und als hätte Kazuo seine Gedanken gelesen, schielt er begehrlich auf besagte Tüte:

„Mir gefällt deine neue Jacke. Leihst du sie mir später mal?“

Einigermaßen perplex starrt Shredder ihn an.

„Echt jetzt? Warum hast du dir nicht auch so eine gekauft? Die hatten da mehr als genug von der Sorte.“

Betont unschuldig hebt Kazuo die Schultern.

„Ich trage eben gerne deine Sachen. War schon immer so.“

„Jaja“, kichern Bebop und Rocksteady und werfen sich dabei höchst bedeutsame Blicke zu.

„Wir wissen, wie das ist.“

Während Shredder nur ungnädig die Stirn runzelt – müssen sie Kazuo bei dem Thema auch noch derart bestätigen? - stützt Kazuo das Kinn in die Hand, nippt kurz an seinem Wasser und lächelt dabei vor sich hin.

„Ich habe schon als kleines Kind lieber Sakis Pullover getragen als meine“, er klärt er den beiden Mutanten. „Es gefiel mir, daß ich auftragen durfte, was ihm zu klein geworden war. Das gilt vor allem für seine Schuluniformen.“

Etwas unangenehm berührt schnappt sich Shredder sein Glas und versteckt sich jetzt genauso dahinter wie zuvor hinter der Menükarte. Er erinnert sich noch gut an die widersprüchlichen Gefühle, die ihn überkamen, als er Kazuo zum ersten Mal in seiner geerbten Schuluniform sah – einerseits schämte er sich dafür, daß ihre Mutter Kazuo keine neue kaufte und andererseits rührte ihn der Stolz, mit der sein kleiner Bruder vor ihm stand.

Dabei hatte Kaz-chan besseres verdient als das.

„Schade, daß wir das nicht sehen konnten“, enttäuscht verzieht Bebop das Gesicht. „Ihr saht bestimmt super süß da drin aus.“

Denn wenn er nur an die Galauniformen denkt, die die beiden vor ein paar Tagen tragen mußten … er seufzt unwillkürlich auf.

„Ja, wirklich schade“, gibt ihm Rocksteady Recht, dessen Gedanken in dieselbe Richtung wandern und erklärt Kazuo dann: „Wir hatten ja nur einen klitzekleinen Eindruck davon, wie unser Chefchen früher so als Knirps und Teenie war. Damals, als er im Zeitraffer vom Baby zum Erwachsenen heranwuchs. Er war so putzig. Einfach nur zum Knuddeln.“

Aufstöhnend vergräbt Shredder das Gesicht in den Händen. Diese Tage sind für ihn heute noch furchtbar beschämend – müssen die zwei ausgerechnet vor Kazuo damit anfangen?

„Gibt es Fotos?“ will sein neugieriger Bruder da auch noch wissen.

„Natürlich!“ Bebop strahlt regelrecht. „Ein ganzes Album sogar! Sollen wir es dir zeigen, wenn wir wieder im Technodrome sind?“

„Gerne!“

„Schade nur, daß wir kein Foto von ihm in einer Schuluniform haben...“

„Oh du liebe Güte!“ Aufstöhnend verdreht Shredder die Augen, holt sein Portemonnaie aus seiner Hosentasche und zieht ein zusammengefaltetes Stück Papier daraus hervor. Nachdem er es auseinander gefaltet und auf die Mitte des Tisches geworfen hat, stellt es sich als eine alte, aber sehr gut erhaltene Fotografie heraus.

„So, bitteschön. Jetzt zufrieden?“

Bebop greift nach dem Foto, aber Kazuo ist schneller. Er betrachtet es eine Weile mit zunehmend weicher werdender Miene und reicht es dann an den ungeduldig wartenden Bebop weiter.

„Oh, Niichan...“ seufzt er dabei gerührt.

„Ach, sei still“, kommt es gespielt barsch zurück. „Das ist das einzige Familienfoto, das ich von uns habe. Das war Kazuos erster Tag an der Mittelschule“, erklärt er den beiden Mutanten im selben Atemzug, „und unsere Mutter sah so etwas immer als Anlaß, uns zum Fotografen zu schleppen.“

Bebop und Rocksteady betrachten das Bild sehr lange und gründlich, bevor sie es lächelnd zurückgeben.

„Jepp, wir hatten recht: ihr ward unheimlich süß. Die Mädchen müssen euch nur so nachgerannt sein.“

Shredder stößt ein kleines, bitteres Lachen aus. „Kazuo sind sie nachgerannt, das stimmt. Kaum war die eine fort, stand schon die nächste vor der Tür.“

Kazuo schweigt für einen Moment betreten. „Ich war so verdammt eifersüchtig auf deine erste Freundin“, gesteht er dann und lag eben noch diese Finsternis in Shredders Zügen, stiehlt sich jetzt so etwas wie Überraschung und zaghafte Hoffnung hinein.

„Ja“, bestätigt Kazuo heftig nickend, greift nach den Händen seines Bruders und drückt sie ganz fest. „Wie konnte sie dich mir wegnehmen?“

Das ist zwar keine Entschuldigung für sein späteres Benehmen, aber es ist ein wichtiges Gefühl, von dem sein Niichan endlich erfahren sollte. Er muß nicht weiter erklären, wohin ihn diese Eifersucht führte – er sieht in Shredders Augen, daß er die richtigen Schlüsse zieht.

Kazuo wartet noch einen kurzen, aber kostbaren Moment, bis er sieht, wie jeder noch so kleine Funken Ärger aus Shredders Miene verschwunden ist, dann legt er ihm eine Hand in den Nacken und zieht ihn zu einem langen, zärtlichen Kuß heran.

Hier in der DimensionX, das hat er schnell bemerkt, darf er das machen. Sich hier vor aller Augen abzuknutschen, erregt hier keine Aufmerksamkeit - nicht einmal neugierige Blicke erntet man. Hier scheinen noch ganz andere Dinge als völlig normal durchzugehen - abgesehen von der aggressiven Grundstimmung, die er schon kennt.

Er ist immer noch davon überzeugt, dass vorhin im Kaufhaus, in der Umkleidekabine neben seiner, eine Sexorgie gefeiert wurde. Und niemanden hat es gestört - nicht die Kunden und noch viel weniger die Verkäufer. Nur der Putzroboter hat geduldig vor der Kabine gewartet.

So weit wie die würde Kazuo natürlich niemals gehen - das gehört sich nicht nur nicht, nein, es nimmt dem ganzen Akt das, was ihn so besonders macht: diese geradezu heilige Intimität.

Aber gegen eine hemmungslose Knutscherei in der Öffentlichkeit hat Kazuo nichts einzuwenden. Im Gegenteil: er mag es, weil sich sein Niichan immer so ziert.

Ihn mit Zunge und Lippen und sanften Berührungen davon überzeugen, dass es okay ist, hier und jetzt ganz offen Gefühle zu zeigen, das besitzt seinen ganz eigenen Reiz.

Sein Niichan ist alles andere als prüde oder verklemmt, man muß nur wissen, wie man ihn aus seinen Schützengraben holt, und Kazuo weiß das inzwischen sehr gut.

 

 

 

Zwei Stunden später stehen Bebop und Rocksteady ein paar Gänge weiter vor einem würfelförmigen Kasten und warten mit zunehmender Ungeduld, daß die beiden Brüder endlich aus diesem Ding kommen, das nur wegen des Ausgabefaches Ähnlichkeit mit den Fotoautomaten auf der Erde hat, obwohl es genau dieselbe Funktion haben soll.

Vielleicht hatte die Bedienung ihr Gespräch mitangehört, vielleicht war es aber auch tatsächlich nur Zufall, daß sie ihnen mit der Rechnung einen Flyer für eine neuartige Attraktion überreichte. Jedenfalls war Kazuo total begeistert, als Shredder ihm die fremden Schriftzeichen übersetzte und brauchte auch nicht lange, um ihn davon zu überzeugen, es wenigstens einmal auszuprobieren.

Und deshalb stehen sich Bebop und Rocksteady jetzt hier die Beine in den Bauch, während der Besitzer – ein Neutrino – etwas abseits mit weiteren Kunden beschäftigt ist und immer wieder argwöhnische Blicke zu ihnen hinüberwirft.

Ein wenig merkwürdig erscheint es ihnen schon, daß ein gewöhnlicher Fotoautomat mit so schrillen, bunten Flyern angepriesen wird – immerhin gilt diese Technik hier als veraltet – aber der Retro-Trend macht wohl auch vor der DimensionX nicht halt.

„Vielleicht“,überlegt Rocksteady schließlich laut und mit einem verschmitzten Zwinkern in den Augenwinkeln, „sollten wir auch da rein.“

„Jetzt?“

„Natürlich jetzt, wann denn sonst?“

Sich einfach mit auf die Fotos drängeln? Bebop gefällt die Idee. Und so grinsen sie sich noch einmal verschwörerisch zu, aber als Rocksteady die Hand zur Tür ausstreckt, taucht plötzlich, wie aus dem Nichts, der Besitzer vor ihnen auf und fällt ihm in den Arm.

„Was haben Sie vor? Nicht öffnen, bevor der Prozeß nicht abgeschlossen ist!“

„Prozeß?“ wiederholt Rcksteady verdutzt und fragt sich zugleich, ob er das Wort vielleicht nur falsch verstanden hat.

„Sie dürfen sie da nicht herausholen.“

„Wir wollen sie nicht herausholen. Wir wollen mit rein.“

Die darauf folgende Reaktion des Neutrinos ist mehr als irritierend: Fassungslos schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen.

„Das geht gar nicht! Der Apparat ist nur für Paare geeignet. Für mehr als zwei Personen ist der Imprint nicht ausgelegt. Das führt zu einem heillosen Durcheinander!“

Rocksteady und Bebop wechseln erst einen langen und dann einen etwas längeren Blick.

„Ich habe so den Verdacht, daß das Ding nicht nur Fotos schießt“, stöhnt Bebop leise.

„Was ist das, dieser Imprint?“ will Rocksteady mit einem leicht drohenden Unterton in der Stimme wissen, denn wehe, es ist etwas Gefährliches!

„Wo waren Sie denn das letzte Jahr, daß Sie das nicht wissen?“ erkundigt sich der Neutrino entgeistert, läßt sich dann jedoch zu einer Erklärung herab: „Der Fotoblitz liest Emotionen und überträgt eine Momentaufnahme davon von einer Person auf die andere. Paare lieben es, auch wenn der Effekt nur drei Stunden anhält. Das Prinzip ist so erfolgreich, daß man sich schon überlegt, es für die Paartherapie einzusetzen. Die Fotos sind nur eine nette Erinnerung an diese speziellen Momente.“ Plötzlich wird er blaß und greift geradezu verzweifelt nach Rocksteadys Handgelenk. „Oh. Oh. Da fällt mir ein: die beiden sind doch ein Paar, oder? Sonst könnten sie es nämlich werden. Oder, wenn der eine den anderen nicht wirklich mag, sogar zu Feinden werden.“

„Nein, keine Sorge“, grimmig pflückt Rocksteady seine Hand von seinem Arm. „Die zwei sind wirklich ineinander verliebt. Und das schon länger.“

Der Besitzer gibt einen wahren Stoßseufzer von sich. „Na, dann habe ich noch einmal Glück gehabt. Aber“, mahnend hebt er den Zeigefinger, „das nächste Mal lesen Sie sich die Flyer gefälligst besser durch, verstanden?“

„Gibt es Nebenwirkungen?“ hakt da Bebop besorgt nach.

„Ich bitte Sie!“ protestiert der Neutrino entrüstet. „Das ist absolut sicher! Würde ich es sonst anbieten?“ Er wirft ihnen noch einen beinahe beleidigten Blick zu und geht dann wieder hinüber zu seinen Kunden.

„Na ja“, meint Rocksteady schließlich seufzend und kratzt sich im Nacken. „Das klingt so, als hätten wir gleich zwei unerträglich verliebte Vollidioten an der Backe.“

„Und ich hab meine Kamera im Technodrome vergessen“, seufzt Bebop aus tiefsten Herzen.

In diesem Moment gibt der Apparat ein leises Rattern von sich und spuckt einen Fotostreifen aus. Kurz darauf klickt es vernehmbar und die Tür gleitet zur Seite.

Die beiden Mutanten halten den Atem an und mustern die Brüder besorgt, als diese nacheinander die Kabine verlassen. Sie wirken etwas ausgelassen, aber ansonsten scheint alles in Ordnung zu sein.

 

 

Shredder tritt aus dem Fotoautomaten, schließt die Augen und atmet tief durch. Das Gefühl, das ihn durchströmt, ist kaum zu beschreiben. Es gibt keine Worte dafür. Aber es fühlt sich gut an. Warm. Und es macht ihn glücklich.

Was auch immer dieses „es" sein mag.

„Niichan."

Warm. So warm.

„Niichan?"

Glücklich. So unendlich glücklich.

„Saki!" Kazuos scharfe Stimme und die Hand an seiner Schulter, die ihn ungeduldig schüttelt, reißen ihn aus seinem süßen Nirwana.

„Ja?" verwirrt blinzelt er in Kazuos besorgte Miene.

„Ist alles in Ordnung?" Kazuo mustert ihn prüfend. „Du warst eben völlig weggetreten."

Dass er dabei auch noch diese völlig verklärte Miene hatte, die er sonst nur zeigt, wenn sie Sex haben, behält Kazuo lieber für sich. Es ärgert ihn schon genug, dass jeder hier diesen Gesichtsausdruck sehen konnte, obwohl diese Miene nur exklusiv für ihn bestimmt ist.

„Mir geht's gut." Shredder strahlt ihn an. Sogar seine Augen leuchten.

Er legt Kazuo eine Hand in den Nacken und zieht ihn so ganz dicht an sich heran, um ihn in einen erst sanften, aber dann immer leidenschaftlicher werdenden Kuss zu verwickeln.

 

 

Kapitel 32

Kapitel 32

 

Wie ein Pfeil bohrt sich die Shinigami durch die Wolken, steil nach oben, vollführt eine Schraube und dann einen Looping und dann noch einen, bevor sie wieder ihren alten Kurs, schnurgerade Richtung Orbit, aufnimmt.

„Noch einen Looping?“ bietet Shredder aufgekratzt an und lacht.

„Nein danke“, ächzt Rocksteady neben ihm auf dem Sitz des Copiloten und schlägt die rechte Hand vor den Mund, um ihr leckeres Abendessen nicht wieder von sich zu geben.

„Muß nicht sein“, beeilt sich auch Bebop abzulehnen und versucht, seine verkrampften Finger aus dem Stoff seiner Armstützen zu lösen.

„Produkte eines Waschlappens.“ Kichernd schickt sich Shredder an, die Shinigami weitere Kunststückchen fliegen zu lassen, denn er sieht nicht ein, wieso sie nicht ein wenig Spaß haben können, bis sie die vorgeschriebene Höhe zum Öffnen eines Portals erreicht haben.

Immer nur geradeaus zu fliegen ist doch langweilig!

Doch Kazuos scharfe Stimme läßt ihn mitten in der Bewegung erstarren.

„Niichan, es reicht. Mir wäre es lieber, wenn du und Bebop wieder die Plätze tauschen!“ Kazuo versucht wirklich, ruhig zu bleiben. Er bemüht sich ernsthaft. Aber das ist gar nicht so leicht, wenn sich der große Bruder zunehmend irrationaler verhält.

Shredde wirft ihm über die Schulter einen enttäuschten Blick zu.

„Aber-“

„Niichen, bitte“, unterbricht ihn Kazuo in sanften, lockendem Tonfall und bedeutet ihm mit einer Geste, zu ihm zu kommen. „Setz dich neben mich. Komm zu mir.“

Shredders Miene hellt sich sofort auf.

„Natürlich!“

Sichtbar erleichtert schnallt sich Bebop ab und wechselt nach vorne in den Pilotensessel, während Shredder hinten bei seinem Bruder Platz nimmt. Wo er sich zu ihm hinüberlehnt, die Arme um ihn schlingt und ihm erst einen Kuß auf die Wange drückt und dann sein Gesicht, mit der Nase voran, an Kazuos Schulter vergräbt.

„Hm“, hört Kazuo ihn seufzen, „du riechst so gut.“

Kazuo zieht eine Grimasse und tätschelt ihm den Kopf. Er ist von diesem Benehmen zunehmend genervt. Gleichzeitig steigt aber auch seine Besorgnis.

Er liebt seinen Niichan, aber das wird ihm langsam zuviel.

Er ist so anhänglich. Und dazu so sprunghaft. So … aufgedreht.

Nachdenklich läßt er Strähne um Strähne dieses seidigen Haares durch seine Finger gleiten, nimmt aber nur mit halben Ohr das zufriedene Brummen wahr, mit dem sein Bruder diese Zärtlichkeiten honoriert.

Ist das alles noch die Wirkung dieses merkwürdigen Apparates? Aber warum hält das bei Saki immer noch an?

Dabei war es ihm anfangs gar nicht aufgefallen – allerdings betraf es ihn da ja auch selbst. Erst als bei ihm die Wirkung nachließ, wurde er sich dessen bewußt, wie untypisch sich sein Niichan verhielt – und immer noch verhält!

Als hätte er Drogen genommen.

Er ist nicht mehr so ernst, sondern richtiggehend ausgelassen.

Er hat mit dem Kellner vom Zimmerservice geflirtet.

Er hat beim Auschecken der hübschen Rezeptionistin schöne Augen gemacht!

Er hat auf dem Gang mit der gottverdammten Reinigungskraft geschäkert!

Er umarmt nicht nur ihn ständig, sondern auch Rocksteady und Bebop! Er gibt ihnen Küsschen auf die Wange oder auf ihre großen Tiernasen!

Er hat mit ihnen gewettet, daß er schneller ist, wenn er die Treppe nimmt und nicht wie sie, diesen Energiekugel-Lift. Er hat sogar gewonnen. Er hat sie ausgelacht und den ganzen Weg zur Shinigami damit aufgezogen.

Auf dem Flugdeck hat er Kazuo gepackt und mit ihm einen Walzer aufs Parkett gelegt.

Und jetzt diese Sache mit den Loopings!

Das ist nicht mehr witzig! Ganz im Gegenteil – das wird langsam richtig gefährlich!

Ein leises Seufzen reißt ihn aus seinen Gedanken und als er den Kopf dreht, blinzelt ihn ein braunes Augenpaar unter einem Wust von dunklen Haaren entgegen. Sie strahlen immer noch. Jegliche Niedergeschlagenheit ist aus ihnen verschwunden. Nur weiß Kazuo nicht, ob er sich wirklich darüber freuen soll.

„Hm, Kaz-chan." Shredder hebt den Kopf aus Kazuos Jacke und reckt sich ihm entgegen. „Warum machst du denn so ein ernstes Gesicht?"

Seine Worte sind nur ein warmer Lufthauch gegen Kazuos Lippen und dann spürt er Shredders Finger an seiner Wange und versinkt in diesen braunen, liebevollen Augen.

Aber als Shredder ihn küsst, kann er sich nicht richtig fallen lassen - dafür macht er sich einfach viel zu große Sorgen um ihn.

Trotzdem hilft er ihm dabei, auf seinen Schoss zu klettern, schlingt seine Arme um ihn und hält ihn fest, während sich ihre Zungen stürmisch duellieren. Denn was auch immer mit seinem Niichan los ist - wie könnte er ihn besser beschützen als auf diese Art, wenn er ihn ganz nah bei sich hat und in seinen Armen hält?

 

 

„Urgh! Shredder!“ Wild und unkoordiniert peitschen Krangs Tentakel durch die Luft. Die meisten landen in Shredders Jacke und Sweater, nur eine erwischt ihn an der Wange.

Aber das stört den gar nicht.

Er lacht nur und drückt Krang ein wenig fester an seine Brust.

Laß! Mich! Los!

„Spielverderber“, murmelt Shredder, lockert aber seinen Griff soweit, daß Krang wenigstens keine Angst mehr haben muß, zerquetscht zu werden. Noch ein geradezu mörderischer Blick aus violetten Augen, dann hangelt sich Krang aus Shredders Armen zurück in die Sicherheit seines Androidenkörpers. Von wo aus er ihn weiterhin vorwurfsvoll mit Blicken durchbohrt.

Shredder aber kichert nur. Dann fällt ihm ein, weshalb sie eigentlich diese Reise gemacht haben. Immer noch lächelnd zieht er sich die Kette mit dem Datenkristall-Anhänger über den Kopf und läßt sie vor Krangs nicht vorhandener Nase in der Luft baumeln wie bei einem Haustier das Leckerli.

Krang schnauft nur, schnappt sich blitzschnell den Kristall und läßt ihn schnell in einem Fach seines Androidenkörpers verschwinden.

„Siehst du, was wir meinen?“ seufzt Kazuo.

Krang brummt zustimmend und beobachtet argwöhnisch, wie Shredder langsam durch die Krankenstation wandert und die neuen Geräte begutachtet.

„Mir gefällt dein Update der Krankenstation“, lobt Shredder da auch schon und bleibt dann vor der neuen Behandlungseinheit stehen. „Was ist das? Sieht fast so aus wie der Stuhl in deinem Labor.“

„Setz-“ beginnt Krang grimmig, doch da hat sich Shredder auch schon in den Velourssitz geworfen und räkelt und streckt sich prüfend darauf wie eine Katze, die einen neuen Lieblingsplatz ausprobiert.

„- dich doch“, beendet Krang seinen Satz trocken.

„Gibt's hier auch einen Helm?“ fragt Shredder und sieht sich suchend um.

Krang bewegt seinen Körper neben die Einheit, betätigt einen Knopf in der Armlehne und etwas, das aussieht wie eine Behandlungsleuchte flammt auf.

„Geht jetzt alles vollautomatisch über einen einzigen Scanner“, erklärt Krang dabei stolz.

Shredders beeindrucktes „wow“ sollte ihn eigentlich freuen, aber unter diesen Umständen vertieft es nur die Falten seiner Großhirnrinde. Als Kazuo und die Mutanten ihn baten, sie auf der Krankenstation zu treffen und ihnen kurz das warum schilderten, dachte er zuerst, sie übertreiben, denn – ehrlich? Shredder mal besonders gut gelaunt? Was sollte daran schlecht sein? - aber jetzt ist auch er langsam beunruhigt.

„Hey, Krang, soll ich wieder einen Fragebogen ausfüllen?“

Daran hat Krang zwar nicht gedacht, aber jetzt erscheint es ihm wie eine gute Idee. Schaden kann es jedenfalls nicht und dann ist dieser Unglücksrabe wenigstens beschäftigt, während er sich die anderen Idioten hier zur Brust nimmt.

Also holt er eines der Pads aus einer Schublade und reicht es Shredder wortlos, der sich sofort eifrig ans Ausfüllen macht.

„So“, wendet sich Krang dann Kazuo und den Mutanten zu, „und jetzt raus mit der Sprache: was ist passiert?“

Er sieht, wie sich Bebop und Rocksteady verlegene Blicke zuwerfen und unsicher mit den Füßen scharren, aber sie überlassen Kazuo das Wort. Ganz automatisch scheinen sie ihn als Co-Leader anerkannt zu haben.

„Saki und ich waren in einem Gerät, das wir für einen normalen Fotoautomaten hielten“, erklärt Kazuo mit den knappen, präzisen Worten des Polizisten, holt einen Fotostreifen aus seiner Tasche und zeigt ihn Krang. Das Alien wirft einen Blick darauf und versucht, nicht zu lächeln. Das sind hübsche Fotos. Die beiden scheinen viel Spaß gehabt zu haben. Er wird sie beizeiten um eine Kopie bitten.

„Wie sich dann aber schnell herausstellte, diente es einen ganz anderen Zweck“, fährt Kazuo fort, während er die Fotos wieder einsteckt. „Ich verstehe nichts von den technischen Details, aber der Apparat hat anscheinend unsere Gefühle füreinander abfotografiert und die dann dem jeweils anderen ins Gehirn gepflanzt.“ Kazuo räuspert sich einmal, strafft kurz die Schultern und fährt dann sichtlich peinlich berührt fort: „Ich war ebenfalls betroffen. Aber den Aussagen Bebops und Rocksteadys nach, war es bei mir nicht so schlimm wie bei Saki. Und es hielt auch nicht so lange an. Drei Stunden waren es bei mir, aber bei Saki dauert das jetzt schon doppelt so lange.“

„Mir geht's gut“, wirft Shredder vom Behandlungsstuhl aus ein. „Ihr übertreibt maßlos. Ich sitze nur hier und mache den ganzen Quatsch mit, weil ihr mich darum gebeten habt.“ Dann beginnt er leise zu summen und vertieft sich wieder in seinem digitalen Fragebogen.

„Er ist total aufgedreht“, erklärt Kazuo besorgt und fügt dann in einen ungewohnt klagenden Tonfall hinzu: „Er umarmt Bebop und Rocksteady ständig und gibt ihnen Küsschen. Außerdem hat er alles angeflirtet, was nicht bei drei auf den Bäumen war.“

Krang horcht auf und mustert ihn mit dem neuerwachtem Interesse eines Seifenopern-Fans, der eine Eifersuchtsszene herannahen sieht.

Doch da reicht ihn Rocksteady mit den Worten „das war das Teil“ einen zerknitterten Flyer und erinnert ihn wieder an das eigentliche Problem.

„Hm“, macht Krang, während er sich das Kleingedruckte durchliest und dann wandert sein Blick zu dem Monitor, auf dem die Ergebnisse des Scanners in hochauflösenden, bunten Farben zu sehen sind. Das Belohnungssystem funkt und feuert wie ein ganzes Kriegsbataillon.

Krang braucht nicht lange, um eine Diagnose zu stellen.

„Ich verstehe“, murmelt er. „Das ist wirklich lästig.“ Er macht eine spannungsgeladene Pause, bis er aller Blicke (bis auf Shredder natürlich, der noch immer in seinem Fragebogen versunken ist) auf sich ruhen fühlt und fährt dann in dozierendem Tonfall fort:

„Seine Neuronen haben anscheinend eine gewisse Sensibilität entwickelt. Daher ist die Wirkung bei ihm intensiver und langanhaltender. Das scheint eine nicht beabsichtigte Nachwirkung unseres letzten Experiments gewesen zu sein.“

„Mit deinem letzten Experiment meinst du wohl diesen unglückseligen Bewußtseinstransfer?“ hakt Kazuo grimmig nach.

Krang nickt, zeigt sich von Kazuos Verärgerung aber völlig unbeeindruckt.

„Tut mir leid, dir das mitteilen zu müssen, aber dein Niichan leidet offensichtlich an einem Dopamin-Rausch. Das geht vorbei. Morgen um die Zeit sollte er wieder der normale Miesepeter sein, der er immer ist.“

„Gibt es nichts-“ beginnt Kazuo, klappt aber mitten im Satz den Mund wieder zu und winkt müde ab. „Nein, besser nicht.“

Krang findet diese Einsicht wirklich sehr lobenswert.

„Genieß die Zeit doch einfach“, schlägt er ihm grinsend vor. „Ich habe Shredder noch nie so ausgelassen erlebt.“

Kazuo gibt nur ein nachdenkliches Brummeln von sich und betrachtet weiter seinen Bruder, der inzwischen mit untergeschlagenen Beinen auf dieser Behandlungseinheit herumlümmelt und noch immer vor sich hinsummt, während er eifrig auf dem Pad herumtippt und -wischt. Was summt er da überhaupt?

Kazuo hört genauer hin, erkennt die Melodie des Kinderliedes „Akatonbo“ und kann sich eines kleinen Lächelns nicht erwehren. Oh ja, daran erinnert er sich. Es war sein Lieblingslied, weil sein Niichan – oft auch im Chor mit seiner Mutter - es ihm immer vor dem Schlafengehen vorgesungen hat. Genaugenommen ist es das erste Lied, an das sich Kazuo erinnern kann.

Plötzlich hebt Shredder den Kopf und ihre Blicke begegnen sich und da ist dieser Ausdruck auf Shredders Gesicht, dieses Licht in seinen Augen und Kazuo findet es plötzlich gar nicht mehr so schlimm, daß sein Bruder vor Glückshormonen geradezu überläuft.

Denn er ist ja da.

Und er wird dafür sorgen, daß seinem Niichan nichts passiert.

Als Shredder lächelt, lächelt er unwillkürlich zurück, Doch dann überfällt es ihn – das, was er so krampfhaft beiseite geschoben hat: die Assoziation Krankenstation und Krankenhaus. Das hier sieht nicht im geringsten so aus wie Sakis Krankenhauszimmer, es ist nicht einmal weiß hier, sondern cremefarben, hellblau und chromblitzend, aber dahinter verbirgt sich dieselbe Funktion und irgendwie ist das alles, was sein Unterbewußtsein benötigt um ihn mit unangenehmen Erinnerungen zu bombardieren.

Irgend etwas davon muß sich in seiner Miene widergespiegelt haben, denn mit einem besorgten „Kazuo!“ ist Shredder aufgesprungen, eilt zu ihm und zieht ihn in seine Arme.

Geradezu dankbar lässt sich Kazuo gegen ihn sinken.

In seiner Kehle bildet sich ein Kloß, den wegzuatmen nicht mehr möglich ist und ehe er es verhindern kann, wird sein nächster Atemzug zu einem trockenen Aufschluchzen. Beschämt kriecht er noch tiefer in Shredders Arme hinein.

Der flüstert ihm leise, beruhigende Worte ins Ohr, streichelt tröstend über seinen Hinterkopf und macht dadurch für Kazuo alles besser und zugleich auch viel, viel schlimmer.

Er will seinem Bruder sagen, daß alles in Ordnung ist und er damit aufhören kann, sich Sorgen um ihn zu machen, aber er sagt nichts, weil er seiner eigenen Stimme nicht mehr traut.

Stattdessen klammert er sich nur noch fester an ihn und er weiß selbst, wie verzweifelt das auf die anderen wirken muß und das ist ihm so peinlich, aber gleichzeitig ist es ihm auch egal, weil da ist Saki, er spürt seine Nähe, seine Wärme, seine Finger in seinem Haar und seinen Atem an seiner Wange und er hört, riecht und sieht ihn und er ist dadada … groß, stark und im Moment eine furchtbare Nervensäge, aber er ist da und Kazuo will ihn gar nicht anders haben.

Nur allmählich, aber stetig, werden seine Atemzüge wieder ruhiger und die Panik verschwindet. Dies ist der Moment, wo er die Hände aus der Jacke seines Bruder nimmt und sie ihm stattdessen flach auf die Brust legt, um sich langsam von ihm fort zu drücken.

„Geht's wieder?“ Shredder läßt ihn nur auf die Distanz einer halben Armeslänge gehen und mustert ihn besorgt.

„Ja“, Kazuo wagt ein verzagtes Lächeln, während seine Finger wieder nervös an Shredders Jacke herumspielen. Nicht gehen, nicht!

„Es tut mir leid.“ Er spürt, wie er errötet. Das ist ihm wirklich so furchtbar peinlich.

Er kann förmlich spüren, wie ihn Krangs, Bebops und Rocksteadys Blicke durchbohren.

„Es gibt keinen Grund dafür, sich zu entschuldigen“, wehrt sein Bruder sanft ab. „Es wird besser. Man lernt damit umzugehen.“

Kazuo nickt nur wortlos und senkt den Kopf noch tiefer. Seine Ohren brennen schon, so unangenehm ist ihm das.

Aber dann fühlt er sich plötzlich wieder in die Arme seines Niichans gezogen, und als Nächstes sind da warme Finger unter seinem Kinn, die ihn zwingen, den Kopf anzuheben und schließlich spürt er nur noch Sakis Lippen auf seinen.

„Hä-häm“, räuspert sich Krang hinter ihnen und weiß doch nicht, ob er überhaupt gehört wird. Er redet trotzdem weiter: „Okay, wir lassen euch dann mal alleine. Denkt nur daran: was ihr einsaut, müsst ihr wieder sauber putzen.“

Mit diesen Worten dreht er sich um und verläßt die Krankenstation und die beiden Mutanten nimmt er gleich mit sich.

Über dem heftigen Klopfen seines Herzens hört Kazuo das typische Zischen einer sich schließenden Tür, unterbricht diesen göttlichen Kuß und sieht über die Schulter nach hinten, nur um festzustellen, daß sie inzwischen alleine in der Krankenstation sind.

Oh. Oh.

Das ist ja noch peinlicher!

„Sollten wir nicht auch gehen?“

„Nö“, grinst Shredder. „Wieso?“ Damit dreht er Kazuo wieder zu sich herum und haucht ihm einen dieser Küsse auf die Lippen, bei denen Kazuo immer die Knie so weich werden. „Ich habe eine viel bessere Idee: schlechte Erinnerungen sollte man mit besseren überschreiben, weißt du noch?“

Und ehe es sich Kazuo versieht, drängt Shredder ihn schon rückwärts auf den Behandlungsstuhl.

 

 

Kapitel 33

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Kapitel 34

Kapitel 34

 

„Pizza ist fertig!"

„Ja, danke, Mikey. Leg sie zu den anderen." Leonardo deutet lässig auf den Tisch, wo schon drei andere, selbstgebackene Pizzen und die Reste vom Mittagessen liegen.

„Ihr wisst meine Kreationen einfach nicht zu schätzen", murrt Michelangelo beleidigt, während er die dampfende Pizza einfach auf die anderen fallen lässt.

„Doch, tun wir", meint Raphael gelangweilt, während er weiter fleißig im Fernsehprogramm herumzappt. Leonardo neben ihm gibt ein grunzendes Geräusch von sich, hat es aber schon lange aufgegeben, sich über Raphaels Benehmen zu beschweren.

Sie sind alle müde und furchtbar gelangweilt. Die letzten Tage waren so ruhig, dass sie sich fast Shredder zurückwünschen. Aber heute gab es Ärger mit dem Rat King und er hat es ihnen nicht leicht gemacht, nur war es trotzdem irgendwie ... öde. Es lässt sich nicht beschönigen: Shredder fehlt ihnen.

Dabei ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass der Schrottfresser lange Zeit von der Bildfläche verschwindet, und jetzt sind es gerade mal zwei Wochen. Es ist trotzdem diesmal anders. Ihnen steckt sein „Tod" eindeutig noch in den Knochen. Meister Splinter ist auch richtig nostalgisch geworden - ständig poliert er Shredders Rüstung oder blättert alte Fotoalben durch.

„Hey, Jungs! Leute!" Plötzlich steht Donatello in der Tür zu seinem Labor und brüllt, dass selbst Meister Splinter neugierig aus seinem Meditationsraum kommt.

„Ich hab da was, das müsst ihr euch ansehen!"

Und weil Donatello sonst nie so schreit und alles andere so öde ist, stürmen seine Brüder so hastig in sein Labor, dass sie ihn an der Türschwelle fast umrennen. Meister Splinter folgt ihnen etwas gesitteter, aber auch er ist sehr gespannt darauf, was Donatello so in Aufregung versetzt.

„Ich habe soeben dieses Signal empfangen", erklärt ihr hauseigener Intelligenzbolzen und Tüftler, während er stolz zu seinem neuen Computer hinübergeht. „Es ist eine Botschaft. Eine Audiodatei. Und sie haben ein Foto mitgeschickt."

„Sie? Wer sind sie?" will Raphael ungeduldig wissen und macht eine vielsagende Geste zum dunklen Monitor. „Ist das Ding jetzt an oder was?" Raphael wartet nicht gerne.

„Na, sie!" Triumphierend drückt Donatello die Enter-Taste und der Bildschirm erwacht zum Leben.

Sekundenlang starren Leonardo, Raphael, Michelangelo und Splinter nur stumm auf das Foto. Gestochen scharf, satte Farben - vielleicht etwas rötlich angehaucht, aber sie wissen: das liegt am Licht. Und die schlierigen silbernen Wolken sind genauso typisch für die DimensionX.

Zwei dunkelhaarige, junge Männer in dunklen Parkas lachen in die Kamera und im Hintergrund kann man das Technodrome erkennen.

Es dauert eine Weile, bis Donatellos Brüder die beiden erkennen. Splinter allerdings wirft nur einen Blick auf das Foto und seufzt sofort erleichtert, ja, fast schon glücklich, auf.

„Das sind Kazuo und Shredder", stößt Leonardo schließlich überrascht hervor.

„Ja", meint Raphael gedehnt. „Tatsächlich. Ohne Schlips und Anzug hätte ich Kazuo fast nicht erkannt."

„Shredder hätte ich so ohne Helm und Co auch nicht wiedererkannt", klagt Michelangelo schuldbewusst. Doch einen Moment später hellt sich seine Miene wieder auf. „Aber er sieht viel besser aus als im Krankenhaus. Ich weiß, das war er nicht wirklich, nur sein Bewusstsein, aber er scheint es gut weggesteckt zu haben, meint ihr nicht auch?"

„Er sieht gesund aus", bestätigt Leonardo erleichtert.

„Was ist denn das da, am Technodrome?" Raphael kneift die Augen zusammen und beugt sich nach vorne, bis er mit der Nase fast den Monitor berührt. „Sieht aus wie ein Baugerüst..."

„Krang hat wohl die Portokasse gefunden und endlich mal Profis engagiert", bemerkt Leonardo trocken.

Raphael gluckst leise und richtet sich wieder gerade auf.

„Du sagtest etwas von einer Botschaft, Donatello?" erkundigt sich Meister Splinter leise.

Der nickt eifrig und drückt eine Taste.

Zuerst hören sie nur Rauschen, doch dann ertönt eine ihnen wohlbekannte Stimme aus den kleinen Lautsprechern.

„Hallo Jungs, hallo Sensei Splinter. Hier spricht Oroku Kazuo. Wegen technischer Schwierigkeiten – wie es so schön heißt – kann ich euch leider nur eine Audiobotschaft schicken. Und länger als eine Minute darf die auch nicht sein. Also beschränke ich mich auf das Wesentliche. Danke erstmal. Danke dafür, daß ihr für meinen Niichan da ward und ihn ins Krankenhaus gebracht habt. Danke auch von ihm. Ich weiß nicht, auf welchem Stand ihr seid, ob ihr Nachricht aus dem Krankenhaus habt, vielleicht hat sich Donatello ja in die Aufnahmen der Sicherheitskameras gehackt …“, sie hören, wie er einmal tief Luft holt und können sich bildlich vorstellen, wie er auf die Uhr schaut, um zu sehen, wieviel Zeit ihm noch für die Nachricht bleibt. „Wie auch immer: mein Bruder lebt. Es geht ihm gut. Und ich bin bei ihm. Hier, in der DimensionX ...“ Im Hintergrund hört man plötzlich eine Stimme, aber zu undeutlich, um sie zu identifizieren oder gar Worte zu verstehen. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass sie nicht englisch waren.

Dann hören sie wieder Kazuos Stimme, laut und deutlich. In Englisch.

„Wieso soll ich ihnen sagen, daß es mir auch gut geht, Niichan? Die wissen, daß du mir nichts antust. Komm her und sag auch mal Hallo, du Baka.“

„Hallo. Du Baka“, hören sie dann laut und deutlich Shredders Stimme.

Splinter gluckst leise und auch die Turtles grinsen unwillkürlich.

„Entschuldigt ihn, Jungs“, ertönt da Kazuos lachende Stimme wieder. „Ihr wißt ja, wie er ist. Ein hoffnungsloser Fall. Aber ihm geht es auch gut. Genaueres erkläre ich … erklären wir euch später bei Gelegenheit mal. Obwohl ihr das bestimmt schon selbst alles herausgefunden habt. Dauert noch 'ne Weile, bis das Portal wieder richtig funktioniert.“ Ein kurzes Zögern und dann ein gedehntes: „Ja nun, das war eigentlich schon alles, was ich wollte. Bye-bye.“

Damit ist die Aufzeichnung zu Ende.

Über die kleine Gruppe senkt sich eine grabesähnliche Stille, als sie alle versuchen, sowohl mit dem Gehörten wie auch mit den Gefühlen, die das in ihnen auslöste, klar zu kommen.

Michelangelo räuspert sich als erster.

„Die beiden klangen ja richtig... glücklich?“

Allerdings, das stimmt. Grinsend nicken sich die Brüder zu und auch Meister Splinter zeigt sein feines, zufriedenes Lächeln.

„Können wir eine Antwort schicken, Donatello?“ fragt er dann.

Nachdenklich legt Donatello den rechten Zeigefinger an seine Nase. Er ist müde, aber da es Meister Splinter wichtig zu sein scheint, wirft er seine Gehirnzellen noch einmal an.

„Hm. Ja, das müsste ich hinkriegen. Ich muß nur die Frequenz zurückverfolgen und dann … oh nein, wie haben kein Tor in die DimensionX. Es sei denn … ja, ich könnte den Kommunikator der Neutrinos als Sender nutzen … ich fange schon mal an zu basteln...“ Alle Müdigkeit ist verflogen, wie immer, wenn er ein Problem lösen will. „Gebt mir 'ne Stunde.“

Von neuer Energie beseelt, wendet er sich schon zu seiner Werkbank um und kramt an den Einzelteilen herum, die dort liegen. Seine Brüder und Meister Splinter hat er schon längst vergessen.

Die vier mustern ihn amüsiert, und dann meint Splinter, während er sie mit einer Geste aus dem Labor scheucht:

„Sehr schön. Und wir überlegen uns, was wir sagen wollen.“

 

 

„Das ist so schwülstig, ich krieg hier gleich 'nen Zuckerschock.“

„Halt die Klappe, Shredder.“ Krang liebt das Love Boat und gibt diesem Kulturverächter daher mit dem Tentakel einen Klaps auf den Hinterkopf.

Da der vor der Couch sitzt und Krang in seiner Plastikkugel auf den Polstern, muß sich das Alien dafür nicht einmal anstrengen. Es ist außerdem nicht der erste Klaps mit dem Tentakel, den sich Shredder heute schon eingefangen hat. Wenn Shredder so gut gelaunt ist wie heute, vergißt er schnell, wer hier das Sagen hat und da erinnert ihn Krang doch gerne wieder daran.

Bebop und Rocksteady auf dem anderen Ende der Couch beobachten das Ganze grinsend, sparen sich aber wohlweislich jedes Kommentar. Sie hätten sich zwar lieber eine andere Serie angesehen, eine mit mehr Blut und Schießereien und Verfolgungsjagden, aber sie wissen, wer hier das Sagen hat.

Sie sind heute nur Gast in der Kommandozentrale, solange ihre Quartiere renoviert werden. Es ist ja nur noch bis heute Abend. Wenigstens schickt Krang sie nicht wieder auf irgendwelche Botengänge.

Kazuo dagegen brummt nur und lehnt sich bequemer mit dem Rücken an den Oberkörper seines Niichans. Sie sitzen beide auf dem Boden vor der Couch, die Krang sie vorhin anwies, aus einem Lagerraum zu holen und hier aufzustellen. Zuerst erschien ihnen das reichlich suspekt, aber jetzt müssen sie zugeben: so ein improvisiertes Heimkino hat etwas.

Und da die Fußbodenheizung wieder funktioniert, können sie sogar auf dem Boden sitzen. Genau wie früher. Kazuo fühlt einen Hauch von Nostalgie in sich erwachen, als er sich daran erinnert, wie er und sein Bruder als Kinder immer genau so vor der Couch ferngesehen haben: Saki mit dem Rücken an die Sitzfläche gelehnt und Kazuo zwischen seinen Beinen, sicher und warm umschlungen von Sakis Armen und Beinen.

Versonnen streichelt er mit den Fingern seiner rechten Hand über Sakis Unterarm, dort, wo der Ärmel etwas nach oben gerutscht ist und so schön viel goldbraune, warme Haut entblößt. Er hat allen Grund, stolz auf ihn zu sein: sie haben heute einen richtigen Trainingskampf gewagt und er hatte keinen Panik-Anfall. Auch das gelegentliche Zittern seiner Hände scheint nachgelassen zu haben. Nur das mit den Panik-Attacken bei metallischen Geräuschen hat noch nicht aufgehört. Ein Bauarbeiter hat heute eine Stahlplatte fallen lassen, daher wissen sie das. Aber das ist nicht weiter schlimm. Alles braucht seine Zeit.

Am meisten freut es Kazuo aber, dass sein Niichan schon die zweite Nacht in Folge durchgeschlafen hat. Dieser Dopamin-Rausch hatte wirklich ungewohnt positive Nachwirkungen.

Auch bei ihm. Seine Verlustangst hat erheblich nachgelassen. Jetzt ist sie auf einem Niveau, das er beherrschen kann – was aber nur bedeutet, daß er jetzt bewußt jede noch so kleine Gelegenheit nutzt, um seinen Niichan zu umarmen.

Und in Momenten wie diesem hier fühlt er sich an früher erinnert, an jene kostbaren Minuten und Stunden, wo er in der Gegenwart seines Niichans Ruhe und Frieden, sowie Hoffnung und Wärme fand. Ein Leben ohne Saki wäre kein Leben, damals nicht und heute auch nicht, wie er jetzt weiß.

Unwillkürlich kuschelt er sich enger in Sakis Umarmung hinein.

Und als Saki ihm dann auch noch einen kleinen Kuß auf die Schläfe drückt, hätte er beinahe behaglich aufgeseufzt.

Ein helles, durchdringendes „Pling“ durchschneidet den Raum und den süßlichen Dialog auf dem Hauptbildschirm und dann meldet die Stimme einer KI, von der sie (außer Krang natürlich) bisher gar nicht wußten, daß sie existiert:

„Eine Audiobotschaft für Euch.“

Seufzend drückt Krang die Pause-Taste seines Love Boats.

„Spiel uns die Nachricht vor, Kimmie."

„Sehr wohl, Lord Krang."

„Kimmie?" wiederholt Shredder. Er weiß nicht, worüber er mehr überrascht sein soll: über die KI als solche oder ihren Namen. Krang zeigt nur jene Tentakelgeste, die bei ihm für ein Schulterzucken steht.

Für weitere Diskussionen bleibt ihnen keine Zeit, denn da wird die Botschaft schon abgespielt. Laut und klar hallt Leonardos Stimme durch die Kommandozentrale.

„Hallo, Kazuo. Hallo, Shredder. Vielen Dank für eure Nachricht und das Foto. Wir sind sehr froh zu sehen und zu hören, dass es euch beiden gut geht. Und du liegst richtig, Kazuo, denn Donatello hat sich tatsächlich in den Server des Krankenhauses gehackt und die Aufnahmen der Überwachungskameras gecheckt, nachdem ihr verschwunden seid. Wir haben ein paar Theorien darüber, was passiert ist, aber im Moment sind wir einfach nur froh, zu erfahren, dass du, lieber Shredder, gesund und munter bist. Paß gut auf ihn auf, Kazuo, okay? Wir wollen schließlich, dass er uns einen guten Kampf liefert, wenn wir uns wiedersehen. Aber bis dahin genießt das Wetter in der DimensionX, ihr alle! Liebe Grüße auch an Krang, Bebop und Rocksteady. Alles Gute wünschen euch ..." und an dieser Stelle sagt jeder der Turtles seinen Namen.

Sie klingen sehr vergnügt.

Und dann hören sie Splinters Stimme. Er sagt etwas auf japanisch.

Danach endet die Nachricht.

In der gesamten Kommandozentrale herrscht plötzlich Totenstille. Bebop und Rocksteady werfen sich einen verunsicherten Blick zu. Sie haben als einzige hier Splinters Worte nicht verstanden, wagen in diesem Moment aber auch nicht zu fragen.

„Na, das war ja richtig süß", räuspert sich Krang schließlich.

Shredder legt nur eine Hand über seine Augen und ächzt leise auf.

Kazuo in seinen Armen kichert unterdrückt.

„Was ist los?" wagt es Rocksteady nun doch zu fragen. „Was hat er gesagt?"

Shredder schüttelt nur den Kopf und Kazuo vergräbt sein Gesicht lachend an seiner Schulter.

Es ist Krang, der ihnen breit grinsend antwortet:

„Er sagte: wenn Shredder ihm noch einmal so einen Schrecken verpasst, versohlt er ihm den Hintern."

 

 

Epilog

 

Epilog

 

Langsam fährt Kazuo mit den Fingerspitzen über das Wandregal mit den Büchern, betrachtet nachdenklich die Titel und nimmt dann einige ausgewählte an sich.

Es fühlt sich merkwürdig an, wieder hier zu sein. Es riecht sogar anders, und das nach nur vier Wochen. Er ist zu einem Fremdkörper in seiner eigenen Wohnung geworden.

Nein, nicht nur die Wohnung.

Die ganze Stadt fühlt sich merkwürdig an.

Er liebt Tokyo, diese Metropole ist seine Wahlheimat, aber jetzt ...

„Deine Kollegen waren hier. Sie suchen dich. Sie sagten, sie schalten das FBI ein.“ Hikari steht mitten im Raum, die Finger in ihrer grünen Schürze mit dem Logo ihres Blumenladens vergraben und bewahrt mehr Fassung als er es ihr nach dieser Nachricht zugetraut hätte.

Nur ihre Augen verraten ihren inneren Aufruhr – sie schwimmen in Tränen. Aber sie ist stur – sie wird nicht vor ihm weinen.

„Ich weiß“, erwidert Kazuo. Daß seine Dienststelle das FBI einschaltet, war zu erwarten gewesen, schließlich ist er zuletzt in New York gesehen worden und wen sollte man in einem Vermisstenfall auf US-Territorium sonst um Hilfe bitten? Er ist aus seinem Urlaub nicht zurückgekehrt und unter anderen Umständen würde ihm das jetzt schlaflose Nächte und Schuldgefühle en masse bescheren.

Aber heute … hier und jetzt …

„Ich war auf dem Revier, bevor ich hierher gekommen bin. Ich habe gekündigt.“

Ihre Augen weiten sich kurz, doch dann murmelt sie nur ein „sou ka“ und nickt.

In diesem Moment scheint sie zu begreifen, daß er mit mehr als nur ihr bricht – quasi mit seinem ganzen bisherigen Leben und den dazu gehörigen Zukunftsplänen.

Kazuo geht an ihr vorbei in den Flur und lässt die Bücher in den dort stehenden Karton gleiten.

Es ist wirklich erstaunlich, fährt es ihm dabei durch den Kopf, vier Jahre meines Lebens passen in einen einzigen Karton.

Er ist kein Minimalist, aber er hat erstaunlich wenig Gegenstände, an denen er hängt und von denen er sich nicht trennen möchte. Die meisten sind sehr persönlicher Natur – ein paar Fotobücher, seine sündhaft teure Fotoausrüstung, ein halbes Dutzend Bücher und ein paar liebgewonnene Kleidungsstücke. Natürlich nimmt er auch seine Dokumente und Urkunden mit, sowie die beiden Bankkarten, die er hier gelassen hatte, weil sie nur in Japan gültig sind – er ist ja nicht blöd. Hikari ist ein guter Mensch, aber eben auch nur ein Mensch. Noch steht sie unter Schock, aber morgen kann das schon wieder ganz anders aussehen.

Hikari ist ihm leise gefolgt und beobachtet ihn immer noch mit diesen großen, nassen Augen. Es ist ein Blick, bei dem ihm ganz mulmig wird. Da spricht nur sein schlechtes Gewissen aus ihm, aber es fühlt sich so an, als würde sie direkt durch Jacke und T-Shirt auf den frischen Knutschflecken auf seinem linken Schlüsselbein starren.

„Und was soll ich mit deinen ganzen Anzügen und den teuren Schuhen machen?“ Sie klingt erstaunlich ruhig und sachlich, doch damit täuscht sie niemanden. Wenn er will, daß sie vor ihm ihr Gesicht wahren kann, sollte er jetzt langsam gehen.

„Verfahre damit, wie du es willst“, erwidert er, während er den Karton hochhebt. „Verfahre mit all meinen Sachen, wie du möchtest. Verkaufe sie, spende sie oder laß deine berechtigte Enttäuschung und Wut an ihnen aus. Die Wohnung darfst du auch behalten. Ich behalte nur mein Auto.“

Das ist furchtbar egoistisch von ihm, und das tut ihm wirklich leid, aber er hat keine Lust, das Ganze unnötig in die Länge zu ziehen.

„Du benimmst dich so irrational, Kazuo.“

Er nickt nur. Als er an ihr vorbeigeht, zögert er einmal kurz, doch dann sagt er nur ein leises „hab ein schönes Leben, Hikari“, schlüpft in seine Straßenschuhe und verläßt die Wohnung und die Frau, die in den letzten Jahren sein Zuhause waren.

Es ist ein wenig wie eine Flucht. Kazuo ist ihr wirklich dankbar, daß sie ihm keine Szene macht oder ihm Löcher in den Bauch fragt. Dazu ist sie einfach noch viel zu geschockt. Er war nicht gerade einfühlsam, dessen ist er sich bewußt, aber … herrje, er wollte es einfach endlich hinter sich bringen. Hikari ist hübsch und schließt schnell neue Freundschaften und viele Männer in ihrem Bekanntenkreis haben sich nur zurückgehalten, weil sie von Anfang an klar machte, daß sie und Kazuo ein Paar waren … sie wird schnell jemand Neues finden. Jemanden, der nicht nur in betrunkenem Zustand um ihre Hand anhält. Oder dem sie es vorgaukeln muß, daß er genau das getan hätte. Er weiß immer noch nicht, was von beidem zutrifft, aber zum Glück muß er sich darüber jetzt ja auch keine Gedanken mehr machen.

Ausnahmsweise nimmt er mal den Fahrstuhl die zwei Etagen hinunter in die Tiefgarage – er trägt schließlich einen sperrigen, wenn auch nicht besonders schweren Karton in seinen Armen.

Dies hier ist das letzte Mal, daß er diesen Fahrstuhl benutzt, und diese Erkenntnis sorgt wieder für dieses Gefühl der Unwirklichkeit. Als wäre dies alles nur ein Zwischenstopp gewesen und sein Endbahnhof liegt ganz woanders.

Unten in der Tiefgarage hält er sich gleich links. Sein Toyota steht auf Platz Nummer siebzehn und das ist ziemlich weit hinten.

Am Heck seines Kleinwagens lehnt die wohlbekannte Gestalt seines Bruders, bei dessen Anblick Kazuos Herz einen kleinen Sprung macht und die Schmetterlinge in seinem Bauch aufweckt.

Niichan … unwillkürlich beschleunigt er seine Schritte.

Er trägt wieder mal schwarz und grau und darüber diese Jacke mit den vielen Schnallen und Reißverschlüssen aus der DimensionX und … oh, Kazuo spürt, wie sein Herz immer heftiger klopft... und dann begrüßt Saki ihn mit diesem Lächeln ...

Drei Tage, erinnert er sich, bemüht, nicht allzu dümmlich zurückzulächeln. Heute und das Wochenende. So viel hat Krang uns gegönnt. Und nachdem ich unter alles hier einen Schlußstrich gezogen habe, gehören diese drei Tage nur uns beiden.Ab jetzt. Ab dieser Sekunde gibt es nur noch uns.

Er freut sich schon so sehr auf ihren Kurztrip zu den Onsen in Chiba, daß er die halbe Nacht vor Aufregung gar nicht schlafen konnte. Die andere Hälfte hat ihn Saki auf andere Gedanken gebracht ...

„Das ist ein schönes Autochen“, lobt Shredder und klopft einmal mit der flachen Hand bezeichnend auf die Heckklappe.

„Danke“, kommt es etwas atemlos zurück – und das, obwohl Kazuo doch gar nicht gerannt ist...

Kazuo räuspert sich einmal, kramt umständlich den Schlüssel aus seiner Jackentasche und entriegelt per Fernbedienung die Türen.

„Ich wundere mich nur, daß du noch nicht drinnen sitzt“, scherzt er, während Shredder schon hilfsbereit den Kofferraum öffnet.

„Ich breche doch nicht in dein Auto ein, Kaz-chan“, erwidert Shredder wieder mit diesem Lächeln

Kazuo wirft ihm einen Blick zu, der Shredder aus ihm unbekannten Gründen erröten läßt.

Schnell stellen sie erst Kazuos Karton in den Kofferaum und dann das wenige, was bisher neben Shredders Füßen stand und was Kazuo aus dem Polizeirevier mitnehmen durfte – seine privaten Unterlagen, seine Lieblingskaffeetasse und seine genügsame Büropflanze.

Geez – wie Rocksteady und Bebop immer so schön sagen – er besitzt wirklich nicht viel, nicht wahr?

Andererseits …

„Du warst ziemlich lange weg“, unterbricht die leise Stimme seines Bruders Kazuos Gedanken.

„Es tut mir leid“, entschuldigt sich Kazuo sofort und schielt ihn schuldbewußt von der Seite her an. Hoffentlich hat sein Niichan in diesen Minuten nicht wieder angefangen, an der Ernsthaftigkeit seiner Gefühle zu zweifeln. Kazuo hofft doch so sehr, daß seine Kündigung und seine Trennung von Hikari ihm endlich bewiesen haben, daß es für ihn nur noch einen Platz gibt, wo er sein möchte.

Aber dann sieht er das angedeutete Lächeln um Shredders Mundwinkel und als er ihm in die Augen blickt, ist da kein einziger Hauch von Traurigkeit mehr in ihnen.

Andererseits … spinnt er den Gedanken von vorhin jetzt zu Ende … besitze ich schon das, worauf es ankommt, nicht wahr?

Er zögert einen Moment, aber dann wirft er alle Bedenken über Bord, packt seinen Niichan am Kragen dieser tollen Jacke und zieht ihn zu einem Kuß heran. Er spürt, wie sich Saki kurz sträubt, murmelt ein beruhigendes „hier sieht uns keiner“, und fügt dann noch ein „und wenn doch, ist's mir egal“ hinzu, bevor er sich daran macht, diesen Kuß genüßlich zu vertiefen.

Und als Shredder seufzend gegen ihn sinkt und diesen Kuß mindestens genauso leidenschaftlich erwidert, da ist Kazuos einziger, absolut selbstzufriedener Gedanke:

Endlich, ja.

Sein Niichan gehört ihm.

Ihm ganz allein.

Und er selbst – gehört ihm ebenfalls.

 

 

ENDE


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hinweis: das hier spielt zwar auf die Folge „Leatherhead - Terror of the Swamp“ an, aber dieser Shredder ist NICHT der Saki/Shredder aus meiner FF "Saki-chan". Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Dollface-Quinn
2018-08-28T11:53:43+00:00 28.08.2018 13:53
Wie immer sehr spannend geschrieben. Ich werde die Geschichte weiter verfolgen.^^
Antwort von:  MariLuna
28.08.2018 15:55
Dankeschöööööööön ^^
Von: abgemeldet
2018-08-27T19:05:01+00:00 27.08.2018 21:05
Hey hey
Also ich mags.... dabei bin ich kein fan von Inzest... abwr dieses unschuldige Ausprobieren... einfach goldig und warum sollte man Kazuo nicht auch einmal näher beleuchten..

Freue mich auf mehr
Grüsse
Yours ani
Antwort von:  MariLuna
27.08.2018 22:35
Danke ^^
normalerweise bin ich auch kein Freund davon, aber meine Güte - es ist in Japan nicht mal strafbar! ^^
und die sind ab dem 1. Kapitel beide erwachsen, falls dich das etwas beruhigt :-)
schön, dass du trotzdem weiterlesen willst ...
Grüsse zurück - ML


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