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Niichan

von

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Epilog

 

Epilog

 

Langsam fährt Kazuo mit den Fingerspitzen über das Wandregal mit den Büchern, betrachtet nachdenklich die Titel und nimmt dann einige ausgewählte an sich.

Es fühlt sich merkwürdig an, wieder hier zu sein. Es riecht sogar anders, und das nach nur vier Wochen. Er ist zu einem Fremdkörper in seiner eigenen Wohnung geworden.

Nein, nicht nur die Wohnung.

Die ganze Stadt fühlt sich merkwürdig an.

Er liebt Tokyo, diese Metropole ist seine Wahlheimat, aber jetzt ...

„Deine Kollegen waren hier. Sie suchen dich. Sie sagten, sie schalten das FBI ein.“ Hikari steht mitten im Raum, die Finger in ihrer grünen Schürze mit dem Logo ihres Blumenladens vergraben und bewahrt mehr Fassung als er es ihr nach dieser Nachricht zugetraut hätte.

Nur ihre Augen verraten ihren inneren Aufruhr – sie schwimmen in Tränen. Aber sie ist stur – sie wird nicht vor ihm weinen.

„Ich weiß“, erwidert Kazuo. Daß seine Dienststelle das FBI einschaltet, war zu erwarten gewesen, schließlich ist er zuletzt in New York gesehen worden und wen sollte man in einem Vermisstenfall auf US-Territorium sonst um Hilfe bitten? Er ist aus seinem Urlaub nicht zurückgekehrt und unter anderen Umständen würde ihm das jetzt schlaflose Nächte und Schuldgefühle en masse bescheren.

Aber heute … hier und jetzt …

„Ich war auf dem Revier, bevor ich hierher gekommen bin. Ich habe gekündigt.“

Ihre Augen weiten sich kurz, doch dann murmelt sie nur ein „sou ka“ und nickt.

In diesem Moment scheint sie zu begreifen, daß er mit mehr als nur ihr bricht – quasi mit seinem ganzen bisherigen Leben und den dazu gehörigen Zukunftsplänen.

Kazuo geht an ihr vorbei in den Flur und lässt die Bücher in den dort stehenden Karton gleiten.

Es ist wirklich erstaunlich, fährt es ihm dabei durch den Kopf, vier Jahre meines Lebens passen in einen einzigen Karton.

Er ist kein Minimalist, aber er hat erstaunlich wenig Gegenstände, an denen er hängt und von denen er sich nicht trennen möchte. Die meisten sind sehr persönlicher Natur – ein paar Fotobücher, seine sündhaft teure Fotoausrüstung, ein halbes Dutzend Bücher und ein paar liebgewonnene Kleidungsstücke. Natürlich nimmt er auch seine Dokumente und Urkunden mit, sowie die beiden Bankkarten, die er hier gelassen hatte, weil sie nur in Japan gültig sind – er ist ja nicht blöd. Hikari ist ein guter Mensch, aber eben auch nur ein Mensch. Noch steht sie unter Schock, aber morgen kann das schon wieder ganz anders aussehen.

Hikari ist ihm leise gefolgt und beobachtet ihn immer noch mit diesen großen, nassen Augen. Es ist ein Blick, bei dem ihm ganz mulmig wird. Da spricht nur sein schlechtes Gewissen aus ihm, aber es fühlt sich so an, als würde sie direkt durch Jacke und T-Shirt auf den frischen Knutschflecken auf seinem linken Schlüsselbein starren.

„Und was soll ich mit deinen ganzen Anzügen und den teuren Schuhen machen?“ Sie klingt erstaunlich ruhig und sachlich, doch damit täuscht sie niemanden. Wenn er will, daß sie vor ihm ihr Gesicht wahren kann, sollte er jetzt langsam gehen.

„Verfahre damit, wie du es willst“, erwidert er, während er den Karton hochhebt. „Verfahre mit all meinen Sachen, wie du möchtest. Verkaufe sie, spende sie oder laß deine berechtigte Enttäuschung und Wut an ihnen aus. Die Wohnung darfst du auch behalten. Ich behalte nur mein Auto.“

Das ist furchtbar egoistisch von ihm, und das tut ihm wirklich leid, aber er hat keine Lust, das Ganze unnötig in die Länge zu ziehen.

„Du benimmst dich so irrational, Kazuo.“

Er nickt nur. Als er an ihr vorbeigeht, zögert er einmal kurz, doch dann sagt er nur ein leises „hab ein schönes Leben, Hikari“, schlüpft in seine Straßenschuhe und verläßt die Wohnung und die Frau, die in den letzten Jahren sein Zuhause waren.

Es ist ein wenig wie eine Flucht. Kazuo ist ihr wirklich dankbar, daß sie ihm keine Szene macht oder ihm Löcher in den Bauch fragt. Dazu ist sie einfach noch viel zu geschockt. Er war nicht gerade einfühlsam, dessen ist er sich bewußt, aber … herrje, er wollte es einfach endlich hinter sich bringen. Hikari ist hübsch und schließt schnell neue Freundschaften und viele Männer in ihrem Bekanntenkreis haben sich nur zurückgehalten, weil sie von Anfang an klar machte, daß sie und Kazuo ein Paar waren … sie wird schnell jemand Neues finden. Jemanden, der nicht nur in betrunkenem Zustand um ihre Hand anhält. Oder dem sie es vorgaukeln muß, daß er genau das getan hätte. Er weiß immer noch nicht, was von beidem zutrifft, aber zum Glück muß er sich darüber jetzt ja auch keine Gedanken mehr machen.

Ausnahmsweise nimmt er mal den Fahrstuhl die zwei Etagen hinunter in die Tiefgarage – er trägt schließlich einen sperrigen, wenn auch nicht besonders schweren Karton in seinen Armen.

Dies hier ist das letzte Mal, daß er diesen Fahrstuhl benutzt, und diese Erkenntnis sorgt wieder für dieses Gefühl der Unwirklichkeit. Als wäre dies alles nur ein Zwischenstopp gewesen und sein Endbahnhof liegt ganz woanders.

Unten in der Tiefgarage hält er sich gleich links. Sein Toyota steht auf Platz Nummer siebzehn und das ist ziemlich weit hinten.

Am Heck seines Kleinwagens lehnt die wohlbekannte Gestalt seines Bruders, bei dessen Anblick Kazuos Herz einen kleinen Sprung macht und die Schmetterlinge in seinem Bauch aufweckt.

Niichan … unwillkürlich beschleunigt er seine Schritte.

Er trägt wieder mal schwarz und grau und darüber diese Jacke mit den vielen Schnallen und Reißverschlüssen aus der DimensionX und … oh, Kazuo spürt, wie sein Herz immer heftiger klopft... und dann begrüßt Saki ihn mit diesem Lächeln ...

Drei Tage, erinnert er sich, bemüht, nicht allzu dümmlich zurückzulächeln. Heute und das Wochenende. So viel hat Krang uns gegönnt. Und nachdem ich unter alles hier einen Schlußstrich gezogen habe, gehören diese drei Tage nur uns beiden.Ab jetzt. Ab dieser Sekunde gibt es nur noch uns.

Er freut sich schon so sehr auf ihren Kurztrip zu den Onsen in Chiba, daß er die halbe Nacht vor Aufregung gar nicht schlafen konnte. Die andere Hälfte hat ihn Saki auf andere Gedanken gebracht ...

„Das ist ein schönes Autochen“, lobt Shredder und klopft einmal mit der flachen Hand bezeichnend auf die Heckklappe.

„Danke“, kommt es etwas atemlos zurück – und das, obwohl Kazuo doch gar nicht gerannt ist...

Kazuo räuspert sich einmal, kramt umständlich den Schlüssel aus seiner Jackentasche und entriegelt per Fernbedienung die Türen.

„Ich wundere mich nur, daß du noch nicht drinnen sitzt“, scherzt er, während Shredder schon hilfsbereit den Kofferraum öffnet.

„Ich breche doch nicht in dein Auto ein, Kaz-chan“, erwidert Shredder wieder mit diesem Lächeln

Kazuo wirft ihm einen Blick zu, der Shredder aus ihm unbekannten Gründen erröten läßt.

Schnell stellen sie erst Kazuos Karton in den Kofferaum und dann das wenige, was bisher neben Shredders Füßen stand und was Kazuo aus dem Polizeirevier mitnehmen durfte – seine privaten Unterlagen, seine Lieblingskaffeetasse und seine genügsame Büropflanze.

Geez – wie Rocksteady und Bebop immer so schön sagen – er besitzt wirklich nicht viel, nicht wahr?

Andererseits …

„Du warst ziemlich lange weg“, unterbricht die leise Stimme seines Bruders Kazuos Gedanken.

„Es tut mir leid“, entschuldigt sich Kazuo sofort und schielt ihn schuldbewußt von der Seite her an. Hoffentlich hat sein Niichan in diesen Minuten nicht wieder angefangen, an der Ernsthaftigkeit seiner Gefühle zu zweifeln. Kazuo hofft doch so sehr, daß seine Kündigung und seine Trennung von Hikari ihm endlich bewiesen haben, daß es für ihn nur noch einen Platz gibt, wo er sein möchte.

Aber dann sieht er das angedeutete Lächeln um Shredders Mundwinkel und als er ihm in die Augen blickt, ist da kein einziger Hauch von Traurigkeit mehr in ihnen.

Andererseits … spinnt er den Gedanken von vorhin jetzt zu Ende … besitze ich schon das, worauf es ankommt, nicht wahr?

Er zögert einen Moment, aber dann wirft er alle Bedenken über Bord, packt seinen Niichan am Kragen dieser tollen Jacke und zieht ihn zu einem Kuß heran. Er spürt, wie sich Saki kurz sträubt, murmelt ein beruhigendes „hier sieht uns keiner“, und fügt dann noch ein „und wenn doch, ist's mir egal“ hinzu, bevor er sich daran macht, diesen Kuß genüßlich zu vertiefen.

Und als Shredder seufzend gegen ihn sinkt und diesen Kuß mindestens genauso leidenschaftlich erwidert, da ist Kazuos einziger, absolut selbstzufriedener Gedanke:

Endlich, ja.

Sein Niichan gehört ihm.

Ihm ganz allein.

Und er selbst – gehört ihm ebenfalls.

 

 

ENDE



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